Evelyn Regner Informationen für MeinungsbildnerInnen 1. August 2012 Derivate Zusammenfassung: Die internationale Finanzkrise wurde maßgeblich durch Spekulationen mit komplizierten und undurchsichtigen Wertpapieren beeinflusst. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen dabei Derivate, insbesondere die "OTCDerivate". Diese sind oft besonders unübersichtlich; der Handel mit ihnen wird oft als die Hauptursache für die Finanzkrise angesehen. Anfang 2012 hat die Europäische Union einen großen Schritt unternommen um den Handel mit Derivaten – speziell den OTC-Derivaten – in den Griff zu bekommen. Am 29.03.2012 verabschiedete das Parlament die so genannte "Verordnung über OTCDerivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister". Sobald diese in Kraft tritt, werden diese Wertpapiere zum ersten Mal gesetzlich reguliert und auch zum ersten Mal zentral und EU-weit erfasst. Damit wird die Europäische Union einen großen Beitrag dazu leisten, einem erneuten Finanzcrash vorzubeugen. Was sind Derivate? „Derivate“ ist ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Arten von Wertpapieren. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie nicht unmittelbar das Recht auf ein reales Wirtschaftsgut verbriefen, sondern ihr Wert sich von anderen Indikatoren, den so genannten Basiswerten, ableitet. Ein klassisches Beispiel für Derivate sind sogenannte Optionen. Optionen geben dem Inhaber das Recht zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Wirtschaftsgut zu einem bestimmten Preis zu kaufen. Ein Optionsschein kann einem Eigentümer also zum Beispiel das Recht geben, in einem halben Jahr 100.000 Barrel Erdöl zum Preis X pro Barrel zu kaufen. Wenn der besagte Zeitpunkt eingetreten ist, muss das Öl trotzdem erst noch gekauft und bezahlt werden, denn die Option gibt einem nicht das Recht am Öl, sondern nur das Recht es zu erwerben. Diese Art von Handel wird Termingeschäft genannt. Was sind die Probleme mit Derivaten? Derivate der oben beschrieben Art sind entstanden, um Käufer vor Preisschwankungen zu schützen. Plant ein Unternehmen, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Ware zu kaufen/Währung zu wechseln/Geld anzulegen, aber befürchtet, dass gerade dann der Preis/Kurs/Zinssatz ungünstig sein könnte, kann es dank solcher Termingeschäfte sicherstellen, dass die Ware bezahlbar/der Währungskurs akzeptabel/der Zinssatz zufriedenstellend ist. a Mag. Evelyn Regner, Abgeordnete zum Europäischen Parlament Fraktion der Europäischen SozialdemorkatInnen Europäisches Parlament: ASP 15 G 352, 60, Rue Wiertz, B-1047 Brüssel T 0032-228-47476; F 0032-228-49476; E [email protected]; W evelyn-regner.at 2/2 Das Problem ist, dass solche Derivate teilweise deshalb gekauft werden, um mit ihnen zu spekulieren. Gerade weil erwartet wird, dass der Preis einer Ware steigt, werden Optionen auf diese gekauft, um sie später zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen. Statt einer Absicherung gegen Preisschwankungen wird dadurch die Spekulation gefördert. Zudem sind viele Derivate entstanden, die sich gar nicht auf ein reales Wirtschaftsgut wie Waren, Aktien oder zumindest Zinsanlagen beziehen. So gibt es Derivate deren Basiswert einfach nur der Kurs einer bestimmten Börse ist. Diese Derivate sind praktisch reine "Wettscheine". Was sind "OTC-Derivate"? "OTC" steht für "over the counter", also wörtlich "über den Ladentisch". Es soll bedeuten, dass diese Wertpapiere, anders als die üblichen Derivate, nicht an der Börse gehandelt, sondern direkt von einem Unternehmen an ein anderes, also quasi "über den Ladentisch", verkauft werden. Was sind die Gefahren von OTC-Derivaten? Der große Nachteil der OTC-Derivaten ist, dass sie nicht erfasst und somit auch nicht kontrolliert werden. Sind andere Derivate bereits oft hochspekulativ, so werden sie zumindest an Börsen gehandelt und sind damit öffentlich sichtbar. Sowohl die Handelnden wie auch der Staat können sehen, wie viele Wertpapiere im Umlauf sind, welchen Inhalt sie haben etc. Außerdem unterliegen Wertpapiere, die an der Börse gehandelt werden, der staatlichen Aufsicht. OTC-Derivate unterliegen jedoch keiner staatlichen Kontrolle. Auch ist nicht bekannt, welche Menge an solchen Derivaten genau im Unlauf ist. OTCs machen geschätzte 80 % aller Derivate aus. Somit stellen sie ein besonderes Systemrisiko dar, welches in der Finanzkrise schlagend wurde. Was bringt die Verordnung der EU? Die Verordnung richtet sich gegen die drei größten Probleme der OTCs: a) Die Menge an Derivaten ist nicht bekannt; b) sie werden ohne jegliche Inhaltskontrolle geschlossen; und c) sie unterleigen keiner staatlichen Aufsicht. In der Verordnung wird jetzt festgelegt, dass • alle Derivate (die außerbörslichen, aber auch die an Börsen gehandelten) in einem zentralen Transaktionsregister eingetragen werden müssen. Hierdurch werden das Volumen dieses Handels und der Inhalt der Verträge transparent. • Ferner dürfen außerbörsliche Derivate nicht mehr zwischen den Parteien direkt gehandelt werden, sondern müssen über so genannte Clearingstellen gehen. Statt unübersichtlicher Individualabsprachen entstehen so vereinheitlichte Wertpapiere, was die Transparenz weiter erhöht. Ferner legen Clearingstellen auch Sicherheitszahlungen fest, was das Ausfallrisiko reduziert. • Schließlich erhält die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde eine Rolle als Aufsichtsbehörde und kann Clearingstellen die Zulassung entziehen kann. Damit werden OTC-Derivate erstmal einer staatlichen Krontrolle unterstellt. a Mag. Evelyn Regner, Abgeordnete zum Europäischen Parlament Fraktion der Europäischen SozialdemokratInnen Europäisches Parlament: ASP 15 G 352, 60, Rue Wiertz, B-1047 Brüssel T 0032-228-47476; F 0032-228-49476; E [email protected]; W evelyn-regner.at