Warum die Ontologie nicht das letzte Wort hat

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Warum die Ontologie nicht das letzte Wort hat
Die Analogielehre als Kriterium für die Methodenfrage
in der theologischen Anthropologie
Erwin Dirscherl
Es ist m. E. im heutigen theologischen Diskurs an der Zeit, auch angesichts einer von
Klaus Müller sehr engagiert angestoßenen Monismusdebatte, die Frage nach der Analogie ins Zentrum zu rücken, zumal wenn es um die Methodenfrage theologischer Anthropologie geht, die mir für diesen Beitrag zur Aufgabe gemacht wurde. Methodenfragen sind natürlich immer auch Sachfragen.1 Von daher kann es im Folgenden nicht
ausbleiben, dass auch eine inhaltliche Problematik im Mittelpunkt stehen wird, nämlich
wie die Gottesbeziehung des Menschen angesichts von Schöpfung und Menschwerdung
Gottes rational zur Sprache zu bringen ist.
I. Monistischer Tiefenstrom der Theologie?
Klaus Müller hat sich in der Konsequenz seines Denkens wiederholt zu einer monistischen Grundströmung in der Theologie geäußert, wobei er nicht nur Nikolaus v. Kues,
sondern auch I. Kant oder K. Rahner als Zeugen anruft.2 Der Monismus geht von einer
letzten Ursprungseinheit zwischen Gott und Mensch aus und versteht die Gottunmittelbarkeit des Menschen in einem substantiellen Sinne. Wie anders sollte man sonst die
Herausforderung verstehen, »Gott so zu denken, dass er ›zugleich persönlich und alles
ist‹«?3 Die monistische Debatte wird als »subjektphilosophische Provokation« verstanden, denn in ihr spiele die Vermittlung von Einmaligkeit (Subjektsein) und Einzelheit
(Personsein) eine zentrale Rolle.4 Dabei geht Müller davon aus, dass die monistischen
Religionen der Unabweisbarkeit des Gedankens des Personseins als Einzelnseins ihr
Recht einräumen, während die monotheistischen Religionen dem »Einmaligkeits- und
damit All-Einheits-Charakter der Subjektperspektive Raum hauptsächlich in Form der
Mystik und in Gestalt kosmotheistischer Implikationen vieler ihrer Ausdrucksformen«5
1. So Walter Kasper, Die Wissenschaftspraxis der Theologie, in: HFTh 4, 242–277, 251.
2. Vgl. etwa Klaus Müller, Über den monistischen Tiefenstrom der christlichen Gottrede, in: Ders. – Magnus Striet, Dogma und Denkform, Regensburg 2005, 47–84.
3. Klaus Müller, Streit um Gott, Regensburg 2006, 245 mit Bezug auf P. Strasser.
4. Klaus Müller, Streit, 237.
5. Klaus Müller, Streit, 234.
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geben. Nun ist es natürlich ein Unterschied, ob man davon redet, dass in der christlichen Tradition einem monistischen Denken Raum gegeben wird, was ohne Zweifel zutrifft, oder ob man einen monistischen Tiefenstrom nachweisen will. Und abgesehen davon, dass man über die Füllung der Begriffe »Person« und »Subjekt« trefflich streiten
kann, frage ich mich doch, ob man so selbstverständlich davon ausgehen kann, dass Einmaligkeits- und All-Einheits-Charakter gleich gesetzt werden können. Mit D. Henrich
benennt Müller als monismus-ontologische Kategorien »Strom« oder »Ereignis« und
will Einmaligkeit und Marginalität so vermitteln, dass der Hervorgang des Einzelnen
aus einer reinen Prozessualität gedacht wird, die nichts Einzelnes voraussetzt.6 Nun
scheint mir das Problem darin zu bestehen, dass Einmaligkeit zu sehr mit All-Einheit
zusammengedacht wird, wo doch der Gedanke der Einzigartigkeit, vor allem der Einzigkeit Gottes, offensichtlich eine Differenz voraussetzt, um Beziehungen denken zu können. Daher spricht E. Levinas nicht von Einzigartigkeit, weil das bedeuten würde, dass
die »Art« als Oberbegriff das Einzige noch umfassen würde, das eben dadurch aber nicht
mehr als »einzig« ausgewiesen werden kann. Denn wie soll Einzigkeit, in ein Ganzes
eingeholt, noch Einzigkeit sein? Einzigkeit und Einheit meinen Verschiedenes. Und ist
es nicht so, dass der biblische Monotheismus auf die Einzigkeit Gottes abhebt und nicht
Spekulation über eine bestimmte Einheitsvorstellung sein will? Und kann nicht erst
dann, wenn die Einzigkeit so radikal gedacht wird, von einer Einzigkeit des Menschen
die Rede sein, der sich als Gottes Ebenbild einer creatio ex nihilo verdankt, die seine Anderheit und damit seine Einzigkeit in Bezogenheit zu Gott und zum Nächsten als Stellvertreter/in Gottes konstituiert? Gerade ein monistischer Grundstrom hat die Tendenz,
die Einzigkeit des Menschen aufzuheben und als Moment oder Vermittlungsinstanz eines Prozesses oder Stromes zu deuten, in dem nur das Umfassende das Wahre und
Ganze sein kann. Was aber ist mit der Anderheit als Voraussetzung von Beziehungen?
Müller erkennt in der Christologie eine besondere Herausforderung für sein Denken
der Vermittlung von Einmaligkeit und Einzelheit und führt aus, »sämtliche Formeln der
Christologie« hätten darin ihr Thema zu zeigen, dass der absolut Einmalige als Einzelner auftritt.7 Das ist natürlich ebenfalls eine streitbare These, weil sie alle christologischen Entscheidungen auf diese Verhältnisbestimmung reduziert. Menschwerdung bedeute, dass Gott sich »vollständig zugänglich« mache dadurch, »dass er sich abhängig
macht von dem, was zutiefst von ihm als Gott sich abhängig weiß, und sich gerade damit als Absolutum auf einzigartige (!) Weise bekundet.«8 Hier liegt in der Tat eine Anspannung vor, von der man behaupten könnte, dass sie nur bei einer bleibenden Grunddifferenz zwischen Gott und Mensch spannend bliebe, wohingegen Müller jedoch von
einer »bis zum Anschlag gespannten Dialektik« spricht und dann ausführt, dass Chris-
6. Vgl. Klaus Müller, Streit, 234, 237.
7. Klaus Müller, Streit, 240.
8. Klaus Müller, Streit, 241.
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tologie und Trinitätslehre darauf hinauslaufen, Jesus in Gott hineinzudenken und somit
»notwendig eine Drift aller nachfolgenden Glaubensreflexion in Richtung der monistischen Option aller Religion qua vermittelnder Selbstverständigung bewussten Lebens«
freizusetzen.9 Ist das auch der Sinn der Formel von Chalkedon? Wird hier nur Jesus in
Gott hinein gedacht? Wird in der Christologie die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf so vermittelt, dass sie monistisch überspielt wird? Wird hier Absolutheit als umfassende Einheit im ontologischen Sinne gedacht?10 Und ist dieses Vermittlungsgeschehen nicht ein notwendiges im Sinne von: nur so denkbares, wenn gesagt wird, dass diese
Dialektik das Christentum zur »wahrheitsfähigsten und damit auch philosophie-nächsten Religion, die sich überhaupt denken lässt« werden lasse?11 Hier wird nicht nur die
philosophische Leistung anderer Religionen, die Müller nur zu gut bekannt ist, unterschätzt, sondern durch ihre Klassifizierung unter dem Aspekt der Monismusfähigkeit
auch abgewertet. Dies wird u. a. dort deutlich, wo Müller den monistischen Grundstrom
der Theologie des Nikolaus v. Kues herausstellen will. Die Rede von der coincidentia oppositorum beinhalte ein wirkliches Denken des Unendlichen, das einen Zusammenfall
der Gegensätze voraussetze, »weil in diesem Gedanken des Unendlichen nichts außerhalb dieses Unendlichen bleiben darf, auch nicht der Akt seines Gedachtwerdens und das
Subjekt dieses Aktes.«12 Wenn nichts außerhalb des Unendlichen verbleibt, dann ist alles im Unendlichen. Zuzustimmen ist Müller dort, wo er betont, dass die Einheit, die
Nikolaus anzielt, vor dem Gegensatz von Einheit und Vielheit liegt. Aber noch nicht
ausgemacht ist die Frage, ob der Kusaner einen Panentheismus vertritt und die geschöpfliche Grunddifferenz und damit das Phänomen der Relationalität vernachlässigt.
Nikolaus v. Kues spricht von einer docta ignorantia, einem belehrten Unwissen, das
der Mensch erreichen kann. Dabei bezieht er sich interessanterweise explizit auf jüdisches Denken: »In Übereinstimmung damit sagt Rabbi Salomon, alle Weisen stimmten
darin überein, ›daß Wissen den Schöpfer nicht erfasse, und daß nur er sein Wesen erfaßt. Unser Erfassen ihm gegenüber ist ein Versagen im Bemühen, uns seiner Erfassung
zu nähern‹. Diese Überlegungen lassen ihn anderswo zu dem Schluß kommen: ›Gepriesen sei der Schöpfer. In der Erfassung seines Wesens wird der Forschungsweg der Wissenschaften abgekürzt, … die Weisheit als Unwissenheit erfunden und … das gewandte
Spiel der Worte als Gerede‹. Das ist jene belehrte Unwissenheit, die wir suchen.«13
In der Ausrichtung auf Gott vermag der Mensch seine Mittelstellung zu wahren und
sie nicht zu überschätzen, wenn er sich an die Einsicht der docta ignorantia hält, die damals wie heute im christlich-jüdischen sowie interreligiösen Dialog von hoher Aktualität und Bedeutsamkeit für das gegenseitige Verstehen und die Verständigung ist. Ni-
9.
10.
11.
12.
13.
Klaus Müller, Streit, 241.
Levinas würde dem die Deutung von Ab-solutheit als Getrenntheit gegenüberstellen.
Klaus Müller, Streit, 241.
Klaus Müller, Streit, 169.
Nikolaus von Kues, doct. ignor. I, 16,44.
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kolaus von Kues schätzt offensichtlich das jüdische Denken und es ist die Frage, ob er
wie Müller von einer größeren Wahrheitsfähigkeit christlichen Denkens sprechen
würde.14
Ohne Zweifel ringt Müller mit der Unterschiedenheit von Schöpfer und Schöpfung,
mit der Spannung von Immanenz und Transzendenz Gottes in der Welt und will gerade
bei aller Rede von der Transzendenz Gottes die Immanenz nicht zu kurz kommen lassen, aber er erliegt der Faszination, Monotheismus und Kosmotheismus monistisch zusammen zu halten und zu denken. Monismus bedeutet dabei nicht nur, dass im Unterschied zum Dualismus nur ein Ursprung der Wirklichkeit gedacht wird, sondern
beinhaltet auch eine Aussage über die Beziehung zum Ursprung. Transzendentallogisch
wird an einem Primat der Einheit vor der Differenz festgehalten. Die Unmittelbarkeit
zwischen Gott und Mensch wird nicht als Nähe, die Differenz bzw. Unterschiedenheit
voraussetzen würde, sondern eher als »Strom« oder »Ereignis« – eher a-personale Begriffe – gedacht, die zu sehr eine Identität zu denken nahe legen. Die Vermittlung setzt
ein umfassendes Ganzes, eine Totalität voraus. Sie bedeutet Teilhabemöglichkeit am selben Sein, um die Denkmöglichkeit des Absoluten gewährleisten zu können. Wäre nicht
alles in Gott, wie wäre er denkbar? Wie wäre er vermittelbar? Natürlich gibt es einen
Strom monistischen oder panentheistischen Denkens in der Theologiegeschichte, vor
allem in der Mystik. Aber gibt es nicht noch einen anderen Strom?
Ich will mich nun dieser Frage zuwenden, auch wenn ich mir dadurch möglicherweise
den Vorwurf des »Differenz-Dogmatismus«15 einhandle. Daher komme ich zunächst
ausführlicher auf die analoge Gottrede und dann auf die chalkedonische Hermeneutik
zu sprechen, wobei es mir vor allem darum geht zu prüfen, ob auch Rahner einer monistischen Grundoption folgt, wie Müller behauptet.
14. Für Nikolaus ist der Schöpfer wie im Spiegel und Gleichnis dem erkennenden Blick der Geschöpfe zugänglich. Dass die geistigen und an sich uns unzugänglichen Dinge im Symbol erforscht werden können, hat
seinen Grund darin, dass alles Zueinander in einer gewissen, den Menschen freilich verborgenen und unfassbaren Proportion steht. Aus allem baut sich ein Universum auf. »Obwohl nun jedes Abbild an die Ähnlichkeit mit dem Urbild heranzureichen scheint, so ist doch – außer dem größten Abbild, welches eben das in der
Einheit der Natur ist, was das Urbild ist – kein Abbild dem Urbild so ähnlich und gleich, daß es nicht ins Unendliche noch ähnlicher und gleicher sein könnte« (Nikolaus von Kues, doct. ignor. I,11,30). Das größte Abbild, auf das Nikolaus hier anspielt, ist Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch. Dieses bildet die
Ausnahme. Ansonsten ist kein Abbild, auch nicht der Mensch, dem Urbild so ähnlich, dass es nicht noch unendlich ähnlicher werden könnte. Damit ist deutlich, dass der Kusaner die Abbildlichkeit relational und nicht
substantiell versteht. Es gibt eine unendliche Differenz in der Nähe zwischen Schöpfer und Schöpfung.
15. Vgl. Klaus Müller, Streit, 201, in Reaktion auf M. Striet. Zum Anthropomorphismusvorwurf Müllers
gegenüber Striet wäre hinzuzufügen, dass natürlich jede Position, auch die monistische, nicht aus dieser Falle
herauskommt. Denn wie anders als von unserer Erfahrung her könnten wir denken und sprechen oder auch
Logik betreiben? Und Entzweiungserfahrungen wie Einheitserfahrungen sind aus dieser Erfahrung, auch in
der Spiritualität, ableitbar, so dass keine der beiden Positionen in diesem Punkt per se im Vorteil gegenüber
der anderen ist.
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II. Analogie als Methode
Methoden zielen auf zutreffende, sinnvolle und rational kommunikable Deutungen, Erkenntnisse, Orientierungen und können als Weg verstanden werden, wie dieses Ziel jeweils zu erreichen ist. Implizit oder explizit steht die Wahrheitsfrage zur Debatte und
so kann mit W. Kasper festgehalten werden, dass das Methodenwissen im Grunde »der
nachträglichen Reflexion auf den Weg der Wahrheit selbst, der Reflexion auf die geschichtliche Selbstauslegung der Wahrheit« entspringt.16 Der Wahrheitsbegriff ist
schon theologisch gefüllt, wenn die Methode »als nachdenkende Erinnerung in den
Weg, den die Wahrheit selbst mit uns geht« gefasst wird.17 Damit ist hier schon von einer Zeitverzögerung (»nachträgliche Reflexion«, »nachdenkende Erinnerung«) die
Rede, die uns später noch beschäftigen wird. Es stellt sich nun die Frage, welche Methoden in der Theologie der Wahrheit Gottes gerecht werden können. Und hier wird von
Thomas v. Aquin her an zentraler Stelle die Analogie genannt, die nicht bloß ein methodisches Instrumentarium darstellt. Die Analogielehre »ist im Grund nichts anderes
als die reflexe begriffliche Auslegung der Symbolstruktur der Wirklichkeit und der metaphorischen Struktur der Sprache. Sie geht davon aus, dass jedes einzelne Seiende wie
jedes einzelne Wort über seine Einzelbedeutung hinaus einen Überschuss an Bedeutung
hat und so auf das Ganze der Wirklichkeit verweist.«18 Damit werde eine Einheitskonzeption von Wirklichkeit ermöglicht, in der irreduzible Verschiedenheit sowie übergreifende Einheit gewahrt bleiben könnten. Das ist natürlich eine spannungsvolle Aussage,
denn sie bedeutet, dass die Verschiedenheit nicht auf eine Einheit reduziert werden
kann, die gleichwohl alles übergreifen soll. Hier deutet sich jene relationale Rede von
einer Einheit in der Vielfalt an, die Kasper dann weiter entfaltet hat.19 Einheit geschieht
in Vielfalt, das eine ist nicht ohne das andere gegeben. Wie verträgt sich das aber mit der
Rede von einer Analogie, in der zunächst Ähnlichkeit und Unähnlichkeit auf einer Stufe
zu liegen scheinen, wenn doch in jedem Einzelnen das Ganze angezielt werden soll? Eine
irreduzible Vielfalt kann es nur geben, wenn es eine größere Unähnlichkeit, eine je größere Unterschiedenheit gibt. »So stellt Analogie, die bei aller Ähnlichkeit die je größere
Unterschiedenheit und bei aller noch so großen Unterschiedenheit doch Entsprechung
und Ähnlichkeit festhalten will …, die umfassende Auslegung der Wirklichkeit, in gewissem Sinn die Weltformel dar.«20 Dies ist natürlich eine überschwängliche Formulierung, zumal in sog. postmodernen Zeiten, in denen selbst Kardinal Ratzinger zugab,
16. Walter Kasper, Wissenschaftspraxis, 251.
17. Walter Kasper, Wissenschaftspraxis, 251.
18. Walter Kasper, Wissenschaftspraxis, 253.
19. Dieses Denkmodell habe ich in Erwin Dirscherl, Müssen Unterschiede trennen? Katholische Einheit als
Geschehen der Vielfalt, in: Christoph Böttigheimer – Hubert Filser (Hrsg.), Kircheneinheit und Weltverantwortung. FS P. Neuner, Regensburg 2006, 577–592, 583–584, skizziert.
20. Walter Kasper, Wissenschaftspraxis, 253.
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dass es keine Weltformel geben kann.21 Aber Kasper zielt auf die theologische Bedeutung ab, dass die so verstandene Analogielehre den Symbolcharakter der Sprache und
der Wirklichkeit so auslegen kann, dass einzelne Ereignisse und die menschliche Sprache Träger göttlicher Offenbarung zu sein vermögen. Offenbarungszeugnisse in Hl.
Schrift und Tradition können metaphorisch, bildhaft und symbolisch gedeutet werden
und auf die Wahrheit Gottes und seine Menschwerdung in Jesus Christus verweisen.
Wenn Kasper immer wieder von »verweisen«, »deuten auf«, »hinzielen« spricht,
dann macht er deutlich, dass er jedes substanzontologische Missverständnis von der
Analogielehre fernhalten will. Die sprachliche Vermittlung sucht keine Mitte in einer
symmetrischen Relation, sondern eine Unmittelbarkeit, die durch die je größere Unterschiedenheit gerade betont wird. Er bleibt Thomas v. Aquin in jener Weise treu, die auch
Jean-Luc Marion, freilich aus anderer Perspektive, akzentuiert: »L’esse que médite saint
Thomas ne relève ni de la métaphysique, ni de l’ontologie ni même de la ›question de
l'être‹, mais des noms divins et de la ›ténèbre lumineuse‹«.22 Wenn dem aber so ist, dann
geht die analoge Redeweise nicht von einer symmetrischen Beziehung zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit aus, sondern von einer Asymmetrie. Die »maior
dissimilitudo« sperrt sich gegen ein symmetrisches Verhältnis, weil sie Gott anzielt, der
sich jenseits unserer gewohnten Gegensätze aufhält. Es wird eine einzigartige, unmittelbare Beziehung zwischen Gott und Mensch zur Sprache gebracht, die durch eine
Asymmetrie gekennzeichnet ist, welche dem Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis im Sinne
der creatio ex nihilo entspricht, und auf eine unvordenkliche Vergangenheit verweist.23
Die Beziehung zum Unendlichen geschieht, in dieser Bezogenheit steht der Mensch von
Anfang an, aber ist die Unendlichkeit zu denken?
Wilhelm Breuning hat seinerzeit auf die Umformulierung der Analogielehre durch
Eberhard Jüngel, der in seinem Werk »Gott als Geheimnis der Welt« eine je größere
Ähnlichkeit vertreten hat, entgegnet, dass die Lateranformel nicht auf die Distanz, sondern auf die Wahrheit von Gott und Mensch abstellt.24 Sie ermöglicht »dem Menschen
noch einmal in eigentümlicher Weise seine Wahrheit: nicht sein zu wollen wie Gott,
sondern seine auch für sich selbst überzeugendste ›Identität‹ in der Anbetung Gottes zu
finden, die Gott als den ganz anderen anbetet, nicht weil er fremd ist, sondern weil er
der beglückend Unbegreifliche, der Deus semper maior ist«25. Das Lateranense will eine
Sprachregelung treffen, die menschliches Begreifen in seine Grenzen verweist, vor der
21. Vgl. Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., Grundsatzreden aus fünf Jahrzehnten, hrsg. von Florian Schuller, Regensburg 2006, 167.
22. Jean-Luc Marion, Saint Thomas d’Aquin et l’onto-théo-logie, in: RevThom 95(1995) 31–66, 66.
23. Zur creatio ex nihilo vgl. Josef Wohlmuth, Schöpfung bei Emmanuel Levinas, in: Ders., Im Geheimnis
einander nahe, Paderborn 1996, 63–79; Helmut Hoping, Creatio ex nihilo. Von der Bedeutung einer schwierigen Unterscheidung für den Begriff des Monotheismus, in: JBTh 12, 291–307.
24. Vgl. Wilhelm Breuning, Je größere Unähnlichkeit?, in: Johannes Brantschen – Pietro Selvatico (Hrsg.),
Unterwegs zur Einheit. FS H. Stirnimann, Freiburg 1980, 373–385, 383.
25. Wilhelm Breuning, Unähnlichkeit, 383 f.
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Selbstüberhebung warnt. Aber auch bei dieser Regelung geht das Konzil zunächst von
der legitim aussagbaren Ähnlichkeit zwischen Gott und Mensch aus, bevor es auf die je
größere Unähnlichkeit verweist, die die Ähnlichkeit eben nicht hinfällig macht, sondern
auf das Geheimnis Gottes hin übersteigt. Gegen Joachim von Fiore hält die Versammlung daran fest, dass die Einheit des Begnadeten mit Gott sich von der Einheit der Trinität, der göttlichen Personen, so unterscheidet, dass »inter creatorem et creaturam non
potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda« (DH 806). Der
Begnadete wird nicht so eins mit Gott, wie die drei göttlichen Personen eins sind. Damit sagt das Konzil nicht, dass Gott nicht der unmittelbar nahe Gott ist, sondern es
wehrt ein Denken ab, das den Menschen zu Gott machen, die Geschöpflichkeit auflösen
oder die Unmittelbarkeit als Identität bzw. Unterschiedslosigkeit deuten möchte. Der
Text unterscheidet zwischen der »unio caritatis in gratia« und der »identitatis unitas in
natura« in einer Weise, die die gnadenhafte, liebende Nähe Gottes und seine Einung mit
dem Begnadeten explizit aussagt und von einer naturhaften oder ontologischen Identitäts-Einheit strikt unterscheidet, in der das Geschöpf aufgelöst wäre. Gerade der »ganz
andere« Gott vermag sehr wohl der nahe Gott zu sein und dass er als der ganz Andere
uns dennoch so nahe kommt, das macht seine Liebe höchstens größer, aber nimmt ihr
zumindest nichts. Es gibt jedoch keine Nähe ohne Differenz. Die Analogielehre ist daher auch in der Lage, die Rede von der Verähnlichung (imago – similitudo) des Menschen auf Gott hin zu berücksichtigen. Denn dieser Topos patristischer Anthropologie,
den Wolfhart Pannenberg auch als werdende Gottesebenbildlichkeit gedeutet hat, setzt
zunächst nicht eine Ähnlichkeit, sondern Unähnlichkeit des Menschen (aus Gründen
der Schöpfungslehre, Soteriologie und Hamartiologie) Gott gegenüber voraus, aus der
der Mensch mit Hilfe Gottes allmählich zur Verähnlichung mit seinem Schöpfer finden
soll und zwar in einem Leben nach dem Willen Gottes, also in ethischer Hinsicht. Das
Geschehen der sog. Verähnlichung meint eine Beziehung, die in der Zeit bzw. in der Geschichte zwischen Gott und Mensch geschieht. Wenn die Analogielehre von einer asymmetrischen Beziehung der je größeren Unähnlichkeit spricht, dann betont sie die Gratuität der Nähe Gottes, der sich als der Ewige und Unendliche dem zeitlichen und
endlichen Menschen zuwendet.
Die Gottunmittelbarkeit des Menschen ist zeitlich und unter Berücksichtigung einer
je größeren Differenz zu denken, sie geschieht zwischen Unterschiedenen und nicht als
unterschiedslose Einheit.
Nun kann man natürlich die Frage stellen, ob nicht die je größere Unähnlichkeit aufgehoben werden muss, wenn wir von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus
sprechen.
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III. Chalkedonische Hermeneutik
Mit der christologischen Zuspitzung der Monismusdebatte bei Klaus Müller und den
symboltheologischen Überlegungen Kaspers zur Analogie, die letztlich auf die Offenbarung in Jesus Christus zielen bzw. von dort her gewonnen sind, ist die Debatte um die
chalkedonische Hermeneutik des »unvermischt und ungetrennt« berührt. Diese wird in
der heutigen Theologie unterschiedlich rezipiert. Während Georg Essen das Chalkedonense neuchalkedonisch-alexandrinisch so weiterführt, dass er von der Identität der
Freiheit des göttlichen Logos und des Menschen Jesus ausgeht26, versuchen andere wie
z. B. Josef Wohlmuth die bleibende Unterschiedenheit zwischen Gott und Mensch in Jesus Christus konsequent durchzuhalten und damit die Konsequenz aus Rahners These
zu ziehen, dass die Inkarnation des Logos ein besonderer Fall des Schöpfer-GeschöpfVerhältnisses ist.
Rahner wendet ein metaphysisches Reduktionsverfahren an, das vom Phänomen Jesus Christus ausgehend nach der Bedeutung dieses Geschehens fragt, nach dem Grund
dieses Ereignisses, das in Jesus Christus Bedeutung erlangt.27 Dieses Reduktionsverfahren, das dem Bedeutungsüberschuss des Christusgeschehens emphatisch nachspürt,
führt – in der Entwicklung der Theologiegeschichte und auch bei Rahner – zu einer metaphysischen (Logos-)Christologie und Trinitätslehre, die überhaupt erst in die Lage
versetzen, von einer Menschwerdung Gottes zu reden.28 Die Reduktion des Christusgeschehens in das Geheimnis Gottes hinein geschieht, um der soteriologischen Bedeutung
Jesu Christi auf die Spur zu kommen. Sie führt bei Rahner zu dem »glaubensmäßig gegebenen Urphänomen« der Selbstentäußerung Gottes.29 Sie lässt Jesus als denjenigen
verstehen, der schlechthin die Neigung Gottes zum Menschen und zur Welt ist, jene
Neigung, in der die Unbegreiflichkeit des Geheimnisses Gottes ganz da ist und der
26. Vgl. Georg Essen, Die Freiheit Jesu, Regensburg 2001, 295, differenzierter 300, wo von der formellen
Identität zwischen der menschlichen Freiheit Jesu und der des ewigen Sohnes gesprochen wird.
27. Vgl. dazu Erwin Dirscherl, Die Bedeutung der Nähe Gottes, Würzburg 1996, 21–90.
28. Bei dieser Reduktion wird die Bedeutung und der Ursprung Jesu Christi immer weiter in das Geheimnis Gottes zurückgeführt, jenseits der Geburt Jesu und seiner Geschöpflichkeit als Mensch die unvordenkliche Vergangenheit des göttlichen Ursprungs berührt. Dies führt schließlich zur Trinitätstheologie. Vgl. auch
Alexandre Dumas, Der dreieinzige Gott, in: Peter Eicher (Hrsg.), Neue Summe Theologie 1, Freiburg 1988,
409–446, 427: »Die Lehre von der Dreifaltigkeit ist die denkerische Erklärung des Ereignisses der Menschwerdung«. Vgl. auch Josef Wohlmuth, Jesu Weg – unser Weg, Würzburg 1998, 214, der unter Bezugnahme
auf das Konzil von Nizäa ausführt: »Die Ausdrücke ›aus dem Vater geboren‹ und ›gezeugt, nicht geschaffen‹
sind alles andere als Hergangsbeschreibungen. Sie sind vielmehr Deutungsversuche Jesu, der in seinem ›Wesen‹ nicht hinreichend verstanden wäre, wenn er als Logos in die Reihe der Geschöpfe eingeordnet würde, und
der auch als Mensch nicht begriffen wäre, wenn man sagte, sein Geschaffensein sei eine hinreichende Umschreibung seiner ganzen Existenz«.
29 Karl Rahner, SzT 4, 148. Die Rede von einem »Selbstentäußerungsgeschehen« hat ihren Grund in der
Tatsache, dass a) die Beziehung Jesu zum Vater vom NT her als Wort-, als Mitteilungs- und damit als »Äußerungs-« Geschehen verstanden wird und b) Aussagen über Jesus Christus »für uns« und »an sich« sich nicht
gegenseitig ausschließen, sondern fordern. Letzteres gilt vor allem für die Intention, die einzigartige Bedeutung Jesu Christi und seines Gottesverhältnisses für das Heil aller Menschen zu begründen.
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Mensch zu seiner Fülle, zu seinem Heil kommt, so dass es kein Christentum gibt, das
an Jesus vorbei den unbegreiflichen Gott finden könnte.30 Die Möglichkeit einer LogosChristologie legt sich also in diesem Kontext nahe, weil sie in der Lage ist, die Neigung
Gottes zu uns auf unüberbietbare Weise zur Sprache zu bringen. Für Rahner ergibt sich
aus der Wirkungsgeschichte des Konzils jedoch das Problem, dass die Gottheit Jesu
Christi auf Kosten seiner Menschheit überbetont wurde, was besonders unter soteriologischen Gesichtspunkten zu kritisieren ist.31 Die Ausgangsfrage der Interpretation
Chalkedons muss sich demgemäß folgende Aufgabe stellen: »Wie kann das christliche
Gesamtdogma so formuliert werden, daß möglichst schon im Ansatz oder doch mit genügender Deutlichkeit der Herr als der messianische Mittler und so als der wahrhafte
Mensch erscheint, der, in freiem menschlichem Gehorsam vor Gott auf unserer Seite
stehend, Mittler ist und zwar nicht nur in der ontologischen Vereinigung zweier Naturen, sondern Mittler durch sein Handeln das sich auf Gott...richtet und nicht bloß als
Handeln Gottes in und durch eine rein instrumental gefaßte menschliche Natur gedacht
werden kann, die dem Logos gegenüber ontologisch und moralisch rein passiv wäre.«32
Rahner will die Menschheit Jesu unverkürzt festhalten, weil nur so von der Offenbarung Gottes als Freiheitsgeschehen und Menschwerdung bleibend die Rede sein kann.
Die Reduktion des Geheimnisses Jesu Christi in das Geheimnis Gottes hinein darf nachträglich nicht in eine deduktive Gottrede umkippen, die quasi von Gott her (sub specie
dei) eine Geschichte der Notwendigkeit entwirft, in der alles so passieren »musste« wie
es faktisch passiert ist. Die Zwei-Naturen-Lehre, die von der einen Person spricht, neigt
aus der Sicht Rahners dazu, nur eine Freiheit, nämlich die göttliche, in den Blick treten
zu lassen.33 Bei Jesus ist es aber nicht so. Er kann nur der Heilsmittler sein, wenn er in
echter menschlicher Freiheit Gott gehorsam war und nicht willenloses Werkzeug
blieb.34 Hier hat die Zwei-Naturen-Lehre für Rahner ihre Grenzen. Ein formales, abstraktes Schema »Natur-Person« reicht nicht aus, um ein Freiheitsgeschehen zu beschreiben.35 Der göttliche Logos darf die menschliche Freiheit nicht unterjochen.
»Das Verhältnis der Logos-Person zu ihrer menschlichen Natur ist gerade so zu denken, daß hier Eigenstand und radikale Nähe in gleicher Weise auf ihren einmaligen, qualitativ mit anderen Fällen inkommensurablen Höhepunkt kommen, der aber doch eben
der einmalige Höhepunkt eines Schöpfer-Geschöpf-Verhältnisses ist.«36
30. Vgl. Karl Rahner, SzT 15, 385.
31. Hier ist an das Axiom »quod non est assumptum, non est sanatum« zu denken.
32. Karl Rahner, Chalkedon – Ende oder Anfang?, in: Alois Grillmeier – Heinrich Bacht (Hrsg.), Das Konzil von Chalkedon 3, Würzburg 51979, 3–49, 14.
33. Vgl. Karl Rahner, Chalkedon, 13. Rahner betont, dass diese Verkürzung nicht der Intention Chalkedons,
wohl aber einer vulgarisierten Form der Zwei-Naturen-Lehre, wie sie in der Theologiegeschichte vertreten
sei, entspricht. Vgl. a.a.O., 10, bes. Anm. 7.
34. Soteriologisch ist also keineswegs nur die Gottheit Jesu Christi festzuhalten. Die Argumentation, dass
Jesus Christus Gott sein muss, um uns Anteil an Gott (Vergöttlichung) und seinem Heil wirklich schenken
zu können, ist nur die eine Seite der christologischen Reflexion.
35. Vgl. Karl Rahner, Chalkedon, 15.
36. Karl Rahner, Chalkedon, 15.
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Warum der Rekurs auf die Schöpfungstheologie?37 Dieser ist nicht nur sinnvoll, um
die Frage nach der menschlichen Freiheit des Sohnes Gottes und seiner Menschheit klären zu können, sondern auch, um dessen einzigartige soteriologisch bedeutsame Stellung in der geschaffenen Welt zu begründen, ohne einem Mythologieverdacht zu erliegen.38 Dabei kommt nicht von ungefähr der Begriff der Nähe ins Spiel. Denn von der
Schöpfungstheologie her wird deutlich, dass Gott die Möglichkeit besitzt, durch sich
selbst und durch den eigenen Akt als solchen etwas zu konstituieren, das radikal abhängig von ihm ist und dennoch wirkliche Selbständigkeit, Eigenwirklichkeit und Wahrheit
gewinnt, sogar diesem Gott gegenüber, der in der Nähe bleibt. Darin liegt das Mysterium der aktiven Schöpfung, die Gott allein zukommt.39 Die radikale Abhängigkeit von
Gott wächst in gleichem Maße mit dem wahrhaftigen Selbstand vor ihm. Das Geschöpf
ist nicht nur negativ begrenzt. Das Verhältnis der Logos-Person zu ihrer menschlichen
Natur ist die höchste, einmalige und inkommensurable Anwendung dieses Verhältnisses des Schöpfers zu seinen Geschöpfen. Nur eine göttliche Person kann eine real von
ihr verschiedene Freiheit so besitzen, dass diese nicht aufhört wahrhaft frei zu sein, denn
nur Gott kann die Unterschiedlichkeit zu sich selbst konstituieren, die erst radikale
Nähe ermöglicht. Dieses einmalige Freiheitsgeschehen, auf das es Rahner ankommt,
kann nicht ausreichend in einem formalen Schema von Natur und Person40 dargelegt
werden.
Die Formel von Chalkedon ist so zu überschreiten, dass ein monotheletisches Missverständnis vermieden wird. Das Freiheitsgeschehen, das hier zur Debatte steht, ist eben
nicht ontologisch deduzierbar, sondern unableitbar einer Deutung aufgegeben, die phänomenologisch nach der Bedeutung dieses Geschehens fragt und das nur glaubend tun
kann.41
Josef Wohlmuth hat aufgezeigt, dass bei Rahner der Versuch vorliegt, in der Deutung
der Formel von Chalkedon vom Ontischen, den historischen Vorgegebenheiten, zum
37. Auch Grillmeier macht bei seiner Darstellung von Chalkedon auf diesen Bezug Inkarnation-Schöpfermacht Gottes aufmerksam, der nicht nur im Zusammenhang mit der Schöpfungsmittlerschaft des Logos von
Bedeutung ist. »Die Idee der Annahme oder Aneignung der menschlichen Existenz durch den Logos mit der
Erschaffung und aufgrund der Erschaffung war also um die Zeit von Chalcedon ein fester geistiger Besitz der
Väter« (Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche 1, Freiburg 1979, 771 f. Anm. 6). Chalkedon setzt voraus, dass man in der Inkarnation einen schöpferischen Akt erkennen kann, der nur aus der Macht
Gottes als creator mundi zu erklären ist (Vgl. a.a.O., 771 f.). Die Ek-sistenz Jesu auf Gott hin ist zu ergänzen
durch den Blick auf die Ek-stasis Gottes, der in die menschliche Existenz hinein tendiert, der einer von uns
sein will. Die Einzigartigkeit Jesu Christi wird von Chalkedon in dem »unvermischt und ungetrennt« festgehalten, das die höchste und unüberholbare Weise der Verbindung von Gott und Mensch aussagt (774).
38. Das Zurückweisen des Mythologieverdachts ist eines der wichtigsten Anliegen in Rahners Christologie,
vgl. Chalkedon, 17.
39. Karl Rahner, Chalkedon, 15.
40. Person ist im Sinne von persona zu verstehen.
41. Deshalb ist die schöpfungstheologische Rückbindung wichtig, die das Geheimnis Christi nicht, wie die
klassische Christologie, in formal-ontologische Begriffe (Natur, Person, Einheit, Substanz) zu fassen versucht,
deren Inhalt auf jeder Stufe der Wirklichkeit wiederkehrt. Vgl. Karl Rahner, Chalkedon, 16.
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Erwin Dirscherl
Ontologischen des Verstehens vorzustoßen.42 Die göttliche Person werde zum ontologischen Subjekt der menschlichen Freiheit, so dass die phänomenologische Reduktion
zum Ontologischen vordringt, ohne Gott und Mensch zu vermischen. Insofern Rahner
in seiner Rede von Jesus Christus als »Höhepunkt« eines gottmenschlichen Verhältnisses spreche, bleibe er aber in der ontologischen Rede von einer (quantitativen) Steigerung, ohne die trans-ontologische Dimension in den Blick zu nehmen.43 Diese Dimension will Wohlmuth erreichen, indem er nicht nur von Levinas her zu einer
unmittelbaren Beziehung drängt, die sich keinem menschlichen Können mehr verdankt, sondern auch mit Hilfe von Jean-Luc Marion, für den sich in den Phänomenen
eine reine Gegebenheit zeigt, eine Reduktion vollzieht, die »metaphysischer (ist, E.D.)
als die Reduktion des Ontischen auf das Ontologische«.44 Diese Herausforderung ergibt
sich aus der Suche nach einer Gegebenheit, in der sich Nähe bzw. Unmittelbarkeit kundtut, vor und jenseits jeder Vermittlung bzw. Vermittlungsmöglichkeit durch das Bewusstsein, das diese Unmittelbarkeit eben nicht herzustellen vermag. Ist die Sprache
von Chalkedon offen für die Sprache der Bibel und bahnt diese in ihrer ästhetischen Gestalt den Weg zu einer Reduktion, »die Jesus selbst als Phänomen aufleuchten lässt«?45
»Indiz im Horos Chalkedons für die Reduzierbarkeit der ontologischen Sprache auf
Unmittelbarkeit ist aber … vor allem das Wort πρσωπον, das auf jenes aller Interpretation vorgegebene leibhaftige Gesicht Jesu verweist, in dem die Nähe der unvordenklichen Transzendenz erscheint.«46 Dabei wird vor allem auf die zweifache Geburt bzw.
den zweifachen Ursprung Jesu Christi aus Maria und aus/in Gott abgehoben. Die Rede
von seinem Ursprung in Gott verweist auf eine unvordenkliche Vergangenheit, die sich
gegen weitergehende ontologische Spekulationen über das innere Wesen Gottes sperrt,
und bedeutet eine prinzipielle Einzigkeit Jesu Christi. Durch die zweifache Geburt
leuchtet in diesem Antlitz das Göttliche in der Hingabe für uns auf. Jesus Christus ist
nicht »Höchstfall« des Verhältnisses von Gott und Mensch, sondern »absolut einziges
und unvergleichliches Ereignis ›Gott-Mensch‹«.47 Diese Einzigkeit steht nicht in Konkurrenz zur Einzigkeit jedes Menschen, sondern schützt sie. Damit wird gezeigt, dass
die Beziehung zwischen Gott und Mensch in Jesus Christus durch eine Unmittelbarkeit
und Einzigkeit gekennzeichnet ist, die auf andere, analoge Weise uns zukommt. Unmittelbarkeit und Einzigkeit sind jene Phänomene in einem Geschehen der Nähe bzw. Einheit, die immer auf eine unhintergehbare Differenz bzw. Unterschiedenheit deuten. Die
42. Vgl. Josef Wohlmuth, Chalkedonische Christologie und Metaphysik, in: Markus Knapp – Theo Kobusch
(Hrsg.), Religion – Metaphysik(kritik) – Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne, Berlin 2000, 333
bis 354, 337.
43. Vgl. Josef Wohlmuth, Christologie, 339.
44. Josef Wohlmuth, Christologie, 346.
45. Josef Wohlmuth, Christologie, 346.
46. Josef Wohlmuth, Christologie, 346.
47. Josef Wohlmuth, Christologie, 352. Damit wird jedem Vermittlungsdenken, das bei der Suche nach einem »Mittler« eine Mitte zwischen Gott und Mensch anzielt, der Boden entzogen.
Warum die Ontologie nicht das letzte Wort hat
109
Differenz, der Raum zwischen Gott und Mensch ist jener Zeitraum, der vom Handeln
Gottes und des Menschen erfüllt wird und in dem sich beide unmittelbar begegnen.
IV. Analoge Gottrede, chalkedonische Hermeneutik und ihre ethische Pointe:
Dem Wort Gottes entsprechen
In dieser Hermeneutik des »unvermischt und ungetrennt« bleibt die analoge Redeweise
gewahrt, die christologisch insofern nicht außer Kraft gesetzt werden kann als es sich um
ein einzigartiges Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis handelt.Damit wird auch jener Theozentrik der Schöpfungstheologie genüge getan, die auch in der Christologie zu halten ist.
Es gilt m. E. einen inneren Zusammenhang zwischen chalkedonischer Hermeneutik
und Analogielehre methodisch zu beachten und damit die je größere Unähnlichkeit weder anthropologisch noch christologisch außer Kraft zu setzen. Die Rede von einer creatio ex nihilo bekommt auf dem Hintergrund des christologischen Bekenntnisses »gezeugt, nicht geschaffen« ja auch noch die Pointe, dass dadurch die einzigartige
Bedeutung Jesu Christi als wahrer Gott (»gezeugt«) und wahrer Mensch besonders betont wird. Der Mensch ist geschaffen, nicht aus Gott gezeugt – das konstituiert seine
Anderheit, mit der der Logos es in der Inkarnation als einzigartigem Beziehungsgeschehen zu tun bekommt.
Vielleicht ist die Erfahrung, dass wir immer erst im Nachhinein von der Gegenwart,
die uns widerfährt, von dem Ich, das wir immer schon sind, oder von der Gegenwart Gottes, die uns vorausgeht, sprechen können, eine Spur der unvordenklichen, nicht durch
das Bewusstsein synthetisierbaren Vergangenheit. Können wir sie transzendentallogisch einholen? Die Bedeutung eines Geschehens erschließt sich erst im Nachhinein, sie
braucht Zeit. Denken wir nur an die verwickelte Geschichte der Christologie, die im
Nachhinein in Gang kommt und auf das reflektiert, was zuvor geschehen ist und somit
an eine Erinnerung verweist, ohne die die Gegenwart nicht zu haben und in ihrer Bedeutung für uns nicht zu erschließen ist. Jean-Luc Marion hat davon gesprochen, dass es
eine Zeitverzögerung zwischen Anrede und Antwort gibt, die unser Leben prägt.48 Zeit
als Distanz zwischen Ruf und Antwort bedeutet eine Diachronie, die ich als Zeichen der
je größeren Unähnlichkeit und einer asymmetrischen Bezogenheit verstehe.
Die Gottunmittelbarkeit des Menschen kann auf dem Hintergrund des bisher Entfalteten nur als eine Nähe verstanden werden, die von einer bleibenden Differenz bzw. Unterschiedenheit geprägt bleibt. In der Beziehung zu Gott gibt es keine mittlere Ebene,
die in einer Vermittlung erschlossen werden könnte, weil sich die Frage dieser unmit-
48. Vgl. dazu Erwin Dirscherl, Grundriss Theologischer Anthropologie, Regensburg 2006, 51–55.
49. Klaus Müller gibt selber zu bedenken, dass er Rahner nicht »zu einem mehr oder weniger anonymen
Monisten« stilisieren will (vgl. Tiefenstrom, 83). Dann stellt sich aber die Frage, warum er ihn letztlich so
deutlich für seine Intention heranzieht.
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Erwin Dirscherl
telbaren Nähe in das Unendliche hinein entzieht. Dies hat auch Rahner klar gesehen
und kann daher nicht wie bei Müller nur als Zeuge eines monistischen Tiefenstroms angeführt werden.49 Es ist der in der Analogie zur Sprache kommende asymmetrische Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Anruf und Antwort, der auch in
der Rede von der Gottunmittelbarkeit zu halten ist. Deshalb hat Bernhard Casper den
Vorschlag unterbreitet, die Analogie als zeitliches Entsprechungsverhältnis zwischen
Gott und Mensch zu verstehen.50 Ist das nicht der Tiefenstrom einer Unterschiedenheit
in der Theologie, ausgehend von jenem biblischen Zeugnis, das ja als Gotteswort im
Menschenwort verstanden wird und uns so wieder mit einer Einheit in Unterschiedenheit konfrontiert?
Das Wort Gottes und die Frage nach der Schöpfung konfrontieren uns mit einer unvordenklichen Vergangenheit, die nicht einfach durch unser synthetisierendes Bewusstsein davon verstanden oder synchronisiert werden kann. Spuren dieser Vergangenheit
sind jene Bezogenheiten, in die wir ohne unser Zutun gesetzt worden sind. Dazu gehört
in besonderer Weise die Beziehung zum Nächsten in der Zeit, die auch unseren Selbstbezug prägt, sofern dieser zeitlich verstanden wird.51 Denn in jener Zeit, in die wir gesetzt sind und die uns selbst im Innersten berührt, dort, wo wir auf dem Weg vom Ich
zum Selbst sind, begegnet uns der andere Mensch. Levinas spricht vom Anderen im Selben, um die unmittelbare Nähe des Anderen, die uns buchstäblich »unter die Haut
geht«, zu betonen. Das Hören des Wortes Gottes und das Verstehen Gottes als Liebe
konfrontieren uns in der jüdischen und christlichen Tradition ebenfalls mit dem Nächsten. Darin aber liegt die ethische Bedeutsamkeit der Reduktion in den trans-ontologischen Bereich, wobei »Ethik« hier für die rätselhafte Bezogenheit auf Gott und den anderen Menschen steht. Schon Rahner verstand die gnadenhaft geschenkte Nähe Gottes
grundlegend als unmittelbare, ethisch bedeutsame Relation zwischen Schöpfer und Geschöpf, bzw. zwischen dem Subjekt, dem Nächsten und Gott. Schon er reflektiert darüber, dass zentrale Aussagen der Gnadentheologie nicht adäquat zur Sprache gebracht
werden können, wo die Ontologie das letzte Wort beansprucht. Anders sieht es dort aus,
wo die Ethik ins Spiel kommt und die unmittelbare Nähe Gottes in der Nähe des Nächsten als Anruf und Imperativ aufgefasst wird. Bezogen auf die Existentialethik stellte
Rahner selbst die Frage: »Würde das alles, wenn es auch in einer formalen Ontologie an
sich philosophischer Art entwickelt wäre, nicht eine Kategorialität anbieten, die in einer
Theologie des Übernatürlichen als einer unmittelbaren persönlichen Begegnung mit
dem persönlichen Gott, wie er in sich selbst ist, verwendbar und nützlich wäre?«52 Denn
auch für ihn gilt, dass Unmittelbarkeit immer ein Gegenüber kennt. »Unmittelbarkeit
50. Vgl. Bernhard Casper, Analogie. Ein Hinweis auf die Möglichkeit, sie zeitlich zu denken, in: Rudolf Mosis – Lothar Ruppert (Hrsg.), Der Weg zum Menschen. Zur philosophischen und theologischen Anthropologie. FS A. Deissler, Freiburg 1989, 219–233.
51. Das habe ich in meiner Anthropologie zu entfalten versucht: Erwin Dirscherl, Grundriss Theologischer
Anthropologie, Regensburg 2006.
52. Karl Rahner, SzT 2, 243.
Warum die Ontologie nicht das letzte Wort hat
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ist ja wesentlich Unmittelbarkeit zu einem.«53 Die Unmittelbarkeit lässt Raum für die
Unverfügbarkeit dessen, der sich in der Nähe befindet und sich nicht einem Begreifen
ausliefert, das über ihn verfügen könnte. Es ist die Rede von einer Beziehung, in der
nicht alles entborgen wird, sondern in der Raum für das Verborgene bleibt, das sich hören, aber, im Sinne des biblischen Bilderverbots, nicht einfach sehen lässt. Für Rahner
hängen die Geheimnishaftigkeit und die Unverfügbarkeit Gottes unmittelbar zusammen.
Die ausgesagte je größere Unähnlichkeit der Analogielehre fragt eigentlich selbst
schon nach etwas anderem als dem Sein,54 weil innerhalb der Ontologie immer die Gefahr besteht, zu sehr der Ähnlichkeit den Vorrang einzuräumen. Sie fragt nach dem Unendlichen, nach einem Deus semper maior. Weil es um den Unendlichen geht, gilt eine
maior dissimilitudo. Hier ist der Rahmen von Vergleichbarkeit und Symmetrie, die es
im Endlichen gibt, überschritten. Die Analogie fragt nach dem unvordenklichen Ursprung des Seins. Wenn Rahner ausführt, dass die Analogie als Form des Sprechens und
Denkens von Gott und seinem Verhältnis zur Welt kein logischer Trick sei, sich doch
wieder Gottes durch die menschliche Erkenntnis zu bemächtigen, weil es nur um die
Umschreibung der Grundgegebenheit menschlicher Erkenntnis und ihrer Verwiesenheit auf das ungegenständlich gegebene absolute Geheimnis gehe, »ohne daß der
Geheimnischarakter die Gegebenheit selbst oder diese die Unbegreiflichkeit Gottes
aufhebt«55, dann gilt das nur, weil er die Analogie vom Lateranense IV her versteht56
und sich damit von anderslautenden philosophischen Entwürfen der analogia entis distanziert. Eine Analogielehre, die mit einer je größeren Unähnlichkeit rechnet, kann die
implizierte Ähnlichkeit nicht als Mitte zwischen Gleichheit bzw. Identität und Unterschiedenheit der Welt mit Gott verstehen,57 weil das Verhältnis von Ähnlichkeit und
Unähnlichkeit kein symmetrisches ist, sondern von letztgenannter her bestimmt wird
53. Karl Rahner, Dogmatische Fragen zur Osterfrömmigkeit, in: Ders., SzT 4, 157–172, 170. Unmittelbarkeit kann Rahner nur als Beziehung zu einem ganz Anderen denken.
54. Erich Przywara sprach von der Analogie im Ausgang von Aristoteles als »Beziehung gegenseitigen Andersseins« (Erich Przywara, Analogia entis, Einsiedeln 1962, 136). Auch von Thomas her deutet er die Analogie in der Anwendung auf die Beziehung Gott – Geschöpf in diesem Sinn (vgl. ebd.). Die Beziehung enthüllt sich als Anderssein. Daher liegt die Analogie zwischen Eindeutigkeit und völliger Andersdeutigkeit, denn
beide Extremfälle würden die Beziehung auslöschen. Die ›schwebende‹ Analogie weist über das Geschöpfliche hinaus, d. h. »hinaus über seine Weise (proportio) des Ontischen wie Noetischen in die ganz andere Weise
Gottes« (vgl. a.a.O., 137). Diese Art der Beziehung ist die zwischen einem restlosen »von her« und Gott, der
aus Sich, in Sich und zu Sich ist. In allem, was über Gott und Mensch gesagt wird, kann es kein Gemeinsames geben, auf das beide bezogen werden könnten, weil alles sich auf Gott als letztes unreduzierbares Prius
reduziert (vgl. ebd.). »Das (ontisch wie noetisch) Geschöpfliche ist unter jeglicher Rücksicht über sich hinaus
zu Gott als seinem Prius ohne ›Appelationsmöglichkeit‹ an ein Drittes (Sein, usw.), da Gott das absolute Prius
ist« (vgl. a.a.O., 137 f.). Von daher wird bei Przywara die je größere Unähnlichkeit der Analogie verstanden
und in ihrer Bedeutung als »Abgrenzung eines positiven Bereiches« beschrieben, in den hinein das Geschöpf
zur »Dienst-Leistung« gesendet ist (vgl. a.a.O., 139).
55. KThW 19.
56. Vgl. KThW 19.
57. Vgl. Heinrich Beck, Natürliche Theologie, München 1986, 170.
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Erwin Dirscherl
und uns mit dem Unendlichen konfrontiert. Nur so kann von einer unmittelbaren Nähe
derer gesprochen werden, die sich in ihrer Anderheit begegnen.
Vielleicht erweist sich die Ethik nicht nur als verwendbare und nützliche Kategorie
in der Gottrede, sondern sogar als adäquatere und grundlegendere, wenn es darum geht
der Bedeutung des Verhältnisses Gottes zum Menschen nachzuspüren. Dann aber wäre
der metaphysische Vorrang der Ontologie zu bestreiten und sie wäre auf den zweiten
Platz verwiesen.58 Miggelbrink hat in seiner Analyse der Transzendentaltheologie Rahners recht behalten: die bleibende Transzendenz und Geheimnishaftigkeit Gottes bedeutet für den Menschen die Notwendigkeit, einen Wechsel des Erkenntnisordo von einer
bloß rationalen Ontologie hin zu einer Rationalität aus Liebe zu vollziehen.59 Und auch
Magnus Striet konstatiert, dass die Frage »Was ist der Mensch?«, weil sie das Denken
letztinstanzlich orientieren und die Frage nach den Toten einbeziehen soll, auch da noch
gestellt werden muss, »wo sich das Denken auf den Horizont eines Fragens öffnet, welches die Frage nach dem grundgebenden Grund von allem einbezieht«. Und er fügt
hinzu: »In diesem Sinn ist in der Tat die Ethik die erste Philosophie. Kant dachte vom
Primat praktischer Vernunft aus.«60 Somit ist der Impuls, die Ethik und nicht die Ontologie als Erste Philosophie zu verstehen, nicht nur auf diejenigen beschränkt, die Levinas oder postmoderne Denker wie Derrida oder Lyotard rezipieren, sondern auch dort
angekommen, wo von Kant oder Fichte her transzendentalphilosophisch argumentiert
wird. Damit wird aber deutlich, dass die transzendentaltheologische Methode nicht notwendigerweise zu ontologischen Letztbegründungen führen muss, dass sie nicht einfach monistisch oder ontologisch nach der Einheit zwischen Gott und Mensch fragt,
sondern dabei die Unterschiedenheit im Sinne der je größeren Unähnlichkeit auch in
der Christologie wahrt. Und zwar um der Unmittelbarkeit willen, die kein Mittleres
zwischen dem einzigen Gott und dem Menschen in seiner Einzigkeit kennt.61 Zwischen
ihnen geschehen Beziehungen in der Zeit. Vielleicht liegt das Phänomen der Beziehung
noch vor der Polarität von Einheit und Vielfalt. Vielleicht ist Beziehung das letzte, was
wir ontologisch erfassen können und was uns transontologisch, ethisch zu denken gibt.
Auch bei E. Levinas gibt es die Rede vom Anderen im Selben oder vom Unendlichen,
das in-fini bedeutet, »nicht endlich« und »im Endlichen«. Die Spannung von Immanenz
und Transzendenz ist anthropologisch und theologisch zu halten, um von einer letzten
58. Es kann nicht darum gehen, die Ontologie als ganze zu verwerfen, sondern in ihrem metaphysischen
Anspruch zu prüfen. Ist sie die grundlegendste und ursprünglichste Weise der Gottrede, oder aber eine abgeleitete Form, die dann aber als deduzierte nicht das letzte Wort haben kann?
59. Vgl. Ralf Miggelbrink, Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug, Altenberge 1989, 310. Wenn Miggelbrink ausführt, das Mysterium stricte dictum könne nicht in den Kategorien einer selbstverständlichen
Ontologie rekonstruiert werden (134), dann trifft das zu.
60. Magnus Striet, Antimonistische Einsprüche im Namen des freien Gottes Jesu und des freien Menschen,
in: Klaus Müller – Magnus Striet (Hrsg.), Dogma und Denkform, 111–127, 112.
61. Das ist die Pointe der Christologie, auch von Chalkedon: Jesus Christus ist kein Mittelwesen zwischen
Gott und Mensch, sondern ganz Gott und ganz Mensch. Einheit in Unterschiedenheit, nicht Monismus ist
das Gefälle dieses Denkens.
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Bezogenheit auf Gott und den Nächsten (Schöpfung) und von freiheitlich zu gestaltenden Beziehungen reden zu können, und diese Spannung wird in unterschiedlichen
Denkansätzen umkreist. Klaus Müller bedenkt diese Spannung und die Beziehung von
Gott und Mensch mehr auf den Punkt der Einheit hin, ein »Differenzdenken« betont
mehr den Unterschied. Wo noch Beziehung gedacht werden kann, die für Einheit und
Unterschiedenheit zu stehen vermag, wird die Spannung gehalten. Wo monistisches
Denken in Unterschieds- und Beziehungslosigkeit enden würde, wäre es gescheitert.
Dies ist bei K. Müller nicht der Fall. Wir können den jeweils anderen Pol nicht ganz vernachlässigen – es gibt insofern mindestens zwei Tiefenströme in der Theologie: den der
Einheit und den der Differenz bzw. Unterschiedenheit.
Die Debatte mit dem Ansatz von Klaus Müller steht für mich erst am Anfang, insofern sind meine Überlegungen vorläufiger Natur und müssen sicher noch mehr in die
Tiefe dringen. Unmittelbarkeit zu vermitteln, ist in der Philosophie und Theologie stets
zugleich chancenreiche Herausforderung und Gefahr, weil die Vermittlung immer der
Unmittelbarkeit nachfolgt und hinter ihr zurückbleibt. Wie werden wir der Unmittelbarkeit zu Gott im Denken und in der Sprache gerecht? Vielleicht muss sich die Vernunft mehr als hörende denn als sehende verstehen, um sich sagen lassen zu können,
was es bedeutet, wenn sie das Antlitz Jesu Christi oder des Anderen sieht. Vielleicht
kann der Mensch nur mit einer hörenden Vernunft ana-log, dem Wort und der Vernunft
Gottes entsprechend, leben, ohne der monistischen Einheitssehnsucht oder der differenten Entzweiungserfahrung zu erliegen. Im Bereich des endlichen, zeitlichen Denkens ist
die Spannung zwischen beiden Polen, zwischen Einheit und Unterschiedenheit bzw. Differenz, zu wahren, so wie es die Analogielehre und die chalkedonische Hermeneutik
nahe legen. Es gilt, im Denken diese Spannung auszuhalten, die uns immer neu zu denken gibt und nicht still gestellt werden kann, so lange die Zeit andauert. Was nach dem
Ende der Zeit geschieht, können wir nur erwarten, nicht erdenken. Die Asymmetrie der
je größeren Unähnlichkeit steht für die Unumkehrbarkeit und Einzigkeit einer Beziehung zwischen Gott und Mensch, die, im Sinne der creatio ex nihilo, welche auf eine
unvordenkliche Vergangenheit verweist, irreduzibel ist. Daran hängt auch die Rede von
der Einzigkeit Gottes und jedes Menschen, die auf die Unverfügbarkeit und Unvergleichlichkeit jener abzielt, zwischen denen Nähe in der Zeit in unvertretbarer Freiheit
und Verantwortung geschieht.
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