MUSEUM | DIFFERENZ | VIELFALT

Werbung
Schreib- und Denk-Werkstatt Museologie
Drosendorf | 28. Mai – 3. Juni 2007
MUSEUM | DIFFERENZ | VIELFALT
Roswitha Muttenthaler
In der kritischen wissenschaftlichen Reflexion des Museums wurde es als "kultureller
Schlüsselort"1 bezeichnet, als Ort "umkämpfter Identitäten"2 oder "zivilisierender Rituale"3, es wurden Forderungen erhoben wie die nach einer "Schule des Befremdens"4
oder einem "Laboratorium konkurrierender Sinnstiftungsentwürfe"5. Gemeinsam ist
diesem Nachdenken, dass das Museum als zentrale Instanz zur Verhandlung von Repräsentationen erkannt wird. Dass Museen als Orte der Identitätsstiftung und Repräsentation gelten, als Orte, in denen Gedächtnisbeziehungen hergestellt werden,6 als
Orte, in denen sich Gesellschaften ihrer sozialen und kulturellen Praktiken versichern,
inkludiert zentrale Fragen nach der Definitions- und Handlungsmacht. Welche Geschichten, Bilder und Deutungen auch immer in Museen und Ausstellungen angeboten
werden, es sind auch Erzählungen und Projektionen zu Männern und Frauen bzw.
deren Verhältnis zueinander, zu "Eigenem" und
"Anderem" etc. So einfach diese Einsicht ist,
Differenzkategorien wie Gender, Race und
Class werden in der Praxis noch immer wenig
mitreflektiert. Wie sind Forderungen nach
kultureller Diversität in die musealen Praktiken
des Sammelns, Dokumentierens, Forschens,
Ausstellens und Vermittelns zu verankern? Wer
ist ermächtigt, wie auf sich und andere zu
schauen? Museen und Ausstellungen sind längst nicht mehr Orte, wo etwa die
adäquate Repräsentation von Frauen oder ethnischen Gruppen mit politischem Aktionismus eingefordert wird. Mit Paradigmenwechseln wie der Verlagerung des Fokus
von der Kategorie Frauen auf das Geschlechterverhältnis oder der Überschneidung
verschiedener Differenzkategorien erweiterten sich die Fragestellungen, vielfältige
Differenzen gerieten in den Blick. Welche Möglichkeiten und Strategien gibt es nun-
Abb. 1 Installation von
Nasen, Ausstellung
"Fremdkörper – fremde
Körper" 2000. Hygienemuseum Dresden. Foto:
DHMD
mehr, die Wahrnehmung von Doing Gender in der visuellen Kultur zu sensibilisieren
und die in Museen eingeschriebenen Diskurse lesbar zu machen? Wie können mit
aktuellen Diskursen zu Alterität und kultureller Diversität museale Praktiken im Hinblick auf die Produktionsmacht von Zuschreibungen und kulturellen Ausgrenzungen
befragt und unterlaufen werden? Welche Konzeptionen für gender- und diversitätssensibles Sammeln und Ausstellen können entwickelt werden? Darüber könnte in der
diesjährigen Denk- und Schreibwerkstatt nachgedacht und diskutiert werden.
Mit der Frage nach der Inanspruchnahme des Museums als Repräsentationsort für
Identitätsbildungswünsche eröffnet sich auch das Spannungsfeld von eigen und fremd,
das als ein konstituierendes Element des Museums gesehen werden kann, sowohl in
museologischer Hinsicht als auch auf erkenntnistheoretischer und gesellschaftspolitischer Ebene. So konstatierte Gottfried Korff: "Der, die, das Fremde ist Gegenstand
des Museums."7 Das im Museum gesammelte und gezeigte Objekt ist als musealisiertes
per se fern gerückt und fremd, da es sich um Dinge handelt, die aus räumlich
und/oder zeitlich entfernten Welten stammen und nicht mehr gebraucht werden.8
Dies meint Ethnographica ebenso wie den Schreibkiel oder die Rauchküche. So steht
bereits im Kern des Museums die Erfahrung mit dem Fernen und Fremden. Im Museum wird nun das ehemals Lebensweltlich-vertraute durch die Musealisierung nicht nur
fremd gemacht, sondern andererseits dieses Fremde
durch die sinnliche Erlebbarkeit in der Ausstellung nah
gerückt, zur mentalen Fremdheit kommt die physische
Nähe des Objektes. Aus diesem Spannungsverhältnis
leiten sich Staunen und Neugierde her und damit die
Möglichkeit einer sinnlichen Erkenntnis.9 Die Herausforderung für jedes Museum besteht nun darin,
welche museums- und ausstellungswirksamen Impulse
im Umgang mit diesem Spannungsverhältnis freigesetzt
werden. Ergreift es die Chance, Identitäts- und
Fremdheitserfahrung in ihrer Verflechtung offen zu
Abb. 2 Ausstellung
"Heimatfabrik", Expo
Schweiz 2002. Foto: Herbert Posch
halten oder domestiziert es – wie Gottfried Korff formuliert – Alteritäten zu
"Fluchtwelten, die das Fremde, das historisch überholte, konträr-faszinativ zur
Befriedigung der Sehnsucht nach regionaler Identität einsetzen."10
Damit stellt sich die Frage, mit welchen Zielen und in welcher Weise Museen den
Konstituierungsprozess von eigen und fremd wahrnehmen. Identität und Differenz sind
eine zentrale Frage politischen Handelns, gesellschaftlicher wie kultureller Selbstkon-
2
zeptionen und Praktiken. Die Auseinandersetzung über eigen und fremd beruht auf
kollektiven Konstruktionen von (Geschichte als) Gedächtnis. Museen bilden als Kulturinstitutionen einen Rahmen dafür, denn "Identitäten werden in und durch Kultur
produziert, konsumiert und reguliert, indem Bedeutungen durch symbolische Repräsentationssysteme geschaffen werden."11 Da Identitätskonzepte der Logik der Moderne verpflichtet sind, die besagt, dass die Konstruktion von Identität der Differenz
bedarf,12 sind Ausschlüsse programmiert. Obgleich diesem Problem nicht zu entkommen ist, ist es entscheidend, inwiefern ein Museum reflektiert, dass es auf Differenzierungen entlang von Kategorien wie Gender, Race und Class gründet. Diese sind für die
Art und Weise zentral, wie Museen ihr Selbstverständnis begründen, ihre Räume,
Sammlungen und Ausstellungen organisieren. Werden diese Kategorien als historische
und damit der Veränderung unterliegende Konstrukte und die Grenzen als fließend
erkannt, eröffnet sich das Potential, individuelle wie kollektive Prozesse von Sinnstiftungen im Rahmen jeweiliger gesellschaftlicher Verfasstheiten zu reflektieren.13 In
diesem Sinn gilt es für Museen, nicht die Fiktion universeller Identitäten und den Anspruch auf neutrale Allgemeingültigkeit aufrechtzuerhalten, sondern Raum
für Auseinandersetzung um konkurrierende Entwürfe zu geben. Gefordert
sind nicht mehr vereinheitlichende Spiegelungen kollektiver Identität,
sondern differenzierende Repräsentationen.
Repräsentationen werden als kollektive Vorstellungen, als soziale Formen
und als vergegenwärtigende Repräsentanten verstanden. Wesentliche
Eigenschaften von "Repräsentationen" sind unter anderem die Wirkung im
öffentlichen Raum, die Macht der Oberfläche und der kollektive
Repräsentationscharakter. Diese galt es zu analysieren. In den 1980er
Jahren wurde der Begriff Repräsentation zu einem Schlüsselbegriff, dies
ging mit der Kritik an der Repräsentation einher, die im Wesentlichen eine
Machtkritik ist: also wer und was ist wie repräsentiert, was sind die Effekte
von Repräsentationen. Aufgrund der Erkenntnis, dass es unterschiedliche,
Abb. 3 Ausstellungsmöbel in Form einer Frau,
Ausstellung "Aufmüpfig &
angepasst" 1998. Foto:
Roswitha Muttenthaler
miteinander verschränkte und aufeinander bezogene Repräsentationsregimes gibt,
verloren historische "Meistererzählungen" ihren Sinn. Zwar gab es den Impuls, der
Repräsentation zu entkommen, doch auch die Erkenntnis, dass ein Entkommen
nicht gelingen kann. Wenn es kein Entkommen aus der Repräsentation gibt, so ist sie
doch der Machtkritik verpflichtet. Stuart Hall behauptet, dass jedes Repräsentationssystem ein Machtsystem sei. Er meint damit ein System, das Unmittelbarkeit, Präsenz
und Wahrheit als seine Gründe in Anspruch nimmt.14 Dekonstruktivismus, Poststruk-
3
turalismus, Diskursanalyse und Cultural Studies bemühten sich, das Denken der Repräsentation zu demystifizieren. In der dekonstruktivistischen Diskursanalyse wird Repräsentation folgendermaßen beschrieben: Repräsentation ist ein Vermittlungsvorgang,
der durch Verweisen und Stellvertreten funktioniert, und Repräsentation ist ein zentrales Merkmal sprachlich-symbolischer Prozesse. Repräsentation beschreibt den Prozess
der Sinnkonstituierung über Zeichen, die in Rahmen von Codes bzw. Systemen Bedeutung gewinnen. Poststrukturalistische Theorien verweisen auf die prinzipiell instabile
Beziehung zwischen Zeichen und Objekt. Gleichzeitig hört das Subjekt auf, Ursprung,
Zentrum und Herr seiner Repräsentationen zu sein. Das Vermögen der Sprache, Erfahrungen, Ideen und Intentionen zum Ausdruck zu bringen, ist damit grundlegend in
Frage gestellt. Repräsentation ist nicht länger Darstellung, Vorstellung oder Vergegenwärtigung von etwas, das der Darstellung vorgängig wäre, sondern verweist auf die
komplexen Prozesse der Realitätskonstruktion.15
DAS MUSEUM ALS UMKÄMPFTES FELD DES SYMBOLISCHEN
Zum Museum als Ort der Repräsentation gibt es – angeregt durch verschiedene Disziplinen – einen breiten Diskurs. Seit den 1980er Jahren griff etwa die Geschichtswissenschaft den Begriff Repräsentation auf. Es wurde den
Beziehungen zwischen materiellen Erzeugnissen und ihrem
Verweischarakter sowie ihrer symbolisch-sinnhaften Struktur
nachgegangen. Hier kam auch das Museum ins Spiel. Hinterfragt wurde der Status und interpretatorische Wert von
Quellen, zu denen auch Objekte zählen. In den Blick genommen wurde zum einen die Funktion von Quellen als
"Repräsentanz" von historischen Momenten und von
repräsentatorischen
Regimes,
die
ihre
Aufzeichnung
konstituierten. Zum anderen wurde den historischen
Funktionen von Relikten nachgegangen, insbesondere jenen,
Abb. 4 Inszenierung zu
"Der Schwarze", Ausstellung "Fremdkörper – fremde Körper". Hygienemuseum Dresden 2000. Foto:
DHMD
die "auf Wirkung" bei der Produktion von Sinn, Handlung oder Vorstellungen
angelegt sind. Ins Zentrum rückte die Macht von Quellen als vermittelnde
"Repräsentationen" zwischen Strukturen und Vorstellungen.
Auch die Ethnologie fokussierte seit den 1980er Jahren die Problematik der Repräsentation, beschäftigte sich mit den symbolischen und vor allem sprachlichen Darstel-
4
lungsweisen kultureller Selbst- und Fremdbeschreibung. Vor allem in USamerikanischen Publikationen wurden auch Fragen der Repräsentation von kolonisierten Völkern und Minderheiten in Museen diskutiert, etwa die Autorisierung von Ausstellungen, die Herkunft und die heutigen Eigentümer von Museumsobjekten, die
Anerkennung der Forschungsobjekte als Subjekte, die Partizipation von communities,
die Problematik von Ausgrenzung und Integration durch Repräsentationsstrategien.
"Die Herstellung von Bedeutung in der musealen Klassifizierung und Präsentation
wird als adäquate Repräsentation mystifiziert. Zeit und Ordnung der Sammlung löschen die konkrete gesellschaftliche Arbeit ihrer Erzeugung aus."16
Ein- und Ausschlussverfahren sind also für die Institution Museum konstitutiv. Museen schaffen demnach nicht nur Bilder, die den gesellschaftlichen Normen und Werten
entsprechen, sondern "sprechen" auch über Verborgenes. Denn sie repräsentieren
nicht nur das, was zu sehen ist, sondern auch,
was dem öffentlichen Diskurs und der
Wahrnehmung entzogen werden soll und
damit ausgeschlossen wird.17 Museen sind ein
Teil der kulturellen Praktiken, in denen sich
Repräsentationsbedürfnisse, individuelle und
kollektive Narrationen sowie gesellschaftliche
Diskurse und Wissensformen manifestieren.
Sie sind Orte von hohem Prestige, an denen
die Frage, welche Personen und Gruppen wie
dargestellt
sind,
von
besonderer
gesellschaftlicher Relevanz ist. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder Kulturen
wurden von Repräsentationspraktiken entweder ausgeschlossen oder als Andere
markiert, wie beispielsweise außereuropäische Kulturen in den Völkerkundemuseen
und Völkerschauen. Als Repräsentationsorte von gesellschaftlichen Eliten wurden
Museen daher immer wieder für unterschiedliche marginalisierte Gruppen zu Kristallisationspunkten in der Auseinandersetzung um kulturelles und soziales Kapital. Vor
dem Hintergrund kollektiver Identitätspolitiken wurde das Feld des Sehens zu einem
umkämpften Schauplatz, wo es darum ging, instabile Normen andauernd und vehement zu verfestigen. Seit den 1970er Jahren war die Institution Museum in zweifacher
Hinsicht in den Blickpunkt der Kritik geraten: Zum einen rekurrierte die Kultur- und
Museumspolitik zunehmend auf den demokratischen Anspruch, dass Museen der gesamten Gesellschaft verpflichtete Orte des kulturellen Erbes seien. Zum anderen stell-
5
Abb. 5 Inszenierung
"Männer(blicke)", Ausstellung "Reiz & Scham" Textilmuseum Ratingen 2005.
Foto: Roswitha Muttenthaler
ten in Museen Marginalisierte, wie Frauen, ethnische Minderheiten und einige soziale
Schichten die Forderung nach eigenbestimmten Repräsentationen an die bestehenden
Institutionen, oder sie versuchten, eigene Museumsräume zu schaffen.
Museen stützen nicht nur durch Einschluss- und Ausschlussverfahren Herrschaftsdiskurse, auch durch die Art, wie Inhalte präsentiert werden, manifestieren sich gängige
Konstruktionen der Geschlechterverhältnisse und im Umgang mit unterschiedlichen
Ethnien sowie marginalisierten sozialen Gruppen.18 Im Unterschied zu museal vernachlässigten sozialen Schichten – wie ArbeiterInnen, die bis in die 1970er Jahre kaum
in Museen vertreten waren, oder Erwerbslose oder MigrantInnen, die bis heute in den
meisten Museen fehlen – stellte sich die Situation bei Frauen und ethnischen Gruppen
etwas anders dar. Denn insbesondere Kunstmuseen waren immer schon voll von
Frauenbildern ebenso wie die ethnographischen Museen voll von Darstellungen fremder Kulturen waren. Die Frage war hier vielmehr die nach der (Verfügungs-)Macht
über die Bildproduktionen und Narrative.
KULTURELLE DIVERSITÄT
In
der
Präsentation
der
Anderen
können
etwa
zwei
Darstellungsverfahren wirksam werden: Je nachdem, ob die
Herstellung von Differenz oder Ähnlichkeit im Vordergrund steht,
kann von exotisierenden oder assimilierenden Ausstellungsstrategien
gesprochen werden.19 Museen tendieren dazu, das Besondere zu
betonen, also das, was sich von unserer Kultur oder unserem
Lebensalltag unterscheidet. So wird bei der Präsentation nichtwestlicher Gesellschaften oftmals der Schwerpunkt auf traditionelle
Lebensweisen gerichtet, auch wenn das dem Großteil der Bevölkerung schon lange nicht mehr entspricht. Aber auch der
Versuch, Ähnlichkeiten in den kulturellen Ausdrucksformen
herauszuarbeiten, kann problematisch sein. Zum Beispiel wenn nichtwestliche traditionelle Artefakte wie moderne Kunst präsentiert
Abb. 6 Detail der Vitrine
"Plains", Museum für Völkerkunde Wien 2004. Foto:
Roswitha Muttenthaler
werden. Denn diese "Gleichstellung" war nur um den Preis der Entkontextualisierung
und der Reduktion auf rein formale Kriterien möglich. Die Ähnlichkeit von Motiven
und Formen wurde vor allem darauf zurückgeführt, dass die künstlerische Produktion
nichtwestlicher Kulturen vielen KünstlerInnen der Moderne als Inspirationsquelle
diente. Damit wurde auch die Präsentationsweise gerechtfertigt: da ethnografische
6
Objekte die künstlerische Produktion der Moderne anregten und bereicherten, sei es
legitim sie wie moderne Kunst auszustellen.20 Dass es sich bei der Einordnung der
Objekte in ein spezifisch (westliches) kulturelles Raster auch um eine Vereinnahmung
handelt, gilt es aber mitzureflektieren.
Einen breiten Diskurs zur Frage der Repräsentation nichtwestlicher Kulturen in Museen gibt es seit ca. 30 Jahren vor allem im anglo-amerikanischen Raum, wo auch von
diversen ethnischen Bevölkerungsgruppen dementsprechende Forderungen an Museen
gestellt wurden. Unter anderem wurden partizipatorische Angebote entwickelt, um
Communities in die Repräsentation einzubinden. Museumsinhalte von VertreterInnen
der betroffenen Bevölkerungsgruppen bearbeiten zu lassen, garantiert zwar nicht, dass
die erzählten Geschichten "authentischer", im Sinne von näher an der "Wahrheit" sind,
aber dadurch können weitere, vielleicht gegenläufige Perspektiven eingeführt werden.
Die Innensicht einer Problematik gewährleistet einerseits Erkenntnisse und Sensibilitäten, die Außenstehenden oftmals fehlen, andererseits kann das Involviertsein auch den
Blick verstellen. Da jedoch alle an der Geschichtserzählung und am Musealisierungsprozess beteiligten AkteurInnen von ihren kulturellen Denkmustern geprägt sind, besteht die eigentliche Herausforderung nicht so sehr darin, die "Wahrheit" herauszufinden, sondern in der multiperspektivischen Repräsentation von kulturellen Praktiken,
Geschichtsbildern und Wissenschaftskonzepten. Voraussetzung dafür ist jedoch, die
"Forschungsobjekte" als Subjekte anzuerkennen und Museen als aktiven Teil eines
Prozesses zu sehen, kollektive Konstruktionen von Kultur, Identität, Geschichte und
Gedächtnis auszuhandeln, in einen aktuellen Austausch mit ihrem gegenwärtigen Publikum einzutreten.
GENDER
Die Kritik der Repräsentation bildete seit den 1980er Jahren auch ein zentrales Anliegen feministischer Kritik. Stereotype Darstellungen und Repräsentationen von Frauen
waren insofern zentrales Thema feministischer Ansätze, als sie lange Zeit als direkter
Ausdruck sozialer Realität angesehen wurden. Das Ziel vieler feministischer Initiativen
war es daher, eigenbestimmte Bilder zu produzieren, wo Frauen als handelnde Subjekte,
als Trägerinnen historischer und kultureller Leistungen gezeigt wurden. Dabei kamen
unterschiedliche Strategien und Taktiken zum Einsatz: eine lief darauf hinaus, autonome Orte zu schaffen, um darin frei über Sammelstrategien und Ausstellungspolitik
7
entscheiden zu können. Eine andere bestand darin, die Spielräume innerhalb des Systems zu nutzen und so die Grenzen der Ordnung des Ortes zu verschieben.21
Zur Frage der Repräsentation argumentierte etwa Teresa
de Lauretis in den 1980er Jahren, dass das Bild der Frau
eine bestimmte Funktion in einem kulturell tradierten
Repräsentationssystem
zu
übernehmen
hat.
Die
Repräsentation der Frau als Bild umfasst die Frau als
Objekt, auf das geschaut wird, die Frau als Bild der
Schönheit, die Repräsentation des weiblichen Körpers als
Ort der Sexualität und des visuellen Vergnügens. Dieser
imaginierten Weiblichkeit kommt dabei die zentrale
Aufgabe zu, bestimmte Bedeutungen zu repräsentieren.
Auch Elisabeth Bronfen konstatierte: "Der Wert der
Abb. 8 Detail aus Inszenierung des Autos
"Aurelia", Autostadt Wolfsburg 2002.
Foto: Herbert Posch
Frau im Netz der kulturellen Repräsentationen besteht darin, gleichsam Telos und
Ursprung des männlichen Begehrens und des männlichen Drängens nach Repräsentation zu sein, gleichsam Objekt und Zeichen seiner Kultur und seiner Kreativität."22 De Lauretis schlägt vor, zwischen Frau (woman) und Frauen (women) zu unterscheiden.
‚Die
unterschiedlichsten
Frau’
stellt
eine
Referenzpunkte
Konstruktion
des
dar,
gesamten
die
die
westlichen
Repräsentationssystems durchdringt, und ‚die Frau’ als das Andere
markiert. Dem Begriff ‚Frauen’ kommt dagegen eine reale historische und
physische Existenz zu, die allerdings nicht außerhalb der kulturellen
Diskurse definiert werden kann. Das Besondere aber ist, dass ‚die Frau’
als das Andere für etwas einsteht, quasi also eine Leerstelle der kulturellen
Fiktionen selbst ist, auf die beliebige Attribute projiziert und appliziert
werden können. Repräsentationen der Frau können oft als Spiegel und
Projektionsfläche für den sie erschaffenden Mann dienen. Als Imaginationen bringen diese Repräsentationen seine Macht, Kreativität und
Kulturprodukte stellvertretend zum Ausdruck. Als Repräsentationsbild ist
die Frau anwesend, als repräsentiertes Subjekt und Produzentin ist sie
abwesend.23 Dies wurde auch für museale Repräsentationen festgestellt.
Wegweisend beschrieb Viktoria Schmidt-Linsenhoff, wie Frauen in
Abb. 7 Inszenierung
Alma Mahler-Werfel, Ausstellung "Aufmüpfig &
angepasst" 1998. Foto:
Roswitha Muttenthaler
Museen und Ausstellungen als handelnde Subjekte abwesend seien, doch gleichzeitig
herrschende, von männlichen Projektionen dominierte Vorstellungen von Frauen im
Objektstatus in den Repräsentationen verfügbar gemacht werden.24 Auch Irit Rogoff
analysierte das Museum als Ort hegemonialer Kultur, indem sie Verfahrensweisen und
8
Instrumente der musealen Bedeutungsproduktion in den Blick nahm. Dabei hinterfragte sie auch, in welcher Form und Funktion bisher nicht legitime Erzählungen – wie
die von Frauen und Alltagskultur – in die Museen Eingang finden können. An Hand
einiger Ausstellungen, die die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs aus dem Blickwinkel der Zivilbevölkerung zeigten, problematisierte sie, dass nur das Alltägliche thematisiert wurde und der politische Macht- und Gewaltapparat des NS-Regimes hier ausgespart blieb. Indem vor allem die Lebensrealität von Frauen ins Zentrum gerückt wurde, erhielten diese Repräsentationen eine integrative Funktion: Rogoff bezeichnete dies
als Feminisierungsprozess, zum einen wegen der Themen- und Objektwahl. Zum anderen verweist der Begriff Feminisierung auf ein "Darstellungssystem, das anhand
binärer Oppositionen von starken und schwachen Zeichen funktioniert".25 In dieser
traditionellen binären Logik der Symbolisierungen wird dem schwachen Zeichen der
Begriff des Weiblichen zugeordnet. Da die Zivilbevölkerung und vor allem Frauen die
Narrative zum Zweiten Weltkrieg tragen, konnten teilnehmende Reaktionen und Identifikationsprozesse eines breiten Publikums gefördert werden. Indem jedoch die TäterInnen und die politisch Verantwortlichen aus dem Blick geraten, können sich alle als
Opfer etwa des Bombenkriegs der Alliierten und der materiellen Notlage fühlen. Problematisch dabei ist, dass es durch dieses Instrument der "Feminisierung" zu einer Nivellierung des Opferbegriffes kommen kann.26
Seit den 1980er Jahren wurde – mit der
zunehmenden Infragestellung des kohärenten
Subjekts Frau – auch die alleinige Konzentration auf die Repräsentation der Frau oder
von Frauen kritisiert: Da in den meisten
Frauenausstellungen vor allem die verschütteten Leistungen von Frauen oder Zeugnisse
ihres Alltagslebens gezeigt werden sollten,
würde der Referent Mann als Bezugspunkt in
den Geschlechterbeziehungen vernachlässigt.
Durch den Fokus auf die Frauengeschichte
würde das Wissen um die Geschlechterverhältnisse vorausgesetzt und
damit geriete die sozial bedingte männliche Dominanz aus dem unmittelbaren Blick.
Rückblickend betrachtet leisteten auch gesellschaftskritische Ausstellungen zur
Frauengeschichte und -kultur ungeachtet ihrer politischen und emanzipatorischen
Bedeutung einen Beitrag, dass das Geschlecht vor allem dann ins Spiel kam, wenn es
9
Abb. 9 Top-Ten der
Männerunterhosen, Ausstellung "Reiz & Scham"
Textilmuseum Ratingen
2005. Foto: Roswitha
Muttenthaler
sich um Frauen handelte. Mit dem Paradigmenwechsel von der Kategorie Frauen zur
Kategorie gender war verbunden, Männer ebenso in ihrer Geschlechtlichkeit zu thematisieren. Indem die Geschlechterverhältnisse, die unterschiedlichen Lebenschancen und
-bedingungen von Frauen und Männern anschaulich gemacht wurden, konnten auch
die patriarchalen Strukturen sinnfälliger werden.
In dem Bewusstsein, dass es kein völliges Entkommen aus den gegebenen Denk-,
Macht- und Handlungsstrukturen gibt, verlagerte sich der Anspruch neuerer feministischer Theorien dahingehend, dass es nur innerhalb des Systems zu Verschiebungen der
Grenzen kommen kann. Nach Judith Butler, gibt es keine Klarheit darüber, was Frauen oder Männer konstituiert oder konstituieren sollte. Weder die soziale noch die biologische Geschlechtsidentität seien die Widerspiegelung eines "natürlichen" Zustandes,
vielmehr handelt es sich dabei um Imitationen, die das Original, das sie zu imitieren
scheinen, allererst performativ im Sinne eines wiederholenden Prozesses hervorbringen.27 Jeder Repräsentation wohnt ein performatives Moment inne. Mit den Gender
Studies wurden in Anlehnung an poststrukturalistische und dekonstruktivistische Ansätze der Repräsentationsbegriff weiterentwickelt, es wird nicht mehr von fixierten
sondern variablen und symbolischen Repräsentations-Positionen ausgegangen.
BLICKE VERSCHIEBEN – ERZÄHLUNGEN EINBRINGEN
Die Auseinandersetzung mit hegemonialen Museums- und Ausstellungsstrategien erfolgte nicht nur diskursiv. Erkenntnisse aus der wissenschaftlich-analytischen Beschäftigung manifestieren sich seit einigen Jahren nicht allein in schriftlicher Form, sondern
finden auch ausstellungsgemäße Umsetzungen: Mit den Mittel der Ausstellung werden
Praktiken von Museen und Ausstellungen reflektiert. In Bezug auf Alterität und kulturelle Diversität ist etwa das Musée d’Ethnographie de Neuchâtel zu erwähnen, das den
eigenen Blick auf die Anderen mitdenkt. In den Ausstellungen ist es Konzept, seine
Zugänge, insbesondere das Verhältnis von Eigenem und Anderem zu reflektieren. So
wurden in der Ausstellung "Le Musée cannibale" 2002 die musealen Praktiken, das
Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen, zum Thema gemacht, indem das
museale Aneignen und Aufbereiten von Objekten in unmittelbare Beziehung zum
Einverleiben im wahrsten Sinne des Wortes, also dem Essen, gestellt wurden. Eine
Fragestellung, die insbesondere bei einem ethnografischen Museum von besonderer
Brisanz ist. Mit der Metapher des Verzehrens sollte die Faszination des "exotischen
Festmahls" ebenso wie der Gewaltaspekt im Ausstellen fremder Kulturen den oftmals
10
"nach Alterität hungernden" BesucherInnen anschaulich gemacht werden.28 So wurde
unter dem Titel "Der Geschmack der anderen" mit der Inszenierung eines Arbeitstisches, der dem Inventarisieren, Dokumentieren und Erforschen von Ethnographica
diente, zunächst die Rolle der Sammler reflektiert. Dem folgten Abschnitte, die sich
der Praxis der Bevorratung und Aufbereitung widmeten, wobei die Museumspraktiken
auch visuell in Analogie zur Essenzubereitung gesetzt wurden. Unter dem Titel "Der
Kühlraum" waren die
Museumsdepots
als
Vorratskammern zu lesen. Zu sehen waren
Regale vollgefüllt mit Objekten sowie ein
Kühlschrank und eine Kühltruhe, in denen
Objekte verpackt in Gläsern oder wie Gefriergut
in Plastik- und Aluminiumbehältnissen lagen. In
einer
Küchen-Inszenierung
übertitelt
mit
"Blackbox" wurde das Ausstellungsmachen mit
dem Vorgang des Kochens gleichgesetzt. In
Form von Rezepten mit den Rubriken Zutaten,
Zubereitung
etc.
wurden
Konzeptionen
bekannter Ausstellungsmacher und Ethnografen charakterisiert oder gar persifliert:
"Association poétique á la Harald Szeemann" oder "Sacralisation à la Jacques Kerchache". Im Ambiente eines großen Speisesaals – "Der Lebemann" benannt und mit roten
Abb. 10 Gedeckter Tisch,
Ausstellung "Le musée
cannibale" Musée d'ethnographie Neuchâtel, 2002.
Foto: MEN
Wandtapeten, Lustern, goldgerahmten Abbildungen, Spiegeln, festlich gedeckten Tischen
ausgestattet
sowie
erfüllt
von
Speisesaalgeräuschen – wurde ein Zusammenhang zwischen dem Verzehren von Speisen und
dem Rezipieren von Ausstellungen hergestellt.
Die stark vergrößerten Abbildungen an den
Wänden zeigten kannibalistische Szenen, die von
Weißen im 19. Jahrhundert angefertigt worden
waren. Zu den als Speisen vorgesetzten Objekten
wurden den BesucherInnen in Form von
Menukarten auch Beschreibungen des Anderen
aufgetischt – der edle, kunstfertige oder primitive
Wilde. Zwei Tische boten hingegen Bilder des Eigenen, etwa Stereotype der Schweizer
Kultur. Die BesucherInnen konnten das Präsentierte goutieren, es abstoßend – wie die
auf Tellern angerichteten Augen –, exotisch oder vertraut finden. Bekanntes wie die
Inszenierung Schweizer Klischeebilder erfuhren durch die Kontextualisierung der ste-
11
Abb. 11 Gedeckter Tisch,
Ausstellung "Le musée
cannibale" Musée d'ethnographie Neuchâtel, 2002.
Foto: MEN
reotypen Blicke auf die Anderen eine Verfremdung. Plötzlich konnten die vertrauten
Bilder ebenso exotisch und kurios anmuten. Ein ähnlicher Effekt wurde im letzten
Raum unter dem Titel "Selber Menschenfresser" provoziert. Opferthemen aus Religion und Kultur westlicher und nicht-westlicher Prägung waren dort gegenübergestellt.
Im Zentrum der Präsentationen stand die Frage nach der Ähnlichkeit und des Unterschieds, das Verhältnis von Hier und Anderswo, wobei vermeintlich eindeutige Zuweisungen immer wieder irritiert wurden.
Von den Beispielen, die sich der Geschlechtsspezifik von Sammlungen und Präsentationen widmeten, sei nur auf zwei verweisen: das Ausstellungsprojekt "Männerwelten
Frauenzimmer" 2005 und die Kunstausstellung "vis-à-vis: kleine unterschiede" im Karl
Ernst Osthaus Museum in Hagen 1996. Erstere hatte die Form der Intervention in
eine bestehende Präsentation - eine Ausstellung in der Ausstellung. Letztere widmete
sich der Sammlungsstruktur des Museums und den gängigen Inszenierungen von
Frauen- und Männerdarstellungen.
"… das eine gegenüber dem anderen zu sehen geben" – unter diesem Motto stand die
Kunstausstellung "vis-à-vis: kleine unterschiede" im Karl Ernst Osthaus Museum in
Hagen 1996. Dabei betrachtete die Kuratorin Birgit Schulte die Kunstwerke nicht nur
unter dem Aspekt des autonomen künstlerischen Schaffens und des kunsthistorischen
Kanons, sondern als kulturgeschichtliche Zeugnisse, die Aussagen über die Geschlechterdifferenz transportieren. Bewusst wurde die Aufmerksamkeit nicht nur auf Frauendarstellungen gerichtet, damit nicht Männer als die Norm und Frauen als das Besondere,
die Abweichung, die einer eigenen Betrachtung bedürfen, wahrgenommen werden.
Dem wollte die Ausstellung entgegenwirken, indem auch Männer in ihrer Geschlechterrolle thematisiert wurden.29 Ziel der Ausstellung war jedoch nicht nur die Gegenüberstellung von Männer- und Frauenbildern, sondern auch die Thematisierung von
traditionellen Wahrnehmungsformen und Blicken. Beispielsweise wurden weibliche
Aktskulpturen auf unterschiedlich hohen Sockeln so positioniert, dass sie den BetrachterInnen den Rücken zuwandten und sich das Gesäß der Figuren in einer Linie etwa in
Augenhöhe der BesucherInnen befand. Mit der Betonung der erotischen Komponente
der Rückenansicht wurde die stereotype Pose sich darbietender weiblicher Körper auf
den Punkt gebracht. Demgegenüber befanden sich Büsten bedeutender Männer. Doch
statt wie gewohnt vereinzelt auf Sockeln wurden sie auf einer niedrigen Palette dicht
gedrängt präsentiert. Auf diese Weise büßten sie entindividualisiert Rang und Autorität
ein. Während den Köpfen der Blick entzogen wurde, und sie einer "erniedrigenden"
Betrachtung ausgeliefert waren, suchten die Frauenakte, das Gesicht zur Wand gewen-
12
det, dem Blick "aktiv" zu entkommen. Auf diese Weise wurde die männlich-aktive
Betrachterposition und die weiblich-passive Rolle ironisch unterlaufen.30 Weiters war
den montageartigen Zusammenstellungen immer eine Figur beigestellt, die den Blick
auf das Präsentierte richtete und so die AusstellungsbesucherInnen in ihrer konventionellen Rezeptionshaltung spiegelte. Indem auf unterschiedliche Weise öffentliche und
heimliche, nahe und distanzierte, diskrete und voyeuristische Blicke durch die Anordnung der Objekte und Inszenierungen gezielt eingerichtet wurden, sollten diese auch
bewusst gemacht werden.31
Ausgangspunkt für die Intervention "Männerwelten Frauenzimmer" war die Frage,
was das Wien Museum als kulturhistorisches und stadtgeschichtliches Museum in seiner Dauerausstellung explizit und implizit an Geschichtskonstruktionen in Hinblick
auf die Kategorie Geschlecht anbietet. Welche Bilder und Erzählungen werden zum
Geschlechterverhältnis, zu Männern und Frauen
vermittelt. Dazu wurde an 5 ausgewählten Punkten
eine Ausstellung in die vorhandene Ausstellung
gestellt. Das Ziel war, die Effekte sichtbar zu machen,
die durch die Auswahl von Themen und Objekten
und deren spezifische Präsentation in Bezug auf die
Geschlechterbilder entstehen und was ausgeblendet
bleibt. Durch die Interventionen sollte ausgetestet
werden, welche Möglichkeiten und Verschiebungen
sich eröffnen, wenn dem Vorhandenen ein anderer
Kontext gegenübergestellt wird. Damit wurden die Verfahrensweisen im Museum
selbst thematisiert, also durch welche Präsentationsformen welche Erzählungen gestützt werden. In diesem Sinne waren die Interventionen als Statements zu begreifen.
Die Stationen waren als Eingriffe in der Dauerausstellung kenntlich gemacht und arbeiteten in erster Linie mit Exponaten, die im Depot des Wien Museum zu finden
waren. Beispielsweise wurde in der so genannten "Grillparzer-Wohnung" die Wohngemeinschaft mit Anna, Katharina und Josephine Fröhlich und deren Beziehungskonstellationen thematisiert, die im Museum völlig ausgeblendet waren. Die Intervention
zielte aber nicht darauf, allein die ausgelassenen Frauen in die Erzählung einzubringen,
sondern es ging um das Beziehungsgeflecht, die Geschlechterrollen der gewählten
Lebensform und so auch um einen neuen, geschlechtersensiblen Blick auf die Person
Grillparzer. So wurden um das Grillparzerbild die Bilder der drei Schwestern Fröhlich
13
Abb. 12 Intervention in
Grillparzer-Wohnung,
"Männerwelten Frauenzimmer", Wien Museum
2005. Foto: Roswitha
Muttenthaler
so hinzugefügt, dass sie das Grillparzerbild partiell überlagerten, ohne es aber zu verdecken. In den Räumen waren Klanginstallationen zu hören, die überwiegend auf dem
Briefverkehr zwischen Grillparzer und den Fröhlich-Schwestern basierten und Einblicke in das Beziehungsgeflecht und das Zusammenleben gaben. Im Wohnzimmer wurde die eingefrorene, stillgestellte Atmosphäre eines Künstlerzimmers durch zwei kleine
Eingriffe unterlaufen. Zum einen wurde jener Kasten, der die Verbindungstür zur
Fröhlich-Wohnung verstellte, etwas verrückt. Der beleuchtete Spalt zwischen dem
Kasten und der Tür stand sowohl für die unterbrochene Beziehung Grillparzers zu
Katharina Fröhlich als auch für die Nähe zu den Schwestern durch das gemeinsame
Wohnen. Gegenüber wurde ein Ring, ein Geschenk Grillparzers an Katharina Fröhlich, als symbolisches Objekt der Kontinuität gezeigt. Der Ring und der Kasten konnten als gegensätzliche Symbole ihres ambivalenten Verhältnis aufgefasst werden: Steht
der Ring für Verbundenheit, sorgt der Kasten für Abstand. Als Abschluss wurde außerhalb der Wohnräume nicht nur das Leben der Schwestern Fröhlich, die ledig blieben und sich ihren Lebensunterhalt durch Musik verdienten, gezeigt, sondern es wurden auch alle Objekte aus dem Sammlungsbestand des Wien Museums präsentiert, die
den Schwestern Fröhlich gehörten. Diese wenigen Objekte wurden in der Art einer
Depotaufstellung angeordnet und standen so im Gegensatz zu der auf Vollständigkeit
angelegten Präsentation der Grillparzer-Zimmer.
Als weitere Anregung, die Präsentationsformen – also wie Bedeutungen konstruiert
und Zuschreibungen vorgenommen werden – zu reflektieren, möchte ich auf die Strategien der Parodie und der Maskerade verweisen, die insbesondere auch Judith Butler
aufgegriffen hat. Beide Strategien spielen in der Kunst zunehmend eine Rolle, und sind
auch für Ausstellungen zu denken. Davon ausgehend, dass die Parodierbarkeit des
Originals die Konstruiertheit des Originals zeigt, können Wahrnehmungen durch das
Fremde, Inkohärente verunsichert und ein Weg eröffnet werden, die als selbstverständlich hingenommenen Kategorisierungen als eine Konstruktion zu verstehen, die
auch anders konstituiert sein könnten. Durch eine parodistische Aneignung vollzieht
sich ein Prozess der De-Regulierung von Bedeutungen, der beständigen Verschiebung
von Zeichen, die den normativen Gebrauch irritieren. Mit dem Konzept der Maskerade in Form von Verhüllung, Fetischismus, Ver-Kleidung, Travestie etc. können sich
die zentralen Oppositionen westlicher Kulturdiskurse – Sein und Schein, Wahrheit und
Täuschung, Identität und ihr ‚Mangel’ – überkreuzen. Die Maskerade ermöglicht die
Dechiffrierung kultureller Einschreibeprozesse, die sich als ordnungsstiftend und irri-
14
tierend zugleich offenbaren. Bei der Maskerade wird das Uneigentliche Modus der
(Re-)Präsentation.32
Wenn Differenz und Vielfalt im Museum thematisiert werden sollen, gilt es, für das
Museum als reflexive und selbst-reflexive Institution zu plädieren, d.h. für das Museum
als Verhandlungsort im Sinn eines zwischen dem individuellen und kollektiven angelagerten "kommunikativen Gedächtnisses".33 Welche Wege
kann das Museum nun gehen, um Forum zu sein, in dem
entsprechende Fragestellungen am Gegenständlichen
entwickelt und provoziert werden können, ein Forum,
um Symbolisierungen zu verhandeln? Dies meint neben
der Auseinandersetzung mit vergangenen wie gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den sozialen
und kulturellen Praktiken auch jene mit ästhetischen
Ausdrucksformen und Manifestationen.34 Dies inkludiert
den von Irit Rogoff eingeforderten "verantwortlichen
Blick"35, das heißt in Repräsentationen die Annahmen offen zu legen, so dass diese als
Deutungsangebote begriffen werden können. Wesentlich scheint dabei, Differenzen
als Verhandlung von Grenzen zu verstehen, wie dies etwa Homi Bhabha und Gaytari
Spivak thematisierten. Mit solchen Verhandlungsprozessen gilt es weniger Innen und
Außen voneinander abzugrenzen, sondern ein In-Between zu denken.
15
Abb. 13 Gefrierkammer,
Ausstellung "Aqua extrema", Expo Schweiz 2002.
Foto: Herbert Posch
1
Sharon Macdonald, Gordon Fyfe (Hg.): Theorizing Museums. Representing Identity and Diversity in
a Changing World. Oxford 1996, S.2
2
Der Diskurs um Museen als Orte von "contested identities" nahm vor allem im angloamerikanischen
Diskursen seinen Ausgang. Vgl. z.B. Margaret Anderson: Material Culture & Australian Cultural Politics. In: Museums Australia Journal 2-3/1991-92, S.6
3
Carol Duncan beschreibt Museen als säkulare Räume einer rituellen Transformation. Ordnung und
Konsens bewirkende Rituale treten an die Stelle der Erfahrungen des alltäglichen Lebens. Civilizing rituals dienen der Bildung wie Normierung und Regulierung des Subjekts. Vgl. Carol Duncan: Civilizing
Rituals inside the Public Art Museums. London, New York 1995
4
Peter Sloterdijk: Museum. Schule des Befremdens. In: Frankfurter Allgemeine Magazin, 17.3.1989
5
Gottfried Fliedl: Museum, Erinnerung, Öffentlichkeit. Zur Projektreihe Ein Viertel Stadt. In: Ein
Viertel Stadt. Zur Frage des Umgangs mit dem ehemaligen jüdischen Viertel in Hohenems. Innsbruck
1997, S.103
6
Nach Sabine Offe wird in Museen eine Gedächtnisbeziehung konstituiert: "Der (kollektiven) Erinnerung ist an empirischen oder historisch authentischen Orten nicht habhaft zu werden, und sie läßt sich
auch in realen Objekten nicht dingfest machen. Nicht die Museen […] nicht die Objekte, […] repräsentieren Gedächtnis. Sie sind vielmehr Elemente oder Vehikel einer Beziehung zwischen Museumsbesuchern und -machern, Objekten und Subjekten der Anschauung. Sie sind Teil von Beziehungen,
die alle Beteiligten […] dazu aufnehmen, körperliche, visuelle und sprachliche, bewußte und unbewußte." Sabine Offe: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Berlin 2000, S. 40
"Erst an den Schnittstellen so disparater Beziehungen entsteht Gedächtnis als bewegliches Produkt
von Strategien der Darstellung, der Wahrnehmung, der Perspektiven, Redeweisen und Lesarten, politischen Kalküls und individueller Lebensgeschichten." Offe, Ausstellungen, 2000, S. 43
Gottfried Korff: Fremde (der, die, das) und das Museum, in: Jürg Steiner (Hg.), Museumstechnik,
Berlin 1997, S. 8
7
8
Das Museumsobjekt "ist zum Semiophor geworden, wie Krzysztof Pomian mit einem merkwürdig
klingenden Namen, als wolle er das Fremdwerden der Museumsgegenstände auch sprachlich ausdrücken, die Dinge im Museum genannt hat: Zeichenträger. Es sind die Dinge, die lebensweltlich nicht
mehr gebraucht werden, dennoch eine wichtige Funktion erfüllen, nämlich die der Vermittlung des
Unsichtbaren im Sichtbaren." Korff, Fremde, 1997, S. 8
9
Korff, Fremde, 1997, S. 9f; Das Spannungsverhältnis von nah und fern im Museum entspricht der
Bedeutungskonfiguration des Benjaminschen Aura-Begriffes: "Wenn Aura die ‚einmalige Erscheinung
einer Ferne (ist), so nah sie sein mag‘, […] dann ist mit der Aura tatsächlich eine Grundkonstellation
des Museums umrissen. Die physische Nähe des Objektes ist ebenso gegeben wie die psychische
Fremdheit, also die Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag." ebenda
10
Korff, Fremde 1997, S. 11
11
Kathryn Woodward zit.n. Christina Lutter, Markus Reisenleitner: Cultural Studies. Eine Einführung.
Wien 1998, S. 95
12
"Die Logik der Moderne beinhaltet die Logik der Differenz, d.h. Identität wird immer in Abgrenzung
zum Anderen definiert. Diese Opposition bzw. das Absolutsetzen von Differenz als binärem Gegensatz verunmöglicht Theorien der "Andersheit" (otherness), die davon ausgehen, daß Differenz selbst
ein historisch entstandenes, in modernen Machtstrukturen entwickeltes Produkt ist: Differenz wie Identität sind demnach Effekte von Macht. Das moderne Denken ist nicht nur binär, sondern erzeugt
Binaritäten als konstitutive Differenzen, in denen der/das Andere immer durch seine "Negativität"
definiert werden." Lutter, Reisenleitner, Cultural Studies, 1998, S. 101
13
Nach Jürgen Habermas steht die kollektive Identität der individuellen nicht als Traditionsinhalt gegenüber, an dem sich das Individuum wie an einem feststehenden Objektiven bildet, sondern die Individuen beteiligen sich am Prozess einer erst zu entwerfenden Identität. Fliedl, Museum, Erinnerung,
Öffentlichkeit, 1997, S. 103
14
Astrid Deuber-Mankowsky: Repräsentationskritik und Bilderverbot. In:
http://www.bu.edu/mzank/tr-deutsch/Bilderverbot.html, 3.8.22006, S.2
15
http://differenzen.univie.ac.at/glossar.php?sp=38, 3.8.2006
16
James Clifford: Sich selbst sammeln. In: Gottfried Korff, Martin Roth (Hg.) Das historische Museum.
Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik. Frankfurt, New York 1990, S. 91
16
17
Vgl. Sabine Offe: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Berlin 2000
18
Vgl. Roswitha Muttenthaler / Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender
und Race in Ausstellungen. Bielefeld 2006
19
Ivan Karp / Steven D. Lavine (Hg.): Exhibiting Cultures. The Poetics and Politics of Museum Display, Washington, London 1991, S. 374f
20
Karp, Lavine, Exhibiting Cultures, 1991, S. 376
21
vgl. dazu: Gerlinde Hauer / Roswitha Muttenthaler / Anna Schober / Regina Wonisch: Das inszenierte Geschlecht. Feministische Strategien im Museum, Wien 1997
22
Dagmar von Hoff: Performanz/Repräsentation. In: Christina von Braun, Inge Stephan (Hg.): Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. Köln u.a. 2005, S. 171
23
Ebenda, S.170f
24
Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Sexismus und Museum, in: kritische berichte, 3 (1985), S. 47
25
Irit Rogoff: Von Ruinen zu Trümmern, in: Silvia Baumgart u.a. (Hg.), Denkräume zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin 1993, S. 269.
26
Ebd., S. 269ff.
27
http://differenzen.univie.ac.at/glossar.php?sp=38, 3.8.2006. Vgl. Judith Butler: Das Unbehagen der
Geschlechter. Frankfurt 1991
28
Vgl. Musée d’Ethnographie de Neuchâtel (Hg.): Le musée cannibale, Neuchâtel 2002.
29
Birgit Schulte: Die Ausstellung vis-à-vis: kleine Unterschiede im Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen.
Eine Revision zum Thema ‚gender‘, in: Roswitha Muttenthaler/Herbert Posch/Eva S.-Sturm (Hg.),
Seiteneingänge. Museumsidee & Ausstellungsweisen, Wien 2000, S. 117ff.
30
Ebd., S. 130ff.
31
Ebd., S. 132.
32
von Hoff: Performanz/Repräsentation, 2005, S. 172f
33
Der von Jan Assmann geprägte Begriff entspringt seiner Erkenntnis, dass es unmöglich sei, zwischen
dem individuellen und sozialen Gedächtnis strikt zu unterscheiden, weshalb er für den Zwischenraum
den des kommunikativen Gedächtnisses heranzieht.
34
So plädiert Aleida Assmann für Museen als "Orte der Gegenstände, der Objekte, die sich den Subjekten entgegenstellen", für "Museen als Orte des Erlernens des kleinen Einmaleins der Wahrnehmung"
in Bezug auf ein kritisches Verständnis der Informationstechnologien. Vgl. Korff, Fremde, 1997, S.
18.
35
Vgl. Irit Rogoff: Der unverantwortliche Blick. Kritische Anmerkungen zur Kunstgeschichte. In: kritische berichte, 4/1993, S. 41-49
17
Herunterladen