Engagierter Buddhismus heute Wenn Menschen im Westen über den Buddhismus sprechen, so ist es oft die meditative Seite dieser Weltreligion, die den gehetzten, modernen Menschen anspricht. Der Ausstieg aus dem Alltag, die Hinwendung zu meditativer Versenkung und die Faszination uralter Rituale stiften Sinn und geben inneren Halt. Die aktive, sozial tätige Seite des Buddhismus wird dabei oft übersehen und kommt erst langsam ins Bewußtsein der westlichen Sinnsucher. Seit vielen Jahren versuchen jedoch Buddhisten, einen Grundpfeiler ihrer Spiritualität, die heilende Hinwendung zu anderen, auch institutionell zu verankern und sich in sozialen Institutionen zu engagieren, oder aber diese ins Leben zu rufen. In diesem Beitrag sollen zwei Buddhisten, Tetsugen Glassman und Thich Nhat Hanh, die als profilierte Vertreter der Gruppe des •Engagierten Buddhismus" bezeichnet werden können in ihren Veröffentlichungen vorgestellt werden. Dabei steht Glassman für einen westlichen Ansatz, der amerikanischen Pragmatismus mit östlicher Geistigkeit zu einer durchaus originellen Symbiose bringt, während der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh, ganz aus der traditionellen buddhistischen Klosterschulung kommend, vor allem seit dem Vietnamkrieg durch großes soziales Engagement besticht. Die hohe Popularität der beiden Autoren zeigt, daß ihre spirituelle Kreativität auch für die sozialen Fragen des Westens für viele Menschen von Bedeutung zu sein scheint. Vielerorts gibt es inzwischen Meditationskurse im Stil des Zen und die Anzahl der Publikationen zum Thema ist kaum überschaubar. Seit alters her endet der Zen-Weg allerdings nicht in der Innerlichkeit, sondern hat sich im Alltag zu bewähren und zu beweisen. Daß gelebte Meditation mehr ist als seliges, stilles Sitzen oder "Nabelschau", soll im folgenden deutlich werden. Der New Yorker Zen-Buddhist Bernard Tetsugen Glassman ist Gründer eines internationalen •Peacemaker-Movements". Im Rahmen seines Engagements lud er im Dezember 1996 zu einer internationalen und interreligösen Meditationswoche in das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz ein. 150 Menschen aus verschiedenen Ländern und vier Religionen (Judentum, Christentum, Buddhismus und Islam) folgten seiner Einladung. In Meditation und Ritual wurde der Opfer und der je eigenen Verflechtungen in Gewalt und Krieg gedacht. In seinem Buch •Anweisungen für den Koch - Lebensentwurf eines Zen-Meisters" gibt er einen interessanten und motivierenden Einblick in das von ihm gegründete soziale Netzwerk.1 Glassman gehört zu den Vertretern des sogenannten engagierten Buddhismus und arbeitet in New York unter anderem mit Obdachlosen. Ausgehend von Dogen (1200-1253), dem Begründer der Soto-Tradition des Zen in Japan, nimmt Glassman seine Leser mit in seine Zenküche. Genauer müßte man sagen in die Backstube der Greystone Bäckerei. Aus diesem Projekt, das von engagierten Buddhisten zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes gegründet wurde, hat sich mittlerweile ein soziales Netzwerk entwickelt, in dem Obdachlosen die Rückkehr in einen normalen Berufs1 B. Glassman/R. Fields, Anweisungen für den Koch. Lebensentwurf eines Zen-Meisters. Hamburg 1997. Literaturbericht 230 und Lebensalltag ermöglicht wird. Ganz konkret zeigt Glassman, welche Schritte notwendig sind, um für sich und andere ein •Zen-Mahl" zu bereiten, um eines seiner Lieblingsbilder aufzugreifen. Dabei versucht er, auch im unternehmerischen Bereich seine spirituelle Motivation einzubringen. Im Hinblick auf den Profit eines Unternehmens führt er aus: •Ein Geschäftsergebnis, das neben dem finanziellen Profit auch das Wohl des Gemeinwesens und die spirituelle Entwicklung aller Beteiligten berücksichtigt, bringt daher letztlich auch den größten Profit." Er propagiert einen Mittelweg zwischen einem rein gewinnorientierten Unternehmen und einem Ansatz, der bei aller Sorge um die Not der Menschen die unternehmerischen Belange völlig außen vor läßt. Seines Erachtens •liegt die Zukunft sowohl für Wirtschaftsunternehmen, als auch für sozial engagierte Institutionen in einem synergetischen Modell, das sowohl Profit- als auch Non-Profit-Ansätze berücksichtigt und nutzt, denn beide können einander unterstützen." Arbeit, soziales Engagement und spirituelle Praxis existieren dabei aber nicht nebeneinander, sondern •ein wichtiger Bestandteil unserer Bemühungen ist, unser Unternehmen beziehungsweise unsere Arbeit zu einem Tempel zu machen. Wir erledigen also nicht zuerst unsere Arbeit und gehen anschließend irgendwo anders hin, um uns spirituell zu betätigen". Denn, •Spirituelle Betätigung, was auch immer man darunter verstehen mag, ist eines der wichtigsten Elemente unserer geschäftlichen Aktivitäten." Wenn heute über sozial und politisch engagierten Buddhismus gesprochen wird, also über tätiges Engagement, das der konkreten Meditationserfahrung entwächst, ist vor allem ein Mann zu nennen: der vietnamesische Mönch, Dichter und Friedensaktivist Thich Nhat Hanh. Spiritualität und Dichtkunst gehen seit jeher in der Geschichte der Menschen Hand in Hand. Die religiöse Literatur jeglicher Tradition quillt über von dem Zeugnis einer Erfahrung, die sich in Bildern ausdrückt, weil sich ihre Tiefe nur so adäquat darstellen läßt. Doch auch der spirituelle Mensch lebt nicht auf einer Insel der Seligen, sondern ist eingewoben in das Auf und Ab des Alltags der Welt, eingewoben in die jeweilige politische Situation. Dichtung bekommt besonders in Krisenzeiten eine eigene Bedeutung, wenn sie versucht, das Grauen, das Krieg verursacht, anders darzustellen, als dies in den nüchternen Termini der Kriegsberichterstattung möglich ist. Christliches Beispiel ist hierfür etwa der nicaraguanische Dichter Ernesto Cardenal, der sowohl in dichten Bildern seinem spirituellen Leben Ausdruck verleiht, als auch aktiv in der politischen Situation seines Landes Stellung bezogen hat. Politik und Poesie sind die beiden Säulen - aufgerichtet auf dem Fundament einer traditionellen monastischen buddhistischen Erziehung - die die Gedichte Thich Nhat Hanhs kennzeichnen. Eine Auswahl seines lyrischen Werkes ist im Theseus Verlag auf Deutsch erschienen.2 Setzt er sich im ersten Teil des Bandes mit der •historischen Dimension" seines Lebens und hier nun vor allem seinem Engagement im Vietnamkrieg auseinander, ist der zweite Teil der •letztendlichen Dimension" gewidmet. Doch wie er in einer Art Widmung vor jedem der beiden Kapitel schreibt: •Berührst du tief die historische Dimension, findest du dich wieder in der letztendlichen Dimension. Berührst du die letztendliche Dimension, so hast du die historische Dimension nicht verlassen". Die Wunden, die der Krieg seinem Land geschlagen hat, bestimmen sein Handeln und Tun. 2 Thich Nhat Hanh, Nenne mich bei meinem wahren Namen. Gesammelte Gedichte. Berlin 1997. Literaturbericht 231 Er gründete die •Schule der Jugend für Sozialarbeit" und setzte sich in den kommenden Jahren aktiv für die Unterstützung der •boat people" ein. Manche der Menschen, von denen Thich Nhat Hanh in seinen Gedichten über diese Zeit schreibt, haben Zuflucht in einem anderen Land gefunden. Die Aktualität der Flüchtlings- und Migrationsproblematik, die heute oft genug Menschen wie •Abschaum behandelt", die gerade ein Leben als •Schaum des Meeres" - wie er sich ausdrückt - hinter sich gelassen haben, lassen die Zeilen zu einem Appell an das menschliche Gewissen werden. In den meisten Gedichten des Vietnamesen schimmert seine buddhistische Erziehung durch. Wieviel Leid entsteht in der Welt, weil Menschen sich einfach von ihren Emotionen fortreißen lassen, im Affekt handeln und so sich und andere verletzen. Auch der Buddhist wird von Emotionen bewegt und lächelt keineswegs immer so abgeklärt, wie es manche Buddhadarstellungen - in westlicher Deutung - glauben machen. Es geht aber darum, die eigenen Emotionen wahrzunehmen, nicht zu bewerten, in Meditation und Achtsamkeit einen Weg zu finden und sich nicht den Emotionen und seien sie noch so verständlich - einfach zu ergeben. Nicht ein Verdrängen von Wut oder Haß ist das Gebot der Stunde, sondern das nicht bewertende Wahrnehmen, wenn die Spirale der Gewalt aufgehalten werden soll. Die Gedichte der •Historischen Dimension" zeigen, neben dem konkreten Leid, das der Krieg über Vietnam brachte, immer wieder auch, wie ein engagierter buddhistischer Mönch auf das Leid und den Terror reagiert. In der •Letztendlichen Dimension" läßt Thich Nhat Hanh im Leser eine Ahnung aufkommen, woraus er lebt und woher er seine Kraft bezieht. Immer wieder reflektieren die Verse auf eine Erfahrung, die zu den zentralen Inhalten der Buddhalehre gehört. Mit den Worten des •Herzsutra" wird sie wie folgt umschrieben: "Form ist Leere und Leere ist Form, was Form ist, das ist Leere und was Leere ist, das ist Form. Ebenso verhält es sich auch mit Gefühl, Wahrnehmung, Willensimpuls und Bewußtsein. Kurz, die fünf Gruppen des Anhaftens sind leer." Diese •fünf Gruppen" sind nach buddhistischer Auffassung der Grund für das Leiden. Ein Mensch, der die zentrale Lehre der Nicht-Ichheit nicht verwirklicht, sitzt der Illusion auf, er sei ein für sich existierendes Wesen, das jedoch, wenn es sich in seiner Realität bewußt wird, sich immer mehr im Ich-Wahn und damit der Leidverstrickung verliert. Schon der historische Buddha machte die Lehre von der Nicht-Ichheit zu einem zentralen Topos seiner Lehre. Im Herzsutra nun kommt die Leere als zentraler Begriff des Mahayana-Buddhismus ins Spiel. Weil im letzten alles, was Form hat, leer ist, wie auch die Leere Form ist, gibt es keine Trennung mehr zwischen Ich und Du, zwischen gut und böse, zwischen Freund und Feind. Aus der Weisheit, die aus der Einsicht in die Leere erwächst, speist sich das tätige Mitgefühl, das den konkreten sozialen oder politischen Aktionen zugrunde liegt. Nicht ein göttlicher Auftrag ist es, der den Buddhisten zu sozialer Aktion motiviert, sondern die eigene Erfahrung der Leerheit und Ungetrenntheit aller Dinge und Lebewesen. Wenn ein Mensch in der Meditation die Erfahrung der Leere macht, erlebt er konkret eine tiefe Verbindung mit allem, was ihn umgibt. Er wird Teil seiner Umgebung und hört auf, sich als ein getrenntes •Ich" zu verstehen. Hinzukommt, daß in der Lehre vom •Entstehen in Abhängigkeit" für den Buddhisten ein weiterer Schlüssel für die Verwo- Literaturbericht 232 benheit und Relationalität der Welt liegt. Wer diese Lehren verwirklicht, der wird die Schmerzen anderer Menschen wie seine eigenen spüren, aber er wird auch fähig, im Feind letztlich den Bruder oder die Schwester zu sehen. Naturlyrik und Kriegsgreuel, biographische Fragmente und konkrete Hilfen zur spirituellen Alltagsgestaltung machen den Inhalt des Gedichtbandes aus. Dabei gelingt es Thich Nhat Hanh, seine Leser mit einer oft fremden und im letzten doch sehr nahen Welt vertrauter zu machen: dem oft leidvollen Leben in dieser Welt, dem sich auch der spirituell Suchende nicht entziehen kann. Diese Welt zu gestalten ist eine Aufgabe aller Menschen. Der vorliegende Gedichtband bietet einen sprachlich anmutigen Einblick in die Weltsicht und Deutung eines Mannes, der, ganz in seiner Tradition stehend, anderen die Hand hinhält, um gemeinsam die anstehenden Probleme zu bewältigen. Engagierter Buddhismus ist vielgestaltig. Neben Thich Nhat Hanh und Tetsugen Glassman wären etwa noch Maha Ghosananda, der über 70-jährige Patriarch des kambodschanischen Buddhismus, zu nennen, der mit seinen Friedensmärschen versucht, zum Frieden in seinem Land beizutragen, oder auch der thailändische Laien-Buddhist Sulak Sivaraksa, dessen unermüdliches Eintreten für eine Erneuerung des Buddhismus im Februar 1989 zur Gründung des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten (INEB) geführt hat und der für sein Engagement 1995 mit dem alternativen Nobelpreis geehrt wurde. Gerade auch über das konkrete soziale Engagement vor Ort ist ein Zusammenwachsen von Menschen verschiedener Religionen möglich. Zahlreiche interreligiöse Symposien zu diesem Thema sowie eine Vielzahl von Projekten versuchen, das Zusammenleben der Menschen zu fördern und den gemeinsamen Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu unterstützen. Stephan Brunner, Uznach