Sexualität in der Onkologie - Universitätsklinikum Münster

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Weiterbildung für die Pflege in der Onkologie (DKG)
Kurs 2013-2015
Hausarbeit
Sexualität in der Onkologie
Judith Wermert
eingereicht am 08.09.2014
Universitätsklinikum Münster – Weiterbildungsstätte für Intensivpflege &
Anästhesie und Pflege in der Onkologie
Sexualität in der Onkologie
Inhaltsverzeichnis
1.) Kurzfassung.................................................................................................................. 2
2.) Einführung.................................................................................................................... 2
3.) Defintion Sexualität ..................................................................................................... 3
4.) Tumorerkrankungen der Geschlechtsorgane ................................................................ 3
5.) Störfaktoren beim Geschlechtsverkehr ........................................................................ 8
5.1) Körperbildstörungen ............................................................................................. 8
5.1.1 Stomaanlagen ........................................................................................ 9
5.1.2 Alopezie ............................................................................................... 11
5.2 Lustlosigkeit ........................................................................................................ 12
5.3 Vaginale Beschwerden ......................................................................................... 13
5.4 Erektile Dysfunktion (ED) ................................................................................... 15
5.5 Ejakulationsstörungen .......................................................................................... 17
5.6 Harninkontinenz................................................................................................... 18
5.7 Tumorgeruch ........................................................................................................ 19
6.) Verhütung ................................................................................................................... 20
7.) Schlusswort ................................................................................................................ 21
8.) Literaturverzeichnis .................................................................................................... 22
9.) Anhang ....................................................................................................................... 26
2
Sexualität in der Onkologie
1.) Kurzfassung
Die tiefgreifenden Veränderungen im Leben von Krebspatienten erfordern viel Kraft
und Bewältigungsstrategien, worüber das Pflegepersonal informiert sein und den
Menschen zur Seite stehen muss. Doch dass insbesondere auch das intime Miteinander
zwischen zwei Lebenspartnern beeinträchtigt ist, wird meistens verschwiegen.
Diese Facharbeit bietet mit einem pflegerischen/psychologischen Schwerpunkt Einblick
in das Thema „Sexualleben und Diagnose Krebs“. Dazu habe ich folgende Frage
formuliert:
Wie kann ein ausgefülltes Sexualleben nach der Diagnose Krebs wiedererlangt werden?
2.) Einführung
Bei der Bearbeitung des Themas habe ich mir versucht vorzustellen, wie es wäre, wenn
ich mit meinen 26 Jahren die Diagnose Krebs bekommen würde. Dabei legte ich die
akuten Bedürfnisse und Ängste gedanklich beiseite. Ich habe mich mit der Frage
auseinandergesetzt, welche zusätzlichen Langzeitfolgen der Erkrankung auf mich und in
diesem Fall auch auf meinem Partner zukommen würden.
Diese Facharbeit ist nicht allein auf den eigentlichen Geschlechtsakt gerichtet, da der
Begriff „Sexualität“ noch einiges mehr und für jeden Menschen etwas anderes
beinhaltet. Bei meinen Recherchen bin ich auf ein Zitat von der amerikanischen
Psychoanalytikerin Avodah Offit gestoßen, was dieses meiner Meinung nach gut
wiedergibt:
"Sexualität ist das, was wir aus ihr machen: eine teure oder billige Ware, Mittel der
Fortpflanzung, Abwehr der Einsamkeit, eine Kommunikationsform, eine Waffe der
Aggression (Herrschaft, Macht, Strafe, Unterwerfung), ein Sport, Liebe, Kunst,
Schönheit, ein idealer Zustand, das Böse, das Gute, Luxus, Entspannung, Belohnung,
Flucht, ein Grund der Selbstachtung, ein Ausdruck der Zuneigung, eine Art Rebellion,
eine Quelle der Freiheit, Pflicht, Vergnügen, […] eine Technik, eine biologische
Funktion, Ausdruck psychischer Krankheit oder Gesundheit oder einfach eine sinnliche
Erfahrung." [1]
3
Sexualität in der Onkologie
3.) Defintion Sexualität
Die Sexualität wird geprägt durch biologische, psychologische und soziologische
Aspekte und stellt somit ein Teil der Gesamtpersönlichkeit dar. Drei Grundfunktionen
werden durch die Sexualität gelebt:
Fortpflanzung
Beziehung und Kommunikation
Lustgewinn [2]
Außerdem umfasst Sexualität Begriffe wie Erotik, Berührungen, Nähe, Intimität,
Geborgenheit und Mitgefühl. [3] "Unabhängig vom Alter der Betroffenen, der Dauer
der Beziehung zum Partner, der Art der Tumorerkrankung und deren Behandlung hat
die Verarbeitung des lebensbedrohlichen Ereignisses Krebs oft einen bedeutsamen
Einfluß auf die gelebte intime und sexuelle Beziehung des Paares" (Burbie & Polinsky ,
1992). [4]
Wenn man die Grundfunktionen sowie die anderen aufgeführten Aspekte betrachtet,
wird sehr deutlich, dass das Sexualleben mitunter ein wichtiger Baustein einer gut
funktionierenden Beziehung ist. Früher oder später wird es demnach bei jedem Paar
entweder gedanklich oder im offenen Gespräch Thema sein, da das intime Miteinander
auch zur Lebensqualität beiträgt.
4.) Tumorerkrankungen der Geschlechtsorgane
Mammakarzinom:
Bei
der
häufigsten
Krebserkrankung
der
Frau
kommen
verschiedene
Operationsmöglichkeiten je nach TNM-Klassifikation in Betracht. Dabei ist die
Brusterhaltende Therapie (BET) Standard. Eine Mastektomie stellt nur eine Indikation
dar, wenn die BET nicht möglich ist. Ausserdem ist die neoadjuvante Chemotherapie,
Bestrahlung, Hormontherapie und Lymphknotenentfernung mit in der Therapie etabliert.
[5] Die Brust der Frau wird von vielen Menschen als ein Symbol der Weiblichkeit,
Erotik und der eigenen Identität gesehen. Dies unterstreicht eine Studie, die besagt, dass
sich 78 % der Patientinnen nach einer Mastektomie unattraktiver empfanden. Nach
einer BET waren es lediglich 3 %.
4
Sexualität in der Onkologie
Ebenfalls wird in diesem Fachartikel darauf hingewiesen, dass sich nicht allein die Art
der Operation auf die Sexualität auswirken kann, sondern auch der allgemeine
Gesundheitszustand, die Qualität der Partnerschaft, die Wahrnehmung des eigenen
Körperbildes sowie auch ein niedriger Bildungsstand und das Sexualleben vor dem
Ausbruch der Erkrankung. [6]
Bei einem so sensiblen Thema wie der Verlust der Brust ist es wichtig, dass das
Pflegepersonal die Thematik nicht bagatellisiert, sondern den Patientinnen den nötigen
Raum zur Verarbeitung des Verlustes zu geben. Hier haben sich Selbsthilfegruppen oft
als gute Plattform erwiesen. Mittels Fragebögen kann erfasst werden, in wie weit sich
die Einstellung zum eigenem Körper geändert hat. Der Einsatz solcher Fragebögen im
Klinikalltag ist dagegen schwieriger zu realisieren, da die Rahmenbedingungen im
stationären Aufenthalt dagegen sprechen. Dies sollte in der Hand der Psychotherapeuten
bleiben. [7]
Im Klinikalltag ist es zum Beispiel sinnvoll, die Patientin an den ersten
Verbandswechsel nach der Operation langsam heranzuführen. Auch die Einbeziehung
des Partners hierbei kann die Akzeptanz der körperlichen Veränderung der Patientin
positiv beeinflussen. Voraussetzung dafür ist das beidseitige Einverständnis der Partner.
Neben der Krebspatientin selbst, stellt die Erkrankung und Therapie auch für den
Lebensgefährten
eine
neue
Situation
dar,
wobei
dieser
ebenso
auf
Bewältigungsstrategien angewiesen ist.
Es besteht die Möglichkeit, dass es dem Partner schwerfällt seiner Frau Zärtlichkeiten
zu signalisieren, ohne dass sie es als sexuelles Bedrängen versteht. Ferner können
Unsicherheiten auftreten, wenn die Brust oder auch Brustwarzen im Liebesakt von
zentraler Bedeutung waren. Daher spielt eine detaillierte und fachliche Aufklärung des
Paares vor der Operation eine wichtige Rolle. Mögliche Nebenwirkungen bei einer
BET sind beispielsweise Taubheitsgefühle, Missempfindungen und Schmerzen im
Operationsgebiet. So haben beide Partner die Möglichkeit aufeinander Acht zu geben
und eventuelle Missempfindungen direkt anzusprechen. [8]
Zudem
haben
Therapeuten
Körperwahrnehmung
sich
spezialisiert
auf
Angebote
(Konzentrative
5
zu
einer
verbesserten
Bewegungstherapie
oder
Sexualität in der Onkologie
Tanztherapie). Hier wird der Fokus auf den ganzen Körper gelegt und nicht allein auf
das erkrankte Organ. [9]
Wenn bei einer betroffenen Frau nach dem Eingriff Schamgefühle aufkommen, sich vor
dem Partner aus- oder umzuziehen, hat sie die Möglichkeit auf extra hergestellte
Dessous zurückzugreifen. Je nach Krankenkasse können die Frauen Zuschüsse für den
Einkauf der Spezialunterwäsche erhalten. [10] Ferner gibt es medizinisches
Camouflage-Make-Up für sichtbare Narben. [11]
Zervixkarzinom
Bei dem Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) kann je nach Ausbreitung eine
organerhaltende oder radikale Operation durchgeführt werden. Vor allem die radikale
Operation, die Hysterektomie, wird von Frauen als großer Verlust der Weiblichkeit
empfunden. Aber auch in Bezug auf eine noch nicht abgeschlossene Familienplanung
beeinträchtigt dieser Eingriff das Paar sehr.
Neben der zusätzlichen Chemotherapie kann auch die Bestrahlung, im Besonderen die
Brachytherapie (Lokale Kontaktbestrahlung), durchgeführt werden. Über Schmerzen
beim sexuellen Verkehr berichten in den ersten Monaten nach der Therapie etwa 40–
50% der Frauen, später geht die Häufigkeit auf 8–15% zurück. [13]
Vulva- und Vaginalkarzinom
Die Tumorerkrankung der äußeren Geschlechtsorgane und der Scheide betrifft häufig
Frauen im höheren Alter. Die Therapie (Operation und/oder Bestrahlung, evtl.
Chemotherapie) muss nicht zwangsweise die sexuelle Aktivität der Betroffenen
dauerhaft beeinflussen. Bei einem Orgasmus ist die Klitoris mit involviert, das
sogenannte „Lustorgan“ der Frau. Bei einer operativen Entfernung der Klitoris kann
demnach die Fähigkeit einen Orgasmus zu bekommen, eingeschränkt sein. Dieses wäre
der Fall bei einer radikalen Vulvektomie, die bei massivem Tumorwachstum
durchgeführt wird. In einer kurativen Behandlung kann eine Rekonstruktion der Vagina
zu einem annähernd verbesserten Körperbild verhelfen, wobei Nervenschädigungen in
dem Bereich bestehen bleiben können.
6
Sexualität in der Onkologie
Endometriumkarzinom
Die Erkrankung der Gebärmutterschleimhaut betrifft häufiger Frauen nach der
Menopause und muss nicht zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des sexuellen
Erlebens führen. Wenn der Tumor noch nicht weit fortgeschritten ist, sind die Organe
für das Lustempfinden (Klitoris, Schamlippen und der Scheideneingang) bei der
Operation nicht betroffen. Daher kann das normale Sexualleben nach abgeklungener
Wundheilung (meist 4-6 Wochen) wieder aufgenommen werden [13].
Ovarialkarzinom
Bei dem Ovarialkarzinom ist das Ausmaß der Beeinträchtigung auf das Sexualleben
davon abhängig, ob beide Eierstöcke entfernt werden mussten. Neben der
Unfruchtbarkeit kommt es bei beidseitiger Ovarektomie durch den Östrogenmangel zu
einer Atrophie der Intimschleimhaut. Des Weiteren treten typische Beschwerden der
Menopause wie zum Beispiel Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Depression und
Reizbarkeit auf.
Maßnahmen gegen die aufkommenden Symptome wie Schmerzen, Vaginismus,
radiogene Kolpitis und weiter Veränderungen der Schleimhäute können im Kapitel 5.3
„Vaginale Probleme“ entnommen werden.
Nach der gynäkologischen Behandlung der betroffenen Frau, sollte auch die Situation
des Partners Beachtung erhalten. Auch bei ihm können sich Ängste und Unsicherheiten
vor der ersten sexuellen Begegnung nach der Operation entwickeln. Dies kann sich zum
Beispiel auf Unsicherheiten vor Berührungen beziehen. Hier wird nochmal deutlich, wie
wichtig ein offener Umgang untereinander und die Möglichkeit der Inanspruchnahme
von psychologischer Hilfe ist. [14]
Peniskarzinom
Je größer das Karzinom am männlichen Glied, desto radikaler ist die Operation. Obwohl
die Eichel zu der empfindlichsten Region des Glieds gehört, kann der Mann bei der
Entfernung weiterhin einen Orgasmus und Samenerguss bekommen. Anders ist es bei
der totalen Penisamputation. In diesem Fall sollten dem Patienten Möglichkeiten
aufgezeigt werden, sexuelle Bedürfnisse über andere erogene Zonen zu befriedigen.
7
Sexualität in der Onkologie
Diese könnten beim Mann der Hodensack oder After sein. Die Spermatogenese kann
durch Streustrahlung bei Radiatio beeinträchtigt werden.[ 43]
Hodenkarzinom
Besonders das niedrige Durchschnittsalter des Mannes (20-35 Jahre) beim Ausbruch der
Erkrankung kann stark dazu beitragen, dass es zu einer Beeinträchtigung des sexuellen
Lebens kommt. Nicht allein die Bedeutung und Entfaltung der eigenen Sexualität ist in
diesem Altersabschnitt von zentraler Bedeutung, sondern auch ein möglicher
Kinderwunsch kann im Raum stehen.
Durch moderne minimalinvasive Operationsverfahren werden die Nervenbahnen
verschont und somit die Risiken einer erektilen Dysfunktionen und Harninkontinenz
minimiert. Dennoch wird den betroffenen Männern die Möglichkeit einer präoperativen
Samenspende (Kryokonservierung) angeboten, um bei einer nicht abgeschlossenen
Familienplanung alle Möglichkeiten offen zu haben. Durch Hodenprothesen kann
versucht werden ein annäherndes Körperbild wiederherzustellen, da der Tumorbefall zu
95% nur eine Hodenseite betrifft. Die Beeinträchtigung der Spermatogenese ist meist
reversibel, wobei der irreversible Hypogonadismus mittels Testosteronsubstitution
ausgeglichen werden muss. [12]
Prostatakarzinom
Die maligne Erkrankung der Vorsteherdrüse hat oft eine radikale Prostatektomie als
Folge. Auch hier herrscht bei den Erkrankten oft die Angst vor einer erektiler
Dysfunktion und einer Harninkontinenz. Die Nebenwirkungen der Strahlentherapie
(Strahlenzystitis, Strahlenproktitis, Harnretention, penoskrotales Ödem) bilden sich in
der Regel zurück. Je nach Strahlendosis, Tumorstadium sowie Alter des Patienten liegt
das Risiko einer Erektionsstörung je nach Strahlentherapietechnik zwischen 14-50%.
Maßnahmen gegen die aufkommenden Symptome wie erektile Dysfunktion,
Harninkontinenz und Ejakulationsstörungen können ab Kapitel 5.4 entnommen werden.
8
Sexualität in der Onkologie
5.) Störfaktoren beim Geschlechtsverkehr
Auch bei
Patienten deren Sexualorgane nicht direkt betroffen sind, können sich
sexuelle Probleme entwickeln. Alle Tumorerkrankungen und Therapieansätze haben
Auswirkungen
auf
das
Körperbild
und
Selbstkonzept
des
Menschen.
[42]
Sexualitätsprobleme sind neben den körperlichen Beschwerden eine Mischung aus dem
Attraktivitätsverlust, Depressionen, Angst, unausgesprochene Erwartungen an den
Partner und zuvor latente Partnerschaftskonflikte, die sich im Rahmen der Krankheit zu
spitzen. [15] Weitere Beispiele werden im folgenden Text beschrieben.
5.1) Körperbildstörungen
Definition: "Eine Körperbildstörung bedeutet eine einschneidende Veränderung, bei der
eine Person negative Gefühle oder Wahrnehmungen bezüglich der Eigenschaften,
Funktionen oder Grenzen des eigenen Körpers oder
eines Körperteils erfährt."
(Abt-Zegelin & Georg, 2007) [16]
Im Hinblick auf das Thema dieser Facharbeit ist dies wohl mit einer der Hauptgründe,
weshalb der Betroffene sich möglicherweise vom Partner zurückzieht oder kaum intime
Zärtlichkeiten zulässt. Denn eine positive Selbstwahrnehmung und ein gesundes
Selbstempfinden hat viel mit der Bereitschaft zur sexuellen Hingabe zu tun.
Operationen oder andere Eingriffe
nehmen immer Einfluss auf die persönliche
Wahrnehmung des eigenen Körpers. Hierbei kann es zu unterschiedlich großen
Veränderungen kommen, die der Patient verarbeiten muss. Daher ist es verständlich,
dass die Person sich erst einmal selbst wieder entdecken und definieren muss, bevor sie
bereit ist, mit dem Partner intim zu werden. Je nach Ausmaß an vorhandenen
Bewältigungsstrategien kann sich eine Körperbildstörung unterschiedlich entwickeln.
So wirkt sich ein gut ausgeprägtes soziales Netz beispielsweise positiv aus. [17]
Mögliche Ursachen im Rahmen einer onkologischen Therapie können sein:
Organverluste: Mastektomie, Vulvektomie, Hysterektomie, Orchiektomie
Amputationen der Extremitäten
Stomaanlagen: Colo-, Tracheostoma etc.
9
Sexualität in der Onkologie
Malignes Melanom→ Hautabtragung/ -transplantation
exulzerierende Tumoren
Venöse Zugänge: Port, Groshong, Hickman
PEG- und SPK-Anlage
starke Gewichtsabnahme/ -zunahme durch Kortisongabe
Hautirritationen durch Strahlentherapie, Cushingsyndrom, Hand-Fuß-Syndrom,
EGFR-Therapie, Tyrosinkinasehemmer
Alopezie
Lymphödeme [18]
Neben der medizinischen Bekämpfung des Tumors steht auch die Steigerung der
Lebensqualität des Menschen im Mittelpunkt. Wo früher Patienten mit den aufgelisteten
Auswirkungen allein gelassen wurde, wird heute versucht, die Betroffenen psychosozial
zu unterstützen und Hilfsmittel anzubieten. Auf folgende Faktoren in Bezug auf die
Sexualität möchte ich näher eingehen:
5.1.1 Stomaanlagen
Bei Erkrankungen, die den Verdauungstrakt oder das harnableitende System betreffen,
ist manchmal eine Operation mit künstlichem Ausgang unumgänglich.
Im nachfolgenden Text geht es um Patienten mit einem Colo-, Ileu- oder Urostoma. Die
Betroffenen haben es im Bereich der Sexualität oft mit Körperbildstörungen und
Ängsten zu tun, beispielsweise:
 Bedenken / Ängste im Zusammenhang mit ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit
 Angst vor dem Abfallen/Auslaufen des Stomabeutels
 falsche Erwartungen: z.B. dass der Partner keinen sexuellen Verkehr mehr
wünscht [19]
Der Verlust des Selbstwertgefühls kann zu Orgasmusstörungen und erektiler
Dysfunktion führen, was eine Depression zur Folge haben kann. [20]
Neben einem professionellen Stomatherapeuten, der nach dem stationären Aufenthalt
die Patienten ausreichend im Umgang mit dem Stoma und dessen Versorgung schult,
10
Sexualität in der Onkologie
wirken sich offene Gespräche mit dem Partner über diese Ängste positiv aus. So können
Missverständnisse geklärt und Wünsche und Bedürfnisse geäußert werden.
Tipps und Hinweise für den Betroffenen:
 Wechseln/Entleeren der Versorgung vor dem Geschlechtsverkehr
 Spezieller Beutelüberzug aus Satin oder Baumwolle (damit der Kunststoff nicht
an der Haut klebt und die Ausscheidung ist nicht direkt sichtbar)
 Geschlechtsverkehr ist für das Stoma nicht schädlich
 Geschlechtsverkehr über das Stoma kann gefährlich sein und wird nicht
empfohlen
 Solange die Versorgung sicher sitzt, kann jede Stellung gewählt werden, solange
sie von beiden Partnern als angenehm empfunden wird
 Bedenken des Partners sollen nicht als Abweisung gewertet werden [19]
 evtl. Stellungen wählen, bei der sich der Partner hinter dem Betroffenen
befindet, so sind Stoma oder andere Narben auf der Körpervorderseite für den
Partner nicht direkt sichtbar [21]
 Selbsthilfegruppen (z.B. Ilco) ermöglichen einen Austausch mit anderen
Betroffenen und fachliche Beratung über das Leben mit einem Stoma
Außerdem gibt es Möglichkeiten das Stoma beim Koitus zu kaschieren. Bei einem
Colostoma gibt es die Option vorher eine Irrigation durchzuführen und es danach mit
einer Stomaplatte zu versorgen. Dadurch kann eine ausscheidungsfreie Zeit von 24-48
Stunden erreicht werden. Dieses Verfahren ist aber mit dem Stomatherapeut ausführlich
zu besprechen und erst bei länger liegenden Stomatas durchzuführen. [13] Falls dieses
nicht möglich ist, können auch speziell für Stomaträger entwickelte Unterwäsche und
Dessous angewandt werden. So können anfängliche Schamgefühle reduziert werden.
Diese äußern sich oftmals besonders am Anfang einer Beziehung und können auf beiden
Seiten bestehen (Siehe Anhang 9.1). [22]
11
Sexualität in der Onkologie
5.1.2 Alopezie
Unter Alopezie versteht man den teilweisen oder vollständigen Haarausfall, der im
Rahmen der onkologischen Therapie auftreten kann. Je nach Art der Chemo- und/oder
Strahlentherapie sowie der Dosis und der Applikationsart und -dauer kann der
Schweregrad der Alopezie variieren. Des Weiteren spielen patientenbezogene Faktoren
wie z. B. Beschaffenheit des Haares, Alter, Ernährungszustand und evtl. bestehende
Begleiterkrankungen wie Infekte, eine zusätzliche Rolle.
Nicht nur die Zytostatika sondern auch andere Medikamente (Herparin, orale
Antikoagulantien,Betablocker, Allopurinol etc.) greifen die Haarfollikel an. Während
die Haare bei der Chemotherapie nach ca 10-28 Tagen nach der ersten Zytostatikagabe
reversibel ausfallen, können die Haarfollikel bei einer hohen Ganzschädelbestrahlung (
>60 Gy) irreversibel geschädigt werden. [23] Besonders diese Hinweise sollten unter
anderem wesentlicher Bestandteil einer Beratung in onkologischen Einrichtungen sein.
So erhalten die Patienten Informationen über den Ablauf der Alopezie und wissen wann
sie ungefähr damit rechnen können, dass die Haare wieder anfangen zu wachsen.
Die Patienten reagieren sehr unterschiedlich auf diese Nebenwirkung. Besonders für
Frauen stellt dies oft eine der belastendsten Nebenwirkungen der Therapie dar. So wird
für sie ihre Erkrankung „öffentlich“ gemacht. Außerdem scheinen die Haare oft ein
Bewertungszeichen für Attraktivität zu sein. Wenn die Patienten erfahren, dass bei ihrer
Therapie eine Alopezie wahrscheinlich ist, sollten sie dies mit dem Partner
thematisieren. Die Patienten können sich dann z. B. schrittweise einer Kurzhaarfrisur
annähern und den endgültigen Schritt, einer komplette Rasur, eventuell mit ihrem
Partner zusammen durchführen.
Viele Patienten spiegeln das Entfernen der Haare vor der Therapie als weniger
belastend, im Vergleich zu dem Miterleben des langsamen Haarausfalls. Zeigen sich
dennoch Probleme oder Schamgefühle sich dem Partner haarlos zu zeigen, helfen
spezielle Klebstoffe für Perücken dabei, dass bei sexuellen
verrutscht.
12
Aktivitäten nichts
Sexualität in der Onkologie
5.2 Lustlosigkeit
Je nach Krebserkrankung, Stadium, Behandlungsart und ganz besonders je nach
individuellen Befinden, kann sich eine Lustlosigkeit unterschiedlich ausprägen. Das
sexuelle Verlangen spielt am Anfang einer Therapie eine eher untergeordnete Rolle. Mit
der Zeit wird es aber zum Thema werden. Ursachen für eine sexuelle Lustlosigkeit
können neben seelischen Belastungen, Nausea, Hormonschwankungen das zuvor
beschriebene veränderte Körperbild und Schmerzen auch Fatigue sein.[24] Als Fatigue
wird die zunehmende pathologische Ermüdbarkeit im Rahmen der onkologischen
Therapie bezeichnet, welche bei über zwei Drittel der Patienten auftritt. [25]
Zusätzlich hemmen bestimmte Medikamente die Libido. Beispiele dafür wären:
Benzodiazepine,
Neuroleptika,
Metoclopramid,
Antidepressiva
(Serotonin-
Rückaufnahmehemmer), Antihistaminika und Kortisonlangszeitbehandlung. [26]
Ratschläge zur Verminderung der Lustlosigkeit:
1.) Miteinander reden: Der Patient sollte versuchen mit dem Partner über die
aktuelle Situation zu reden. Nicht allein nur über Gründe, warum aktuell kein
Bedürfnis nach Sex besteht, sondern auch über mögliche Wünsche und
Bedürfnisse. Falls es schwer fällt das Thema anzusprechen, können Paare sich
Hilfe bei Sexualtherapeuten suchen.
2.) Den Kopf entlasten: Durch Entspannungsübungen wie Autogenes Training, Yoga
und Traumreisen kann Stress vermindert werden, da sich emotionale und
geistige Belastungen negativ auf die Lust auswirken.
3.) Erotische Fantasien: Wenn das Paar dafür offen ist, können Erotikmagazine und
Filme die Lust auf Sexualität wieder aufflammen lassen. Auch Wünsche, die
eventuell als peinlich empfunden werden, können so angesprochen werden.
4.) Partnermassagen: Oft hilft es, wenn vorher abgemacht wird wo man sich
berühren darf, besonders in Bezug auf Narben oder Amputationen. Außerdem
kann es hilfreich und zudem erotisierender sein, wenn sich beide Seiten einig
sind, dass der Geschlechtsakt nicht vollzogen wird. Dies nimmt den Druck
beider Seiten.
5.) Selbststimulierung: Da eine Tumorerkrankung oft mit einer Körperbildstörung
13
Sexualität in der Onkologie
verbunden ist, kann es helfen, vorerst alleine seinen Körper neu zu entdecken.
Auch wenn es in manchen Kulturen und Religionen als „schädlich“ bezeichnet
wird, ist es eine natürliche Möglichkeit sexuelle Lust zu erleben. Dies bedeutet
gleichzeitig positive Gefühle gegenüber des eigenen Körpers zu erfahren.
6.) Professionelle Massagen: Steigern die eigene Körperwahrnehmung.
7.) Sinnliche Atmosphäre schaffen: Kerzenlicht, Lieblingsmusik und dezente Düfte.
8.) Hormonbehandlung: Gibt es in Form von Tabletten, Spritzen, Pflaster und Gele.
Nur sinnvoll wenn der Testosteronspiegel zu niedrig ist. Diese Form der Behandlung
muss gemeinsam mit dem Arzt entschieden werden, da es Tumore gibt, die
hormonabhängig wachsen. (bei Prostata-Ca) [24]
5.3 Vaginale Beschwerden
Vaginale Beschwerden können sich aufgrund psychische und physische Ursachen
entwickeln. Oft beeinflussen die Ursachen sich gegenseitig.
1.) Trockene Intimschleimhäute:
Eine mangelnde Feuchtigkeit ist die Folge einer Atrophie der Intimschleimhäute. Diese
kann durch Östrogenmangel (Ovarektomie/Antihormontherapie), Bestrahlungen oder
durch neurotoxischen Nebenwirkungen bestimmter Chemotherapien entstehen.
Aber auch sexuelles Desinteresse kann sich durch trockene Schleimhäute bemerkbar
machen. Hier kann ein klärendes Gespräch mit dem Partner hilfreich sein.
Weitere Empfehlungen können sein:
 wasserlösliche, unparfümierte Gleitgele (keine fetthaltigen Lösungen benutzen,
denn diese begünstigen Mykosen und Entzündungen
 Beratung durch den Gynäkologen bzgl. östrogenhaltiger Salben
(Kontraindikation = hormonabhängiger Tumor) [27]
2.) Vaginitis/Vulvitis/Mykosen
Patientinnen sollten darüber aufgeklärt werden, dass sie sich bei Anzeichen von
Labienschwellungen, ungewöhnlichen Ausfluss, Juckreiz, Brennen oder Schmerzen im
Genitalbereich bei dem behandelnden Arzt melden sollen.
14
Sexualität in der Onkologie
Gerade bei Patienten, die mit einer hochdosierten Chemotherapie (Methotrexat,
Fluorouracil) behandelt werden oder die sich in einer Immunsupression oder
Granulozytopenie befinden, ist das Risiko einer Infektion erhöht.
Bei der Bestrahlung im Beckenbereich kann je nach Dosis und Dauer eine radiogene
Kolpitis entstehen. Die Dauer der Infektion richtet sich nach der Art der Bestrahlung. So
kann bei der perkutanen Bestrahlung die Infektion der Intimschleimhaut ein paar Tagen
anhalten, während bei der intrakavitären Bestrahlung die Infektion bis zu Wochen
vorhanden sein kann. Die Behandlung kann neben den vom Arzt verschriebenen lokal
und systemisch wirksamen Antibiotikum, auch folgenende pflegerische Maßnahmen
beinhalten:

regelmäßige Kontrollen mittels Handspiegel

pH-neutrale wasserlösliche Waschutensilien

Kamillosan-Duschen; Sitzbäder werden nicht empfohlen

nach dem Toilettengang mit Einmaltüchern abtupfen oder abduschen, kein
Toilettenpapier benutzen

kalt föhnen wird als angenehm empfunden

regelmäßiges Wechseln der Slipeinlage

lokal Lidocaingel und orale Schmerzmittel nach Anordnung

kein Geschlechtsverkehr bis zu Abheilung

Partner aufklären und Ausschließen einer Ansteckung [28]
3.) Elastizitätsverlust der Vagina
Durch Operationen, Nähte oder einer intrakavitären Bestrahlung im Becken- und
Genitalbereich kommt es zur Einschränkung der Dehnbarkeit und einer Verkürzung der
Scheide. Um diesem Elastizitätsverlust der Vagina entgegenzuwirken, kann folgendes
unternommen werden:

Einhaltung der empfohlenen sexuellen Enthaltsamkeit, danach regelmäßiger
Genitalverkehr

östrogenhaltige Salbe nach Arztanordnung

Benutzung von Gleitgel

Benutzung von Vaginaldilatoren oder Vaginaltrainer (siehe Anhang 9.2)
15
Sexualität in der Onkologie

Beratung durch den Gynäkologen / Sexualtherapeuten

evtl. chirurgische Maßnahmen [27]
4.) Vaginismus
Die Verkrampfung der Scheide hat oft psychische Belastungen und Ängste als Ursache.
Daher steht in diesem Fall die fachliche Beratung durch den Frauenarzt und evtl. durch
den Sexualtherapeuten im Vordergrund. Außerdem sollte der Partner durch offene
Gespräche mit in das Thema einbezogen werden.
Alle genannten vaginalen Beschwerden haben eine Dyspareunie zur Folge, die die
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr beschreiben. Neben den bereits aufgelisteten
Maßnahmen, kann auch das Ausprobieren verschiedener Stellungen hilfreich sein. Zum
Beispiel kann die Frau die Intensität und den Rhythmus beim Koitus selbst bestimmen,
in dem sie oben liegt. Oder der Mann liegt hinter seiner Partnerin. So können nicht nur
Schmerzen reduziert, sondern auch „kritische“ Stellen verborgen werden (verändertes
Körperbild). [27]
5.4 Erektile Dysfunktion (ED)
Eine ED beschreibt die Unfähigkeit eine, für den Geschlechtsakt ausreichende, Steifheit
des Glieds zu erreichen bzw. aufrecht zu erhalten. [29] In den Köpfen der meisten
Menschen (besonders bei den Männern selbst) wird die Erektion als Synonym für
Potenz (lat. Potentia = Kraft) in Verbindung gebracht. [29] Aufgrund dessen äußern
wahrscheinlich viele Männer einen Verlust der Männlichkeit, wenn sie unter einer ED
leiden. Mögliche Ursachen können sein: [30]
allgemein:
Herz- und Gefäßerkrankungen, Über- /Untergewicht
psychisch:
Depressionen, Versagensängste, Stress, Unattratkivität
toxisch:
Medikamente (Antiepileptika, Psychopharmaka), Alkohol,
Nikotin, Drogen
gefäßbedingt: Arteriosklerose, Beckenfraktur nach Trauma
endokrin:
Testosteronmangel
16
Sexualität in der Onkologie
neurologisch: Querschnittverletzung, Nervenschädigung
organisch:
Peniskarzinom, nach beckenchirurgischen Eingriffen
(Prostatektomie, Zystektomie, Rektumextirpation etc. )
Erst durch die genaue Anamnese seitens des Arztes kann eine geeignete Therapie
erfolgen. Je nach Ursache variiert auch die Behandlungsform. Wichtig dafür ist die
Offenheit und Ehrlichkeit des Betroffenen, denn nur so kann das Problem bestmöglichst
behoben werden. Manchmal reicht eine Lebensumstellung (Gewichtsab- bzw. zunahme,
Vermeidung von Noxen), eine Medikamentenumstellung oder eine psychologische
Behandlung (Psychoonkologe/Sexualtherapeut) aus, um eine vollständige Erektion
wieder zu erlangen. Dennoch können, besonders bei den physischen Ursachen,
Hilfsmittel eingesetzt werden:
1.) Phosphodiesterase-5-Hemmer: Die bekanntesten Vertreter dieser Gruppe sind
Sildenafil (Viagra®), Vardenafil (Levitra®) und Tadalafil (Cialis®). Diese
Präparate hemmen den Abbau von cGMP (zyklisches Guanosinmonophosphat),
wodurch es zur Vasodilatation in den Schwellkörpern kommt. Der Eintritt der
Erektion kann nach ca. 30 Minuten erwartet werden.
2.) SKAT-Therapie: Die Schwellkörperautoinjektionstechnik erfolgt durch Injektion
von vasoaktiven Substanzen (Prostaglandine) in den Schwellkörper vom Penis
kurz vor dem Sex, Eintritt der Erektion nach 10-20 Minuten.
3.) MUSE-Therapie: Das Medikamentöse Urethrale System zur Erektion beinhaltet
die Applikation von Prostaglandin-Pellets direkt in die Harnröhre. Eintritt der
Erektion wird nach wenigen Minuten erwartet.
4.) Testosteroneinnahme bei nachgewiesenem Androgenmangel
5.) Vakuumpumpe mit Penisring: Der über den Penis gestülpte Kunststoffzylinder
erzeugt einen Unterdruck, wodurch das Blut vermehrt in den Penis strömt. Bei
gewünschter Erektion verhindert der Ring ein zu rasches Zurückfließen. Die
maximale Anwendungsdauer beträgt 30 Minuten.
6.) Penisprothesen: Schwellkörperimplantate werden selten durchgeführt, meist
wenn die oben genannten Verfahren nicht (mehr ) in Frage kommen. Es gibt
17
Sexualität in der Onkologie
diese als biegsame Silikonprothesen oder hydraulische Implantate. Letzteres
kann durch eine Pumpvorrichtung die Erektion verursachen.
Die Benutzer der oben genannten Methoden sollten über die Nebenwirkung eines
Priapismus aufgeklärt werden. Dieses bedeutet eine schmerzhafte Dauererektion,
welche aufgrund der irreversibel Schädigung des Penisgewebes zu einem urologischen
Notfall werden kann. Um medizinische Interventionen (z.B. Medikamentengabe und
Anlage eines Shunts) frühzeitig einzuleiten, sollte schnell ein Arzt aufgesucht werden.
[31]
5.5 Ejakulationsstörungen
Neben der ED sind auch Ejakulationsstörungen für Männer ein oft schwerwiegend
empfundener Verlust der Männlichkeit. Vor allem bei Prostataoperationen tauchen diese
Beschwerden auf, da es neben der Samenblase die Drüse ist, die einen Teil der
Samenflüssigkeit produziert.
1.) Vorzeitiger Samenerguss ( Ejaculatio praecox)
Hierbei handelt es sich um den unwillkürlichen Orgasmus vor, bei oder kurz nach der
Penetration. Mögliche Ursachen dafür können eine längere sexuelle Enthaltsamkeit,
Stress, Erfolgsdruck oder Erektionsstörungen sein. Unter anderem hilft das Definieren
und Minimieren der Ursachen, zum Beispiel durch Gespräche mit dem Partner und/oder
mit einem Sexualtherapeuten.
Hilfsmittel wie aktverlängernde Kondome oder Cremes können zusätzlich benutzt
werden, da diese die Empfindungsfähigkeit herabsetzen. Diese Cremes beinhalten
Lokalanästhetika, die 15-20 Minuten vor dem Geschlechtsverkehr auf dem Penis
aufgetragen werden. [32] Auch durch Masturbation mit der „Start-und-Stopp-Technik“
lässt sich der verzögerte Orgasmus teilweise antrainieren. Hierbei wird der Samenerguss
erst provoziert und dann kurz vor dem Einsetzen unterdrückt. [33]
2.) Retrograde Ejakulation
Eine Fehlfunktion des inneren Blasenschließmuskels ist häufig die Ursache für einen
18
Sexualität in der Onkologie
rückwärts in die Harnblase gerichteten Samenerguss. Diese kann iatrogen (Operationen
Prostata/Becken) oder durch neurogene Schädigungen entstehen. Das Ejakulat wird bei
der nächsten Miktion ausgeschieden. Bei dem Orgasmus und dem Geschlechtsakt selbst
hat die retrograde Ejakulation keine größeren Auswirkungen. Es kann eher zu
Problemen beim Kinderwunsch kommen.
3.) Anejakulation
Der fehlende Samenerguss muss nicht zwangsläufig mit einem fehlenden Orgasmus
gekoppelt sein. Ursachen hierfür können sein: Der Verlust der Prostata und Samenblase,
die Bestrahlung in diesem Gebiet oder auch Schädigung der Nerven, die für die
Spermaausstoßung zuständig sind.
5.6 Harninkontinenz
Der unkontrollierte Verlust von Urin ist oft eine Folge von gynäkologischen oder
urologischen Operationen im Beckenbereich (Prostata-, Blasen-, Zervixkarzinomen).
Frauen leiden aufgrund ihrer anatomischen Beschaffenheiten (kürzere Urethra) und
einer beanspruchten Beckenbodenmuskulatur durch Schwangerschaften, häufiger unter
einer Harninkontinenz als Männer. Da Östrogen für eine bessere Durchblutung der
Blasenmuskulatur und somit für eine höhere Verschlussfähigkeit sorgt, wirkt sich ein
Mangel des Hormons zusätzlich auf die Inkontinenz aus.
Neben den geläufigen Inkontinenzformen ( Belastungs- /Drang- /Reflex- und
Überlaufinkontinenz), gibt es auch die Bildung von Harnfisteln, die zu einem nicht
steuerbaren Urinabgang führen können. Dabei ist es zu einer Verbindung zwischen dem
harnableitenden System und der Vagina oder des Rektums gekommen. Dies entwickelt
sich oft als Folge von Bestrahlungen im Beckenbereich.[34]
Alle Formen der „Blasenschwäche“ können Auswirkungen auf das Intimverhalten
haben. Patienten befürchten, dass sie bei Erregung zum Beispiel „tröpfeln“.[ 35]
Besonders Männer fühlen sich durch das Tragen von Vorlagen als weniger sexuell
begehrenswert und meiden aus Scham den intimen Kontakt zur Partnerin. [13] Daher ist
es wichtig, dass auch diese Beschwerden bei einer auftretenden Inkontinenz dem Arzt
19
Sexualität in der Onkologie
offen mitgeteilt werden, um Interventionen dagegen einzuleiten.
Diese
könnten
beispielsweise
Beckenbodentraining
mittels
Physiotherapie,
Vaginalkonen (kleine Gewichte die bei Belastungsituationen in der Scheide festzuhalten
sind) oder Biofeedback-Verfahren ( elektronische Stimulierung der Muskulatur) sein. Je
nach Form der Urininkontinenz können auch Operationen in Betracht kommen.
Außerdem ist es sinnvoll vor dem Intimverkehr die Toilette aufzusuchen, um die Angst
vor dem unwillkürlichen Urinabgang beim Geschlechtsverkehr zu verringern. [34]
5.7 Tumorgeruch
Die Sexualität erlebt der Mensch oft mit allen Sinnen. Natürlich ist auch der
Geruchssinn stark ausgeprägt, was manchem Patienten ein Problem bereitet. Denn
besonders bei exulcerierenden Wunden, wie vor allem beim Mammakarzinom und bei
Tumoren im HNO-Bereich, können unangenehme Gerüche entstehen und diese die
Stimmung beeinträchtigen.
Die psychische Belastung der HNO-Tumorpatienten ist schwer vorstellbar. Nicht nur,
dass bei vielen Betroffenen die Erkrankung immer sichtbar ist, sondern auch der oft
resultierende Foetor ex ore (Mundgeruch) kann belastend sein. Um diesen zu verringern
sollten die Patienten in eine gewissenhafte Mundhygiene geschult werden. Außerdem
kann durch Einnahme von Chlorophyll (Stozzon®) die Geruchsbildung reduziert
werden.
Bei den exulcerierenden Wunden sind oft palliative Patienten betroffen. Auch wenn in
dieser Lebensphase der Geschlechtsverkehr für viele keinen hohen Stellenwert mehr
hat, so ist die körperliche Zuwendung von Angehörigen doch oft ein starkes Bedürnis.
Um störende Faktoren wie den Geruch zu minimieren, hat das moderne
Wundmanagement spezielle Auflagen entwickelt. Diese können beispielsweise viel
Exsudat aufnehmen oder den Geruch binden (Kohleabsorber).
Bei der Herausforderung der Behandlung von exulcerierenden Wunden darf nicht
vergessen werden, dass diese trotz aller Empathie und Verständnis für die Angehörigen
und das Pflegepersonal ebenfalls eine Belastung darstellen könnte. Das Pflegepersonal
20
Sexualität in der Onkologie
kann
zum
Beispiel
dem
nahestehenden
Personenkreis
des
Patienten
Gesprächbereitschaft anbieten, um offen über Ängste, Hilflosigkeit, Unbehagen und
auch Ekel zu sprechen.
Um eine stabile Partnerschaft zu fördern, kann es oft hilfreich sein, wenn dem Partner
die Aufgabe des Verbandwechsels abgenommen wird, oder er die Wahlmöglichkeit
erhält, beim Verbandswechsel das Zimmer zu verlassen. [36]
Weitere allgemeine Möglichkeiten zur Geruchsminderung können das Spülen mit
Metronidazol nach Arztanordnung und regelmäßige Verbandswechsel sein. Bei der
Auswahl an Duftölen sollte man auf süßliche Düfte verzichten, da diese den
unangenehmen Geruch oft verstärken. Effektiver ist die Benutzung von anderen
Geruchsbinder wie z.. B. Nilodor ® oder ein Schälchen mit Kaffee. [37]
6.) Verhütung
In erster Linie ist es aufgrund der toxischen Wirkung der Chemotherapie und der
Nebenwirkungen der anderen Säulen der Tumortherapie wichtig, eine sichere
Empfängnisverhütung während der Therapie anzuwenden.
Neben den Barriere-Methoden, wie Kondome oder dem Diaphragma, müssen andere
Verhütungsmaßnahmen gut mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, denn einige
hormonhaltige Mittel sind bei hormonabhängigen Tumoren kontraindiziert. [38] Des
Weiteren sollten Patientinnen mit einem Darmstoma mit ihrem Gynäkologen über die
Einnahme der Antibabypille sprechen. Die Resorption kann bei den Betroffenen gestört
sein und somit ist eine Verhütung nicht mehr ausreichend. [39]
Andere nicht-hormonelle Kontrazeptiva, wie zum Beispiel die Basaltemperaturmessung
und Coitus interruptus, sind aufgrund der Effektivität zu überdenken, da besonders
durch Infekte oder der B-Symptomatik die Temperatur schwanken kann. [40] Allgemein
wird gesagt, dass Betroffene bis zu zwei Jahre nach der abgeschlossenen Therapie
warten sollten, bevor ein Kinderwunsch in Betracht gezogen wird. [41]
21
Sexualität in der Onkologie
7.) Schlusswort
Die einzelnen Faktoren, die sich auf die Sexualität während und nach einer
Krebserkrankung auf das körperliche wie auch das seelische Wohlbefinden des
Menschen auswirken können, wurden nun beleuchtet. Zusammenfassend wird deutlich,
dass die sexuelle Zufriedenheit eines Paares am meisten von dem Ausmaß der
enstandenen Läsionen abhängt. [42]
Oft habe ich während meiner Recherchen gelesen, dass der Betroffene sich mit seinem
Partner offen über Gedanken, Gefühle und Wünsche austauschen soll. Dabei kam mir
der Gedanke, dass dies nicht für jedes Paar so umsetzbar ist.
Viele Paare haben wahrscheinlich auch schon vor dem Ausbruch der Erkrankung kaum
über Sex, intime Themen oder sexuelle Wünsche geredet. Von den Menschen kann man
schlecht erwarten, dass sie nun offen darüber reden möchten/können. Dies kann man
auch auf das Pflegepersonal beziehen, das eventuell auch Hemmungen hat, mit dem
Patienten über dieses Thema zu reden.
Hier komme ich wieder auf das Zitat aus der Einleitung zurück: Jeder Mensch pflegt
seinen eigenen Umgang mit seiner Sexualität und hat individuelle Erwartungen und
Wünsche. Somit hat auch jeder Patient ein Recht auf einen individuellen
Beratungsansatz, aber auch das Recht dies abzulehnen.
Auch ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zum Patienten und dessen Partner
abhängig von der Umgebung und Atmosphäre im Krankenhaus. Es ist durchaus
schwierig, ein positives Grundvertrauen aufzubauen und angenehme Situationen zu
schaffen, um mit dem Patienten über solche intimen Themen zu sprechen. Denn die
frühzeitigen Informationen über das vielfältige Angebot würden eine Chronifizierung
sexueller Störungen vorbeugen. [13] Mein Fazit von den Recherchen:
Mit viel Einfühlungsvermögen, dem Siganlisieren der Gesprächsbereitschaft und dem
Verweis auf Informationsmaterial, Sexualtherapeuten und Selbsthilfegruppen können
wir den Anfang zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Sexualität in der Onkologie“
schaffen und somit den Betroffenen helfen, ein ausgefülltes Sexualleben nach der
Diagnose Krebs wiederzuerlangen!
22
Sexualität in der Onkologie
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Sexualität in der Onkologie
9.) Anhang
9.1) Dessous für Stomaträger
www.life-care-products.de/produkte-damen.html
www.stoma-na-und.de
27
Sexualität in der Onkologie
www.viktoriafashion.com
9.2) Vaginaldilator
Durch Bindegewebsvermehrung auf dem Schleimhautgewebe, der verminderten
Elastizität, den Schmerzen und den psychischen Belastungen, wie Angst, kann es zum
Vaginismus bei Bestrahlung im Intimbereich kommen. Aufgrunddessen wurde vom
National Forum of Gynaecological Oncology Nurses (NFGON) Richtlinien bei
Patientinnen
in
der
Strahlentherapie
verfasst,
welche
vorwiegend
an
Gynäkologiepatientinnen zum Einsatz kommen. Aber auch für Patientinnen, die im
Beckenbereich bestrahlt werden, kann es in Betracht kommen. Die
vaginalen
Veränderungen können in den nächsten 5 Jahren nach der Behandlung auftreten und
durch Benutzung des Vaginaldilators und durch regelmäßigem Geschlechtsverkehr
reduziert werden. Zum genauen Startpunkt der Dilatation gibt es verschiedene Angaben.
Oft wird eine Spanne von 2 bis 4 Wochen nach der Behandlung als Erholungszeit für
die Scheidenschleimhaut eingeräumt. Im Folgendem einige Anwendungshinweise:
ausführliche Schulung durch Ärzte / qualifiziertes Pflegepersonal, evtl. mit
Partner
am Anfang am besten mit der kleinsten Größe beginnen
mindestens dreimal wöchentlich (erforderliche Frequenz kann auch mit
Geschlechtsverkehr kombiniert werden) für ca. 5 bis 10 Minuten
entspannte, ruhige Atmosphäre
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Sexualität in der Onkologie
Muskeln des Beckenbodens müssen entspannt sein (liegend, stehend)
Partner kann mit einbezogen werden
wasserlösliches Gleitmittel vorher auftragen
Einführung mit sanften Druck, ohne Gewalt
einige Male nach vorne und hinten schieben, dann von links nach rechts drehen
langsam durch drehende Bewegungen entfernen
wenn nach mehrmaliger, problemloser Durchführung kann auf die nächste
Größe umgestellt werden
Ausfluss und leichte Blutung können bei der Verwendung auftreten, wenn diese
aber zu stark werden bzw. starke Schmerzen auftreten Abbruch der
Durchführung und Vorstellung beim verantwortlichen Arzt
http://www.dynamicare.ch/images/dynamicare/dokumente/Richtlinien_fuer_die_beste_
Praxis_Anwendung_Amielle.pdf
29
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