M E D I Z I N DISKUSSION Traum und Realität in der Melatoninforschung Tumorhemmende Wirkung nachgewiesen Zum einen stimme ich mit den Autoren überein, daß dem Hormon Melatonin viel Wunderbares nachgesagt wird, für dessen Richtigkeit noch keinerlei überzeugende Beweise vorliegen (2). Zum anderen muß ich jedoch der Aussage widersprechen: „. . . kein Vergleich mit bereits etablierten antikanzerogenen Substanzen angestellt wurde.“ Ich möchte die Verfasser hier auf die Übersichtsarbeit von Bartsch et al. aus dem Jahre 1991 hinweisen (1). Schon 1988 wurde in vitro eine deutlichere tumorwachstumshemmende Wirkung von Melatonin bei östrogenabhängigem Mammakarzinom gegenüber dem Antiöstrogen Tamoxifen publiziert. Zur schlafinduzierenden Wirkung des Melatonins liegen eine Reihe solider klinischer Untersuchungen vor, weshalb sich hier sicherlich eine erste Indikationsstellung für Melatonin oder einen Agonisten ergeben wird. Literatur 1. Bartsch Ch, Lippert Th: Bedeutung der Zirbeldrüse bei Reproduktion und gynäkologischen Tumoren. Geburtsh Frauenheilk 1991; 51: 1–8. 2. Pierpaoli, Regelson: Melatonin, Schlüssel zu ewiger Jugend, Gesundheit und Fitneß. München: Goldmann Verlag, 1996. Dr. med. Thomas Lukowski Dirschauer Straße 55 81929 München Schlußwort Die in unserem Übersichtsreferat getroffene Feststellung, daß in den meisten tierexperimentellen Untersuchungen zur tumorhemmenden Melatoninwirkung keine etablierten antikanzerogenen Substanzen mitgetestet wurden, ist korrekt; sie läßt sich sogar dahingehend präzisieren, daß derzeit keine aussagefähige experiA-54 mentelle Vergleichsstudie zur Verfügung steht. Versuche, die Melatoninwirkung derjenigen von Tamoxifen gegenüberzustellen, waren bisher wenig informativ; sie lassen keine gültige Beurteilung eines antikanzerogenen Melatonineffektes zu. So berichteten Blask und Hill (1) von In-vitro-Untersuchungen an Gewebekulturen menschlicher Mammakarzinomzellen (MCF-7-Zellen), in denen Melatonin eine erheblich stärkere Hemmwirkung auf das Zellwachstum als Tamoxifen entwickelte – ein Ergebnis, das häufig in ÜberZu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Theodor H. Lippert, Dr. rer. nat. Harald Seeger und Dr. med. Dr. rer. nat. Alfred O. Mueck in Heft 28–29/1998 sichtsarbeiten, auch von uns, zitiert wurde (2). Leider stellte sich später heraus, daß MCF-7-Zellen im allgemeinen nicht auf Melatonin ansprechen. Dieselbe Arbeitsgruppe hat auch in In-vivo-Untersuchungen bei der Ratte (3) den Versuch unternommen, die Melatoninwirkung mit der von Tamoxifen zu vergleichen. Ohne Bestimmung von Dosis-Wirkungsbeziehungen – Tamoxifen wurde nur in einer Dosis getestet – ist die gemachte Aussage, daß beide Substanzen gleiche Wirkstärke entfalten, nicht möglich. Es erschienen in der Folgezeit noch einige weitere Arbeiten über Melatonin und Tamoxifen, die teilweise über kontroverse Reaktionen beider Substanzen berichten. So wurde in Melanomzellkulturen sogar eine Stimulation des Wachstums durch Melatonin und nur durch Tamoxifen eine Hemmung beobachtet (4). Das Zitieren von Ergebnissen über tumorhemmende Melatoninwirkungen ohne auf Einzelheiten der Untersuchungen einzugehen, läßt meist ein falsches Bild über den Mela- (54) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 1–2, 8. Januar 1999 tonineffekt aufkommen. Die doch sehr widersprüchlichen Melatoninreaktionen – es existieren sowohl Hinweise für tumorstimulierende als auch tumorhemmende Wirkungen – lassen nicht den Schluß zu, daß Melatonin ein antikanzerogenes Hormon ist. Lediglich die Schlafwirkung scheint eine gewisse Aussicht auf eine therapeutische Anwendbarkeit zu besitzen; bei krebskranken Patienten sollte die Substanz aus Sicherheitsgründen keine Verwendung finden. Literatur 1. Blask DE, Hill SM: Melatonin and cancer: basic and clinical aspects. In: Miles A, Philbrick DRS, Thompson C, eds.: Melatonin: Clinical Perspectives. Oxford: Oxford Medical Publications, 1988. 2. Bartsch Ch, Bartsch H, Lippert TH: Bedeutung der Zirbeldrüse bei Reproduktion und gynäkologischen Tumoren. Geburtsh Frauenheilk 1991; 51: 1–8. 3. Blask DE, Pelletier DB, Hill SM, LemusWilson A, Grosso DS, Wilson ST, Wise ME: Pineal melatonin inhibition of tumor promotion in the N-nitroso-N-methylurea model of mammary carcinogenesis: potential involvement of antiestrogenic mechanisms in vivo. J Cancer Res Clin Oncol 1991; 117: 526–532. 4. Helton RA, Harrison WA, Kelley K, Kane MA: Melatonin interactions with cultured murine B16 melanoma cells. Melanoma Res 1993; 3: 403–413. Prof. Dr. med. Theodor H. Lippert Sektion Klinische Pharmakologie in Gynäkologie und Geburtshilfe Universitäts-Frauenklinik Schleichstraße 4 72075 Tübingen Normierende Texte Normierende Texte (Empfehlungen, Richtlinien, Leitlinien usw.) können im Deutschen Ärzteblatt nur dann publiziert werden, wenn sie im Auftrag von Bundesärztekammer oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als Herausgeber oder gemeinsam mit diesen erarbeitet und von den Herausgebern als Bekanntgabe klassifiziert und der Redaktion zugeleitet wurden.