Von der Papptafel zum PolaSkop3D (Teil 1)

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SCHWERPUNKTTHEMA REFRAKTION+OPTOMETRIE | TECHNIK
Von der Papptafel
zum PolaSkop3D (Teil 1)
Was können die neuen Sehzeichengeräte mehr? Lohnt sich ein Umstieg?
Die Vorgehensweise zu Bestimmung der Fehlsichtigkeit eines Probanden ist seit
über 100 Jahren weitgehend unverändert. Die letzte große Errungenschaft war die
Kreuzzylindermethode von Edward Jackson aus dem Jahre 1907. Jeder Schritt ist
mehrfach hinterfragt, mathematisch und empirisch bewiesen. Diesen Erfahrungsschatz sollten wir nutzen. Die meisten Menschen sehen jedoch mit beiden Augen,
dem müssen wir Rechnung tragen und deshalb möglichst alle Werte wie Sphäre,
Zylinderstärke und Achse auch binokular bestimmen.
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Der Begriff axiale Refraktion bezeichnet in der Optometrie und Augenheilkunde den Brechwert der optischen
Korrektur, mit der zusammen ein Auge ohne Akkommodation ein scharfes Bild eines in unendlicher Entfernung
befindlichen Objekts erzeugt. Ist dieser Wert Null, spricht
man von Normalsichtigkeit oder Emmetropie, ansonsten
von einer Ametropie. Lachenmayr hingegen definiert
die Refraktion als den Kehrwert des Fernpunktabstandes
eines akkommodationsfreien Auges, was aber indirekt
zum selben Ergebnis führt.
von Lars-Erik Stelzer
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ur Refraktionsbestimmung benötigen wir nicht nur
einen Phoropter oder eine Probierbrille, sondern auch
eine Sehzeichendarbietung. Früher gab es nur die Möglichkeit einzuschätzen, wie gut das Auge mit verschiedenen
Brillenglasstärken kleine Buchstaben unterscheiden kann.
Heute sprechen wir von Refraktionsmarketing, und da müssen
deutlich höhere Anforderungen an das Sehzeichengerät
gestellt werden.
Wie fing alles an?
Die ersten Sehzeichendarstellungen sind wohl im Mittelalter
benutzt worden, aber erst 1843 thematisierte der Darmstädter
Augenarzt Heinrich Küchler die Standardisierung von Sehzeichen und entwickelte drei Tafeln mit Sehzeichen. Leider ist
der Ansatz danach wieder in Vergessenheit geraten. Erst 1861
experimentierte der niederländische Augenarzt Herman
Snellen mit Sehzeichen in einem 5er Raster und entwickelte
1862 die erste Buchstabentafel mit einer sehr prägnanten
Schriftart (Abbildung 1). Er nannte diese Zeichen „Optotypes“.
Sie verbreiteten sich sehr schnell um die ganze Welt.
Snellen und der Schweizer Augenarzt Edmund Landolt stellten
in einer gemeinsamen Arbeit 1874 fest, dass nicht alle Buchstaben der Snellentafel sich gleich gut erraten lassen. Landolt
entwickelte den Landolt-Ring, einen Kreisbogen, dessen
Strichstärke und Öffnung ein Fünftel seines Durchmessers hat
(Abbildung 2). Er wurde 1888 vorgestellt, zunächst nur in
Studien eingesetzt und verbreitete sich nur langsam. Heute
ist der Landoltring das Normsehzeichen, alle anderen Sehzeichen werden an diesem kalibriert. Jede neue Schriftart soll
also möglichst den Visus ergeben wie der entsprechende
Landoltring. Da Buchstaben Vorzugsrichtungen haben und
auch nicht alle gleich gut zu erkennen sind, muss empirisch
ermittelt werden, in welcher Ausprägung die neue Schriftart
möglichst nahe an den entsprechenden Landoltring der
gleichen Visusstufe herankommt.
Es drängt sich die Frage auf, warum man nicht ausschließlich
den Landoltring benutzt. Doch außer der exakten Bestimmung der Sehleistung sind noch andere Faktoren wichtig für
die Kommunikation zwischen Proband und Refraktionist. So
Abb. 1: Sehzeichen nach Snellen (Quelle: Wikipedia)
sind rechts/links-Verwechsler nicht selten auf dieser Erde.
Wenn dann der Proband noch in einen Spiegel schaut, der
Refraktionist aber die Sehzeichen spiegelverkehrt direkt sieht,
sind Fehlangaben nahezu vorprogrammiert. Buchstaben und
Zahlen hingegen sind für die Kommunikation sehr einfach.
Da es bei Zahlen nur zehn Varianten gibt, bei Buchstaben
jedoch deutlich mehr, entscheiden sich viele für die Darstellung von Buchstaben zur Visusbestimmung. Die exakte Visusbestimmung ist bei Gutachten von immenser Bedeutung, so
dass in diesem Zusammenhang nur mit diesen genormten
Sehzeichen gearbeitet werden kann.
Allerdings haben manche Menschen beträchtliche Schwierigkeiten mit Buchstaben; der Anteil der Leseschwachen liegt
in Deutschland bei ca. 14%, der Anteil der Analphabeten bei
etwa 4%. Für diese Menschen sind Landoltringe eine wirklich
gute Alternative. Um der rechts/links-Problematik aus dem
Wege zu gehen, können die Richtungen der Öffnung auch
mit der Hand gezeigt werden oder auf einem Lösungsblatt
mit allen Möglichkeiten. Auch bei Kindern sind Landoltringe
gut einsetzbar. Besser sind natürlich Sehzeichen, die weniger
Abb. 2: Landoltring
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abstrakt sind und eher Formen zeigen, die aus der Welt des
Kindes beschrieben werden können oder auf einem Lösungsblatt gezeigt werden können (Abbildung 3).
Die Visusbestimmung in einer Refraktion sollte mehrfach wiederholt werden. Wenn die Sehzeichen einer Visusstufe immer
gleich dargestellt werden, tritt automatisch ein Lerneffekt ein.
Eine Zufallsfunktion verhindert dies. Das bedeutet allerdings
auch, dass der Refraktionist die Lösung mitlesen muss. Das ist
bei Spiegelablesung einfach, das Sehzeichengerät oder die
Projektionsplatte zeigen die Lösung wesentlich größer und
sind über dem Kopf des Kunden angebracht. Bei Direktablesung hingen muss der Refraktionist die gleiche Sehleistung
bringen wie der Kunde, wenn er nicht hin- und herlaufen will.
Abhilfe schafft hier eine elektronische Lösungsanzeige für den
Refraktionisten.
Das Augenpaar
Die Mehrheit der Menschen schaut mit zwei Augen und das
gleichzeitig, verfügt also über ein intaktes Binokularsehen.
Damit ist es uns möglich, Entfernungen sehr fein zu unter-
Abb. 3: Kindersehzeichen
scheiden und Geschwindigkeiten abzuschätzen. Damit das
Augenpaar dies ohne Anstrengung leisten kann, muss dem
Binokularsehen bei der Refraktionsbestimmung besondere
Bedeutung zugemessen werden. Die Tests für das Binokularsehen teilen sich in zwei Gruppen: Tests zum binokularen
Abgleich von Sphäre, Achse und Zylinderstärke und Tests, die
die Stellung des Augenpaares zueinander zeigen und Korrekturen ermöglichen.
Entwicklung der Trennerverfahren
Damit wir die Seheindrücke beider Augen separat messen
können oder eine Tiefenwirkung auf einer zweidimensionalen
Fläche wie der Projektionsplatte oder einem Bildschirm simulieren können, müssen beiden Augen unterschiedliche Bilder
dargeboten werden. Hierfür wurden schon sehr früh Trennerverfahren erfunden. 1838 wurden von Sir Charles Wheatstone
die Sehachsen beider Augen mit Spiegeln auf unterschiedliche
Bilder gelenkt, mit denen eine Tiefenwirkung erzeugt werden
konnte, obwohl die Bilder nur zweidimensional waren. Kurz
darauf wurde das Stereoskop erfunden, bei dem die Bilder der
Gegenseite durch eine undurchsichtige Platte abgeschirmt
wurden (Abbildung 4). Pluslinsen ermöglichten eine akkommodationsfreie Betrachtung von Stereobildern. Das Betrachtungsgerät „Stereoskop“ wurde damals aber nicht zur Messung von
Augen benutzt, sondern zur Belustigung des Publikums.
Willam Rollmann entwickelte 1853 in Leipzig das Anaglyphenverfahren. Linkes und rechtes Stereobild werden dabei in zwei
komplementären Farben übereinander gedruckt (z.B. Rot und
Grün). Mittels einer Filterbrille mit den Folien in den gleichen
Farben kann man die Bilder des rechten und linken Auges
trennen und somit dreidimensional sehen. So braucht man
kein unhandliches Gerät mehr für die Stereobilder, sondern
nur eine leichte Filterbrille. Leider waren mit diesem Verfahren
die Bilder nur einfarbig, die Farben wurden ja zur Trennung
eingesetzt. Genutzt wurde das Verfahren anfänglich in erster
Linie für Lehrbücher der Geometrie, Trigonometrie und Geographie. Mit dem Anaglyphenverfahren wurde dann auch ein
Sehtest erstellt, der Schober-Test zur Heterophorieprüfung.
Abb. 4: Stereoskop (Quelle: Wikipedia)
1932 erfand Edwin Herbert Land aus den USA zeitgleich mit
Kodak die (lineare) Polarisationsfolie. Diese Folie lässt Licht
nur in einer Schwingungsebene durch, in der dazu senkrechten Ebene ist sie undurchlässig. Das menschliche Auge kann
polarisiertes Licht praktisch nicht von unpolarisiertem unterscheiden. Mit zwei dieser um 90° zueinander gedrehten Polfolien vor dem rechten bzw. linken Auge kann man die Bilder
des rechten und linken Auges trennen. Bei den gerade erfundenen Sehzeichenprojektoren wurden aus technischen Gründen die polarisierten Filter so auf die Diapositivscheibe geklebt, dass nur die polarisierten Flächen Licht durchließen,
die anderen waren schwarz (Abbildung 5). Ein Sehzeichen ist
also nur zu sehen, wenn der Polarisationsfilter des Phoropters
in die gleiche Richtung eingestellt war, also Licht durchgelassen hat. War der Filter in der Gegenrichtung, war das Sehzeichen schwarz vor schwarzem Hintergrund, also unsichtbar.
Diese Art der Polarisation, also polarisierte Zeichen vor
schwarzem Hintergrund, nennt man negative Polarisation.
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Parallel entwickelte Hans-Joachim Haase mit dem englischen
TIB Verfahren eigene Tests. Augenoptikermeister Karl Schultze
empfahl, diese Folien zur Trennung der Sehzeichen für dieses
System einzusetzen. Hans-Joachim Haase nahm das auf und
klebte diese Folien in Form geschnitten auf hinterleuchtete
Glasplatten. Mit den gleichen Folien in der Gegenrichtung
wurde das Sehzeichen schwarz dargestellt (Abbildung 6). Das
Gegenauge hatte auch diese Folie, jedoch in gleicher Ausrichtung, und konnte das Sehzeichen nicht sehen. Sehzeichen für
das andere Auge wurden einfach 90° dazu aufgeklebt. Bei
diesem Verfahren ist das Sehzeichen nur zu sehen, wenn der
Polarisationsfilter vor dem Probandenauge in der Gegenrichtung zum polarisierten Sehzeichen steht, es wird schwarz dargestellt. Für das Auge, bei dem der Filter in der gleichen Richtung orientiert ist, ist das Sehzeichen von dem hellen Hintergrund nicht zu unterscheiden, also nicht sichtbar. Diese Art
der Polarisation, also polarisierte Sehzeichen vor hellem
Hintergrund, heißt positive Polarisation.
Die positive Polarisation ist die nicht nur von Haase bevorzugte Darstellungsart, auch in der Fachwelt hat sich diese Mei-
Abb. 5: Negative Polarisation
nung weitestgehend durchgesetzt, da hier weniger Wettstreitphänomene zu erwarten sind als bei der negativen
Polarisation. Aus technischen Gründen konnte das allerdings
in Sehzeichenprojektoren nicht umgesetzt werden.
Seit 1985 sind auch Shutterverfahren verfügbar. Bei diesem
Verfahren werden die Bilder für das rechte und linke Auge
abwechselnd dargeboten. Damit nur das entsprechende Auge dieses Bild sieht, wird das Gegenauge mit einem LCD vollflächig abgeschattet. Das setzt natürlich einen sehr schnellen
Bildwechsel voraus. Anwendung findet das Verfahren z.B. im
Einblicksehtestgerät Binoptometer von Oculus. Wirklich
durchsetzen konnten sich die Shutter bei der Refraktionsbestimmung allerdings nicht.
Das aktuelle Jahrzehnt brachte uns im Kino und auch zuhause mit PC-Monitoren und Fernsehern 3D-Erlebnisse. Sehr
viele unterschiedliche Verfahren wurden dabei entwickelt,
aber nur eines konnte sich durchsetzen: Trennung mit zirkularer Polarisation. Diese Polarisation kann man sich so vorstel-
len, dass sich die Lichtwelle mit einer rotierenden Polarisationsrichtung wie ein Korkenzieher vorwärts bewegt, entweder
rechtsdrehend oder linksdrehend. Die entsprechende Polfolie
im Phoropter lässt nur das Licht gleicher Drehrichtung durch,
Licht entgegengesetzter Drehrichtung nicht. Technisch ist das
ein linearer Polarisationsfilter, der mit einer Verzögerungsfolie
verbunden ist, die entweder in Richtung der Polarisation oder
90° dazu liegt. Diese Folie verzögert das Licht in der einen
Richtung und lässt es in der Gegenrichtung nicht versetzt
durch. Licht, das durch diese Kombination muss, ist zirkular
polarisiert. Die Trennung ist wie bei linearen Polfiltern beschrieben nur dass man die Folien drehen kann, ohne dass
die Trennung schlechter wird. Gerade wenn noch mit der
Messbrille gearbeitet wird, ist das ein großer Vorteil. Denn bei
Trennung mit linearer Polarisation führen schon kleine Verkippungen des Probandenkopfes zur Aufhebung der R/LTrennung. Seit 2014 werden die ersten Sehtestgeräte mit
diesem Trennerverfahren eingeführt.
Vollständige und dauerhafte Trennung ist für alle binokularen
Tests von entscheidender Bedeutung. Bei der Neuanschaf-
Abb. 6: Positive Polarisation
fung sollten hier keine Kompromisse gemacht werden. Positive Polarisation ist der negativen vorzuziehen. Die zirkulare
Polarisation ist der linearen überlegen.
Lesen Sie im zweiten Teil des Artikels, wie es mit der Entwicklung der Sehzeichengeräte weiterging und ob sich ein Umstieg auf diese Geräte lohnt.
Lars-Erik Stelzer ist Augenoptikermeister mit über zehnjähriger
Praxiserfahrung, sowohl traditionell als auch bei einer Augenoptikerkette. Er leitet seit 15 Jahren das Produktmanagement
Equipment bei MailShop.
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