Ausgabe 1 | April 2016 Haut & Diabetes Ein Gemeinschaftsprojekt von & Übersichtsarbeit Kommentierte Fallberichte Interview mit Prof. Augustin Studienkommentar Psoriasis und Typ-2Diabetes – Fakten, die der Dermatologe kennen sollte Wie hätten Sie entschieden? zur Früherkennung von Komorbidität Für Sie zusammengefasst von Prof. Schön >> mehr auf den Seiten 8 & 9 >> mehr auf den Seiten 10-13 >> mehr auf den Seiten 6 & 7 >> mehr auf den Seiten 16 & 17 Editorial Board Prof. Dr. Ulrich Mrowietz Dr. Andreas Pinter Prof. Dr. Diamant Thaçi Prof. Dr. Kristian Reich Dr. Dagmar Wilsmann-Theis Prof. Dr. Matthias Augustin Prof. Dr. Michael P. Schön Dr. Ralph von Kiedrowski Seit etwa 15 Jahren konnten wir Erfahrungen in der Erforschung von immunvermittelten Entzündungs­ erkrankungen wie Psoriasis, Psoriasis-Arthritis und rheumatoide Arthritis sammeln. Doch neben allen wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte auch die Praxis nicht zu kurz kommen: Daher freuen wir uns nun auf die Zusammenarbeit und den direkten Austausch mit Ihnen. Simone Thomsen, Geschäftsführerin Lilly Deutschland Ihre Simone Thomsen Editorial Blickwechsel – Psoriasis im Dialog Neue Publikation soll den interdisziplinären Austausch fördern Liebe Kolleginnen und Kollegen, Psoriasis berührt uns alle. Und unser aller Anliegen ist es, für unsere Patienten die bestmöglichen Behandlungsoptionen zu finden. Angesichts der Komplexität des Krankheitsbildes sind dabei allerdings nicht nur wir als Dermatologen gefragt. Einblicke in benachbarte Fachdisziplinen, verstärkter Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, Erweiterung der eigenen Perspektive – kurzum: ein Blickwechsel kann bei dieser hochkomplexen Systemkrankheit nur hilfreich sein. von Menschen mit Schuppenflechte erkannt und akzeptiert und unsere Schlüsselrolle als Dermatologen häufig genug betont worden. Und doch sehen wir uns tagtäglich der Herausforderung gegenübergestellt, diese Erkenntnisse im Praxisalltag so umzusetzen, dass wir unseren Patienten die für sie notwendigen Behandlungsoptionen auch frühzeitig zukommen lassen. Je nach Komorbidität und angrenzender Fachdisziplin funktioniert dies mal besser, mal schlechter. Vielerorts ist die Vernetzung mit Kollegen, beispielsweise dem fach lösen. Doch sie kann den Blick schärfen, anhand praktischer Fallbeispiele wertvolle Impulse liefern und uns motivieren, den Dialog im Sinne unserer Patienten weiter zu optimieren. Wir, das Editorial Board von „Blickwechsel – Psoriasis im Dialog“, möchten gemeinsam mit Lilly ein Stück dazu beitragen. Die erste Ausgabe widmet sich dem Schwerpunkt „Haut & Diabetes“ und bietet einen Mix aus Experteneinschätzungen, Fallbeispielen aus der Praxis kommentiert vom Diabetologen, praktischen Behandlungstipps, aber auch spannenden Übersichtsarbeiten und Studienkommentaren. Als Ausblick sei verraten: Ausgabe 2 des „Blickwechsels“ wird sich dem Schwerpunkt „Haut & Seele“ widmen. Wir freuen uns über Ihr Feedback zu dieser neuen Publikation, damit wir die nächsten Ausgaben noch besser auf Ihre Bedürfnisse zuschneiden können. Mit der Publikation „Blickwechsel – Psoriasis im Dialog“ möchten wir den Blick richten auf die Psoriasis und ihre Komorbidität. Dank umfassender Aufklärungsarbeit und Fortbildungen in den vergangenen Jahren ist die Relevanz der Komorbidität für die Behandlung Diabetologen oder Psychotherapeuten um die Ecke, noch nicht optimal oder es fehlt an zeitlichen Ressourcen zum Austausch. Uns ist klar: Eine neue Publikation kann diese praktischen Herausforderungen nicht so ein- 3 Viel Spaß und spannende neue Erkenntnisse bei der Lektüre von „Blickwechsel – Psoriasis im Dialog“ wünscht Das Editorial Board Inhalt 2Editorial Board Wir stellen uns vor 3Editorial Blickwechsel – Psoriasis im Dialog Diabetologen-Tipp von Dr. Klepzig >> mehr auf den Seiten 11 & 13 5Prof. Schön im Gespräch ...mit Simone Thomsen, Geschäftsführerin von Lilly Deutschland 6Interview Prof. Augustin Die Früherkennung von Komorbidität bei Psoriasis bleibt auch künftig ein wichtiges nationales Versorgungsziel 8Übersichtsarbeit Dr. Pinter Psoriasis und Typ-2-Diabetes – Fakten, die der Dermatologe kennen sollte 10Fallbericht Prof. Augustin und Dr. Jacobi Diabetesbedingte Komplikationen bei Psoriasis vulgaris et arthropathica PD Dr. Gerdes zur Bedeutung eines individuellen Komorbiditätsscreenings >> mehr auf den Seiten 14 & 15 11KOMMENTAR DR. KLEPZIG Tipps vom Diabetologen 12Fallbericht Dr. Pinter Psoriasisbehandlung bei diabetischem Fuß 13KOMMENTAR DR. KLEPZIG Tipps vom Diabetologen 14interview PD Dr. Gerdes Ein regelmäßiges, strukturiertes Screening des individuellen Komorbiditätsrisikos kann das Optimum für die Patienten herausholen 16Studienkommentar Prof. Schön Für Sie zusammengefasst: Insulinresistenz, Endothelfunktion und Psoriasis 18Ihre Meinung ist gefragt Fallberichte zu Psoriasis & Diabetes >> mehr auf den Seiten 10 & 12 3. USIMPRESSUM 4 Prof. Schön im Gespräch …mit Simone Thomsen, Geschäftsführerin von Lilly Deutschland „Uns geht es um mehr als Medikamente: Wir wollen das Leben der Menschen besser machen.“ Mit der vorliegenden Zeitschrift betritt Lilly Neuland in der Dermatologie und das in zweifacher Hinsicht: Zum einen durch die Unterstützung einer dermatologischen Zeitschrift, ohne selbst derzeit ein dermatologisches Produktportfolio anbieten zu können. Zum anderen durch den Fokus auf die Komorbidität Diabetes und psychische oder auch sexuelle Störungen. Was ist Ihre Motivation als Firma Lilly, ein solches Projekt gemeinsam mit dem Wiley-Verlag ins Leben zu rufen? Wir bei Lilly erforschen seit etwa 15 Jahren die Pathogenese von chronischen, immunvermittelten Erkrankungen wie Psoriasis, Psoriasis-Arthritis und rheumatoide Arthritis. Derzeit testen wir neue Wirkstoffe in umfangreichen klinischen Entwicklungsprogrammen. Wir sind zuversichtlich, in den kommenden Jahren wirksame Behandlungsalternativen anbieten zu können. Heutzutage wissen wir, dass Psoriasis nicht nur eine Hautkrankheit ist, sondern als entzündliche Systemerkrankung unter anderem auch zu Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Depression führen kann. Lilly blickt auf diesen Gebieten auf eine lange Historie zurück: Die Firma wurde vor rund 140 Jahren von Colonel Eli Lilly gegründet, der sich der Entwicklung und Herstellung qualitativ hochwertiger Medikamente verschrieben hat, die die Patienten dringend benötigten. Viele unserer Medikamente gehören zu den Vorreitern in ihrer Klasse, insbesondere in der Diabetologie, wie beispielsweise das erste industriell gefertigte Insulin, aber auch bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen. Doch unsere langjährige Forschungsexpertise ist nur ein Aspekt. Vor allem haben wir Erfahrungen mit den Bedürfnissen von Menschen mit Diabetes oder psychischen Erkrankungen gesammelt. Diese nehmen wir sehr ernst. Wir möchten sie bei unserer Arbeit stets mit einbringen und dadurch einen kleinen Beitrag leisten, um Dermatologen in ihrer Schlüsselfunktion bei der ganzheitlichen Behandlung ihrer Psoriasis-Patienten zu unterstützen. Verraten Sie uns, wie weit Sie mit dem erwähnten klinischen Entwicklungsprogramm sind und welche Erwartungen Sie daran knüpfen? Menschen mit Psoriasis sind häufig einem enormen Leidensdruck ausgesetzt. Im vergangenen Jahr habe ich einen jungen Mann kennengelernt, für den aufgrund seiner Erkrankung ein normaler Alltag kaum mehr möglich ist. Die Schwere seiner Psoriasis verwehrt es ihm, eine Ausbildung anzufangen oder jegliche körperliche Arbeit auszuüben. Er verdeckt seine Haut, geht Berührungen aus dem Weg und zieht sich immer mehr zurück. Mehr als jeder andere Moment des letzten Jahres hat mir diese Begegnung noch einmal vor Augen geführt, worum es in unserer Arbeit wirklich geht und welche große Verantwortung wir tragen. Wir hoffen, künftig mit neuen Medikamenten aus unserer klinischen Entwicklung zu einer höheren Therapiezufriedenheit genau dieser Menschen beitragen zu können. Für die Behandlung der PlaquePsoriasis haben wir für ein neues Molekül bereits einen Zulassungsantrag bei den amerikanischen und europäischen Behörden eingereicht, der Antrag für die Indikation Psoriasis-Arthritis wird folgen. Chronische Entzündungen beschäftigen uns aber auch bei der rheumatoiden Arthritis. Auch hier forschen wir seit Jahren und hoffen in Kürze, Patienten eine neue, wirksame Behandlungsoption bieten zu können. 5 Sie sind seit 15 Jahren in verschiedenen Verantwortungsbereichen bei Lilly tätig. Was macht Lilly aus Ihrer Sicht besonders? Was uns ausmacht, sind die Menschen: Überall auf der Welt arbeiten Lilly-Mitarbeiter daran, Medikamente zu erforschen, die in der Behandlung einen Unterschied machen. Dabei suchen wir immer nach neuen Wegen, um es „besser und besser zu machen“, wie unser Gründer Colonel Eli Lilly seine Motivation beschrieb. So verbinden wir Forschergeist mit Fürsorge. Denn Innovationskraft ist nicht alles. Der Respekt gegenüber den Menschen und das Versprechen, ihr Leben zu verbessern, ist ein zentrales Element der Lilly-Unternehmenskultur. Unsere Mitarbeiter, die dem Unternehmen häufig über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte verbunden sind, setzen sich mit großer Leidenschaft dafür ein, auch das alltägliche Leben der Menschen besser zu machen. Denn das ist es, worum es bei unserer Arbeit wirklich geht. Interview „Die Früherkennung von Komorbidität bei Psoriasis bleibt auch künftig ein wichtiges nationales Versorgungsziel, denn von einer breitflächig qualitativ hochwertigen Versorgung sind wir noch weit entfernt.“ Prof. Dr. Matthias Augustin, Hamburg Prof. Dr. Matthias Augustin ist Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), zu dem das Competenzzentrum Dermatologische Forschung (CeDeF) und das Competenzzentrum für Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm) gehören. Prof. Augustin ist einer der Gründer des Hamburg Center for Health Economics, des inzwischen größten Zentrums für Gesundheitsökonomie in Deutschland. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Aufgaben analysiert er die Versorgungsstandards und -strukturen der Psoriasis in Deutschland. Wo sehen Sie in der Versorgung von Menschen mit Psoriasis noch unerfüllte Bedürfnisse? Einen wirklich unerfüllten medizinischen Bedarf im Sinne von „Wir haben nichts“ gibt es natürlich nicht mehr. Alle für die Versorgungsziele aufgestellten Qualitätsindikatoren wurden in den letzten 5 Jahren relevant verbessert und somit eine besonders aus Patientensicht einschneidend bessere Versorgung erreicht. KOMORBIDITÄT IN ZUSAMMENHANG MIT PSORIASIS ART UND HÄUFIGKEIT der KOMORBIDITÄT bei Psoriasispatienten1 01. Bluthochdruck 02. Chronische Bronchitis/Asthma 03. Psoriasis–Arthritis 04. Kardiovaskuläre Erkrankungen AUFTRETEN von KOMORBIDITÄT bei Patienten mit und ohne Psoriasis3 31,5 % MIT PSORIASIS 15 % 05. Diabetes 14,5 % 06. Depression 12,5 % 07. Hyperlipidämie 58% 26 % 22,5 % 11 % 35% Die chronisch systemische Entzündung, die der Psoriasis zugrunde liegt, manifestiert sich nicht nur sichtbar auf der Haut, sondern wirkt sich auch auf die Funktion der Gefäßwände aus (Psoriatische Entzündungskaskade).2 OHNE PSORIASIS 2. Boehncke WH et al. Exp Dermatol 2011; 20: 303-307 1. Schaarschmidt ML et al. PLoS One 2015; 10: e0144335 3. Augustin M et al. Acta Derm Venereol 2010; 90: 147–151 6 Mit speziellem Blick auf die notwendigen therapeutischen Optionen haben wir eine Dekade von Arzneimittelinnovationen erlebt, die maßgeblich zur besseren Versorgung der Patienten beigetragen haben. Insofern bewegen sich alle Verbesserungen, die wir noch weiter erreichen wollen, schon auf sehr hohem Niveau. Dies gilt insbesondere auch im internationalen Vergleich. Woran es tatsächlich bisher immer noch fehlt, ist eine gleichmäßig gute Versorgung. Hier sehen wir noch zu große regionale Unterschiede und einen zu großen Qualitätsunterschied in der leitliniengerechten Versorgung zwischen Hautärzten und Hausärzten, die beide in fast gleichem Maße zur Versorgung beitragen. Eine wichtige Zielsetzung in der Arzneimittelversorgung ist es, eine einfachere und patientenfreundliche Anwendung der Präparate zu erreichen. Verbesserungsbedarf sehe ich in der Verbindung einer hohen therapeutischen Wirksamkeit mit patientenfreundlichem Therapiemanagement und nicht zu vergessen auch aus Patientensicht eine hohe Sicherheit bei guter Verträglichkeit. Mit dem deutschen Psoriasisregister PsoBest haben wir hier eine hochwertige Datenquelle aus der breiten Versorgung unter Alltagsbedingungen. An den daraus abgeleiteten Ergebnissen werden wir auch neue Behandlungsoptionen messen. Wie bewerten Sie das Management der Komorbidität? Komorbidität bei Psoriasis ist als Phänomen erkannt, ebenso der Handlungsbedarf für den Dermatologen als Weichensteller zur Früherkennung. Das heißt nicht, dass der Dermatologe die Komorbidität zwingend selbst behandeln muss, aber er sollte einen Behandlungsbedarf frühzeitig erkennen und den Patienten dann rechtzeitig an den kooperierenden Kollegen überweisen. Für das Screening gibt es ein entsprechendes Konsensuspapier sowie evidenzbasierte Algorithmen. Wir haben mit großer Berechtigung als eines der vier nationalen Versorgungsziele 2010 bis 2015 die Früherkennung von Komorbidität formuliert. Durch entsprechende Schulungen, Workshops, Kongressbeiträge sowie spezielle Screeningtools (zum Beispiel das „Komorbimeter“ oder Screening-Checklisten) haben wir bundesweit auf vielen Ebenen dafür Sorge getragen, dass diese Botschaft nicht nur ankommt, sondern auch praktisch umgesetzt werden kann. Jetzt liegt es auch an den kooperierenden Disziplinen, ob sie hier den Ball aufnehmen. ➞ Rauc h en Stigmatisierung Alk oho Bei den auf Psoriasis spezialisierten Dermatologen findet das Management von Komorbidität routinemäßig statt, aber wir sind weit davon entfernt, von einer flächendeckend guten Versorgung sprechen zu können. Das liegt zum einen daran, dass Patienten nicht oder nicht rechtzeitig zu einem spezialisierten Dermatologen kommen. Zum anderen sind nicht überall die notwendigen Schnittstellen zu Rheumatologen, Hausärzten, Diabetologen oder Psychotherapeuten etabliert. Wir sind in dem Moment, in dem wir als Dermatologen Komorbiditäts-Screenings umsetzen wollen, auf die Zusammenarbeit mit diesen Fachgruppen angewiesen. Die Herausforderungen durch fachübergreifende Kooperationen sind aber ungleich schwerer als Dinge im eigenen Fach zu lösen. Wo sehen Sie bei der interdisziplinären Behandlung der Komorbidität den größten Optimierungsbedarf? Sinnvoll wäre es, die psychische Komorbidität, die Depression und all das, was sich um das Erleben der Erkrankung Psoriasis dreht, von der vermuteten Stigmatisierung über soziale Belastungen im Alltag und im Berufsleben dieser Patienten bis zum emotionalen Befinden, noch stärker in den Fokus zu rücken. Es ist nicht so, als wäre man sich dessen als Behandler nicht bewusst, allerdings er- lko ns um Zusatzkosten Fe t tl ei bi ei gk Depression t? Th Behandlungszeit Herzinfarkt er ap r eu e Meta­ bolisches Syndrom Behandlungszufriedenheit a h m et Fettleibigkeit Angststörungen Psoriasis-Arthritis Systemisch Inflammation KVE E in n Genetische Prädisposition, umweltbedingte Auslöser e Schlaganfall Insulinresistenz Haut r eu Mikro­inflammation i et Arteriosklerose Psychiatrisch LQ Begleiterkrankungen KB Konsequenzen Die Sphären der Psoriasiserkrankung. KVE: Kardiovaskuläre Erkrankung; LQ: Lebensqualität; KB: Krankheitsbürde mod. nach Mrowietz M et al. Exp Dermatol 2014; 23: 705-709 7 folgt nicht immer eine geeignete Behandlung und Betreuung mangels Kooperationsmöglichkeiten oder versierter Therapeuten. Hier gibt es auf jeden Fall einen Verbesserungsbedarf. Menschen mit Schuppenflechte haben auch ein deutlich erhöhtes Risiko für Diabetes und ein Metabolisches Syndrom. Warum? Wir haben beim Metabolischen Syndrom eine Vielzahl von sich gegenseitig bedingenden Risikofaktoren: Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, ungesunder Lebenswandel mit Bewegungsmangel, Fehlernährung, Genussgiften etc., die auch wesentlich zum Diabetesrisiko beitragen. Das Phänomen ist in unserer Gesellschaft insgesamt zu beobachten, gilt aber in besonderem Maße auch für Patienten mit Psoriasis, die statistisch gesehen ein deutlich erhöhtes Risiko für Erkrankungen aus dem metabolischen Formenkreis aufweisen [1]. Wissenschaftlich diskutiert wird aktuell hierbei die Frage nach der Wechselwirkung zwischen dem genetisch bedingten Risiko und dem chronischen Entzündungsgeschehen der Psoriasis. Bedeutet dies, dass Diabetes nicht primär eine Folge von ungesundem Lebenswandel ist, sondern auch biochemische Prozesse des chronischen Entzündungsgeschehens mitverantwortlich sein könn­ten für eine zunehmende Insulinresistenz? Die Insulinresistenz und das Entstehen eines Diabetes ist eine gemeinsame Endstrecke mehrerer Komponenten, die in unterschiedlicher Ausprägung bei allen Patienten zu vermuten sind. Dazu zählt, dass sich die genetische Disposition zur Insulinresistenz paart mit dem chronischen Entzündungsgeschehen und den sozusagen im Gewebe enthaltenen Zytokinlasten sowie der Hyperalimentation, Bewegungsmangel etc. Insgesamt scheinen sich hier also Lifestyle, Genetik und chronische Entzündung ungünstig zu verbinden. Wohlgemerkt: Das gilt nicht für jeden Patienten. Wir haben ja keine Rate von 100 Prozent Diabetes bei Psoriasis, allerdings eine doppelt so hohe wie bei nicht psoriatischen Gleichaltrigen, so dass zumindest hier erhöhte Wachsamkeit geboten ist [2]. Es ist alarmierend, dass bereits Kinder und Jugendliche mit Psoriasis eine erhöhte Rate an Komorbidität aufweisen [3]. Von der Grundlagen- bis zur Versorgungsforschung sind hier in den nächsten Jahren alle Beteiligten gefordert. Übersichtsarbeit Psoriasis und Typ-2-Diabetes – Fakten, die der Dermatologe kennen sollte Dr. Andreas Pinter, Frankfurt Zusammenfassung • Im Vergleich zur Normalbevölkerung ist das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, bei Patienten mit Schuppenflechte annähernd doppelt so hoch – das Risiko korreliert ebenfalls mit dem Schweregrad der Psoriasis [2]. • Kinder mit einer schweren Form der Psoriasis haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko, einen Typ-2Diabetes zu entwickeln [3]. • Der Typ-2-Diabetes steht am Anfang einer Kaskade weiterer Erkrankungen wie der endothelialen Dysfunktion, Arteriosklerose und einem erhöhten Risiko akuter Ischämien [4]. • Daten zu einer protektiven antidiabetogenen Wirkung einer systemischen Psoriasistherapie sind uneinheitlich und rar [5]. • Hautärzten kommt eine überwachende und erinnernde Funktion bezüglich internistischen Be­ gleiterkrankungen der Schuppenflechte zu [6]. Einleitung Die Komorbidität und frühe Diagnostik der Schuppenflechte und Psoriasis-Arthritis steht im Fokus vieler Untersuchungen. Die Daten- und insbesondere Studienlage zu metabolischen Begleiterkrankungen ist jedoch gering. Der akute Leidensdruck einer schmerzhaften, aktiven Arthritis ist für Patienten oft schwerwiegender als eine Hyperglykämie oder Hyperlipidämie, obwohl diese weit verbreitete „Volksleiden“ sind. Die langfristige klinische Relevanz ist dabei nicht zu unterschätzen. Die unerkannte oder unbehandelte Hyperglykämie ist insbesondere bei Psoriasispatienten der Beginn einer Kaskade weiterer internistischer Erkrankungen mit Lebenszeit verkürzendem Potential [7]. Der Fokus auf den „mit Psoriasis assoziiertem Typ-2-Diabetes“ soll die Sensibilität für Dermatologen für diese wichtige Komorbidität schärfen. Pathophysiologische Verbindung des Typ-2-Diabetes mit Psoriasis vulgaris Ursache des Typ-2-Diabetes (T2D) ist ein redu­ zierter Effekt des Peptidhormons Insulin (periphere Insulinresistenz, PI). Anfänglich wird die verringerte Wirkung mit einer verstärkten Insulinsekretion kompensiert (prädiabetischer Zustand). Reicht die erhöhte Insulinproduktion des Pankreas nicht mehr aus, ist der Zustand eines klinisch manifesten T2D erreicht. Im Labor zeigt sich dies durch eine Nüchtern-Plasmaglu- kose von ≥ 126 mg/dl (≥ 7,0 mmol/l), der Anteil des Glykohämoglobins HbA1c steigt auf ≥ 6,5 % (≥ 48 mmol/mol). Die PI führt in Muskel- und Leberzellen zu einer verringerten Aufnahme der Blutglukose und Speicherung von Glykogen sowie in Adipozyten zur vermehrten Sezernierung von freien Fettsäuren [8]. Klinisch bedeutet das: Hyperglykämie und Hyperlipidämie. Zusammen mit der abdominellen Adipositas und Hypertonie bilden diese vier Erkrankungen das Metabolische Syndrom – auch bekannt als das „tödliche 8 Quartett“. Erste genauere Erklärungsmodelle, in vivo und in vitro, zeigen, wie der Erkrankungsprozess der Schuppenflechte mit dem Typ-2-Diabetes ­verknüpft sein könnte. Proinflammatorische ­Zytokine wie Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) oder Interleukin-6 (IL-6), mit zentraler Rolle in der Psoriasis-Entzündungskaskade, haben einen negativen Einfluss auf die periphere Wirkung des Insulins. Beide vermindern mitunter die Aktivität des membranständigen Insulinrezeptors. TNF-α inhibiert die intrazelluläre Signalkaskade des Insulinrezeptors über den Transkriptionsfaktor peroxisome proliferator-activated receptor-δ (PPAR-δ) [9, 10]. Insulinresistenz kann auch durch eine frühe Abschwächung der intrazellulären Signalkaskade durch proinflammatorische Zytokine verursacht werden [11]. Die schwächere Wirkung des Insulins wird durch die fehlende Aktivierung von Signalproteinen ausgelöst und resultiert in kompensatorisch erhöhten Insulinwerten. Insulin scheint auch an der Homöostase der Epidermis beteiligt zu sein, indem es die Differenzierung von Keratinozyten fördert, während IL-1-ß, ein Entzündungsmediator der Psoriasis, diesen Prozess abschwächt. Somit wird die Differenzierung durch das gestörte Gleichgewicht von Insulin und IL-1-ß negativ beeinflusst. Ob ein direkter Effekt des erhöhten Insulinspiegels auf die Entzündungskaskade der Schuppenflechte besteht, ist jedoch ungeklärt [12, 13]. Die klinischen Auswirkungen dieser pathologischen Prozesse zeigt das Konzept des „Psoriatischen Marsches“: über die systemische Inflammation und der daraus resultierenden peripheren Insulinresistenz wird eine endotheliale Dysfunk­tion Prävalenz des Typ-2-Diabetes bei Schuppenflechtepatienten Der Schweregrad der Schuppenflechte korreliert mit der Wahrscheinlichkeit, einen Diabetes zu entwickeln [15, 16]. Feldman et al. zeigten, dass Menschen mit Psoriasis vulgaris im Vergleich zu Hautgesunden signifikant mehr internistische Erkrankungen aufweisen. Demnach leiden Patienten mit Schuppenflechte am häufigsten unter einer Hyperlipidämie (33,3 % vs. 27,3 %), Hypertonie (32,8 % vs. 23,5 %) und Diabetes (15,8 % vs. 9,7 %). Das Risiko von Psoriatikern, einen Diabetes zu entwickeln, lag mit dem Faktor 1,7 (adjusted Odds Ratio [aOR]) am höchsten. Entsprechend erhöht war ebenfalls die Einnahme von Antidiabetika (11,3 % vs. 6,8 %, aOR = 1,7) in der Gruppe der Psoriasispatienten [17]. Auch Registerdaten und weitere Studien weisen ähnliche Werte auf [18, 19]. Die Häufigkeit der Psoriasis vulgaris bei Kindern und Jugendlichen wird aktuell auf etwa 0,5 bis 1 % geschätzt. Selbst junge Patienten (< 20 Jahren) haben ein doppelt so hohes Risiko, einen Diabetes zu entwickeln [3]. Wie sieht die Schuppenflechte aus dem Blickwinkel eines Diabetologen aus? Patientendaten des nationalen Diabetesregisters wurden auf die zusätzliche „Komorbidität“ Schuppenflechte untersucht. Im Schnitt wurde die Diagnose des Diabetes mit 54,5 Jahren etwa vier Jahre früher gestellt als bei Patienten ohne Psoriasis. Typ-2-Diabetiker mit Psoriasis vulgaris präsentierten im Vergleich zu den Nicht-Psoriatikern einen signifikant höheren BMI (31,8 kg/m² vs. 30,6 kg/m²), höhere Werte des HbA1c (64,8 mmol/mol vs. 59,0 mmol/ mol) und mussten häufiger mit Insulin behandelt werden (62,3 % vs. 50,9 %). Signifikant weniger T2D-Patienten mit einer Schuppenflechte führten zusätzlich zur medikamentösen Diabetesbehandlung auch eine diätetische Ernährungsumstellung durch [20]. Zusammenfassend zeigt sich, dass der Typ-2-Diabetes bei Patienten mit einer Schuppenflechte schwerer ausgeprägt und häufiger insulinpflichtig ist. Das hautärztliche Management des T2D bei Psoriatikern Insbesondere Dermatologen kommt neben der Therapie der Haut die wichtige Funktion zu, Hausarzt und Patient über das Risiko potentieller internistischer Komorbidität zu unterrichten. Die Kontrolle der metabolischen Erkrankungen ist nicht aufwendig, Nüchternblutzucker und -blutfette, Blutdruckkontrolle und Bestimmung des BMI sind zur ersten Orientierung ausreichend. Sie müssen nicht zwingend durch den Hautarzt durchgeführt, aber regelmäßig veranlasst werden [6]. Eine der Kernempfehlungen der deutschen S3-Leitlinie zur Ernährung bei Typ-2-Diabetikern ist die Gewichtsreduktion. Die Abnahme des Körpergewichtes von etwa 10 % zeigt nachweislich eine Verbesserung der peripheren Insulinresistenz und eine Senkung des Blutglukose- und Serumlipidspiegels [21]. Durch eine Gewichtsabnahme kann auch das Ansprechen auf antipsoriatische Systemtherapien verbessert werden, was unter anderem durch einen verbesserten Dosiseffekt ausgelöst wird [22, 23]. Es ist nicht ausreichend untersucht, ob eine anti­ psoriatische, respektive antiinflammatorische Systemtherapie auch die periphere Insulinresistenz bei Patienten mit Schuppenflechte positiv beeinflusst. Eine vierwöchige, prospektive, place­ bokontrollierte Behandlung mit Etanercept bei Psoriatikern mit einem gleichzeitigen Typ-2-Diabetes reduzierte zwar die entzündungsfördernden Zytokine, verbesserte aber in dem kurzen Zeitraum nicht die metabolische Wirkung des Insulins [24]. Ein Fallbericht eines Patienten mit schwerer Psoriasis vulgaris und insulinpflichtigem T2D zeigte unter Therapie mit Etanercept ein deutlich verbessertes Ansprechen auf Insulin – bis hin zu hypoglykämischen Zuständen [25]. Der Zusammenhang des Effekts mit der Etanercept-Therapie ist jedoch unklar. Weitere Hinweise auf einen positiven protektiven Effekt einer Systemtherapie konnten durch zwei retrospektiv geführte Untersuchungen erbracht werden [26, 27]. Es gibt aktuell keine Daten, welchen Effekt Anti-IL-17-Therapien auf die periphere Insulinresistenz haben. Ein positiver Effekt auf die Insulinresistenz ausschließlich durch hochspezifische antiinflam­ matorische Therapien erscheint unwahrschein­ lich. Die Einflüsse auf die Aktivität des Insu­lin­rezeptors und seine Kaskade sind noch weitestgehend unerforscht. Neben dem Aspekt der Hautverbesserung wird zukünftig auch die Protektion gegen eine Komorbidität wie den Typ2-Diabetes im Fokus für die Wahl des antipsoriatischen Medikamentes stehen. Für gesicherte Aussagen ist es hingegen durch die dünne Datenlage noch zu früh. Weitere wissenschaftliche Anstrengungen, die sich mit Langzeitverbesserung oder sogar Verhinderung internistischer Komorbidität bei Psoriasispatienten befassen, wären daher wünschenswert und notwendig. TYP-2–DIABETESRISIKO IM ZUSAMMENHANG MIT PSORIASIS Je schwerer die PSORIASIS, desto höher ist das DIABETESRISIKO.1 Risiko ca. verdreifacht 10 Typ–2–Diabetesrisiko in Prozent hervorgerufen. Es entsteht ein proatherogenes Umfeld, das zu Arteriosklerose und unter Umständen durch akute Gefäßstenosierung zu Myokardinfarkten oder zerebrovaskulärer Ischämie führen kann [7]. Patienten mit einer unbehandelten schweren Form der Schuppenflechte scheinen demnach ein erhöhtes Mortalitätsrisko zu tragen [14]. 8 PSORIASIS erhöht das DIABETESRISIKO um 35%. Risiko ca. verdoppelt 6 SCHWERE PSORIASIS VERDOPPELT die Inzidenz. 4 Jedes ZUSÄTZLICHE LEBENSJAHR lässt das Diabetesrisiko von Psoriasispatienten um 3% steigen.2 2 0 3,7% 6,9% 9,7% ohne Psoriasis leichte Psoriasis schwere Psoriasis 2. Lee MS et al. J Am Acad Dermatol 2014; 70: 691-98 1. Khalid U et al Diabetes Care 2013; 36: 2402–2407 9 Fallbericht Diabetesbedingte Komplikationen bei Psoriasis vulgaris et arthro­pathica Prof. Dr. Matthias Augustin und Dr. Arnd Jacobi, Hamburg Bisherige Therapie Diverse Systemtherapien wurden aufgrund eines ungenügenden therapeutischen Ansprechens auf Haut und Gelenke sowie unerwünschter Arzneimittelwirkungen beendet. Als Biologika kamen vorwiegend TNFα-Inhibitoren zum Einsatz. Eine Methotrexat-Therapie wurde bei erosiver Gastritis und erhöhten Leberfunktionsparametern beendet, ebenso eine Therapie mit Cyclosporin aufgrund eines Kreatinin-Anstieges bei eingeschränkter Nierenfunktion. Aktuell zeigt sich unter einer immunmodulierenden Therapie mit Etanercept in Kombination mit Leflunomid ein stabiler Hautbefund mit guter Kontrolle der Arthralgien. Komorbidität und bisherige Therapie • Adipositas Grad III, Dyslipidämie, Metabolisches Syndrom, Nikotinabusus • Depression: Amitriptylin • A rterielle Hypertonie: Candesartan (Therapie mit Nebivolol vor 6 Monaten wegen zunehmender Müdigkeit beendet, Ausschluss als möglicher Triggerfaktor der Psoriasis) • Typ-2-Diabetes: Mischinsulin 30/70 mit 180 IE Humaninsulin 2x tgl. sowie angepasst an den Blutglukosespiegel (Therapie mit Metformin aufgrund von anhaltenden Diarrhoen nach 3 Monaten beendet) Steckbrief Patient • Angestellter im öffentlichen Dienst, 46 Jahre, BMI: 40,5 kg/m², sitzende Tätigkeit • Psoriasis vulgaris seit dem 15. Lebensjahr • Psoriasis-Arthritis seit 5 Jahren, Arthralgien in den Fingermittelgelenken (PIP) beider Hände • HbA1c-Wert: 7,9 %, Cholesterin, Triglyzeride, Transaminasen und Blut­druckwerte normwertig Der Patient wurde über die Optimierung von Ernährung und sportlicher Betätigung intensiv aufgeklärt; zudem erfolgen regelmäßige internistische Kontrollen. Eine eingeschränkte Nierenfunktion sowie die Ausprägung einer sekundären Katarakt sind bekannt (2012: Katarakt-OP, rechte Linse). Ophthalmologische Kontrollen werden regelmäßig durchgeführt, da die Katarakt bei Patienten mit Diabetes einer der Hauptgründe für Blindheit in Industrieländern ist. Eine diabetische Retinopathie wurde bislang nicht nachgewiesen. Pathogenese Eine erhöhte Prävalenz des Diabetes bei Psoriasis wurde in epidemiologischen Studien gezeigt. Außerdem ist für Typ-2-Diabetes auf genetischer Ebene ein Zusammenhang mit der Psoriasis beschrieben. Auf Chromosom 6p22 wurde ein Psoriasis-Suszeptibilitätslocus dargestellt [28], der mit dem Auftreten eines Typ-2Diabetes in Zusammenhang gebracht wird. Weiterhin wird bei der Insulinresistenz eine pathogenetische Verbindung zur Psoriasis vermutet. So wurde gezeigt, dass der Schweregrad einer Psoriasis, gemessen mittels Psoriasis Area and Severity Index (PASI), mit der Insulinsekretion und der Serumkonzentration von Resistin korreliert [29]. Resistin wiederum ist ein Adipokin, das bei Vorliegen einer Insulinresistenz erhöht ist. Auch das proinflammatorische Zytokin TNF-α zählt zu den insulinresistenzfördernden Proteinen. Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Folge dieser Insulinresistenz beim Metabolischen Syndrom sein. 10 Kommentar Tipps vom Diabetologen Dr. Christian Klepzig, Offenbach am Main Der vorgestellte 46-jährige Patient ist aus diabetologischer Sicht ein kardiovaskulärer Höchstrisikopatient, da nicht nur der Typ-2-Diabetes, sondern auch die Psoriasis-Arthritis zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko führt. Im Vordergrund stehen daher alle Maßnahmen zur Reduktion dieses Risikos: 1. Optimale Blutdruckeinstellung mit einem Zielbereich < 140/90 mmHg Primäre Therapeutika sollten dabei ACE-Hemmer wie Ramipril sein. Nur bei Reizhusten würde ich einen AT1-Blocker geben. Sinnvoller primärer Kombinationspartner wäre ein Calciumantagonist. 2. Statintherapie Trotz des scheinbar guten LDL-Cholesterins sollte bei Typ-2-Diabetikern mit einer solchen Risikokonstellation ein Statin mit einem Ziel-LDL von deutlich unter 100 mg/dl (ideal unter 70 mg/dl) gegeben werden. 3. Diabetestherapie und Gewichtsreduktion Es ist eine Binsenweisheit, dass eine Gewichtsreduktion alle Facetten des Metabolischen Syndroms verbessern kann. Im vorliegenden Fall besteht eine äußerst unglückliche Konstellation aus sitzender Tätigkeit und einer Mischinsulinbehandlung, die durchaus gewichtssteigernd wirkt. Hinzu kommt der Einsatz von Amitriptylin, der auch nicht gewichtsneutral ist. Nachdem die Metformin-Monomedikation aufgrund einer Diarrhoe abgebrochen werden musste, erfolgte direkt eine Einstellung auf eine Mischinsulintherapie. Wenn man mit Insulin arbeitet, wäre aus meiner Sicht der Ansatz einer supplementären, prandialen Insulinsubstitution sinnvoll gewesen. Grundsätzlich empfehle ich in solchen Situationen erst einmal ein ausgiebiges Gespräch mit dem Patienten, um dessen Wünsche und Vorstellungen auszuloten (Injektion: ja/ nein; Hypoglykämierisiko; Gewichtsauswirkungen; Wirksamkeitsnachweis hinsichtlich der Reduzierung des kardiovaskulären beziehungsweise des mikrovaskulären Risikos). Zudem empfehle ich dringend ein Ernährungsprotokoll, da bei einer überwiegend sitzenden Tätigkeit eine Kohlenhydratmast zu vermeiden ist. Bei dem vorliegenden Fall würde ich einen schrittweisen Umbau der Therapie vornehmen: Zunächst Zugabe von Empagliflozin zur Senkung der glykämischen Last. Darüber hinaus ist diese Substanz bisher das einzige Antidiabetikum mit einer gesicherten Wirkung auf kardiovaskuläre Endpunkte bei Patienten mit T2D und etabliertem kardiovasulärem Risiko. Je nach Verlauf besteht dann die Möglichkeit, noch eine inkretinbasierte Therapie hinzuzugeben und das Mischinsulin im Idealfall ganz abzusetzen. Damit würde das Hypoglykämierisiko auch deutlich reduziert. Eine Gewichtsreduktion, die sich damit höchstwahrscheinlich erreichen lässt, könnte eventuell auch zur Besserung der depressiven Verstimmung beitragen. 11 4. Depressionsbehandlung In Abstimmung mit dem behandelnden Neurologen/Psychiater sollte Amitriptylin durch ein modernes Antidepressivum mit weniger gewichtssteigernder Potenz ersetzt und zusätzlich eine Psychotherapie eingeleitet werden. Fallbericht Psoriasisbehandlung bei diabetischem Fuß Dr. Andreas Pinter, Frankfurt Steckbrief Patient • 76 Jahre, HbA1c: 8,9 %, BMI: 30,9 kg/m2 • Psoriasis vulgaris sine Arthritis seit ca. 35 Jahren bekannt, PASI: 10,8, KOF: 12 % Hautbefund • s charf begrenztes und überwärmtes Erythem am kompletten rechten Unterschenkel • c a. 1,0 x 1,0 cm großes, tiefreichendes, schmerzloses Ulkus am zentralen rechten Fußballen [Bild 1] • e rythrosquamöse Plaques (Knie [Bild 2], Sakralbereich, Stamm und Capillitium) • a ktinische Keratosen an sonnenexponierter Haut, Exzision mehrerer kutaner Plattenepithelkarzinome Komorbidität und bisherige Therapie • a rterieller Hypertonus: Ramipril 5 mg/Hydrochlorothiazid 25 mg • H yperlipidämie: Simvastatin 20 mg • T yp-2-Diabetes (T2D): Metformin 1000 mg 2x tgl., Pioglitazon 45 mg 1x tgl. • p eriphere Polyneuropathie, Ursache: schlecht eingestellter T2D • S chuppenflechte: Fumarsäureester (aufgrund GI-Beschwerden abgesetzt), MTX (primärer Wirkverlust), verschiedene Lokaltherapeutika, intensive UV-Strahlung (Hauttumore größtenteils auf häufige Radiation zurückzuführen). Der Patient wurde aufgrund eines rezidivierenden Erysipels und eines seit Monaten bestehenden, schmerzlosen Ulkus am zentralen Ballen des rechten Fußes vorstellig. Eine empfohlene Insulintherapie lehnt der Patient aufgrund der für ihn zu häufigen Blutzuckerkontrolle und Angst einer insulininduzierten Hypoglykämie ab. Diätetische Maßnahmen zur Stoffwechselverbesserung hält der Patient nicht ein. Pathogenese Durch die diabetesassoziierte Polyneuropathie begünstigte, schmerzfreie plantare Ulzeration wird Malum perforans genannt. Zusätzlich verursacht der T2D eine Minderperfusion der Blutgefäße im Sinne einer pAVK, die einer normalen Wundheilung entgegensteht. Die Kombination dieser Symp­ tome führt zum diabetischen Fuß. Die Ulzeration kann häufig eine Eintrittspforte für bakterielle Infektionen sein – wie auch bei diesem Patienten. Falldiskussion Eine Optimierung der Diabetestherapie ist für eine verbesserte Wundheilung und Minderung der Infektanfälligkeit erforderlich. Daher stellt sich die Frage einer geeigneten antipsoriatischen Therapie. Immunsuppressive Medikamente sollten zurückhaltend eingesetzt werden: TNF-α-Inhibitoren, Anti-IL-12/-23- und Anti-IL-17-Antikörper können das Risiko bakterieller Infekte steigern (gehäufte Infekte der oberen Atemwege, Hautinfektionen). Retinoide haben keine immunsuppressive Wirkung, bestechen aber auch nicht durch ihre Effektivität und stehen im Verdacht, die Wundheilung 12 1 2 negativ zu beeinflussen. Der orale PDE-4-Inhibitor zeigt in Studien ebenfalls ein leicht erhöhtes Risiko für Infekte der oberen Atemwege. Wie die Anwendungssicherheit bei Patienten mit rezidivierenden bakteriellen Hautinfekten aussieht, ist im klinischen Alltag bisher nicht beschrieben. Somit wird für den Patienten zunächst eine intensivierte keratinolytische und antiinflammatorische Lokaltherapie angedacht. Patienten mit Komplikationen eines inadäquat eingestellten Diabetes stellen auch mit den heute zur Verfügung stehenden Psoriasistherapien eine Herausforderung dar. Kommentar Tipps vom Diabetologen Dr. Christian Klepzig, Offenbach am Main Die Datenlage zum Vorliegen einer diabetischen peripheren Polyneuropathie ist schlecht. Das Spektrum der Daten bei Typ-2-Diabetes reicht dabei von 13 bis 26 % Erkrankungshäufigkeit [30]. Der vorgestellte 76-jährige Patient hat daher nicht zuletzt aufgrund der langjährigen Diabetesdauer mit schlechter Blutzuckereinstellung ein stark erhöhtes Risiko, eine Amputation zu erleiden. Zur Vermeidung einer Neuropathie stehen neben einer guten Blutzuckereinstellung ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Bewegung, gesunder Mischkost und nur sehr mäßigem Alkoholkonsum im Vordergrund. Wichtig ist zu beachten, dass nicht selten auch aufgrund des weit verbreiteten Einsatzes von Protonenpumpenhemmern und Metformin ein Vitamin-B12-Mangel als zusätzlicher Verstärkungsfaktor oder alleinige Ursache einer Neuropathie bei Diabetes vorliegt. Im Vordergrund der diabetologischen Überlegungen stehen daher sowohl Maßnahmen zur internistischen-diabetologischen Reduktion dieses Risikos als auch der Ulkusbehandlung mit dem Ziel der raschen Wundheilung: Besteht bereits eine Polyneuropathie, ist eine regelmäßige podologische Behandlung, die Pflege der Haut mit harnstoffhaltigen Externa und bei Vorliegen von Fußdeformitäten die frühzeitige Versorgung mit geeignetem Schuhwerk und Fußbettungen sinnvoll. Außerdem sollten ärztlicherseits regelmäßige Kontrollen der Füße stattfinden. Schätzungen gehen von Fußulzera bei 2 bis 6 % aller Menschen mit Diabetes aus [31]. Rechnet man mit einer Zahl von 6 bis 8 Millionen Menschen mit Diabetes würde dies bedeuten, dass 120.000 bis 480.000 Menschen mit Diabetes aktuell an einer Fußläsion leiden. Nach Zahlen der AOK werden pro Jahr ca. 29.000 Major- und Minoramputationen bei Menschen mit Diabetes durchgeführt, sodass ein Risiko von 6 bis 22 % pro Jahr für eine Amputation besteht. 1. Ausschluss einer Osteomyelitis/Osteitis 2. Suffiziente Druckentlastung des Ulcus mittels Verbandschuh, Orthese oder gegebenenfalls Total-Contact-Cast 3. Ausschluss einer gefäßchirurgisch oder interventionell behandelbaren pAVK 4. Konsequente Lokaltherapie mit chirurgischem Debridement und regelmäßiger chirurgischer Reinigung der Wunde sowie Beseitigung der Hornhaut. 5. Versuch der Verbesserung der Blutzuckerein­ stellung, zum Beispiel mittels der Gabe eines GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Dies hätte den Vorteil der fehlenden Gewichtszunahme (gegebenenfalls sogar Gewichtsreduktion, was aber nicht zwingend im Vordergrund steht) und der Vermeidung von ständigen Blutzuckerselbstkontrollen, da das Hypoglykämierisiko nicht erhöht wird. 13 Interview „Ein regelmäßiges, strukturiertes Screening des individuellen ­Ko­morbiditätsrisikos kann das Optimum für die Patienten herausholen.“ PD Dr. Sascha Gerdes, Kiel PD Dr. Sascha Gerdes arbeitet als Facharzt für Dermatologie und Venerologie in der Hautklinik Kiel und ist als Leiter des Bereichs Klinische Studien im Psoriasis-Zentrum tätig. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Erforschung von Begleiterkrankungen bei Psoriasis. Er war an der Entwicklung einer Checkliste und Handlungsempfehlung zur Ermittlung des individuellen Risikos für Komorbidität bei Psoriasis [32] beteiligt. Wie sind Ihre Erfahrungen im Umgang mit dieser Checkliste im Klinikalltag? Ich finde es sehr positiv, dass diese Checkliste nur eine DIN A4-Seite lang ist. Die größte Herausforderung ist ja, bei der knappen Zeit im Klinik- und Praxisalltag auch noch einem Komorbiditätsscreening gerecht zu werden. Unser Hauptziel war deshalb, eine alltagstaugliche, aber trotzdem strukturierte und qualitätsgesicherte Checkliste zu entwerfen, die es uns leicht macht. Mir gefällt auch sehr, dass die Checkliste optisch darauf aufmerksam macht, wenn Werte auffällig sind. Das erinnert daran, aktiv zu werden und den Hausarzt mit ins Boot zu holen. Inwieweit konnte dieses strukturierte Vorgehen dazu beitragen, Komorbidität besser und vielleicht auch früher zu ­diagnostizieren? Bei der Erstellung der Checkliste haben wir uns von Experten der einzelnen Fachgesellschaften beraten lassen. Diese einfachen Parameter geben einen konkreten Hinweis auf das Vorliegen einer Komorbidität. Für fast jede Erkrankung reicht dabei ein einziger Laborwert oder eine einzige Messung aus. Somit hat der Arzt einfache, aber auch sichere Diagnosekriterien für diese häufigsten Begleiterkrankungen an der Hand. Die Liste bietet so die Möglichkeit, eine Komorbidität früher zu erkennen und somit auch früher zu handeln. 14 Hat die Checkliste oder etwas Vergleichbares bereits Eingang in die strukturierte Versorgung auch außerhalb Ihrer Klinik gefunden? Das bleibt leider noch etwas auf der Strecke. Ich hoffe sehr, dass ein Teil der nächsten PsoriasisLeitlinie, die ja derzeit aktualisiert wird, auch auf die Komorbidität fokussiert und die Checkliste vielleicht sogar Einzug findet. Dies wäre aus meiner Sicht der wichtigste Schritt, um ein flächenübergreifendes, einheitliches Screening zu gewährleisten. Welche Rolle sehen Sie hier ganz speziell für den Dermatologen? Der Dermatologe ist der Manager der Psoriasis, die zentrale Figur, die alles koordinieren muss. Deswegen sollte er auch als erster die Screeningfunktion übernehmen oder alternativ den Patienten anleiten, dafür einmal im Jahr zum Hausarzt zu gehen. Wenn der Dermatologe die Checkliste also selbst nicht benutzt, sollte er idealerweise auf ein regelmäßiges Screening durch den Hausarzt achten. Ein solches Tool hilft dabei, einfach, strukturiert und nach einem festgelegten Schema Verdachtsdiagnosen zu stellen. Damit hole ich das Optimum für alle meine Patienten heraus. Wie funktionieren derzeit die relevanten Schnittstellen und wo sehen Sie Verbesserungsbedarf? Bei uns in Kiel haben wir durch das Entzündungszentrum eine besondere Situation. Wir arbeiten Checkliste und Handlungsempfehlung zur Ermittlung des individuellen Risikos auf Komorbidität von Patienten mit schwerer oder mittelschwerer Psoriasis geboren: Aktuelles Datum: Anamnese Lebensweise Verwandte 1. Grades mit schwerer KHK, pAVK Nein Ja schwere bzw. mittelschwere Psoriasis > 10 Jahre Nein Ja Inaktivität (kein Sport, kein Fahrrad, viel Auto) Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Bei der Fortbildungsreihe „Psyriasis“ von Lilly geben Psychiater oder Psychotherapeuten Dermatologen praktische Tipps für den Umgang mit psychischen Auffälligkeiten. Was haben Sie daraus für die Praxis mitgenommen? Ich habe von dieser Fortbildungsreihe sehr profitiert, weil man sich wirklich in Ruhe mit dem Thema Depressionen und Angststörungen befassen konnte. Am meisten überzeugt war ich von den aktiven Übungen zur Kommunikation. In der Praxis kann ich dadurch noch viel zielgerichteter auf die Patienten eingehen. Das Arzt-Patienten-Gespräch hat sich dadurch auf jeden Fall verbessert. Blutdruck (RR) syst. >140 mmHg, diast. > 90 mmHg Blutfette nüchtern TG > 100 mg/dl LDL-Chol. > 70-100 mg/dl HDL-Chol. < 45 mg/dl Mikroalbumin- zwischen 20-200 mg/d urie Körpermasse BMI: > 25 kg/m2 Taillenumfang: F > 88 cm, M > 102 cm Glukose-SW HbA1c: ≥ 6,5% (≥ 48 mmol/mol) oder Nüchtern-BZ: ≥126mg/dl (≥7mmol/l) oder oGTT: ≥200mg/dl (≥11,2mmol/l) metabolisches Syndrom 2-Fragen-Test Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos? Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun? AUDIT-C Ein Glas Alkohol entspricht: 0,33 l Bier, 0,25 l Wein/Sekt 0,02 l Spirituosen Wie oft trinken Sie Alkohol? Wenn Sie an einem Tag Alkohol trinken, wie viele alkoholische Getränke trinken Sie dann typischerweise? Wie oft haben Sie an einem Tag mehr als 6 alkoholische Getränke getrunken? psychische Ekrankung Die Fragen in der Checkliste fokussieren sehr stark auf Risikoparameter des Metabolischen Syndroms, während es nur zwei Fragen zur psychischen Befindlichkeit gibt. Sehen Sie die Komorbidität der psychischen Störungen damit ausreichend erfasst? Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass dieses Thema überhaupt durch den Screeningbogen abgebildet wird. Ziel war es, einen ersten Hinweis auf das Vorliegen einer Depression zu bekommen. Ein Vertreter der Fachgesellschaft hat uns diesen Zwei-Fragen-Test empfohlen, der sehr präzise eine Depression oder zumindest Handlungsbedarf erkennen lässt. Wir fragen darüber hinaus auch Suchterkrankungen ab mit dem Schwerpunkt Alkoholkonsum. Angststörungen werden leider derzeit noch nicht abgebildet. Mittlerweile wissen wir, dass diese gehäuft auftreten. Das könnte man für die Zukunft vielleicht noch berücksichtigen. kardiovaskuläre Erkrankung Nikotinabusus Summe aller Punkte Männer: 4 oder mehr Frauen: 3 oder mehr 0 1 2 3 4 nie etwa 1mal pro Monat 2-4mal pro Monat 2-3mal pro Woche 4mal oder öfter pro Woche 0 1 2 3 4 1 oder 2 3 oder 4 5 oder 6 7 oder 8 9 oder mehr 0 1 2 3 4 nie seltener als 1mal pro Monat 1mal pro Monat 1 mal pro Woche täglich oder fast täglich nach: Wohlrab J, Fiedler G, Gerdes S et al. Handlungsempfehlungen zur Erfassung des individuellen Komorbiditätsrisikos bei Patienten mit Psoriasis vulgaris. J Dtsch Dermatol Gesell 15 Hausarzt/Internisten/Psychiater Vorname Überweisung zur Abklärung erwägen Name erhöhtes Komorbiditätsrisiko Patientendaten: 2 x Ja zum Beispiel mit Rheumatologen bei der Begleit­ erkrankung Arthritis oder auch mit Gastroenterologen sehr eng zusammen und treffen uns einmal die Woche. Da man eine solche Situation natürlich nicht überall voraussetzen kann, muss zunächst die Kommunikation mit dem Hausarzt verbessert werden. Den sehe ich als zweite zentrale Schlüsselfigur beim Patienten. Erkenne ich zum Beispiel eine metabolische Begleiterkrankung, hole ich zunächst den Hausarzt an Bord. Die wichtigste Schnittstelle ist aus meiner Sicht also die Kommunikation zwischen Dermatologe und Hausarzt. Studienkommentar Für Sie zusammengefasst: Insulinresistenz, Endothelfunktion und Psoriasis Prof. Dr. Michael P. Schön, Göttingen Prof. Dr. Michael P. Schön leitet die Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Universitätsmedizin Göttingen und ist Facharzt für Dermatologie und Venerologie, Allergologie, Dermatohistologie sowie Fach-Immunologe und Dipl.-Gesundheitsökonom. Zudem widmet er sich besonders der fachübergreifenden Erforschung von immunologischen und onkologischen Fragestellungen, beispielsweise den Mechanismen der Entzündungsreaktion bei der Psoriasis. Psoriasis ist nicht nur auf die Haut beschränkt. Vielmehr haben wir es mit einer systemischen chronisch-entzündlichen Erkrankung zu tun. Daran besteht heute dank umfangreicher klinischer und experimenteller Forschung kein Zweifel mehr. Unmittelbar verständlich wird diese Aussage, wenn man die klinische Assoziation der (schweren) Psoriasis mit verschiedenen Erkrankungen anderer Organsysteme bedenkt (Komorbidität). Zu diesen assoziierten Erkrankungen gehören Arteriosklerose mit ihren Folgeproblemen, das Metabolische Syndrom mit Diabetes mellitus und Insulinresistenz sowie mentale Erkrankungen, insbesondere Depressionen. Während das gemeinsame Auftreten der genannten Erkrankungen klinisch und epidemiologisch recht eindeutig belegt werden kann, verstehen wir die pathogenetischen Zusammenhänge oftmals noch nicht gut. Hier führt eine kürzlich von Kollegen der Frankfurter und Genfer Hautkliniken publizierte Arbeit weiter, in welcher ein möglicher mechanistischer Zusammenhang zwischen psoriatischer Entzündung, vaskulären Veränderungen (der sogenannten endothelialen Dysfunktion) und Insulinresistenz experimentell untersucht und beschrieben wird [33]. Die Forscher gingen von der Überlegung aus, dass Endothelzellen der Blutgefäße sowohl für die psoriatische Entzündung als auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wichtige Rollen spielen. Sie überprüften die Hypothese, dass durch Zytokine induzierte Insulinresistenz, wie sie bei Patienten mit Diabetes mellitus auftritt, Endothelveränderungen verursacht, welche zu beiden Krankheiten beitragen kann. Sollte dieser Nachweis gelingen, so wäre dies eine experimentelle Bestätigung für ei16 nen pathogenetischen Zusammenhang. Tatsächlich wurden die Kollegen fündig. Zunächst wurde festgestellt, dass die Endothelzellen der kleinen Blutgefäße in psoriatischer Haut den Akt-Signalweg im Vergleich zu Blutgefäßen gesunder Haut vermindert aktiviert haben (Akt ist eine zentrale Kinase im Signalweg von Insulin, die beispielsweise durch Wachstumsfaktoren aktiviert wird und für Wachstum und Überleben der Zellen wichtig ist). In den Laborversuchen der Arbeitsgruppe konnte Akt in Endothelzellen durch Insulin stimuliert werden. Es zeigte sich dann, dass durch eine Kombination verschiedener Zytokine – hier wurden unter anderem die für Psoriasis relevanten Zytokine Tumornekrosefaktor-α, Interleukin (IL)-17 und IL-23 untersucht – eine Unterdrückung dieser Aktivierung erreicht werden konnte. Es wurde also eine gewisse „Insulinresistenz“ erzeugt. Insulin kann auch die Expression von Adhäsionsmolekülen, die für die Rekrutierung von Entzündungszellen in die Haut wichtig sind, vermindern. Um nämlich an den Ort der Entzündung zu gelangen (in diesem Fall die psoriatische Haut), müssen Zellen des Immunsystems (beispielsweise T-Lymphozyten und neutrophile Granulozyten) an das Endothel der Blutgefäß-Innenseiten binden und dann durch die Gefäßwand auswandern. Dieser Prozess, den man Extravasation nennt, wird durch interagierende Adhäsionsmoleküle auf Endothelund Entzündungszellen vermittelt (besonders wichtig sind hierbei die endothelialen Moleküle E- und P-Selektin, Intercellular Adhesion Molecule-1 [ICAM-1] und Vascular Adhesion Molecule-1 [VCAM-1]). Die Abschwächung der durch TNF-α induzierten ICAM-1-Expression auf Endothelzellen durch Insulin legt den Schluss nahe, dass dadurch auch die Extravasation von Entzündungszellen beeinflusst werden könnte, obwohl dies in der hier vorgestellten Arbeit nicht direkt gezeigt werden konnte. Tatsächlich sind die Ergebnisse, die in weiteren funktionellen Experimenten, beispielsweise in einer den Blutfluss simulierenden Flusskammer, erzielt wurden, etwas schwierig zu interpretieren. So konnte eine eindeutige Korrelation der Änderung der Adhäsionsmolekül-Expression mit ver- Endothelzelle der Blutgefäße in gesunder Haut änderten Interaktionen zwischen Leukozyten und Endothelzellen nicht nachgewiesen werden. Auch eine Übertragung auf die in vivo-Situation un­ serer Patienten ist noch nicht möglich. Allerdings wurden in der Tat funktionelle Verbindungen zwischen auf den ersten Blick verschiedenen (patho-) physiologischen Vorgängen nachgewiesen. recht anschaulich, dass zwischen der Psoriasis und ihren „Begleiterkrankungen“ tatsächlich pathogenetische Zusammenhänge und nicht nur eine zufällige Vergesellschaftung bestehen können. Wir verstehen jetzt besser, warum wir bei unseren Psoriasis-Patienten nicht nur deren Haut, sondern den gesamten Menschen unsere Aufmerksamkeit widmen sollten. Warum ist diese Arbeit wichtig? Obwohl die umrissenen Untersuchungen sicherlich fortgeführt und ausgeweitet werden müssen, so belegen sie doch Endothelzelle der Blutgefäße in psoriatischer Haut TNF-α Akt-Signalweg Akt-Signalweg (zentrale Kinase im Signalweg von Insulin) (zentrale Kinase im Signalweg von Insulin) E-Selektin ICAM-1 (Adhäsionsmoleküle) TNF-α Normales Wachstum und Überleben der Zelle Akt-Signalweg Insulin Insulin Akt-Signalweg Erzeugung einer Insulinresistenz Legende: IL-1β TNF-α IL-17 IL-23 IL-22 Aktivierung/erhöhte Expression E-Selektin ICAM-1 Veränderung der Extravasation von Entzündungszellen möglich Inhibition/ verminderte Expression Grafik erstellt nach dem Studienkommentar von Prof. Dr. Michael P. Schön auf der Basis des Artikels von Schlüter K et al. Acta Derm Venereol 2016: 96: 162-168 17 Ihre Meinung ist gefragt Wir hoffen, Ihnen hat die Lektüre der neuen Publikation „Blickwechsel – Psoriasis im Dialog“ gefallen. Gibt es zum Beispiel aus Ihrem Praxisalltag spannende Fallbeispiele, die Sie mit Kollegen diskutieren möchten? Oder haben Sie Interesse daran, als Experte selbst Tipps zu geben? Jetzt sind Sie gefragt! Wie hat Ihnen die Ausgabe gefallen? Welche Themen waren für Sie besonders interessant und hilfreich? In jeder Ausgabe des „Blickwechsels“ liegt der Schwerpunkt auf einer anderen Begleiterkrankung, die im Zusammenhang mit Psoriasis eine große Rolle spielt. Im nächsten Heft fokussieren wir auf das Thema „Haut & Seele“. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung und Ihre Anregungen, um die nächsten Ausgaben noch besser auf Ihre Bedürfnisse und Erwartungen zuschneiden zu können. Referenzen: [1] A ugustin M et al. Acta Derm Venereol 2010; 90: 147-151 Wir sind davon überzeugt, dass der Austausch mit fachfremden Kollegen der effektivste Weg ist, den eigenen Horizont zu erweitern. Treten Sie deshalb mit uns in einen Dialog. Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge und freuen uns, die nächsten Ausgaben des „Blickwechsel“ gemeinsam mit Ihnen zu gestalten. Schreiben Sie uns einfach per E-Mail unter: [email protected] [14] P rodanovich S et al. Arch Dermatol 2009; 145: 700-703 [26] Solomon DH et al. JAMA 2011; 305: 2525-2531 [27] Costa L et al. Clin Rheumatol 2014; 33: 833-839 [15] L angan SM et al. J Invest Dermatol 2012; 132: 556-562 [28] Wolf N et al. J Med Genet 2008; 45: 114-116 [3] Augustin M et al. Br J Dermatol 2010; 162: 633-636 [16] B oehncke S et al. Br J Dermatol 2007; 157: 1249-1251 [29] Takahashi H et al. Arch Dermatol Res 2013; 305: 113-116 [4] D avidovici B et al. J Invest Dermatol 2010; 130: 1785-1796 [17] F eldman SR et al. J Manag Care Spec Pharm 2015; 21: 874-888 [30] Ziegler D et al. 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