Weitere Bestimmungen und Schwachstellen des JStG 1. Weitere Bestimmungen im JStG und im StGB Verjährung Art.36 und 37 Als Neuerung enthält das JStG in seinem 4. Kapitel (Art.36 und 37) spezielle Regelungen zur Verjährung mit wesentlich verkürzten Verjährungsfristen sowohl für die Verfolgungsverjährung (d.h. für noch nicht beurteilte Straftaten) als auch für die Vollstreckungsverjährung (d.h. für die Vollstreckbarkeit bereits angeordneter Strafen). Allgemeine Gründe für Verjährung: Das Bedürfnis nach Reaktion auf eine Straftat verringert sich mit zunehmender zeitlicher Distanz, Vergeltungsbedürfnisse schwächen sich ab. Die Beweisführung wird immer schwieriger, je weiter die Tat zurückliegt. Besondere Gründe für Jugendliche Zu den allgemein geltenden Begründungen für die Verjährung kommen im Jugendstrafrecht Argumente hinzu, die mit dessen besonderer Natur zusammenhängen. Dass für Jugendliche wesentlich kürzere Fristen als bei Erwachsenen gelten, liegt daran, dass das öffentliche Interesse bei «Jugendsünden» generell als geringer eingeschätzt wird, besonders aber in der Tatsache, dass Sanktionen bei Jugendlichen problematischer werden und spezialpräventiv immer weniger wirksam sind, je mehr Zeit seit dem Delikt vergangen ist. Das gilt umso mehr, je jünger der Täter ist, und je geringer der begangene Verstoss ist. Opportunitätsüberlegungen haben im Jugendstrafrecht ein gesteigertes Gewicht. Verfolgungsverjährung Art.36 Die Strafverfolgung verjährt in: a. fünf Jahren, wenn die Tat nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit einer Freiheitsstrafe von über 3 Jahren bedroht ist; b. drei Jahren, wenn die Tat nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bedroht ist; c. einem Jahr, wenn die Tat nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit einer andern Strafe bedroht ist (Art.36, Abs.1). Abs.2 Bei Straftaten nach den Artikeln 11-113, 122, 189191 und 195, die sich gegen ein Kind unter 16 Jahren richten, dauert die Verfolgungsverjährung in jedem Fall bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Opfers. Verkürzte Fristen Art.36 setzt besondere, abgestufte Fristen für die Verfolgungsverjährung fest, die im Verhältnis zu denen des Erwachsenen-Strafrechts (Art.97 und 109 StGB) beträchtlich verkürzt sind. Während bei Erwachsenen abgestuft nach 15 Jahren (Straftaten mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren) und nach 7 Jahren (andere Verbrechen und Vergehen) bzw. nach 3 Jahren (Übertretungen) eintritt, betragen die Fristen im Jugendstrafrecht bei ähnlichen Voraussetzungen 5 Jahre, 3 Jahre und 1 Jahr. Vergehen fallen teilweise unter die 3-Jahres- bzw. unter die 1-Jahres-Frist (bei Strafdrohung Geldstrafe). Riedo hält das für ein Versehen, S.332. Massgeblich ist die abstrakte Strafdrohung, d.h. die Höchststrafe, die im Gesetz für den entsprechenden Tatbestand vorgesehen ist, nicht die Strafe, die im konkreten Fall ausgesprochen werden müsste. Problematik bei Schwerverbrechen So sinnvoll eine Verkürzung der Verjährungsfristen für Jugendliche ist, stellt sich doch die Frage, ob die Obergrenze von 5 Jahren generalpräventiven Anforderungen zu genügen vermag, wenn ein Jugendlicher ein Schwerverbrechen begeht und erst nach längerer Zeit überführt wird (was zum Glück sehr selten vorkommt). Man stelle sich etwa die öffentliche Reaktion auf einen brutalen Mord vor, der nach 5 Jahren aufgeklärt wird und nicht mehr geahndet werden kann. Auch im internationalen Vergleich fällt die Obergrenze von 5 Jahren für Schwerverbrechen aus dem Rahmen. De lege ferenda denkbar wäre eine längere Frist für die in Art.25 Abs.2 abschliessend geregelten Tatbestände. Verjährung nach 1.instanzlichem Urteil Bedauerlicher Weise nicht anwendbar ist die in Art. 97 Abs.3 StGB enthaltene Regel, wonach die Verjährung nach einem erstinstanzlichen Urteil nicht mehr eintritt. Deshalb könnten Jugendliche die Verjährung herbeiführen, indem sie ein Rechtsmittel ergreifen, was bei Erwachsenen wegen der erwähnten Bestimmung nicht mehr möglich ist. Das Bundesgericht löste dieses Problem gestützt auf das frühere Recht ehemals damit, dass es die Verfolgungsverjährung nach dem erstinstanzlichen Urteil ruhen und erst mit der Ausfällung des letztinstanzlichen kantonalen Urteils zu Ende gehen liess[1]. Ob eine solche Regel im Jugendstrafrecht weiterhin gilt, wird noch zu entscheiden sein. [1] BGE 92 IV 171 Probleme bei Mediation Probleme können im Zusammenhang mit einer Mediation entstehen. Da die Verjährung während des Mediationsverfahrens weiterläuft, könnte die Mediation beantragt und danach bewusst verzögert werden, um den Eintritt der Verjährung herbeizuführen. Die Befürchtung, dass ein solcher Verlauf eintritt, kann der Anlass sein, warum die zuständige Behörde die Mediation ablehnt. De lege ferenda wäre eine Regelung sinnvoll, dass die Verjährung während eines Mediationsverfahrens stillsteht[1]. [1] Vgl. André Kuhn in Bohnet, S.71 Delikte gegenüber Kindern Abs.2 Eine Ausnahme zu den in Art.36 Abs.1 formulierten Verjährungsregeln gilt für Delikte, die gegenüber Kindern begangen werden: Wie im Erwachsenenstrafrecht (Art.97 Abs.2 StGB) dauert die Verfolgungsverjährung bei den in Art.36, Abs.2 abschliessend genannten Straftaten, deren Opfer Kinder unter 16 Jahren sind, mindestens bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Opfers. Allerdings ist der Deliktskatalog nicht völlig deckungsgleich, indem die sexuellen Handlungen mit Kindern und unmündigen Abhängigen (Art. 187 f. StGB) im Jugendstrafrecht nicht unterstellt sind. Die längere Verjährungsfrist kann bewirken, dass Personen, die erwachsen sind, sich vor dem Jugendgericht verantworten müssen. Ihre früheren Übergriffe können allerdings nur mit jugendstrafrechtlichen Sanktionen geahndet werden. Unverjährbarkeitsinitiative Seit dem 1.1.2013 ist für Erwachsene auch die generelle Unverjährbarkeit von sexuellen und pornografischen Straftaten an Kindern unter 12 Jahren anwendbar, wie sie mit der Annahme der Unverjährbarkeitsinitiative im Jahr 2008 vom Stimmvolk beschlossen worden war. Die Umsetzung wurde durch die entsprechende Änderung in Art.101 Abs.1 lit.e StGB verwirklicht. Gemäss Abs.3 gilt sie sogar rückwirkend vom 30.11.2008 an. Im Jugendstrafgesetz wurden in Art.1 Abs.2 lit.j jedoch nur Art.101 Abs.1 lit.a-d und Abs.2 und 3 StGB als anwendbar erklärt. Weil lit.e nicht aufgeführt ist, gilt die absolute Unverjährbarkeit für die von Jugendlichen begangenen Sexualdelikte nicht. vom Weitere Ausnahmen Als eher theoretische Ausnahme sind dagegen gemäss Art.1 lit.j. die Bestimmungen des Erwachsenenstrafrechts (Art.101 Abs.1 lit.a-d StGB) anwendbar betreffend die absolute Unverjährbarkeit von Völkermorddelikten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und terroristischen Straftaten . Entgegen dem Wortlaut von Art.37 Abs.2 gibt es bei diesen Straftaten auch keine Vollstreckungsverjährung, Riedo S.336. Solche Schwerstverbrechen dürften allerdings kaum je von Jugendlichen begangen werden. Vollstreckungsverjährung Art.37 Die Strafen verjähren in: a.vier Jahren, wenn ein Freiheitsentzug von mehr als sechs Monaten ausgesprochen wurde; b.zwei Jahren, wenn eine andere Strafe ausgesprochen wurde (Art.37, Abs.1). Die Vollstreckungsverjährung knüpft an eine in einem vollstreckbaren Urteil auferlegte Strafe an. Sie regelt, wie lange diese vollstreckt werden kann, wenn der Vollzug, z.B. wegen Flucht, Krankheit, Irrtum oder Platzmangel, vorerst unterbleibt. Auch hier verkürzte Fristen Für Jugendliche gelten wesentlich kürzere Fristen als im Erwachsenen-Strafrecht (wo nach Art.99 StGB mehrfach abgestufte Verjährungsfristen, absteigend von 30 bis zu 5 Jahren, vorgesehen sind). Im Jugendstrafrecht gelten 4 Jahre, wenn ein Freiheitsentzug von mehr als 6 Monaten ausgesprochen wurde, resp. 2 Jahre bei jeder andern Strafe. Spätestens endet die Vollstreckungsverjährung mit dem 25.Altersjahr, Art.37, Abs.2. Die im Erwachsenenstrafrecht geltende Regel (Art.99, Abs.2 StGB), wonach sich die Verjährungsfrist einer Freiheitsstrafe um die Dauer ihres ununterbrochenen Vollzugs und um die Dauer der Probezeit bei bedingter Entlassung verlängert, ist im Jugendstrafrecht ebenfalls anwendbar, Art.1 lit.j. Massnahmen verjähren nicht Schutzmassnahmen verjähren nicht, doch sind sie aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht ist (der drogenabhängige Jugendliche hat sich in der Zwischenzeit z.B. freiwillig einer Therapie unterzogen), oder wenn der Zweck nicht mehr erreichbar ist (z.B. weil zu wenig Zeit bis zur Erreichung der Altersgrenze bleibt), Art.19. Auf jeden Fall enden Massnahmen mit der Vollendung des 22.Altersjahrs, Art.19, Abs.2 (vorgesehen ist die Erhöhung auf das 25.Altersjahr). Eintrag ins Strafregister Art.366-371 StGB Der Eintrag ins Strafregister ist nicht im JStG, sondern im StGB geregelt. Die Regelung wird ergänzt durch die Verordnung über das Strafregister (VOSTRA-V). Eingetragen werden gemäss Art.366, Abs.3 StGB Verurteilungen zu einem Freiheitsentzug gemäss Art.25 JStG, zu einer Unterbringung gemäss Art.15 JStG und zu einer ambulanten Therapie gemäss Art.14 JStG. Die Freiheitsentzüge werden unabhängig vom Strafmass und von der Gewährung des bedingten oder teilbedingten Vollzugs registriert. Eingetragen wird somit bereits die Verurteilung zu einem Tag Freiheitsentzug mit bedingtem Vollzug. Erweiterung seit 2013 Seit dem 1.1.2013 werden zusätzlich zur früheren Regelung alle Unterbringungen gemäss Art.15 (vorher nur geschlossene Unterbringungen) sowie die ambulanten Behandlungen gemäss Art.14 JStG eingetragen (Ergänzung in Art. 366 StGB). Die einsichtsberechtigten Behördenstellen wurden in Art.367 StGB gleichzeitig um den Führungsstab der Armee erweitert. Diese Neuerung soll es ermöglichen, jugendliche Straftäter bei der Armee-Rekrutierung als mögliche Sicherheitsrisiken zu identifizieren. Art.366 Abs.3 und 371 Abs.2 StGB Verurteilungen von Jugendlichen sind nur aufzunehmen, wenn diese verurteilt worden sind: a. zu einem Freiheitsentzug (Art. 25 JStG); b. zu einer Unterbringung (Art. 15 JStG) oder c. zu einer ambulanten Behandlung (Art.14 JStG). Urteile betreffend Jugendliche erscheinen im Strafregisterauszug nur, wenn diese als Erwachsene wegen weiterer Taten verurteilt wurden, die in den Strafregisterauszug aufzunehmen sind. Jugendsünden werden nicht mitgeteilt Die Härte, dass alle Freiheitsentzüge und sogar ambulante Behandlungen eingetragen werden, wird abgemildert durch die in Art.371, Abs.2 StGB enthaltene Regel, wonach in Strafregisterauszügen für Privatpersonen Jugendverurteilungen nur erscheinen, falls die Verurteilten als Erwachsene wegen weiterer eintragspflichtiger Taten verurteilt worden sind. Wenn eine ehemals im Jugendalter verurteilte Person, die seither nicht mehr verurteilt wurde, über sich selbst einen Auszug einholt, ist die „Jugendsünde“ somit nicht mehr aufgeführt, wohl aber, wenn eine strafrechtliche Behörde oder ein Strassenverkehrsamt Auskunft verlangen. Entfernen von Einträgen Die eingetragenen Urteile werden von Amtes wegen aus dem Strafregister entfernt, wenn über die gerichtlich zugemessene Strafdauer hinaus 10 Jahre vergangen sind (Art. 369, Abs.1 StGB). Einmal entfernte Strafregistereinträge dürfen in einem neuen Strafverfahren bei der Strafzumessung und beim Entscheid über den bedingten Strafvollzug nicht mehr berücksichtigt werden, wohl aber im Rahmen einer neuen Begutachtung[1] oder im Rahmen der Gefährlichkeitsbeurteilung. [1] BGE 135 IV 87 ff. Ehemalige Bestimmungen Art.38-43 aJStG Im Gegensatz zum früheren Jugendstrafrecht enthielt das ursprüngliche aJStG im 5. Gesetzeskapitel (Art.38-42) auch formelle Bestimmungen zum Verfahren. Sie wurden als Mindestgarantien begründet und sollten sicherstellen, dass das materielle Jugendstrafrecht und seine Grundsätze tatsächlich zum Tragen kamen. Der Bundesgesetzgeber wollte insbesondere eine einheitliche Anwendung des Gesetzes und die Beachtung der durch die internationalen Standards vorgegebenen Mindestanforderungen gewährleisten. Zudem enthielt das 5. Kapitel ehemals Bestimmungen zur Kostentragung im Vollzug (Art.43). All diese Bestimmungen sind seit dem Inkrafttreten der JStPO in diese überführt worden. Die Einzelheiten werden dort dargestellt. Schluss- und Übergangsbestimmungen Die Schlussbestimmungen formulieren Änderungen, die im StGB in andern Artikeln als den durch das JStG ersetzten Art.82 - 99 aStGB vorgenommen werden mussten, sowie Änderungen in andern Gesetzen (Art.44). Zudem regeln sie Fälle, wo Sanktionen vor dem Inkrafttreten des JStG nach altem Recht angeordnet wurden, aber noch nicht oder nicht vollständig vollzogen waren, und Fälle, in denen früher begangene Straftaten nach dem neuen Recht beurteilt werden mussten (Art.45 bis 47). Da dieses bereits seit 2007 gilt, spielen diese Übergangsbestimmungen heute kaum mehr eine Rolle. Übergangsfrist für Straf- und Massnahmenvollzug Schliesslich enthält das Gesetz eine an die Kantone gerichtete Übergangsbestimmung, die ihnen eine 10-jährige Frist für die Errichtung der neuen Vollzugseinrichtungen einräumt (Art.48). Die Kantone haben bis Ende des Jahres 2016 zehn Jahre Zeit, um die für die Unterbringung (Art.15) resp. für den Freiheitsentzug (Art.27) erforderlichen Einrichtungen bereit zu stellen. Die Befristung gilt nicht für die Untersuchungshaft, BGE 133 I 298; in der Untersuchungshaft müssen Jugendliche und Erwachsene schon seit 2007 getrennt untergebracht werden. Frist sollte eingehalten werden Es ist zu hoffen, dass die in Art.48 formulierte Befristung eingehalten wird, und dass die Übergangregelung nicht das gleiche Schicksal erfährt wie die zum früheren Art.93ter aStGB, die im Jahre 1974 ebenfalls eine 10jährige Frist „bis zur Errichtung einer Anstalt für Nacherziehung“ vorgesehen hatte. In der Übergangszeit konnten Jugendliche entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes in Anstalten für Erwachsene untergebracht werden. Weil die Kantone ihrer Verpflichtung nie nachkamen, wurde die Übergangsfrist bis zum Jahr 2006 immer wieder verlängert und damit der Zustand weitergeführt, den der Gesetzgeber ausdrücklich hatte beseitigen wollen. 2. Schwachstellen des JStG Das seit 2007 geltende Jugendstrafgesetz ist durchaus geeignet, um auf die durch die Jugenddelinquenz verursachten Probleme strafrechtlich zu reagieren. Die von Urwyler/Nett 2012 erarbeitete Evaluation kommt zum Ergebnis, die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele seien mehrheitlich erreicht worden (S.168). Das Ausmass der Straftaten habe sich nicht erhöht, und die Rückfallquote sei unverändert geblieben. Das System des Jugendvollzugs bewähre sich zumindest gleich oder gar besser als in andern Ländern (S.164). Als Folge des JStG werde das Jugendstrafrecht vermehrt und einheitlicher als früher als Erziehungsstrafrecht wahrgenommen (S.161). Politische Vorschläge zur Verschärfung Das JStG weist unbestritten einige Mängel auf. Deshalb sind schon zahlreiche Forderungen auf dem Tisch, wie es abgeändert, d.h. vor allem verschärft werden könnte. So sind im Parlament z.B. Vorstösse eingereicht worden zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Jugendliche, zur Senkung der Altersgrenze und Erhöhung der Obergrenze für Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren, für eine Verwahrung von jugendlichen Straftätern, für unbedingte Strafen als Regel, für Umerziehungslager (boot camps). Allerdings besteht in der Fachwelt weitgehend Einigkeit darüber, dass eine reine Verschärfung der Sanktionen weder in general- noch in spezialpräventiver Hinsicht erfolgversprechend ist. Keine Schnellschüsse Ein überstürztes Vorgehen mit politischen Schnellschüssen macht keinen Sinn. Obwohl das JStG Schwachstellen aufweist, ist es doch ein brauchbares Instrument, um einerseits Jugendlichen Grenzen aufzuzeigen und andererseits gefährdeten Jugendlichen die Hilfen oder Leitplanken zukommen zu lassen, die sie brauchen. Um die Schwachstellen gezielt zu verbessern, ist es sinnvoll, eine sorgfältige Reform einzuleiten und dabei die in der Praxis gemachten Erfahrungen zu berücksichtigen. In diesem Sinn ist es zu begrüssen, dass das Bundesamt für Justiz nach der Inkraftsetzung des JStG eine wissenschaftliche Evaluation in Auftrag gegeben hatte, deren Ergebnisse, verfasst von Urwyler/ Nett, seit Ende 2012 vorliegen. Bewährung des Jugendstrafrechts anhand von Rückfalluntersuchungen Im Vergleich mit den deutschsprachigen Nachbarländern Deutschland und Österreich schneidet das Schweizer Jugendstrafrecht besser ab. Das liegt daran, dass die Sanktionen weniger hart sind, denn in allen Ländern weisen die leichtern Sanktionen, und vor allem die nicht freiheitsentziehenden, deutlich günstigere RückfallErgebnisse auf. Lit. Masterarbeit von Marc Obrist, Luzern 2013 Die wichtigsten Schwachstellen Der Strafkatalog für die Unter-15-Jährigen ist mit der Höchststrafe von 10 Tagen Persönliche Leistung zu knapp. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass Kinder, die schwere Straftaten begehen, immer einer Massnahme zugeführt werden sollten. Allerdings kann das ausnahmsweise ausgeschlossen sein, z.B. weil das Kind Wohnsitz im Ausland hat. Für solche Fälle sollte es m.E. möglich sein, auch längere Arbeitsstrafen auszusprechen und diese notfalls stationär zu vollziehen. 14 statt 15 Jahre? Üeberlegenswert wäre auch, die bei verschiedenen Strafen (Busse, Freiheitsentzug, Persönliche Leistung von mehr als 10 Tagen) vorgesehene Altersgrenze von 15 Jahren auf 14 Jahre zu senken. Damit könnte der nachweisbaren Akzeleration der jugendlichen Entwicklung und der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Jugendliche heute über grössere Freiräume verfügen und damit auch mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen. Die Grenze von 14 Jahren für die eigentlichen Jugendstrafen entspräche den Erkenntnissen neuerer entwicklungspsychologischer Untersuchungen und zugleich der in andern Ländern, z.B. in Deutschland, Österreich und Italien, bestehenden Regelung. Katalog in Art.25 Abs.2 erweitern Beim Freiheitsentzug bis zu vier Jahren dürfte der Katalog der Schwerstverbrechen, die nach Art.25, Abs.2 JStG dafür Anlass sein können, zu stark eingeschränkt sein. Deshalb sollte er aus generalpräventiven Gründen erweitert werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch die erwähnte Evalution, S.167. Der von Brigitte Stump vorgelegte internationale Vergleich zeigt, wie wichtig es ist, in den sehr seltenen Fällen, wo Jugendliche schwerste Verbrechen begehen, über angemessene Sanktionen zu verfügen, weil sonst im Sinne des „adult time for adult crime“ der Einbruch des Erwachsenenstrafrechts droht[1]. Bevor eine Ausweitung des Deliktskatalogs allerdings umgesetzt werden kann, sollten zuerst die gesetzlich vorgesehenen Vollzugseinrichtungen zur Verfügung stehen. [1] Brigitte Stump, Adult time for adult crime, S.298 Obergrenze im Massnahmenvollzug Im Rahmen der Unterbringungsmassnahme sollte der Vollzug bis zum 25. Altersjahr aus spezial- und generalpräventiven Überlegungen verlängert werden können, wie das früher auch bei der Massnahme nach Art.91, Ziff.2 aStGB (aber nur dort) der Fall war. Auch die Evaluation hält die Fortführung über das 22. Altersjahr hinaus für sinnvoll, S.166. In der im Jahr 2010 erfolgten Vernehmlassung zum Sanktionenrecht fand der Vorschlag, in Art.19, Abs.2 für alle Massnahmen das 25.Altersjahr als Obergrenze vorzusehen, breite Zustimmung. Deshalb dürfte diese Gesetzesänderung demnächst umgesetzt werden. Bedingte Strafe bei Arbeitsleistung Für Jugendliche sind vollbedingte Strafen im Bereich der persönlichen Leistungen (und auch der Busse) wenig sinnvoll. Der Gesetzgeber hat diese Regelung unbesehen aus dem Erwachsenenstrafrecht übernommen (wo sie übrigens auch höchst problematisch ist), ohne sich mit den im Jugendstrafrecht geltenden erzieherischen Anforderungen näher auseinander zu setzen. Aus der Sicht der Praxis wird der teilbedingte Vollzug sowohl bei Bussen als auch bei persönlichen Leistungen dem vollbedingten Vollzug als spezialpräventiv überlegen angesehen, Evaluation S.166. Statistisch ist bei beiden Strafarten der unbedingte Vollzug die Regel. Einverständnis für ambulante Massnahme Mit dem Wegfall der bedingten Entlassung aus dem Unterbringungsvollzug ist für die Über-18-Jährigen die Möglichkeit einer abgestuften Progression eingeschränkt. Die Ersatzlösung in Form der Änderung in eine leichtere Massnahme (Art.18) ist an sich sinnvoll, sie stösst aber in dieser Altersgruppe an Grenzen, weil ambulante Erziehungsmassnahmen nur mit dem Einverständnis der volljährigen Betroffenen angeordnet werden können. Auch wenn Aufsicht oder Persönliche Leistung nicht im Zusammenhang mit der Entlassung aus der Unterbringung angeordnet werden, macht das erforderliche Einverständnis des volljährigen Verurteilten wenig Sinn. Vikariierendes Prinzip Problematisch ist die Ausgestaltung des vikariierenden Prinzips bei der Verbindung von Freiheitsstrafe und Unterbringungsmassnahme. Bei den Erwachsenen beruht das Vikariieren darauf, dass beide Sanktionen vergleichbar schwer sind. Bei den Jugendlichen ist die Strafe praktisch immer deutlich kürzer. Deshalb fährt ein Jugendlicher zeitlich besser, wenn er sich der Schutzmassnahme verweigert und dadurch den Wechsel zur Strafe erzwingt. Eine Lösung kann schon heute darin liegen, die Schutzmassnahme in solchen Fällen allein auszusprechen, was vom Gesetzestext her möglich wäre (Art.21, Abs.2 lit.a JStG), aber vom Bundesgericht noch nicht beurteilt worden ist. De lege ferenda wäre eine Lösung sinnvoll, wonach die in der sabotierten Massnahme verbrachte Freiheitsbeschränkung nicht zwingend anzurechnen wäre. Gemischte Fälle Verunglückt ist der Art.3, Abs.2 JStG, der für Jugendliche, die vor und nach dem 18. Geburtstag delinquiert haben, zu Ungerechtigkeiten führt und zudem die Jugendgerichte zwingt, Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Die beiden letzten Sätze sollten nur bei Massnahmen zur Anwendung kommen (vgl. Riedo, Wenn aus Kälbern Rinder werden, S.186). Verfolgungsverjährung Bei der Verfolgungsverjährung gemäss Art.36 könnte die Obergrenze von 5 Jahren in der Öffentlichkeit auf Unverständnis stossen, wenn in seltenen Fällen ein Jugendlicher ein schweres Verbrechen begeht, das erst nach 5 Jahren aufgeklärt wird. Deshalb wäre bei den in Art.25 Abs. 2 geregelten Schwerstverbrechen eine längere Verjährung gerechtfertigt. Die Diskussion um die 2008 angenommene Verjährungsinitiative hat gezeigt, dass das Institut der Verjährung in der Öffentlichkeit nur sehr begrenzt Akzeptanz findet. Electronic Monitoring Zunächst hatte hat es der Gesetzgeber versäumt, das Electronic Monitoring, den elektronisch gesicherten Hausarrest, als Vollzugsform gesetzlich zu regeln. Die Erfahrungen in England und im Kanton Basel-Landschaft (seit 2004) zeigten aber, dass EM bei Jugendlichen erzieherisch sinnvoll eingesetzt werden kann. Der Bund lässt EM in einem neuen Art.16a JStG seit 2015 für alle Kantone im Zusammenhang mit Tätigkeits-, Kontakt- und Rayonverboten zu. Mehrere Kantone (z.B. ZH, SG, ZG, BE, BS) sind daran, EM im Jugendbereich einzuführen.