Vorlesung OC-II für Nebenfächler Kapitel 2: Eliminierungen unter Bildung von Alkenen Alkene sind wichtige technische Grundchemikalien für die organische Synthese und für die industrielle Produktion. Die hohe Reaktionsfähigkeit bezüglich der Addition (Kap. 1) ist dafür verantwortlich. Wichtig sind Additionsreaktionen auch deshalb, weil bei Additionsreaktionen keine weiteren Produkte gebildet werden. Im Labor benutzt man deshalb ebenso gern Alkene, aber spezielle Alkene stehen vielfach nicht zur Verfügung, sie müssen also hergestellt werden. Dies geschieht durch Eliminierung geeigneter Gruppen aus den gesättigten Verbindungen. Es gibt zahlreiche Methoden, hier werden die wichtigsten Verfahren und Reaktionsmechanismen vorgestellt und verglichen. Beginnen wir mit einer reversiblen Reaktion: 2.1. Dehydratisierung von Alkoholen (Folie 1) H+/ ∆T + H2O H OH ein Alkohol DH ~ (ca. 30-50 kJ, 8-12 kcal/mol) Das ist wenig, der Reaktionsmechanismus erlaubt somit ein thermisches Gleichgewicht, wobei die Flüchtigkeit des Alkens meist eine einfache Abtrennung vom Alkohol erlaubt. Der Mechanismus noch mal im Detail an einem Beispiel: H H O H H OH O P H n H OH H H OH H H O+ H H H - H 2O + H H H H H Carbeniumion! Sdp. 161 H H H H H 1 H Sdp. 82.9 Wasser wird als Abgangsgruppe eliminiert. Als „Basen“ für die Aufnahme des Protons fungieren das Wasser oder die korrespondierende Base der Katalysatorsäure. Wegen des niedrigeren Sdp. läßt sich das Alken leicht destillativ isolieren (Praktikum). Polyphosphorsäure wird oft verwendet, alternative Katalysatoren sind KHSO4, „saures“ Al2O3 u.a., hohe Temperatur ist günstig. Warum nicht HCl? Das Carbeniumion könnte das Cl- binden, als Nebenreaktion, deshalb nimmt man die o.a. verwendeten, wenig nucleophile Säuren. Wie verhalten sich primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole bei dieser Reaktion? Das Schema zeigt ein Carbeniumion. Folie zu Carbeniumionen! 8a, Addition Primäre Carbeniumionen sind bekanntlich energiereicher als sekundäre und tertiäre, somit die Leichtigkeit der Dehydratsierung : tert. > sec. > prim. Siehe Kapitel I in dieser Sache! Probe aufs Exempel: H+ CH3 CH3 OH H3C sehr schnell CH3 H+ CH3 CH2 OH "Hofmann-Produkt" ca. 3 % CH3 ca. 60 % E ca. 30 % Z CH3 "Saytzew. Produkte" Die Regioselektivität favorisiert die „inneren“ Alkene, nur sehr wenig endständiges Alken wird gebildet: dies ähnelt der thermodynamisch kontrollierten Verteilung der Alkene. CH3 H+ CH3 OH CH3 CH3 > 90 % nur ein Produkt Regel von Saytsev: die internen Alkene sind bevorzugt, daher SaytsevProdukt(2) [siehe jedoch "Hofmannprodukt: später]. 2 Dehydratisierungen sind auch in der biologischen Chemie wichtig, z.B. ein Ausschnitt aus der Fettsäuresynthese OH β-Hydroxyacyl-S-ACP dehydratase O S-ACP O S-ACP - H2O (ACP = acyl carrier protein) 2.2. Baseninduzierte Eliminierungen X + + Base- H+Base- + X- H Was ist X: eine nucleofuge Abgangsgruppe Beispiele : I > Br > Cl; -O-SO2-C6H5CH3 Basen sind: OH-, OR- , (auch NR3) u.a., evt. auch schwächere Basen wie AcOTypische Beispiele sind die baseninduzierten Dehydrohalogenierungen an Alkylhalogeniden mit KOH oder NaOH in abs. EtOH oder Alkoholaten (z.B. NaOEt/EtOH) als Basen. Viel Material findet man bei Bruice, fast zu viel, aber gibt ein gutes Verständnis. Br KOH/EtOH E2 Rückfluß 28 % H 46 % 16 % 10 % SN2 OH + H Br EtONa/EtOH Rückfluß + nur 25 % E2 OC2H5 75 % SN2 Man sieht auf Anhieb eine Menge Einflüsse. In der Tat ist Interpretation gefragt. Zunächst mehr Information. Kinetik: RG = k2[Alkylhalogenid][Base] bedeutet, beide Partner sind im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt beteiligt: eine „konzertierte Reaktion“: 3 Abgangsgruppe X Base- H Ein getimeter Ablauf des Elektronenflusses. Keine Zwischenstufe. Es ist der energetisch günstigste Reaktionsablauf. Die Doppelbindung wächst sozusagen im Laufe des Prozesses heraus. Folien 2,3 Interessant ist : für jedes mögliche Alken gibt es einen eigenen Übergangszustand mit festgelegter Geometrie. Zwei wesentliche Einflüsse auf den ÜZ lassen sich feststellen: Der ÜZ ist „produktnahe“ endotherm, entsprechend geht die thermodynamische Stabilität des Alkens mit ein: die trans-Form hat i.d.R. einen energetisch niedrigeren ÜZ, die Reaktion ist schneller! Die Annäherung der Base kann mit sterischer Hinderung einhergehen. Die Reaktion kann durch die Sperrigkeit der Base beeinflußt werden. Weiterer Punkt: Basen sind grundsätzlich auch Nucleophile. Wir haben gesehen, dass auch Substitution (Ether) auftritt. Später noch mehr zu E1,E2, SN2, SN1! Saytsev-Regel: Das höher substituierte Alken wird bevorzugt (gilt sowohl für E1-Dehydratisierung als auch für Dehydrohalogenierung). Matth. 25, 29 2. Halbsatz „... wer aber nicht hat, dem wird auch genommen was er hat“. Eine Regel aus der Ära Markovnikov, aber nicht so stringent, es gibt Möglichkeiten der Umgehung. Eine weitere Variante ist die Verwendung der Tosylgruppe als Abgangsgruppe, die man leicht über eine alkoholische Hydroxylgruppe erhält: O R-OH + Cl S O CH3 N O R O S O CH3 + + N H Cl Es handelt sich hier um die Bildung eines Esters des Alkohols R-OH mit Toluolsulfonsäurechlorid. [Eine ganz analoge Methode zur Darstellung von Carbonsäuren mit Carbonsäurechloriden: siehe Kap. 4.] Toluolsulfonsäureester nennt man Tosylate. Die Tosylgruppe ist eine sehr gute nucleofuge Abgangsgruppe. Zur Stereochemie vgl. auch Beispiele aus 2. Sem., Reiser 4 Beispiel hierzu: CH3 CH3 H H TosCl OH H3C Pyridin KOH/EtOH H3C + Tos- ∆T OTos H CH3 CH3 CH3 H3C CH3 TosOCH3 H i-Prop TsO H H CH3 i-Prop H H energetische günstige Konformation, aber nicht geeignet für die Eliminierung H H IBase Nur in der Konformation rechts kann der E2-Mechanismus wirken. Konkurrenz: SN2, aber beträchtiche sterische Hinderung! Ähnliches Problem: (Hier können wir jetzt auch unsere Dibromverbindungen einspannen!) Br Base warum nicht andere Produkte Br Br Vorschläge: ? H Vergleichen Sie mit dem Mentholbeispiel, nur die äußeren C-H-Bindungen können sich antiperiplar zum Br-Substitutuenten einstellen! 5 Die alternativen Produkte sind aber gar nicht so ganz von der Hand zu weisen, wie das folgende Beispiel zeigt: Br Br2 Br 1) Br2, 2) KOH/Triglykol ∆ 1-Octin Leichter geht’s mit folgendem Beispiel: KOH/MeOH Ph-CHBrCH2Br → PhC≡CH Die Reaktionsmechanismen sind nicht mehr ein reiner E2-Mechansimus. Vielmehr hat die Deprotonierung einen "Vorlauf": E1cb-Mechanismus. (siehe auch Folie 6 aus KapI-II). Beispiel: H H H H H Br Br Br H H Br Br MeOI zum E1cb-Mechnaismus siehe auch Kapitel 5, Aldolkondensation! 6 2.3. Hofmann-Eliminierung August Wilhelm v. Hofmann, 1818-1892 Erschöpfende Methylierung H.-Eliminierung ab 1851 Hofmann-Abbau von Carbonsäureamiden 1881 1867 Gründung der Deutschen Chemischen Gesellschaft, erster Präsident. Später: Förderung der Chemischen Industrie Ist zwar der E2-Eliminierung sehr analog, eigentlich eine Variante. Die Ergebnisse sind aber ganz entgegengesetzt. Hier wird eine positiv geladene –NR3+ als Abgangsgruppe verwendet. In der Hofmann-E. werden quartäre Ammoniumhydroxide erhitzt. NH2 + N(CH3)3 CH3I, Übersch. I SN2 + N(CH3)3 AgO/H2O frisch OH (aus AgNO3/NaOH) AgI Erhitzen ohne Lösungsmittel + N(CH3)3 + H2O Die quartäre Ammoniumgruppe wird aus der Aminogruppe durch „erschöpfende Methylierung“ mit überschüssigem Methyliodid hergestellt (mehrfache nucleophile Substitution SN2, Kap. III). Es entsteht das sog. Hofmann-Produkt (entgegen dem alternativen Saytsev Produkt bei der baseninduzierten Eliminierung). Auf die Silberoxidmethode kann man heutzutage verzichten. Das moderne Verfahren der Ionenaustauschersäule (Austausch I- gegen OH-) ist viel einfacher. Im Prinzip ist die Methode ja sehr ähnlich wie die Dehydrohalogenierung, nur mit einer anderen Abgangsgruppe. Warum jetzt dieses Ergebnis? 1. Die Abgangsgruppe ist positiv geladen 2. Die Abgangsgruppe hat eine große räumliche Ausdehnung 7 2.4. Syn-Eliminierungen Esterpyrolyse Bei hohen Temperaturen (300 – 400) zersetzen sich Carbonsäurester zum Alken und zur Carbonsäure. ∆ R-CO2-CH2-CH2-R´ → R-CO2H + CH2=CH-R´ Ein Standardbeispiel zeigt eine Besonderheit: H CH3 O O H H CH2 ∆ + > 300 °C CH3COO H Die Besonderheit liegt darin, dass der Sauerstoff des Acetylrestes eine interne Base darstellt, entsprechend einem cyclischen Übergangszustand, der zur synEliminierung führt. Die Folie 5 zeigt noch zwei weitere Reaktionen dieses Typs: Tschugaeff und Cope. (Bruice erwähnt die Cope-Eliminierung kurz. Vollhardt erwähnt keine der drei Methoden. Somit lassen wir es bewenden – bis auf das Beispiel oben). Auf Folie 6 sind die typischen Reaktionsmechanismen für Alkensynthesen durch Eliminierung an gesättigten Substraten zusammengestellt. Die wichtigen Reaktionen sind diejenigen, die möglichst nur zu einem Produkt führen. Im Carbonylkapitel werden wir eine jüngere Alkensynthese kennen lernen, die WITTIG-Reaktion, mit der man zumindest das Problem der Regioselektivität und teilweise auch das E/Z-Problem gelöst hat. 8