Beachtliches Maß an Ineffizienz

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P O L I T I K
Klinik für Innere Medizin Lübeck,
Vorsitzende des Marburger Bundes,
Landesverband Schleswig-Holstein. In
der Tat dürfte der Arztbrief „unmittelbar“ zur medizinischen Versorgung
beitragen, was ihn auch aus der weit
gefassten Verwaltungs-Definition des
„Gabler Wirtschaftslexikons“ herausnimmt: „Verwaltung – Alle Tätigkeitsbereiche innerhalb der Unternehmung, die nicht unmittelbar zum Produktionsbereich gehören.“ Also im
Krankenhaus sämtliche Tätigkeiten,
die nicht direkt zur medizinischen Versorgung beitragen.
Als lästig, im Einzelfall zeitraubend
und oft nicht in den Ablauf passend
empfindet der Braunschweiger Kinderarzt die Bereiche Medizinischer Dienst
der Krankenkassen (MDK), ICD-Verschlüsselung und Korrespondenz mit
niedergelassenen Ärzten (ausgenommen Arztbriefe). Er sagt aber auch:
„Insgesamt nehmen diese Tätigkeiten
nicht so sehr viel Zeit in Anspruch.“ Als
wirklich zeitaufwendig beurteilt er:
❃ die vorhandenen Daten (Diagnosen, Stammdaten, körperliche Maße,
Auszüge aus der Anamnese et cetera)
in unterschiedlicher Anordnung hand-
schriftlich auf diverse Formblätter/Anforderungsbögen zu verteilen
❃ die Aktenführung und das Sortieren der Akten
❃ Termine zu veranlassen und zu koordinieren
❃ den Befunden „hinterherzulaufen“
❃ sowie die Dokumentation von Untersuchungen, Gesprächen und sonstigen Handlungen.
„Mich nerven besonders die kleinen
Dinge“, ergänzt Machnik. Teilweise sei
es ein wahnwitziger Aufwand, ein Bett
für einen Patienten in der Klinik zu organisieren.
Nachgefragt
Beachtliches Maß
an Ineffizienz
Sechs Fragen an den EDVExperten Dr. Lutz Kleinholz
DÄ: Viele Krankenhausärzte klagen über Doppelund Dreifachdokumentationen auf ihren Stationen.
Sind die EDV-Systeme in den deutschen Kliniken
noch zeitgemäß?
Kleinholz: Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. In den vergangenen Jahren haben die
Kliniken Millionen in moderne EDV-Systeme investiert, allerdings vorrangig im Verwaltungsbereich.
Der Modernisierung und Integration der medizinischen Systeme wurde meist wenig Bedeutung beigemessen, und diese medizinischen Dokumentationssysteme sind tatsächlich umständlich zu handhaben. Dies zeigt sich besonders in der Tatsache,
dass in den Krankenhäusern zwar verschiedene Informationssysteme für die verschiedenen Bereiche
eingesetzt werden; beispielsweise das Radiologieinformationssystem (RIS), das Laborinformationssystem (LIS) oder das Krankenhausinformationssystem (KIS). Ein Datenaustausch, beziehungsweise
die Integration der vorhandenen Daten in Form einer elektronischen Akte, kann meist aber nicht stattfinden. Auch die Eingabe von medizinischen Befunden und Maßnahmen über den Computer erfolgt somit nur bedingt.
DÄ: Welche Folgen hat das?
Kleinholz: Aus dieser Tatsache resultiert ein beachtliches Maß an Ineffizienz, wie zum Beispiel die Suche
nach Befunden und häufige Anfragen nach Ort und
Inhalt, für die Ärzte einen hohen Anteil ihrer Arbeitszeit aufbringen. Dies ist nicht zeitgemäß. Die Webbasierte Patientenakte bietet die Möglichkeit, Daten
patientenbezogen zu kumulieren und effizient zu erfassen, sodass sie von jedem PC der Klinik, aber auch
von autorisierten Nutzern außerhalb, abgerufen werden können. Dies sichert ein hohes Maß an Effizienz.
A 2430
Dr. Lutz Kleinholz,
ehemaliger Leiter
der Abteilung Informationstechnologie
der
Charité/Virchow
Klinikum
Berlin,
heutiger Geschäftsführer der GMD Gesellschaft für Medizinische
Datenverarbeitung mbH,
München Foto: GMD
DÄ: Wie viel Geld muss ein Krankenhaus investieren,
wenn es ein topmodernes auf Internet/Intranet-Technologie basierendes Informationssystem installieren
will? Muss das alte System dann verschrottet werden?
Kleinholz: Nein, die Integration der vorhandenen
oder auch neuer Informationssysteme ist möglich.
Somit sind Investitionen, die für die bestehenden Systeme getätigt wurden, keinesfalls verloren. Dies
hat auch den Vorteil, dass weiterhin alle Abteilungen die für sie jeweils besten Systeme nutzen können. Somit wird deutlich, dass ein Web-basiertes Informationssystem sich keinesfalls im Preissegment
eines KIS bewegt, sondern deutlich darunter. Bei einer Investitionsentscheidung müssen aber auch die
Opportunitätskosten berücksichtigt werden, also:
Was kostet es, wenn für die Suche nach Patientendaten oder für die Arztbriefschreibung ein Vielfaches an Zeit aufgewandt wird, während diese Arbeiten mit einer modernen Lösung innerhalb von Sekunden erbracht werden können?
DÄ: Wie kann ein Krankenhaus, das heute in ein
Computersystem investiert, sicher sein, dass es nicht
in drei Jahren wieder veraltet ist?
Kleinholz: Einerseits sind bei der Systemauswahl die
derzeit üblichen Standards zu beachten. Bei medizinischen Geräten beziehungsweise Informationssystemen setzten sich in der Vergangenheit mit dem
„Health Level Seven“ (HL 7) und dem „Digital Imaging and Communications in Medicine“ (DICOM) zwei
Datenstandards durch, die sicherlich auch künftig
nicht an Relevanz verlieren werden. Ein zukunftsfähiges Computersystem muss also diese Standards inte-
grieren können. Darüber hinaus sollte das System
durchaus mit einer Vision des sich abzeichnenden Gesundheitswesens ausgesucht werden. Dabei spielen
Integrierte Versorgung und Diagnosis Related Groups
(DRGs) die eine, Kommunikation mit Leistungserbringern, Patienten, Kollegen über Internet und Handy die
andere Rolle. Ich will damit sagen, dass einerseits
wirtschaftlichen und qualitativen Anforderungen, die
in nicht allzu ferner Zukunft steigen werden, Genüge
getan werden muss. Andererseits werden aber auch
Kommunikationswege und Vernetzungen relevant,
die technologisch relativ leicht zu bewältigen sind.
Der Leidensdruck zur Umsetzung fehlt aber noch.
DÄ: Wieviel Zeit muss ein Arzt täglich weniger für
Dokumentationsaufgaben aufwenden, wenn seine
Verwaltung in ein System für Verwaltung und Medizin investiert?
Kleinholz: Uns liegen keine Daten zu Verwaltungssystemen vor, da wir uns ausschließlich auf die Integration medizinischer Daten konzentrieren. Wie viel
rascher die Informationsübermittlung in Minuten
vonstatten geht, kann man an der Tatsache bemessen, dass ein Stationsarzt nach unseren Erhebungen
im Schnitt eine Stunde pro Tag nach Bildern und Befunden sucht und noch einmal ein bis zwei Stunden
mit Nachfragen über eigentlich verfügbare Informationen vergeudet. Beispielsweise wird die Auftragsund Befundkommunikation vielfach noch durch Personal vorgenommen. Mit der Web-basierten Lösung
lässt sich dieser Prozess innerhalb von wenigen Minuten bewerkstelligen, da die Befunde sofort nach
ihrer Erstellung auf jedem PC der Klinik abrufbar
sind.
DÄ: Gilt das auch für die Erstellung von Arztbriefen?
Kleinholz: Ja. Die Erstellung eines Entlassungsbriefes
ist auf konventionelle Art recht zeitintensiv. Durch den
Einsatz innovativer Lösungen wird der Arztbrief dank
der Zugriffsmöglichkeit auf bestehende Befunde oder
Therapien in Dateiform komfortabel und rasch erstellt
und steht dem weiter behandelnden Arzt sofort zur
Verfügung. Mit dieser Art der Informationsübermittlung steigt auch die Attraktivität der Klinik für die niedergelassenen Ärzte. Des Weiteren entfällt für die Klinikärzte die leidige Suche nach Befunden, da ja sämtliche Informationen sozusagen per Mausklick überall
zur Verfügung stehen.
DÄ-Fragen: Jens Flintrop
Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 97½ Heft 38½ 22. September 2000
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