Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 25 Forum 1: Islam im Schulalltag Konzept und Moderation: Impulsreferate: Berichterstattung: MR Albert Munding, Ministerium für Kultus, Jugend u. Sport, BW Mehmet Soyhun, Türkisch-Islam. Union d. Anstalt für Religion, DITIB SchulR'in Johanna Heiß-Wimmer, Staatl. Schulamt Stadt Memmingen Dr. Lothar Dittmer, Körber-Stiftung SchulR'in Ulrike Grassau, Senatsverw. f. Bildung, Jugend u. Sport, BE Gliederungsaspekte und Leitfragen des Forums a) Akzeptanz und Sichtbarkeit des Islam im Schulalltag Welche Rolle spielt der Islam im Unterricht? In welchen Fächern? Ganzheitlicher Ansatz, Projekte? b) Wo und wie wird Islam im Schulalltag sichtbar? Kopftuch? Mensa, Speiseplan? Sport; Klassenfahrten; Schullandheim? Feste? Konsequenz etwa für die Auswahl von Lektüren in Deutsch und Fremdsprachen, für Bilder im Fach Bildende Kunst und Musikstücke im Fach Musik? c) Ertrag Anregung für interkulturelles Lernen? Thema in Fächer übergreifendem und Fächer verbindendem Unterricht? d) Lehrerkollegium Wie wird darauf vorbereitet, motiviert? Gibt es Beratung? Interne, externe? Rahmenbedingungen? e) Einbeziehung der Eltern Kann das Thema auch bei Klassenpflegschaften/Elternabenden thematisiert werden? Werden diese Themen tatsächlich angesprochen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? f) Auswirkungen auf das Umfeld der Schule Welche Auswirkungen sind beabsichtigt und/oder ergeben sich auf das gesellschaftliche Umfeld der Schule? Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 26 Islam im Schulalltag Johanna Heiß-Wimmer Als 1964 ein türkisches Ehepaar mit seinen Kindern in einer Großstadt in Deutschland einen ehemaligen Bäckerladen in einer kleinen Seitenstraße als Wohnung bezog, wurde es von den Nachbarn und Anwohnern mit freundlicher Neugier beobachtet, als Exoten betrachtet. Caygläser auf einem kleinen runden Messingtablett, Wandteppiche, der Gebetsteppich in der Ecke des Wohnraumes, die ungewohnte türkische Musik, die Kopftücher, die die Mutter und ihre Töchter trugen, prägten die „Bilder im Kopf“ über den plötzlich so nahen Fremden, der sich unterschied in der Sprache, der Gestaltung seines Familienund Alltagslebens, in seinem religiösen Brauch und seiner kulturellen Identität. 2003 - nach nahezu 40 Jahren - ist der fremde Andere keine exotische, sondern alltägliche Erscheinung, die Fremderfahrung im eigenen Kontext zur Normalität geworden. Der "Fremde" heute ist auch nicht mehr der Exot, sondern er möchte sich selbst artikulieren, will gehört und wahrgenommen werden in der Vielfalt seiner kulturellen Prägung. Die Migration von Menschen islamischen Glaubens nach Mittel- und Westeuropa fordert den interkulturel­ len Dialog mit den Muslimen in der westlich säkularisierten Kultur heraus und setzt neue Akzente inner­ halb von Bildungskonzepten und Bildungsaufgaben, in schulischen Orientierungsprogrammen und Lehr­ plänen, im Alltag von Schule. Islam im Schulalltag: - Spielt er eine Rolle? - Wie wird er sichtbar und in seinen Grundsätzen erfahrbar? - Was trägt Schule dazu bei, um für einen interkulturellen Dialog zu befähigen, der geprägt ist von Achtung gegenüber religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer? Entlang der folgenden Aussagen, bzw. Feststellungen soll einerseits eine Bestandsaufnahme dessen erfolgen, was Schule und die an ihr Beteiligten für diesen Bildungsauftrag leisten. Sie sollen aber auch zur Diskussion, zur kritischen Reflexion anregen und Impulse setzen für weiterführende Überlegungen mit dem Ziel, Bestehendes zu optimieren und Neues zu initiieren. • Im Islamunterricht oder im Fach „ Islamische Unterweisung“ in der Pflichtschule haben muslimische Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, Grundlagen der islamischen Tradition, Geschichte, Ethik und Religion zu erfahren und vertiefen. In etwa der Hälfte aller Bundesländer ist entweder durch das Kultusministerium oder durch die Konsulate ein islamisches Unterrichtsangebot eingerichtet. In Bayern gibt es seit den 80er Jahren in Zusammen­ arbeit mit dem türkischen Staat ein eigenständiges Fach „Islamische Unterweisung“ an den Grund- und Hauptschulen, speziell für die proportional stärkste Gruppe der türkischsprachigen Schüler. Unterrichtet wird dieses Fach von türkischen Lehrkräften, die für einen befristeten Zeitraum von fünf Jahren durch das türkische Ministerium entsandt sind. Nachdem die Zahl der Schüler muslimischen Glaubens auch aus anderen Ländern in den letzten Jahren angestiegen ist, wird Islamkunde seit zwei Jahren nicht nur in türkischer, sondern auch in deutscher Sprache angeboten. Zum Schuljahr 2003/04 beginnt Bayern einen neuen Modellversuch „Islamunterricht“ als staatlichen Islamunterricht. Der Unterrichtsversuch startet an einer Erlanger Grundschule. An dieser Stelle soll nicht differenzierter auf die islamkundliche Unterweisung eingegangen werden, da dies Thema eines anderen Workshops ist. Als Fazit kann festgehalten werden, dass der Islam durch das Angebot islamischer religiöser Erziehung im Schulalltag an Grund- und Hauptschulen sichtbar wird. Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 27 • Formen des „gelebten Islams“ sind vielfältig im Schulalltag sichtbar und als Normalität akzeptiert. Lehrerinnen und Lehrer gehen offen auf muslimische Schülerinnen und Schüler zu und bemühen sich bei auftretenden Problemen in Kooperation mit den Eltern um eine konstruktive Lösung. Dies trifft v.a. auf solche Situationen zu, in denen religiöse Überzeugungen den Schulalltag und den Unterricht erschweren. Gelebter Islam im Schulalltag heißt: - Es ist Normalität, dass muslimische Mädchen Kopftücher tragen. - Bei Ganztagesbetreuungsangeboten oder Ganztagesschulen wird selbstverständlich beim Speiseplan Rücksicht auf muslimische Schüler genommen. Gleiches trifft für Schullandheimaufenthalte zu. - An islamischen Feiertagen haben die Schüler frei, in der Fastenzeit können fastende Schüler in Absprache mit der Lehrkraft selbst bestimmen, inwieweit sie sich aktiv am Sportunterricht oder in hauswirtschaftlichen Fächern beteiligen. - Strittige Fragen und Probleme können nach wie vor bei extrem religiös oder fundamentalistisch orientierten Familien auftreten. Dies betrifft in der Regel den Schwimmunterricht für Mädchen, das Kopftuch im Sportunterricht, Schullandheimaufenthalte für Mädchen und Themen der Sexual­ erziehung. Entscheidend für eine Lösung, mit der alle Beteiligten leben können, ist hier oft ein vermittelndes Elterngespräch durch Lehrkräfte oder auch die Schulaufsicht. Stark religiös geprägte Formen muslimischen Denkens, die das Schulleben in den 70er und 80er Jahren noch belasten konnten, haben heute an Einfluss im Schulalltag verloren. • Ein wesentliches Ziel der Schule ist die Erziehung zur Aufgeschlossenheit für Kultur sowie die Achtung vor den religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer. In Anerkennung des Eigenwerts jeder Kultur und Religion sollen Schülerinnen und Schüler zum interkulturellen Dialog befähigt werden. Diese Bildungsaufgabe ist in allen Lern- und Bildungsplänen der Bundesrepublik Deutschland als fächerübergreifendes und/oder fachspezifisches Bildungsziel eingearbeitet. Dies ist Aufgabe aller Schularten, von der Grundschule bis zum Gymnasium. Auf nähere Ausführungen wird an dieser Stelle verzichtet, da sich der Workshop „Islam in Curricula und Lehrbüchern“ intensiv mit dieser Frage beschäftigt. • Zur Umsetzung dieses Ziels können nahezu alle Fächer beitragen. Wegen der Vielschichtigkeit der Themen bietet sich fächerübergreifender Unterricht an, der projekt- und handlungsorientiert sein sollte. Die Intensität und Qualität der unterrichtlichen Bemühungen liegt hierbei in der Verantwortung und Entscheidung der einzelnen Lehrkraft. In einem handlungsorientierten Unterricht, der sich an den Erfahrungen der Schüler orientiert, stehen Schüleraktivitäten im Mittelpunkt. Schüler sind an der Entwicklung des Lernprozesses beteiligt und gestalten ihr eigenes Lernen mit. Sie bringen ihre Erfahrungen in den Unterricht mit ein, setzen sich eigenständig mit themenrelevanten Informationen und Materialien auseinander, befragen Experten, werten ihre Recherchen aus, tauschen sich untereinander aus und erfahren dabei, dass es unter­ schiedliche Sichtweisen von Welt gibt. Fächer wie Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Ethik, Religion, Musik und Kunst bieten offensichtlich die Möglichkeit der Umsetzung interkultureller Lerninhalte und lassen Raum für eine offene Unterrichtsgestaltung. Die Praxis des Schulalltags zeigt allerdings, dass Lehrkräfte noch zu zurückhaltend sind in der Anregung eines schüleraktiven Unterrichts, der den interkulturellen Austausch in der Klasse oder innerhalb des Schullebens initiiert und nicht in der Vermittlung von Stereotypen steckenbleibt. • Lehrerinnen und Lehrer verfügen häufig über ein sehr fundiertes Sach- und Fachwissen zu Fragen des Islams, der Migration von muslimischen Mitbürgern und sind aufgeschlossen für die Aufgabe der interkulturellen Erziehung. Das Angebot an Fortbildung zu diesen Themen ist von der lokalen bis zur überregionalen Ebene vielfältig und schulpraktisch angelegt. Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 28 Wird dieses Angebot angenommen? Sind Lehrkräfte tatsächlich motiviert für Beratung Fortbildung in diesem Bereich und verändert sich dadurch Unterricht? Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Dozentin für „Deutsch als Zweitsprache und interkulturelles Lernen“ innerhalb der überregionalen Lehrerfortbildung in Bayern kann ich folgende Feststellungen treffen: - Die Nutzung dieses Angebots ist sehr abhängig von der jeweiligen unterrichtlichen und schulischen Situation, d.h. von der Heterogenität der Schüler bezüglich Sprache und Kultur. - Dabei steht das individuelle Interesse an Fortbildung und Beratung sehr im Vordergrund. Schulhaus­ interne Fortbildung, die sich an das gesamte Kollegium richtet mit dem Ziel, möglichst viele Lehrkräfte für einen interkulturellen Unterricht zu sensibilisieren und zu stärken, findet noch zu selten statt. - Fortbildung, die die Gelegenheit zum direkten Austausch mit Vertretern einer anderen Kultur bietet, findet dagegen großes Interesse und wird als besonders gewinnbringend empfunden. - Der Schulalltag zeigt, dass diese Form der Fortbildung besonders effektiv und nachhaltig Unterricht verändern kann. • Dies bestätigt die These, dass der interkulturelle Dialog authentisch und eindrucksvoll durch personale Begegnungen wird. Der "Fremde" soll dabei selbst zu Wort kommen. Vertreter der islamischen Gemeinschaft (auch Schüler und Eltern) sind hierfür Experten und können interkulturelles Erleben bereichern. Die Chancen für einen solchen Austausch existieren, müssen aber intensiver von beiden Seiten genutzt werden, von der Schule und den Vertretern der islamischen Gemeinschaft. Was ist damit konkret gemeint? Der durch Materialien und Lernverfahren vermittelte Fremde kommt nur indirekt zur Rede und kann den direkten Kontakt mit dem Fremden nicht ersetzen. Authentisch wird der Erwerb von elementaren Kenntnissen über den anderen, seine Kultur und Religion, wenn er selbst zur Sprache kommt. Vorbehalte gibt es sicher auf beiden Seiten der Dialogpartner. Ich sprach eingangs von den „Bildern im Kopf“, die sich Lehrkräften vermitteln können. Da können zum einen Islambilder sein, wie sie von den Medien geprägt werden. Da sind junge Frauen mit Kopftüchern, die gar nicht oder kaum die Sprache beherrschen, die nicht in die Schule kommen. Da sind Väter, die sich nur dann für Schule interessieren, wenn es Probleme gibt. Sehr zurückhaltend ist häufig der Kontakt von seiten der muslimischen Eltern zur Schule, zu gering das Interesse für schulische Belange und Schulleben. Sehr selten sind diese Eltern in Elternbeiräten vertreten. Wie soll ich mir ein Bild von den Familien, von ihrem Familien- und Alltagsleben, ihrer kulturellen Identität machen, wie soll der interkulturelle Dialog aussehen, wenn sich mein Gegenüber nicht artikuliert? Welche Bilder im Kopf haben umgekehrt diese Eltern von Schule und Lehrern? „Die Lehrerin oder der Lehrer redet über meinen Kopf hinweg, ich fühle mich nicht ernst genommen in meiner Identität. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich als gleichwertiger Partner in diesem Dialog angesehen werde.“ Muslimische Eltern sind noch zu wenig aufgefordert und motiviert, sich konstruktiv an Schule zu beteiligen. Dabei spielen natürlich auch sprachliche Schwierigkeiten eine Rolle. Schulen, die bewusst den Kontakt mit Eltern ihrer muslimischen Schüler und anderen Vertretern der islamischen Gemeinschaft intensiviert haben, stellen fest, dass sich sowohl Schüler als auch Eltern wesentlich stärker in Schule einbringen. Konkrete Beispiele hierfür sind: - Sprachkurse für Mütter - Elternabende für türkische Eltern mit einem türkischen Psychologen, der z. B. über das Thema spricht „Welche Möglichkeiten als Mittler und Förderer zwischen der Lebenswelt Familie und Schule haben wir?“ - Gesprächskreise mit Frauen in der Moschee..., etc. Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 29 Ich möchte noch einmal betonen: Der interkulturelle Dialog wird authentisch und eindrucksvoll durch personale Begegnungen. Der "Fremde" soll dabei selbst zu Wort kommen. Selbstverständliche Formen eines interkulturellen Dialogs in der Schule, bei dem auch Religion eine Rolle spielt, ergeben sich allerdings nur sehr selten von selbst und finden in der Qualität, die wir uns gerne vorstellen würden, noch zu selten statt. Schließen möchte ich mit einer Beobachtung, die für die Zukunft doch positiv stimmen kann: Ich sehe, dass heute deutlicher als noch vor einigen Jahren in der Schule von einem erweiterten Kulturbegriff ausgegangen wird, der sich nicht auf religiöses Brauchtum, Exotik, Folklore, Tanz und Tracht beschränkt, sondern bei dem alle Aspekte des Zusammenlebens und persönliche Lebensbedingungen zum Tragen kommen. Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 30 Voneinander Lernen. Praxisforum Schule und Islam Projekt der Körber-Stiftung, vorgestellt von Dr. Lothar Dittmer Die Schule ist nicht nur die zentrale Instanz zur Vermittlung von Wissen. Sie ist auch der Ort der Begegnung von unterschiedlichen Kulturen. Individuell wie gesellschaftlich werden hier die Weichen für die Zukunft gestellt. Angesichts der stetig steigenden Zahl von muslimischen Schülerinnen und Schülern (derzeit ca. 700 000) kommt der Schule gerade auch für das Verständnis des und die Auseinandersetzung mit dem Islam eine zentrale Bedeutung zu. „Voneinander lernen“ ist aber nicht nur eine Forderung, es wird auch täglich an den Schulen in der Bundesrepublik praktiziert. Ob in der Unterrichtssequenz in Deutsch oder Religion, ob im Plan- oder Rollenspiel, ob im Projekt oder im handlungsorientierten Unterricht, ob bei der Exkursion oder auf der Klassenfahrt – in zahllosen Situationen wird vermittelt und abgewogen, diskutiert und ausgehandelt, verstanden und akzeptiert. Die Kultusministerkonferenz und die Körber-Stiftung möchten einen Teil der vorhandenen Erfahrungen sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Ziel der gemeinsamen Initiative ist es, die ganze Bandbreite praktischer Ideen, Konzepte und Ratschläge auszuleuchten und im Rahmen eines Beispielkatalogs in eine Publikation aufzunehmen. Welche Art von Praxiserfahrungen suchen wir? Einige Beispiele: - Sie sind im Rahmen des Fachunterrichts auf das Thema Islam eingegangen. Welche besonderen methodischen und inhaltlichen Ansätze – Perspektivwechsel, fächerübergreifende Kooperation, Einbeziehung schulexterner Experten o.ä. – haben sich dabei bewährt? - Sie haben mit Ihren Schülerinnen und Schülern ein Projekt durchgeführt, in dessen Mittelpunkt die Lebensgeschichten der jeweiligen Familien standen. Dabei haben Sie Vorstellungen dazu entwickelt, wie das biografische Erzählen im Lernprozess eingesetzt werden kann. - Sie haben den Lernort gewechselt und Kontakt zu den örtlichen Moscheen, Synagogen oder christlichen Kirchen hergestellt. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt? - Sie haben Feste, Feiern oder Gedenktage zum Anlass genommen, Einblicke und Einsichten in die unterschiedlichen Kulturen zu gewähren. Dabei sind Ideen für gemeinsame Unternehmungen entstanden oder auch umgesetzt worden. - Sie haben Medien wie das Internet für eine „Globalisierung“ des Lernortes genutzt. Das Ergebnis sind u.a. Einsichten in die Funktionsweise eines „interkulturellen Klassenzimmers“. Dies sind lediglich Anregungen für die Richtung der Praxiserfahrungen, die unser Bildungssystem benötigt. Sie haben möglicherweise in ganz andere Richtungen gedacht und ganz ungewöhnliche Lehrund Lernerfahrungen gemacht. Lassen Sie andere davon profitieren! In welcher Form können Ihre Erfahrungen eingereicht werden? Unterrichtssequenzen: Sie haben eine eigene Unterrichtssequenz entwickelt und in der Praxis eingesetzt. Wir bitten Sie, uns den Ablauf zu schildern, auf das Material einzugehen und ihre pädagogischen bzw. didaktischen Erfahrungen zu beschreiben. Projekte, Aktionen, Exkursionen: Sie haben sich dafür entschieden, den klassischen Unterrichtstakt und die Fächergrenzen zu überschreiten, um die Schülerinnen und Schüler in eine andere Lernsituation zu versetzen. Was war der Ausgangspunkt Ihrer Aktivität, welche Fragestellungen haben Sie verfolgt und zu welchen Ergebnissen ist die Gruppe gelangt? Wie bewerten Sie Ihre Methode und welche Hinweise halten Sie für den Erfolg für zentral? Bitte lassen Sie uns einen Projektbericht zukommen. Ratschläge für die Gestaltung des „Lebensraums Schule“: Eine Prügelei auf Grund kultureller Konflikte, das Kopftuch im Unterricht, der Umgang mit Themen wie „Elternabend“, „Klassenfahrt“ oder „Sportunterricht“. Auf welche sensiblen Aspekte ist besonders zu achten und wie lassen sich solche Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 31 Fragen nutzen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern? Bitte geben Sie Tipps und Hinweise an uns weiter, die anderen in vergleichbaren Situationen helfen können. An wen richtet sich die Initiative? Lehrerinnen und Lehrer sind die zentrale Zielgruppe dieser Initiative. Darüber hinaus richtet sie sich aber auch an alle, die an Schule mitwirken und selber Praxiserfahrungen beisteuern können. Bis wann können Beiträge eingereicht werden? Wir bitten Sie, entsprechende Beiträge bis zum 31. Dezember 2003 an die Körber-Stiftung, 21027 Hamburg, zu senden. Was geschieht mit den Beiträgen? Die Körber-Stiftung und die Kultusminister der Länder planen eine Konferenz im Frühjahr 2004, auf der die Erträge der Initiative vorgestellt werden sollen. Zu dieser Konferenz werden wir auch Lehrerinnen und Lehrer sowie andere Mitwirkende einladen, die Unterrichtssequenzen, Projekte oder Ratgeber bei uns eingereicht haben. Die Entscheidung für die Einladung trifft eine unabhängige Jury, die sich aus Pädagogen und Themenexperten zusammensetzt. Die Körber-Stiftung plant überdies, die besten bzw. interessantesten Vorschläge im Rahmen einer Hand­ reichung für die Schule zusammenzustellen und zu publizieren. Folgende Kriterien werden über die Chance zur Präsentation auf der Konferenz und für die Aufnahme in die Publikation maßgeblich sein: - Dialogqualität: Beiträge sollten den Islam nicht nur als Gegenstand behandeln, sondern Wege aufzeigen, in ein Gespräch über grundsätzliche Identitätsfragen zu gelangen wie z.B. über das Eigene und das Fremde oder über Besonderheit und Vielfalt. Neben die Vermittlung von Information und Wissen sollen die Wertschätzung des Islam und eine differenzierte Urteilsbildung treten. - Didaktische Reduktion: Entscheidend für den Lernerfolg ist häufig nicht der Neuigkeitswert von Idee und Inhalt, sondern die passende Umsetzung im Rahmen der jeweiligen Schul- und Lernsituation. Auch das Bewährte und Erprobte ist erwünscht, sofern es in überraschend neuen Kontexten Gehalt für die Bildung gewinnt. - Exemplarischer Wert: Die Herausforderung von Schule ist es, Bildung nicht nur als Einzelerlebnis, sondern auch als gemeinsamen Prozess zu organisieren. Daher nimmt die Frage der Übertragbarkeit des Modellfalls auf andere Lernorte und Lernpersonen einen wichtigen Stellenwert ein. Gibt es Preise? Die Körber-Stiftung lädt die Autoren der zwanzig besten von der Jury ermittelten Beiträge zu einer Studienreise in die Türkei ein. Sie haben Fragen zu dieser Initiative? Bitte wenden Sie sich an die Körber-Stiftung ... Sie wollen zusätzliche Informationen? Unter www.Praxisforum-Schule-und-Islam.de finden Sie - eine Literaturliste und eine Linkliste. Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 32 Zusammenfassender Bericht Ulrike Grassau Bei der Einführung in das Forum 1 "Islam im Schulalltag“ betonte Herr Munding, dass wie in einer langjährigen Ehe oder Beziehung nichts aufschlussreicher sei und tiefreichendere Einblicke eröffne als der Alltag mit seinen kleinen Zeichen einer lebendigen Kommunikation und den eingespielten Ritualen, die womöglich nur über eine seit Jahren bestehende Sprachlosigkeit hinweg täuschen. Im Forum gehe es daher um die unterschiedlichen Bereiche, die mit "Schule" verbunden sind, um den Unterricht in den verschiedenen Fächern und seine Inhalte, um die Unterrichtswirklichkeit im Klassen­ zimmer und um außerunterrichtliche Veranstaltungen. Genauer beleuchtet werden soll das magische Viereck Schulleben mit seinem komplexen Beziehungs­ geflecht zwischen Schülern, Lehrern, Eltern und Gesellschaft. Hieraus können Erkenntnisse zum Thema "Lerngemeinschaft" gewonnen werden. Weiterhin gehöre zu einer Betrachtung des Schulalltags auch ein Blick auf "innerbetriebliche Abläufe", d.h. wie Kollegien im Schulalltag mit dem Thema Islam umgehen. Im Forum werden daher Experten zu Wort kommen, die unter diesen Aspekten über die Schulpraxis im Ausland und bei uns berichten können aus der Sicht betroffener Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrerinnen und Lehrern. Dabei gehe es zunächst um Informationsaustausch, dann um die Benennung offener Fragenkomplexe und des Handlungsbedarfes. Eine Sammlung von Anregungen und der Verweis auf gute Beispiele könnten der Abrundung dienen. Es folgten 4 Impulsreferate, die den Schulalltag aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet haben: • Herr Mehmet Soyhun, Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), Abteilungsleiter für interreligiösen Dialog und Forschung Anmerkungen zum Thema und zur Praxis aus ausländischer Sicht • Frau Johanna Heiß-Wimmer, Staatliches Schulamt Memmingen: Anmerkungen zum Thema und zur Praxis aus deutscher Sicht • Herr Dr. Lothar Dittmer, Körber-Stiftung, Hamburg: Vorstellung des Wettbewerbs „Voneinander Lernen. Praxisforum Schule und Islam.“ • Emel Carman und Neslihan Korkmaz, Schülerinnen der Gesamtschule Essen-Holsterhausen: Bericht über das interkulturelle Leben an einer Essener Gesamtschule. In der sich anschließenden Diskussion wurden folgende Eckpunkte benannt: 1. Das gesellschaftliche Teilsystem Schule wird mit einer Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen konfrontiert. Im Schulalltag herrscht eine schwierige Gemengelage, in der, wie mit einem Brennglas gebündelt, viele gesellschaftliche Aspekte zusammentreffen: religiöse, kulturelle, soziale und politische. 2. Schule ist aber gleichzeitig ein unschätzbares Integrationsinstrument. Sie muss unterscheiden zwischen Integrationsproblemen, die lokal oder gesamtgesellschaftlich gelöst werden können. Viele Probleme können nicht oder nicht nur von der Mehrheitsgesellschaft gelöst werden, z.B. innerislamische Probleme, Erwerb der Landessprache, Bildungsorientierung. Hier bedarf es der Kooperation mit Migrantenorganisationen, die als Mittler fungieren. Schule braucht klare Empfehlungen bezogen auf konfliktträchtige Bereiche (z.B. Ernährungsgewohnheiten, Klassenfahrten, Schwimmunterricht, Elternabende, Kopftuchtragen), besonders notwendig bei Differenzen mit streng religiösen Familien. Was tun, wenn sich Wertvorstellungen nicht vereinbaren lassen? Schule muss Konflikt-Mediations-Verfahren beherrschen und nutzen und auch erkennen, dass es Grenzen für den Dialog gibt. 3. Der Kernbereich von Schule ist Unterricht. Dieser muss die multikulturelle gesellschaftliche Situation berücksichtigen. Die Materiallage zu interkultureller Bildung ist gut. Wissensvermittlung ist eine notwendige Grundlage, reicht aber nicht aus, da es um Haltungen und Werte geht. Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 33 Mit konventionellen Mitteln (Rahmenplan, Handreichungen, Lehrbücher) können Haltungen und Werte nur schwer beeinflusst werden. Nur wenn der Blick von den Inhalten zu den Methoden gelenkt wird, werden erfolgreiche Bildungsprozesse möglich. Als Gelingensfaktoren sind dabei u.a. bekannt: - prozessorientiertes Lernen und - authentische personale Begegnung. Ansätze wie Ganztagsschule werden in diesem Zusammenhang positiv bewertet. Es wurde jahrelang übersehen, dass sich in den ethnischen Minderheiten zunehmend ein „Unterschichtsphänomen“ entwickelt hat. Teilweise nimmt das soziale Gefälle immer deutlicher zu und betont kulturelle Unterschiede auf negative Weise. Gemeinsame Aktivitäten auch am Nachmittag verlängern die Lern- und Bildungszeit in der Schule. 4. Zum Islam liegen Lehr- und Lernmaterialien in Hülle und Fülle vor. Sie bieten eine gute Grundlage für kognitives Arbeiten, interkulturelle Themen brauchen darüber hinaus aber affektiv-emotionale Ansätze. Der Islam spielt zwar eine bedeutende Rolle, ist aber nicht der beherrschende Faktor bei der Integration. Der Islam als Gegenstand reicht deshalb zur Betrachtung nicht aus. Seine Bedeutung im Schulalltag liegt eher in einer Identitätsstiftung als in der Religion. Es sind weniger religiöse Aspekte, die problematisch sind, es sind in erster Linie psychologische (der ewige Kampf des Individuums um Anerkennung) und soziale Probleme (die sozial-ökonomische Lage beeinflusst die Bildungschancen). Soziale Probleme werden oft als interkulturelle Konflikten gedeutet mit der Folge, dass Vertreter zweier Kulturen kulturelle Fragen diskutieren, die in Wirklichkeit individuelle, soziale Probleme sind und daher ganz anders angegangen werden müssten. So wurde z.B. deutlich, dass Schüler den Islam und das Unwissen der deutschen Lehrkräfte nutzen, indem sie religiöse Begründungen heranziehen, um ihr unkorrektes Verhalten zu rechtfertigen (z.B. auf den Boden spucken). Dabei wissen Muslime, wie auch Christen, bei weitem nicht alles über ihren Glauben und argumentieren nur mit dem Wissen, das ihnen als subjektive, zufällige Auswahl aus Koran bzw. Bibel zur Verfügung steht. 5. Lehrkräfte und der Erzieher/innen bedürfen einer ausgebildeten interkulturellen Kompetenz. Schulinterne Fortbildungen werden als erfolgversprechender als zentrale Angebote bewertet, weil sich für das Kollegium gemeinsame Erkenntnisprozesse abspielen. Entscheidend ist, dass sich die Akteure ihrer Professionalität bewusst werden. Sie müssen in der Lage sein, mit widersprüchlichen Situationen und unterschiedlichen Wahrnehmungen umzugehen. Sie brauchen Hilfestellung zum Umgang mit konkreten Personen (Kinder und Jugendliche, die Orientierung suchen), keine abstrakten Traktate über den Islam. Positiv bewertet werden internationale Lehrer-Austauschprogramme aber auch solche mit anderen Bundesländern. In diesem Zusammenhang ist auch der Einsatz/die Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund wünschenswert. 6. Der Dialog mit den Eltern ist von zentraler Bedeutung für ein fruchtbares Schulklima. Dieser Dialog muss in vorschulischen Einrichtungen einsetzen und die Eltern fortschreitend in ihre Rolle beim Bildungsprozess ihrer Kinder einführen. Sie müssen ernsthaft in Bildungs- und Integrationsprozesse einbezogen werden; je bildungsferner und je schwieriger die soziale Lage, desto notwendiger ist gute Elternarbeit. Eltern sind in erster Linien interessiert am Lernerfolg und am Verhalten ihrer Kinder. Hier kann Elternarbeit ansetzen mit dem Aufbau von persönlichem Kontakt (vertrauensbildende Maßnahmen) und dem gemeinsamen Anliegen, den Sohn/die Tochter/den Schüler/die Schülerin in den Mittelpunkt aller Bemühungen zu stellen. Einbeziehung von Eltern kann umfassen: - Teilnahme in Mitbestimmungsgremien (ggf. getrennte Sprachgruppen bei vorbereitenden Terminen, um Schwellenangst wegen mangelnder Sprachkenntnisse abzubauen), - Teilnahme am Konfliktmanagement der Schule und bei Ordnungsmaßnahmen, - Elternkontakte positiv gestalten (nicht nur in Konfliktsituationen als Lerngemeinschaft. Das deutsche Bildungswesen und der Dialog mit den Muslimen. Forum 1: Islam im Schulalltag 34 Ansprechpartner nutzen, z.B. Unterrichtsergebnisse vorstellen), - Sprachkurse für Eltern an der Schule anbieten, - Eltern untereinander in Kontakt bringen durch Feste u.a. Aktivitäten, - Kooperation mit Migrantenorganisationen, Ausländerbeiräten und Moscheevereinen suchen, - Aufenthaltsmöglichkeiten für Eltern in der Schule bieten (evtl. auch Kaffee), wo Eltern miteinander sprechen und auch Lehrer-Elterngespräche geführt werden können, - mehrsprachige Grundinformationen zur Schule zur Verfügung stellen, - Bestimmung eines gemeinsamen Bezugsrahmens für die Schule (Gemeinsamkeiten ausloten und Unterschiede verständlich machen) auf demokratischer Grundlage. Professionelle Elternarbeit - sieht Eltern nicht nur als Informationsempfänger, sondern als Gestalter und Partner, - schenkt Eltern Aufmerksamkeit und Anerkennung, - sollte Gleichsetzungen und Zuschreibungen vermeiden und - muss schließlich auch die Erkenntnis enthalten, dass das Aktivitätspotenzial von Eltern begrenzt ist, darf die Erwartungen also nicht zu hoch schrauben. Zusammenfassung: Nach den Ereignissen in den USA am 11. September 2001 hat das Thema Islam an Bedeutung gewonnen, bedarf aber der Konkretisierung. Schule ist hier gefordert als ein Ort zum Erlernen des interreligiösen und des interkulturellen Dialogs auf der Grundlage der demokratischen Grundwerte. Neben den Bereichen wie Lehrerfortbildung, Lehrplänen und Lehr- und Lernmaterialien ist es besonders der Schulalltag, in dem sich erfolgreiches Zusammenleben mehrerer Kulturen beweist. Durch die Vielzahl der Diskussionsbeiträge in Forum 1 wurde deutlich, dass es um mehr geht als den „Islam“. Die Komplexität der Thematik macht es schwierig, Lösungen zu präsentieren, es können aber Wege aufgezeigt werden, wie ein positives Schul- und Lernklima entwickelt werden kann. Als Schwerpunkt der Diskussion in Forum 1 hat sich das Thema Elternarbeit herausgebildet. Die enge Verbindung zwischen schulischem Bildungserfolg und sozialer Herkunft/Elternhaus weist Elternarbeit eine Schlüsselrolle zu. Gewünscht wird eine Darstellung der Gelingensbedingungen für erfolgreiche Elternarbeit anhand von guten Beispielen aus Deutschland und anderen Ländern. Integration ist ein Prozess, der nie beendet sein wird und für den es keine Patentlösungen gibt, sondern nur standortbezogene, zielgruppengerechte gesamtgesellschaftliche Ansätze. Die Mehrheitsgesellschaft muss ernsthafte Integrationsangebote vorhalten, einen erweiterten Kulturbegriff entwickeln und sich vor Stereotypen und der Konstruktion von Mythen hüten (z.B. durch Nutzung von empirischen Forschungs­ ergebnissen). Die Minderheitsgesellschaft muss intramuslimische Dissense klar benennen, Mittler ausbilden (z.B. zur Bewältigung von Loyalitätskonflikten von Jugendlichen zwischen Elternhaus und deutscher Mehrheitsgesellschaft). Darüber hinaus gilt es, den Erwerb der Landessprache als unumgängliche Aufgabe zu erkennen. Gemeinsam sollten auch neue Formen sozialer und kultureller Praxis entwickelt werden. Jugendliche machen es vor mit ihrer deutsch-türkischen Musik-Mischsprache. Schule muss dieses begleiten und sie muss in dieser integrationspolitischen Aufgabe unterstützt werden, um professionell und interkulturell kompetent handlungsfähig zu bleiben. Dieses geht nicht zum Nulltarif. Jede Investition in Schule (z.B. Lehrerfortbildung, Schüler-Lehrer-Schlüssel) ist eine Investition in die Zukunft Deutschlands: Nicht Roh­ stoffe machen dieses Land überlebens- und konkurrenzfähig, sondern allein die Ausbildung seiner Bevölkerung. „Kommt, reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot. Es züngeln doch die Flammen schon sehr um unsere Not.“ Einen Dialog zu führen heißt für möglich zu halten, dass der andere Recht hat. Gottfried Benn, Poet Hans-Georg Gadamer, Philosoph