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392 • WISSENSCHAFT
ORIGINALARBEIT
Ch. Holberg, N. Holberg, I. Rudzki1
Die Headgeartherapie mit orthopädischen Kräften – eine
FEM-Analyse
Ziel: Ziel der vorliegenden Studie war es, die in den Suturen des Mittelgesichts und der Schädelbasis induzierten Dehnungen während einer Headgeartherapie mit
orthopädischen Kräften zu analysieren. Material und
Methode: Für die Berechnungen kam ein Finite-Elemente-Modell des Viszero- und Neurokraniums zum Einsatz,
das aus 53 555 tetraederförmigen Elementen und
97 550 Knotenpunkten bestand. Alle an den Strukturen
des Mittelgesichts und der Schädelbasis induzierten
Dehnungswerte wurden dabei mit einem interaktiven
Mess-Tool registriert. Ergebnisse: Die Höhe und Verteilung der gemessenen Dehnungen hing von der Höhe
der einwirkenden Kraft und ihrer Zugrichtung ab. Insgesamt waren die an den Suturen des Mittelgesichts und
der Schädelbasis gemessenen Dehnungswerte sehr
moderat. Bei einer Belastung von 5 N pro Seite lagen
die gemessenen Maximalwerte unabhängig von der Vektorrichtung meist unter 20 µstrain. Schlussfolgerung:
Ein skelettaler Effekt des orthopädischen Headgears
durch mechanische Beeinflussung des suturalen
Wachstums lässt sich anhand der vorliegenden Ergebnisse nicht bestätigen. Die gute klinische Wirksamkeit
der Headgeartherapie mit orthopädischen Kräften beruht offenbar vorwiegend auf dentoalveolären Effekten.
Orthopedic Headgear Therapy – a
Finite Element Analysis
Schlüsselwörter: Headgear, Wachstumsbeeinflussung,
orthopädische Kräfte, Finite-Elemente-Methode (FEM),
Dehnungen
Keywords: headgear, sutural growth, orthopedic forces,
Finite Element Method (FEM), strain
1
Aim: The aim of the present study was to analyze the
strain values induced in the sutures of the midface and
the cranial base when employing a headgear therapy involving the application of orthopedic forces. Materials
and methods: For calculations, a finite element model of
the viscero- and neurocranium was used that consisted
of 53,555 tetrahedral elements and 97,550 nodes. All
strains induced at the structures of the midface and the
cranial base were recorded using an interactive measurement tool. Results: The magnitude and distribution of
the measured expansions depended on the level and direction of the acting force. Overall, the strains measured at the sutures of the midface and the cranial base
were very moderate. The measured peak values at a
load of 5 N per side were usually just below 20 µstrain
irrespective of the force direction. Conclusion: A skeletal effect of the orthopedic headgear due to a mechanical effect on sutural growth can not be confirmed from
the results presented. The good clinical efficacy of headgear therapy employing orthopedic forces is apparently
based mainly on dentoalveolar effects.
Poliklinik für Kieferorthopädie (Direktorin: Prof. Dr. Ingrid Rudzki),
Ludwig-Maximilians-Universität München
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift • 62 • 2007 • 6 • © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln
Ch. Holberg et al.: Die Headgeartherapie
WISSENSCHAFT • 393
Abbildung 1 Simulierte Kraftrichtungen des orthopädischen Headgears (parietal, horizontal und zervikal), dargestellt am eingesetzten Finite ElementModell.
Abbildung 2 Verteilung der Dehnungen im Mittelgesicht und an der Schädelbasis beim Headgear mit Parietalzug (45° zur Okklusionsebene) bei einer
eingesetzten Kraft von 5 N bzw. 10 N pro Seite.
Figure 1 Simulated force directions of the orthopedic headgear (parietal,
horizontal and cervical), illustrated using the employed finite element model.
Figure 2 Distribution of strain in the midface and at the cranial base using
the headgear with parietal traction (45 ° to the occlusal plane) with an applied force of 5 N or 10 N per side.
Abbildung 3 Verteilung der Dehnungen im Mittelgesicht und an der Schädelbasis beim Headgear mit Horizontalzug (0° zur Okklusionsebene) bei einer
eingesetzten Kraft von 5 N bzw. 10 N pro Seite.
Abbildung 4 Verteilung der Dehnungen im Mittelgesicht und an der Schädelbasis beim Headgear mit Zervikalzug (-20° zur Okklusionsebene) bei einer
eingesetzten Kraft von 5 N bzw. 10 N pro Seite.
Figure 3 Distribution of strain in the midface and at the cranial base using
the headgear with horizontal traction (0° to the occlusal plane) with an applied force of 5 N or 10 N per side.
Figure 4 Distribution of strain in the midface and at the cranial base using
the headgear with cervical traction (-20° to the occlusal plane) with an applied force of 5 N or 10 N per side.
1 • Einleitung
chungen diesen postulier-ten skelettalen Effekt anzweifeln [3,16,17], gehen andere Studien von einer skelettalen
Wirkung des orthopädischen Headgears durch Beeinflussung des suturalen Wachstums aus [1, 2,14, 22]. Ein Problem bei der Beweisführung zum skelettalen Effekt des
orthopädischen Headgears besteht darin, dass nur schwer
zwischen Apparateeffekt und natürlichem Wachstum differenziert werden kann. Dies kann nur gelingen, wenn
eine adäquate Kontrollgruppe zum Einsatz kommt, die in
ihrer Zusammensetzung (Alter, Geschlecht, Dysgnathietyp, etc.) möglichst identisch mit der Versuchsgruppe ist
[12,13,19]. Leider verzichteten die meisten Untersuchungen zur orthopädischen Wirkung des Headgears auf den
statistischen Vergleich mit einer Kontrollgruppe. Der ske-
Der orthopädische Headgear wird dann eingesetzt, wenn
das maxilläre Wachstum gehemmt werden soll. Bei Patienten mit skelettal offenem Biss soll dabei das Wachstum vornehmlich in vertikaler Richtung und bei Patienten mit einer maxillären Prognathie in sagittaler Richtung hemmend beeinflusst werden [15]. Die orthopädischen Kräfte des Headgears wirken dabei auf die Suturen
des Viszero- und Neurokraniums, um dort das suturale
Wachstum zu beeinflussen [1,15]. Ob der Einsatz orthopädischer Headgearkräfte tatsächlich das Wachstum des nasomaxillären Komplexes beeinflussen kann, wird in der
Literatur kontrovers diskutiert. Während einige Untersu-
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift • 62 • 2007 • 6
394 • WISSENSCHAFT
Ch. Holberg et al.: Die Headgeartherapie
Suturen des Mittelgesichts
µstrain
30
26,8
Suturen der Schädelbasis
µstrain
30
26
25
25
20
20
17,4
16,3
15
15
12,9
11,6
10
6,1
5
0
Sutura
frontonasalis
5,7
Sutura
nasomaxillaris
parietal (45°)
4,9
6,4
10
7,8
5,3 5,8
3,5
Sutura
frontozygomatica
horizontal (0°)
2,6 2,7
3,4
Sutura
Sutura
zygomaticomaxillaris temporozygomatica
zervical (-20°)
10,7
8,9 9,2
6,5
5
0
3,1
4,8 5,1
3,9 3,6
Sutura
sphenofrontalis
1,6 1,9 1,7
Sutura
sphenosquamosa
parietal (45°)
Sutura
occipitomastoidea
horizontal (0°)
3
Synchondrosis
sphenooccipitalis
pterygopalatinale
Verbindung
zervical (-20°)
Abbildung 5 An den Suturen des Mittelgesichtes gemessene Dehnungswerte beim orthopädischen Headgear bei 5 N Zug pro Seite und unterschiedlicher Zugrichtung (Parietalzug mit 45°, Horizontalzug mit 0° und Zervikalzug
mit –20° zur Okklusionsebene).
Abbildung 6 An den Suturen der Schädelbasis gemessene Dehnungswerte
beim orthopädischen Headgear bei 5 N Zug pro Seite und unterschiedlicher
Zugrichtung (Parietalzug mit 45°, Horizontalzug mit 0° und Zervikalzug mit
–20° zur Okklusionsebene).
Figure 5 Strain measured at the sutures of the midface using orthopedic
headgear at 5 N traction per side and different traction directions (parietal
traction at 45 °, horizontal traction at 0 ° and cervical traction at –20 ° to
the occlusal plane).
Figure 6 Strain measured at the sutures of the cranial base using orthopedic headgear at 5 N traction per side and different traction directions (parietal traction at 45 °, horizontal traction at 0 ° and cervical traction at –20 °
to the occlusal plane).
lettale Effekt durch Beeinflussung des suturalen Wachstums ist daher für den orthopädischen Headgear nach
wie vor unbewiesen. Unklar ist außerdem, wie hoch das
mechanische Signal in den Suturen ist, das durch den orthopädischen Headgear erzeugt wird und ob dieses mechanische Signal ausreicht, eine suturale Wachstumsbeeinflussung zu erklären. Ziel der vorliegenden Arbeit war
es daher, das durch den orthopädischen Headgear erzeugte mechanische Dehnungssignal in den kraniofazialen
Suturen zu analysieren.
wurde eine horizontale und eine parietale Zugrichtung
simuliert. Zur Berechnung der Dehnungen bei zervikaler
Zugrichtung, die klinisch durch ein Nackenband erreicht
wird, wurde ein Kraftvektor ausgewählt, der mit einer
Neigung von –20° zur Okklusionsebene nach posterior
und kaudal zeigte. Die horizontale Zugrichtung des Kombinationsheadgears (Kopfkappe und Nackenband) wurde
durch einen Kraftvektor simuliert, der mit 0° parallel zur
Okklusionsebene war und nach posterior wies. Die parietale Zugrichtung des orthopädischen Highpull-Headgears
konnte dagegen durch einen Kraftvektor dargestellt werden, der 45° Neigung zur Okklusionsebene aufwies und
nach posterior und kranial zeigte. Alle am Simulationsmodell ansetzenden Kraftvektoren sind schematisch in
Abbildung 1 dargestellt. Vor Durchführung der Simulationen wurden die Kontaktbedingungen zwischen den
Modellteilen festgelegt, die nur kleine Bewegungen zwischen dem Knochen und den Zähnen zuließen, um so
eine Verbindung über Desmodontalfasern zu imitieren.
Insgesamt wurden zur Analyse der orthopädischen Headgearwirkung 6 einzelne Simulationen durchgeführt. Für
die zervikale, die horizontale und die parietale Zugrichtung wurden jeweils zwei Simulationen mit 5 N und 10 N
Zugbelastung durchgeführt. Bei allen Simulationen wurde an allen wichtigen anatomischen Strukturen des Mittelgesichts und der Schädelbasis die an dieser Struktur
minimal und maximal aufgetretene Vergleichsdehnung
(in μstrain) gemessen, tabellarisch erfasst (Tab.2–3) und
teilweise durch Diagramme visualisiert (Abb.5–6). Besonders interessant waren dabei die Dehnungswerte in den
Suturen. Die jeweilige anatomische Struktur wurde bei
den Messungen interaktiv mit einem Mess-Tool untersucht und die Punkte mit maximalen und minimalen
Dehnungswerten an dieser Struktur bestimmt. Alle Berechnungen mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM)
2 • Material und Methode
Bei den Berechnungen zur Auswirkung des orthopädischen Headgears auf die Strukturen des Mittelgesichts
und der Schädelbasis wurde ein Finite-Elemente-Modell
des Viszero- und Neurokraniums verwendet. Dieses konfektionierte und idealisierte mathematische Modell bestand aus insgesamt 15 Modellteilen (1 knöcherner Schädel und 14 Zähne), die über definierte Kontaktbedingungen fest miteinander verbunden waren. Das eingesetzte
Simulationsmodell bestand aus 53 555 einzelnen Elementen und 97 550 Knotenpunkten. Die Materialeigenschaften dieses linearen Modells wurden über die Elastizitätsmodule des jugendlichen Knochens (12 GPa) und der Zähne (22 GPa) definiert (Tab.1). Die Querkontraktionszahl
lag durchgehend bei 0,3. Simuliert wurde die Situation
beim Jugendlichen im frühen bleibenden Gebiss. Das Finite-Elemente-Modell wurde an mehreren Knotenpunkten
im hinteren Bereich des Foramen magnum gelagert, die
von der „region of interest“ relativ weit entfernt waren.
Im Bereich der bukkalen Zahnflächen der beiden ersten
Molaren im Oberkiefer wurde jeweils eine Kraft von 5 N
bzw. 10 N aufgebracht, deren Kraftrichtung variiert wurde. Neben einer zervikalen Zugrichtung des Headgears,
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift • 62 • 2007 • 6
WISSENSCHAFT • 395
Ch. Holberg et al.: Die Headgeartherapie
Parameter
Eigenschaften
Elastizitätsmodul kompakter
Knochen
12.0 GPa
Elastizitätsmodul Zähne
22.0 GPa
Querkontraktionszahl
0.3
Modellteile
1 Schädel, 14 Zähne
Anzahl der Elemente
53 555
Anzahl der Knotenpunkte
97 550
Verankerung
Knotenpunkte am hinteren Teil
des Foramen magnum
Kraftangriffsfläche
bukkale Fläche der ersten
oberen Molaren
Krafthöhe
5 N, 10 N pro Seite
Kraftrichtung
-20°, 0°, 45° zur Okklusionsebene
Tabelle 1 Eigenschaften der experimentellen Parameter.
Table 1 Properties of the experimental parameters.
wurden im Softwareprogramm Design Space (Ansys Inc.,
Southpointe, Canonsburg, USA) durchgeführt. Hierzu
zählte auch das Festlegen der Materialeigenschaften, das
Definieren der Randbedingungen und Belastungen
(Tab.1), die Lösung der Gleichungssysteme und die dreidimensionale Visualisierung der Ergebnisse.
3 • Ergebnisse
Die unter verschiedenen Bedingungen in den Suturen des
Mittelgesichts und der Schädelbasis gemessenen Dehnungswerte (in μstrain) waren durchweg relativ niedrig.
Bei einer Belastung von 5 N pro Seite lagen die gemessenen Maximalwerte für alle Vektorrichtungen meist unter
20 μstrain (Tab.2–3). Eine Ausnahme bildete die Sutura nasomaxillaris, wo bei horizontaler Zugrichtung (0° zur Okklusionsebene) 26,8 μstrain und bei zervikaler Zugrichtung (–20° zur Okklusionsebene) 26,0 μstrain gemessen
wurden (Abb.5). Bei parietaler Zugrichtung (45° zur Okklusionsebene) dagegen lag der Dehnungswert an dieser
Sutur lediglich bei 5,7 μstrain. Selbst bei einer virtuellen
Belastung von 10 N pro Seite, was klinisch kaum umzusetzen wäre, lagen fast alle Maximalwerte unter 50 μstrain
(Tab.2–3). Die Höhe der Dehnungen in den einzelnen Suturen hing dabei entscheidend von der Richtung des Belastungsvektors ab. Bei parietaler Zugrichtung, also einem Belastungsvektor, der in einem Winkel von 45° zur
Okklusionsebene verlief, traten in den Suturen des Mittelgesichts relativ kleine, aber homogen verteilte Vergleichsdehnungen auf, während in den Suturen der Schädelbasis unterschiedlich hohe Maximaldehnungen gemessen
wurden (Abb.2–4). Die höchsten Dehnungen in den Suturen des Mittelgesichts und der Schädelbasis wurden dagegen bei horizontaler und auch zervikaler Zugrichtung gemessen (Abb.2–6). Besonders an der Sutura frontonasalis,
Dehnungswert (in µstrain)
5N
Anatomische Struktur
min
10 N
max
min
max
Suturen
Sutura zygomaticomaxillaris
0.7
3.5
0.4
9.3
Sutura temporozygomatica
0.6
3.4
1.5
6.1
Sutura frontozygomatica
1.4
4.9
2.4
9.9
Sutura nasomaxillaris
3.2
5.7
6.7
13.6
Sutura frontonasalis
3.4
6.1
6.9
10.3
Sutura lacrimomaxillaris
3.7
6.3
4.9
11.7
Sutura frontolacrimalis
2.8
3.9
7.0
13.1
Sutura sphenosquamosa
2.3
6.5
6.3
15.8
Sutura sphenofrontalis
1.2
3.1
2.9
6.5
Sutura occipitomastoidea
0.9
1.6
1.2
3.4
Synchondrosis sphenooccipitalis
1.4
3.0
3.6
8.6
Pterygopalatinale Verbindung
4.9
10.7
1.1
29.3
Mittelgesicht
Crista zygomaticoalveolaris
0.6
5.0
1.0
10.6
Margo infraorbitalis
1.9
10.1
0.4
5.3
Anteriore Kieferhöhlenwand
0.3
3.6
0.7
4.5
Margo supraorbitalis
0.4
1.1
0.9
3.3
Lamina medialis Proc. pteryg.
0.7
6.4
0.4
12.6
Fossa pterygoidea
5.3
9.5
8.9
16.3
Lamina medialis Proc. pteryg.
0.9
10.3
1.2
20.7
Schädelbasis
Foramen opticum
2.6
7.5
1.7
15.4
Fissura orbitalis superior
1.2
4.7
4.3
11.8
Foramen spinosum
3.4
10.3
6.9
20.5
Foramen ovale
3.1
12.9
3.7
26.2
Foramen lacerum
1.9
6.8
8.6
13.9
Foramen rotundum
1.7
4.9
1.9
7.6
Tabelle 2 Gemessene Dehnungen an verschiedenen anatomischen Strukturen beim Headgear mit Parietalzug (45° zur Okklusionsebene).
Table 2 Measured strain at the various anatomical structures using headgear with parietal traction (45 ° to the occlusal plane).
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift • 62 • 2007 • 6
396 • WISSENSCHAFT
Ch. Holberg et al.: Die Headgeartherapie
Dehnungswert (in µstrain)
5N
Anatomische Struktur
min
Dehnungswert (in µstrain)
10 N
max
min
max
5N
Anatomische Struktur
Suturen
min
10 N
max
min
max
Suturen
Sutura zygomaticomaxillaris
0.3
2.6
2.1
4.0
Sutura zygomaticomaxillaris
0.9
2.7
1.7
6.3
Sutura temporozygomatica
1.1
5.3
2.8
11.3
Sutura temporozygomatica
1.0
5.8
3.3
14.1
Sutura frontozygomatica
2.0
6.4
3.7
13.0
Sutura frontozygomatica
4.1
7.8
5.9
14.7
Sutura nasomaxillaris
7.4
26.8
25.6
53.2
Sutura nasomaxillaris
13.7
26.0
18.2
55.0
Sutura frontonasalis
11.2
17.4
15.8
33.5
Sutura frontonasalis
5.9
11.6
11.3
22.7
Sutura lacrimomaxillaris
9.8
16.2
27.6
34.1
Sutura lacrimomaxillaris
7.5
20.6
19.1
39.1
Sutura frontolacrimalis
3.9
8.2
18.1
24.0
Sutura frontolacrimalis
2.8
6.3
4.6
12.8
Sutura sphenosquamosa
3.5
8.9
8.3
23.2
Sutura sphenosquamosa
3.7
9.2
6.8
16.1
Sutura sphenofrontalis
1.4
3.9
2.7
8.7
Sutura sphenofrontalis
0.9
3.6
1.7
5.8
Sutura occipitomastoidea
1.0
1.9
1.7
3.9
Sutura occipitomastoidea
0.4
1.7
1.2
3.9
Synchondrosis sphenooccipitalis
2.3
4.8
4.4
12.3
Synchondrosis sphenooccipitalis
2.3
5.1
4.5
10.8
Pterygopalatinale Verbindung
0.5
16.3
1.2
32.6
Pterygopalatinale Verbindung
1.4
12.9
1.2
26.6
Mittelgesicht
Mittelgesicht
Crista zygomaticoalveolaris
1.2
3.1
2.6
5.7
Crista zygomaticoalveolaris
1.9
3.6
3.5
10.7
Margo infraorbitalis
1.4
3.4
2.2
6.8
Margo infraorbitalis
1.1
3.8
1.8
7.3
Faziale Kieferhöhlenwand
1.3
5.4
0.9
5.3
Faziale Kieferhöhlenwand
0.2
3.0
1.1
8.9
Margo supraorbitalis
1.1
4.2
2.3
7.0
Margo supraorbitalis
1.1
2.7
2.4
8.3
Lamina medialis Proc. pteryg.
0.3
9.7
0.5
19.6
Lamina medialis Proc. pteryg.
0.3
8.4
0.9
14.5
Fossa pterygoidea
7.5
15.9
1.5
31.9
Fossa pterygoidea
7.1
12.9
14.7
27.6
Lamina medialis Proc. pteryg.
0.8
19.3
1.0
25.9
Lamina medialis Proc. pteryg.
0.8
12.4
0.8
24.7
Schädelbasis
Schädelbasis
Foramen opticum
3.3
7.5
6.9
18.3
Foramen opticum
1.5
7.2
4.4
14.0
Fissura orbitalis superior
1.2
5.6
2.7
11.1
Fissura orbitalis superior
1.1
5.1
2.2
10.4
Foramen spinosum
5.1
15.0
8.9
24.3
Foramen spinosum
4.3
13.2
8.4
26.1
Foramen ovale
3.9
18.2
7.8
33.9
Foramen ovale
4.7
18.4
13.5
37.0
Foramen lacerum
2.7
4.9
4.6
12.3
Foramen lacerum
1.8
6.3
2.1
15.7
Foramen rotundum
1.3
5.2
5.6
11.0
Foramen rotundum
2.9
5.4
5.5
8.5
Tabelle 3 Gemessene Dehnung an verschiedenen anatomischen Strukturen
beim Headgear mit Horizontalzug (0° zur Okklusionsebene).
Tabelle 4 Gemessene Dehnung an verschiedenen anatomischen Strukturen
beim Headgear mit Zervikalzug (–20° zur Okklusionsebene).
Table 3 Measured strain at different anatomical structures using headgear
with horizontal traction (0 ° to the occlusal plane).
Table 4 Measured strain at different anatomical structures using headgear
with cervical traction (–20 ° to the occlusal plane).
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift • 62 • 2007 • 6
Ch. Holberg et al.: Die Headgeartherapie
der Sutura nasomaxillaris und an der Sutura sphenosquamosa traten bei diesen Zugrichtungen überdurchschnittlich große Dehnungswerte auf (Abb.5–6). Für jede Zugrichtung zeigte sich an den anatomischen Strukturen
des Mittelgesichts und der Schädelbasis eine charakteristische Verteilung der Dehnungen (Abb.2–4). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Zugrichtungen waren
dabei im Mittelgesicht deutlicher ausgeprägt als an der
Schädelbasis (Abb.5–6). Während bei horizontaler und
zervikaler Zugrichtung die höchsten Maximalwerte im
Bereich des Nasenskeletts und der Sutura frontonasalis
gemessen wurden, waren diese anatomischen Strukturen
bei parietaler Zugrichtung weniger betroffen. Bei Erhöhung der einwirkenden Kraft von 5 N auf 10 N pro Seite
änderte sich das Verteilungsmuster kaum, die absolute
Höhe der gemessenen Dehnungen stieg jedoch an (Abb.2–
6).
4 • Diskussion
Die Finite Elemente-Methode ist ein bewährtes, mathematisches Instrument zur Bearbeitung kieferorthopädischer Fragestellungen [7–11]. Die dazu eingesetzten Simulationsmodelle stellen immer eine vereinfachende
Idealisierung der Realität dar. Je differenzierter ein Finite
Element-Modell ist, desto besser und realitätsnäher sind
die berechneten Ergebnisse. Die morphologische Abbildungsgenauigkeit der in der Kieferorthopädie eingesetzten Simulationsmodelle des Gesichtsschädels wurde in
den letzten Jahren zunehmend verbessert. Während
1994 bei Miyasaka-Hiraga et al. [18] das Finite Element-Modell des kompletten Schädels aus lediglich 1776 Einzelelementen bestand, war das virtuelle Modell bei Iseri et al.
[10] (1998) mit 2349 einzelnen Schalenelementen bereits
etwas differenzierter. Die morphologische Genauigkeit
stieg mit der Arbeit von Jafari et al. [11], der 2003 ein Simulationsmodell des Schädels mit 6951 Elementen vorstellte, weiter an. Im Vergleich zu den bisher verfügbaren
FEM-Modellen des Schädels konnte in der vorliegenden
Arbeit die morphologische Abbildungsgenauigkeit weiter verbessert werden, so dass selbst feine anatomische
Strukturen, wie die Foramina der Schädelbasis im mathematischen Modell berücksichtigt werden konnten.
Das vorliegende virtuelle Schädelmodell setzte sich aus
53 555 einzelnen Elementen und 97 550 Knotenpunkten
zusammen. Trotz dieser relativ differenzierten Abbildung der komplexen Schädelgeometrie erlauben die vorliegenden Ergebnisse lediglich grundsätzliche Aussagen
über die Dehnungsverteilung bei Einsatz des orthopädischen Headgears, da es sich um ein konfektioniertes Simulationsmodell mit definierten Eigenschaften, die auf
Durchschnittswerten beruhen, handelt [18,20,21]. Von
diesen prinzipiellen Dehnungsverteilungen kann die patientenindividuelle Situation abweichen. Auch traten an
jeder einzelnen anatomischen Struktur unterschiedlichste Dehnungswerte auf, so dass sich die Messungen
auf maximale und minimale Dehnungswerte beschränkten, um für jede anatomische Struktur die Spannbreite
WISSENSCHAFT • 397
der möglichen Dehnungen zu erfassen. In der vorliegenden Studie wurden Dehnungswerte (in μstrain) analysiert, um einen Vergleich mit den Grenzwerten nach
Frost [4–6] zu ermöglichen. Bei einer klinisch üblichen
Belastung von 5 N pro Seite konnten bei nahezu allen experimentellen Konstellationen in den kraniofazialen Suturen nur sehr geringe Dehnungswerte gemessen werden. Obwohl sicherheitshalber in jeder Sutur der Maximalwert registriert wurde, lagen diese maximalen Werte
für den Highpull-Headgear meist deutlich unter 10
μstrain und für den Headgear mit horizontaler Zugrichtung meist unter 20 μstrain. Alle gemessenen Werte unterschritten bei einer Zugkraft von 5 N pro Seite den von
Frost (1990) festgesetzten Grenzwert [4–6] für den „Minimal Effective Strain“ (MES) um mehr als den Faktor 100.
Erhöhte man die virtuelle Zugkraft des Headgears mit
horizontaler Zugrichtung auf 10 N pro Seite, was klinisch kaum zu realisieren ist, zeigten sich an einigen Suturen Spitzenwerte von etwas über 50 μstrain, was einer
Unterschreitung des Frost´schen Grenzwertes um den
Faktor 40 gleichkam [4–6]. Auch wenn man von einem
nicht unerheblichen systematischen Fehler der idealisierten Berechnungen ausgehen muss, kann das in den
kraniofazialen Suturen gemessene Signal als stark unterschwellig bezeichnet werden. Die gewonnenen Ergebnisse lassen folglich Zweifel daran aufkommen, ob bei solch
unterschwelligen mechanischen Signalen in den kraniofazialen Suturen der orthopädische Headgear überhaupt
einen skelettalen, wachstumshemmenden Effekt haben
kann. Rechnet man die in den vorliegenden Simulationen erhaltenen Dehnungswerte (in μstrain) über das Elastizitätsmodul des Knochens in die entsprechenden Spannungswerte (in MPa) um und vergleicht diese mit den
von Tanne et al. (1991) vorgestellten Werten zum orthopädischen Headgear [20,21], so liegen sie im selben Wertebereich. Doch wie kann man den relativ guten klinischen
Effekt des orthopädischen Headgears erklären? Offenbar
beruht die erwiesene klinische Wirksamkeit vorwiegend
auf dentalen Effekten, z.B. der Molarenintrusion beim
Highpull-Headgear oder der Molarendistalisierung bei
der Behandlung der maxillären Prognathie. Im Gegensatz zur skelettalen Wirksamkeit herrscht über die dentalen Effekte einer Therapie mit dem Headgear weitgehend Einigkeit [1, 2, 3, 14, 22].
5 • Schlussfolgerung
Die virtuellen Simulationen zur orthopädischen Headgearwirkung führten in den kraniofazialen Suturen zu einem stark unterschwelligen mechanischen Signal, das
eine Beeinflussung des suturalen Wachstums nicht erklären kann. Aufgrund der erhaltenen Ergebnisse werden
die in der Literatur bereits bestehenden Zweifel an einer
skelettalen Wirkung des orthopädischen Headgears verstärkt. Offenbar beruht die klinische Wirksamkeit des orthopädischen Headgears nicht auf einer suturalen Wachstumsbeeinflussung, sondern vorwiegend auf dentoalveolären Effekten.
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift • 62 • 2007 • 6
398 • WISSENSCHAFT
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• Korrespondenzadresse:
Dr. med. Dr. med. dent. Christof Holberg
Poliklinik für Kieferorthopädie
Klinikum der Universität München
Goethestrasse 70
80336 München
Tel. 0 89/51 60 32 25
E-Mail: [email protected]
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