SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Seite 1 von 6 Ausdruck unterliegt nicht dem Änderungsdienst! 1. Kurzbeschreibung/ Ziel SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Ventrikulomegalie sollte bis zum Beweis des Gegenteils als ein radiologisches Zeichen eines Hydrocephalus gewertet werden. Die Folgen eines nicht oder nicht suffizient behandelten Hydrocephalus können gravierend sein. In der Literatur sind bei Vinchon M. et al (2012) die wichtigsten Folgeschäden zusammengefasst und die aktuelle klinische Literatur als Review gesichtet worden. Die Gesamtmortalität wird mit 8.6 -14.6% angegeben [1]. Die Mortalität unbehandelter Fälle liegt in historischen Patientenkollektiven bei 48.8% [3]. Epileptische Anfälle aufgrund eines Hydrocephalus werden mit ca. 2%/Jahr genannt. Insgesamt sind vor allem LangzeitMorbiditätsfaktoren eines unzureichend behandelten Hydrocephalus [1,2]: motorische Entwicklungsverzögerung (30-60%) niedriger IQ <70: 14-54% ; IQ <85: 70% keine Schulfähigkeit (bis 9%) -> Notwendigkeit der sonderpädagogischen Förderung Sehstörungen (25-83%) Epilepsie (bis 32%) – schlechteres Langzeitergebnis Psychosoziale Entwicklungsstörungen (20-50%) Vor diesem Hintergrund ist eine sorgfältige Diagnostik der komplexen Hirnwasserzirkulation und der Pathophysiologie jedes einzelnen Patienten unabdingbar. Wichtig ist, eine klinisch asymptomatische Ventrikulomegalie (Bildbefund) von einer klinisch symptomatischen Ventrikulomegalie zu differenzieren. Es liegt Notfall vor ein 1a: Patient bisher ohne Shunt oder Endoskopie - Akutsymptome: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Vigilanzstörung, Bradypnoe, Bradykardie, erloschene Pupillenreaktion mit Mydriasis Zusätzlich bei Säuglingen: Gespannte Fontanelle, klaffende Schädelnähte, Sonnenuntergangsphänomen Im Säuglingsalter sofortige Durchführung eines transfontanellären Ultraschalls, vorzugsweise durch Kinderradiologie, gemeinsam zur Beurteilung des Befundes. Ältere Kinder sollten in Rücksprache mit Kinderradiologie, Kinderanästhesie, Neurochirurgie und ggf. Kinderintensivstation ein MRT nur in T2-Wichtung aber in den drei Raumebenen axial, sagittal und coronar erhalten. Bei Nachweis eines akuten Hydrocephalus muß sofort die Anlage einer externen Ventrikeldrainage erfolgen, in vitalen Notfällen ggf. direkt vor Ort über Ventrikelpunktion mit Ventrikelnadel unter Ultraschallkontrolle (beim Säugling). 1b: Patient mit Verdacht auf Shunt-Dysfunktion / ETV-Dysfunktion Der V.a. Shuntfehlfunktion stellt einen Notfall dar, da der Patient sich rasch und dramatisch neurologisch verschlechtern kann. Deshalb bei Bekanntwerden des Verdachtes sofortige Rücksprache mit dem neurochirurgischen Dienstarzt. Notwendige Diagnostik: - Neurologische Untersuchung - Labor: BB, Elektrolyte, CRP, ggf. Prolaktin, Gerinnung - Funktionsprüfung des Ventils durch Neurochirurgischen Dienstarzt - Sonographie Schädel (je nach Alter) oder MRT T2 axial, sagittal, coronar - Röntgen Shuntverlauf (Schädel in 2 Ebenen, Thorax ap, Abdomen: meist ap Ersteller OA Dr.M. Preuß Prof. Dr. A. Merkenschlager Prüfer: Prof. Dr. Meixensberger Freigeber: Prof. Meixensberger, Prof. Kieß Erstellende Organisationseinheit: Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie/ Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Revision: ID Nummer: Freigegeben SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Seite 2 von 6 Ausdruck unterliegt nicht dem Änderungsdienst! - - ausreichend, nur selten 2 Ebenen) Sonographie Unterbauch: freies Shunt-Ende, freie Flüssigkeit Unbedingt Voraufnahmen einspielen lassen / besorgen und mitbeurteilen! Shuntpass des Patienten erfragen Bei V.a. Shuntinfektion: Ventilpunktion durch Neurochirurgen Ggf. sind dann stationäre Aufnahme, Reservoirpunktionen am Shuntsystem, Lumbalpunktion oder weitere invasive Maßnahmen notwendig. 1c: Intraventrikuläre Blutung bei Frühgeborenen Die IVH (intraventricular hemorrhage) stellt ein eigenes, komplexes Krankheitsbild im Rahmen der Frühgeburtlichkeit dar. In der Regel erfolgt die Erstdiagnose im Rahmen der Kontrollsonographien auf der Neonatologischen ITS in den ersten 24-48h. Zeichen einer progredienten Hirnwasserzirkulationsstörung siehe Punkt 1. Im Falle einer Ventrikeldilatation sollte frühzeitig über die Anlage einer externen Drainage oder eines Rickham-Reservoirs nachgedacht werden. Multiple rezidivierende transfontanelläre Punktionen gehen mit einer gehäuften periventrikulären Leukomalazie (PVL) und Gewebsdefekten einher, weshalb diese möglichst zu minimieren sind. Zum Ausschluß einer Kompartimentierung oder einer Aquäduktstenose (Gefahr des Isolierten 4. Ventrikels) wird eine MRT mit T2-Sequenzen in allen 3 Ebenen und ggf. CISS-Sequenzen durchgeführt. Eine endoskopische Cystenfensterung oder Kompartimenteröffnung mit Ventrikellavage sollte erwogen werden, wenn im MRT mangelnde Flow-void-Signale zu erkennen sind. Bei persistierendem Hydrocephalus ist eine Shuntimplantation indiziert, sobald der ProteinGehalt des Liquors <1500mg/l beträgt und der Liquor keimfrei ist. Dabei sind neben der klinischen Symptomatik, der KU-Zunahme vor allem auch eine Verschmälerung des parietalen Hirnmantels und die Ventrikelweite Leitsymptome. Neurologische Störungen, Epilepsie oder Hirndruckzeichen sollten nicht als Kriterium für die Therapiepflichtigkeit abgewartet werden. Ggf. muss die Anlage des Shuntsystems mit einer endoskopischen Septostomie und Zystenfensterung kombiniert werden, um multiple Kompartimente suffizient drainieren zu können. Das Shuntsystem soll eine Punktionskammer zur Funktionstestung und Notfallpunktion, sowie zur Kontrolle der Liquorchemie beinhalten. Es liegt kein Notfall vor 2: Kein Notfall / Druckentlastung bereits erfolgt - Falls nicht erfolgt ist die Diagnostik mit MRT erforderlich (Darstellung der Anatomie / Tumorausschluß / Septierungen) mittels T2 in 3 Ebenen, T1 +/-KM und ggf. CISS-Sequenzen - Neuropädiatrisch-neurochirurgisches Konsil zur Besprechung der Befunde und Therapie Zur Therapie stehen neben einer Anlage eines VP-Shuntsystems mit pädiatrischen Gravitationsventilen, ggf. programmierbaren Systemen oder telemetrischen Langzeitmeßsonden auch die endoskopische, navigierte Ventrikulozisternostomie und kombinierte Verfahren für komplexe Multikompartment-Hydrocephalus zur Verfügung. Ersteller OA Dr.M. Preuß Prof. Dr. A. Merkenschlager Prüfer: Prof. Dr. Meixensberger Freigeber: Prof. Meixensberger, Prof. Kieß Erstellende Organisationseinheit: Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie/ Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Revision: ID Nummer: Freigegeben Seite 3 von 6 SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Ausdruck unterliegt nicht dem Änderungsdienst! Chronische Verlaufsform 3: Chronische Verlaufsform mit geplanter Vorstellung in der Ambulanz Symptome bei chronischem Hydrocephalus unter 1 Jahr sind Vorwölbung der Fontanelle Perzentilenschneidende Kopfumfangszunahme im Vergleich zu den Perzentilen von Körpergröße und -gewicht Sonnenuntergangsphänomen Entwicklungsverzögerung, Trinkschwäche Atemstörungen, Schluckstörung Bradykardie Erbrechen und allgemeine Schwäche Symptome bei chronischem Hydrocephalus über 1 Jahr Makrozephalus Neurologische Entwicklungsverzögerung Sonnenuntergangsphänomen / Parinaud-Syndrom Kopfschmerzen, Übelkeit, Migräne Stauungspapillen (Augenarzt) Gangstörungen und Schwindel Blasenstörung Notwendige Untersuchungen: Kopfumfang, Körpergröße, Gewicht Anamnese und körperliche Untersuchung Sonographie Schädel (nur bis ca. 1 Jahr möglich, bei Notfall oder zur Verlaufskontrolle nach MRT) MRT T2 3 Ebenen, ggf. weitere Sequenzen Es sollte ein neuropädiatrisches oder interdisziplinäres neuropädiatrisch-neurochirurgisches Konsil erfolgen, um weitere Diagnostik oder Therapie zu initiieren. Ggf. ist hier die invasiv-stationäre Diagnostik zur Langzeit-ICP-Messung, lumbalen Infusiontestung und Bestimmung dynamischer Parameter (RAP, rCSF, PVI, ICP-Amplituden und B-Wellen-Aktivität) notwendig. Patienten mit einer Ventrikulomegalie, bei denen nach eingehender kinderneurochirurgischneuropädiatrischer Beratung kein Shunt und keine ETV indiziert war, sollten aufgrund der möglichen langfristigen Entwicklung eines LOVA (long-standing overt ventriculomegaly in adults) ebenfalls klinisch in längeren Abständen regelmäßig in der Spezialsprechstunde gesehen werden (spätestens 1x / 2 Jahre Ersteller OA Dr.M. Preuß Prof. Dr. A. Merkenschlager Prüfer: Prof. Dr. Meixensberger Freigeber: Prof. Meixensberger, Prof. Kieß Erstellende Organisationseinheit: Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie/ Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Revision: ID Nummer: Freigegeben Seite 4 von 6 SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Ausdruck unterliegt nicht dem Änderungsdienst! Routineverlaufskontrollen 4: Routineverlaufskontrollen Klinische Verlaufskontrolle Zusätzlich zu den genannten Kontrollen ist eine jährliche klinisch-neurologische Vorstellung sinnvoll, um die neurologische Entwicklung zu verfolgen und ggf. neuro- und sozialpädiatrisch unterstützend eingreifen zu können, sofern keine intensivere neuropädiatrische Therapie notwendig ist. Untersuchungen: Kopfumfang, Gewicht, Körpergröße, in Perzentilenbogen eintragen Anamnese und klinisch-neurologische Untersuchung, Schulleistung erfragen Prüfung Shuntfunktion (Reservoirpalpation) DDST (Denver Developmental Testing) Visusprüfung MRT Generell wird empfohlen, spätestens 6 Monate nach Shuntimplantation eine MRT-Kontrolle durchzuführen. Die Ventrikelweite erreicht in der Regel nach ca. 14 Monaten ihren Endzustand (Plateau) [5]. Bei älteren Kindern (keine Narkose!) sollte deshalb nach 1 Jahr mittels MRT kontrolliert werden. Bei Kleinkindern sollte eine Routinekontrolle mit dem 2. und 5. Lebensjahr erfolgen [1]. Eine postoperative MRT ist zum Ausschluß operationsbedingter Komplikationen (intrazerebrale Blutung) und der exakten Verifikation der Katheterlage bzw. Funktion der Ventrikulostomie erforderlich. Bei Vorliegen eines Codman-Shuntsystems ist nach der MRT-Untersuchung eine Röntgenkontrolle des Ventils (Rö Schädel Ventilzielaufnahme) notwendig und wenn sich das Ventil verstellt hat, eine Wiedereinstellung durch den Neurochirurgen vorzunehmen. Programmierbare Miethke-Ventile können ohne erneute Röntgenbildgebung transkutan auf ihre Einstellung hin kontrolliert werden. Vor dem MRT sollte also mit dem Dienstarzt Neurochirurgie Rücksprache gehalten werden, ob, wann und durch wen die Ventilstellungskontrolle durchgeführt werden muß. Sonographie Schädel-Verlaufskontrollen: Beim Säugling mit Hydrocephalus ist eine engmaschige Kontrolle notwendig, weil die notwendigen Ventileinstellungen aufgrund der sich wachstumsbedingt verändernden intrakraniellen Druckverhältnisse variabel sein können. Außerdem ist vor allem eine Unterdrainage im Alter < 2 Jahren mit einer schlechteren Langzeitprognose vergesellschaftet. Diese kann jedoch klinisch zunächst stumm verlaufen. Sono-Kontrollen deshalb postoperativ in den Wochen 1,2,4,8,12,16,20,32,48 nach Operation, bei unauffälligem klinischen Befund. Sonographie Abdomen Die Sonografie des Abdomens schließt eine Fehlfunktion nicht aus und kann eine suffiziente Shuntfunktion nicht beweisen. Daher bringt diese im Notfall und in der Routineuntersuchung meist keine therapieentscheidenden Zugewinne. Sie sollte speziellen Fragestellungen (Pseudozyste, Katheterlage) vorbehalten sein. Ersteller OA Dr.M. Preuß Prof. Dr. A. Merkenschlager Prüfer: Prof. Dr. Meixensberger Freigeber: Prof. Meixensberger, Prof. Kieß Erstellende Organisationseinheit: Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie/ Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Revision: ID Nummer: Freigegeben Seite 5 von 6 SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Ausdruck unterliegt nicht dem Änderungsdienst! Opthalmologische Verlaufskontrolle Die Prävalenz von Sehstörungen wird mit bis zu 83% in unbehandelten Fällen angegeben, 16% der Patienten leiden unter funktioneller Blindheit [3]. Eine Routineverlaufskontrolle sollte aufgrund des u.U. schleichenden Auftretens einer Ventildysfunktion ab einem Alter von ca. 6 Jahren (complianceabhängig) halbjährlich erfolgen. Stauungspapillen haben einen geringen Stellenwert in der Akutsituation, da sie in der Regel erst mit einer Latenz von >24h auftreten können und bei den Kindern mit Shuntsystem häufig Optikusatrophien vorliegen. Im Falle einer Shuntfehlfunktion kann auch eine akute Erblindung ohne Hirndrucksymptome auftreten, die dann meist irreversibel ist! Kopfumfangskontrolle Die perzentilenschneidende Kopfumfangszunahme ist im ersten Lebensjahr höchst sensitiv für einen progredienten Hydrocephalus, ihre Aussagekraft nimmt aber mit zunehmendem Lebensalter (ca. 12 Monate) und bei langdauernder Erkrankung ab, da der Hydrocephalus sich auf einem pathologisch erhöhten Pulsations-(ICP)-Niveau stabilisiert (früher: „arretierter Hydrocephalus“ ). Ein perzentilenparalleler Verlauf, im Bereich der 97. Perzentile oder darüber schließt deshalb einen Hydrocephalus oder eine entsprechende Hirnschädigung nicht aus! Geltungsbereich Geltungsbereich Literatur Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie / Klinik für Kinder- und Jugendmedizin 1. Vinchon M, Rekate H, Kulkarni AV. Pediatric hydrocephalus outcomes: a review.Fluids Barriers CNS. 2012 Aug 27;9(1):18. doi: 10.1186/2045-8118-9-18. 2. N. K. Venkataramana and C. R. Mukundan. Evaluation of functional outcomes in congenital hydrocephalus. J Pediatr Neurosci. 2011 Jan-Jun; 6(1): 4–12. 3. Laurence KM, Coates S: The natural history of hydrocephalus. Detailed analysis of 182 unoperated cases. Arch Dis Child 1962, 37:345-362 4. Lind CR, Correia JA, Law AJ, Kejriwal R. A survey of surgical techniques for catheterising the cerebral lateral ventricles. J Clin Neurosci. 2008 Aug;15(8):886-90. Epub 2008 Apr 28. 5. Tuli S, O'Hayon B, Drake J, Clarke M, Kestle J. Change in ventricular size and effect of ventricular catheter placement in pediatric patients with shunted hydrocephalus. Neurosurgery. 1999 Dec;45(6):1329-33; discussion 1333-5. Ersteller OA Dr.M. Preuß Prof. Dr. A. Merkenschlager Prüfer: Prof. Dr. Meixensberger Freigeber: Prof. Meixensberger, Prof. Kieß Erstellende Organisationseinheit: Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie/ Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Revision: ID Nummer: Freigegeben Seite 6 von 6 SOP Hydrozephalus im Kindesalter und Jugendalter Ausdruck unterliegt nicht dem Änderungsdienst! 2. Mitgeltende Dokumente: Flowchart 3. Begriffe, Abkürzungen Ersteller OA Dr.M. Preuß Prof. Dr. A. Merkenschlager Prüfer: Prof. Dr. Meixensberger Freigeber: Prof. Meixensberger, Prof. Kieß Erstellende Organisationseinheit: Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie/ Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Revision: ID Nummer: Freigegeben