Erregerübertragung und Standardhygiene R. Schulze-Röbbecke Vortrag auf dem 1. Chiemgauer Krankenhaushygiene-Symposium, veranstaltet durch Prof. Dr. I. Kappstein, Traunstein, 9. Oktober 2009 Wie werden Infektionen in der Patientenversorgung übertragen ? Wie werden Infektionen in der Patientenversorgung übertragen ? Erreger Häufigste Übertragungswege Staphylococcus aureus Mit respiratorischem Sekret kontaminierte Hände und Gegenstände Nase, Wunden HBV, HCV, HIV Blut und Körperflüssigkeiten Inokulation ins Gewebe, Schleimhautkontakt Meningokokken Tröpfchen von respiratorischem Sekret obere Atemwege Noroviren, Rotaviren Mit Stuhl und Erbrochenem kontaminierte Hände und Gegenstände Mund Influenzaviren Respiratorisches Sekret mit Tröpfchen oder kontaminierten Händen obere Atemwege Salmonellen Mit Händen von Ausscheidern kontaminierte Nahrungsmittel Verzehr Tuberkelbakterien Tröpfchenkerne von respiratorischem Sekret tiefe Lungenabschnitte Wie werden Infektionen in der Patientenversorgung übertragen ? Auf Patienten: • mit den Händen des Personals • mit den eigenen Händen • durch kontaminierte Oberflächen (z.B. mit Blut od. Erbrochenem) • durch die Arbeitskleidung des Personals • durch hustende/niesende Mitpatienten, Ärzte und Pflegepersonal • durch kontaminierte Bettwäsche (3. Welt) • etc. Auf das Personal: • mit den eigenen Händen nach Patientenkontakt • durch Kontakt mit kontaminierten Gegenständen • durch Stiche mit Kanülen und chirurgischen Nadeln • durch hustende/niesende Patienten und Mitarbeiter • durch Tröpfchen beim Intubieren und endotrachealen Absaugen • durch die Luft in der Nähe infektiöser Patienten • etc. Fazit: Die Übertragungsmechanismen sind komplex Die Präventionsmaßnahmen sind komplex Es gibt kein einfaches Patentrezept zur Prävention nosokomialer Infektionen Gibt es einfache Regeln zur Vermeidung eines großen Teils nosokomialer Infektionen ? CDC, 1983 Je nach Diagnose: m e Strict Isolation t s y s s Contact Isolation n o i t Respiratory Isolationven ä r P Tuberculosis Isolation s e g i Enteric Precautions g n ä h b Drainage/Secretion Precautions a e s o Blood and Body Fluid Precautions n g a Di Garner JS, Simmons BP. CDC Guideline for Isolation Precautions in Hospitals. Centers for Disease Control, 1983 and Am J Infect Control 1984;12:103-163 USA, 1984 AIDS Mehrere Fälle einer Übertragung von HIV („HTLV III“) auf medizinisches Personal Angst Medienberichte Politischer Druck Neue CDC-Empfehlungen CDC, 1985 Universal Precautions m e t s Beim Umgang mit ALLEN Patienten: sy s n o i t • Schutz vor Nadelstichverletzungen n e v ä r • Barrieremaßnahmen (Handschuhe, P s e g Schutzkittel) bei Kontakt mit Blut und i g n ä bestimmten Körperflüssigkeiten h b a n u • Mund-Nasenund Augenschutz bei e s o Verspritzen von Blut und Körperflüssigkeiten n g a i D Centers for Disease Control. Recommendations for preventing transmission of infection with human T-lymphotropic virus type III/lymphadenopathyassociated virus in the workplace. MMWR 1985; 34: 681-686, 691-695 CDC, 1985 Universal Precautions Vorteile: • Schutz auch vor infektiösen Patienten ohne Diagnose einer HIV-Infektion • Schutz auch vor HBV, HCV und anderen blutübertragenen Erregern Nachteile: • Überwiegend Arbeitsschutz, nicht Patientenschutz • Kein Schutz vor Erregern, die mit anderen Körperflüssigkeiten (z.B. Atemwegssekreten) und Ausscheidungen übertragen werden CDC, 1996 Standard Precautions Beim Umgang mit ALLEN Patienten: re p r • Händehygiene ö K , n t e • Richtiger Gebrauch von persönlicher Schutzausrüstung u l g n B uSchutzkittel) t (Schutzhandschuhe, Mund-Nasen-, Augenschutz, i d i m he t k von ckontaminierten • Richtige Handhabung und Aufbereitung a s t s n u o Medizinprodukten K dA ) n m • Routinemäßige Reinigung/Desinfektion der näheren u e l l n e e i t Patientenumgebung z e n r e k kontaminierter Bettwäsche t Svon e o • Richtige Handhabung p , ( i n e t • Schutzr vor Erregern durch (Vermeidung von be blutübertragenen i e k e g Stich-/Schnittverletzungen und Schleimhautkontakt i m s m l üs I • Einzelunterbringung von Patienten, die ihre Umgebung f kontaminieren Garner JS, HICPAC. Guideline for isolation precautions in hospitals. Infect Control Hosp Epidemiol 1996;17:53-80 CDC, 2007 Standard Precautions Siegel JD, Rhinehart E, Jackson M, Chiarello L; HICPAC. 2007 Guideline for isolation precautions: preventing transmission of infectious agents in health care settings. Am J Infect Control 2007; 35(10 Suppl 2): S65-S164 Standard Precautions, CDC, 2007 2007 • Verhalten beim Husten, Niesen und Schnäuzen • Sichere Injektions- und Infusionstechnik • Maßnahmen bei Punktionen im Bereich des Wirbelkanals 1996 Beim Umgang mit ALLEN Patienten: • Händehygiene • persönliche Schutzausrüstung • Handhabung und Aufbereitung von Medizinprodukten • Reinigung/Desinfektion der Patientenumgebung • Handhabung von kontaminierter Bettwäsche • Schutz vor blutübertragenen Erregern • Einzelunterbringung bei starker Umgebungskontamination Siegel JD, Rhinehart E, Jackson M, Chiarello L; HICPAC. 2007 Guideline for isolation precautions: preventing transmission of infectious agents in health care settings. Am J Infect Control 2007; 35(10 Suppl 2): S65-S164 Fazit: Es gibt sie, die einfachen Regeln zur Vermeidung eines großen Teils der nosokomialen Infektionen ! Deutsche Übersetzung für Standard Precautions ? Basishygiene ? Standardhygiene ? Standardmaßnahmen ? Wie wird Standardhygiene in der Praxis umgesetzt ? Standard Precautions, CDC, 2007 2007 • Verhalten beim Husten, Niesen und Schnäuzen • Sichere Injektions- und Infusionstechnik • Maßnahmen bei Punktionen im Bereich des Wirbelkanals 1996 Beim Umgang mit ALLEN Patienten: • Händehygiene • persönliche Schutzausrüstung • Handhabung und Aufbereitung von Medizinprodukten • Reinigung/Desinfektion der Patientenumgebung • Handhabung von kontaminierter Bettwäsche • Schutz vor blutübertragenen Erregern • Einzelunterbringung bei starker Umgebungskontamination Siegel JD, Rhinehart E, Jackson M, Chiarello L; HICPAC. 2007 Guideline for isolation precautions: preventing transmission of infectious agents in health care settings. Am J Infect Control 2007; 35(10 Suppl 2): S65-S164 Standardhygiene Händehygiene Beim Umgang mit ALLEN Patienten Bei sichtbarer Verunreinigung mit BKSA* Hände waschen Bei nicht sichtbarer Kontamination Hände desinfizieren: • Vor direktem Patientenkontakt • Nach Kontakt mit BKSA, Schleimhaut, nicht-intakter Haut und Wundverbänden • Nach Kontakt mit intakter Haut • Vor Wechsel von einer kontaminierten zu einer sauberen Körperregion beim selben Patienten • Nach Kontakt mit (potenziell) kontaminierten Gegenständen und Medizinprodukten in Patientennähe • Nach dem Ausziehen der Handschuhe *BKSA = Blut, Körperflüssigkeiten, Sekrete, Ausscheidungen Standard Precautions, CDC, 2007 2007 • Verhalten beim Husten, Niesen und Schnäuzen • Sichere Injektions- und Infusionstechnik • Maßnahmen bei Punktionen im Bereich des Wirbelkanals 1996 Beim Umgang mit ALLEN Patienten: • Händehygiene • persönliche Schutzausrüstung • Handhabung und Aufbereitung von Medizinprodukten • Reinigung/Desinfektion der Patientenumgebung • Handhabung von kontaminierter Bettwäsche • Schutz vor blutübertragenen Erregern • Einzelunterbringung bei starker Umgebungskontamination Siegel JD, Rhinehart E, Jackson M, Chiarello L; HICPAC. 2007 Guideline for isolation precautions: preventing transmission of infectious agents in health care settings. Am J Infect Control 2007; 35(10 Suppl 2): S65-S164 Standardhygiene Persönliche Schutzausrüstung Beim Umgang mit ALLEN Patienten: • Bedarfsgerecht tragen, falls Kontakt mit BKSA zu erwarten ist • Beim Ablegen Kontamination von Haut und Kleidung vermeiden • Vor Verlassen des Patientenzimmers PSA ausziehen und entsorgen • Dieselben Schutzhandschuhe und Schutzkittel nicht bei mehreren Patienten verwenden • Kein routinemäßiges Anlegen von Schutzkitteln in Hochrisikobereichen (z.B. ITS, KMT) Standard Precautions, CDC, 2007 2007 • Verhalten beim Husten, Niesen und Schnäuzen • Sichere Injektions- und Infusionstechnik • Maßnahmen bei Punktionen im Bereich des Wirbelkanals 1996 Beim Umgang mit ALLEN Patienten: • Händehygiene • persönliche Schutzausrüstung • Handhabung und Aufbereitung von Medizinprodukten • Reinigung/Desinfektion der Patientenumgebung • Handhabung von kontaminierter Bettwäsche • Schutz vor blutübertragenen Erregern • Einzelunterbringung bei starker Umgebungskontamination Siegel JD, Rhinehart E, Jackson M, Chiarello L; HICPAC. 2007 Guideline for isolation precautions: preventing transmission of infectious agents in health care settings. Am J Infect Control 2007; 35(10 Suppl 2): S65-S164 Standardhygiene 3. Cough Etiquette Fazit: Die meisten (aber nicht alle) Komponenten der Standardhygiene sind auch bei uns bekannt, werden in der Praxis aber nicht konsequent umgesetzt. Was kann die Standardhygiene leisten ? Das Konzept der Standardhygiene (Standard Precautions)… … ist die die Grundlage der erfolgreichen Prävention nosokomialer Infektionen … ist effektiv gegen die Übertragung der meisten nosokomialen Infektionen … ist wissenschaftlich fundiert und kosteneffektiv … ist Diagnose-unabhängig und leicht umsetzbar … wurde von vielen internationalen (z.B. WHO) und nationalen Institutionen (z.B. in Ägypten) übernommen Was kann die Standardhygiene NICHT leisten ? Standard Precautions … sind unwirksam gegen bestimmte hoch kontagiöse, epidemiologisch relevante Erreger, z.B.: • Virusbedingte Diarrhöen (Übertragung durch Kontakt) • Atemwegsinfektionen wie Influenza, Pertussis und Diphtherie (Übertragung durch Tröpfchen) • Tuberkulose (aerogene Übertragung) und müssen ggf. durch diagnoseabhängige „übertragungsspezifische Maßnahmen“ (TransmissionBased Precautions) ergänzt werden Was sind übertragungsspezifische Maßnahmen ? Übertragungsspezifische Maßnahmen Übertragung Beispiel für hoch kontagiöse, epidemiologisch relevante Infektion Übertragungsspezifische Maßnahme Übertragungsspezifische Maßnahmen Übertragung Beispiel für hoch kontagiöse, epidemiologisch relevante Infektion Durch Kontakt Noroviren, Hepatitis A, Kontaktisolierung (MRE?) Übertragungsspezifische Maßnahme Übertragungsspezifische Maßnahmen Übertragung Beispiel für hoch kontagiöse, epidemiologisch relevante Infektion Durch Kontakt Noroviren, Hepatitis A, Kontaktisolierung (MRE?) Pertussis, Influenza, Durch Tröpfchen Meningokokken Übertragungsspezifische Maßnahme Tröpfchenisolierung Übertragungsspezifische Maßnahmen Übertragung Beispiel für hoch kontagiöse, epidemiologisch relevante Infektion Durch Kontakt Noroviren, Hepatitis A, Kontaktisolierung (MRE?) Pertussis, Influenza, Durch Tröpfchen Meningokokken Aerogen Übertragungsspezifische Maßnahme Tröpfchenisolierung Tuberkulose, Masern, Aerogene Windpocken Isolierung Isolierungsmaßnahmen Standardmaßnahmen, Standardhygiene (standard precautions) Zusätzlich ggf. übertragungsspezifische Maßnahmen: Kontaktisolierung Tröpfchenisolierung (contact precautions) (droplet precautions) Aerogene Isolierung (airborne precautions) Isolierungsmaßnahmen Standardmaßnahmen, Standardhygiene (standard precautions) Zusätzlich ggf. übertragungsspezifische Maßnahmen: Kontaktisolierung (contact precautions) Kontaktisolierung Zusätzlich zu den Standardmaßnahmen Bei Nachweis oder Verdacht auf eine Infektion mit epidemiologisch relevantem Erreger, der durch direkten oder indirekten Kontakt übertragbar ist • Unterbringung in Einzelzimmer • Handschuhe bei Kontakt mit Patient oder kontaminierten Gegenständen • Bei Verlassen des Isolierzimmers ggf. Handschuhe ausziehen, Händedesinfektion • Im Isolierzimmer patientenbezogenen Schutzkittel tragen • Pat. verlässt Zimmer nur in Ausnahmen • Pflegeutensilien patientenbezogen Isolierungsmaßnahmen Standardmaßnahmen, Standardhygiene (standard precautions) Zusätzlich ggf. übertragungsspezifische Maßnahmen: Tröpfchenisolierung (droplet precautions) Aerosolisierung Tröpfchen: rasche Sedimentation Tröpfchenisolierung Zusätzlich zu den Standardmaßnahmen Bei Nachweis oder Verdacht auf eine Infektion mit epidemiologisch relevantem Erreger, der beim Husten, Niesen, Sprechen oder bei hustenprovozierenden Maßnahmen durch größere Tröpfchen übertragbar ist • Unterbringung in Einzelzimmer • Falls Einzelzimmer nicht verfügbar: räumlicher Abstand >1 m zwischen Patienten • Mund-Nasen-Schutz in der Nähe (<1 m) des Patienten • Keine besondere Raumlufttechnik • Türe des Isolierzimmers kann offen stehen • Pat. verlässt Zimmer nur in Ausnahmen Chirurgische Masken = Mund-Nasen-Schutz Isolierungsmaßnahmen Standardmaßnahmen, Standardhygiene (standard precautions) Zusätzlich ggf. übertragungsspezifische Maßnahmen: Aerogene Isolierung (airborne precautions) Tröpfchen- vs. aerogene Übertragung Verdunstung Ausgehusteter Tropfen • >5 µm • schnelle Sedimentation • Reichweite <1 m • nicht alveolargängig • z.T. Rückhaltung durch chirurg. Masken Tröpfchenkern • 2-5 µm (Aerosol) • kaum Sedimentation • Reichweite >1 m • alveolargängig • kaum Rückhaltung durch chirurg. Masken Aerosolisierung Tröpfchenkerne Aerogene Isolierung Zusätzlich zu den Standardmaßnahmen Bei Nachweis oder Verdacht auf eine Infektion mit epidemiologisch relevantem Erreger, der aerogen übertragbar ist • Unterbringung in Einzelzimmer mit Luftunterdruck und 6-12-fachem Luftwechsel pro Stunde • Türe des Isolierzimmers muss geschlossen bleiben • Personal (falls nicht immun): Atemschutzmaske (FFP2 / FFP3) bei Betreten des Isolierzimmers • Pat. verlässt Zimmer nur in Ausnahmen und mit Mund-Nasen-Schutz FFP2-Atemschutzmaske MRE: Standardhygiene oder Kontaktisolierung ? Prävention der MRSA-Übertragung Hinterfragung von Dogmen Maßnahme Beurteilung Literatur Isolierung Zumindest in Intensiv-stationen fraglich • Cepeda JA et al. Lancet 2005;365:295-304 • Nijssen S et al. Clin Infect Dis 2005;40:405-409 Schutzkittel Rolle als Vektor unbekannt • Boyce JM et al. ICHE 1997;18:622-627 Handschuhe Auch Händedesinfektion ist wirksam gegen MRSA • Mehrere in-vitroUntersuchungen und klinische Studien OP-Masken Schutzwirkung unbekannt • Marshall C et al. J Hosp Infect 2004;56:253-268 Rolle von Flächen als Übertragungsvektor unbekannt • DIMDI. HTA-Bericht Band 3 (2003) • Marshall C et al. J Hosp Infect 2004;56:253-268 Flächendesinfektion MRSA-Raten niedriger als externe Referenzdaten (PEG, KISS), Inzidenz der MRSA-Infektionen kontinuierlich rückläufig. Bei Verzicht auf strikte Isolierung und Fokussierung auf Standardhygiene kein erhöhtes Risiko für MRSA-Aquisition. Der Chirurg 2009; 80: 49-61 Clin Infect Dis 2009;48:766-771 Konzept der Kontaktisolierung (besd. bei MRSA) basiert eher auf Glauben und dem Bedürfnis, irgendetwas zu unternehmen als auf eindeutiger Evidenz Unkritische, undifferenzierte Anwendung ist angesichts des Schadens nicht gerechtfertigt Hinweise darauf, dass oft mit konsequent umgesetzten Standardmaßnahmen (insbes. Händehygiene) das gleiche Ziel erreicht wird Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !