Kapitel 1.4 Semantischer Folgerungsbegriff und Erfüllbarkeit Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 1 / 13 Semantischer Folgerungsbegriff und Erfüllbarkeit Für einzelne Formeln haben wir den Erfüllbarkeits- und Folgerungsbegriff bereits eingeführt: Eine al. Formel ϕ ist erfüllbar (erf [ϕ]), wenn es eine Belegung B der in ϕ vorkommenden Variablen gibt, die ϕ wahr macht, d.h. für die B(ϕ) = 1 gilt. Eine al. Formel ϕ folgt aus einer al. Formel ψ (oder ψ impliziert ϕ: ψ impl ϕ), wenn jede Belegung B, die ψ wahr macht, auch ϕ wahrmacht. Wir verallgemeinern diese Begriffe nun für Formelmengen. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 2 / 13 Erfüllbarkeit von Formelmengen: Definition DEFINITION. Sei T eine (möglicherweise unendliche) MengeSvon Formeln, V eine Menge von Aussagenvariablen, die die Menge V (T ) := {V (ψ) : ψ ∈ T } der in den Formeln in T vorkommenden Aussagenvariablen umfasst, und B : V → {0, 1} eine Belegung von V . Dann macht B die Formelmenge T wahr (oder B erfüllt T ), falls B(ψ) = 1 für alle ψ ∈ T gilt (d.h. B alle Formeln in T wahrmacht). T heisst erfüllbar, wenn es eine Variablenmenge V ⊇ V (T ) und eine Belegung B von V gibt, so dass die Belegung B die Formelmenge T wahrmacht. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 3 / 13 Erfüllbarkeit von Formelmengen: Bemerkungen BEMERKUNGEN: Die leere Formelmenge T = ∅ ist erfüllbar. Für nichtleeres T genügt es wegen des Koinzidenzlemmas bei der Definition der Erfüllbarkeit von T Belegungen von V (T ) zu betrachten. Damit T erfüllbar ist, muss es eine Belegung B geben, die alle Formeln ϕ in T wahrmacht. (Es genügt nicht, dass es für alle Formeln ϕ in T eine Belegung B = Bϕ gibt, die ϕ wahrmacht.) Ist T erfüllbar, so sind also auch alle Formeln ϕ in T erfüllbar. Die Umkehrung gilt aber i.a. nicht (Gegenbeispiel: T = {A, ¬A}). Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 4 / 13 Erfüllbarkeit von Formelmengen: Notation NOTATION: BT :⇔ B(T ) = 1 ⇔ B macht T wahr (d.h. B(ψ) = 1 für alle ψ ∈ T ) Bϕ :⇔ B(ϕ) = 1 erf [T ] :⇔ T erfüllbar erf [ϕ] :⇔ ϕ erfüllbar Für T 6= ∅ gilt also erf [T ] ⇔ es gibt B : V (T ) → {0, 1} mit B T Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 5 / 13 Folgerungen aus Formelmengen: Definition DEFINITION. Sei T eine (möglicherweise unendliche) Menge von Formeln und ϕ eine Formel. Dann folgt ϕ aus T , falls für jede Variablenmenge V ⊇ V (T ) ∪ V (ϕ) und jede Variablenbelegung B von V mit B(T ) = 1 auch B(ϕ) = 1 gilt. NB. Wegen des Koinzidenzlemmas genügt es V = V (T ) ∪ V (ϕ) zu betrachten. D.h. ϕ folgt aus T , falls Für alle B : V (T ) ∪ V (ϕ) → {0, 1} gilt: B T ⇒ B ϕ. SCHREIBWEISE: T ϕ :⇔ ϕ folgt aus T ϕ1 , . . . , ϕn ϕ statt {ϕ1 , . . . , ϕn } ϕ ϕ statt ∅ ϕ Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 6 / 13 Folgerungen aus endlichen Formelmengen Nach Definition folgt ϕ aus der leeren Formelmenge ∅ genau dann, wenn jede Belegung B von V (ϕ) die Formel ϕ wahrmacht, d.h. wenn ϕ allgemeingültig ist. Also: ϕ ⇔ ag [ϕ]. Der Folgerungsbegriff für nichtleere endliche Mengen lässt sich ebenfalls auf den Begriff der Allgemeingültigkeit zurückführen: LEMMA. Folgende Aussagen sind äquivalent: (i) ϕ1 , . . . , ϕn ϕ (ii) ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ϕ (iii) ag [ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn → ϕ] Beweisidee: (i) ⇔ (ii): Folgt aus B(ϕ1 ) = · · · = B(ϕn ) = 1 ⇔ B(ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ) = 1 (ii) ⇔ (iii): Dies haben wir bereits in allgemeinerer Form gezeigt: nämlich ψ impl ϕ (was gerade ψ ϕ bedeutet) ist äquivalent zur Allgemeingültigkeit von ψ → ϕ. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 7 / 13 Folgerung vs. Erfüllbarkeit Der Folgerungsbegriff für beliebige (nicht notwendigerweise endliche) Mengen lässt sich auf den Erfüllbarkeitsbegriff zurückführen. Umgekehrt lässt sich der Erfüllbarkeitsbegriff durch den Folgerungsbegriff beschreiben: LEMMA (ZUSAMMENHANG ZW. FOLGERUNG UND ERFÜLLBARKEIT). Für beliebige Formelmengen T und beliebige Formeln ϕ gilt: (a) T ϕ ⇔ nicht erfb[T ∪ {¬ϕ}] (b) Folgende Aussagen sind äquivalent: (i) erfb[T ] (ii) Es gibt kein ϕ mit T ϕ und T ¬ϕ. (iii) Es gibt ein ϕ mit T 6 ϕ. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 8 / 13 Folgerung vs. Erfüllbarkeit: Beweis der Aussage (a) Übung! Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 9 / 13 Folgerung vs. Erfüllbarkeit: Beweis der Aussage (b) BEHAUPTUNG: Folgende Aussagen sind äquivalent: (i) erfb[T ] (ii) Es gibt kein ϕ mit T ϕ und T ¬ϕ. (iii) Es gibt ein ϕ mit T 6 ϕ. Da die Implikation (ii) ⇒ (iii) trivialerweise gilt, genügt es (i) ⇒ (ii) und (iii) ⇒ (i) zu zeigen. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 10 / 13 Folgerung vs. Erfüllbarkeit: Beweis von (b) (Forts.) BEHAUPTUNG: (i) erfb[T ] ⇒ (ii) Es gibt kein ϕ mit T ϕ und T ¬ϕ. Beweis von (i) ⇒ (ii) durch Kontraposition: Annahme: (ii) gelte nicht. Dann gilt T ϕ und T ¬ϕ für geeignetes ϕ. Für jede Belegung B von V (T ) ∪ V (ϕ) mit B T gilt also B(ϕ) = B(¬ϕ) = 1. Da es keine Belegung B mit B(ϕ) = B(¬ϕ) = 1 gibt, folgt B 6 T für alle Belegungen B von V (T ) ∪ V (ϕ). D.h. für jede solche Belegung B gibt es ein ΨB ∈ T mit B(ψB ) = 0. Mit dem Koinzidenzlemma gibt es dann aber auch zu jeder Belegung B von V (T ) ein ΨB ∈ T mit B(ψB ) = 0. Also B 6 T für alle Belegungen von V (T ). Das heisst aber gerade, dass T nicht erfüllbar ist. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 11 / 13 Folgerung vs. Erfüllbarkeit: Beweis von (b) (Ende) BEHAUPTUNG: (iii) Es gibt ein ϕ mit T 6 ϕ ⇒ (i) erfb[T ]. Beweis von (iii) ⇒ (i): Wähle ϕ mit T 6 ϕ. Dann gibt es eine Belegung B von V (T ) ∪ V (ϕ) mit B T und B(ϕ) = 0. Insbesondere gilt also B(ψ) = 1 für alle ψ ∈ T . Ist B 0 die Einschränkung von B auf V (T ), so gilt daher nach dem Koinzidenzlemma auch B 0 (ψ) = 1 für alle ψ ∈ T , d.h. B 0 T . Also ist T erfüllbar. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 12 / 13 Semantische Korrektheit von Regeln In Kapitel 1.2.7 haben wir bereits die Korrektheit von Regeln bzgl. der Allgemeingültigkeit bzw. bzgl. Folgerungen definiert. Mit Hilfe der neuen Definitionen und Notationen können wir dies nun wie folgt formulieren: Eine Regel (R) ϕ1 , . . . , ϕn —————— ϕ ist korrekt bzgl. Allgemeingültigkeit, falls ϕ1 , . . . , ϕn ⇒ ϕ (oder: ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ⇒ ϕ) gilt, und R ist korrekt bzgl. Folgerungen, falls ϕ1 , . . . , ϕ n ϕ (oder: ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ϕ) gilt. Mathematische Logik (WS 2010/11) Kapitel 1.4: Semantischer Folgerungsbegriff 13 / 13