Polynome David Willimzig 1 Grundlagen Wir beschäftigen uns zunächst mit Polynomen in einer Variablen x. Diese haben die Gestalt n p(x) = an xn + . . . + a1 x + a0 = ∑ ai xi . i=0 Die Zahlen a0 , a1 , . . . , an werden Koezienten genannt und können ganze Zahlen (Z), rationale (Q), reelle (R) oder auch komplexe (C) Zahlen sein. Sogar Restklassen modulo n (Zn ) sind möglich, denn auch dort hat man eine Addition und eine Multiplikation zur Verfügung. Ist an ≠ 0, dann heiÿt n = deg p der Grad des Polynoms. Wenn p das Nullpolynom ist, also alle Koezienten 0 sind, setzt man formal deg p = −∞. p1 (x) = x3 − 2x2 + 5, p2 (x) = −x4 + Grad 3, 4 bzw. 7. Beispiel 1. √ 2x2 − 85 , p3 (x) = x7 − 1 sind Polynome vom Zwei Polynome p und q sind gleich, wenn sie in allen Koezienten übereinstimmen. Wir können Polynome auch addieren, subtrahieren und multiplizieren: Seien p = x2 + 1, q = x3 + 2x2 + 1. Dann ist ihre Summe p + q = x3 + 3x2 + 2. Beim Multiplizieren nutzen wir das Distributivgesetz: Beispiel 2. pq = (x2 + 1) ⋅ (x3 + 2x2 + 1) = x5 + 2x4 + x2 + x3 + 2x2 + 1 = x5 + 2x4 + x3 + 3x2 + 1 Dabei beobachten wir, dass für die Grade von Summen- und Produktpolynom folgendes gilt: (1) deg(p + q) ≤ max{deg p, deg q} (2) deg(pq) = deg p + deg q Denn die höchsten Potenzen von p + q müssen natürlich auch schon in p oder in q vorgekommen sein. Wenn deg p ≠ deg q ist, dann können sich die höchsten Potenzen von p und q nicht gegenseitig auslöschen und wir erhalten sogar Gleichheit in (1). Beim Multiplizieren haben wir ganz allgemein ein Produkt pq = (an xn + . . . + a1 x + a0 ) ⋅ (bm xm + . . . + b1 x + b0 ) = an bm xm+n + Terme niedrigeren Grades und wenn an , bm ≠ 0 waren, so ist auch an bm ≠ 0 und m + n der Grad des Produktes. 1 Mit der Division verhält es sich etwas komplizierter, denn ähnlich den ganzen Zahlen geht die Division im Allgemeinen nicht auf: Beispiel 3. Wir dividieren p(x) = x3 +3x2 +4x+4 durch q(x) = x2 +2x+1 mit Polynomdivision: (x3 + 3x2 + 4x + 4) ∶ (x2 + 2x + 1) = x + 1 x3 + 2x2 + x x2 + 3x + 4 x2 + 2x + 1 x+3 und erhalten den Quotienten t(x) = x + 1 und den Rest r(x) = x + 3. Das Restpolynom r(x) hat einen kleineren Grad als der Divisor q(x). Das Beispiel weist auf ein allgemeineres Ergebnis hin, das wir nun beweisen: (Division mit Rest). Seien p, q Polynome, q ≠ 0, und die Koezienten von p, q reell. Dann existieren zwei Polynome t, r mit reellen Koezienten, sodass p = tq + r und deg r < deg q . Die Polynome t, r sind hierdurch eindeutig bestimmt. Satz 1 Existenz: Induktion über deg p Induktionsanfang: Für solche p mit deg p < deg q wählen wir t = 0, r = p. Induktionsschritt: Seien nun p = an xn + . . . + a1 x + a0 , q = bm xm + . . . + b1 x + b0 mit an , bm ≠ 0 und n ≥ m. Wir betrachten t1 = bamn xn−m . Es ist Beweis. t1 q = an n−m x (bm xm + . . . + b1 x + b0 ) = an xn + Terme kleineren Grades bm Setzen wir nun p1 = p − t1 q , so ist deg p1 < deg p. Auf p1 können wir die Induktionsannahme anwenden: Es gibt also Polynome t2 , r mit p1 = t2 q + r und deg r < deg q . Daher ist p = p1 + t1 q = t2 q + r + t1 q = (t1 + t2 )q + r und mit t = t1 + t2 haben wir das Gewünschte. Eindeutigkeit: Angenommen, es sei auch p = t′ q + r′ mit deg r′ < deg q . Dann ist tq + r = tq ′ + r′ , also q(t − t′ ) = r − r′ . Wäre nun t ≠ t′ , so wäre deg(t − t′ ) ≥ 0, also deg(r − r′ ) = deg((t − t′ )q) = deg(t − t′ ) + deg q ≥ deg q. Andererseits ist deg(r − r′ ) ≤ max{deg r, deg r′ } < deg q , Widerspruch. Also ist t = t′ und somit r − r′ = (t − t′ )q = 0, d.h. r = r′ . Zusatz: Wenn p, q nur ganze Zahlen als Koezienten haben und zudem bm = 1 gilt, dann haben auch t, r lauter ganze Zahlen als Koezienten. Denn der Koezient bamn von t1 ist wieder eine ganze Zahl und somit hat auch p1 = p−t1 q nur ganzzahlige Koezienten. Wir haben also wieder die gleiche Situation für p1 wie bei p, wenn wir die Division fortführen. Induktion ergibt also, daÿ t ganzzahlige Koezienten hat und damit auch r = p − tq . Falls bei der Divsion der Rest r = 0 ist, so sagt man, q ist Teiler von p und schreibt q∣p. 2 2 Tricks beim Umgang mit Polynomen Sei f ein Polynom vom Grad n und a ∈ R. Division von f durch x − a ergibt nach Satz 1 f (x) = (x − a)t(x) + r, r ∈ R, deg t = n − 1 (1) Setzen wir x = a in (1) ein, ergibt sich f (a) = r und somit (2) f (x) = (x − a)t(x) + f (a). Ist f (a) = 0, so heiÿt a eine Nullstelle/Wurzel von f . Aus (2) folgt nun der Satz 2 (Faktorsatz). f (a) = 0 ⇔ f (x) = (x − a)t(x) mit einem Polynom t(x) Sind etwa α1 , α2 zwei verschiedene Nullstellen von f , können wir nach Satz 2 schreiben f (x) = (x − α1 )t(x) mit t(α2 ) = 0, das heiÿt t(x) = (x − α2 )t1 (x). Deshalb f (x) = (x − α1 )(x − α2 )t1 (x), deg t1 = n − 2. Allgemein: Ist f ein Polynom vom Grad n und sind α1 , α2 , . . . , αn paarweise verschiedene Nullstellen von f , dann ist f (x) = c(x − α1 )(x − α2 ) . . . (x − αn ), c∈R Aber woher wissen wir, ob f überhaupt Nullstellen hat? Eine Antwort gibt der Satz 3 (Fundamentalsatz der Algebra). Jedes Polynom f (x) = an xn + . . . + a1 x + a0 mit Koezienten a0 , a1 , . . . , an ∈ C , n ≥ 1, an ≠ 0 hat mindestens eine Nullstelle in C. (hier o.B.) Beispiel 4. Die Gleichung x2 + 1 = 0 hat im Reellen keine Lösungen, denn x2 ≥ 0 für alle x ∈ R. Die imaginäre Einheit i wird jedoch so deniert, dass für sie i2 = −1 gilt. Also ist i2 + 1 = 0 und damit i eine Lösung von x2 + 1 = 0. Ebenso ist übrigens auch −i eine Lösung, denn (−i)2 + 1 = (−i)(−i) + 1 = i2 + 1 = 0. Also können wir schreiben p(x) = x2 + 1 = (x − i)(x + i). Ist wieder f (x) = an xn + . . . + a1 x + a0 , so können wir nach dem Fundamentalsatz immer eine Lösung x1 von f (x) = 0 nden, also nach Satz 2 einen Linearfaktor (x − x1 ) von f (x) abspalten und ein Restpolynom t(x) bekommen, dessen höchster Koezient wieder an ist und für das deg t = n − 1 ist. Auf die Weise können wir den Grad des Restpolynoms insgesamt n−mal reduzieren. Somit können wir f (x) auch in der Form f (x) = an (x − x1 )(x − x2 ) . . . (x − xn ) (3) schreiben, wobei x1 , x2 , . . . , xn nun nicht notwendigerweise mehr verschieden sein müssen. Eine äquivalente Formulierung ist: Ein Polynom f (x) = an xn + . . . + a1 x + a0 vom Grad n hat genau n Nullstellen. Wenn wir diese kennen, kennen wir auch das Polynom, bis auf einen konstanten Faktor. Es folgt noch etwas Interessantes: Hat man ein Polynom p(x) = an xn + . . . + a1 x + a0 , wobei auch an = 0 sein darf, also ein Polynom vom Grad ≤ n, so hat es auch nur höchstens n Nullstellen. Hat p aber mehr als n Nullstellen, so muss p bereits das Nullpolynom sein. Dieses bildet eine Ausnahme und hat alle reellen Zahlen als Nullstelle. 3 Weiter geht es mit ein paar Anwendungen des Faktorsatzes: Sei n ∈ N. Betrachte das Polynom f (a) = an −bn in der Variablen a. Oenbar ist f (b) = bn −bn = 0, also gilt nach dem Faktorsatz a − b∣an − bn . Das Restpolynom ist an−1 + an−2 b + . . . + abn−2 + bn−1 , denn (a − b)(an−1 + an−2 b + . . . + abn−2 + bn−1 ) = an + an−1 b + an−2 b2 + . . . + a2 bn−2 + abn−1 − an−1 b − an−2 b2 − . . . − a2 bn−2 − abn−1 − bn = an − b n . Sei nun n ∈ N und n ungerade. Betrachte das Polynom f (a) = an + bn in der Variablen a. Dann gilt f (−b) = (−b)n +bn = −bn +bn = 0 und aus dem Faktorsatz folgt a+b∣an +bn . Das Restpolynom ist diesmal an−1 − an−2 b + . . . − abn−2 + bn−1 . Dabei wechseln sich die Vorzeichen immer ab, und weil wir n Summanden haben, steht vor dem letzten Summanden wieder ein +. In der Tat ist (a + b)(an−1 − an−2 b + . . . − abn−2 + bn−1 ) = an − an−1 b + an−2 b2 ∓ . . . − a2 bn−2 + abn−1 + an−1 b − an−2 b2 ± . . . + a2 bn−2 − abn−1 + bn = an + b n . Wir zeigen nun einen bei Olympiaden immer mal wieder nützlichen Satz: Sei nun p ein Polynom mit Koezienten aus Z. Sind a, b ∈ Z, a ≠ b, dann sind a − b und p(a) − p(b) ganze Zahlen und es gilt Satz 4. a − b ∣ p(a) − p(b). Beweis. (4) Wir brauchen nur (4) zu zeigen. Division durch x − a ergibt wie in (2) p(x) = (x − a)q(x) + p(a) ⇔ p(x) − p(a) = (x − a)q(x) Nun hat x−a führenden Koezient 1 und die Koezienten von p und von x−a sind ganzzahlig. Aus dem Zusatz zu Satz 1 folgt: Auch q(x) hat lauter ganzzahlige Koezienten. Einsetzen von x = b ergibt schlieÿlich: p(b) − p(a) = (b − a)q(b) und da b ∈ Z, ist auch q(b) ∈ Z. 3 Ein paar Aufgaben k Das Polynom p hat den Grad n und nimmt für k = 0, 1, . . . , n die Werte p(k) = k+1 an. Bestimme den Wert p(n + 1). Aufgabe 1. 4 Das Polynom p nimmt nur für k = 0 den Wert 0 an, aber q(x) ∶= (x + 1)p(x) − x ist vom Grad n + 1 und verschwindet für k = 0, . . . , n, wir kennen also n + 1 verschiedene Nullstellen von q . Aus dem Faktorsatz folgt Lösung. q(x) = a ⋅ x ⋅ (x − 1) ⋅ (x − 2) . . . (x − n) Um a zu ermitteln, setzen wir x = −1 ein und bekommen 1 = a(−1)n+1 (n + 1)!. Also p(x) = (−1)n+1 x(x − 1) . . . (x − n)/(n + 1)! + x x+1 und ⎧ ⎪ ⎪1, p(n + 1) = ⎨ ⎪ ⎪ ⎩n/(n + 2), wenn n ungerade, wenn n gerade. Seien a, b, c drei paarweise verschiedene ganze Zahlen und sei p(x) ein Polynom mit ganzzahligen Koezienten. Man zeige, dass die Bedingungen Aufgabe 2. p(a) = b, p(b) = c und p(c) = a nicht gleichzeitig erfüllt werden können. Lösung. Variante A: Angenommen, die Bedingungen seien erfüllt. Wir leiten einen Widerspruch her: Da a eine Nullstelle von p(x) − b ist, hat p(x) − b den Teiler x − a. Also gibt es ein Polynom p1 (x) mit ganzzahligen Koezienten, für das p(x) − b = (x − a)p1 (x) erfüllt ist. Analog gilt mit Polynomen p2 , p3 p(x) − c = (x − b)p2 (x) p(x) − a = (x − c)p3 (x) Unter a, b, c wählen wir das Paar mit maximaler absoluter Dierenz. Angenommen, diese ist ∣a − c∣. Dann folgt ∣a − b∣ < ∣a − c∣. Setze nun x = c in der obersten Gleichung, so folgt a − b = (c − a)p1 (c). Da p1 (c) eine ganze Zahl und ≠ 0 ist (sonst wäre a = b), folgt ∣a − b∣ ≥ ∣c − a∣, Widerspruch. Variante B: Wir können einen Widerspruch auch auf folgende Weise herleiten: Nach Satz 4 gilt a − b ∣ p(a) − p(b) = b − c und analog b − c∣c − a c − a∣a − b Dann muss aber ∣a − b∣ = ∣b − c∣ = ∣c − a∣ gelten, also gibt es kein alleiniges Paar mit maximaler absoluter Dierenz. Daher können a, b, c nicht paarweise verschieden sein, Widerspruch. 5 Gegeben sind 2n paarweise verschiedene Zahlen a1 , . . . , an , b1 , . . . , bn und eine n×nTabelle, die auf folgende Weise ausgefüllt wurde: In dem Feld in der i-ten Zeile und der j−ten Spalte steht die Zahl ai + bj . Man beweise: Wenn das Produkt der Einträge in jeder Spalte gleich ist, dann ist auch das Produkt der Einträge in jeder Zeile gleich. Lösung. Betrachte das Polynom Aufgabe 3. n n f (x) = ∏ (x + ai ) − ∏ (x − bj ) i=1 j=1 vom Grad < n. Wenn n f (bj ) = ∏ (ai + bj ) = c i=1 für alle j = 1, . . . , n, dann hat das Polynom f (x) − c mindestens n verschiedene Nullstellen. Daraus folgt f (x) − c = 0 für alle x. Dann aber ist für alle i = 1, . . . , n n n n+1 c = f (−ai ) = − ∏ (−ai − bj ) = (−1) j=1 ∏ (ai + bj ). j=1 Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen: Das Polynom f vereint in sich die Vorzüge, sowohl die Spalten- als auch die Zeilenprodukte als Werte anzunehmen, letzere jedenfalls bis auf einen konstanten Faktor, im Grad aber auch < n zu sein. Natürlich braucht es etwas Glück und sicher auch einen scharfen Blick, welches das richtige Polynom ist. Wie es scheint, sind Polynome immer für eine Überraschung gut. 4 Symmetrische Polynome Den Aufhänger dieses Kapitels kennt jeder noch aus der Schule. Es ist dies der Satz von Vieta. Wir schauen ihn uns für Gleichungen 2. und 3. Grades an: Satz 5 (Vieta). (a) Das Polynom f (x) = x2 + px + q habe die Wurzeln x1 , x2 . Dann gilt p = −(x1 + x2 ), (5) q = x1 x2 . (b) Das Polynom f (x) = x3 + px2 + qx + r habe die Wurzeln x1 , x2 , x3 . Dann gilt p = −(x1 + x2 + x3 ), Beweis. q = x1 x2 + x2 x3 + x3 x1 , r = −x1 x2 x3 . (a) Wir schreiben x2 + px + q = (x − x1 )(x − x2 ) = x2 − (x1 + x2 )x + x1 x2 . Die Behauptung folgt durch Koezientenvergleich. (b) Wir schreiben x3 + px2 + qx + r = (x − x1 )(x − x2 )(x − x3 ) = x3 − (x1 + x2 + x3 )x2 + (x1 x2 + x2 x3 + x3 x1 )x − x1 x2 x3 . Die Behauptung folgt wieder durch Koezientenvergleich. 6 (6) Seien x1 , x2 , x3 die Wurzeln von x3 + 3x2 − 7x + 1. Was ist x21 + x22 + x23 ? Wir wissen nach dem Satz von Vieta x1 + x2 + x3 = −3, x1 x2 + x2 x3 + x3 x1 = −7, also Beispiel 5. 9 = (x1 + x2 + x3 )2 = x21 + x22 + x23 + 2(x1 x2 + x2 x3 + x3 x1 ) = x21 + x22 + x23 − 2 ⋅ 7 ⇒ x21 + x22 + x23 = 23. Nun beschäftigen wir uns mit Polynomen in mehreren Variablen. Zu Beginn hatten wir gesehen, dass ein Polynom in einer Variablen aus Summanden ai xi besteht, sogenannten Monomen. Ein Monom in zwei Variablen x, y ist ein Ausdruck der Form cxi y j . Allgemein: ein Monom in n Variablen x1 , x2 , . . . , xn ist ein Ausdruck der Form cxi11 xi22 . . . xinn . Ein Polynom in n Variablen x1 , x 2 , . . . , x n p(x1 , x2 , . . . , xn ) = ∑ cxi11 xi22 . . . xinn (7) ist einfach eine endliche Summe solcher Monome. Der Koezient c vor einem Monom kann natürlich immer verschieden sein. Wir schauen uns die Polynome in zwei Variablen näher an: Sei f (x, y) ein solches. Da wir nur endlich viele Monome haben, gibt es sicher höchste Potenzen, in denen x und y auftreten. Seien die Exponenten davon n und m, dann können wir f (x, y) sortiert nach Potenzen aufschreiben: f (x, y) = an,m xn y m + an,m−1 xn y m−1 + . . . + an,0 xn + an−1,m xn−1 y m + . . . ⋮ + a0,m y m + a0,m−1 y m−1 + . . . + a0,0 Hier kann aber auch an,m = 0 sein, denn die xn −Potenz muss nicht zusammen mit der y m −Potenz auftauchen. Man nehme zum Beispiel f (x, y) = x2 + y 2 . Ein Polynom f (x, y) heiÿt symmetrisch, wenn f (x, y) = f (y, x) für alle x, y . Wenn wir x und y austauschen, ändert sich f also nicht. Beispiele: Die elementarsymmetrischen Polynome in x, y σ1 = x + y, σ2 = xy. Die Potenzsummen s i = xi + y i , i = 0, 1, 2, . . . . Nicht symmetrisch ist f (x, y) = x2 + xy + y , denn f (y, x) = y 2 + yx + x und es gibt x, y mit x2 + xy + y ≠ y 2 + yx + x, etwa (x, y) = (1, 2). Allgemein heiÿt das Polynom p(x1 , x2 , . . . , xn ) symmetrisch, wenn x1 , x2 , . . . , xn beliebig vertauscht werden können, ohne dass das Polynom sich (bis auf die Reihenfolge der Summanden) verändert. 7 (Symmetrische Polynome). Ist f (x, y) symmetrisch in x, y , so kann f als Polynom in σ1 = x + y und σ2 = xy geschrieben werden. Satz 6 Dieser Satz ist prinzipiell auf Polynome in n Variablen übertragbar. Dann haben wir allerdings nicht nur 2, sondern n elementarsymmetrische Polynome. Wir bringen später noch eine Fassung für 3 Variablen. Beweis. (i) Zuerst für die Potenzsummen. Es gilt: sn = xn + y n = (x + y)(xn−1 + y n−1 ) − xy(xn−2 + y n−2 ) = σ1 sn−1 − σ2 sn−2 . Wir haben also die Rekursion s0 = 2, s1 = σ1 , sn = σ1 sn−1 − σ2 sn−2 , n ≥ 2. (ii) Nun kommt der Beweis für beliebige symmetrische Polynome. Terme der Form axk y k sind kein Problem, da axk y k = aσ2k . Enthält f den Term bxi y k (i < k), so auch den Term bxk y i wegen der Symmetrie. Wir fassen diese Terme zusammen: bxi y k + bxk y i = bxi y i (xk−i + y k−i ) = bσ2i sk−i . Aber sk−i kann durch σ1 , σ2 ausgedrückt werden. Zwei Beobachtungen stellen wir an dieser Stelle an: Nichtlineare Systeme von Gleichungen, die symmetrisch in x, y sind, können durch die Substitution σ1 = x + y, σ2 = xy meist vereinfacht werden. Der Grad dieser Gleichungen wird dann kleiner sein, da σ2 = xy vom Grad 2 bezüglich x, y ist. Sobald wir σ1 und σ2 gefunden haben, können wir die quadratische Gleichung z 2 + pz + q = 0, deren Lösungen x und y sind, einfach hinschreiben. Nach dem Satz von Vieta gilt ja p = −σ1 , q = σ2 . Also nden wir x, y als Lösungen z1 , z2 der Gleichung z 2 − σ1 z + σ2 = 0. und die Lösungen des Gleichungssystems sind dann die Paare (x, y), (y, x), sofern diese verschieden sind. Dies probieren wir in Beispiel 6 aus. Den umgekehrten Fall hatten wir schon in Beispiel 5. Dort war eine Gleichung x3 + px2 + qx + r = 0 mit Lösungen x1 , x2 , x3 gegeben. Nach Vieta kennen wir x1 + x2 + x3 = −p, x1 x2 + x2 x3 + x3 x1 = q, x1 x2 x3 = −r. Für drei Variablen x, y, z sind die elementarsymmetrischen Polynome gerade σ1 = x + y + z, σ2 = xy + yz + zx, σ3 = xyz. Da wir jedes symmetrische Polynom durch elementarsymmetrische Polynome ausdrücken können, wissen wir auch den Wert jedes symmetrischen Polynoms in den Lösungen x1 , x2 , x3 , so etwa x21 + x22 + x23 . 8 Beispiel 6. Finde alle reellen Lösungen (x, y) des Systems x + y = 3, x + y 3 = 9. 3 Setze σ1 = x + y, σ2 = xy . Um s3 = x3 + y 3 in σ1 , σ2 zu schreiben, wenden wir die Rekursion von vorhin an: s2 = σ1 s1 − σ2 s0 = σ12 − 2σ2 s3 = σ1 s2 − σ2 s1 = σ1 (σ12 − 2σ2 ) − σ2 σ1 = σ13 − 3σ1 σ2 Die erste Gleichung gibt σ1 = 3. Einsetzen in die zweite Gleichung ergibt σ2 = 2. Also sind x, y Lösungen der quadratischen Gleichung A2 − 3A + 2 = 0 mit Lösungen 1 und 2. ⇒ (1, 2), (2, 1) sind die Lösungen des Systems. Wir kommen nun zu der Fassung von Satz 6 für drei Variable x, y, z . (Symmetrische Polynome II). Ist f (x, y, z) symmetrisch in x, y, z , so kann f als Polynom in σ1 = x + y + z, σ2 = xy + yz + zx und σ3 = xyz geschrieben werden. (hier o.B.) Satz 7 So können wir etwa die Potenzsummen si = xi + y i + z i , i = 0, 1, 2, . . . durch σ1 , σ2 , σ3 ausdrücken. Wir wissen bereits s0 = 3, s1 = σ1 , s2 = σ12 − 2σ2 (aus Beispiel 6). Wir suchen eine Formel für s3 . Fangen wir mit einem Polynom an, in dem s3 vorkommt. Dafür bietet sich σ13 an: σ13 = (x + y + z)3 = (x + y + z)(x2 + y 2 + z 2 + 2xy + 2yz + 2zx) = (x3 + xy 2 + xz 2 + 2x2 y + 2xyz + 2x2 z) + (x2 y + y 3 + yz 2 + 2xy 2 + 2y 2 z + 2xyz) + (x2 z + y 2 z + z 3 + 2xyz + 2yz 2 + 2xz 2 ) = (x3 + y 3 + z 3 ) + 3xy(x + y) + 3yz(y + z) + 3zx(z + x) + 6xyz T rick! → = (x3 + y 3 + z 3 ) + 3xy(x + y + z) + 3yz(x + y + z) + 3zx(z + y + x) + 6xyz − 9xyz = (x3 + y 3 + z 3 ) + 3(xy + yz + zx)(x + y + z) − 3xyz = s3 + 3σ1 σ2 − 3σ3 Daraus folgt s3 = σ13 − 3σ1 σ2 + 3σ3 . 9 Selbst die Anwendung im Bereich von Ungleichungen ist ersprieÿlich: Faktorisiere den Term x3 + y 3 + z 3 − 3xyz . Wie folgt hieraus die AGM-Ungleichung für drei Variablen: Für nichtnegative reelle Zahlen a, b, c gilt Beispiel 7. √ a+b+c 3 abc ≤ 3 (8) wobei Gleichheit genau dann gilt, wenn a = b = c. Mit der vorherigen Formel: x3 + y 3 + z 3 − 3xyz = s3 − 3σ3 = σ13 − 3σ1 σ2 + 3σ3 − 3σ3 = σ1 (σ12 − 3σ2 ) = (x + y + z)(x2 + y 2 + z 2 − xy − yz − zx). √ √ √ Wegen a, b, c ≥ 0 existieren die 3. Wurzeln, setze also x = 3 a, y = 3 b, z = 3 c. (8) geht dabei über in x3 + y 3 + z 3 3 3 0 ≤ x + y 3 + z 3 − 3xyz = (x + y + z)(x2 + y 2 + z 2 − xy − yz − zx) xyz ≤ ⇔ Da x + y + z ≥ 0, ist (8) also äquivalent zu 0 ≤ x2 + y 2 + z 2 − xy − yz − zx (9) Die rechte Seite erinnert an Teile von binomischen Formeln. Tatsächlich ist 1 x2 + y 2 + z 2 − xy − yz − zx = [(x − y)2 + (y − z)2 + (z − x)2 ] ≥ 0. 2 Damit gilt (9). Gleichheit gilt oenbar genau dann, wenn x = y = z ⇔ a = b = c. Wo wir gerade dabei sind: Die häuger verwendete AGM-Ungleichung für 2 Variablen. Für nichtnegative reelle Zahlen a, b gilt √ a+b ab ≤ 2 (10) mit Gleichheit √ dann, wenn a = b. √ genau Setze x = a, y = b. (10) geht über in x2 + y 2 2 0 ≤ x2 + y 2 − 2xy = (x − y)2 xy ≤ ⇔ (11) ist wahr, Gleichheit gilt genau dann, wenn x = y ⇔ a = b. 10 (11) 5 Ein paar Aufgaben mehr Die quadratische Gleichung x2 + 5x + 7 = 0 hat die reellen Lösungen α und β . Welche quadratische Gleichung besitzt die beiden Lösungen (a) α1 und β1 bzw. (b) α12 und β12 ? Aufgabe 4. Lösung. (a) Die Gleichung lautet nach dem Satz von Vieta 1 1 1 1 + )x + ⋅ = 0 α β α β α + β 1 ⇔ x2 − x+ =0 αβ αβ x2 − ( Nun wissen wir aber - ebenfalls nach Vieta - die Werte α + β = −5, αβ = 7. Damit war die Gleichung 1 5 x2 + x + = 0 7 7 gesucht, oder mit ganzzahligen Koezienten 7x2 + 5x + 1 = 0. (b) Diese Gleichung lautet entsprechend α2 + β 2 1 x+ 2 2 =0 2 2 α β α β 2 (α + β) − 2αβ 1 ⇔ x2 − + =0 2 (αβ) (αβ)2 x2 − und somit x2 − 1 11 x+ =0 49 49 oder mit ganzzahligen Koezienten 49x2 − 11x + 1 = 0. 11 An der Wand steht eine Leiter der Länge 10m. Darunter bendet sich eine würfelförmige Kiste mit Kantenlänge 1m, so dass sich Leiter und Kiste berühren. Aufgabe 5. In welcher Höhe berührt die Leiter die Wand? Bezeichne die Katheten des hier abgebildeten rechtwinkligen Dreiecks mit a, b, sodaÿ a die Höhe an der Wand angebe. Dann gilt Lösung. a−1 a = 1 b 2 2 a + b = 100 (Strahlensatz) (12) (Pythagoras) (13) (12) ist äquivalent zu a + b = ab. Andererseits ist a2 + b2 = (a + b)2 − 2ab. Mit z = a + b ergibt (13) z 2 − 2z = 100 also z1,2 = 1 ± √ √ 1 + 100 ⇒ z = 1 + 101 wegen z ≥ 0. Andererseits sind a, b wegen z = a + b = ab Lösungen der Gleichung √ z A2 − zA + z = 0 ⇒ A1,2 = ± 2 z2 −z 4 Wegen a + b ≥ 10 (Dreiecksungleichung) sind beide Lösungen > 0 und wir erhalten als Kathetenlängen √ z a= + 2 √ z2 z − z, b = − 4 2 √ z2 − z mit z = 1 + 101 4 oder umgekehrt. Numerisch ergibt sich a = 9, 938m oder a = 1.112m. 12 Aufgabe 6. Welche Lösungen besitzt das Gleichungssystem x+y+z =1 x + y 2 + z 2 = 17 x3 + y 3 + z 3 = 1 + xyz ? 2 (14) (15) (16) Setzen wir σ1 = x + y + z, σ2 = xy + yz + zx, σ3 = xyz . Mit den Formeln, die wir vorhin hergeleitet haben, gilt Lösung. σ1 = 1 σ12 − 2σ2 = 17 σ13 − 3σ1 σ2 + 3σ3 = 1 + σ3 . Somit σ1 = 1, σ2 = −8 nach der zweiten und schlieÿlich σ3 = −12 nach der dritten Gleichung. Wir erhalten x, y, z daher als Lösungen der Gleichung A3 − σ1 A2 + σ2 A − σ3 = 0 (vgl. Beobachtung nach Satz 6), also A3 − A2 − 8A + 12 = 0. Nun ist A1 = 2 eine Lösung. Division durch (A-2) führt auf A2 − A + 6 = 0 mit den Lösungen A2 = 2, A3 = −3. Folglich ist (2, 2, −3) eine Lösung des Systems. Die anderen Lösungen erhalten wir durch Vertauschen der Variablen, somit sind (2, 2−3), (2, −3, 2), (−3, 2, 2) alle Lösungen des Systems. Literatur [1] Arthur Engel, Problem [2] Paul Jainta, Polynome, , Springer, New York, 1998 Solving Strategies √ Die WURZEL - Werkstatt Mathematik, 2000 [3] Prof. Reinhard Knörr, Lineare , Uni Rostock, Skript zur Vorlesung 2010/11 Algebra 13