185/58 "58., 'Sonntag, 22. April 1973 Nr. 185 (Fernausgabe Nr. WOCHENENDE 109) 31cm Eine Ringelnalter bei der Verdauungsruhe. Die Verdickimg in ihrem Leib (oben links) verrät, daß s,'e kürzlich eine Beute verschlungen hat. Einheimische Schlangen giftige Arten wie Haustiere im Terrarium. In den Städten sind die Schlangenfreunde heute zweifellos häufiger als früher; der die Zivilisation kompensierende Naturhunger, tut da seine Wirkung, und Schlangen können für manche Leute zum Inbegriff unverfälschter Natur werden. Ist die Schlange giftig oder riesig, hinzu, r so kommt ein Hauch von Unberechenbarkeit und Gefah der auch den Besitzer mit einem Nimbus umgibt, und von hier der, Snobismus, zum von bloßen ist es nur ein kleiner Schritt Sachkenntnis ungetrübt, nun wirklich gefährlich werden kann. Auf Grund solcher Erfahrungen ist z. B. nach dem neuen Tierschutzgesetz des Kantons Zürich das Halten von Gift- und Riesenschlangen bewilligungspflichtig. Man erkennt sie leicht an den beiden hellgelben Halbmonden im Nacken, die hinten von schwarzen Flecken gesäumt sind, und an den senkrechten, schmalen schwarzen «Barren» an den Körperseiten, die der nördlichen Ringelnatter fehlen. Die Ringelnatter ist eine wasserliebende Schlange. Sie schwimmt, den Kopf über das Wasser haltend, und taucht Ober größere Strecken. Beim Schwimmen in einer ländlichen Badeanstalt oder in einem Naturweiher kann man diesen mit den gelben Halbmonden «gekrönten» Kopf plötzlich neben sich entdecken, ein ganz harmloses Erlebnis . übrigens, denn die Ringelnatter ist niemals aggressiv Wenn man sie fängt, stellt sie zwar imponierende Verhaltensweisen zur Schau, sie windet sich lebhaft, bläht sich auf, zischt und schnellt mit dem dreieckig aufgetriebenen Kopf vor. Man findet aber nur höchst selten eine Ringelnatter, die einen richtigen Biß ausführt. Häufig entleert sie dagegen den Darm und gleichzeitig die Stinkdrüsen, so daß sich ein charakteristischer Gestank verbreitet, der Weil die meisten Schlangenliebhaber in der Tierhandlung gekaufte, exotische Arten halten, ist die Biologie der einheimischen Schlangen nach wie vor relativ unbekannt geblieben. Man hat den Eindruck, daß die Schlangen in den zivilisierten Gebieten des Mittellandes stark im Rückgang begriffen sind. Das am 1. Ja- noch lange an den Kleidern haften bleibt. Eine bedrohte Ringelnatter erbricht auch, was sie kürzlich gefressen hat; sie wirft gleichsam Ballast ab, was für die Flucht nur günstig sein kann. Ringelnattern fressen Frösche, Kröten und gelegentlich einen Kopf der zwar bissigen, aber harmlosen Zornnatler. Ihre Pupillen sind rund, die iär einheimische Giltschlangen typische kleine Schilderreihe um die Augen lehlL Kopt der Kreuzotter. Die Kennzeichen der einheimischen Giltschlange, die senkrechte Spaltpupille und die Reihe kleinerer Trennschilder zwischen Auge und Oberlippenschildern, sind deutlich zu sehen. nuar 1967 in Kraft gesetzte Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz hat zwar alle einheimischen Schlangen, auch die giftigen, unter Schutz gestellt, der formell auch auf ihre Lebensprakund Brutgebiete ausgedehnt wird. Hier beginnen aber die tischen Schwierigkeiten, denn man weiß nicht so recht, welches Schlangenfauna Hauptgefahren für unsere die biologisch wichtigen eigentlich sind. Ist es einfach die Summe kleiner «Nadelstiche», Biotopzerstörun(z.B. Straßentod, Populationen zusetzt die den gen bei Straßenbauten, Pestizide), oder gibt es einen noch nicht faßbaren Hauptfaktor? Die Ringelnattern paaren sich vom März bis im Mai; das Weibchen legt im Sommer zwischen 11 und 100 längliche, pergamentartig anzufühlende Eier zu einem Haufen vereint an geeigneten Plätzen ab, wo dann nach vier bis zehn Wochen die Jungen schlüpfen. Manchmal legen viele Weibchen jedes Jahr gemeinsam die Eier an einem bestimmten Ort ab. Beliebt sind alte Haufen vermodernder Späne oder Borken, Misthaufen und Sägemehl- Die Ringelnatter In der Schweiz kommen acht Schlangenarten vor, zwei davon Zornnatter), sind in je zwei Unterarten vertreten (Ringelnatter und Kreuzotter). Bei uns ist die zwei Arten sind giftig (Juraviper und Barren-Ringelnatter (Natrix natrix helvetica) die bekannteste Art. Eine Würlelnaller sonnt sich Im Ilachen Wasser. sie, weil ihre Schuppen glatt und nicht wie bei der Kreuzotter, mit der man sie auf den ersten Blick verwechseln kann, in der Mitte gekielt sind. Der Name Schlingnatter bezieht sich auf das Beuteverhalten: sie erdrosselt die Beute, meistens Eidechsen, vor dem Fressen, indem sie einige Körperschlingen um die Beute legt. Die Bildbericht von Hans Heusser Das Verhältnis des Menschen zu den Schlangen ist bekanntlich zwiespältig: die einen empfinden ihnen gegenüber einen anerzogenen, aber kaum überwindbaren Abscheu, andere aber sind von den Schlangen im positiven Sinne fasziniert und halten sich sogar 3iirri|tr Artung Fisch, die Jungen vor allem Kaulquappen. Glattnatter bewohnt trockenes Gelände wie Magerwiesen und Heiden mit Waldrändern und Gemäuer. Sie klettert gut und sonnt sich manchmal auf den unteren Aesten im Gebüsch. Wenn man sie fängt, verhält sie sich ziemlich träge, beißt aber ohne jedes Imponiergehabe schnell und zielsicher zu, und während man sich vom Schreck des ersten Bisses erholt, folgt ebenso zielsicher auch schon der zweite. Die Bisse sind harmlos. Weil die Glattnatter aber häufig mit der giftigen Viper und der Kreuzotter zusammen vorkommt, muß man sich ganz genau versichern, mit wem man es zu tun hat. Die Glattnatter ist lebendgebärend, d. h. die drei bis fünfzehn Jungen verlassen die dünnen Eihüllen während oder kurz nach der Geburt und sind sogleich selbständig; sie müssen sich sogar vor der eigenen Mutter in acht nehmen. Zornnatter und Aeskulapnatter Ebenfalls eine harmlose, aber bei Belästigung wild um sich beißende Schlange ist die temperamentvolle Zornnatter (Coluber viridülavus) der Süd- und Südwestschweiz. Sie kann die respektable Länge von nahezu zwei Metern erreichen und wirkt auf den Menschen schon wegen ihrer schnellen Bewegungen und ihrer Zeichnung (giftgelbe Flecken auf schwärzlichem Grund) «aufregend». Wenn sie zubeißt, läßt sie nicht gleich wieder los, sondern depots, in denen sich eine feuchte Brutwärme entwickelt. In solgefunden worchen Haufen sind schon bis zu 4000 Eier pro Jahr den. In der Natur sind Haufen aus Schilf, Binsen und Laub sowie mit Mulm gefüllte hohle Baumstümpfe geeignete «cBrutkammern». Die Glattnatter Die zweite in der ganzen Schweiz verbreitete Schlange ist die Schling- oder Glattnatter (Coronclla austriaca). Glattnatter heißt Die olivgrüne Aeskulapnatter, das Symbolllet der Mediziner, wird bis zu zwei Meter lang. Neue Zürcher Zeitung vom 22.04.1973 Slcuc ^ürrijcr Teilung WOCHENENDE Sonnlag, 22. April 1973 Nr. 185 (Fcrnausgabe Nr. 109) 59 hält sich fest und macht dazu noch kauende Bewegungen, was sehr unangenehm sein soll. Die Zornnatter bevorzugt trockene Orte wie Steinhaufen, Gemäuer und Weinberge, wo sie von Mäusen, Eidechsen, Insekten, Fröschen, kleinen Vögeln und andern Schlangen lebt. Die Weibchen legen im Juni acht bis fünfzehn Eier, aus denen im Spätsommer die Jungen schlüpfen. Im Tessin, im Wallis und im Waadtland ist auch die elegante, bis zwei Meter lange Aeskulapnatter (Elaphe longissima) verbreitet, die nicht gleich flicht oder beißt, sondern sich gerne auf ihre olivgrüne Tarnfarbe verläßt, wenn sie sich im Gebüsch sonnt. Sie liebt trockene Gebiete: buschbestandene sonnige Wiesen, Steinhaufen, Geröllhalden, Trockenmauern. Als Nahrung dienen ihr hauptsächlich Mäuse und Eidechsen, die sie vor dem Verzehren umschlingt. Die Aeskulapnatter legt im Frühsommer nur etwa fünf bis acht Eier in Mulm oder modernden Laubhaufen ab, aus denen nach rund 6 Wochen die Jungen schlüpfen. Vipernatter und Würfelnatter Ausgesprochen wasserliebende Schlangen sind die Vipernatter (Natrix maura, Südwestschweiz) und die Würfelnatter (Nalrix tessellala, Tessin). Beide sind eher kleine Schlangen, die nur selten einen Meter lang werden, beide sind ausgezeichnete Taucher und Schwimmer, die vorwiegend Kaulquappen, Frösche, Molche und Fische fressen, im Wasser lauern, fressen, sich sogar unter Wasser sonnen und auch den Wasserweg zur Flucht benützen. Es ist erstaunlich, wie die Würfelnatter noch in sehr kühlen QuellwasseraufstöBen, z.B. am Rande der Maggia, aktiv sein kann; die meisten Reptilien brauchen viel höhere Temperaturen, um jagen und verdauen zu können. Beide Arten spielen, Ringelwenn sie gefangen werden, ein ähnliches «Theater» wie die natter: sie zischen, blähen sich auf, führen imponierende Scheingleichsam zum Ausbisse aus und entleeren die Stinkdrüsen gleich ihrer völligen Harmlosigkeit. Beide Nattern legen im FrühJungen sommer vier bis 25 Eier, aus denen im August die schlüpfen. Die Vipernatter kann ihrer Rückenzeichnung wegen mit der giftigen Juraviper verwechselt werden, mit der sie in der Umgebung von Genf zusammen vorkommt. Kreuzotter und Juraviper Die beiden giftigen und gefährlichen Schlangen der Schweiz Juraviper (Vipeia sind die Kreuzotter (Vipeta berua) und die aspis), zwei nah verwandte Vipern mit perfekt ausgebildetem Giftapparat. Bei den Schlangen muß man streng genommen zwiungefährlichen schen giftig und gefährlich unterscheiden. Auch die Schlangen, z. B. die Ringelnatter, produzieren in den Speicheldrüsen Eiweißkomponenten, die hochgiftig wirken würden, wenn Vipern man sie in die Blutbahn einspritzte. Die Gefährlichkeit der besteht nur darin, daß die spezialisierten Speicheldrüsen mit Injektionsnadeln, den beiden hohlen Giftzahnen, verbunden sind, so daß der Inhalt der Giftdrüsen in die Blutbahn anderer LebeRuhestellung liegen die Röhrenwesen gespritzt werden kann. In eingeklappt. Beim Oeffnen «ähne der Vipern in einer Zahnscheide Opfer der Kiefer werden sie aufgerichtet und dringen beim Biß ins ein. Gefährliche und ungefährliche Schlangen in der Schweiz könVipernnen anhand der Augen unterschieden werden: die beiden arten haben senkrechte Spaltpupillen; die andern Arten haben Augen direkt runde Pupillen. Bei den harmlosen Arten stoßen die Auge und Mundspalt an die großen Oberlippenschilder; zwischen Augen steht also nur eine Schilderreihe. Bei den Vipern sind die Oberlippendurch eine oder zwei Reihen kleiner Schilder von den Schildern getrennt; zwischen Auge und Mundspalt stehen also Unterscheidungsmerkmale zwei oder drei Schilderreihen. Diese sind aber nur für die zur Fauna der Schweiz zählenden Arten gültig, nicht auch für exotische! Eine Glattnatter mit ihren Jungen. Glattnattern sind lebendgebärend. Die Juraviper kommt im Tessin, in Graubünden, im Wallis, im Ja u r und im südlichen Schwarzwald vor, die Kreuzotter im Alpengebiet und stellenweise auch im Mittelland, wo sie vor allem Moorböden bewohnt. Beide Arten sind relativ plump und werden kaum über 80 Zentimeter lang. Die Juraviper trägt auf dem Rücken dunkle Querstreifen, die manchmal zu einem Zickzackband zusammenfließen können. Bei der Kreuzotter ist ein dunkles Zickzackband die Regel, auf dem Kopf trägt sie ein X- oder V-förmiges Zeichen. Beide Arten fressen hauptsächlich Mäuse, die vor Jungen dem Verschlingen durch den Giftbiß getötet werden. Die kommen, wie bei der Glattnatter, lebend zur Welt und sind schon ausgerüstet. bei der Geburt mit einem funktionsfähigen Giftapparat BergwandeUm Schlangenbissen vorzubeugen, sollte man auf rungen, beim Heidelbeerensammeln, in Rebbergen usw. nicht bardas fuß gehen und vor dem Rasten auf den Boden stampfen vertreibt die Schlangen, denn sie «wollen» nicht beißen, sondern fliehen. Nach einem Giflschlangenbiß wird die gebissene Hand oder langsamer der Fuß schnell herzwörts abgebunden, damit das Gift mögdiffundiert. Weitere Maßnahmen: Wunde auspressen, damit (Kaffee, Gift) (und austritt, viel trinken keinen lichst lv i e Blut Alkohol), Arzt aufsuchen (Serumbehtndlung), Abbindung nach einer Viertelstunde wieder lockern. Man sollte die Gefährlichkeit der Giftschlangen in der Schweiz nicht dramatisieren, darf sie aber auch nicht bagatellisieren. In an Giftn den Jahren 1931 bis 1965 sind in der Schweiz 3 Persone schlangenbissen gestorben. Kinder sind ihres geringeren Gewichts wegen durchschnittlich gefährdeter als Erwachsene. Auch ohne lästige und tödlichen Ausgang können Schlangenbisse jedoch sehr lang anhaltende Folgen haben. Dunkle Querstreiten aul dem Rücken, die manchmal w einem Zickzack-Band Neue Zürcher Zeitung vom 22.04.1973 zusammenfließen können, kennzeichnen die giltige Juraviper.