Kapitel 12 Quantenelektrodynamik (QED) 12.1 Einleitung Wir können die Ergebnisse der letzten Kapitel zusammenfassen. Wir beginnen mit der Lagrange-Funktion der QED-Theorie (Siehe Kap. 9.3.2) [ ] 1 L QED = ψ γ µ i∂ µ − m ψ − Fµν F µν −e(ψγ µψ ) Aµ 4 4244 3 4 14444 424444 4 3 1Wechselwirkung freie Teilchen Der erste Teil der Lagrange-Funktion, der die freien Teilchen der Theorie (d.h. Dirac-Elektronen/Positronen und Maxwellsche-Photonen) beschreibt, liefert die Form der Propagatoren (Siehe Kap. 11.5.6 für Elektron- und Positron-Propagatoren und Kap. 11.5.4 für den Photon-Propagator). Der zweite Teil der Lagrange-Funktion liefert die Form der Vertexfaktoren. Teilchenphysik 205 Quantenelektrodynamik (QED) Die Amplitude M eines Prozesses wird mit einer Gesamheit von Diagrammen assoziiert. Im Allgemeinen enthalten die Diagramme die folgenden Teile (Siehe Abb. 1): 1. 2. 3. 4. äussere Beine freie Propagatoren Vertexfaktoren interne Diagramme (wie z.B. interne “Loops”) e– Propagatoren Vertexfaktoren Loops e– e+ e– äussere Beine Figur 1. Die verschiedenen Teile von Feynman-Diagrammen. Die äusseren Beine sind durch ihre kinematischen (4-Impulse) und internen (Spin, usw.) Grössen charakterisiert. 206 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Einleitung Wir fassen die Regeln zusammen, um die Berechnung der Amplitude von den Diagrammen durchzuführen: 1. 2. Externe Beine: Bezeichnen der einlaufenden und auslaufenden 4Impulse (p1, p2, ...) und der entsprechenden internen Grössen (Spins s1, s2, usw.). Richtung der Pfeile an den äusseren Beinen angeben. Berechnung der externen Beine: jedes Bein trägt einen Faktor bei wie in Tabelle 1 angegeben Tabelle 1. Faktoren e— der verschiedenen Art von externen Beine. einlaufend u auslaufend u e+ einlaufend v auslaufend v γ einlaufend εµ auslaufend ε *µ 3. Vertexfaktoren: Jeder Vertex trägt den Faktor (−ieγ µ ) bei, wobei e die elektrische Ladung (e>0) ist. Teilchenphysik 207 Quantenelektrodynamik (QED) 4. Propagatoren: Jede interne Linie trägt einen Faktor, wie in der Tabelle 2 gezeigt, bei: Tabelle 2. Propagatoren. Spin 1/2 Fermion i( p/ + m) p − m 2 ( +iε ) 2 Spin 0 Boson i p − m 2 ( +iε ) 2 Spin 1 Photon −ig µν p2 5. Interne Energie-Impuls-Erhaltung: In jedem Vertex muss der gesamte Energie-Impuls-4-Vektor erhalten werden, d.h. für jeden Vertex erhalten wir eine bestimmte δ-Funktion, wie z.B. (2π ) 4 δ 4 (k1 + k2 − k3 ) 6. Integration über interne Impulse: im Fall, dass es interne “Loops” gibt, muss über den internen Impuls integriert werden, d.h. d 4q ∫ (2π )4 Ein Diagramm mit einem “Fermion-Loop” besitzt ein negatives Vorzeichen. Die Spur der Matrizen, die dem Loop entsprechen, 208 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Einleitung muss berechnet werden. µ p –q p µ 7. e + p q Figur 2. µ e µ µ – Die Definition eines Loops. Gesamte δ-Funktion: Die Amplitude muss einen Faktor besitzen, der die allgemeine Energie-Impuls-Erhaltung beschreibt, d.h. z.B. ∑ p − Endzustand ∑ p Anfangszustand (2π ) 4 δ ( 4 ) 8. i f Antisymmetrisierung: ein negatives Vorzeichen muss zwischen Diagrammen eingeschlossen werden, die sich nur durch den Austauch von Fermionen unterscheiden, wie z.B. (a) zwei einfallende Elektronen (oder Positronen) e −e − → e −e − (b) ein einfallendes Elektron und ein auslaufendes Positron e + e − → e +e − Teilchenphysik 209 Quantenelektrodynamik (QED) 12.2 Der e+e– → µ+µ– Prozess Wir fahren mit der vollständigen Berechnung des e+e– → µ+µ– Prozesses weiter. Wir haben die invariante Amplitude M(e+e– → µ+µ–) schon bestimmt und dazu die Spurtheoreme benutzt, um das Mittel der Anfangzustandsspins (Elektronenspins) und die Summe der Endzustandspins (Myonenspins) zu berechnen (Siehe Kap. 11.6, die Masse des Elektrons wurde gegenüber der Masse des Myons vernachlässigt): M (e +e − → µ +µ − ) 2 = 8e 4 {( pk )( p′k ′) +( pk ′)( p′k ) + mµ 2 ( pp′)} q4 wobei die 4-Impulse so definiert sind: e + ( p′ µ )e − ( p µ ) → µ + ( k ′ µ )µ − ( k µ ) Wir wählen ein bestimmtes Bezugssystem. Ein natürliches Bezugssystem ist in diesem Fall das Schwerpunktssystem (SP): Elektron, Positron (wir vernachlässigen die Ruhemasse des Elektrons): r r p µ = ( E , Ez ) p′ µ = ( E , − Ez ) ( E >> me ⇒ me = 0) Myon, Antimyon: r k µ = E, k ( ) r k ′ µ = E,− k ( Siehe Abb. 3. 210 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia ) Der e+e— fi m+m— Prozess Streuung im Schwerpunktssystem µ–(kµ) θ=Streuwinkel e+(p'µ) e–(pµ) µ+(k'µ) z Definition der kinematischen Grössen im Schwerpunktssystem der Reaktion. Figur 3. Für das ausgetauschte Photon des Feynman-Diagramms gilt (Siehe Kap. 11.6 und Abb. 2 im Kap. 11) q µ ≡ 4 − Impuls des Photons = ( p µ + p′ µ ) = ( k µ + k ′ µ ) und q 2 = ( p µ + p′ µ ) = 4 E 2 = (2 E ) ≠ 0 2 Teilchenphysik 2 211 Quantenelektrodynamik (QED) Es folgt, dass die Masse des ausgetauschten Photons nicht verschwindet. Man spricht von einem virtuellen Photon γ*, dessen virtuelle Masse nicht auf der Massenschale (“on-shell”) liegt: mγ2* = q 2 ≠ 0 Man kann sich die Reaktion so vorstellen: ein Elektron-Positron-Paar vernichtet sich in ein virtuelles Photon: e +e − → γ * → µ +µ − Wir bemerken tatsächlich, dass die Ruhemasse des Photons gleich der Energie des Schwerpunkts ist 2 q 2 = (2 E ) = E SP 2 Das virtuelle Photon zerfällt in ein Myon-Antimyon-Paar. Aus den kinematischen Grössen folgt r ( p ⋅ k ) = ( p′ ⋅ k ′) = E 2 − E k cosθ r ( p ⋅ k ′) = ( p′ ⋅ k ) = E 2 + E k cosθ ( p ⋅ p′ ) = 2 E 2 und damit M (e +e − → µ +µ − ) 2 = r 8e 4 2 cosθ E − E k 16 E 4 ( 212 r + E 2 + E k cosθ ) ( 2 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia ) 2 + 2 mµ 2 E 2 Der e+e— fi m+m— Prozess r r 2 2 k k 2 mµ 2 e 4 = 1 − cosθ + 1 + cosθ + 2 E E E 2 r 2 k 2 mµ 2 e = 2 + 2 cosθ + E E2 2 r 2 mµ 2 k 4 2 = e 1 + 2 + 2 cos θ E E 4 mµ 2 mµ 2 = e 1 + 2 + 1 − 2 cos2 θ E E Matrixelement für e +e − → µ +µ − 4 Wir bemerken die Streuwinkelabhängigkeit. Im ultra-relativistischen Grenzfall, d.h. E>>mµ, gilt M 2 ∝ 1 + cos2 θ im SP 12.2.1 Mandelstam-Variablen Für die Reaktion e + ( p′ µ )e − ( p µ ) → µ + ( k ′ µ )µ − ( k µ ) Teilchenphysik 213 Quantenelektrodynamik (QED) werden die Mandelstam-Variablen so definiert: s ≡ ( p + p′ ) 2 = ( k + k ′ ) 2 2 2 t ≡ ( k − p) = ( k ′ − p′ ) 2 2 u ≡ ( k ′ − p) = ( k − p′ ) Wir nehmen den ultra-relativistischen Grenzfall an, d.h. E >> me , mµ und es gilt, s ≡ q 2 2 2 2 2 t ≡ ( k − p) = ( k ′ − p′ ) = −2 k ⋅ p + k + p = = −2 k ⋅ p + mµ2 + me2 ≈ −2 k ⋅ p ≈ −2 k ′ ⋅ p′ u ≡ ( k − p) 2 = ( k − p ) 2 ≈ −2 k ⋅ p ≈ −2 k ⋅ p ′ ′ ′ ′ d.h. ( p ⋅ k ) = ( p′ ⋅ k ′) ≈ − t 2 und ( p ⋅ k ′) = ( p′ ⋅ k ) ≈ − u 2 und M (e +e − → µ +µ − ) 2 = 8e 4 {( pk )( p′k ′) +( pk ′)( p′k ) + mµ 2 ( pp′)} q4 2 2 8e 4 t u ≈ 2 + s 2 2 t 2 + u2 ≈ (2e 4 ) 2 s 214 ultra − relativistisch Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Der Wirkungsquerschnitt Man spricht vom “s-Kanal”, weil im Nenner des Matrixelements die s-Variable steht. Der s-Kanal entspricht einer Reaktion, bei der die Teilchen des Anfangszustands in einem Photon einander vernichten und bei der das Photon die Teilchen des Endzustands erzeugt. Aus dieser Tatsache folgt die Abhängigkeit vom Matrixelement proportional zu s–2. Wir haben gesehen, dass im s-Kanal die Streuwinkelabhängigkeit im Schwerpunktssystem zu (1+cos2θ) proportional ist. 12.3 Der Wirkungsquerschnitt Wir haben gesehen, dass das Matrixelement die Dynamik des Prozesses enthält. Um den Wirkungsquerschnitt der Reaktion zu berechnen, müssen wir noch kinematische Faktoren einfügen. Wie im Fall der nicht-relativistischen Goldenen Regel von Fermi (Siehe Kap. 4.3.1), gibt es eine relativistisch-kovariante Regel, um den Wirkungsquerschnitt zu bestimmen. Für den allgemeinen Prozess A+B → 1+2+3+...+n ist der Wirkungsquerschnitt gleich r d 3 pi 1 2 dσ = { M × × S{ × ∏ (2π ) 4 δ 4 pA + pB − ∑ pi 3 F Statistik i (2π ) 2 E i i { Dynamik 3 1442443 1444424444 Fluss Phasenraum Energie − Impuls − Erhaltung wobei F≡4 Teilchenphysik ( pA ⋅ pB )2 − mA2 mB2 215 Quantenelektrodynamik (QED) und S≡ 1 1 ... für jede Gruppe von ununterschiedbaren j1! j2! Teilchen im Endzustand Der Phasenraum-Faktor ist zur Endzustandsdichte in einem Volumenelement d 3 p 1 …d 3 p n proportional. Der Faktor 1/2Ei kommt aus der Normierung der Felder (d.h. z.B. u+u=v+v=2E). Wir bemerken, dass das Verhältnis r d 3 pi (2π ) 3 2 E i Lorentz-invariant ist. Der Flussfaktor beschreibt in kovarianter Form den Fluss der Teilchen des Anfangszustands: F=4 ( pA ⋅ pB )2 − mA2 mB2 r r = 4 pA E B + pB E A r r pA pB = 4 EA EB + EA EB ( ) Wenn die zwei Teilchen frontal aufeinander stossen, kann der kovariante Fluss als r r F = (2 E A )(2 E B ) β A − β B 14243 1 424 3 Normierung relative Geschwindigkeit 216 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Der Wirkungsquerschnitt ausgedrückt werden. Mit dieser Form ist die Interpretation klarer. Der Fluss beschreibt die Anzahl von einfallenden Teilchen pro Flächeneinheit und pro Zeiteinheit. 12.3.1 Zweikörper-Streuung im SP 1 Wir betrachten in Einzelheiten den folgenden Fall: A+B → 1+2 θ A B 2 Wir beginnen mit dem Phasenraum-Faktor. Wir nehmen den allgemeinen Ausdruck und vereinfachen ihn durch die Berechnung der Integrale im Schwerpunktssystem: r 2 d 3 pi (2π ) 4 δ 4 pA + pB − ∑ pi = Π2 ≡ ∫ ∏ 3 i =1 (2π ) 2 E i i r r d 3 p1 d 3 p2 4 4 ∫∫ (2π )3 2 E (2π )3 2 E (2π ) δ ( pA + pB − p1 − p2 ) 2 1 Wir integrieren über p2 mit der Bedingung r r r r δ 3 pA + pB − p1 − p2 12 4 4 3 =0 Teilchenphysik ⇒ r r p2 = − p1 217 Quantenelektrodynamik (QED) und es folgt r d 3 p1 (2π )δ 1 Π2 = ∫ E A + E B − E1 − E 2 24 3 4 (2π ) 3 2 E12 E 2 = E SP r2 dp1 p1 dΩ =∫ (2π )δ ( E SP − E1 − E 2 ) (2π ) 3 2 E12 E 2 wobei r E SP = E A + E B = E1 + E 2 = p12 + m12 + r r r = p 2 + m12 + p 2 + m22 mit p ≡ r p2 2 + m22 r r p1 = − p2 Um die Integration durchzuführen, verwenden wir −1/ 2 −1/ 2 1 r dE SP 1 r 2 = ( p + m12 ) 2 p + ( p 2 + m22 ) 2 p 2 dp 2 1 1 = p + E1 E 2 und p p dp = dE SP + E1 E 2 −1 Es folgt, −1 r p1 p1 p12 Π2 = ∫ dΩdE SP + δ ( E SP − E1 − E 2 ) 16π 2 E1 E 2 E1 E 2 218 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Der Wirkungsquerschnitt = ∫ dΩdE SP 1 p1 1 δ E − E1 − E 2 ) 2 1 1 ( SP 16π E1 E 2 + E1 E 2 = ∫ dΩdE SP 1 p1 δ ( E SP − E1 − E 2 ) 2 16π E1 + E 2 = ∫ dΩ 1 p1 16π 2 E SP Wir berechnen nun den differentiellen Wirkungsquerschnitt: r dΩ p1 1 2 r r dσ SP = M ( AB → 12) 2 (2 E A )(2 E B ) β A − β B 16π E SP und schiesslich r p1 1 2 dσ r r M ( AB → 12) = 2 dΩ SP (2 E )(2 E ) β − β (2π ) 4 E SP A B A B Falls die Teilchen gleiche Ruhemasse besitzen oder wir den ultrarelativistischen Grenzfall betrachten (d.h. E>>mi, oder mi→0), erhalten wir r r (2 E A )(2 E B ) β A − β B = 4( pA E B + pB E A ) ≈ 4 p( E A + E B ) = 4 pE SP Teilchenphysik 219 Quantenelektrodynamik (QED) und damit r p1 1 2 dσ M ( AB → 12) = 2 dΩ SP 4 p1 E SP (2π ) 4 E SP 2 1 1 = 2 2 M ( AB → 12) 64π E SP (alle vier Ruhemassen identisch oder ultra-relativistischer Grenzfall) 220 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia