AUS FORSCHUNG UND WISSENSCHAFT Der Ohrsimulator AFM Dr. Fridtjof Feldbusch Die Signalverarbeitung im Ohr ist sehr komplex. Von der Druckwelle am Ohr, über das Trommelfell, die Gehörknöchelchenkette, die Bewegung der Basilarmembran, der Erregung der inneren Haarzellen zu den Pulsen, die über den Hörnerv zum Nucleus Cochlearis laufen, finden jeweils Signalverarbeitungsschritte statt, die man gerne verstehen und simulieren möchte. Einmal um die Funktionsweise des Ohres kennen zu lernen, aber auch um einen Pulsgenerator zu haben, der Experimente zur nachfolgenden nervösen Verarbeitung der Signale erlaubt. Der hier vorgestellte Simulator dient uns als Pulsgenerator für ein weiteres Modellierungsprojekt, indem es darum geht mit der Simulation gepulster neuronaler Netze, die Signalverarbeitung der biologischen Neuronen nachzubilden. Er kann aber durch seine Gestaltung der Benutzeroberfläche auch gut zu Demonstrationszwecken oder in der Ausbildung eingesetzt werden. Die für den Ohrsimulator gewählte Abkürzung AFM steht dabei für ‘Auditory Model Simulator for Matlab’. Er nimmt die Beschreibung akustischer Signale (z. B. als WAF-Datei) entgegen, führt entsprechend dem Ohr Signalverarbeitungsschritte aus, bis hin zur Ausgabe von Pulszügen, wie sie über den Nervus vestibulo cochlearis ziehen. ■ Aufbau des Simulators Der Kern des Simulators besteht aus der DSAM Bibliothek (Development System for Auditory Modelling), die am Centre for the Neural Basis of Hearing (CNBH) entwickelt wurde und von der Universität Essex zur Verfügung gestellt wird (siehe auch http://www.essex.ac.uk/psychology/hearinglab/dsam/). Die DSAM Bibliothek selbst ist in ANSI-C entwickelt worden und bietet eine Menge nützlicher Grundfunktionen zum Aufbau von Ohrmodellen. Zu den zentralen Modulen gehören eine Gammatonfilterbank zur Modellierung der Frequenzdispersion durch die Basilarmembran des Innenohres, ein Haarzellenmodell nach Meddis, zur Modellierung der Erregung der inneren Haarzellen und ein Modul, das aus der Haarzellenerregung Pulszüge, wie sie auf dem Nervus vestibulo cochlearis 108 weitergeleitet werden. Ergänzt werden diese Module durch Funktionen zum Einlesen von Sound-Dateien und zur Ausgabe der Ergebnisse der einzelnen Bearbeitungsstufen. Diese Bibliothek wurde von uns so modifiziert, dass sie sich in Matlab einbetten ließ. Matlab ist sowohl eine Programmiersprache, als auch eine technische Rechenumgebung deren Stärken bei der Algorithmenentwicklung als auch bei der Datenanalyse und Visualisierung liegen. Abb. 1: Die Benutzeroberfläche des Ohrsimulators AFM Abbildung 1 zeigt die in Matlab entstandene Benutzeroberfläche des Ohrsimulators. Mit den blau-transparenten Flächen lassen sich Dialogboxen zur Parametrisierung des entsprechenden Gehörabschnitts aufrufen. Hier lassen sich zum Beispiel die Lautstärkeempfindlichkeit oder die Frequenzauflösung der Gammatonfilterbank einstellen. Die Eingabe der Audiosignale kann sowohl aus Dateien verschiedener Formate als auch von einem Signalgenerator (siehe Abbildung 2) kommen. Unterstützte Audio-Formate sind: • „.aiff“ oder „aif“ - AIFF (audio interchange file format), • „.wav“ - Microsoft WAV Format, • „.dat“ - Mehrspalten ASCII Dateien (ohne eine Zeitspalte) • „.raw“ - Rohdaten in einer Binärdatei. • „.au“ - SUN Audio Format. (Dieses Format wird nicht unmittelbar verarbeitet, sondern in das WAF-Format gewandelt) HÖRAKUSTIK DOZ 9-2005 AUS FORSCHUNG UND WISSENSCHAFT Abb. 4: Pulse, wie sie über den Hörnerv an den Nucleus Cochlearis weitergeleitet werden ■ Anwendung des Ohrsimulators Abb. 2: Ein Signalgenerator zur Erzeugung von Audiosignalen für AFM Mit „Start MEX-function“ wird die Simulation gestartet. Die bei der Simulation erzeugten Daten werden in Dateien geschrieben und können in Grafiken angezeigt werden. Dabei werden nicht nur die als Endergebnis erzeugten Pulszüge berücksichtigt, sondern auch die Zwischenergebnisse der einzelnen Signalverarbeitungsstationen. In Abbildung 3 wird beispielsweise ein Zwischenergebnis der Signalverarbeitung angezeigt. Es handelt sich um die Erregung der inneren Haarzellen durch zwei Impulse. Gut zu erkennen ist die Verzögerung der verschiedenen Frequenzanteile durch die unterschiedliche Laufzeit der Wanderwelle auf der Basilarmembran. Die Abbildung 4 zeigt das Endergebnis, die Pulszüge, wie sie über den Hörnerv weitergeleitet werden. Hier sind dieselben 55 Frequenzkanäle wiedergegeben, wie in Abbildung 3, jedoch wurden sie entsprechend ihrer Frequenz angeordnet. Bemerkenswert ist, dass hier genau wie im biologischen Vorbild Zufallspulse eingestreut sind. Die Frequenzkanäle bei der Simulation sind durch die Anzahl der Filter der Gammatonfilterbank bedingt. „Natürlich“ wird die Einteilung erst, wenn entsprechend des Auflösungsvermögens des Ohres die Anzahl der Filter der Filterbank gewählt würde. Allerdings führte dies zu einem sehr hohen Rechenaufwand und ist in vielen Fällen nicht notwendig. Der Ohrsimulator AFM findet in unserer Arbeitsgruppe an der Universität Karlsruhe als Pulsgenerator für gepulste neuronale Netze Anwendung. Gepulste neuronale Netze sind neuronale Netze, die anders als die bisherigen künstlichen neuronalen Netze, die zu verarbeitenden Informationen mit Pulsen kodieren. Die gepulsten neuronalen Netze orientieren sich dabei am Vorbild der biologischen neuronalen Netze. Der Vorteil dieser Informationsverarbeitung liegt in der Vielzahl der Kodierungsmöglichkeiten der Information, die neben Orts-, Raten- und Zeitkodierung beliebige Mischformen daraus erlaubt. So werden zum Beispiel auf dem Hörnerv die tiefen Frequenzen anders kodiert als die hohen. Die tiefen Frequenzen haben eine Phasenkodierung, wohingegen die hohen Frequenzen einer Ortskodierung folgen. Der Übergang dazwischen ist fließend. Die Lautstärke ist nicht nur durch die Feuerrate der Neuronen des Hörnervs kodiert, sondern auch durch die Anzahl feuernder Neuronen, womit diese Kodierung nicht mehr unabhängig von der Frequenz ist. Die von der Natur verwendete Kodierung mittels Pulsen macht die Interpretation der Vorgänge sehr schwer, die Klassifikationsleistung ist dafür aber sehr hoch. Unser Ziel ist es die Natur weitgehend nachzubilden und einen Geräuschklassifikator basierend auf gepulsten neuronalen Netzen zu entwickeln. ■ Fazit Im Rahmen unserer Arbeiten zur Nachbildung biologisch motivierter neuronaler Netze entstand ein Ohrsimulator der uns als Pulsgenerator dient. Der Simulator ist so gestaltet, dass er sich auch für die Veranschaulichung der Signalverarbeitung im Ohr zu Schulung oder auch Demonstrationszwecken gut eignet. Voraussetzung ist allerdings eine Matlab-Umgebung der Firma Mathworks. Der Simulator AFM kann kostenfrei von der WWW-Seite http://goethe.ira.uka.de/%7Efeldbus/AFM/ geladen werden. Abb. 3: Erregung der inneren Haarzellen durch Impulsförmige Audiosignale DOZ 9-2005 HÖRAKUSTIK Anschrift des Autors: Dr. Fridtjof Feldbusch, Universität Karlsruhe, Fakultät für Informatik, Institut für Rechnerentwurf und Fehlertoleranz, 76128 Karlsruhe 109