SWR2 Glauben GANESHA LÄSST SCHÖN GRÜSSEN

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SWR2 Glauben
GANESHA LÄSST SCHÖN GRÜSSEN
HINDUISMS IN DEUTSCHLAND VERMITTELN
VON MITHU SANYAL
SENDUNG 05.10.2014 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft
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Autorin:
Mein Vater kommt aus Indien und ist Hindu. Die Familie meiner Mutter kommt
aus Polen und ist katholisch. Das war ein Problem, als meine Mutter Anfang
der 1970er Jahre schwanger wurde. Welche Religion sollte nun ihr
ungeborenes Baby bekommen? Anstatt eine Münze zu werfen, entschieden
sie, sollte es ein Junge sein, würde es Hindu werden - und Katholikin, wenn es
ein Mädchen wäre. ‚Es‘ ist natürlich ich und ich wuchs mit bunten
Heiligenbildern auf, mit Unmengen von Räucherwerk und betete eine Frau
an, die einen Strahlenkranz um den Kopf trug. Richtig, ich wurde katholisch.
Als Kind erscheinen mir die Unterschiede marginal. Im Hinduismus gab es
genauso bunte Heiligenbilder, Räucherstäbchen und
O-Ton Prof. Annette Wilke:
„unendlich viele Göttinnen natürlich. Aber was sehr interessant ist, ist, dass es
die Idee gibt seit dem 6. Jahrhundert der Gottheit in ihrer höchsten Gestalt in
weiblicher Form.“
Autorin:
führt Annette Wilke aus, Professorin für Allgemeine Religionswissenschaften,
mit der ich mich an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster treffe.
Wilkes Forschungsschwerpunkt ist Hinduismus in der Diaspora. Da er
Hinduismus in mir auch ein wenig in der Diaspora ist, bin ich bei ihr an der
richtigen Adresse, um mehr über die Religion herauszufinden, die ich um ein
Haar erhalten hätte, wären da nicht diese doppelten X-Chromosome
gewesen.
Und das ist die erste Überraschung, dass ich die Geschichte der größten
indischen Göttin tatsächlich kenne: Durga, die ebenso wie Maria von einem
Strahlenkranz umhüllt ist - aber obendrein noch auf einem Tiger reitet, in ihren
zahlreichen Armen Schwert, Pfeil und Bogen schwingt sowie eine Muschel
und eine Gebetskette herum wirbelt.
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O-Ton Annette Wilke 5:55:
„Alle männlichen Götter geben ihr ihre Waffen ab und sie ist deshalb die
absolute Macht.“
Autorin:
Die Geschichte geht so, dass die Götter einfach nicht mehr gegen die
Dämonen ankamen und die Göttin um Hilfe baten. Meine Lieblingsszene ist
die, in der der Oberdämon Mahisasur Durga zuruft: Kämpfe wie ein Mann!
Woraufhin sie nur wild lacht und ihn besiegt – eben gerade weil sie eine Frau
ist.
O-Ton Annette Wilke:
„Und deshalb auch die Welt und auch die Götterwelt rettet und das kann nur
eine Göttin.“
Autorin:
Mein Vater kommt aus Kalkutta. Als ich ein Kind war, gab es einen Schlager
mit dem Refrain: Kalkutta liegt am Ganges, Paris liegt an der Seine und dass
ich do verliebt bin, ja das liegt an Madeleine. Kalkutta liegt nicht nur am
Ganges sondern auch in dem indischen Bundesstaat Bengalen, und für
Bengalen ist Durga Puja das wichtigste Fest des Jahres. Puja heißt Fest und
wird auch in Deutschland in zahlreichen Städten wie Stuttgart, Köln, Berlin,
Bremen und Düsseldorf gefeiert. Wie Ostern wird das Fest Durgas nach dem
Mondkalender berechnet, so dass es immer an einem anderen Tag anfängt,
aber immer im September oder Oktober. Was dabei genau passiert, habe ich
nie wirklich verstanden, da mein Vater mir dafür die selbe Erklärung gab, wie
auf alle meine Fragen:
O-Ton Samir Sanyal:
„Das ist Glück bringt.“
3
Autorin:
Ein typisches Puja begann damit, dass wir Blumen in die Hand gedrückt
bekamen, die wir sofort wieder abgeben mussten und dann kamen und
gingen neue Blumen bis sich schließlich alle Feuer nahmen, indem wir die
Handflächen über eine Schüssel mit brennendem Öl hielten, als wollten wir sie
drauflegen, sie dann im letzten Moment zurückzogen und uns damit über
Haare und Herz strichen.
O-Ton Annette Wilke 1:50:
„Es ist auch immer sehr aufwändig und sehr ästhetisch.“
Autorin: „Meinem Mann sind das immer viel zu viele Farben.“
Annette Wilke: „Nein, ich finde das ganz toll.“
Autorin:
Hinduismus ist die Religion des Übermaßes. Die Farben sind knalliger, ein
Großteil der Heiligen lebt noch und vollbringt mit irritierender
Selbstverständlichkeit Wunder. Und es gibt zu viele Götter, die wiederum zu
viele Augen haben und noch viel mehr Arme.
O-Ton Saraswati Albano-Müller:
„Das ist einfach bei uns, weil Gott ist mächtiger als wir Menschen. In jede
Gottfigur ist immer der Mann, ist die Frau und ein Tier. Wir sind alle ein Stück
diese große Gott, der über uns steht. Ich finde das sehr nett, dass man
niemand ausschließt, sogar Pflanzen, Blumen.“
Atmo: Treppe hinaufgehen
Autorin:
Saraswati Albano-Müller hat gerade den Integrationspreis als
„Brückenbauerin zwischen den Kulturen“ erhalten. Ihr Haus in Schwelm zu
betreten, fühlt sich an, als wäre ich schon einmal hier gewesen, bis ich mich
erinnere, dass ich tatsächlich schon einmal hier gewesen bin und zwar mit der
Schule. Saraswati Albano-Müller ist dieses Jahr 80 geworden, aber noch
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immer kommen regelmäßig Klassen, um sich von ihr über den Hinduismus
erzählen zu lassen.
O-Ton Saraswati Albano-Müller:
„Ein Kind musste Referat schreiben für Wuppertaler Schule und rief mich an
und sagte, Frau Albano-Müller, kann ich paar Götter leihen von Ihnen? Da
hab ich gesagt, bring mal zwei Taschen, du kannst alle meine Götter
mitnehmen. Und die wusste genau, dass Krishna ist Gott der Liebe, Lakschmi
ist Göttin für Geld, Saraswati ist Göttin für Weisheit und Lernen und Musik. Du
kannst sitzen, Beine hochmachen.“
Autorin: „Kann ich vielleicht irgendwo helfen?“
Saraswati Albano-Müller: „Nein, ich muss nur Reis ...“
Töpfeklappern
Autorin:
Auch damals wurden alle Kinder erst einmal bekocht.
O-Ton Saraswati Albano-Müller:
„In indische Religion der oberste Gebot heißt: atithi devo parvach. Heißt: ein
Gast ist ein Gott. Und wenn jemand mir sagt, essen ist gar nicht so wichtig, da
bin ich gar nicht so einverstanden.“
Autorin:
Also essen wir wie Gott in Indien: Salat mit Mangostücken, Dhal, Chappatis,
die flachen indischen Brote, und viele kleine Schälchen mit unterschiedlichen
Gemüsen. Natürlich alles vegetarisch.
O-Ton Saraswati Albano-Müller 36:10:
„Mehrzahl der Hauptvegetarier lebt in Indien. Heute ist Mode, alle werden
vegan. Aber wir essen Milchprodukte, weil das Tier ist nicht tot. Eier essen wir
auch nicht.“
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O-Ton Annette Wilke:
„Erstaunlich viele Hindus fasten am Freitag, also fasten heißt dann,
mindestens, kein Fleisch zu essen an dem Tag. Das ist dann eben der
traditionelle Tag des Tempelbesuchs.“
Autorin:
Heute ist zwar nicht Freitag, aber jeder Tag ist geeignet, um in den Tempel zu
gehen und die A2 führt bis vor die Tür des größten Hindutempels Deutschlands
in Hamm Uentrop.
Atmo: Durch den Tempel gehen, im Hintergrund Chanting
O-Ton Paskara Kurukkal 0:12
„Ja, schönen guten Morgen. Meine Name ist Paskara Arumungha Kurukkal.
Ich bin eine Hauptpriester in diese Tempel.“
Autorin:
begrüßt mich ein kleiner Mann, dessen Gesicht mit weißen Linien geschmückt
ist und einem roten Punkt in der Mitte der Stirn, an genau der Stelle, an der die
Götter ihr dritten Auges haben. Die Abwesenheit jeglicher Falten ließe ihn wie
einen Jugendlichen aussehen, wenn er nicht lange graue Haare hätte und
mir im nächsten Atemzug berichten würde, dass er vor dem Bürgerkrieg in Sri
Lanka nach Deutschland geflohen ist. Das war
O-Ton Paskara Kurukkal:
„1985. Aber in der Zeit es gibt nicht hier Hindu Tempel oder so was. Dann
meine Wohnung, mein kleine Zimmer, da ist eine Ecke, kleine Gebetsraum,
immer Dienstag und Freitag unsere Heimatgruppe kommt Gebet machen.
Dann vier Jahre später der Platz nicht genug, dann wird der etwas größer
gemacht. 1995 dann eine Probleme. Alle Hindus eine große Umzug gemacht,
da sind 3.500 Besucher kommt. Wohngebiet. Dann unsere Tempel ist so viel
laut.“
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Autorin: „Ist das laut?“
Gurukkal: „Ja, mit Musik und die Trommeln.“
Autorin:
Deshalb schrieb Kurukkal an die Stadt Hamm, ob die Gemeinde nicht ein
Grundstück kaufen könne und fand es hier auf der Siegenbeckstraße, direkt
an der Autobahnauffahrt und dem Datteln-Hamm-Kanal, wo sich die
Gläubigen am Ende der Tempelfeste rituell waschen können. Obwohl die
Hindus aus Sri Lanka zur ärmsten Einwanderergruppe gehören, gelang es
ihnen, genügend Geld durch Spenden aufzubringen, um das Grundstück zu
kaufen.
O-Ton Paskara Kurukkal:
„Denn wir wollen die Tempel bauen, aber deutsche Architektur geht nichts.
20 Tage wir waren in Indien alle Tempelanzeigen und angeguckt Architekt.
Denn diesen Tempel anfangen. 10 indische Künstler hier kommen, zwei Jahre
Arbeit.“
Autorin:
Das 27 mal 27 Meter große Gebäude ist rot-weiß, die beiden Türme sind mit so
vielen bunten geschnitzten Göttern versehen, dass die blaue Grundfarbe nur
noch durchschimmert. 2002 wurde der Tempel eingeweiht und dieses Jahr
gerade – im traditionellen 12 Jahres Rhythmus – wiedereingeweiht.
O-Ton Annette Wilke 10:50:
„Das ist für uns neu, dass wir einen ethnischen Hinduismus in Deutschland
haben. Vorher, was wir mit dem Hinduismus assoziiert haben, das waren
neureligiöse Bewegungen wie die Hare Krishnas oder Maharishi, der Guru der
Beatles.“
Autorin:
Und damit ein Hinduismus für Westler.
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O-Ton Annette Wilke:
„Und was jetzt passiert mit Flüchtlingen aus Sri Lanka, dass wir plötzlich sehr viel
mehr hinduistische Einwanderer haben.“
Autorin:
Die Zahlen stiegen von mageren 30.000 auf immer noch magere 100.000, von
denen ca. 42.000 aus Sri Lanka kommen, Tamil sprechen und sich von den
früheren Einwandererwellen ebenso unterscheiden wie die sich
untereinander. In den 50er Jahren appellierte Adenauer an die Inder, dass
Deutschland Arbeitskräfte bräuchte.
O-Ton Saraswati Albano-Müller 39:04:
„Ja und die wurden alle so gemessen und Zähne gezählt und Waage, ob die
fit sind hier zu arbeiten.“
Autorin:
Diese wenig attraktive Einladung zur Leibesvisite oder der Gegenappell des
ersten Premierministers des unabhängigen Indiens, Jawarhalal Nehru, zu
Hause zu bleiben und das neue Indien aufzubauen, führte dazu, dass der
Andrang ausblieb. Mein Vater gehörte der ersten richtigen Einwandererwelle
Anfang der 60er Jahre an, die aus Bengalen wie ihm bestand und die wie er
Maschienenbau oder Ingenieurwissenschaften studiert hatten. In den 70er
Jahren kamen dann die Ärzte und Krankenschwestern aus Kerala.
O-Ton Annette Wilke 12:55:
„Was interessant ist, ist, dass die indischen Hindus keine Tempel gebaut
haben, die haben Kulturzentren errichtet. Und dieser Tempel in Hamm
Uentrop, der war der erste in traditioneller südindischer Tempelarchitektur,
sogar in ganz Kontinentaleuropa der größte und der einzige in
Sakralarchitekter.“
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Autorin:
Und auch er ist einer Göttin geweiht.
O-Ton Paskara Kurukkal 9:25:
„Hier ist Shri Kamakshi, ein Frauengöttin. Das ist in Hauptschrein. Haben Sie
gesehen die viele kleine Schreine? Und die Hauptschrein ist das große “
Autorin:
Während die anderen Schreine etwa die Größe einr Telefonzelle haben,
gebietet die Göttin Kamakshi über ihr eigenes kleinen Zimmer in der Mitte des
Tempels, das nach vorhin hin offen ist. Davor stehen Opfergaben, Schälchen
mit farbigen Pigmenten und eine Schüssel voller Blütenköpfe, so perfekt, dass
ich näher herangehen muss, um festzustellen, dass sie nicht aus Plastik sind
O-Ton Annette Wilke:
„Das hier ist quasi das Gebärmutterhaus der Göttin. Das innerste Sanktum.“
Autorin: „Und es heißt auch tatsächlich Gebärmutterhaus?“
Annette Wilke: „Ja, Gabergraha.“
O-Ton Paskara Kurukkal:
„Shri heißt das Heilige und Kamakshi ist eine Wunsch. Morgens 8 Uhr bis 14 Uhr
Öffnungszeit, denn Abend 17 bis 20 Uhr. Ist egal, welche Leute kommen.
Wunsch, kann man immer fragen Gott.“
Autorin:
Jeden Morgen wechseln die Priester die Kleider der Götter, waschen sie und
stellen ihnen frische Blumen hin. Darüber hinaus kochen sie ihnen dreimal am
Tag spezielle ayurvedische Speisen, die den Göttern gezeigt und danach an
die Gläubigen verteilt werden. Kamakshi trägt einen roten Sari sitzt auf einem
Lotus. Doch im Gegensatz zu den bunten Göttinnen, die ich gewohnt bin, ist
sie aus schwarzem Granit gehauen
9
O-Ton Tempel:
Autorin: „Ist sie mit Kali verwandt?“
Paskaran Kurukkal: „Nein, nein.“
Autorin: „Weil sie auch dunkel ist.“
Kurukkal: „Nein, die ist ganz nett!“
Autorin:
Kali ist die Göttin, nach der die Geburtsstadt meines Vaters benannt ist:
Kalkutta, ursprünglich Kali ghat, also Kali Tempel. Auch sie ist schwarz, doch im
Gegensatz zu Kamakshis goldenem Halsschmuck, besteht Kalis aus
abgerissenen Köpfen aus denen das Blut tropft.
O-Ton Annette Wilke 6:25:
„Kali ist natürlich besonders.“
Autorin: „Auch sehr missverstanden.“
Annette Wilke: „Sie ist total missverstanden, auch von den Religionsforschern.
Und natürlich die Briten in der Kolonialzeit. Das war eine der schlimmsten
Gestalten des Hinduismus, diese Kali mit herausgestreckter Zunge und
Totengebeinengürtel und sonst nicht angezogen. Sie war sehr shocking für
alle.“
Autorin:
Die Briten erfanden flugs Menschenopfer, die der erschreckenden Göttin
dargebracht würden, was eine prima Rechtfertigung für die Kolonialisierung
Indiens war. Ein ganzes Genre von Schauerromanen schilderte die blutigen
Orgien zu Ehren der Göttin. Und noch die Beatles wurden in dem Film „Help“
von mörderischen Kalipriestern verfolgt.
O-Ton Annette Wilke:
„Also sex and crime. Und was sehr interessant ist in diesem Zusammenhang,
die Kali war ja die Hauptgottheit des großen Heiligen Ramakrishna aus dem
19. Jahrhundert. Er war Kalipriester und er war Ekstatiker und sein Schüler
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Vivekananda, der berühmte Swami Vivekananda, der erste Hindumissionar,
aber er konnte natürlich nicht sagen,“
Autorin:
dass Ramakrishna sich in seinen Ekstasen mit der Göttin Kali unterhielt und
seine Weisheit von ihr kam. Schließlich hörte sich bereits das indische Wort für
Göttin, nämlich devi, so an wie das englische devil für den Teufel. Als Reaktion
auf diese Ablehnung konzentrierte sich Vivekananda auf die dreitausend
Jahre alten indischen Texte, die Veden, und interpretierte diese in einer
hochvergeistigten Form.
O-Ton Annette Wilke:
„Quasi eine Religion, wo alle Yogis sind. Was natürlich gar nicht stimmt. Das ist
alles auch da, aber das ist ein sehr enges Bild.“
Autorin:
Allerdings war es das Bild des Hinduismus, nach Europa gelangte und unser
Verständnis nach wie vor prägt.
O-Ton Annette Wilke:
„Die deutsche Romantik hat auch mitgewirkt an diesem sehr schönen
Hinduismus, die große Einheit und Harmonie und Toleranz und so weiter.“
O-Ton Saraswati Albano-Müller 7:55:
„Man spricht immer von Toleranz, aber das ist irgendwie für mich doch mit
eine eigene Arroganz verbunden. Das finden wir eine große Tugend, wenn wir
wenigstens tolerieren. Für mich, ein andere Gläubige und sein Weg kennen zu
lernen, ist der wichtigste Bildungsschritt. Alle Wege führen zu Gott und mein
Weg ist nur ein Weg.“
Autorin:
Deshalb bringt Saraswati Albano-Müller den Lehrern, die mit ihren Klassen zu
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ihr kommen, um über den reinen Hinduismus zu lernen, auch noch mindestens
ein muslimisches Gebet bei. Das führt spätestens seit dem 11. September 2001
zu Verwirrung, da Hinduismus und Islam nicht in einer Kategorie gedacht
werden. Jeden Moscheebau in Deutschland begleiten massive Proteste,
während der Hindutempel von den Hammer Bürgern begeistert
aufgenommen und besucht wird.
O-Ton Annette Wilke 17:15:
„Wenn man sich die Medien anschaut, hatte der Islam schon ein ganz
schlechtes Bild vor 2001. Ich glaub, das hat mit kulturellen Imaginationen zu
tun. Bilder seit den Kreuzzügen und der Eroberung Wiens geistern immer noch
in den Köpfen der Leute. Und während wir beim Islam ein negatives
Klischeebild haben, haben wir ein positives Klischeebild der Hindus. Das muss
ich sie jetzt zurück fragen, ob sie Diskriminierung erleben.“
Autorin: „Ja natürlich gibt es Diskriminierung, aber nicht für das Indisch-sein,
sondern für das nicht-Deutsch sein. Das Indisch-sein wird positiv bewertet, das
nicht-Deutsch-sein negativ.“
Annette Wilke: „Ja, das kann ich mir vorstellen. Das sind eben so
Langzeitentwicklungen, longue durée, sagt man in der
Geschichtswissenschaft, dass sich so bestimmte Bilder in den Köpfen der
Leute einnisten - und zwar seit der Romantik.“
Autorin:
Die allerdings nicht zwischen dem Hinduismus und dem Buddhismus
unterschied. Für Philosophen wie Herder, Schlegel und vor allem
Schopenhauer war Indien das Land der tieferen Weisheit. Ende des 19.
Jahrhunderts schauten viele Deutsche nach Indien.
O-Ton Annette Wilke 36:50:
„Licht aus dem Osten, das war das Schlüsselthema. Starke Kirchenaustritte
beginnen da schon und religiöse Individualisierung, die eigentlich typisch ist
für die moderne Religionskultur. Sie können sich nicht mehr mit dem
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Christentum identifizieren, aber sie wollen trotzdem spirituell leben, und dann
ist für sie Mystik ganz wichtig und der Osten. Und das wird ja auch gerne
zusammengepfercht: Östliche Religionen sind mystischer als Westliche.“
Autorin:
Als der indische Dichter Rabindranath Tagore dann in den 1920er Jahren
nach Deutschland reiste, sah er mit seinem langen weißen Bart und dem
weißen Lunghi, einer Art Wickelhose, aus der liebe Gott persönlich und wurde
in einer Sänfte durch die Straßen getragen.
O-Ton Annette Wilke:
„Er war eingeladen von Graf Kaiserling, der die Schule der Weisheit in
Darmstadt gegründet hatte.“
Autorin:
Die wenigen Gedichte Tagores, die übersetzt waren, wurden gelesen wie die
heilige Schrift und brachten ihm den Nobelpreis für Literatur ein. Ein großer Teil
seines gewaltigen Werkes ist immer noch nicht ins Deutsche übertragen.
Während Tagore in Indien so allgegenwärtig ist wie Goethe hier und jeder
mindestens eines seiner Gedichte auswendig kennt, erleichtert durch die
Tatsache, dass er auch direkt die Musik dazu schrieb.
O-Ton Saraswati Albano-Müller:
„Der Inder, der müde war von Kolonialzeit, den wieder mal Mut zu machen.
Das ist für mich das Lied:“
Sie singt Tagore
„Diese Lied hat so viel Kraft gehabt. Und das ist Tagores Bengali Lied.“
Autorin:
Denn Rabindranath Tagore kommt aus Kalkutta wie mein Vater. In dem Lied
und in seiner restlichen Arbeit geht es darum, erhobenen Kopfes zu gehen
und nicht auf die eigene Kultur herab zu schauen, wie es die Engländer den
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Indern indoktriniert hatten. Ohne es zu wissen, war ich mit zahlreichen Tagore
Liedern aufgewachsen, die mein Vater sang, ohne mir allerdings die Texte zu
übersetzen, da diese durchaus schon einmal erotisch sein konnten.
O-Ton/Musik Samir Sanyal singt Tagore
Autorin:
Ansonsten hat mein Vater mir nur zwei Dinge über den Hinduismus mit auf den
Weg gegeben. Erstens, wenn möglich auf dem Boden sitzen.
O-Ton Paskara Kurukkal 19:45:
„Ayurveda hat gesagt, wenn die Boden sitzen, dann Rücken und die Seele es
ist gut läuft. Deswegen hier die Fußbodenheizung.“
Autorin:
Kein Wunder, dass an jedem Wochentag 50 bis 70 Menschen in den Tempel
strömen und bis zu 30.000 während des großen Tempelfestes im Sommer.
Dabei könnten sie genauso gut zu Hause beten. Denn das ist die zweite
Sache: einen Hausaltar einrichten.
O-Ton Saraswati Albano-Müller 10:50:
„Wir haben alle in Indien einen kleinen Hausaltar. Man kann Gott dahin
stellen, wo man ist.“
Autorin: „Als die Eltern meines Vaters gestorben sind, hat er sie in den
Hausaltar gestellt.“
Saraswati Albano-Müller: „Richtig, das ist eine alte Tradition. Das ist
Ahnenkultur. Man hat im Jahr einen Tag wo die Eltern gestorben sind, das ist
denen gewidmet. Tod ist auch wie ein Gott, Jamma heißt der, und an dem
Tag wird mit ihm gesprochen. Bei uns Tod ist nicht ein Ende zum Dasein.“
Autorin:
Okay, und drittens die Wiedergeburt – nicht im Himmel, sondern in dieser Welt.
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Und da ich schon dabei bin auch noch viertens: die quasi religiöse Verehrung
von Mahatma Gandhi. Jede Familie hat eine Verbindung zu Gandhi und der
tief im Hinduismus verwurzelten Idee des gewaltlosen Widerstandes.
O-Ton Saraswati Albano-Müller 0:30:
„Mein Vater war ein super begeisterungsfähiger Mensch, der mit 19 Jahren
Mahatma Gandhi kenne lernte und hat sein Studium aufgegeben. Ohne
Bücher, Gepäck alles hat hinterlassen und ging zu Gandhi. Und seit dann war
er in der indische Befreiungskampf und 1931 kam der nach Europa als sein
junger Botschaftler, seine politischen Ideen Intellektuellen in Europa zu
erzählen“
Autorin:
Denn die Weltöffentlichkeit spielte eine wichtige Rolle in Gandhis Strategie.
Eines der Kolonialgesetze befahl den Indern, Salz zu hohen Preisen von den
Briten zu kaufen. Gandhi ging öffentlich zum Strand und gewann Salz aus
dem Meerwasser, worauf er von britischen Beamten zusammengeschlagen
wurde. Am nächsten Tag kamen Hunderte von Indern mit ihren Salzschalen
zum Meer und die Bilder der halbnackten Menschen ohne Waffen, die von
uniformierten Polizisten mit Helmen und Schutzschildern zu Boden geknüppelt
wurden, gingen um die Welt und entblößten die Fratze des Kolonialismus.
Mahatma ist nicht Gandhis Vorname, sondern der Ehrentitel, den ihm Tagore
verliehen hat. Das bedeutet: Große Seele. Und daran glauben die Inder: dass
Gandhis so häufig wiedergeboren war, bis sie die übermenschliche Aufgabe
vollbringen konnte, die Briten aus dem Land zu werfen, ohne Gleiches mit
Gleichem zu vergelten.
O-Ton Saraswati Albano-Müller 25:30:
„Gandhijee war fünf mal in unsere Haus. Letzte Besuch war wie ich 8 Jahre
war und das erinnere ich noch, wir waren alle aufgeregt als Kinder. Gandhi
heißt in Indien Bapu, Bapu heißt Vater, und der war der Vater für alle Inder
und wenn der starb, wir haben alle 10 Tage gefastet und gesungen, gebetet,
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jeden Tag in Schule, das war ein nationaler Verlust. Und wir sind immer noch
befreundet mit seine Enkelsohn.“
Autorin:
Der Hinduismus ist die einzige Religion, die mit Gandhi einen Propheten hat,
der nicht in erster Linie über Religion gesprochen hat. Außerdem hat er nicht
eine heilige Schrift - wie die Bibel des Christentums, der Koran des Islams oder
die Thora des Judentums - sondern zahlreiche: Neben den über tausende von
Jahren mündlich weitergegebenen Veden gibt es noch die Upanischaden,
das Mahabharata die Bhagavat Gita und sogar das Tantra und das Kamsutra
gehört irgendwie dazu.
O-Ton Hindutempel 17:40:
Autorin: „In welcher Sprache ist der Gottesdienst hier?“
Kurukkal: „Sanskrit.“
Autorin: „Wieviel Menschen verstehen Sanskrit?“
Autorin: „Sanskrit normale Leute nichts lernen. Nur die Priester lernen.“
O-Ton Annette Wilke:
„Diese Tamilischen Ansprachen oder Predigten, wie ich das nenne, das ist ja
ein neues Element, was der Priester im Tempel eingeführt hat, um einfach was
über den Hinduismus zu erzählen.“
O-Ton Paskara Kurukkal 18:30
„Ja, ein Beispiel.“
Er singt ein Mantra
„So was ein Gebet. ‚Sarwar‘ ist alle, ‚mangale‘ ist Heilige, ‚sibeh‘ auch Heilige
und Glück. ‚Sarwar‘ ist das ganze Welt. Du bist ganze Welt Gott.
‚Triumbanghee‘ heißt drei, eins zwei drei ‚tri‘, drei Augen. Namashte. Sowas
erklären die Leute.“
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Autorin:
Ist dadurch irgendetwas klarer?
Ich bin immer davon ausgegangen, der Grund, warum mein Vater mir nicht
mehr über seine Religion erzählt hat, wäre Sexismus. Wenn ich ein Junge
gewesen wäre, hätte ich ein Geheimwissen gehabt, das ich dann selbst
irgendjemandem hätte vorenthalten könnte. Inzwischen glaube ich, dass er
es mir schlicht nicht erklären konnte, weil der Hinduismus, mit dem er
aufgewachsen war, weniger eine Heilslehre als eine Kultur war. Aber in den
80er Jahren war es einfacher, dem Patriarchat als der fehlenden Hindu
Community die Schuld zu geben, waren doch auch die Zeitungen voll von
Berichten über Witwenverbrennungen und minderjährigen Mädchen, die
gegen ihren Willen verheiratet wurden, nur um dann Opfer von Mitgiftmorden
zu werden.
O-Ton Annette Wilke:
„Es ist sehr spannend an zu schauen, wie sich die Bilder von Hinduismus in den
Medien gewandelt haben. In jener Zeit sind es eben noch die Psychosekten
und die gefährlichen Gurus, die mit den Leuten nur Gehirnwäsche machen
wollen. Und dann sind es jetzt plötzlich die Wellness-Religionen geworden, die
den Leuten gut tun.“
O-Ton Saraswati Albano Müller:
„Ich hab so viele Einladungen gehabt, Vorträge zu halten über wie wird man
glücklich. Das indische Wort für Glück heißt sukh und sukh übersetzt heißt
Radnabe. Ein Rad kann gut bewegen, wenn der Mitte stimmt. In 60er Jahren
waren so viele Flugzeug voller Westler, die nach Indien flogen mit den
Hoffnung, ach, ganz schnell kann man da glücklich werden. Auch mit Musik,
Beatles gingen nach Indien und haben mit Ravi Shankar Sitar gelernt. Und ist
immer noch viele Leute, die in Indien Antwort für ihre seelischen Fragen
suchen.“
17
Autorin:
Bloß kann man zum Hinduismus nicht konvertieren, es sei denn bei den Hare
Krishnas. Auch Vivekananda, der zwar der erste Hindumissionar genannt wird,
wollte die Menschen nicht zum Hinduismus bekehren, sondern die Philosophie
des Hinduismus bekannt machen - genauer gesagt eine Form des Hinduismus,
da der sich von Lieblingsgöttin zu Lieblingsgott genauso unterscheidet wie
von Hindu zu Hindu.
O-Ton Annette Wilke 20:50:
„Es gibt sogar Wissenschaftler, die sagen: Es gibt nicht dieses Singular, ja man
darf den Begriff gar nicht verwenden für all diese Religionen.“
O-Ton Saraswati Albano-Müller 33:30:
„Das gab keine Religion, die Hinduismus hieß, das war früher ein großer Land
und da ist oben im Nordwesten ein Fluss, die heißt Indus. Und da Engländer
machten aus Leute die da wohnten am Indus, machten die Hindus. Und
immer noch heute lernen wir: It‘s a way of life. Hinduismus heißt wie du lebst.“
Autorin:
Weiß ich jetzt mehr? Wenn überhaupt ist der Hinduismus noch merkwürdiger
und wunderbarer als vorher. Doch zumindest eine Sache steht fest, niemand
kann mir verbieten, mich Hindu zu nennen - wenn ich es denn will.
O-Ton Tempel 8:45:
Autorin: „Entschuldigung, können Sie mir helfen, wenn ich eines der
Götterbilder kaufen möchte?“
Gläubiger: „Sie können das erst aussuchen. Sagen Sie Bescheid.“
Autorin: „Genau, wem sage ich Bescheid?“
Gläubiger: „Ah so, da kommt ein Priester. Welche Bilder wollen sie?“
Autorin: „Ich möchte gerne eins, da sind alle drauf.“
- Ende 18
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