mikroRNAs – Feinregulatoren der synaptischen Übertragung

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KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE
Gerhard Schratt
Jahrgang 1972. 1992–1998 Biochemiestudium an der Universität Tübingen. 1998–2002 Promotion am Institut für Zellbiologie, Abteilung Molekularbiologie
der Universität Tübingen, Doktorvater Prof. A. Nordheim. 2002–
2006 Postdoc im Labor von Prof.
M. Greenberg, Children’s Hospital und Harvard Medical School, Boston, USA. Seit
2006 Nachwuchsgruppenleiter (SFB488) am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften der
Universität Heidelberg.
ó Mehr als hundert Milliarden Nervenzellen sind im Gehirn eines Erwachsenen auf
engstem Raum gedrängt. Die korrekte Verschaltung dieser Nervenzellen ist maßgebend für höhere kognitive Leistungen wie
Lernen und Gedächtnis. Defekte in ihrer Verschaltung sind die Grundlage einer Reihe
neurologischer Erkrankungen, wie z. B.
Autismus, Demenz und Epilepsie. Einzelne
Nervenzellen kommunizieren über Synapsen, hoch spezialisierte Kontaktstellen, an
denen Botenstoffe freigesetzt werden, die als
Vermittler an nachgeschaltete Nervenzellen
docken und dadurch Signale weitergeben
können. Synapsen ketten nicht nur Nervenzellen aneinander, sie können vielmehr auch
als Informationsspeicher fungieren: Die Zahl
und die Stärke dieser Verknüpfungen
bestimmen, wie effizient Informationen im
Gehirn durchlaufen und abgefragt werden
können[1].
Unsere Forschung beschäftigt sich mit den
molekularen Mechanismen, die für die Veränderung (Plastizität) von Synapsen, und
damit für Lern- und Gedächtnisvorgänge, von
Bedeutung sind. Es ist seit längerem bekannt,
dass die Proteinmaschinerie an den Synapsen dabei eine zentrale Rolle spielt. Plastizität erfordert eine dynamische Regulation
der Proteinausstattung von Synapsen, sowohl
durch Proteinsynthese als auch durch Pro-
Analytica Forschungspreis I
mikroRNAs – Feinregulatoren der synaptischen
Übertragung
GERHARD SCHRATT
INTERDISZIPLINÄRES ZENTRUM FÜR NEUROWISSENSCHAFTEN (IZN), UNIVERSITÄT
HEIDELBERG
teinabbau[2]. Welche Moleküle für diese Regulation wichtig sind, ist jedoch weitestgehend
unklar.
Auf der Suche nach solchen regulatorischen
Faktoren wurden wir kürzlich auf eine neue
Molekülklasse aufmerksam, die so genannten mikroRNAs (Mikro-Ribonukleinsäuren,
miRNAs). Die miRNAs sind winzige, 19–23
Nukleotide lange Ribonukleinsäuren, die im
Gegensatz zu Boten-RNA (messenger-RNA,
mRNA) nicht in Protein umgeschrieben werden, sondern rein regulatorische Funktionen
übernehmen. Die miRNA bindet hierbei an
einen partiell komplementären Bereich im 3’untranslatierten Bereich (3’-UTR) so genannter „Ziel-mRNA”, wodurch die Proteinsynthese des Zielgens gehemmt wird. Der exakte Wirkmechanismus ist noch nicht vollständig aufgeklärt[3].
miRNAs finden sich in allen Zelltypen des
Körpers. Sie sind an der Steuerung einer Vielzahl biologischer Prozesse beteiligt, unter
anderem bei Herzentwicklung, Insulinstoffwechsel und Krebsentstehung[4]. Auffallend
viele miRNAs wurden spezifisch im Gehirn
identifiziert. Eine wichtige Funktion von
miRNAs im Säugerhirn scheint die Steuerung
von Zelldifferenzierung und -überleben zu
sein, die genaue Funktion der meisten dieser
winzigen „RNA-Schnipsel” ist bislang jedoch
unbekannt[5].
¯ Abb. 1: Funktion neuronaler
miRNAs bei der
Regulation des
Wachstums dendritischer Dornfortsätze. Siehe
Text für weitere
Details (verändert
nach [6]).
Die ersten experimentellen Belege, dass
miRNAs in der Tat eine wesentliche Rolle bei
der synaptischen Entwicklung und Plastizität
spielen können, lieferten unsere Untersuchungen an aus Rattenembryonen isolierten
Nervenzellen[6]. Wir machten die Beobachtung, dass die gehirnspezifische miRNA miR134, im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer
neuronaler miRNAs, an hoch spezialisierten
synaptischen Kontaktstellen der Empfängerzelle, den so genannten dendritischen Dornfortsätzen, lokalisiert ist. Dort hemmt sie die
lokale Synthese wichtiger synaptischer Strukturproteine, wie beispielsweise Lim-domain
containing protein kinase 1 (Limk1), und verhindert dadurch ein übermäßiges Wachstum
der dendritischen Dornfortsätze (Abb. 1).
Interessanterweise kann diese Hemmung
durch die Applikation von Faktoren, welche
auch bei erhöhter neuronaler Aktivität ausgeschüttet werden (z. B. brain derived neurotrophic factor, BDNF), überwunden werden.
Diese dynamische Kontrolle der synaptischen
Proteinsynthese durch miR-134 könnte von
wesentlicher Bedeutung für eine reizabhängige plastische Veränderung spezifischer synaptischer Verknüpfungen sein, z. B. während
Lern- und Gedächtnisvorgängen. Wir erforschen derzeit intensiv, ob und wie sich diese
miRNA-vermittelten morphologischen Veränderungen auf die synaptische Übertragung
auswirken.
Eine Frage, die sich uns unmittelbar aufdrängte, war die folgende: Ist miR-134 eine
Ausnahme oder kommen auch anderen
miRNAs wichtige Funktionen an der Synapse zu?
Unsere neuesten Forschungsergebnisse
deuten in der Tat darauf hin, dass eine ganze
Gruppe neuronaler miRNAs wesentlich zur
Plastizität synaptischer Verknüpfungen beiträgt (Siegel et al., eingereicht). Diese Gruppe dendritischer miRNAs scheint parallel eine
Vielzahl von Proteinen zu regulieren, welche
die Struktur und Funktion von Synapsen
beeinflussen. Beispiele sind miR-132, eine
miRNA, die ähnlich wie miR-134 die Bildung
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zentraler Komponenten des Aktin-Mikrofilamentsystems reguliert, und miR-138,
eine miRNA, die mittels Inhibition eines
Depalmitoylierungs-Enzyms die Lokalisation von Signalproteinen an der synaptischen Membran beeinflusst. Insgesamt
sprechen diese Ergebnisse für die Existenz eines Netzwerks aus dendritischen
miRNAs, welches die lokale Synthese einer
Reihe von Schlüsselproteinen an der Synapse koordiniert und dadurch entscheidend zur synaptischen Plastizität beiträgt.
Es ist zu erwarten, dass mithilfe biochemischer, genetischer und systembiologischer Ansätze in den kommenden Jahren
die Charakterisierung des „mikroRNANetzwerks” an der Synapse weiter voranschreiten wird. Im Moment beschäftigen
wir uns ausgehend von unseren ursprünglichen Beobachtungen mit einer Vielzahl
von Fragen, wie z. B.: Wie gelangen miRNAs und ihre Ziel-mRNAs an die Synapse?
Wie wird die Expression und Funktion der
miRNAs aktivitätsabhängig reguliert? Welchen Einfluss haben miRNAs auf die Nervenleitung und letztendlich kognitive Leistungen? Kann durch die Manipulation von
miRNAs im Tiermodell die Fähigkeit zur
synaptischen Plastizität und damit die
Lernfähigkeit beeinflusst werden?
Letztendlich stellt sich auch die Frage
nach den therapeutischen Möglichkeiten
von neuronalen miRNAs. Prinzipiell stellen kleine Nukleinsäuren ideale drug targets dar: Aufgrund der Möglichkeit, diese
Moleküle effizient und spezifisch mit
Nukleinsäuren komplementärer Sequenz
(antisense) zu blockieren, entfällt die langwierige Suche nach pharmakologischen
Inhibitoren, wie z. B. bei Rezeptoren oder
Enzymen. Wir beschreiten im Moment
zwei unterschiedliche Wege, um miRNAs
oder deren Blocker effizient ins Säugerhirn zu transportieren. Zum einen benutzen wir ein virales System (Adeno-assoziierte Viren, AAV), das bereits im Rahmen
der Gentherapie vielfältigste Anwendung
findet. Zum anderen untersuchen wir,
inwiefern synthetische Nukleinsäuren, die
kovalent an membrangängige Peptide
gekoppelt wurden, die Blut-Hirn-Schranke passieren und miRNA-Aktivität im
Gehirn modulieren können. Mittlerweile
werden miRNAs im Zusammenhang mit
der Entstehung einer Vielzahl schwer wiegender neurologischer Erkrankungen diskutiert, darunter Alzheimer, Parkinson
und Schizophrenie[7]. Die effiziente BloBIOspektrum | 04.08 | 14. Jahrgang
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ckade von neuronalen miRNAs im Tiermodell sollte somit nicht nur für die
Grundlagenforschung, sondern auch für
die pharmazeutische Industrie von erheblichem Interesse sein.
Die Erforschung dieser faszinierenden
Molekülklasse steht sicherlich erst am
Anfang. Man kann jedoch erwarten, dass
künftige Ergebnisse wesentlich zu unserem Verständnis der molekularen Vorgänge während Lernvorgängen und
Gedächtnisbildung beitragen. So könnten
miRNAs auch von klinischem Interesse
sein für die Behandlung neurologischer
Erkrankungen, die mit Störungen der synaptischen Übertragung einhergehen.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Gabriele Siegel für das Korrekturlesen und die Erstellung der Abbildung, sowie allen Mitgliedern meines Labors für die hervorragende
Zusammenarbeit. Unsere Forschung wird
durch die DFG und HFSP unterstützt. ó
Literatur
[1] Kandel, E. R. (2001): The molecular biology of memory storage: a dialogue between genes and synapses.
Science 294: 1030–1038.
[2] Sutton, M. A., Schuman, E. M. (2006): Dendritic protein synthesis, synaptic plasticity, and memory. Cell 127:
49–58.
[3] Filipowicz, W., Bhattacharyya, S. N., Sonenberg, N.
(2008): Mechanisms of post-transcriptional regulation by
microRNAs: are the answers in sight? Nat. Rev. Genet. 9:
102–114.
[4] Kloosterman, W. P., Plasterk, R. H. (2006): The
Diverse Functions of MicroRNAs in Animal Development
and Disease. Dev. Cell 11: 441–450.
[5] Kosik, K. S. (2006): The neuronal microRNA system.
Nat. Rev. Neurosci. 7: 911–920.
[6] Schratt, G. M., Tuebing, F., Nigh, E. A., Kane, C. G.,
Sabatini, M. E., Kiebler, M., Greenberg, M. E. (2006): A
brain-specific microRNA regulates dendritic spine development. Nature 439: 283–289.
[7] Fiore, R., Siegel, G., Schratt, G. (2008): MicroRNA
function in neuronal development, plasticity and disease.
Biochim. Biophys. Acta. doi:10.1016/j.bbagrm.2007.12.006.
(Siehe auch GBM-Beitrag zur Preisverleihung auf S. 406)
Korrespondenzadresse:
Dr. Gerhard Schratt
Universität Heidelberg
Interdisziplinäres Zentrum für Neurowissenschaften (IZN)
SFB488 Nachwuchsgruppe
Im Neuenheimer Feld 345
D-69120 Heidelberg
Tel.: 06221-566210
Fax: 06221-567897
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