Frühmoderne Méditerranée: Das ‚überlange - gottfried

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Internationale Renaissance
1. Dichter und Denker
‚Westliche‘ muslimische Denker wie der Klassizist (und religiöse Fundamentalist) Ibn al-Djayyâb (12741349), der Empiriker und Soziologe Ibn Khaldun (1332-1406), der Rationalist Ibn al-Khatib (1313-1375),
der propagandistische Mythologe Ibn Zamrak (1333-1393), dessen Oeuvre man als eine Art Museum
beschrieben hat, „in welchem sämtliche Themen der klassischen Lyrik ausgestellt und katalogisiert sind“,1
begleiten als Zeitgenossen die zwei Generationen eines Dante (1265-1321) und der ungleichen Zwillinge
Petrarca (1304-1374) und Boccaccio (1313-1375) über die entscheidende Bruchlinie zwischen (Spät-)
Mittelalter und (früher) Neuzeit. Dass man das so sagen kann, bestätigt der literarische Befund.
Abgesehen von direkten Übernahmen, etwa aus dem Erzählkreis von ‚Tausend und einer Nacht‘, schöpft
die Dichtung dies- und jenseits der Religionsgrenze aus derselben Quelle – dem ‚zirkum-mediterranen‘
Volksleben, wie es sich im Straßentheater, in der Straßendichtung (islamisch literarisiert als sogenannte
‚Maqama‘) ausdrückt. Dabei durchstoßen nicht nur Boccaccios, nicht nur Chaucers Novellen mit lässiger
Geste die Schranken des sittlich-religiös Gebotenen, auch auf der anderen Seite regiert die poetische, die
areligiöse Freizügigkeit.
Berühmt und bekannt sind die syrisch-ägyptischen Maqamas der Mamlukenzeit über die Abenteuer des
schlauen Weltmannes, fröhlichen Zechers und ‚frommen‘ Predigers Abu Zaid, die noch dazu als
prachtvoll bebilderte Handschriften überliefert sind.2
Und was die Freigeisterei der literarischen Figuren betrifft, so stehen ihnen ihre Schöpfer, die Dichter,
nicht nach. ‚Weingedichte‘ hat im Westen der islamischen Hemisphäre fast jeder verfasst, selbst der
‚Fundamentalist‘ Ibn al-Djayyâb, vom großen Ibn al-Khatib ganz zu schweigen (der hat im übrigen auch
das Loblied der – notabene unverschleierten – Granadinerin gesungen).3 Dass aber der oberste Richter und
Vorsteher der Hauptmoschee von Almería, Abu-l-Barakat, nicht nur ‚Wein, Weib und Gesang‘ und das
ungezügelte Leben der Vagabunden preist sondern auch ‚des Poeten besten Freund ‘, worunter er – den
Hund versteht! Man hört und staunt.
2. Bildende Kunst, Kleinkunst, Handwerkskunst: Anspielungen auf die Antike
Universelle Méditerranée ... Weder im ‚christlichen‘ Norden noch im ‚islamischen‘ Westen und Osten hat
man Probleme mit dem heidnisch-mythologischen Erbe der Antike, sofern es sich (was aber durchwegs
gelingt) überführen lässt in eine Ästhetik der Anspielungen, Verweise und Symbole.
Wie in den Renaissancepalästen Italiens (wozu auch die päpstlichen Hofhaltungen zählen) erscheint ‚im
Orient‘ die Figur des Herrschers, sein Leben bei Hofe eingehüllt vom Prestige des Heidentums, von
Sternenmagie und einschlägigen Abbildungen mythischer Wesen.
Motive wie Sphinx, Greif und Kentaur suggerieren auch am Sultanshof zu Kairo Klassizität und die
Freiheit der Wissenden im Umfeld der Macht.4
Dergleichen ästhetisierende Freiheit eines ‚internationalen Stils‘ erinnert an gewisse Objekte der
Kleinkunst, ebenfalls aus dem Herrschaftsbereich der Mamluken, die nicht nur bereits signiert sind (ein
Modernismus erster Ordnung) sondern auch mit Anlehnungen an abendländische Motive aufwarten –
inklusive Wappen.5 Renaissancistische ‚Überschneidungen’ finden sich auf der italienischen Gegenseite in
Form von ‚Orientalismen’: arabische Schriftzüge auf Giotto-Bildern, der Namenszug des
Mamlukensultans al-Mu’ayyad Sheikh auf einer Zeichnung Pisanellos ...6
2
Anschauungen sind in Fluss geraten, selbst die ‚museale‘ Wertschätzung der Antike deutet sich an, wie
eine der Alhambra von Granada gefundene Ganymed-Figur aus römischer Zeit, also ein original antikes
Stück, zu beweisen scheint. Nun ja – immerhin sind es keine fünfzig Jahre bis zum berühmten
Paradigmenwechsel des Filippo Brunelleschi (1377-1446), des Entdeckers der Perspektive, und seiner um
1400 begonnenen Kuppel des Florentiner Doms.
3. Architektur
Universelle Méditerranée ... Weder im ‚christlichen‘ Norden noch im ‚islamischen‘ Westen und Zu
denken wäre aber auch an die Monumentalkunst, die Architektur. Dem 1285 vollendeten Mausoleum des
Sultans al-Mansur Qalawun mit Motiven der Kreuzfahrer- und Mongolenkunst steht die zwischen 1356
und 1361 errichtete Moschee des Sultans an-Nasir ad-Din al-Hasan mit ihren fernöstlichen Motiven nicht
nach.
Da schadet es nicht, ein paar kunsthistorische Fakten zu memorieren. Während in Deutschland und
Norditalien die Spätgotik regiert (1248 ist Baubeginn zum Kölner, 1386 zum Mailänder Dom), wird an
der weltberühmten Alhambra der Löwenhoftrakt im Mudéjarstil fertig gestellt (1354, unter Sultan
Muhammad V.) – ausgestattet übrigens mit ‚häretischen‘ Bilddarstellungen im gotischen Stil.
4. Renaissance und Humanismus im Osmanischen Reich:
Und als ob es auch hier der rein ästhetischen Beweisführung bedürfe, hat sich nicht sofort, aber doch im
Laufe eines knappen Jahrhunderts, die osmanische Macht parallel zur politisch-militärischen Ausweitung
nach Westen auch ideologisch-künstlerisch europäisiert. Sinan (1489-1578) mit seiner Wiederaufnahme
römisch-griechischer Ingenieurskunst, etwa in der berühmten Moschee von Edirne; die italienischen
Maler und Porträtisten am Sultanshofe – allen voran der große Bellini; Caesars ‚Bellum gallicum‘ in
kommentierten und übersetzten osmanischen Ausgaben – und so weiter, und so fort.
Es darf somit vermutet werden, dass das allgemeine Informationsniveau gebildeter Kreise dies- und
jenseits der Religionsgrenze ähnlich war – und auch regelmäßig nachjustiert wurde, was sich etwa an den
Erweiterungen des Weltbildes im Gefolge der atlantischen Entdeckungen zeigt.
„So war auch für die Muslime die Neue Welt bald nichts Unbekanntes mehr, auch wenn sie gezwungen
waren, der Eroberung des Kontinents als Zaunkönige beizuwohnen“7 – eine Feststellung, die durch allerlei
Publikationen wie jene ‚Neue Geschichte: Das Buch der Neuen Welt‘ des osmanischen Gelehrten Celebi
as-Su’udi (es ist um 1580 erschienen) in der Tat gerechtfertigt erscheint. Umso mehr, als sich hier eine
tiefe strukturale Homologie zur gleichzeitigen Welt der ‚europäischen‘ Spätrenaissance, ja „des
Frühbarock“ (Schulze) bemerkbar macht, wenn der osmanische Autor historische, biographische und
naturkundliche Beobachtungen zur Neuen Welt „verschnörkelt“ zusammenträgt.8
Und wenn zudem in politischer Hinsicht dies- wie jenseits der Religionsgrenze der moderne Staats-, ist
gleich Reichsgedanke mit anderen modernen Modellen, etwa Machiavellis Fürstenstaat, konkurriert9 (ein
Prozess, der sich ‚europäischerseits‘ als Übergang von der Renaissance zur Barockzeit beschreiben lässt),
darf es da verwundern, wenn sich diese Evolution wie in einem Paralleluniversum auch ästhetisch
niederschlägt?
Es erscheint nicht vermessen, auch bezüglich der islamischen Hemisphäre von einem Weg zu sprechen,
der von den „mächtigen Renaissancebauten“ (nämlich des Sinan) hinführt zu „typischen, oft profanen
Barockbauten“, Zeugnissen eines „Kulturstils, der nicht nur die Kunstformen wie Malerei und Musik,
sondern auch Literatur und Philosophie nachhaltig prägte und bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein
fortwirkte“.10
3
5. Der Modernismus als staatstragende Ideologie
Allen diesen Renaissancestaaten und ‚frühbarocken‘ Reichen zwischen Donau, Euphrat und Ganges ist
eine Tendenz zur Rationalisierung zu eigen, die auch vor der Religion nicht Halt macht. Eine solche
„islamische Tradition der Aufklärung“,11 worin das Religiöse teils dem Bereich der Natur zugeordnet
(diesen Weg ging man in Persien), teils unter die staatspolitischen Ordnungsbegriffe subsummiert (so bei
den Osmanen),12 ja unter Umständen bis zum Extrem der synkretistischen ‚Kunstreligion‘ getrieben wird
(die mit dem Staatskult identifizierte ‚göttliche Religion‘ des Mogulherrschers Akbar, worin sich SanskritTraditionen mit islamischen Dogmen und mystischen Lehren verbinden),13 basiert in jedem Fall nicht auf
der Vorstellung des Islam als einer Offenbarungsreligion sondern als eines empirisch ergründbaren, sprich
religionswissenschaftlich beschreibbaren Systems – ein Prozess, der in der Definition von Religion
schlechthin mündet.14
Dass in diesem Zusammenhang, religionsimmanent betrachtet, auch für den Islam ein ‚puritanisches‘
Erneuerungsethos feststellbar ist, frappiert den Beobachter. Aber auch die Tatsache einer dazu
gegenläufigen staatstheoretischen Auffassung ist bemerkenswert. Erinnert sie doch „in vielfacher Hinsicht
an Thomas Hobbes“.15
1
Emilio García Gómez, Ibn Zamrak, el poeta de la Alhambra, Granada 1975.
Almut von Gladiß, Dekorative Künste, in: Markus Hattstein / Peter Delius (Hg.), Islam. Kunst und Architektur,
Köln 2000: 198 f.
3
Ibn al-Khatib, Khatrat at-tayf fî rihlat ash-shitâ‘ wa-s-sayf. Edition: A. M. al-‘Abbâdî, Mushâhadât Lisân ad-dîn Ibn
al-Khatib ... usw., Alexandria 1958: 50.
4
Almut von Gladiß, Dekorative Künste: 195 ff.
5
Giovanni Curatola, Das Mameluckenreich, Zentrum der islamischen Renaissance, in: Eduard Carbonell / Roberto
Cassanelli / Tania Velmans (Hg.), Das Zeitalter der Renaissance. Kunst, Kultur und Geschichte im Mittelmeerraum,
Stuttgart 2003 (Barcelona 2003): 109-133.
6
Giovanni Curatola, Der Islam in der italienischen Kunst, in: Carbonell / Cassanelli / Velmans (Hg.), Das Zeitalter
der Renaissance: 169-179.
7
Reinhard Schulze, Die Frühe Neuzeit in der islamischen Welt, in: Edelmayer / Feldbauer / Wakounig (Hg.),
Globalgeschichte 1450 – 1620: 261.
8
Schulze, Die Frühe Neuzeit: ebd.
9
Schulze, Die Frühe Neuzeit: 262.
10
Schulze, Die Frühe Neuzeit: 273.
11
Reinhard Schulze, Weltbilder der Aufklärung. Zur Globalgeschichte neuzeitlicher Wissenskulturen, in: Margarete
Grandner / Andrea Komlosy (Hg.), Vom Weltgeist beseelt. Globalgeschichte 1700 – 1815, Wien 2004: 170.
12
Schulze, Weltbilder der Aufklärung: 172.
13
Schulze, Die Frühe Neuzeit: 268.
14
Schulze, Weltbilder der Aufklärung: 175 f.
15
Schulze, Weltbilder der Aufklärung: 172.
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