Das Geothermie-Projekt Sankt Gallen

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Das Geothermie-Projekt Sankt Gallen - Fragen und Antworten aus Sicht der
Seismologie
Stellungnahme des Schweizerischen Erdbebendienstes, 5. November 2010.
Ausgangslage:
Die Stadt Sankt Gallen plant die Erschliessung eines vermuteten hydrothermalen Reservoirs in rund
3-4 km Tiefe unter dem Stadtgebiet zur Gewinnung von geothermischer Energie. Eine Volksabstimmung zur Bewilligung der notwendigen Finanzen steht bevor. Als Folge davon wird der SED
seitens der Medien und der Öffentlichkeit mit Fragen bezüglich der möglichen seismischen
Auswirkungen konfrontiert. Im Folgenden werden einige der gestellten oder zu erwartenden Fragen
nach dem jetzigen Stand des Wissens aus seismologischer Sicht beantwortet.
1. In Basel wurde 2006 ein Versuch zur Nutzung der Erdwärme aus 5 km Tiefe wegen der
damit verbundenen Erdbeben abgebrochen und auf Grund einer nachfolgenden Risiko
Studie endgültig eingestellt. Wie unterscheidet sich das Vorhaben in Sankt Gallen vom
Projekt in Basel?
In Basel ging es darum, das ursprünglich trockene und undurchlässige Gestein durch das
Einpressen grosser Mengen Wasser unter hohem Druck aufzusprengen, um so die Wasserdurchlässigkeit zu erhöhen. Anschliessend hätte über eine zweite Bohrung ein künstlicher Wasserkreislauf erstellt werden sollen, um so die Erdwärme an die Oberfläche zu fördern. Das Verfahren
zur Erhöhung der Durchlässigkeit, die sogenannte Stimulation, ist prinzipiell mit dem Auslösen von
kleinen Erdbeben, sogenannten Mikrobeben, verbunden, von denen einige unter ungünstigen
Umständen auch an der Erdoberfläche spürbar sind.
In Sankt Gallen hingegen soll eine natürlich wasserführende Gesteinsschicht angebohrt werden und
das dort von Natur aus vorhandene heisse Wasser an die Oberfläche gebracht werden. Nach
Entzug der Wärme soll dann das abgekühlte Wasser durch eine zweite Bohrung wieder in den
Untergrund gepumpt werden. Vorausgesetzt dass ein genügender Wasserfluss in der Tiefe gefunden wird, ist bei diesen sogenannten hydrothermalen Geothermie-Projekten keine Stimulation, also
kein künstliches Aufbrechen des Gesteins, notwendig. Im Gegensatz zum Projekt in Basel muss
also in Sankt Gallen nicht zwingend mit Mikrobeben gerechnet werden.
Ausserdem ist die natürliche seismische Gefährdung in der Region Sankt Gallen wesentlich
geringer als im Raum Basel.
2. Kann im Zusammenhang mit dem Geothermie-Projekt in Sankt Gallen das Auftreten von
Erdbeben ausgeschlossen werden?
Die Gesteine der Erdkruste stehen praktisch überall, so auch in der Schweiz, unter hoher
Spannung. Natürliche Erdbeben, auch Schadensbeben, sind in der Schweiz zwar eher selten,
können aber überall und im Prinzip jederzeit auftreten. Zu einem Erdbeben kommt es dann, wenn
die von Natur aus vorhandenen Spannungen die lokale Gesteinsfestigkeit überschreiten. Die
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Gesteinsfestigkeit wird stark von den hydrologischen Verhältnissen, d.h. vom Wasserdruck, in der
Tiefe beeinflusst. Jeder menschliche Eingriff im tieferen Untergrund, zum Beispiel durch Tunnelbauten, Bergwerke, Einpressen von Wasser, Aufstauen von künstlichen Seen, und auch durch die
Entnahme von heissen Wässern zur Nutzung der Erdwärme, ändert mehr oder weniger stark das
Gleichgewicht zwischen Spannungen und Gesteinsfestigkeit. Die dabei unter Umständen ausgelösten Erdbeben bezeichnet man als induzierte Beben. Weil die Spannungsänderungen auf die
unmittelbare Umgebung der Bohrung beschränkt ist, sind auch induzierte Erdbeben nur in einem
Umkreis von wenigen Kilometern von der Bohrung möglich. Allerdings bleibt, wie bei allen Technologieprojekten speziell im Energiebereich (Stauseen, Kraftwerke, Minen, Windräder, Raffinerien,
etc.) immer das minimale Restrisiko eines Unfalls. In diesem Sinne kann auch bei der Nutzung der
Tiefengeothermie ein Erdbeben nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Im Zusammenhang mit
ähnlichen, sogenannten hydrothermalen Geothermie-Projekten wie demjenigen von Sankt Gallen
sind jedoch bislang keine Erdbeben aufgetreten, die auch nur minimale Schäden angerichtet haben.
3. Für das Geothermie-Projekt in Basel ist eine umfassende Studie zum Thema
Erdbebenrisiko gemacht worden. Gibt es für das Projekt in Sankt Gallen eine ähnliche
Studie, die sagt wie gross das Erdbebenrisiko tatsächlich ist?
Eine solche Risikostudie gibt es für Sankt Gallen bislang noch nicht. Dabei gilt es zu bedenken,
dass die Risikostudie, welche zur endgültigen Einstellung des Projektes in Basel geführt hat, erst im
Nachhinein verfasst wurde und in ihrer endgültigen Form im Vorfeld des Projektes gar nicht hätte
erstellt werden können, da die notwendigen Daten noch nicht vorlagen.
Ganz allgemein setzt sich das Risiko eines bestimmten Ereignisses aus seiner Auftretenswahrscheinlichkeit und dem Ausmass seiner Folgen zusammen. Die Auftretenswahrscheinlichkeit
eines Ereignisses kann man abschätzen, entweder aus einer statistischen Analyse vieler
vergangener Ereignisse ähnlicher Art (zum Beispiel für die Abschätzung eines hundertjährigen
Hochwassers) oder mit Hilfe einer detaillierten Modellierung der entsprechenden physikalischen
Prozesse und Parameter, wenn diese gut genug verstanden sind. Die Nutzung der Tiefengeothermie, wie sie in Sankt Gallen geplant ist, wird schon an mehreren anderen Orten mit Erfolg
praktiziert. Die Anzahl solcher Projekte ist jedoch weltweit noch zu gering, um daraus gesicherte
statistische Schlussfolgerung über das damit verbundene seismische Risiko zu ziehen. Obwohl die
grundlegenden physikalischen Prozesse, welche zur Auslösung von Erdbeben führen können,
bekannt sind, ist die Rolle der massgebenden Parameter noch nicht genügend quantifizierbar.
Ausserdem sind die tatsächlichen Verhältnisse, welche an einem gegebenen Standort im Untergrund vorherrschen, im Vorfeld eines Projektes nur unvollständig und mit grossen Unsicherheiten
bekannt. Diese Verhältnisse kann man erst besser abschätzen, nachdem eine Bohrung tatsächlich
abgeteuft ist und entsprechende Messungen und Tests durchgeführt wurden. Dies bedeutet, dass
im Fall von Projekten zur Nutzung der Tiefengeothermie das damit verbundene seismische Risiko
im Lichte wachsender Kenntnisse über die vorgefundenen Verhältnisse laufend neu bewertet
werden muss. Im Falle von Sankt Gallen wird auch der Schweizerische Erdbebendienst bei der
laufenden Bewertung des seismischen Risikos beigezogen werden.
4. Gibt es bezüglich seismischer Aktivität Erfahrungen aus anderen ähnlichen GeothermieProjekten?
Vergleichbare Verfahren zur Gewinnung geothermischer Energie gibt es zum Beispiel im Pariser
Becken, in Deutschland und in Riehen bei Basel. Im Pariser Becken wird schon seit mehreren Jahrzehnten warmes Wasser aus 1.5 bis 2 km Tiefe zu Heizzwecken gefördert. Es ist keine seismische
Aktivität, die im Zusammenhang mit dieser Nutzung stehen könnte, bekannt. In der Umgebung von
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München sind seit einigen Jahren verschiedene Projekte zur Gewinnung von Erdwärme im Gang,
die vergleichbar mit demjenigen in Sankt Gallen sind. Nur in der Nähe eines dieser Standorte sind
einige kleine Beben aufgetreten die an der Oberfläche leicht verspürt wurden aber keinerlei
Schäden verursacht haben. Bei Landau, in Rheinland-Pfalz, hat im Zusammenhang mit zwei
Geothermie-Projekten die lokale seismische Aktivität zugenommen, und es kam zu einigen Beben,
die an der Oberfläche verspürt wurden. Nur 35 km weiter östlich, in Bruchsal, sind hingegen keine
Erdbeben bekannt, die mit dem dortigen Projekt im Zusammenhang stehen könnten. In Riehen wird
ebenfalls seit vielen Jahren heisses Wasser aus rund 1500 Meter Tiefe zu Heizzwecken gefördert.
Obwohl dieser Standort in unmittelbarer Nähe zum eingestellten Projekt von Basel liegt, ist dort
keine erhöhte seismische Aktivität registriert worden.
5. Sind besondere Massnahmen vorgesehen, um eine mögliche seismische Aktivität im
Zusammenhang mit dem Geothermie-Projekt in Sankt Gallen zu überwachen?
Es ist vorgesehen, ein Netz von hochempfindlichen Seismometern und Beschleunigungsmessern
im Umfeld des Bohrstandortes aufzustellen. Ein solches Messnetz wird auch kleinste Erdbeben,
sogenannte Mikrobeben, aufzeichnen, die viel zu schwach sind um verspürt zu werden. Sollten
solche Ereignisse tatsächlich auftreten, würden die entsprechenden Daten Aufschluss über die
Spannungsverhältnisse und Gesteinsfestigkeit im Untergrund geben. Ausserdem ermöglicht eine
solche Überwachung das Steuern der Wasserentnahme, falls sich die seismische Aktivität unerwartet erhöht. So lässt sich durch eine geeignete Interventionsstrategie das Risiko von spürbaren
Erdbeben zusätzlich reduzieren. Die Daten dieser Mess-Stationen werden am Schweizerischen
Erdbebendienst an der ETH Zürich ausgewertet und archiviert, und werden zu jeder Zeit öffentlich
zugänglich sein.
Bei Rückfragen:
Schweizerischer Erdbebendienst
ETH Zürich
Tel 044 - 633 2179
Email: [email protected]
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