DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT Heft 41 vom 11. Oktober 1979 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin UNSPEZIFISCHE ENTZÜNDUNGEN: Entzündungen im Analbereich Alexander Neiger Symptomatik Brennen, Jucken, Schmerz und Nässen, gelegentlich auch Blutspuren am Reinigungspapier sind die klassischen Symptome von entzündlichen Veränderungen im Analbereich. Die Behandlung besteht in erster Linie in einer Sanierung der Grundkrankheiten und erst in zweiter Linie in einer lokalen Therapie, wobei der Analhygiene eine wesentliche Bedeutung zukommt. Brennen, Jucken und Schmerz stehen im Vordergrund. Häufig besteht gleichzeitig eine Sekretion, die bei dem Patienten ein Gefühl von Nässen verursacht und oft mit Verschmutzen der Unterwäsche einhergeht. In einzelnen Fällen werden Blutspuren am Reinigungspapier beobachtet. Durch langes Sitzen und. Gehen werden die Beschwerden verstärkt. Oft klagen die Patienten darüber, daß der mit Toilettenpapier gereinigte Anus nach einiger Zeit feucht und von Stuhl beschmutzt werde und dann das Jukken erneut beginne. Ätiologie Chemische Substanzen, Sekrete und dünnflüssiger oder harter Stuhl sind die häufigsten Ursachen einer Entzündung im Analbereich, seltener mechanische Reize, Parasiten oder venerische Krankheiten. Seifen, Badezusätze, Rückstände von Waschpulver in ungenügend gespülter Unterwäsche, analapplizierte Salben oder peroral eingenommene Medikamente und Gewürze können die perianale Haut reizen und zu einem Kontaktekzem führen, ebenso chronischer Abgang von Sekret aus einer Perianalfistel, aus der Vagina bei Fluor vaginalis, aus dem Darm bei Morbus Crohn oder bei einem sezernierendem Rektumpapillom. Dünnflüssiger oder harter Stuhl reizt bei der Passage die Analschleimhaut und kann eine Anitis zur Folge haben. Die dadurch entstandene Hyperämie regt die Proktealdrüsen zu vermehrter Bildung von Sekret an, das nach außen fließt und die perianale Haut reizt. Die Anitis kann ferner auf die Krypten übergehen, was zu einer Kryptitis führt, mit dumpfem Schmerz im Analkanal bei der Stuhlpassage. Die Entzündung kann in der Krypte deszendierend fortschreiten mit Fistel- oder Abszeßbildung. Greift sie auf die Papillen über, kommt es zur Papillitis und Papillenhypertrophie durch ödematöse Schwellung. Mechanisches Traumatisieren der Analregion beim Reinigen mit grobem Papier oder Frottiertuch und das Tragen von Unterwäsche aus groben Kunstfasern, können eine Entzündung des Anoderms und der Perianalhaut verursachen. Mechanisch stören ferner grobe Hautfalten und Tumoren, sie erschweren die Reinigung des Anus nach der Defäkation durch Retention von Stuhlpartikeln in den Falten. Dadurch kommt es zur Mazeration der Haut, die ihrerseits eine Besiedelung durch Bakterien und Pilze erleichtert. Erleichternd für das Entstehen einer bakteriellen Entzündung kann auch ein gleichzeitig bestehender, nicht erkannter oder schlecht eingestellter Diabetes mellitus wirken. Ebenso kann eine Darmparasitose Wegbereiter einer Entzündung der Perianalhaut sein. Da venerische Krankheiten im Vormarsch begriffen 2639 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Entzündungen im Analbereich Abbildungen, links, von oben nach unten: 1: Erythema marginatum — 2: Akutes Ekzem mit nässenden Rhagaden — 3: Chronisch induriertes Ekzem — 4: Analfibrom mit intertriginösem Ekzem Rechts, von oben nach unten: 5: Analkarzinom mit Perianitis — 6: Sezernierende Fistelöffnung an der dorsalen Kommissur rechts bei 1 Uhr im Zentrum einer Hautvorwölbung — 7: Fissur an der dorsalen Kommissur mit weißlichem Grund — 8: Fissur an der dorsalen Kommissur bei erosiver Perianitis und Mariske links bei 8 Uhr 2640 Heft 41 vom 11. Oktober 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Entzündungen im Analbereich Abbildungen, links, von oben nach unten: 9: Großes Ulkus an der dorsalen Kommissur mit aufgeworfenen Rändern und schmierig belegtem Grund bei Morbus Crohn - 10: Dermatomykose (Candida albicans) - 11: Beim Anspannen der Bauchpresse tritt partiell an der dorsalen Kommissur und an der rechten Hemisphäre ein Mukosaprolaps vor. Leichtes perianales Erythem mit nässender Rhagade dorsal rechts bei 2 Uhr Rechts, von oben nach unten: 12: Bei Anspannen der Bauchpressen zirkulärer Darmprolaps mit perlanalern' Erythem - 13: Analmarisken mit Perianalekzem - 14: Perianales Erythem bei mit Stuhl verschmutztem Anus und Hautlappen (Marisken) - 15 (unten links): Blick durch das Proktoskop in den Analkanal: Die Schleimhaut ist fleckig gerötet (Anitis) - 16 (unten Mitte und rechts): Blick durch das Proktoskop in den Analkanal: Papillenhypertrophien, die wie Katzenzähne aussehen DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 41 vom 11. Oktober 1979 2641 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Entzündungen im Analbereich sind, werden sie auch im Analbereich häufiger angetroffen. Bei einer Anitis, die mit einer eitrigen Kryptitis einhergeht, ist daher an die Möglichkeit einer Gonokokkeninfektion zu denken. Ein Ulkus, das einen schmierig belegten Grund aufweist, ist verdächtig für einen luischen Primärinfekt oder ein Ulcus mofle, insbesondere wenn die inguinalen Drüsen gleichzeitig geschwollen sind. Dagegen ist eine tuberkulöse Ätiologie heute äußerst selten geworden. Pilzkultur (zum Beispiel auf Candidaselektivagar nach Nickerson der Firma Merck). Eine Perianitisfindet sich häufig in der Umgebung von Tumoren, namentlich unter Hautlappen (Marisken genannt), an den Rändern von Spitzekondylomen oder eines Karzinoms. Wichtigster auslösender Faktor für die Hautveränderungen dürfte auch hier Retention von Stuhlpartikeln am Rande der Tumoren sein. Die Natur des Tumors wird durch Biopsie und mikroskopische Untersuchung abgeklärt. Diagnose Ulzera ohne oder in Kombination mit einer Dermatitis liegen meist im Bereiche des Anoderms. Das unspezifische Ulkus, die Fissur, entsteht in der Regel durch chronisches Einreißen des Anoderms bis auf die Fasern des Musculus sphincter ani internus. Es ist scharfrandig, sehr druckschmerzhaft und weist einen weißlich sehnigen Ulkusgrund auf, bedingt durch die chronisch entzündlich veränderten Fasern des Sphinkter und liegt meist unter einer Mariske. Beim luischen Primäraffekt ist das Ulkus unscharf begrenzt, sein Grund schmierig belegt, es kann wie die Ulzera beim Morbus Crohn multipel auftreten. Der Nachweis der Spirochaeta pallida (Treponema pallidum) im Reizserum des Primäraffektes im Dunkelfeld erlaubt die Diagnosestellung. Im Primärstadium sind die klassischen serologischen Reaktionen meist negativ. Ein Morbus Crohn wird durch Koloskopie oder Röntgenuntersuchung des Dick- und Dünndarmes weiter abgeklärt. Neben Ulzera kann die Colitis oder Ileitis regionalis auch von ein oder mehreren Analfisteln begleitet sein. Fistelöffnungen können verklebt und überhäutet sein und dadurch leicht übersehen werden. Im Zustand der Sekretion ist die Haut in der Umgebung der Fistelöffnung meist entzündlich verändert. Ein oder mehrere Fistelöffnungen weit vom Anus entfernt, über dem Sakrum gelegen, gehören zu einem Sakraldermoid. Die Anamnese mit den Klagen über Brennen, Jucken und Schmerz in der Analregion läßt eine Entzündung im Analbereich vermuten. Erst die gründliche Untersuchung ermöglicht aber die genaue Diagnose, sie ist unbedingt erforderlich, um maligne Neubildungen auszuschließen. Die Untersuchung gliedert sich in die Inspektion der Analregion, die digitale Austastung des Analkanals und der Rektalampulle und in die Endoskopie (Anoskopie und Rektoskopie). Zur Untersuchung kniet sich der Patient auf eine Liege und stützt sich mit den Ellenbogen ab. Durch kräftiges Spreizen der Nates läßt sich die Analregion gut überblicken. Die Perianalhaut ist blaß rosa, glatt und leicht radiär gefältelt, das Anoderm, der Übergang zwischen Haut und Schleimhaut. ist zart, bläulichrosa und ebenfalls radiär gefältelt. Eine Kontaktdermatitis macht zu Beginn ein meist scharf begrenztes Erythem. Sie kann in diesem Zustand wieder rasch abheilen oder die Basis zur Entwicklung von Knötchen und Bläschen sein. Epithelablösungen, Rhagaden und Ulzerationen sind typisch für ein nässendes Ekzem. Die Epikultantestung kann das auslösende Allergen auffinden helfen. Eine weißlich infiltrierte Haut läßt an eine Dermatomykose denken. Die Diagnose wird am einfachsten durch den Pilznachweis im Nativpräparat, mittels Methylenblaufärbung festgestellt oder durch eine 2642 Heft 41 vom 11. Oktober 1979 Darmparasiten werden bei der Analinspektion selten gefunden. Bei Angabe von ausschließlich nachts auftretendem Analjucken muß daher DEUTSCHES ÄRZTEBLATT nach Wurmeiern im Stuhl oder für die Oxyuriasis in der Analregion gesucht werden. Dafür wird frühmorgens ein durchsichtiger Zellophanklebestreifen auf den Anus gelegt, der anschließend auf einen Objektträger geklebt und im Mikroskop untersucht wird. Prolabierende Hämorrhoiden oder ein Darmvorfall können durch mechanischen Reiz eine Anitis mit Hypersekretion der Proktealdrüsen, Schleimabgang und eine Perianitis zur Folge haben. Zur Diagnosestellung wird der Patient angehalten, die Bauchpresse anzuspannen, dadurch können Hämorrhoiden und Darm zum Prolabieren gebracht werden. Bei der digitalen Austastung des Analkanals können Hämorrhoiden nur gespürt werden, wenn sie fibrosiert oder thrombosiert sind. Häufig werden Papillen-hypertrophien fälschlicherweise für Hämorrhoiden gehalten. Die Weiterabklärung erfolgt durch die Anoskopie und Rektoskopie. Beide gehören zur Abklä- rung entzündlicher Veränderungen im Analbereich, um eine allfällige Anitis oder Kolitis nicht zu übersehen. Der Analkanal wird mit dem sechs bis acht Zentimeter kurzen Proktoskop ausgeleuchtet: Innere Hämorrhoiden finden sich als radiär verlaufende, geschlängelte, rötliche Gefäße oder bläuliche Pominenzen. Eine hochrote Farbe der Schleimhaut im Analkanal weist auf eine Anitis hin. Entzündete Papillen sind ödematös verdickt, im chronischen Zustand weisen sie eine weißliche bis hyperkeratotisch veränderte Spitze auf. Bei der Kryptitis ist die Krypte bei der Betastung mit einer Knopfsonde schmerzhaft. Tritt ein Eitertröpfchen aus, so ist eine Kultur anzusetzen, um eine spezifische Infektion durch Diplokokken nicht zu übersehen. Mit dem 20 bis 30 Zentimeter langen Rektoskop wird hierauf die Rektalampulle inspiziert. Ihre normale Schleimhaut ist blaßrosa und weist ein gut sichtbares Gefäßnetz auf, Bei der Colitis ulcerosa ist die Schleimhaut ödematös verdickt, samtartig Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Entzündungen im Analbereich und das Gefäßnetz nicht mehr sichtbar. Die Schleimhaut beginnt beim Berühren mit dem Endoskop oder einem langen Wattetupfer diffus zu bluten. Die Colitis ulcerosa beginnt in der Regel zuunterst im Rektum, während die Colitis regionalis (Morbus Crohn) weiter oben im Sigmoid oder Kolon zu finden ist. Mit dem Rektoskop sind auch kleinste Adenome von Stecknadelkopfgröße nicht zu übersehen. Sie treten solitär, multipel, gestielt oder sessil auf und sind glatt oder fein gehökkert. Ein grobgehöckerter, derber Tumor, der beim Berühren leicht blutet, ist verdächtig für ein Karzinom. Biopsie und Histologie sichern die Diagnose. Therapie Im Vordergrund steht die Analhygiene. Auch die beste Therapie ist zum Scheitern verurteilt, wenn der Anus nach jeder Defäkation stuhlverschmutzt bleibt. Waschen der Analregion mit fließendem Wasser, eventuell unter Zusatz von Kamille, jedoch ohne Seife, ist für den Patienten erstes Gebot. Nur so werden auch kleinste Stuhlpartikel aus den Hautfalten entfernt. Zum Trocknen wird die Analgegend mit weichem Stoff- oder Taschentüchlein aus Papier abgetupft. Starkes Reiben, besonders mit einem Frottiertuch, ist zu vermeiden. Lokal angewandte oder peroral eingenommene Medikamente und Stoffe, können als Allergene in Frage kommen und sind deshalb vorübergehend oder ständig abzusetzen. Allfällige Störungen der Darmfunktion, wie Obstipation oder Durchfall sind zu sanieren, da sie, wie erwähnt, entzündliche Reaktionen im Analkanal auslösen und unterhalten. Bei Verstopfung sollte der Patient vorerst genügend trinken, mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit täglich in Form von Kräutertee, Obst- oder Orangensaft, reichlich Gemüse, Zitrusfrüchte oder Kleie einnehmen und Mehlspeisen, Kartoffeln und Reis meiden. Der Zusatz von einem Gleit- oder Quellmittel kann günstig wirken. Bei Durchfall muß vorerst ein Laxantienabusus ausgeschlossen werden. Die Einnahme eines Anticholinergikums dämpft eine allfällige Hypermotilität des Darmes. Bei Sekretabgang ist das Grundleiden zu behandeln: Fistel, Fluor vaginalis, Morbus Crohn sind zu sanieren und Tumoren zu entfernen. Die Bedeutung einer Darm parasitose für die Entstehung einer Perianitis darf nicht übersehen werden. Als Breitbandantihel mintikum steht Thiabendazol zur Verfügung. Bei gonorrhoischer Kryptitis und luischem Primäraffekt ist Penicillin in hohen Dosen angezeigt. Ulzera und Fisteln bei Morbus Crohn mit Begleitentzündung der Analregion werden lokal mit Kamillenumschlägen und das Grundleiden mit einem schwerlöslichen Sulfonamid wie Salacopyrin 8 Gramm täglich und lokal mit Kortikosteroidgaben als Suppositorien oder Klysmen (Corticlyss) behandelt. Ein gleichzeitig bestehender Diabetes soll auch bei leichter Form in korrekter Weise behandelt werden. Erst wenn alle Faktoren, die eine Perianitis auslösen und unterhalten können, beseitigt sind, wird eine Lokalbehandlung durchgeführt. Meist genügt eine milde Salbe, Bepanthen oder Dianabol. Ein kurzfristiger Zusatz eines Kortikosteroids kann günstig wirken. Kompressen oder Sitzbäder mit Kaliumpermanganat in'/5bis 1 /.--prozentiger Lösung, Chloramin 1- bis 5promillig oder eine Tannosynt-Lotion. Mittel der Wahl sind Farbstoffe, die nicht nur austrocknen und entzündungshemmend wirken, sondern auch mykotische und bakterielle Sekundärinfektionen bekämpfen, wie Solutio Castellani, Tinctura Arning, Solutio pyoctanini 1/2-- bis 1prozentig, Schüttelmixturen mit Vioform (1 Prozent), antibiotische Steroidexterna, wie erwähnt nur kurzfristig, als Lotion oder Creme. Gute Erfolge haben wir mit zweimal wöchentlicher Ultraviolett-Nahbestrahlung, jeweils während zwei bis drei Minuten, erreichen können (Thermaflex UV Ha- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT nau). Bei Pilzbefall wird eine mykostatische Salbe aufgetragen. Ist der Darmtrakt von Pilzen mitinfiziert, empfiehlt sich, gleichzeitig eine perorale Behandlung mit einem Mykostatikum durchzuführen. Zusammenfassung Die Symptome der Entzündungen im Analbereich sind Brennen, Jukken, Schmerz und Nässen, gelegentlich auch Blutspuren am Reinigungspapier. Die Hautveränderungen lassen sich bei der Inspektion in der Regel leicht erkennen. Sie sind häufig sekundär entstanden, als Kontaktekzem durch Sekretion bei Fistel, Fluor vaginalis, Morbus Crohn mit Fistel- oder Ulkusbildung, als Folge einer Anitis mit Hypersekretion der Proktealdrüsen und Abgang von Schleim aus dem Anus oder von Tumoren, Darmparasitosen, Pilz- oder venerischen Infektionen. Die Behandlung ist in erster Linie kausal durch Beheben der Grundkrankheiten und erst in zweiter Linie eine lokale. Literatur Brun, F. E.; Krebs, A.: Analekzem und Pruritus ani. In Erkrankungen des Anus und des Rektums, S. Karger, Basel, 28 (1973) — Daniel, F., und Müller, W.: Praktische Dermatologie. Byk Essex München (1978) — Daniel, F., und Foix, C.: Dermatologie und innere Medizin. Verlag Hallwag AG, Bern (1978) — Gottron, H. 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Alexander Neiger Medizinische Poliklinik der Universität Bern Freiburgstraße 3 CH-3010 Bern Heft 41 vom 11. Oktober 1979 2643