Gedanken zu einer Buddhistischen Psychotherapie Teil 2

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GEDANKEN ZU EINER BUDDHISTISCHEN PSYCHOTHERAPIE
Zusammenfassung, Ausblicke und Materialsammlung
von Lama Sönam Lhundrup, November 2006
TEIL ZWEI
Die 51 Geistesfaktoren (Diskussionsmitschrift)
Im Dharma sprechen wir zusätzlich zum wahrnehmenden und fühlenden Bewusstsein (inklusive des so
genannten „Unbewussten“) von einer noch tieferen Dimension des Geistes: dem Bereich des nondualen,
zeitlosen Gewahrsein, auch Buddhanatur genannt. Es ist äußerst hilfreich, beruhigend und ermutigend zu
wissen oder zu erahnen, dass es jenseits aller Verwirrtheit und aller dualistischen Projektionen eine solche
urgesunde Dimension in uns gibt. Aus dieser manifestiert sich die Vielfalt unseres Erlebens. Ins Bewusstsein treten die folgenden 51 Geistesfaktoren, die allerdings in so blitzschneller Folge auftauchen können,
dass sie durchaus auch für die unbewussten Reaktionsmuster verantwortlich sind.
Die 5 ständig gegenwärtigen Faktoren
1. Interesse
2. Bewusstwerden
3. Empfinden
4. Bewussthalten
5. Erkennen
Die ersten 5 Faktoren sind nur mit Hilfe von Meditation einer Beeinflussung zugänglich, d.h. in aller Regel
nicht in der Psychotherapie. Psychotiker haben in diesen Prozessen noch weniger Raum und Freiheit als
andere Menschen. Für sie sind alle Wahrnehmung mit ichbezogener Bedeutung versehen.
Die 5 Faktoren mit bestimmtem Objekt
6. Streben
7. sich ausrichten
8. Vergegenwärtigen
9. stabiles Verweilen
10. Verstehen, Weisheit
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Lhundrup: Bei psychisch Kranken sind all diese Faktoren gestört. Wie arbeitet ihr als Therapeuten mit
ihnen? Wie kommt ein Patienten dahin, sich auf Heilsames auszurichten? Was ist nötig für eine „Umkehr“? Was für Methoden nutzt ihr zur bewussten Ausrichtung auf ein Ziel?
Mutlosigkeit, d.h. fehlendes Vertrauen, eine Verbesserung erreichen zu können, ist ein Problem in der
Therapie (z.B. beim Überwinden von Alkoholabhängigkeit).
Ein Patient kann an jedem Punkt umkehren. Er braucht nicht jedes Mal wieder den ganzen Unheilskreislauf zu durchlaufen, um Kraft und Antrieb zu gewinnen, den Suchttendenzen erneut zu widerstehen.
Das Streben des Patienten muss existenziell und von innen motiviert sein, um zum Ziel zu führen.
Wenn jemand von sich aus in die Therapie kommt, ist das schon ein Hinweis auf eine gewisse Gesundheit.
Lhundrup: Streben (tib.: dünpa) wird im Dharma systematisch geweckt, und auch in der Therapie
geschieht das (z.B. indem man sich bewusst die Nachteile von Alkohol oder Zigaretten vergegenwärtigt). Es ist nötig zu analysieren, welches Streben bzw. welcher Antrieb in die Sucht geführt hatte, dann
zu versuchen, das Streben in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren und das Leben in eine insgesamt
gesündere Richtung lenken.
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Als Methode, um eine Lebensausrichtung zu entwickeln, gibt es in der Therapie die Arbeit mit Zielbildern: „Wie könnte, wenn alles gut läuft, mein Leben in 5 Jahren aussehen?“ „Wie sah mein Leben vor
5 Jahren aus?“ Man kann entsprechende Übungen auch wöchentlich machen. Den Faktor des „Vergegenwärtigens“ können Patienten durch schriftliche Protokolle und Tagesrückblick üben.
Der Faktor „Verstehen, Weisheit“ überschreitet im therapeutischen Kontext nicht das Verstehen auf
konzeptueller Ebene.
Lhundrup: Therapie und Dharmapraxis haben unterschiedliche Ziele: Ein Patient soll sich selbst verstehen, ein Schüler soll Samsara insgesamt verstehen.
Es ist schon viel erreicht, wenn jemand lernt, sich selbst mitsamt seinen Fehlern zu betrachten und zu
akzeptieren.
Lhundrup: Der Tonglen Slogan „Beginne den Austausch mit dir selbst“ bezieht sich ursprünglich
darauf, alles zukünftig reif werdende schlechte Karma anzunehmen. Erst hier im Westen wird er eher
im Sinne des Sich-selbst-Annehmens benutzt.
In der Musiktherapie gibt es Übungen, die Atembewegung mit Musikinstrumenten ausdrücken. Das
führt (nach eventuellen Widerstände) zur Entspannung und in der Entspannung tritt natürliche Konzentration ein. Auch mit Psychotikern ist es möglich, so zu arbeiten.
Oft setzen Patienten diese fünf Geistesfaktoren bzw. Fähigkeiten für nicht heilsame Objekte ein. Auch
ein Bankräuber braucht z.B. Streben, Ausrichtung usw., um sein Vorhaben erfolgreich abzuschließen.
Wie bringen wir Patienten dazu, sich auf Heilsames auszurichten, eine wirkliche innere Umkehr zu
vollziehen und konsequent zu bleiben?
„Verträge“, schädliche Handlungen für einen abgesprochenen Zeitraum zu unterlassen, können ein
Schritt auf dem Weg dahin sein. Z.B. „ich bringe mich heute nicht um“ oder: „Ich trinke heute keinen
Alkohol.“
Eine Methode, um den Geist bewusster von Nicht Heilsamem abzuwenden besteht z.B. darin, Fresssüchtige alles aufschreiben zu lassen, was sie essen. Alkoholiker sollen vor dem Trinken die Vor- und
Nachteile des Trinkens aufschreiben.
Lhundrup: Ich übertrage manchmal meinen eigenen Willen, Durchhaltevermögen, Vision auf den
anderen, indem ich in schwierigen Situationen, wenn der Schüler es nicht mehr kann, weiterhin das
Ziel im Bewusstsein halte. Indem ich so überbrücke, kann ich jemandem über eine Krise hinweg helfen.
Manchmal ist es wichtig zu wagen, sich auf Nähe zum Patienten einzulassen, sich unter Umständen
auch mal umarmen lassen. Wir sollten offen und mutig sein, uns über Konventionen hinweg zu setzen
und, wenn es sinnvoll scheint. Z.B. kann es manchmal helfen, mit jemandem gemeinsam zu meditieren.
Evelyn erzählt ein Beispiel für eine unerwartete positive Entwicklung: eine Patientin hatte eines Tages
eine christliche Vision (gleichzeitig mit mehreren anderen Personen), die ihr seitdem Stärke und innere
Ausrichtung gibt.
Die elf heilsamen Geistesfaktoren, die das Erwachen erleichtern
11. Vertrauen
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Lhundrup: das Vertrauen der Schüler bzw. Patienten ist der wichtigste Faktor, der sie befähigt, den
Weg zu gehen. Oft richten wir unser Vertrauen auf ungeeignete Objekte aus und werden daher enttäuscht.
Wie können wir Vertrauen stärken?
Es gibt im Menschen ein tiefes Bedürfnis und sogar eine Notwendigkeit, anderen zu vertrauen. Geistige oder psychische Krankheit kann mit einem Mangel an Vertrauen (in andere, in sich selbst, in die
eigene Wahrnehmung) zusammenhängen. Das Vertrauen, des Therapeuten (in den Klienten) ermöglicht diesem Vertrauen in sich selbst.
Worauf setzen wir unser Vertrauen: andere Menschen, uns selbst, unsere Gefühle, unsere Neurosen....? Oder auf Mahamudra und den „Dharma der Wahrscheinlichkeit“?
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Lhundrup: Es gibt weltliches Vertrauen, das sich auf Personen und Umstände stützt und spirituelles
Vertrauen, d.h. Vertrauen in die Buddhanatur. Wir werden nur fähig, den Beobachter völlig loszulassen, wenn wir Vertrauen in das Letztendliche haben.
Die Begegnung mit konkreten Menschen ist wichtig, um Vertrauen in den Dharma zu gewinnen, für
mich waren es z.B. Tenga Rinpotsche und Gendün Rinpotsche.
Menschen haben offenbar ein starkes Bedürfnis, jemandem vertrauen zu können.
Wie viel Vertrauen kann ich in mich selbst haben?
Lhundrup: Vertrauen ist die Grundlage für das Loslassen der Kontrolle.
Loslassen der Kontrolle ermöglicht Entspannung.
Was die Frau mit der christlichen Vision angeht, so hatte Evelyn hatte ihr Vertrauen entgegengebracht,
Vertrauen in ihr Ich, in ihre persönliche Kraft. Das hat vielleicht mit dazu beigetragen, dass sie diese
Vision haben konnte. Das Vorbild des Therapeuten ist wichtig für den Patienten.
Wir müssen Vertrauen entwickeln in „das Andere“, darin, dass die „Dualität“, d.h. die Begegnung mit
dem Anderen, zu bewältigen ist und unsere Paranoia loslassen.
Lhundrup: Man kann auch auf die Vergänglichkeit der Emotionen und des Leides vertrauen... „Dualität“ ist nicht nur eine Last, sondern sie kann auch erleichtern. Z.B.: „Glücklicherweise kennt nicht jeder meine Gedanken.“
Objektkonstanz zu entwickeln, d.h. eine Beziehung halten zu können, ist wichtig für den Heilungsprozess von Patienten.
Man erzeugt oft Situationen, wo man Enttäuschungen regelrecht provoziert. Warum?
Patienten, die früher oft enttäuscht wurden, empfinden jede kleine Fehlhandlung des Therapeuten als
Vertrauensbruch.
Lhundrup: Für manche ist Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung ein großes Problem.
Warum ist Konstanz so wichtig für Psychotiker, z.B. der Refrain in der Musik? Wechsel zwischen einerseits Beständigkeit bzw. Vertrautheit und andererseits dem Neuen ist für sie sehr wichtig.
Wir vertrauen gemeinhin unseren Neurosen und gewinnen aus ihnen Sicherheit.
Lhundrup: Das ist sehr einengend. Wir sollten besser Vertrauen in Mahamudra entwickeln.
Menschen mit frühen Persönlichkeitsstörungen haben oft ein Verständnis dafür, dass es nirgendwo
Sicherheit gibt. Aber dieses Verständnis ist von Verzweiflung begleitet.
Ohne die Grundlage einer gewissen Beständigkeit entsteht im musikalischen Selbstausdruck nur Chaos, aber keine Form.
Es sieht also so aus, als sei eine gewisse Beständigkeit Voraussetzung für die Entwicklung gesunden,
normalen geistigen Funktionierens.
Lhundrup: Es ist weise, sich darauf einzustellen, dass nichts verlässlich ist, auch Eltern und Partner
nicht.
Menschen mit frühkindlichen Störungen stellen oft Fragen nach tieferen Werten und nach Meditation.
Lhundrup: Es ist wichtig, „Vertrauen in Wahrscheinlichkeiten“ zu entwickeln.
Es gibt ein Wechselspiel zwischen Aufbauen und Loslassen. Erst wenn ein grundlegendes Vertrauen
in den spirituellen Lehrer da ist, kann man auch Enttäuschungen verdauen und eine klarere, realistischere Sicht von ihm zulassen.
Lhundrup: Vertraue nicht in Menschen, sondern in den Dharma, d.h. in die Gesetzmäßigkeiten wie
die Dinge funktionieren (Vertrauen in Wahrscheinlichkeiten). Man kann den Emotionen der Menschen nicht vertrauen. Vertraue in die Möglichkeit der Buddhaschaft. Völliges Vertrauen in das Vorhandensein der Buddhanatur entsteht jedoch erst, wenn man die Natur des Geistes erkennt.
Meine Kinder sollen Vertrauen in ihre Emotionen entwickeln, sie sich zugestehen und sie ausdrücken.
Lhundrup: Ja, auch in Paarbeziehungen müssen sich die Partner das zugestehen. Ich habe zwar kein
Vertrauen in die Emotionen und daraus resultierenden „Spiele“ anderer, aber ich kann die Menschen
trotzdem lieben und unterstützen. Meine Liebe trübt meine klare Wahrnehmung von ihnen nicht.
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Was ist mit dem Weisheitsaspekt der Emotionen, wie er z.B. bei Trungpa Rinpotsche beschrieben
wird?
– Lhundrup: Die Natur des Samsara ist Nirvana, d.h. die Natur der Emotionen ist Weisheit, aber wir
sind da noch längst nicht auf dieser Stufe!
– In den klassischen Texten wird zwischen verschiedenen Arten von Schülern unterschieden, je nachdem in welche der drei Quellen der Zuflucht sie am meisten Vertrauen haben: in Buddha(schaft), in
den Dharma oder in die Sangha.
– Buddhaschaft ist die einzige wirkliche Zuflucht, während der Dharma nur das Floß ist, das uns ans
andere Ufer trägt. Und die Sangha ist selbst noch nicht am Ziel angekommen. Gendün Rinpotsche
sagte, im Zweifel solle man sich eher auf den Dharma verlassen als auf den Lehrer. Wer auf den
Dharma vertraut, wird weniger aus der Bahn geworfen, wenn er sieht, dass der Lehrer Dinge tut, die
nicht o.k. sind oder zu sein scheinen. Der Schüler darf und muss den Lehrer prüfen (wie auch der
Lehrer den Schüler prüft). Erkennt ihr, welcher Typ ihr seid?
– Gendün Rinpotsche hat mich tief berührt. Ich hatte nicht geglaubt, dass Wesen wie er existieren. Aber
auch die Lodjong Praxis hat mich sofort angesprochen. Als Gendün Rinpotsche starb, erkannte ich
meine emotionalen Übertragungen und sah, dass ich mit der kurzen Zeit, die ich ihn erleben durfte,
zufrieden sein musste.
– In der Partnerschaft sucht jeder seinen eigenen Weg, aber das ist vielleicht nicht stimmig. Gibt es nicht
auch eine Verantwortung, einen Weg gemeinsam zu gehen?
– Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Zusammenleben mit einem Psychotherapeuten kein Teilen existenzieller Werte war.
– Obwohl meine Frau und ich denselben Lehrer haben, sind unsere Wege völlig verschieden und getrennt. Die Verantwortung für die Familie ist eine Dharmapraxis. Diese Sicht hat durch manche Krisen geholfen.
– Lhundrup: Für mich stand die Verbindung zum Dharma eindeutig im Vordergrund, und nicht die zu
Gendün Rinpotsches Person.
– Sherab: Für mich war es ähnlich, aber die Tatsache, dass Gendün Rinpotsche mir in manchen Situationen bewiesen hat, dass er genau wusste, was in mir vorgeht, hat mir tiefes Vertrauen gegeben in seine
Kompetenz, mich zu führen.
– Ich habe eine starke Verbindung zu Thich Nhat Hanh. In der Lehre, nicht nur für den eigenen Nutzen
praktizieren, hat mein inneres Wesen eine Resonanz gefunden und ich fühle mich erfüllt.
12. Faktor: Skrupel haben
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13. Faktor: sich schämen
Beide Faktoren zusammen bilden das „Gewissen“.
Der Wortgebrauch ist nicht sehr eindeutig: „Skrupellosigkeit“ bezeichnet einerseits eine Haltung von
extremer Rücksichtslosigkeit. Man sagt aber auch: „Hab doch keine Skrupel“, d.h.: „sei nicht ängstlich“, wenn jemand Zweifel hat, ob er eine Gehaltserhöhung fordern sollte.
Wofür schämen Menschen sich?
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Scham für Körperlichkeit/ Nacktheit ist in unserer westlichen, christlichen Kultur geläufig. Aber auch
Milarepa musste sich mit ähnlichen gesellschaftlichen Moralvorstellungen gegenüber der Körperlichkeit auseinandersetzen und setzte sie in seinen Belehrungen ab gegen (aufgrund unethischen Verhaltens) berechtigte Schamgefühle.
Wenn man anderen nicht genug hilft, kann man Schuldgefühle haben (verbunden mit dem „Helfersyndrom“).
Man kann sich auch schämen, Opfer eines Gewaltverbrechens, sexuellen Missbrauchs oder einer anderen Demütigung geworden zu sein.
So könnte man unterscheiden zwischen Schamgefühlen, die durch andere suggeriert werden und
Scham, die aus einem selbst heraus entsteht. Welche Art von Scham vorliegt scheint nicht immer sofort offensichtlich zu sein.
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die Patienten besitzen ein inneres Gefühl von Richtig und Falsch, das aber oft mit Über-Ich Strukturen gemischt ist.
– das Gewissen von Straftätern ist oft tief verschüttet. Widerspruch in meiner Arbeit: erst nachdem
Patienten Emotionen (Wut) rauslassen konnten, wurde Reue empfunden. Es besteht eine Gefahr, mit
buddhistischen Lehren das neurotische Gewissen zu verstärken und Befreiung zu verhindern.
– meine Schuldgefühle sind oft diffus und nicht immer auf konkrete Situationen bezogen.
– Schuldgefühle, d.h. Angst und Skrupel, finde ich auch bei meinen Kindern, ganz ohne christliche Erziehung.
– Lhundrup: bei mir stellen sich schon Schuldgefühle ein, wenn ich von Offenheit in Ichbezogenheit
abdrifte. Wenn man ein subtiles Empfinden hat, kann man das wahrnehmen.
– Entsteht umso mehr Scham, je sensibler ich werde?
– In der Psychoanalyse werden Schuld und Angst als Abwehrmechanismen angesehen, die durch Erziehung und kulturelle Prägung entstehen.
– Unangemessene Schamgefühle für Kleinigkeiten (wie z. B. für etwas ungestümes Autofahren) kann
auch Scham sein für die hinter der Handlung liegenden Gefühle und Motivationen – die sichtbare
Handlung ist nur die Spitze des Eisberges.
– Das Gewissen ist nicht von selbst aktiv.
– Lhundrup: Buddha sagte, ohne ein natürliches Gespür von heilsam und nicht heilsam kommen wir
nicht zur Erleuchtung.
– Lhundrup: Indem wir uns mit dem Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) beschäftigen, entwickeln wir unser Gewissen. Wir nehmen die Auswirkungen unserer Handlungen auf andere und auf
uns selbst wahr und entwickeln so unser Gewissen – sonst wäre Gewissen nur Angst vor den Konsequenzen unserer Handlungen. Wenn wir jemandem schaden, erzeugen wir „karmische Schulden“ ihm
gegenüber, aber es sind keine Schulden gegenüber einer höheren Instanz wie „Gott“.
– Lhundrup: Der (im Dharmazusammenhang) heilsame Geistesfaktor Scham hat die Funktion, uns in
einen unbelasteten Zustand zurück zu führen.
14. Nicht-Begehren
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15. Nicht-Hassen
16. Nicht-Verwirrtsein
17. Freudige Ausdauer
Wie setzen wir freudige Ausdauer frei?
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Lhundrup: Wir können uns durch das Kontemplieren der vier grundlegenden Gedanken, durch Zuflucht nehmen und Vergegenwärtigen der Qualitäten der drei Juwelen jederzeit selbst zur Dharmapraxis motivieren. Freudige Ausdauer besteht u.a. darin, sich im Tagesgeschehen immer wieder neu mit
den Drei Juwelen, der Quelle der Inspiration, zu verbinden. Ein Therapeut kann sich dazu z.B. zwischen zwei Gesprächen jedes Mal eine kleine Pause nehmen.
Die Kontinuität einer bewusst heilsamen Einstellung anderen gegenüber ist für manche Menschen
leichter in der beruflichen Situation als im Privatbereich. Wir sollten bei der Arbeit üben, immer natürlicher und authentischer zu werden, denn dann laugt sie uns weniger aus, d.h. sie wird freudvoller.
Freudige Ausdauer bedeutet nicht unbedingt, ständig mit voller Kraft altruistische Aktivität auszuüben, sondern eher, kontinuierlich die anderen Lebewesen im Geist zu halten. Wir müssen uns Entspannungspausen gönnen. Wenn wir uns nicht entspannen können, können wir anderen nicht helfen.
Ich habe geübt, bei der Arbeit mit dem Medizinbuddha in Kontakt zu kommen bzw. zu bleiben, und
daraus entstehen Inspiration und Intuition im Kontakt mit den Patienten.
Meditation hilft mir, mich von meinem Aktionismus zu lösen und von meinem Ehrgeiz, dem Klienten
etwas vermitteln zu wollen. Letzteres ist in der Regel nicht hilfreich, sondern erzeugt im Klienten eher
Widerstände. Ich besinne mich meist erst auf die Meditation, wenn ich mich in einer therapeutischen
Situation hilflos fühle. Mit Hilfe der Meditation bin ich abends weniger erschöpft und die Patienten
sind kreativer.
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Meditation verbessert die Präsenz des Therapeuten und hilft dabei, die Therapiemethoden immer
geschickter einzusetzen.
– Die Gestalttherapie hat den Anspruch, dass der Therapeut sich ganz leer (unvoreingenommen und
offen) machen sollte, und dazu ist Meditation ein gutes Mittel.
Wie erzeuge ich freudige Ausdauer im Patienten?
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Indem man auf die Dharmasichtweise zurückkommt, auf den Nutzen und die Qualitäten des Dharma.
– Wie erzeuge ich im Patienten eine Vision, ohne ihm etwas vom Dharma erzählen zu müssen?
– Lhundrup: Manchmal sage ich jemandem: „Du hast die Chance, ganz gesund zu werden. Es gibt einen
Weg, und den kann ich dir zeigen.“
– Das Therapieziel definieren und präsent halten setzt Motivationskraft frei. Bloß „Müll loswerden“ ist
auf lange Sicht nicht produktiv.
– Die Patienten nehmen oft die Realität (z.B. Vergänglichkeit) nicht sehr ernst und sich selbst auch nicht.
– Eine meiner Patientinnen hatte ein schweres Trauma, weil ihr Vater sie als Kind umzubringen versucht
hatte und, nach einer ausreichend langen Phase der Betrachtung des Problems, riet ich ihr, in ihrer
Umgebung darauf zu achten, wo Lebewesen überall Angst vor dem Tod haben. Das half der Patientin, sich zu öffnen und zu begreifen, dass sie nicht allein mit ihrem Schicksal dasteht.
Zum Aspekt der Freude
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Menschen können manchmal Gutes nicht aushalten und haben die Tendenz, es zu entwerten.
In der Psychotherapie kann der Therapeut durch seine Rolle u.U. eigene Aggression ausleben, indem
er dem Patienten ständig seine Fehler vor Augen führt.
– Der Therapeut hat ja auch einen gesellschaftlichen Auftrag.
– Seit ich außerhalb des therapeutischen Setting mit Leuten arbeite, kann ich locker 2 Stunden mit jemandem zusammensein und man freut sich einfach zusammen.
– Bei für den Patienten wichtigen Anlässen feiere ich auch schon mal mit ihm oder ihr (Kaffe trinken
oder Ähnliches). Wie verhält sich das zur therapeutischen Abstinenz? Was passiert, wenn sich der
strenge formelle Rahmen etwas lockert?
– Wenn die Therapie ins Stocken gerät, probiere ich Verschiedenes aus: mich mehr öffnen, dem Patienten einen „Tritt in den Hintern geben“, abwarten.
– Ich prüfe in solchen Situationen, ob ich in einer Gegenübertragung stecke und wie sich ein näherer
Kontakt zum Patienten zur Gesamtsituation verhält. Aus dieser Klarheit versuche ich zu erkennen,
welches Verhalten hilfreich ist. Lasse ich mich auf das Spiel des Patienten ein oder bleibe ich außerhalb?
18. Faktor: Flexibilität
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Lhundrup: Dieser Geistesfaktor meint nicht die „Flexibilität“, die sich allem anpasst, sondern eine, bei
der Geist und Körper tun, was die Bodhicittamotivation erfordert. Dazu gehören z.B.: meditieren
können solange man möchte, so lange über ein Problem oder eine Frage kontemplieren, bis man die
Lösung hat, sich bewusst entspannen können. Solche Flexibilität basiert auf geistiger Stabilität.
– Flexibilität ist eine Ichfähigkeit. Es ist ganz gut, dass Patienten nicht immer die Fähigkeit besitzen, ihre
Ziele (durch flexibles Verhalten) zu erreichen, denn man weiß nie, was sie damit machen würden.
– Wenn Flexibilität damit einhergeht, dass man Situationen und Menschen immer tiefer versteht, könnte
das darauf hinweisen, dass sie von einer heilsamen Motivation getragen ist.
– „Im Fluss sein“, „Fließfähigkeit“ beschreibt die Einheit von Bewusstheit und Handeln.
– Der Begriff „flow“ ist auch noch eingeschränkt, denn er beinhaltet ein Element von Konzentration
und das ist noch nicht völlige Offenheit.
19. Faktor: Gewissenhaftigkeit bzw. Sorgfalt beim Handeln
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Lhundrup: Indem man während einer Handlung achtsam ist, kann man vermeiden, unbeabsichtigt,
fahrlässig jemandem zu schaden. In unserer Ausübung freudiger Ausdauer müssen wir in diesem Sinne
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achtsam bzw. gewissenhaft sein und dürfen uns nicht von unserem Enthusiasmus wegreißen lassen.
Dieser Geistesfaktor ist das Gegenteil von Impulsivität und Nachlässigkeit.
Wozu ist Impulskontrolle nötig?
In der Musik entsteht ohne sie Chaos, und der Selbstausdruck wird unverständlich.
Woher kommen Impulse?
Im Lauf seiner Entwicklung begreift das Kind seine Getrenntheit von der Umwelt und entwickelt
Verhaltensmuster für den Kontakt mit der Umwelt, die jedoch später oft unangemessen sind.
– Lhundrup: Dieser Geistesfaktor besteht darin, frühere Fehler zu bekennen, Fehler sofort zu korrigieren und dem Entschluss, keine weiteren zu begehen.
– Protokolle und Tagesrückblick sind gute Methoden dafür.
– Könnte die Gefahr bestehen, dass der Patient seine Fähigkeit zur Impulskontrolle für negative Dinge
einsetzt? Als Therapeut kann ich nicht einfach bestimmte Geistesfaktoren stärken, weil ich nicht davon ausgehen kann, dass der Patient eine Bodhicittamotivation hat.
– Das Risiko, dass jemand seine Fähigkeiten missbraucht, besteht überall und ist auch bei Leuten, die
auf dem spirituellen Weg sind, nicht ausgeschlossen.
– Manchmal wird gesagt, Musiktherapie sei unnütz, weil sie den Patienten nicht auf das Funktionieren
und Überleben in der Gesellschaft vorbereite, aber das kann man so nicht sagen. Im Therapeuten begegnet der Patient ja einem Mitglied, einer Facette, der Gesellschaft.
– Als Therapeut muss ich den Auftrag der Gesellschaft auf Heilung/ Anpassung des Patienten annehmen.
– Therapie hat bis heute die Gesellschaft nicht heiler gemacht.
20. Gleichmut
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21. Nicht-Schadenwollen
Nichtheilsame Geistesfaktoren, die das Erwachen erschweren
22. Begierde, Anhaftung
23. Wut, Ärger, Ablehnung
24. Stolz
25. Unwissenheit
27. Zweifel
26. Verkehrte Sichtweisen,
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Dies sind emotionale, verkehrte Anschauungen über Punkte wie: das Selbst, Karma und Wiedergeburt, reell existieren oder nicht existieren.
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Lhundrup: Therapeuten sollten eine der Dharmasicht entsprechende Ausdrucksweise pflegen und
Ausdrücke vermeiden, die in die Kategorie der „verkehrten Sichtweisen“ fallen würden. Anstatt von
der Herausbildung des Ich zu sprechen, wie es die Psychologie tut, können wir in der Dharmaterminologie vom Aufbau der Ich-Illusion sprechen.
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Manchmal geraten wir in der Therapie in eine Sackgasse, weil wir alles, was der Patient erzählt oder tut
mit realistischem Ergreifen wichtig nehmen. Und in anderen Situationen muss man Patienten auf den
Boden der materiellen Wirklichkeit zurückholen.
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Es ist kein Problem, für die Kommunikation mit dem Patienten und für die Theoriebildung unterschiedliche Terminologie zu verwenden.
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Lhundrup: Man könnte herausarbeiten, was „dharmanahe“ Therapeuten wie Rogers und Gendlin
sagen und die Dharmasichtweise daneben stellen.
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was spricht gegen den Begriff des „relativen“ und „höchsten Selbst“, wie sie in der Psychosynthese
verwendet werden?
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Lhundrup: „Gewahrsein“ wäre der richtige Ausdruck, denn das Selbst besteht nur im gegenwärtigen
Augenblick. Man kann differenzieren zwischen Bewusstsein, Bewusstheit und Gewahrsein. Das
„Selbst“ ist der Gewahrseinsstrom mit dem Namen XY.
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Das 7. Bewusstsein ist das relative, emotionale Selbst. Das 8. Bewusstsein ist Namshe (intelligentes,
duales Selbst = höheres Selbst), kann aber auch Yeshe (nonduales ursprüngliches Gewahrsein) sein.
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Es ist nicht die Aufgabe der Therapeuten, die Patienten ins Nicht-Duale zu führen, sondern die der
Dharmalehrer.
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Therapeuten sollten aber darauf achten, dass sie durch ihre Art, die Dinge darzustellen, den Patienten
nicht den Weg zum Nondualen verbauen.
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Es kann nützlich sein, dem Patienten Begriffe wie „höheres Selbst“ anzubieten, wenn er sich damit
besser verstehen kann. Man kann Begriffe im Bewusstsein ihrer Vorläufigkeit verwenden.
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Buddhistische Therapie ist Hinführung zu umfassenderem Gewahrsein – könnte man sie Gewahrseintherapie nennen? Ed sprach von „kontemplativer Therapie“.
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Irgendwann wird es wichtig, sich mit seinem Standpunkt auch öffentlich zu zeigen.
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In der Psychotherapie ist eine Akzentverschiebung nötig, es ist aber nicht unbedingt sinnvoll, eine
„buddhistische Therapie“ zu entwickeln. Darin läge die Gefahr einer noch weiteren Zersplitterung der
Therapieszene.
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Lhundrup: Viele der vorhandenen Methoden sind sehr hilfreich und gut. Was wir Buddhisten tun
können ist, den Therapeuten einen neuen theoretischen Hintergrund zu ihrer Arbeit zu geben.
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Die Methoden werden sich auf dem Dharmahintergrund im Lauf der Zeit
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klären oder abbröckeln.
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Lhundrup: langfristig wird eine zweigleisige Arbeit sinnvoll sein: 1. Sich mit den Ergebnissen der
schon geleisteten Arbeit an ein weites, allgemeines Publikum wenden; 2. Fortführung der Kleingruppenarbeit und Klärung der Konzepte. Der nächste Schritt besteht darin, Leuten mit BodhisattvaMotivation, die therapeutisch arbeiten (wollen), Unterstützung auf ihrem Weg zu geben.
28. Wut
29. Groll
42. mangelndes Vertrauen
30. sich verstellen
43. Faulheit
31. Feindseligkeit
44. Nachlässigkeit
32. Eifersucht
45. Vergesslichkeit
33. Habgier
46. Mangelnde Einsicht
34. Heuchelei
47. abgelenkt sein
35. Unaufrichtigkeit
36. Selbstzufriedenheit
Die vier wechselnden Faktoren
37. Böswilligkeit
48. Bedauern
38. Schamlosigkeit
49. Schlaf
39. Nicht beschämt sein
50. Nachdenken
40. Dumpfheit
51.Analyse
41. Wildheit
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Buddha Shakyamuni zu: Liebende Güte und Mitgefühl in allen Situationen
Das Fernziel einer völlig gesunden inneren Haltung, mit dem unsere therapeutische Arbeit in Einklang
sein sollte, hat der Buddha (MN 21:19-20, Kakacupama Sutta, Das Gleichnis von der Säge) so formuliert:
♦ „Andere mögen euch zur rechten oder zur falschen Zeit ansprechen, sie mögen wahr oder unwahr
sprechen, sanft oder schroff, zum Guten oder zum Schaden, mit einem Geist der Liebe oder des Hasses. Dann solltet ihr euch darin üben: 'Dies wird mich nicht aus der Fassung bringen, ich werde keine
bösen Worte äußern. Freundlich und mitfühlend werde ich bleiben, frei von Abneigung, und diesen
Menschen mit einem Herzen begegnen, das von liebender Güte durchtränkt ist. Frei von Feindseligkeit und Übelwollen werde ich dann, indem ich sie als Ausgangspunkt nehme, die ganze Welt mit liebevollem Gemüt durchdringen, unerschöpflich, erhaben, unermesslich, mit weitem Geist.' So solltet
ihr euch üben. Ihr Bhikkhus, sogar wenn Banditen euch barbarisch Glied für Glied mit einer Doppelgriffsäge in Stücke teilen würden, würde derjenige, der einen verdorbenen Geist ihnen gegenüber entstehen ließe, meine Lehre nicht befolgen.“
Es ist klar, dass zuvor eine Menge innere Arbeit im Akzeptieren der eigenen Schattenseiten zu leisten ist,
damit eine solche Unterweisung nicht zu einem Instrument emotionalen Verdrängens wird...
Buddha Shakyamuni zu: Weisheit entwickeln, das Vermeiden von unweisem Vorgehen
Weisheit entwickeln durch: Beobachten, Muster u. Gesetzmäßigkeiten entdecken, Illusionen durchschauen, Fehler erkennen, Qualitäten nutzen bzw. freilegen
In dem Abschnitt über das Auflösen emotionaler Beeinflussung durch Sehen beschreibt der Buddha, welche Fragestellungen und Annahmen in Sackgassen führen und deswegen auch in der Therapie zu vermeiden sind:
„Auf solche Weise erwägt jemand unweise:
'Gab es mich in der Vergangenheit oder gab es mich nicht?
Was war ich in der Vergangenheit, wie war ich, was bin ich dann geworden?
Wird es mich in der Zukunft geben oder nicht?
Was werde ich in der Zukunft sein, wie werde ich sein und daraufhin werden?'
'Bin ich oder bin ich nicht?
Was bin ich? Wie bin ich?
Wo kam dieses Wesen her? Wo wird es hingehen?'
Wenn jemand auf solche Weise unweise erwägt, entsteht eine von sechs Ansichten in ihm und er verfängt
sich in den Fesseln dieser Ansichten:
'Für mich gibt es ein Selbst,
für mich gibt es kein Selbst,
ich nehme Selbst mit Selbst wahr,
ich nehme Nicht-Selbst mit Selbst wahr,
ich nehme Selbst mit Nicht-Selbst wahr.
Dieses Selbst, das da spricht, fühlt und die Ergebnisse guter und schlechter Taten erfährt ist dauerhaft,
ewig, nicht der Vergänglichkeit unterworfen'."
(MN 2:7-8, Sabbasava Sutta, zusammengefasst von L. Lhundrup)
Austausch über die Lehrer-Schüler und Therapeut-Patient Beziehung
Siehe hierzu die Skripten im Anhang: Alex Berzin in „Freiheit und Unterwerfung“, Theseus Verlag, über:
„Lehrer–Schüler im Vergleich zur Therapeut–Klient Beziehung“ (S.62-78) und „Übertragung und Regression in der Schüler-Mentor Beziehung“ (S.244-256), sowie: Ulla Heist: „Was ist ein transpersonaler Therapeut?“
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Wichtig ist die Authentizität des Dharmalehrers oder Therapeuten. Ihre persönliche Erfahrung mit
dem Dharma fließt ein, aber weniger ihre Persönlichkeit. Dennoch können sie als Beispiel für die Patienten gelegentlich eigene Erfahrungen oder ihr persönliches Erleben schildern.
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Wir sind mit dem Gegenüber im Wesen, d.h. in der Buddhanatur, verbunden, aber in der Persönlichkeit, im Persönlichen abstinent.
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Es braucht eine gewisse Autorität, damit das Setting, d.h. die Rollenverteilung Dharmalehrer-Schüler,
Therapeut-Patient, aufrechterhalten bleibt. Es braucht die Rolle, Funktion und Position eines Dharmalehrers oder Therapeuten, um hilfreich sein zu können.
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... die Beziehung zwischen der Tatsache steht, dass du nie einen richtigen Vater gehabt hast und dem
Wunsch, dass du dich einem Lama hingibst. Das passiert natürlich, auch wenn der Therapeut keine
Vorurteile hat. Das ist in gewisser Weise auch eine interessante Situation und so habe ich das eigentlich auch erlebt, auch wenn sie noch mal so vieles für einen Mont in frage stellt. Da kommen wir nicht
unbedingt drum herum, wenn man sich einem Therapeuten zuwendet, dass selbst die Dinge, die man
schon für selbstverständlich hält oder an die man glaubt..., oder dass du ihm von deinen Meditationserfahrungen erzählst und er sagt dann nicht wie der Lama: „das ist gut – very good, you should do
more“ oder so was, sondern der sagt einem: „wie geht es ihnen damit? Hatten Sie danach wirklich weniger Ängste?“ und dann sagt man, nee, eigentlich nicht. Man kriegt plötzlich andere Bewertungen.
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Nur eine Kleinigkeit. Wenn man sich einlässt auf eine solche Situation, dass es da ganz unterschiedliche Intensitäten von Verpflichtungen gibt, die vom Therapeuten eingefordert werden. Ich denke, ein
analytische Therapie, die über drei bis fünf Jahre hinweg geht, wo man zweimal in der Woche hingeht,
was mit enormen Kosten verbunden ist, aber auch mit einem enormen sich Einlassen, da ist dann
schon eine große Bereitschaft, etwas zu verändern die Voraussetzung. Während es heute ja Formen
gibt, die mehr in Richtung Lebensbegleitung gehen und auf ein spezifisches Problem ausgerichtet
sind, die eine sehr viel geringere Bereitschaft voraussetzen, bei sich selbst zu schauen.
–
Lhundrup: Diese Lebensveränderung, das ist eine Lebensveränderung, die in der Therapie aus dem
Patienten selbst heraus geboren wird durch Unterstützung des Therapeuten. Man könnte auch Therapie machen bei einem Therapeuten mit ganz anderer spiritueller Zugehörigkeit oder Glaubenssystem.
Wir sind ja nicht eigentlich in der Therapie, um dessen Glaubenssystem zu übernehmen. Aber wo sind
da die Grenzen? Wie weit kann man gehen in einer Therapie, wenn ich zum Beispiel bei einem Marxisten in Therapie gehen würde?
–
Also, Beispiel dazu. Vor kurzem rief noch jemand an, ich bin mittlerweile auch so ein bisschen mit
ihm bekannt, dass das so ein Spezialgebiet ist. Wir nennen das ja transpersonale Psychotherapie, die
diese Offenheit für den spirituellen Bereich hat, wo dann teilweise die Methodik auch eingezogen
wird. Da war dann jemand bei einem Kollegen, Uri, in einer anderen Praxis und der Patient wollte so
was, eine Offenheit der religiösen Ausrichtung gegenüber. Uri hat ihm gesagt, er sei Atheist und das
sei gut, wenn er das auch wüsste im Vorfeld. Wenn das Thema wird in den Probesitzungen, wo es
darum geht, wie geht das mit uns beiden, können wir zusammenarbeiten? – wo jeder guckt, da darf
das dann ja auch so sein. Wenn es offengelegt wird, kann er sich ja entscheiden, woanders auch noch
mal eine Probesitzung zu machen.
–
Lhundrup: Dein Freund hatte da Gefühl, dass es ihm dann doch schwer fallen würde, den Bedürfnissen des Patienten zu entsprechen und ihn in diesen Prozessen dann auch zu begleiten.
–
Das ist sehr subtil, es ist sehr schwierig. Manchmal ist das auch, ich habe das gerade auch bei Buddhisten öfter erlebt, dass es erst mal auch ein Stück Sicherheit geben soll, vertraute Familie. Sehr oft wird
dann gesagt, du bist ja eigentlich auch ... , wir sind ja eigentlich Sangha, wo ein bisschen die Autorität
untergraben wird und ich denke, der Uri hat das auch so stark thematisiert, weil das eben für den Patienten vielleicht auch schon Ausdruck seiner Beziehungsgestaltung sein sollte. Das heißt, dass ein Stück
Macht in der Beziehung behält. Es ist legitim, das so anzusprechen.
–
Ich habe noch das dringende Bedürfnis zu sagen, was die Zuflucht angeht, also ich würde den Aspekt
der Verpflichtung nicht so stark betonen. Wenn ich Zuflucht gebe, ist das Einzige was ich erwähne, zu
vermeiden, bewusst jemandem zu schaden. Die Verpflichtung, sich auf den spirituellen Weg einzulassen und ihn zu gehen – in der Zuflucht gibt es einen wichtigen Aspekt, nämlich dass es ein Geschenk
ist. Das ist ein Geschenk, das denjenigen, der Zuflucht nimmt, mit der Möglichkeit der Befreiung verbindet. Wenn dieser Aspekt der Verpflichtung zu stark ist, dann kann es sein, dass das andere gar nicht
mehr gesehen wird. Wenn an erster Stelle die Verpflichtung steht, dann wird er befreiende Aspekt der
Zuflucht dabei erdrückt.
–
Lhundrup: Eine kleine Antwort darauf. Das mit dem Geschenk, es ist schon gut das zu betonen und
es in den Vordergrund zu stellen, aber wir sind verpflichtet, Zuflucht mit ihren neun Verpflichtungen
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zu erklären. In der Reihe der Gelübde, im Vinaya, ist die Zuflucht das erste Gelübde auf dem Weg der
individuellen Befreiung. Es ist ein echtes Gelübde, ein Zufluchtsgelübde. Das Element der Verpflichtung muss zum Ausdruck kommen. Jedenfalls nach Gendün Rinpoche. Ich weiß, dass auch Zuflucht
gegeben wird, einfach so als Segen und dann schauen wir mal später, was passiert. Er kriegt jetzt das
Geschenk. Das sind so die Kompromisse, würde ich sagen, die der Situation entsprechenden Kompromisse. Meine Funktion ist es hier, den eigentlichen Sinn einer voll vollzogenen Zuflucht zu erklären und nicht einer halb vollzogene oder Annäherung an die Zuflucht, die zwar schon eine Zeremonie
hat. Ich erkläre das in den Zufluchtszeremonien auch nicht so, das es total schwer wird, sondern es
geht immer darum Freude freizusetzen. Aber der Aspekt der Verpflichtung des sich Einlassens auf
Buddha Dharma und Sangha ist tatsächlich wichtig, und wir sollten vielleicht eher Menschen auch sagen, warte noch mit der Zuflucht, du kannst sie später nehmen, wenn du bereit bist, dich wirklich
ganz einzulassen. Wir brauchen ihnen die Zuflucht nicht leichter zu machen.
–
Also, es wird ja auch gesagt, wenn man wirklich total Zuflucht nehmen kann, das ist eigentlich Erleuchtung. Also ich denke es gibt Leute die haben eine ganz großen Perfektionismus. Es gibt einige die
denken sehr viel nach, die zögern sehr lange, ehe sie diesen Schritt machen, eben aufgrund der Verpflichtung. Ich finde es ganz wichtig, dass immer dieser Aspekt von Freiwilligkeit, von Wahl herauskommt. Dass du nicht in etwas drinsteckst, wo du dich wie gefangen fühlst.
–
Lhundrup: Ja, das ist unsere neurotische Struktur, dass wir uns selbst bei freiwilligen Entschlüssen
gefangen fühlen, aber Gendün Rinpoche hat tatsächlich betont, wie es im Vinaya auch steht, die Zuflucht kann man gar nicht zurückgeben. Es ist ein Gelübde, was man nicht zurückgeben kann. Mann
kann es nicht weiter befolgen, aber es ist nicht etwas ... Wir hatten hier ja auch die Situation, dass
Menschen ihre Zufluchtshefte zurückschickten mit einem Brief und sagten, ich möchte hiermit meine
Zuflucht zurückgeben. Gendün Rinpoche meinte darauf: „du kannst dem Menschen sagen, es ist in
Ordnung, er soll sich wirklich frei fühlen, aber unter uns, die Zuflucht kann man nicht zurückgeben,
er wir seine Zuflucht behalten.“ Die Zuflucht begleitet ihn. Es ist eine Zuflucht, die im Moment nicht
aktiv ist. Aber indem Moment, wo dieser Mensch die Zuflucht wieder aktiviert, ist wie auch wieder da.
Es ist eigentlich ein echtes bindendes Versprechen und als solches sagt man, bis zum Ende des Lebens
(im Zufluchtsheft) nehme ich Zuflucht zu Buddha, Dharma, Sangha. Im Mahayanazufluchtstext gibt
es dann die Formulierung „bis zur Erleuchtung“. Das kann man auch benutzten, kommt darauf an,
wer vor einem sitzt. Aber es ist ein richtiges Versprechen, aber ein freiwilliges Versprechen. Dann
zwingt einen niemand dazu. Man kann zu den Unterweisungen kommen, um zu hören, ohne zur Zuflucht verpflichtet zu sein.
–
Ich habe beobachtet, es gibt zwei verschiedene Arten von Zufluchtgeben oder von Bodhisattvagelübde, wo ich so große Lehrer gesehen habe, wo ich einfach spüre, wenn da eine Verankerung stattfindet,
ohne dass sich das Bewusstsein darauf schon sehr stark einstellen kann. Aber das kann ein großer
Lehrer. Und dann die andere Art, wo wir dann sehr ausführlich die Bodhisattvagelübde erklärt bekommen haben und sie dann vielleicht zögerlich nehmen, weil wir nicht wissen, wie viel wir wirklich
schon verstanden haben. Das ist dann eine andere Vorraussetzung, wo wir uns wirklich bemühen und
darauf zugehen. Selbst wenn es ein Prozess ist, Zuflucht zunehmen, was man mit jedem Tag wieder
übt und übt, aber man geht darauf zu. Man übernimmt das wirklich, dass man es tut. Das finde ich
auch anders als in der therapeutischen Sitzung. Da gibt es diese starke Band auf etwas hin nicht.
–
Ich wollte zwei Sachen sagen. Eine kleine Bemerkung. Ich denk auch in der Therapie gibt es Vereinbarungen, die trifft, dass man sich von gewissen schädliche Einflüssen soweit es geht, fernhält. Wenn
man an Therapie mit Drogenleuten denkt, muss man auf jeden Fall daran denken, das derjenige sich
von Drogen freihält, soweit es möglich ist. Aber es wird ein Vereinbarung darüber geben, auch wenn
man die nicht jeden Tag in der Woche einhalten kann, die Zielrichtung ist ganz wichtig, von vornherein klarzustellen, es geht um ein Leben ohne Drogen. Ein zweiter Punkt, wo ist(?) eine Therapie eher
hinderlich, wäre für mich zum Beispiel, wenn ich ein Therapie machen möchte bei einer kämpferisch
feministischen Therapeutin, wo meine Gesundung damit verknüpft ist, dass ich denselben kämpferisch feministischen Standpunkt wie sie einnehme. Wenn sie allerdings so offen ist, dass sie auch mein
Weltbild und mein Frauenbild und Menschenbild hören kann und stehen lassen kann und mich darin
unterstützen kann, das nicht so wie ihres kämpferisch feministisch ist, dann könnte auch bei ihr eine
Therapie gut sein und muss nicht kontraproduktiv sein, aber das liegt an ihrer Offenheit, wie sie mit
meinem Bild umgeht.
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–
Lhundrup: Je unterschiedlicher das Menschenbild ist, die Sichtweise des inneren Weges, desto mehr
Toleranz braucht es von beiden Seiten.
–
Aber es würde sich nicht ausschließen, glaube ich. Wenn auf einer anderen Ebene ganz viel Beziehung
da ist, die heilsam wirken kann, dann kann es meinetwegen auch ein ganz verschiedenes Menschenbild
sein.
–
Lhundrup: Ich würde nachher gern noch ein paar mehr Rückmeldungen haben, zum Beispiel ein
buddhistischer Praktizierender landet bei einem christlichen Therapeuten. Wenn wir dazu noch was
sagen.
–
Ich wollte noch kurz was zum Zufluchtnehmen sagen. Für mich war das gut, dass es diesen offenen
Rahmen gab, dass ich sozusagen erst mal provisorisch Zufluchtnehmen konnte, dass ich da so was
hatte, wo ich dann später drauf zurückgreifen konnte, weil ich weiß nicht, ob ich dann in der Situation, wo es dann nötig geworden wäre, dann diesen Schritt gemacht hätte, wenn es gleich mit so einer
Verpflichtung zu tun gehabt hätte. Das wäre für mich zu abschreckend gewesen. Also vielleicht hängt
das wirklich mit der Persönlichkeit zusammen, weil ich mich innerlich auch verpflichtet habe, aber als
es dann dran war, ohne dass diese offizielle Hemmschwelle überwunden werden musste.
–
Ich habe eine Frage an... Du hast vorhin gesagt, dass wenn buddhistische Klienten zu Dir kommen,
dass dabei das Gefühl entsteht, wir sind eh alle gleich usw., dass die Autorität untergraben wird. Ist
denn in der Therapie die Autorität wirklich von Nöten als solche, oder reicht es nicht aus, wenn ein
Hilfesuchender zu jemandem geht, der sich in einem Gebiet gut auskennt und von ihm da angeleitet
werden will? Braucht es da Autorität?
–
Schon. Du musst als Klient ein Stück einlassen auf das was da ist. Es ist eine Frage des Einlassens auf
den therapeutischen Prozess. Das heißt ja auch, gerade wenn du auch in der Tiefe der Persönlichkeit
arbeitest, da gibt es sehr viele Widerstände, genau wie auf dem Dharmaweg auch. Da gibt es viele Widerstände, zu bestimmten Punkten hinzugucken, aber um Heilung herbeizuführen, ist es notwendig,
dass man da hinguckt. Da gibt es einfach, das spürt man ja auch bei dem Thema hier, dass es Schwellenängste gibt, Berührungsängste, und die gibt es natürlich auch in der therapeutische Situation. Da ist
es dann erst mal auch sicherer, dass man zu jemandem geht, der sozusagen das Gleiche macht und das
ist auch erst mal gut. Aber ich habe es eben auch ein paar mal so erlebt, dass es auch dahin führt, dass
die ... Du willst ja, dass da möglichst viel heilsames geschieht und auch ein Fortschritt zu sehen ist und
es ist dann manchmal auch vorgekommen, dass andere Leute einen größeren Fortschritt hatten. Jetzt
noch mal zur Autorität. Es ist nicht Autorität der Person, aber du musst dich sozusagen ein Stück auf
die Beziehung einlassen. Das ist wichtig. Und die Beziehung ist klar definiert, der Therapeut ist Therapeut und du bist Klient. Der Therapeut bleibt mit seiner Person draußen, mit der Seele mit der
Buddhanatur verbunden, aber in der Persönlichkeit abstinent, man macht dann auch keinen privaten
freundschaftlichen Kontakt, da sind auch klare Regeln. Wenn man sich irgendwo spontan trifft, dann
sagt man Hallo, aber es geht nicht, dass man Freunde miteinander ist oder große Gespräche miteinander führt, weil sonst die therapeutische Beziehung nicht mehr miteinander funktioniert. Der eine ist
Therapeut, der andere ist Klient und das hat schon ein gewisses Gefälle. Auf einer bestimmten Ebene
ist man gleich, aber das funktioniert nur, wenn man bereit ist, sich selbst in Frage zu stellen.
–
Muss nicht der Therapeut auch bereit sein, sich selbst in Frage zu stellen in dem Prozess?
–
Muss er auch, stimmt.
–
Ich habe es schon auch erlebt, dass es wichtig ist, also, dass Prozesse in Gang kommen, wenn nicht
dieser Unterschied ist, sondern wenn es wirklich auf gleicher Ebene ist. Dieser Respekt, das ist eigentlich das, was es auf gleicher Ebene bringt, wenn gegenseitiger Respekt da ist. Kompetenz ist eine andere Geschichte.
–
Der Klient kann natürlich die Methodik auch in Frage stellen, aber die Persönlichkeit des Therapeuten
bleibt draußen. Beim Patienten oder Klienten geht es um seine Persönlichkeit.
–
Ist das dasselbe, was Du eben sagtest mit Macht, die eine Frau, die nicht zu dem Atheisten wollte, wo
Du das so interpretiert hast, das ist eine Frage von macht, die sie nicht loslassen wollte oder...
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–
Ja, oder Kontrollbedürfnis. Man könnte sagen, es ist Macht, aber Kontrollbedürfnis ist mehr noch aus
Angst geboren.
–
Ja das war eine Rückmeldung. Ich hatte also mehrfach längere oder kürzere Therapiebeziehungen, und
mir war es immer wichtig, dem Therapeuten oder der Therapeutin gleich zu Anfang schon zu sagen,
ich fühl mich als Buddhist und bin dem buddhistischen Weg verpflichtet und wen ich da kein Verständnis dafür fand, dann habe ich da nicht weitergemacht, weil ich da keine Vertrauensbasis in tieferer Erfahrung, die konnte ich nicht – hier ist mein spirituelles Leben oder so was und da ist mein Privatleben, und das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Mir war es nicht unbedingt wichtig, dass die
Buddhisten sind, da hätte ich sowieso wenig Auswahl gehabt und von einigen zumindest weiß ich,
dass sie ganz bestimmt nicht Buddhisten waren, sondern Christen. Worauf ich allerdings Wert legte
war, dass sie liberale Christen waren, die mir nicht erzählten, wer nicht Christ ist, der kommt sowieso
in die Hölle, da hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht. Ansonsten war mir die spirituelle Ausrichtung des Therapeuten relativ egal, das ist ihre Privatsache. Hauptsache, er oder sie hatte eine Bereitschaft, mich in meinem Weg zu akzeptieren und das fühlte ich häufig.
–
Ich möchte zu dem Thema auch etwas aus eigener Erfahrung beitragen. Ich bin auf Empfehlung
einer guten buddhistischen Freundin, die selber im therapeutischen Sektor arbeitet, zu einem Therapeuten oder Psychiater, ich weiß nicht, was er für einen Titel hat, gegangen und er sieht sich selber als
Christ, nicht mit einem ganz engen persönlichen Gottesbild, das war nicht das Problem, aber es gab
dann gewisse Probleme. Ich will es mal so sagen: Bei den Christen gibt es relativ wenige, die Erfahrung haben mit dem, was man einen persönlichen Mentor nennen könnte, also eine spirituelle Beziehung, wo man sich bereichern lässt, aber auch checken lässt usw. Das wurde dann zu einem gewissen
Problem. Ich hatte dann den Eindruck, dass bei ihm dann so freudsche Kategorien ablaufen, dass die
Suche oder die Bereitschaft, mit einem Lama so eine Beziehung einzugehen, dass das als Suchen nach
einem Vater und Über-Ich und so weiter –Projektionen gesehen wurde, und das eigentlich die Befreiung darin stehen würde, dass ich erkennen würde, dass meine Triebkräfte dahinter eben das Problem
sind, was ich teilweise schon bereit bin, anzuschauen, aber ich habe einfach gemerkt, ihm fehlt der
Umgang mit einer Mentor- oder man kann sagen Lama-Schülerbeziehung. Das hat ihm gefehlt und
das wird vermutlich zu einem Hindernis bei allen, die mit einem Lama arbeiten. Sie begreifen nicht,
dass aus einer Beziehung mit einem Lama viel Inspiration und Segen rüberkommt und all diese Sachen, das können sie nicht mitvollziehen.
–
Ich wollte zur Frage Autorität noch was sagen. Vielleicht gibt es da Unterschiede, je nach Patient. Mir
fällt ein Punkt ein, wo es wirklich eine Autorität braucht, wenn ein Patient sich zwar für eine Therapie
entschieden hat, aber zeitweilig dazu kommt, das ganze sogenannte setting in Frage zu stellen. Dann
glaube ich, braucht es auf jeden Fall die Autorität vom Therapeuten das setting zu halten. Nicht die
Person zu halten, aber dien Rahmen aufrechtzuerhalten, wo dem Patienten die Therapie noch möglich
ist. Meiner Meinung nach braucht es keine persönliche Autorität der Person des Patienten gegenüber.
Ich glaube, da sind die Patienten auch ganz stark unterschiedlich. Wieweit sind sie in der Lage, den
Rahmen zusammen mit dem Therapeuten gemeinschaftlich verantwortlich zu halten und inwieweit
brauchen sie viel, viel Unterstützung vom Therapeuten, dass der Rahmen gehalten wird?
–
Lhundrup: Da ist was gemeinsames mit den Lama/Lehrer-Schülerbeziehungen. Wir brauchen auch
eine gewisse Autorität, da muss auch ein Respekt sein, um den Rahmen der Beziehung, dass es funktionieren kann, aufrechtzuerhalten. Sonst können wir nicht mehr so hilfreich sein, sonst sind wir dann
wirklich nur noch Freunde, wir sind dann nicht mehr die spirituellen Freunde im Sinne von Vorbildern
und Unterrichtenden auf dem Weg. Wir müssen dann wirklich gleich noch zu den verschiedenen
Formen von Dharmalehrern kommen. Gerade die Dharmalehrer, die in eine Funktion kommen, wo
sie um Rat gebeten werden, um Rat für ihre Meditationspraxis, ihre formelle Praxis zum Beispiel und
für Kernentscheidungen im Leben, da braucht es eine gewisse Distanz auch. Da ist es etwas ähnlich,
wie Wolfgang das beschrieben hat, dass wir uns nicht mit all unseren Emotionen, unserer Persönlichkeit in die Beziehung reingeben können, die muss draußenbleiben. Das muss einigermaßen professionell laufen. Erst wenn man sich lange kennt oder länger kennt, oder wenn beide sehr reif sind, dann
kann man andere Situationen leben und da ist es nicht so strikt wie mit Psychotherapeuten. Da kann
man auch in anderen Situationen sehr frei über alles Mögliche sprechen und längere Zeiten auch miteinander verbringen.
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–
Ich sehe einfach, es ist kein Entweder-Oder-Modell. Ich sehe es so, dass zum Beispiel bei einer Anorexiepatientin mit starkem Untergewicht und hoher Gefährdung man mit Autorität arbeiten muss. Es
geht nicht darum zu diskutieren, ob sie jetzt an den Schlauch gehängt wird oder nicht. Es gibt einfach
Situationen, das muss der Arzt in eine Autoritätssituation reingehen, da gibt es eine andere Ausgangslage. Dann gibt es eine – Du sprachst von Liebesbeziehung. Du sagtest, dass Du den Klienten in irgendeiner Form lieben musst, dass das sinnvoll ist. Auch diese Art von Beziehung gibt es. In diesem
Bogen gestalten sich soviel Kräfte, man kann es nicht eindeutig festlegen. Es gibt manchmal eine sehr
äußere Autorität, es gibt manchmal eine fachliche Kompetenz, es gibt manchmal einfach eine Begegnung mit dem Überblick, es gibt so viele Schichten. Also ich weiß nicht, ich könnte nicht sagen, eine
therapeutische Beziehung ist so oder so.
–
Ich möchte noch sagen, dass die Autorität weniger in die Person, sondern mehr in die Beziehungsstruktur und in die Funktion – in die Funktion des Dharmalehrers oder in die Funktion des Therapeuten, dass da mehr die Autorität ist, weniger in die Person. Ich glaube auch, das wollte ich eben noch
sagen, ein guter Therapeut, das ist das Wichtige, dass es ein guter Therapeut ist, das ist egal, welche
Methodik der anwendet, der ist immer beim Anderen. Das ist, glaube ich, ein Hauptkriterium, dann ist
es auch egal, ob er Christ ist, oder... Der ist ja kein Dharmalehrer oder so, der ist kein Priester, der jetzt
in dem Bereich unterrichten soll, sondern der kommt ja wegen einer anderen Sache zu einem und da
muss er halt seinen Beruf gut erlernt haben und gut ausüben können und wenn er dann wirklich beim
anderen ist in der Therapie und sich nicht irgendwie selbst befriedigt in der Therapie – deswegen muss
man ja diese ganzen Lehranalysen machen, dass man den Klienten nicht selbst irgendwo für braucht –
dann geschieht da auch was auf der Persönlichkeitsebene in der Regel. Dann noch einen Satz. Die
Psychosynthese sagt beispielsweise, wir haben nicht den Anspruch, den Patienten zu irgendwas hinzuführen, sondern sozusagen nur das Ureigene in ihm zu wecken und ihn dabei zu begleiten. Wie er sich
dann weiterentwickelt, auch in welcher Religion, das ist, wir würden sagen, lange karmisch angelegt, da
kann man sowieso nichts beeinflussen.
–
Das ist auch eine sehr schöne Formulierung das so auszudrücken. Eigentlich empfinde ich das mit
dem Dharma auch so. Ich bin Dharmapraktizierender und nicht eigentlich Buddhist, weil ich das Gefühl habe, dass es Spiegel des Ureigenen ist, dass es sehr natürlich wird, die buddhistischen Gedankengänge zu verstehen, wenn man in Berührung mit der Wirklichkeit ist. Deshalb würde ich nie jemanden drängen, dass er Buddhist wird, sondern dass er, um vielleicht noch einmal auf die Zuflucht
zurückzukommen, auch dass diese Zuflucht innerlich stattfindet als ein Ausrichten auf die Nondualität, sprich Buddha, auf die Lehren über die Wirklichkeit, sprich Dharma, und auf die, die sich diesem
inneren Weg verpflichten, sprich Sangha. Es ist nicht die rituelle, formelle Ebene, die da das Wichtige
ist. Deswegen ist es nicht wichtig, wie viele Menschen in der Welt Buddhisten sind, sondern es ist
wichtig, wie viel Menschen in der Welt sich auf die höchsten Ebenen des Seins einlassen. Da, denke
ich, ist der Dharma eigentlich nichtreligiös. Es ist nicht eine Religion, die versucht, Mitglieder zu bekommen in so einem engen Sinne von Religion, sondern eine universelle Form, das Leben anzugehen.
Da würde ich mich mit der Definition der Psychosynthese sehr, sehr eins fühlen. Auch als Dharmalehrer habe ich einige Schüler, nicht viele, die sich von mir in ihrem christlichen Weg betreuen lassen.
Es kommt einigen von uns manchmal vor, dass dann einfach Vertrauen da ist und das tun wir mit vollem Respekt für die christlichen Begriffe und sind trotzdem weiterhin Dharmalehrer in der Beziehung.
–
Das würde bedeuten, dass ein Dharmatherapeut nicht unbedingt Buddhist sein muss.
–
Das ist eine gute Frage. Das ist mir heute morgen auch durch den Kopf gegangen. Ich habe mir überlegt, ob man den Begriff „Dharmatherapeut“ denn nun benutzen könnte oder ob es ein Sakrileg ist
oder was weiß ich. Eigentlich ja, oder ... bloß dann werden die Dinge so verschwommen. Das ist das
Problem dabei. Deswegen habe ich in den beiden Briefen, die ich Euch geschickt habe, mit den Gedanken zur Zusatzausbildung, habe ich extra das Wort „buddhistisch“ reingeschrieben, damit der Ursprung und der Bezugsrahmen klar ist. Aber eigentlich bin ich immer noch kein Buddhist. Es ist immer das Dharmapraktizieren, das der Wahrheit entlangspüren, und wenn sich etwas unwahr anfühlt,
dann muss es rausgeworfen werden.
–
Was ist denn ein Buddhist?
–
Buddhismus ist doch ein Begriff, der im 19. Jahrhundert von westlichen Wissenschaftlern erfunden
wurde. Den gab es in buddhistischen Ländern gar nicht. Es gab Dharma, den Dharma praktizieren ...
14
–
Lhundrup: ...nicht nur von den Westlern. Ungefähr 500 Jahre nach Buddha ist der Begriff wohl aufgekommen. In Tibet gab es zum Beispiel nicht nur den Begriff „Nangpa“, die Esoteriker, die auf dem
inneren Weg sind, sondern es gab auch den Begriff „Sangyepa“, die Buddhisten. Das gab es schon
auch. Aber zur Zeit Buddhas gab es nur Dharmapraktizierende. Und das auch noch für lange Zeit
nachher. Aber es ist eben – der Bergriff Buddhist ergibt sich aus der Distanz, wenn man von woanders guckt, und wenn man von Innen guckt, ist man eigentlich nicht ein Buddhist, das würde auch
dem Buddha widersprechen, sondern man ist ein Dharmapraktizierender.
–
Den Weg Buddhas gehen, das ist nicht unbedingt...
–
Lhundrup: Jaja, das ist dann schon besser.
–
Aber ich meine, das ist für mich Buddhist – den Weg Buddhas gehen.
–
Lhundrup: Das wäre eine Definition – den Weg Buddhas gehen.
–
Wobei Buddha gesagt hat, überprüfe immer wieder selbst.
–
Lhundrup: Ja, und nimm nicht mich als Zuflucht, sondern ...
–
Aber das ist ja ein Teil des Weges.
–
Wenn man das dann schon weiß, wenn man Zuflucht nimmt, dann ist es gut, dann braucht man keine
Angst mehr zu haben.
–
Dann braucht man ja nichts machen, wenn man alles ganz genau vorher wissen muss.
–
Was nimmt man als Zuflucht, hat der Buddha gesagt?
–
Lhundrup: Der Buddha hat gesagt, sei dir selbst eine Zuflucht. Sei dir selbst eine Insel, war der genaue
Ausdruck und er hat als erste Zuflucht den Dharma gegeben. Die Zuflucht in den Buddha und die
Zuflucht in die Sangha, das wurde dann später auch gelehrt, auch zu Lebzeiten des Buddha. Es wurde
offenbar schon zu Dharma und Buddha Zuflucht genommen, aber damit meinte er den Zustand des
Erwachens und nicht die Person Buddha Shakyamuni. Sangha, da wird ein bisschen diskutiert, aber es
ist wohl so, dass Zuflucht zur Sangha entweder erst Ende der Lebenszeit des Buddha oder überhaupt
erst unmittelbar nach dem Tod des Buddha wirklich Einzug gehalten hat.
–
Ich wollte noch etwas sagen, Du hast vorhin gesagt und auch Edith zum Thema Autorität, als wenn
das immer nur ein negativer Aspekt wäre. Ich meine, eine therapeutische Beziehung ist eine asymmetrische Beziehung, wo der Therapeut seine Persönlichkeit völlig außen vor lässt. Das hat viele Vorteile.
Es wird besonders in der analytischen Therapie darauf gedrängt, sich möglichst nicht darum zu kümmern, was der privat macht, weil du vielmehr Rücksicht nehmen musst und nicht mehr unbefangen alles erzählen kannst, was dir einfällt. Ich weiß nicht, wie das beim Dharmalehrer ist. Eigentlich ist es ja
so, aus der ursprünglichen freudschen Sicht soll der Therapeut Spiegel sein und wenn ich das richtig
verstanden habe soll der Dharmalehrer die Verschleierungen wiederspiegeln. Wenn man verwickelt ist
in die persönliche Geschichte vom Dharmalehrer, ihn persönlich kennst, mit ihm Kaffee trinkst und
dies und das, dann sagst du, ja, du machst es ja aber auch so, und dann gibst ein Hin und Her, oder?
–
Lhundrup: Der Dharmalehrer bleibt mit seiner Persönlichkeit erst mal außen vor. Er ist Spiegel, aber
ich glaub, im Unterschied zum Therapeuten, redet der Dharmalehrer eindeutig mehr als der Therapeut! Eigentlich kommt der Schüler zu Hören und nicht zum Erzählen. Das ist ein Riesenunterschied!
–
Was mir wichtig ist, dass sich hinter der Autorität die Person nicht versteckt. Das heißt, dass eine Authentizität da ist. Vielleicht ist das auch je nach Therapieform unterschiedlich. Bei einer Analyse ist es
vielleicht anders als bei einer anderen Therapie.
–
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es in der Analytischen Therapie auch eine Entwicklung gibt.
Es gibt sehr heiß geführte Diskussionen darüber, aber auch den Wunsch und die Einsicht in die Notwendigkeit, diese Ursprünglich von Freud vorgeschlagenen Haltung, die Person des Analytikers praktisch wie zu verstecken oder abzuschneiden in vielen Situationen auch eher hemmend für die Therapie
sein kann. Wenn es zu einer unmenschlichen Situation führt oder von Klienten so erfahren wird, dann
ist es natürlich klar, dass das nicht so fördernd ist. Das zeigt, dass es eine sehr große Kunst ist, auch
die menschliche Anwesenheit deutlich zu machen. Ich denke, das gilt auch für den Dharmalehrer. Es
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kann auch sein, dass der Schüler denkt, der versteckt sich irgendwie, der will nichts von sich zeigen
und dann wird es irgendwie auch unheilsam und ich denke, also das ist jetzt nur eine Spekulation von
mir, ich weiß, dass im analytischen Bereich sehr starke Diskussionen darüber gibt, dass da jetzt auch
andere Formen ausprobiert werden und nicht mehr mit Kautsch und herausjagende Persönlichkeiten
in der analytische Szene da eine Änderung schon seit Längerem vornehmen.
–
Ich glaube, was die Dharmalehrer angeht, da gibt es eine große Variation, das sieht man in unserem
Mandala und die Leute suchen sich auch ziemlich aus, mit wem sie zu tun haben wollen. Sie haben die
Wahl bei uns. Da sieht man schon mal eine große Bandbreite. So oder so ist, glaube ich, das Wichtigste Authentizität, dass die Leute spüren, da ist was authentisch. Bei uns im Retreat hat Lama Gendün
an einem gewissen Punkt mal gesagt: Ihr werdet jetzt irgendwann unterrichten: Berichtet von euren
Erfahrungen. Berichtet von dem, was ihr wirklich erfahren habt. Das ist mir eingegangen und das
kann unter Umständen etwas sehr Persönliches sein. Ich kann unter Umständen Beispiele erzählen,
wie es mir gegangen ist und das Feedback ist oft, dass das gerade den Leuten hilft. Da ist jetzt so auf
der Dharmaebene, auf der therapeutischen weiß ich nicht, wie das da auswirken würde. Aber meine
Erfahrung ist da eigentlich, dass da Leute sagen, o.k. du hast das so gemacht, du bist da so herausgekommen, das inspiriert mich jetzt gerade.
–
Lhundrup: Also, wenn ich Dich zusammenfassen darf, die persönliche Erfahrung fließt mit ein, auch
als Beispiel mit konkreten Situationen, aber die Persönlichkeit wird nicht zum Thema.
–
Ganz kurz dazu noch: er sagte, berichtet von euren Erfahrungen, wie euch der Dharma geholfen hat.
–
Alexander Berzin schreibt doch in seinem Buch über die Beziehung Lehrer-Schüler, dass es auch Beziehungen gibt, wo z.B. ein tibetischer Lehrer, ein Rinpoche mit einer westlichen Frau ein Paar ist und
wo die, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, in der Nacht sagen, also in der Partnerschaft gleichgestellt sind, auf einer Ebene leben, und wenn er Belehrungen gibt, ist das ein Lehrer-Schülerverhältnis,
dass das gar kein Problem sein soll, dass das funktioniert anscheinend. Hat hier jemand Erfahrungen,
so z.B. ein Therapeut oder eine Therapeutin den Partner therapiert, oder wo ein Patient ein späterer
Partner geworden ist?
–
Das gilt als Kontraindikation. Da kann man verklagt werden, wenn man sexuelle Kontakte zu Klienten hat.
–
Lhundrup: Das braucht solch eine enorme Reife, das kann funktionieren, wenn das jetzt wirklich ein
hochentwickelter Lehrer ist, aber normalerweise Rat z.B. an die Drublas, die ich betreue, die dann jetzt
Beziehungen eingehen, Du darfst nicht der Lehrer oder die Lehrerin deiner Partnerin oder Deines
Partners sein, du kannst nur Vorbild sein, aber der muss woanders seinen Lehrer suchen. Unter uns
geht das schief, normalerweise. Vorbild ist o.k., das ist man auf natürliche Art und Weise, oder eine
Inspiration, aber nicht belehren. Wir können teilen von dem, was man erfahren und gelernt hat, aber
da muss noch ein anderer Bezugspunkt außerhalb der Beziehung sein.
–
Ich möchte kurz von zwei Sonderfällen einer Therapeutischen Beziehung erzählen. Das eine ist ein
Beispiel von einem norwegischen oder finnischen Musiktherapeuten Der wurde von einem Freund,
auch Musiker, über eine längere Zeit gefragt, der solle mit ihm Therapie machen. Er hat viele andere
Therapeuten gleich in der ersten Sitzung verschlissen, er war ein Rockmusiker, den kein Mensch mehr
ertragen konnte, weil unerträglich nur gespielt hat. Der Therapeut hat sich sehr lange geweigert, mit
ihm überhaupt Kontakt aufzunehmen, geschweige denn Therapie zu machen, obwohl sie alte Freunde
waren. Aber Therapie, nein, schon gar nicht. Die Geschichte war dann sehr, sehr verwickelt, er hat alles wunderbar erzählt. Heraus kam, dass der Therapeut gemerkt hat, dass es nicht eine Weigerung war,
mit dem Patienten zusammenzuarbeiten aus einer Einsicht, es könnte vielleicht nicht hilfreich sein,
sondern dass es die eigene Angst des Therapeuten war, weil der Patient genau den heiklen Punkt in
ihm selbst berührt hat. Der Therapeut hat sich, sobald er das gesehen hat, dann doch auf die Arbeit
mit dem sogenannten Patienten eingelassen und das war für beide Seiten eine wunderbar fruchtbare
Zusammenarbeit. Der Nachsatz vom Therapeuten war, dass er so was nicht allzu oft machen möchte.
Es ist auch so, dass er dann nicht zu vielen Fällen kommt, dass er wirklich nicht viele Leute nehmen
kann, das ist ein Beispiel, wo zwei Leute mit sich zusammen Therapie gemacht haben, aber durchaus
bedenkenswert.
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Ein zweiter Fall, es war keine Therapie, aber ich habe ein Freundin gehabt, die hat eine schwere Psychose durchlebt und es war nie eine Schwierigkeit die aus unserer Beziehung entstanden ist, dass wir
uns einfach in sehr unterschiedlichen Situationen gesehen und begegnet sind. Ich denke man durchaus, wenn es eine tiefe Beziehung ist, verschiedene Rollen zu verschiedenen Zeiten, oder verschiedene
Personen, verschiedene Hilfen zu verschiedenen Zeiten füreinander sein. Das ist eine Freundschaft,
die jetzt seit über fünfundzwanzig Jahren recht tief ist. Das hat mich auch sehr bereichert in verschiedener Hinsicht. Einmal hat es meinen therapeutischen Werdegang bereichert, und in der Freundschaft
war es eine sehr persönliche Bereicherung. Aber ich glaube, so viele Beziehungen in der Art hat man
auch nicht. Das war kein Berufsalltag.
–
Lhundrup: Ausnahmen muss es geben ... ich mache weiter mit dem Text um das abzuschließen.
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Der fünfte Hauptunterschied betrifft den Lehrer oder Therapeuten. Spirituelle Schüler sehen im Mentor ein lebendiges Beispiel für das, was sie selbst erreichen wollen. Ihre Sicht gründet sich darauf, die
guten Qualitäten des Lehrers korrekt zu erkennen, und sie behalten und stärken sie sich während ihrer
gesamten Entwicklung durch die Stufen des Pfades. Klienten mögen in ihrem Therapeuten ein Modell
für emotionale Gesundheit sehen, aber dafür ist es nicht nötig, dass sie die guten Qualitäten des Therapeuten korrekt erkennen. Wie der Therapeut zu werden, ist nicht Ziel der Beziehung. Im Verlauf der
Behandlung führen Therapeuten ihre Klienten über die Projektion von Idealen hinaus.
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Das haben wir, glaube ich, schon recht gut verstanden. Seid Ihr einverstanden so damit?
–
Selbst auf der Ebene des spirituellen Freundes hat dieser spirituelle Freund, Dharmalehrer eine Vorbildfunktion und das auch schon für den Theravada Praktizierenden.
–
Nur ganz kurz, hier steht ja: „Spirituelle Schüler sehen ihn als lebendiges Beispiel für die Qualitäten,
was sie selbst erreichen wollen“ und wenn er dann zum Ende sagt: „Im Lauf der Behandlung führen
Therapeuten den Klienten über ihre Projektion von Idealen hinaus.“ Er meint aber nicht, dass in dem
Beispiel eine Projektion des Ideals enthalten ist?
–
Lhundrup: Nein, er meint wohl, dass es darauf ankommt, die Qualitäten korrekt zu erkennen und
nicht bei einer emotionalen Projektion zu bleiben, die bei einem Therapeuten durchaus stattfinden
kann, aber wenn der Therapeut das merkt, dann holt er ihn aus dieser Projektion heraus. Ich glaube,
ein Dharmalehrer sollte das auch machen, seine Schüler oder wer such immer ihm zuhört, aus der
Projektion herauszuholen, dass man ideal ist und dass man in jeder Hinsicht ein Vorbild ist.
–
Take the best, leave the rest.
–
Lhundrup: Es gibt in der Dharmalehrerbeziehung unterschiedliche Möglichkeiten, wie so eine Beziehung aussehen kann. Da gibt es zunächst die Möglichkeit, dass man zum Dharma kommt und erst mal
einfach Informationen möchte. Und wenn man zu jemandem geht, der solche Informationen gibt,
dann kann man den z.B. einen Buddhismusprofessor oder Buddhismuslehrer nennen. Der lehrt buddhistische Geschichte, Sprache, die Grundlehren Buddhas – der informiert. Das muss gar nicht unbedingt eine persönliche Beziehung sein. Man kann z.B. in Kurse kommen und wieder gehen, man ist
dann bei einem Buddhismuslehrer gewesen. Ober der anderweitig Lama heißt oder wie auch immer,
für uns ist es auf einer ebene von Information, die wir respektvoll aufnehmen und dann selber gucken, was wir damit machen.
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Dann gibt es die Möglichkeit, dass wir zu Dharmaausbildern gehen. Die Dharmaausbilder müssen
dann schon über eigene Erfahrung verfügen, was bei Professoren erst mal nicht so sein muss. Die
können einfach das Wissen vermitteln. Bei Dharmaausbildern meint Alex, das wären welche, die unter
Umständen sogar weniger Kenntnis der Schriften haben, aber die sie müssen zumindest eine solide
Kenntnis des Weges haben, aber sie geben ihre Erklärungen vor allem aufgrund ihres eigenen Verständnisses, ihrer eigenen gewonnen Einsicht und sie unterrichten die praktische Umsetzung des Weges und auch darin finden wir uns als Dharmalehrer manchmal wieder. Man kann von solchen Dharmalehrern dann z.B. lernen, wie man denn Buddhismus im Alltag anwendet.
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Dann gibt es die Meditations- oder Ritualtrainer, laut Berzin. Das sind auch wieder Dharmalehrer,
aber das sind Dharmalehrer, die spezialisiert sind darin, Meditation oder Rituale zu unterrichten. Es
mag sein, dass sie uns nicht mehr als ihre fachliche Kompetenz in diesem Praxisbereich vermitteln
können und so aber sehr hilfreich für uns sind in die Anfangsstufen der Dharmapraxis.
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–
Dann gibt es die Gruppe der spirituellen Mentoren. Spirituelle Mentoren müssen ein gewisses Maß an
stabiler Verwirklichung aufweisen und wirken dann auch als lebendiges Beispiel. Wobei ein solcher spiritueller Mentor zu anderen Zeiten und für andere Menschen durchaus auch Buddhismusprofessor,
Ritualtrainer, Dharmaausbilder sein kann. Aber für mich ist er bereits ein spiritueller Mentor. Ich gehe
eine persönliche Beziehung ein, die eine Begleitung in meiner Praxis beinhaltet, auch ein Ratsuchen,
und wo mir der andere zum lebendigen Vorbild wird.
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Innerhalb dieser spirituellen Mentoren gibt dann die Zufluchts- oder Gelübdemeister. Das ist nämlich
auch wieder eine andere Art von Dharmalehrer. Das sind die, die sich um diese formellen Aspekte der
Übertragung kümmern, die Zuflucht geben, die die Laiengelübde geben, die Bodhisattvagelübde, erst
mal bis dahin. Bei Einweihungen geht es dann noch ein Stück weiter. Natürlich werden diese Lehrer
im Rahmen unserer Begegnung mit ihnen für uns unsere persönlichen Lehrer durch das enge Band
durch die Gelübde. Aber es muss nicht so sein, dass es über diese Gelübdebeziehung hinaus noch ein
weiteres band gibt, wo ich dann mit meinen persönlichen Fragen zu diesem Lehrer gehe. Er bleibt einfach mein Lehrer für die Verpflichtungen, die Gelübde, die ich bei ihm ablege.
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Es ist wichtig, dass wir da unterscheiden, dass wenn wir mit einem Dharmalehrer Kontakt aufnehmen, nicht unbedingt mit allen Aspekten seiner Aktivität Kontakt aufnehmen. Auch ein Lehrer wie
Karmapa oder Shamarpa können in einer bestimmten Situation einfach Buddhismusprofessoren sein,
in einer anderen Situation sind sie für uns Ritualtrainer und in einer anderen Situation sind sie dann
plötzlich das – nicht plötzlich, sondern aufgrund unseres Wunsches – entweder Mahayanameister, indem sie uns in die Bodhisattvagelübde einführen, über Bodhicitta lehren oder tantrische Meister, die
uns Ermächtigungen in die verschiedenen Tantraklassen geben. Wenn sie uns Ermächtigung in die
höchste, die vierte Tantraklasse geben, in die Anuttarayogaklasse, dann werden sie zu sogenannten
Vajrameistern für die, die mit vollem Bewusstsein eine solche Ermächtigung bekommen, im vollen
Bewusstsein auch der Tragweite solcher Ermächtigungen. Das sind verschiedene Formen von Lehrern, wo wir uns sehr im Klaren darüber sein müssen, dass wir nicht unbedingt nur, weil es ein hoher
Rinpoche ist, bei dem wir ein Ermächtigung genommen haben, dass er dann unbedingt unser Vajrameister ist. Es kommt auf die Ermächtigung an, es kommt auch darauf an, mit welcher Haltung wir
diese Ermächtigung genommen haben, und in welcher Tantraklasse sie stattfindet.
–
Ganz unabhängig von diesen verschiedenen Ebenen können wir einen dieser Lehrer unseren Wurzellehrer oder Wurzelguru nennen. Das ist aber eine Frage unseres eigenen Vertrauens. Das braucht nicht
unbedingt jemand sein, der Gelübde gibt. Das braucht nicht jemand zu sein, der Einweihungen gibt.
Er ist einfach der Lehrer, mit dem wir die engste Beziehung haben und der für uns die stärkste Quelle
von Inspiration ist, die stärkste Quelle von Segen. Er oder sie kann in verschieden Situationen verschiedenes für verschieden Schüler sein, aber für uns ist es die Hauptadresse auf unserem spirituellen
Weg. Er braucht nicht Vajrameister zu sein. Es kann für uns andere Vajrameister geben, die in unserem Leben auch eine große Rolle spielen, und trotzdem haben wir jemand anderes, der für uns der
Wurzellama ist.
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Ich habe eine andere Definition von Wurzellama gehört, das ist die Person, die mir die Natur des
Geists zeigt.
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Lhundrup: Richtig. Man kann das eine den vorläufigen Wurzellama nennen und das andere ist dann
der echte Wurzellama, bei dem die Einsicht in die Natur des Geistes geschieht. Der wird dann normalerweise zum echten Wurzellama, aber man durchaus schon vorher einen Wurzellama haben. Aber das
stimmt. Es ist der Lehrer, der uns die Natur des Geistes zeigt, nicht nur zeigt, sondern durch den bei
uns die Erkenntnis entsteht. Das ist eigentlich der Wurzellama, weil wir durch ihn den Weg aus Samsara herausfinden.
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Nun können also die verschieden Stufen nacheinander durchlaufen werden oder zugleich bestehen
und alle diese Beziehungen müssen authentisch sein. Das heißt, jeder Lehrer muss es schaffen, in der
jeweiligen Beziehung klar zu sein. Ein Buddhismusprofessor muss über klares Wissen verfügen. Jemand der ein Dharmaausbilder ist, muss über Erfahrung in der Anwendung des Dharma im Alttag
verfügen. Ein Ritualtrainer muss die Rituale gut kennen und muss Meditation beherrschen, wenn er
Meditation lehrt. Jeder muss auf seiner Ebene kompetent und authentisch sein und es bleibt im
Grunde dem Schüler überlassen, auf welcher Ebene er uns anspricht. Wenn wir Verwirrung aufräumen wollen, sollten wir Schülern helfen, ihre Beziehungen besser zu definieren. Ich habe immer wie-
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der mit Menschen zu tun, die damit große Schwierigkeiten haben, die in mir einen Lama sehen, der ja
Vajrayana unterrichtet und dann fühlt sich das so an wie ein Vajrameister. Dabei ist das sehr weit entfernt davon. Es ist sehr überraschend, dass solche Missverständnisse überhaupt noch auftauchen. Aber das hängt mit dem wenig differenzierten Gebrauch des Wortes Lama zusammen.
–
Mit der Definition von Dharmaausbilder, das wäre doch so was, was wir sonst im Sprachgebrauch
spiritueller Freund nennen.
–
Lhundrup: Ja, wobei der spirituelle Freund ein Mahayanabegriff ist und ist im engeren Sinne der
Kaya-namitra, der uns Bodhicitta lehrt. Im engeren Sinne der Dharmaterminologie ist es das. Aber
wenn wir heute von spiritueller Freund sprechen, ist es oft so, dass wir damit meinen, wie ein Freund
ist das, was ich dir rate oder lehre nicht verpflichtend, und du schaust dann selber, was du damit
machst. Da ist nicht diese Bindung. Und das ist eben auch für den Mahayanalehrer typisch, er lehrt die
Lehre des Bodhicitta, er stellt den Weg dar, aber sein Zugriff auf die Person und ihren Lebensweg ist
nicht wie ein Vajrameister. Obwohl bei den Zenmeistern – normalerweise haben sie diese große Freiheit ihren Schülern gelassen, aber es gab auch Beziehungen, wo sie seh direkt auf das leben ihrer
Schüler eingewirkt haben. Normalerweise wäre die Zen-Lehrer-Schülerbeziehung ein Kayanamitra.
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Wenn Du das jetzt so sagst, Bodhicitta, das würde ja heißen, dass er das absolute und das relative
Bodhicitta lehrt, das heißt, er müsste selber im absoluten Bodhicitta verankert sein und müsste das
auch dem anderen geben können.
–
Meinst du jetzt den Wurzellama?
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Nein, Ausbilder, wir sprachen gerade über das Bodhicitta ...
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Nein, das war ja so definiert, das ist jemand der schon ein eigenes Verständnis hat und den anderen
hilft, dieses Verständnis zu kriegen.
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Lhundrup: Dharmaausbilder, Meditations- und Ritualtrainer ist der Bereich, in dem Drublas sich
normalerweise bewegen und ihre Ausbildung machen und auch wir Lamas bewegen uns in dem Bereich. Nur haben wir zusätzlich die Möglichkeit, als spirituelle Mentoren angefragt zu werden, in dem
Sinne, dass wir eine Verantwortung für den spirituellen Weg von einzelnen Menschen übernehmen,
wirklich da beiseite zu stehen und sie auf dem Weg zu begleiten, was bei Dharmaausbildern, Meditations- und Ritualtrainern in Berzins Definition so nicht der Fall ist. Wir halten das bei uns mit den Begriffen Drubla und Lama ein wenig auseinander.
–
Nach meinem Verständnis geht es da nicht um komplette Erfahrung, sondern um Teilerfahrungen. So
wie ich es verstehe, ist ein Vajrameister derjenige, der komplette Erfahrung hat und alle anderen sind
auf dem Weg und haben mehr oder weniger Erfahrung, sind aber trotzdem hilfreich.
–
Lhundrup: Es ist ja auch so, dass sich Verwirklichung nicht unbedingt in dem zeigt, was man unterrichtet. Man kann ein stabile Verwirklichung haben und trotzdem als Buddhismusprofessor auftreten.
Man darf auch Rituale unterrichten und Schinä-Meditation, ohne eine stabile Verwirklichung der Natur des Geistes zu haben. Man unterrichtet das, was man beherrscht und kann. Natürlich ist es für alles hilfreich, wenn man die Natur des Geistes wirklich verstanden hat. Aber es gibt Kompetenzbereiche, und wenn sich jeder an das hält, was er sicher erfahren hat, entstehen auch keine Missverständnisse. Aber ein Vajrameister, ein tantrischer Meister muss Verwirklichung der Natur des Geistes haben.
Es gibt Wurzellamas, die selber noch nicht verwirklicht waren, die ihre Schüler zur Verwirklichung geführt haben, also den Dharma selbst authentisch gelehrt haben. Darüber gibt es Geschichten.
Verwechseln spiritueller Erfahrungen mit psychischen Zuständen (Diskussionsmitschrift)
Obwohl sie deutlich anders sind als Depersonalisations-Syndrome, Parästhesien, Halluzinationen und
dergleichen, könnten vom Unwissenden gewisse zum spirituellen Weg gehörende Erfahrungen als pathologisch eingestuft werden:
-
Erfahrungen von Nicht-Selbst,
Erschütterung der Selbstsicherheit durch erste Ahnungen der Leerheitsnatur,
energetische Erfahrungen in der Meditation wie Kundalini, Hitze, Kälte, Vibrieren usw.,
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-
Visionen von Meditationsgottheiten,
gefühlsmäßige Identifikation mit allgemeinen Leidzuständen wie Krieg, Hungersnöte...
intensive Gefühle von Vertrauen, Verbundenheit und Hingabe bis hin zur Aufgabe der eigenen
„Selbständigkeit“ gegenüber dem Meditationslehrer.
Ebenso können im Grunde fast alle psycho-pathologischen Zustände spirituell verbrämt und als solche
von anderen missverstanden werden:
-
-
soziale Ängste und Rückzugstendenzen, die als spirituelle Entsagung dargestellt werden, mit Haften an Schweigemeditation, Rückzug von der Welt usw.
Minderwertigkeitskomplexe, die durch Identifikation mit einer Gottheit kompensiert werden oder
durch Identifikation mit einem religiösen System, einem Lehrer oder einer esoterischen Gemeinschaft
wichtigen Entwicklungsaufgaben ausweichen unter Berufung auf ein spirituelles System
Verwechseln von manisch-euphorischen Zuständen mit religiöser Ekstase
Halluzinationen, die als Eingebungen und Visionen gedeutet werden
Der wesentliche Unterschied bei spirituellen Erfahrungen ist in der inneren Ausgeglichenheit und Stabilität zu finden, sowie in einem klaren, flexiblen Geist, der nicht an den Erfahrungen haftet. Auf dem spirituellen Weg kommt es häufig zu Verzerrungen, die nichts mehr mit dem eigentlichen Weg zu tun haben:
-
Stolz – das Gefühl, ich sei besser als die anderen
Schüchternheit, mit Meditation als Flucht aus Angst vor der Welt, vor Beziehungen, Kontakten,
Gruppen etc.
Trennung oder Abspaltung vom eigenen Körper, der als schlecht, fremd erlebt wird, wie auch alle
Körperlichkeit (Sexualität) allgemein, den „Körper geißeln“ – bis ins Pathologische
zu hoher Anspruch, nur universell und menschendienend zu sein, zu rigide mit sich und den anderen, sich perfektionieren wollen, das Über-Ich übernimmt
Psychologie der Sekten: ohne den Zusammenhalt der Gruppe bist du verloren; du kannst nicht
ohne den Bezugsrahmen leben; du musst überzeugen, missionieren
Spiritualität als Konsumobjekt: noch eine Einweihung etc., Flucht davor, sich richtig darauf einzulassen
Gleichgültigkeit der Welt und anderen gegenüber: „Ich bin jenseits von Gut und Böse“, „ich löse
sofort alles in meinem Geist auf“, „alles ist leer“ usw.
Abwehr der neuen Verantwortung, die sich aus dem Weg ergibt, das Leben aus der neuen Einsicht
heraus verändern zu müssen!!
Aufblähen des Ichs oder seiner Teile - narzisstisch oder psychotisch.
Diagnostische Fragen zu vermeintlich spirituellen Erfahrungen
-
was sind spirituelle Erfahrungen und was sind konventionelle psychische Störungen?
In welchen psychischen Mustern sind spirituelle/ transpersonale Erfahrungen eingebettet?
Funktionalität der spirituellen/ transpersonalen Erfahrung:
Ausrichtung auf das soziale Umfeld (Hilferuf, Anerkennung, Gruppendruck?)
spirituelle Bedeutung für die Persönlichkeit: dient die Erfahrung als Kompensationsmechanismus?
liegt eine fehlende Ich-Stärke vor, um die Erfahrung integrieren zu können?
wird die Erfahrung als pathologisch bewertet aufgrund fehlenden Wissens oder negativ reagierendem sozialen Umfeld?
Die Frage nach dem Sinn des Lebens (Diskussionsmitschrift)
-
Innere Unruhe und Unwohlsein führen dazu, dass man sich überhaupt die Sinnfrage stellt; die vorübergehende Beantwortung der Frage ermöglicht uns, weiter zu leben (Überlebensstrategie); es
tritt eine Beruhigung ein.
Was könnten denn, allgemein ausgedrückt, sinngebende Gedanken sein?
-
sich, andere und das Leben Annehmen lernen
eine innere Entwicklung vollziehen
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-
vom Leid zum Glück finden usw.
Lieben lernen, aufgeben, loslassen, springen, schmelzen, Freiheit
was ist mir im Leben wichtig?
klein: ich - groß: TAO, das Unbeschreibbare
Die Sinnfrage stellt sich nur für diejenigen, die:
-
in der Dualität sind
im Leid sind
nicht im Fluss sind
nicht wissen, wie sie auf die Herausforderungen des Lebens antworten können
Die Sinnfrage taucht auf:
-
wenn man in der Pubertät ist,
nicht im Einklang ist
Zeit hat
-
Wer im Sinn ist, sucht nicht mehr.
HAT das Leben einen Sinn oder GEBEN WIR dem Leben einen Sinn ??
Haben unsere Entwicklungslinien einen Sinn oder handelt es sich um einen chaotischen, rein zufälligen Prozess?
Kann ich überhaupt eine Antwort finden?
Oft vollzieht sich unsere Sinngebung, indem wir dem am stärksten inspirierendem Beispiel folgen.
Sinn gibt des Lehrers Wort von jenseits des Geistes.
Das ersehnte Paradies ist da, wo man aufhört zu suchen.
Ziel: Ausstieg aus den Ursache-Wirkungszyklen, aus der Trennung, aus dem Leid, von der Unbewußtheit zur Bewußtheit
Hat Evolution einen Sinn? Macht Evolution Sinn?
-
Schritte der spirituellen Entwicklung (aus der Psychosynthese)
1. Selbst – Höheres Selbst – Wegbewußtsein nicht integriert
2. Selbst – Höheres Selbst 'tropft' in die Persönlichkeit, wir wollen uns aber nicht verändern (Persönlichkeit), es gibt 'innere' und 'äußere' Konflikte, denn wir müssen uns ändern; mehr Schattenseiten kommen nach spirituellen Gipfelerlebnissen – oder erweiterte Bewußtheit 'aufgedeckt!' ins
Bewußtsein.
3. beide gehen in gleiche Richtung, es ist eine Integration erfolgt, aber es sind noch zwei Elemente
4. Synthese, volle Einheit. Selbst/Höheres Selbst ist in der Persönlichkeit zur Blüte gekommen
Das Verändern unserer Werte, Verhaltensweisen und Handlungen ist auf dem Weg von I über II und III
nach IV besonders wichtig
Was sind aus Dharmasicht „starke Emotionen“?
Aus Sicht des Abhidharma haben wir eine Liste von 51-53 Geistesfaktoren (caitta) oder Gestaltungskräften
(samskara): 5 stets vorhandene; 5, die ein Objekt jeweils genauer ergründen; 11, die heilsam sind; 6 grundlegende Geistesgifte oder „Gebrechen“, die für emotionale Verblendung verantwortlich sind; 20 weitere
Faktoren emotionaler Verblendung, die sich aus den Erstgenannten ergeben; sowie 4 veränderliche Faktoren, deren heilsame oder nichtheilsame Qualitäten von ihren wechselnden Objekten abhängen.
„Heilsam“ (kushala) steht hierbei für: den Geist weitend, öffnend, klärend, zu Freude und Befreiung führend. Die heilsamen Geistesfaktoren werden oft unter Mitgefühl und Weisheit zusammengefasst. Dazu
zählen auch die heilsamen Geistesregungen wie Liebe, Freude usw.
„Nichtheilsam“ (akushala) bzw. „Befleckung“, „Gebrechen“ (Skt: klesha, Pali: kilesa) ist, was den Geist verengt, verschleiert, verdunkelt und zu Leid und Verwirrung führt. Nichtheilsame Geistesfaktoren entstehen
alle aus Unwissenheit oder mangelnder Bewusstheit (avidya), deren unmittelbare Erfahrung Angst oder
Enge ist. Aus mangelnder Bewusstheit kommt es zu Anhaften (Begierde) und Abneigung (Hass). In diesen
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dreien werden alle verschleiernden Geistesregungen zusammengefasst. Die grundlegenden verschleiernden Geistesregungen werden auch als Trübungen oder „Ausflüsse“ bezeichnet. Ihr gemeinsames Merkmal
ist das dualistische Haften, das Haften an vermeintlicher Existenz von Subjekt und Objekt.
Es gibt, wie es der Buddha ausdrückte, vier prinzipielle „Ausflüsse“ oder „Strömungen“ (Skt: asrava; Pali:
asava, Tib: zag-pa), die den Daseinskreislauf bedingen: Sinnlichkeit, Begierde (kama), Unwissenheit, mangelnde Bewusstheit (avidya), Festhalten an Anschauungen und Deutungsversuchen (dhitti) und das Verlangen nach Existenz, „Werden“ (bhava). Das Wort „Ausfluss“ beschreibt hierbei das ‚Ausfließen’ des von
diesen vier Strömen aufgewühlten Bewusstseins zu Objekten des Anhaftens. Das Bewusstsein verwickelt
sich in dualistische Projektionen und verliert dabei die Klarheit und Kraft des zeitlosen Gewahrseins. Diese vier Strömungen drängen nach Manifestation durch die Tore des Geistes, der Rede und der körperlichen Handlung. Aus ihnen entstehen die spezifischen Trübungen oder getrübten Emotionen (klesha) des
Herzens/Geistes. Ihr Vorhandensein trübt den Geist und es kommt zu getrübten, d.h. von Dualität geprägten, geistigen, sprachlichen und körperlichen Handlungen. Diese können nichtheilsam aber auch heilsam sein. Alle von Ausflüssen geprägten (Skt: sasrava; Tib: zag-bcas) Geisteszustände und Handlungen sind
der Motor weiterer Wiedergeburten im Daseinskreislauf. Wer in die tiefe Meditation hineinfindet, die völlig ungetrübt von diesen Ausflüssen ist, d.h. frei von dualistischen Projektionen, der ist befreit vom Kreislauf leidvoller Wiedergeburten.
Wenn sich das grundlegende dualistische Haften auf nichtheilsame Objekte ausrichtet, führt es zu emotionaler Verwicklung, den emotionalen Gebrechen. Die unbemerkten Ausflüsse führen zu den und bewussten Kleshas, die ihrerseits Neigungen prägen. Die wiederholte Verwicklung in immer wieder ähnliches
Haften bahnt ähnliches emotionales Verhalten für die Zukunft: emotionale Muster, die immer wieder
ähnliche kleshas (Gebrechen) im Geist entstehen lassen. So bildet sich ein Temperament/Charakter. Und
diese Neigungen setzen sich über den Tod hinaus fort, bestimmen unsere Erfahrungen im Nachtodzustand und das Eintreten in die nächste Existenz.
„Starke Emotionen“ wie Begierde, Hass usw. sind also im buddhistischen Sinne emotionale Gebrechen
oder Trübungen (kleshas), die von entsprechenden Mustern1 (Pali: anusaya, Tib: bag-chags) genährt werden.
Diese Muster entstehen durch die wiederholte Bejahung der Kleshas und verstärken ihrerseits das Auftreten, die Häufigkeit und die Intensität von weiteren Geistestrübungen. Ihre gemeinsame Grundlage ist
mangelnde Bewusstheit (avidya): die Trübung oder das „Ausfließen“ (asrava) des Geistes aufgrund von
dualistischem Haften. Jedes Mal wenn wir in unserer Praxis einem Klesha nicht nachgeben, schwächen wir
das zugrunde liegende Muster und umgekehrt.
Mit dem „Stromeintritt“, dem ersten großen Erwachen, sind wir zum ersten Mal gewahr, was NichtHaften ist, das Nicht-Verweilen in dualistischen Mustern. Das Nicht-Selbst offenbart sich, das zeitlose
Gewahrsein. In diesem ersten Schritt werden grundlegende Unwissenheit und Angst überwunden und
wahre Freude stellt sich ein. Dies ist das in diesem Leben durchaus erreichbare Ziel des Arbeitens mit
unseren Emotionen aus buddhistischer Sicht.
Weiser Umgang mit Emotionen
"Wer eine Fähigkeit kennt und mit ihr vertraut ist, der ist in der Lage, die Ein-flüsse oder Beeinflussungen
(asava, 'Triebe', emotionale Beeinflussungen) nicht entstehen zu lassen, oder, falls sie entstanden sind, sie
zu überwinden – und das ist die Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen und weise mit ihnen
umzugehen (yoniso manaskara)." MN 2:3 (Sabbasava Sutta, Übersetzung von Vimalo Kulbarz)
Vimalo Kulbarz schreibt: Yoniso manaskara wird oft als weise Aufmerksamkeit (oder weises Erwägen) übersetzt. Es bedeutet u. a., Dinge ohne Verzerrung und ohne Projektionen wahrzunehmen, z.B. als leere,
unbeständige, bedingt entstandene Prozesse. Es bedeutet auch, intuitiv zu erkennen, was uns die gegebene
Situation sagen und vermitteln will und was wir daraus lernen oder dabei üben und anwenden können.
Yoniso manaskara bedeutet zudem, sich in einen heilsamen Geisteszustand zu versetzen, d.h. sich von Weisheit und Mitgefühl und von den Wurzeln des Heilsamen leiten zu lassen. Wenn Buddha davon spricht,
diese Eigenschaft oder Fähigkeit zu kennen, dann meinte er damit, aus Erfahrung zu wissen, wie wir am
1 Der Sanskrit-Ausdruck für Muster ist möglicherweise vasanas („Gewohnheitskräfte“, wörtlich: „Düfte“), doch sind damit eigentlich eher heilsame Muster gemeint, welche die heilsamen Kräfte des Herzens stärken, wie das Entwickeln der befreienden
Qualitäten (Paramitas).
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besten mit den Herausforderungen des Lebens umgehen und wie wir weise die Mittel einsetzen, die dazu
führen, dass die heilsamen Dinge zunehmen und die nichtheilsamen Dinge abnehmen.
Zum weisen Erwägen beim Umgang mit emotionalen Beeinflussungen sagt der Buddha:
"Er erwägt weise [und erkennt der Wirklichkeit gemäß (SN 56:1-2)]:
'Dies ist Leid.
Dies ist der Ursprung von Leid.
Dies ist das Aufhören von Leid.
Dies ist der Weg, der zum Aufhören von Leid führt'.
Wer auf solche Art weise erwägt, wird die drei Fesseln des Glaubens an ein Selbst, der Zweifel und des
Anhaftens an Regeln und Ritualen überwinden." (MN 2:11, Sabbasava Sutta, zusammengefasst von L.
Lhundrup).
In einem ganz ähnlichen Zitat geht es weiter: "Solches Erwägen, solches Nachdenken ist mit dem Heil
verbunden, ist das Merkmal authentischer Praktizierender, führt zum Nichts-daran-finden, zur Entreizung,
zur Beruhigung, zum Überblicken, zum vollen Erwachen, zum Nirwana." (SN 67:7-8)
In der Therapie können wir demselben Grundmuster der vier Edlen Wahrheiten folgen:
-
Das Leid offen konstatieren und annehmen,
die Ursachen auf möglichst einfache Weise aufdecken,
die Möglichkeit der Heilung aufzeigen,
den Weg zur Heilung erkennen und gehen.
Eine Sammlung von 131 Aussprüchen des Buddhas zu den vier edlen Wahrheiten findet sich im Saccasamyutta, dem letzten, 56. Kapitel der Gruppierten Sammlung (Samyutta Nikaya). Dort heißt es unter
anderem:
"Wer auch immer, ihr Praktizierenden, einst, künftig oder jetzt als Asket (zurückgezogen Lebender) oder
Brahmane (reiner Laienpraktizierender) der Wirklichkeit gemäß zum vollkommenen Erwachen kam,
kommen wird oder kommt, ein jeder tut es mittels der vier edlen Wahrheiten." SN 56:5-6
"Dies nun, ihr Praktizierenden, ist die edle Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden; Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsinn und Verzweiflung sind Leiden;
vereint zu sein mit Unliebem ist Leiden, getrennt zu sein von Liebem ist Leiden; was man verlangt, nicht
zu erlangen ist Leiden. Kurz gesagt die fünf Faktoren des Ergreifens sind Leiden.
Dies nun, ihr Praktizierenden, ist die edle Wahrheit von der Leidensentwicklung: Es ist dieser Durst, der Wiederdasein säende Durst, der mit den Reizen verbundene Durst, der nie genug bekommt, sich da und dort
ergötzt, der sinnliche Durst, der Daseinsdurst und der Nichtseinsdurst.
Dies nun, ihr Praktizierenden, ist die edle Wahrheit von der Leidensauflösung: Es ist eben dieses Durstes restlose
Entreizung und Auflösung, von ihm zurücktreten, ihn loslassen, sich von ihm lösen, nicht mehr an ihm
haften.
Dies nun, ihr Praktizierenden, ist die edle Wahrheit von dem zur Leidensauflösung führenden Vorgehen: Es ist eben
dieser edle achtfältige Pfad, nämlich 'rechte' Anschauung (d.h. 'umfassende' Anschauung = samadhitti),
rechte Gesinnung (Motivation), rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Wandel (Lebensführung), rechtes
Streben, rechte Achtsamkeit und rechte tiefe Meditation (Einigung des Geistes)." (SN 56:11, Dhammachakraparivana-Sutta, das Sutra vom In-Bewegung-setzen des Dharmarades, erste Lehrrede des Buddha an
die fünf Asketen im Gazellenpark von Benares).
"Wer das Leid, sein Entstehen, seine Auflösung und den Weg zur Auflösung des Leides nicht kennt, ist
unwissend (avijja, avidya = nicht sehend und deshalb nicht wissend)." (SN 56:17-18)
Unwissenheit wird auch als das Nicht-Sehen von Vergänglichkeit, Leid und Nicht-Selbst oder als das
Nicht-Sehen der karmischen Zusammenhänge (relative Ebene) und der Leerheit (absolute Ebene) definiert.
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Verschiedene Möglichkeiten mit Emotionen zu arbeiten
Der Buddha beschreibt im selben Sutra (MN 2:4-21, Sabbasava Sutta) weiter, dass emotionale Beeinflussungen auf verschiedene Art zu überwinden sind:
"durch Sehen (Einsicht in die wahre Natur),
durch (äußere und innere) Kontrolle,
durch (nüchternen, sachgemäßen) Gebrauch (von Objekten),
durch Geduld (in Schwierigkeiten),
durch Vermeiden (von gefährlichen Situationen),
durch Entfernen/Überwinden (von Emotionen durch das Anwenden von Gegenmitteln),
durch Entfalten (von Achtsamkeit, Wirklichkeitsergründung, Energie, Freude, Stille, Konzentration
und Gleichmut)."
-
In MN 20, dem Vitakkasanthana Sutta über das Beruhigen störender Gedanken, gibt Shakyamuni fünf
Methoden an:
"Wenn einem, der sich in Geistesschulung übt, bei irgendeiner Vorstellung nichtheilsame Gedanken zu
schaffen machen, seien es Gedanken des Begehrens, der Abneigung oder der Verblendung, dann sollte er
versuchen, diese Gedanken aufzulösen,
indem er die Aufmerksamkeit auf eine heilsame Vorstellung richtet, so wie man einen groben Pflock
mit einem Pflock heraustreiben kann,
oder indem er die Gefahr, die nichtheilsamen Folgen dieser Gedanken in Betracht zieht, so wie wenn
man sich bewusst wird, dass man eine Schlange um den Hals trägt,
oder indem er versucht, die Gedanken zu vergessen und nicht zu beachten, so wie jemand, der die
Augen schließt oder wegblickt,
oder indem er bewusst stufenweise die Gedankentätigkeit beruhigt und loslässt, so wie jemand, der
aus schnellem Schritt langsamer geht, dann stehen bleibt, sich hinsetzt und schließlich hinlegt,
oder indem er die Gedanken mit der ganzen Kraft seines Herzens niederwirft (z.B. durch konsequentes Etikettieren oder die Anwendung von mantra-ähnlichen Meditationsworten), so wie ein starker Mann
einen schwächeren zu Boden zwingt.
Mit dem Überwinden dieser Gedanken wird sein Geist innerlich gefestigt, beruhigt, zur Einheit gebracht
und konzentriert. Welchen Gedanken er auch immer denken will, den wird er denken, und welchen Gedanken er auch immer nicht denken will, den wird er nicht denken. Er hat Begehren abgeschnitten und
mit der vollständigen Durchdringung des Ichdünkels hat er dem Leid ein Ende bereitet."
Sariputta sagt im Anangana Sutta (MN 5:5, Ohne Makel) "Angenommen jemand würde auf dem Markt
eine alte, schmutzige Messingschale kaufen, sie putzen, gebrauchen und nicht in irgendeiner Ecke verstauben lassen. So würde sie blank und rein werden. Genauso wird jemand, der sich seiner Makel, d.h. seiner
nichtheilsamen Neigungen und Verhaltensmuster bewusst ist, an ihnen arbeiten können; er wird sich anstrengen und Energie einsetzen, um sie zu überwinden und wird schließlich, befreit von Gier, Hass und
Verblendung, lauteren Herzens sterben."
Interessen, Fragen und Themenvorschläge für spätere Jahre
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Thema Autonomie und Abhängigkeit, Abhängigkeit von Autoritäten und Loslösung
Vertiefen des Gehörten in die praktische Arbeit (z.B. Fallarbeit, Hinterfragen von therapeutischen
Interventionen)
was ist das buddhistische Menschenbild?
was ist Heilung?
die Rolle von Bindung
Vermittlung praktischer spiritueller Hinweise/Anleitungen für Patienten, Anwendung buddhistischer
Inhalte in der therapeutischen Praxis und Austausch unter den buddhistischen Therapeuten
Dharmaunterweisungen für Therapeuten
erlebnisorientierte Übungen aus verschiedenen buddhistischen Schulen
Intervision mit Fallvorstellung unter Beteiligung von Dharmalehrern
Welche Auswirkungen hat die Desillusionierung durch Dharmapraxis auf den Einzelnen, wie geht er
damit um?
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Wie geht man auf der Basis des Bodhisattva-Weges verantwortlich und heilsam mit Macht und
Machtpositionen um? Wie drückt sich da die buddhistische Grundhaltung aus? Machtstrukturen in
kleinen bzw. größeren Gruppen... Institutionen, Führungspersonen, Gelehrte bzw. Lehrer haben
Macht...
Präzision und exakte Grenzziehung bei Begriffen aus Psychotherapie und Dharma, die ähnlich klingen
lokale Supervisionsgruppe mit Therapeuten, Arzt und Dharma-Lehrern
Fallbeispiele: Wie würde ein Dharma-Lehrer mit der Situation umgehen?
zum Vorgehen: an jedem Punkt so lange bleiben, bis er klar ist...
Gibt es Unterschiede bei den Fragen, die den Dharmalehrern und den Therapeuten gestellt werden?
In wieweit sind Dharma und Therapie miteinander verbunden? Wie weit kann ein Therapeut in Richtung Dharma gehen? Wie weit kann ein Dharmalehrer in Richtung Therapie gehen? Was macht ein
Therapeut mit Klienten, die einen Zugang zur Meditation haben wollen? Was macht ein Dharmalehrer mit Schülern, die eine Paarberatung haben wollen?
Umgang mit Angst
Umgang mit Schmerzen.
Umgang mit Schuldgefühlen
Die Abgrenzungsproblematik: Abgrenzung des Therapeuten vom Klienten aber auch des DharmaLehrers vom Schüler. Was ist geschickt und hilfreich, was nicht? Körperkontakt?
neuere Ergebnisse der Meditationsforschung: neurologische Modelle, die Meditationserfahrungen
erklären
Verlaufsprotokolle der eigenen Therapien hinsichtlich der Wahrnehmung der Dharma-Elemente und
ihrer Wirkung
Verlaufsprotokolle der Dharmapraxis bei Paaren (selbst, Klienten) in Hinblick auf eine mögliche Gefährdung des Paar-/Familiensystems
Diagnostik psychischer Störungen bei Dharmapraktizierenden durch Dharmalehrer; Supervisionsgruppen?
die Entwicklung der therapeutischen Persönlichkeit mit Bodhicitta als Basis von therapeutischer Arbeit
die Bedeutung der Ethik in der Psychotherapie; selbst Vorbild sein
Transparenz des eigenen Weges für andere? Sollten Therapeuten Klienten von ihrem eigenen buddhistischen Weg wissen lassen?
Vertiefen unseres Verständnisses von Karma, kollektives Karma, Reinigen von Karma, die „Schuldfrage“ und Verantwortung
Vertiefen unseres Verständnisses der „vier Grundlagen der Achtsamkeit“
Empathie, Liebe und Mitgefühl, Maitri-Karuna oder wichtige Merksprüche aus Lodjong
Auch könnten wir versuchen, unsere Begriffswahl (Terminologie) mit dem Dharma und miteinander abzustimmen. Wissenschaftssprache muss exakt sein und Missverständnisse vermeiden helfen. Es wäre gut,
wenn sie in Übereinstimmung mit der letztendlichen Wahrheit gebracht werden könnte und dann ihren
Ausdruck in einer immer noch korrekten aber vielleicht einfacheren Umgangs- oder Patientensprache
findet, die möglichst keinen Vorschub für Missverständnisse leistet.
Wichtig ist, bei Therapien immer auf den Prozesscharakter von Sein hinzu weisen. Es gibt nur "Einzelaufnahmen" – die größte permanent laufende Projektion bzw. Übertragung ist die permanente Rekonstruktion einer vermeintlichen Wirklichkeit auf Grundlage des bereits Erlebten und Erinnerten. Hier sollten wir von "konventionellem Ich" reden mit dem Hinweis, dass es kein "letztendliches Ich" gibt.
An den Begriffen, die wir wählen, merken wir, was unsere Sichtweise ist: Können wir z.B. von Dharmalehrern und Dharmatherapeuten sprechen? Dürfen wir und möchten wir mit solchen Begriffen die Lehrer
und Therapeuten auf eine auch begrifflich ebenbürtige Stufe stellen? Sind Dharmatherapeuten notwendigerweise Buddhisten? Was wäre der Unterschied zwischen einer „buddhistischen Zusatzausbildung für
Therapeuten“ und einer „Zusatzausbildung für buddhistische Therapeuten“?
Systemische Therapie
Familienstellen nach Hellinger, zur Person Hellingers, Kritische Auseinandersetzung mit dieser
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therapeutischen Arbeit, vor dem Hintergrund von Prozeßcharakter von Sein, christl. Terminologie, Sippenbewußtsein - Karma und Reinkarnationsmodell. Machtmißbrauch, Karmische Wirkungen, wenn man
sich als Repräsentant in ein anderes System stellt. Schnelle Wirkung der Methodik, Familienaufstellung,
wie ist die Methode einzuschätzen.
Theoretische Modelle der Familienaufstellung im Vergleich zu buddhistischen Modellen
Worauf ist beim Familienstellen aus buddhistischer Perspektive zu achten, oder wo ist Kritik angebracht?
Besonders beachtet werden sollte die Verwendung von bestimmten Begriffen
wie "Seele", "Sippengewissen" oder "Schicksal". Hier können dualistische Konzeptionen von Realität
noch verstärkt werden. Wann werden diese Begriffe als "Therapiesprache" verwandt (- im Sinne. wir schaffen jetzt eine heilsame Geschichte) und wann sollte man sie auflösen und auf den
"Prozeßcharakter" hinweisen? Hellinger redet vom Schicksal, im Buddhadharma wird von karmischen
Abhängigkeiten und Verstrickungen geredet. In wie weit liegt ein non-duales Wirklichkeitsverständnis
beim "Leiter" vor. Was ist gemeint, wenn man dem "Prozeß oder der Bewegung oder der Energie" folgt.
Was ist der innere offene Raum? Gehen diese Beschreibungen des Therapieprozesses in Richtung von
Non-Dualität oder sind es mehr energetische, feinstoffliche, intuitive Wahrnehmungen? - Letzteres
scheint der Fall zu sein.
Haltung des Therapeuten: Bescheidenheit und Offenheit behalten. Therapeuten maßen sich mit dem Familienstellen oft an, „Schicksal“ zu spielen, oder objektive Zusammenhänge erkannt zu haben. Doch nur
ein Buddha kann sehen, was für karmische Verbindungen bestehen, was tatsächlich ist. Die Aufstellung ist
nicht die Realität, sondern ein Bild. Der Therapeut sollte nicht Schicksal spielen, sondern begleiten bei der
Annahme dessen, was ist, beobachten und Vertrauen stärken, und die heilsamen Geistesfaktoren stärken.
Sich auch mehr daran orientieren, was die gestellten Stellvertreter sagen, als beim eigenen Eindruck bleiben.
In wie weit ist Hellinger mit seiner Arbeit in das "Christl. Feld", eingebettet? a) systemisch b) über seine
Biographie als "Missionspfarrer c) archetypisch d) "Ahnenreihe- Übertragung" e) "Sippenväter" - im Sinne
von Moses f) christl. Wertesystem Können ich-schwache Repräsentanten besetzt werden durch die gestellten "Seelen" der Verstorbenen? Wie ist eine buddhist. Perspektive für das Stellen von "Verstorbenen"?
Diese sind ja voraussichtlich schon längst wieder inkarniert. Wird hier nicht nur mit "einer Spur im
Schnee" gearbeitet, sprich mit einem Bild, dann bitte andere Terminologie.
Wird nicht zu positiv mit Suizid umgegangen? Aus buddhistische Perspektive sehr negative karmische
Konsequenzen.
Die Heilungsversuche auf "Länderebene", sprich auf "Kollektiv-Karma"- Ebene sind kritisch zu sehen.
Zitat von Lama Taschi Öser:
„Dharma ist knochenhart und butterweich – halt etwas für gesunde Leute!“
Zweiter Teil: Materialien zu „Dharma und Psychotherapie“
Anhang 1: Chancen und Gefahren spiritueller Lehrer-Schüler Beziehungen (A. Berzin)
Teilzusammenfassung des Buches von Alex Berzin: „Zwischen Freiheit und Unterwerfung“
Der erste Kontakt zwischen westlichen Suchenden und tibetischen spirituellen Lehrern
Als seine Heiligkeit, der Vierzehnte Dalai Lama und etwa einhunderttausend seiner Anhänger im Jahre
1959 nach Indien ins Exil gingen, eröffneten sich für die Menschen des Westens mehr Möglichkeiten, den
authentischen tibetisch-buddhistischen Lehrerinnen und Lehrern zu begegnen. Die erste Gruppe ausländischen Suchender waren größtenteils junge spirituelle Abenteurer, die, von romantischen Idealen inspiriert, in den späten sechziger Jahren, nach Indien und Nepal reisten. Es gab damals nur wenige fähige
Übersetzer und kaum verlässliche Bücher; so musste vieles unverständlich bleiben. Aber der damals unkomplizierte Zugang zur älteren Generation tibetischer Meister, einschließlich des Dalai Lama, seiner Tutoren und den wesentlichen Vertretern der vier tibetischen Traditionen, machte diesen Mangel mehr als
wett.
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Tief bewegt von ihren ersten Eindrücken begannen viele junge Westler, Beziehungen zu diesen spirituellen Lehrern aufzubauen und den tibetischen Buddhismus zu studieren und zu praktizieren. Da sie auf
keine vergleichbaren Erfahrungen zurückgreifen konnten, formten sie ihre Beziehung zu diesen Lehrern
meist nach dem Vorbild tibetischer Schüler und ihrer Mentoren. Manche gingen sogar so weit, tibetische
Kleidung zu tragen. Sie hofften auf eine alternative „Shangri-la Kultur“.
Die meisten jungen Westlerinnen und Westler aus der Generation der Studentenbewegung in den sechziger Jahren hatten kaum Respekt vor den älteren Menschen ihres eigenen Kulturkreises. Unfähig die Härten zu verstehen, die ihre Eltern im und nach dem zweiten Weltkrieg durchgemacht hatten, empfanden sie
ihre eigene ältere Generation als materialistisch und emotional verklemmt. Sie waren auf der Suche nach
Offenheit und bedingungsloser Liebe. Ihre linkischen Experimente mit freier Liebe beseitigten jedoch
nicht ihre zugrundeliegende Anspannung und Entfremdung. Auf der anderen Seite war die natürliche
Wärme und Akzeptanz, die von ihren tibetischen Meistern ausging, offensichtlich. Die Echtheit der Erfahrungen dieser Lehrer war offensichtlich, selbst wenn die spirituelle Praxis, die hinter diesen Fähigkeiten
steckte, unverständlich blieb. Hier waren endlich Menschen, die es wert waren, respektiert zu werden –
und das hatten sie verzweifelt gesucht, wenn vielleicht auch nur unbewusst. Mit Freude und Begeisterung
warfen sie sich diesen Meistern zu Füßen.
Dharmazentren im Westen
In der Folge entstanden auch westliche Dharmazentren, und ab Mitte der siebziger Jahre kamen viele
tibetische Lehrer in den Westen. In Tibet wütete die chinesische Kulturrevolution und ruinierte, was von
der 1959 begonnene Zerstörung der Klöster noch übriggeblieben war. Viele tibetische Flüchtlinge waren
Zeugen des indischen Grenzkampfes mit China 1962 und der Kriege mit Pakistan in den Jahren 1965 und
1971. Indische Autoritäten, unfähig die Millionen von Flüchtlingen aus Bangladesh, zu unterstützen, wie
zunächst versprochen war, wiesen die Vertriebenen aus ihrem Land und die Tibeter fürchteten ein ähnliches Schicksal. Auch in Nepal, Sikkim und Bhutan gab es Spannungen, so dass die tibetischen Flüchtlinge
allen Grund hatten, nach sicheren Häfen für den Notfall zu suchen.
Einige ältere tibetische Lehrer waren bereits Ende der 50iger und Anfang der 60iger Jahre gen Westen
gezogen. Sie lehrten nicht besonders viel, und wenn, dann hauptsächlich an Universitäten. Einige jüngere
Tibeter gingen dann Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre aber auch in den Westen, um eine
moderne Erziehung zu erhalten. Mitte der siebziger Jahre, als Reaktion auf den wachsenden Durst nach
spiritueller Führung, begannen diese jungen Tibeter, den Buddhismus zu unterrichten. Einige von ihnen
setzten dabei nicht-traditionelle, angepasste Methoden ein und luden ihre eigenen Lehrer aus Indien und
Nepal ein, durch den Westen zu reisen, um dort die Studenten zu inspirieren.
Diese großen tibetischen Meister, gaben zunächst meist mit komplexen Ritualen verbundene tantrische
Einweihungen. Tantra ist eine fortgeschrittene Form der Meditation, bei der Buddhafiguren visualisiert
werden. Es ging ihnen darum, Samen für positives Potential (Verdienst) im Geist der Teilnehmer zu säen,
die ihre spirituelle Führung suchten, damit diese in späteren Leben die Früchte dieses Potentials ernten
würden. Tibeter an solchen Zeremonien aus genau diesem Grunde teil. Die Meister wussten nicht, dass
die meisten Westler nur wenige oder gar keine Gedanken darauf verwendeten, ihre zukünftigen Leben zu
verbessern. Die meisten kamen einfach aus Neugier, um ihre Phantasien vom geheimnisvollen Osten auszuleben, oder um Wunderheilung für ihre Probleme zu finden. Da es so gut wie keine Übersetzungen oder
Erklärungen der Vorgänge gab, wuchsen die Vorstellungen der Westler in den Himmel. Die exotische
Pracht der Rituale verzauberte viele, und tibetischer Buddhismus wurde sozusagen zum “letzten Schrei”.
Als Reaktion auf das Interesse der Westler und die wachsende Unsicherheit in Indien und den umliegenden Ländern, dachten viele tibetische Lehrer beider Generationen darüber nach, eine Basis im Westen
aufzubauen. Fast jeder, der in den Westen kam, gründete sein eigenes Studien- und Meditationszentrum,
meistens als Dharma Zentrum bezeichnet – Dharma bedeutet Buddhas Lehren. So etwas hatte es im
Buddhismus noch nie zuvor gegeben. Bislang hatten Lehrer, die in Länder reisten, für die der Buddhismus
neu war, hatten immer nur Klöster errichtet, aber keine Meditations- und Studienzentren für Laien.
Einige der dynamischeren Lehrer zogen jedoch das Interesse verschiedener Gruppen in mehreren Städten
und Ländern auf sich. Um deren wachsende spirituelle Sehnsucht nachkommen zu können, luden einige
von ihnen andere Lehrer - bekannt als Geshes oder Lamas - aus den tibetischen Gemeinden in den Ländern des Himalaja ein, um in den Zentren zu lehren und zu leben. Die meisten dieser jungen Lehrer wären
in Tibet oder unter ihren Landsleuten im Exil unbemerkt geblieben. Die Situation, die sie im Westen vor-
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fanden, brachte sie jedoch in Positionen, die in buddhistischen Gemeinden normalerweise nur solchen
Personen zusteht, die bereits über hoch entwickelte Fähigkeiten verfügen.
Man muss auch wissen, dass die obersten Lamas und Äbte im tibetischen Buddhismus nicht direkt als
Supervisoren für die ihnen Anvertrauten sind fungieren. Sie übernehmen vor allem den Vorsitz über Zeremonien zu übernehmen und, falls im klösterlich Rahmen tätig, Nonnen und Mönche zu ordinieren. Im
Westen jedoch, isoliert von ihren Altersgenossen und Lehrern, ohne Ausgleich und Überprüfung, verhielten sich viele junge Lehrer so, wie es im vorkommunistischen Tibet üblich war: Sie übernahmen die Rolle
des wohlwollenden Herrn eines spirituellen Lehensgutes, den man mit treuer Hingabe unterhalten und
bedienen muss.
Westliche Studenten, die von Indien und Nepal zurückkehrten, förderten diese Lehrerphantasien, indem
sie das Verhalten, das sie an tibetischen Schülern gegenüber ihren höchsten Meistern beobachtet hatten,
imitierten. Oberflächlich erklärte traditionelle Lehren bezüglich der “Guru-Hingabe” und der extrem fortgeschrittenen Praxis des “Sehens des Lehrers als einen Buddha”, führte zu weiterer Konfusion.
Weitere Missverständnisse
Die meisten tibetischen Lehrer hatten wenig oder gar keine Information über die grundlegenden Glaubensvorstellungen in der westlichen Kultur als sie in den Westen kamen. Sie nahmen selbstverständlich an,
dass die Menschen hier die meisten, wenn nicht sogar alle tibetischen Annahmen, wie zum Beispiel die
Existenz der Wiedergeburt ohne jeglichen Anfang, teilen. Auch waren die meisten dieser Lehrer nicht über
die große Vielfalt von Kulturen und Sitten, auf die sie treffen würden, informiert. Für einen großen Teil
der Tibeter waren alle Westler Injiis – das tibetische Wort für Engländer – und teilen, so ihre Meinung, den
gleichen kulturellen Hintergrund. Man darf sagen, dass das durchschnittliche Bild eines Tibeters über die
Vielfalt westlicher Länder und Sitten ungefähr genauso vage und konfus ist, wie das der Westler über die
reiche Vielfalt asiatischer Gesellschaften.
Die paar abenteuerlustigen Westler, die die Lehrer in Indien oder Nepal antrafen, waren zudem sicher
nicht repräsentativ für die Menschen, denen sie dann wirklich im Westen begegneten. Auch bereitete sie
ihre Erfahrung mit der indischen oder nepalesischen Kultur nicht für ihr Zusammentreffen mit den Westlern vor. Sie mussten nicht nur damit fertig werden, Laien anstelle von Mönchen zu unterweisen, sondern
auch mit der Tatsache, dass sie vor einem gemischten Publikum von Männern und Frauen lehrten und
nicht, wie gewohnt, nur vor Männern. Darüber hinaus waren westliche Frauen energisch und verlangten
die gleiche Behandlung wie bei den Männern. Für viele tibetische Lehrer war schließlich die kulturelle
Kluft mehr, als sie verkraften konnten. In Indien ist die Meinung – hauptsächlich über Kinofilme – wie
verbreitet, dass alle westlichen Frauen offen und begierig nach Sex sind, vereinfachte die Dinge nicht eben.
Dazu kam, dass viele Lehrer die einzige Tibeter in einer Stadt oder in einem ganzen Land waren. Manchmal lebte sie nur mit einem einzigen Begleiter oder Übersetzer, mit dem sie in ihrer Muttersprache reden
konnten. Waren sie in Indien oder Nepal mit einer Sprachbarriere konfrontiert, hatten die meisten Tibeter
den örtlichen Dialekt gelernt. Das war notwendig, um einzukaufen und auch für alle anderen Aspekte des
Alltags. Im Westen jedoch führten diese Lehrer eine privilegierte Leben, in dem immer Schüler bereit waren, für ihre täglichen Bedürfnisse zu sorgen. Folglich lernten viele tibetische Lehrer die jeweilige Landessprache nicht und blieben ziemlich isoliert. Sie hatten wenig oder keinen Kontakt mit dem wirklichen
Leben ihrer Schülerinnen und Schüler. Viele zogen sich daraufhin in eine innere Welt zurück und verbrachten einen Großteil ihrer Zeit mit Lesen und Meditieren.
Mit dem Ende der Kulturrevolution und der Entspannung an der tibetisch-nepalesischen Grenze, strömten in den achtziger Jahren große Menschenmengen von Tibet nach Indien. Nachdem sie zwei Jahrzehnte
jeder Möglichkeit beraubt gewesen waren, Mönche oder Nonnen zu werden, drängten die “Neuankömmlinge” nun in die Mönchs- und Nonnenklöster. Die im Westen lehrenden Gesches und Lamas hatten bereits Mittel für den Wiederaufbau der monastischen Institutionen im Exil sammeln müssen. Nun sahen sie
sich darüber hinaus mit dem ständigen Druck konfrontiert, auch noch die Unterbringung und Ernährung
der neu ordinierten Mönche und Nonnen zu finanzieren.
Die Entstehung ungesunder Beziehungen
Die Dynamik dieser Situation führte in vielen Fällen zu wenig optimalen Beziehungen zwischen westlich
spirituell Suchenden und tibetischen Lehrern. Die vielen kulturellen Unterschiede spielten dabei eine wichtige Rolle. Die meisten Westler sagen geradeheraus, was sie denken. Wohingegen sich Tibeter eher weniger
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oder auf Umwegen artikulieren. Bietet man zum Beispiel eine zweite Portion Nachtisch an, nehmen Westler gewöhnlich ohne Umschweife an, wenn sie noch etwas möchten. Tibeter lehnen üblicherweise dreimal
ab, bevor sie eine zweite Portion akzeptieren. Sofort ja zu sagen, lässt auf Gier und Anhaftung schließen.
Tibetische Lehrer würden auch niemals persönliche Probleme ihren Studenten mitteilen. So hatten die
Mitglieder der Dharmazentren wenig oder keine Ahnung, von dem emotionalen und finanziellen Druck,
dem ihre tibetischen Lehrer ausgesetzt waren.
Bald kam es auch zum Missbrauch von Finanzen, Sexualität und Macht. Auch im traditionellen Tibet hatte
es immer schon Fälle von religiöser Korruption gegeben. Keine menschliche Gesellschaft ist vollkommen
oder immun gegen alle Anfechtungen. Trotzdem kam Missbrauch nicht in dem Maße vor, wie es uns die
chinesische Propaganda glauben machen will. Auf der anderen Seite war natürlich nicht jeder tibetische
Lehrer ein Heiliger, gleichgültig was die blauäugigen Westler sich eingebildet haben mochten. Die herausfordernden Umstände eines Lebens im Westen brachten einfach in einigen Lehrern, die bereits zu unangemessenem Verhalten neigten, das Schlechteste zum Vorschein.
Als dann in den frühen achtziger Jahren auch westliche Praktizierende anfingen, den tibetischen Buddhismus zu lehren, führte ein Mangel an sachgemäßer Anleitung zu weiteren Fällen von Missbrauch. Die ältere
Generation wirklich inspirierender Meister starb langsam aber sicher weg. Nachfolgekämpfe und Streit im
Zusammenhang mit Dharmaschützern unter geachteten spirituellen Führern der tibetischen Gemeinschaft gossen weiteres Öl ins Feuer der Verwirrung. Dharmaschützer sind machtvolle, unsichtbare Wesen,
die von großen Meistern der Vergangenheit die Aufgabe erhalten haben, die Lehren des Buddha vor
zerstörerischen Kräften zu schützen. Die meisten westlichen Suchenden verstehen nur sehr wenig von der
Thematik der Schützer und den diesen Streitigkeiten zugrunde liegenden soziologischen und politischen
Inhalten. In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren nahm die Situation kritische Formen an.
Skandale wurden aufgedeckt und von der Öffentlichkeit mit einem empörten Aufschrei zur Kenntnis
genommen. In vielen Zirkeln kam es zu deutlicher Ernüchterung. Einige Westler verließen angewidert ihre
Lehrer und gaben die Praxis des Buddhismus ganz auf, während sich andere in Leugnen und Abwehr
flüchteten. Dharmagruppen polarisierten sich über Fragen der Nachfolge und der Schützer- Thematik,
und Mitte der neunziger Jahre war es dann so weit, dass einige Gruppen öffentlich gegen andere zu demonstrieren begannen. Das Bild des tibetischen Buddhismus und seiner spirituellen Führer war nachhaltig
getrübt. Zynische Kreise gingen sehr großzügig mit abwertenden Schlagworten wie “autoritär”, “Patriarchal” und “sexistisch” um.
Gegen Ende des Jahrtausends forderten viele Westler einen rein westlichen Buddhismus, der frei sein
sollte von den religiösen und kulturellen Fallen Asiens. Essenz und Fallstricke zu unterscheiden ist jedoch
niemals eine einfache Aufgabe. Manchmal wirft man in aller Hast wichtige Aspekte über Bord, ohne vorher tief genug über die möglichen Konsequenzen nachgedacht zu haben. In der westlichen buddhistischen
Gemeinschaft entbrannte eine glühende Debatte zwischen “Traditionalisten” und “Modernisierern”. Heiß
diskutiert wurde unter anderem, in welcher Sprache die Rituale im Westen durchgeführt werden sollten,
sowie der Stellenwert des Glaubens an die Wiedergeburt auf dem buddhistischen Weg.
Nun, zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, gibt es viele diese Probleme immer noch und die
entsprechenden Streitigkeiten sind weiterhin ungelöst. Wie die häufigen Gewaltszenen im Fernsehen haben auch die immer wieder auftauchenden Streitigkeiten im Buddhismus einige Dharmapraktizirende
abgestumpft. Viele glauben an nichts und niemanden mehr und finden, dass ihre spirituelle Praxis
schwach und wirkungslos geworden ist. Die Lösung der Probleme und eine Heilung sind bitter nötig,
damit aufrichtig Suchende in ihrer spirituellen Entwicklung weiterkommen können. Die Lehrer-SchülerBeziehung, wie sie sich im Westen entwickelt hat und verstanden wird, muss neu untersucht und unter
Umständen revidiert werden.
Das traditionelle Tibet hatte ebenfalls seinen Anteil an der religiösen Korruption - keine Gesellschaft ist
immun. Wie dem auch sei, der Missbrauch geschah nicht in dem Ausmaß in dem die chinesischkommunistische Propaganda uns dies glauben machen wollte. Dennoch, trotz der Phantasien mancher
Westler, war nicht jeder Lehrer auch ein Heiliger. Einschränkend darf aber festgestellt werden, dass die
herausfordernden Umstände des Lebens im Westen nur das Schlimmste aus den Lehrern hervorbrachte,
die bereits eine Neigung zu skurrilem Verhalten hatten.
Als ältere westliche Praktiker in den frühen 80iger Jahren ebenfalls damit begannen tibetischen Buddhismus im Westen zu unterrichten, führte der Mangel an richtiger Supervision manchmal zu einem ähnlichen
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Missbrauch und Fehlverhalten untereinander. Zudem starb die ältere Generation wahrhaft inspirierender
Meister langsam aber sicher aus. Machtkämpfe über Nachfolger und den Dharma-Schutz unter respektierten spirituellen Führern innerhalb der tibetischen Gemeinschaft boten weiteren Zündstoff für die wachsende Verwirrung. Dharmaschützer sind mächtige, unsichtbare Wesen von großen Meistern einbezogen,
um Buddhas Lehren vor destruktiven Mächten zu schützen.
Die meisten westlichen Suchenden hatten aber wenig Verständnis für Schutzwesen oder für die sozialpolitischen Anliegen, die dem Disput über sie zugrunde liegt.
In den späten 80igern und frühen 90igern wurde die Situation kritisch. Skandale kamen an die Oberfläche
und erregten öffentliche Empörung. Desillusionierung erfolgte in weiten Kreisen. Einige Westler verließen
ihrer Lehrer in Abscheu und gaben die buddhistische Praxis auf, während andere in Stadien der Verleugnung eintraten und abwehrende Haltungen bezogen. Dharma Gruppen stritten über die Nachfolge und
den Dharma Schutz und in den 90iger Jahren fingen einige damit an, öffentliche Proteste gegen die jeweils
anderen Gruppierungen anzuzetteln. Das Image des tibetischen Buddhismus und das seiner spirituellen
Führer war befleckt. Aus zynischen Kreisen wurden vorurteilsbehaftete Etiketten wie “Autoritäten, Patriarchen und Sexisten” laut.
Am Ende des Jahrtausends forderten viele Westler einen rein westlichen Buddhismus, frei von, wie sie
sagten, irrelevanten religiösen und kulturellen Äußerlichkeiten des Ostens. Das Wesentliche vom Äußeren
zu unterscheiden ist jedoch keine einfache Aufgabe. Manchmal lehnen Menschen wichtige Faktoren übereilt ab, ohne die möglichen Konsequenzen zu überdenken. Der Übereifer solcher Menschen erinnerte
einige an die viktorianischen Sittenwächter und Missionare, die selbstgerecht den “Lamaismus”, eine degenerierte Variante des Buddhismus, proklamierten. Konsequenterweise entflammte eine erregte Debatte
zwischen Traditionalisten und Modernisten innerhalb der westlichen buddhistischen Gemeinschaft.
Nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestehen viele dieser Probleme und ihre Nebenwirkungen sind ungelöst. Noch immer gibt es öffentliche Proteste, Missbrauch und hitzige Debatten. Aber, so wie sich auch
bei sich ständig wiederholenden Bildern von Gewalt, Missbrauch und Ungerechtigkeit, Gleichgültigkeit
oder Lethargie einstellt, kehrte auch bei einigen Dharma Praktizierenden im Laufe der Zeit Gleichgültig
ein. An keinen mehr glaubend empfinden viele, dass ihre spirituelle Praxis geschwächt wurde und ineffektiv geworden ist. Dringend werden Lösungen für die Probleme und Heilung für die Wunden benötigt,
damit wahrhaft Suchende in ihren spirituellen Entwicklung fortschreiten können.
Heute bedarf die Schüler-Lehrer Beziehung, so wie sie im Westen verstanden und entwickelt wurde, einer
Überprüfung und möglicherweise einer Revision. Allerdings muss jeder Versuch der Restrukturierung
zwei Extreme meiden. Zum einen sollte die Vergötterung der Lehrer, die vor allem zum Missbrauch, KultMentalität und Schönfärberei beiträgt, gemieden werden. Zum anderen die Dämonisierung der Lehrer, die
zu Paranoia und Misstrauen führt und die Ernte einer gesunden Jünger-Mentor Beziehung verhindert.
Beim Versuch das erste Extrem zu vermeiden muss man schließlich sorgsam darauf bedacht sein, nicht in
das zweite Extrem zu verfallen.
Ende der Zusammenfassung
Anhang 2: Die Lehrer-Schüler und Therapeut-Klient Beziehung (A. Berzin)
Auszug aus Alex Berzin: „Zwischen Freiheit und Unterwerfung“, Chancen und Gefahren spiritueller Lehrer-SchülerBeziehungen, Theseus Verlag 2002
Was es bedeutet, Getrug eines Lehrers zu sein
Getrug (dge phrug), ein zusätzlicher tibetischer Begriff für Schüler, bestätigt die vorhergehenden Erklärungen. Ge bedeutet konstruktiv, und trug bezeichnet ein Kind. Ein Getrug ist ein Kind, das vom spirituellen
Mentor aufgezogen wird und lernt, konstruktiv zu sein - auf der Ebene des Pfades als ein zunehmend
ausgeglichener, ethischer und positiver Mensch und auf der Ebene des Ergebnisses schließlich als ein
Buddha. Kind bezieht sich nicht unbedingt auf das Alter des Schülers. Es meint einen Minderjährigen in
Bezug auf den spirituellen Pfad.
Zusätzlich zu seiner etymologischen hat der Begriff Getrug auch noch eine weitere Bedeutung. Er kann
sich auf jemanden beziehen, der von Kindesbeinen an im Haus des Lehrers lebt und auch wirtschaftlich
zum Haushalt gehört. Getrugs sind oft jüngere Verwandte. Die beiden Bedeutungen des Wortes Getrug
überschneiden sich nicht unbedingt. Es ist möglich, dass spirituelle Schüler wirtschaftlich nicht zum
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Haushalt des Mentors gehören, und umgekehrt, dass die, die dazu gehören, zum Beispiel der Koch, gar
kein formales spirituelles Training erhalten.
Wann man beginnt, ein Schüler zu werden
Um richtig verstehen zu können, was es im buddhistischen Zusammenhang bedeutet, eine Schülerin oder
ein Schüler zu sein, sollte man wissen, auf welcher Stufe des spirituellen Pfades es angemessen ist, Schülerinnen und Schüler zu werden. Obwohl die klassischen Texte darin übereinstimmen, dass auf jeder Stufe
des Pfades ein Lehrer notwendig ist, beginnen , spirituelle Suchende ihre Reise doch lange, bevor sie Schüler eines qualifizierten Mentors werden. Über diesen Punkt ist viel Verwirrung entstanden, weil KadamMeister, wie etwa Sangwayjin, die Schüler-Lehrer-Beziehung zur »Wurzel des Pfades« erklärten und das
Thema zu Beginn ihrer Texte über die Stufen des Pfades (lamrim, lam-rim) behandelten. Tsongkapa und alle
späteren Gelug-Meister folgten dann ihrem Beispiel. Die Stellung dieses Themas im Gerüst ihrer Texte
bedeutet jedoch nicht, dass Suchende als ersten Schritt auf ihrem spirituellen Pfad eine Lehrer-SchülerBeziehung eingehen müssten.
In seinem Text Die Essenz der ausgezeichneten Erklärung interpretierungsbedürftiger und definitiver Phänomene erklärt
Tsongkapa, dass mit dem Klassifizierungssystem von drei Dharma-Zyklen (dreimaliges Drehen des Rades
der Lehre) keine zeitliche Abfolge der Lehren beschrieben wird. Statt dessen handelt es sich um ein themenbezogenes Ordnungsschema.
In seinem Tor zum Eintritt in den Dharma erklärt Sönam-tsemo, der zweite der fünf Gründer der SakyaSchule, dass die Suchenden das Leiden in ihrem Leben erkennen und eingestehen sowie den Wunsch entwickeln müssen, es zu überwinden, bevor sie eine Beziehung zu einem spirituellen Mentor aufbauen können. Mit anderen Worten, sie brauchen zumindest eine rudimentäre Stufe von »Entsagung«. Zusätzlich
benötigen sie die Kenntnis der Lehren Buddhas darüber, was zu üben und was aufzugeben ist, um das
Leiden, das sie zu überwinden trachten, auch tatsächlich reduzieren und beseitigen zu können. Erst dann
sind die Suchenden bereit für eine ernsthafte Beziehung zu einem spirituellen Lehrer, der ihnen hilft, ihre
Ziele zu erreichen.
Spirituelle Mentoren sind Lehrer, die den Schülern helfen, Erleuchtung zu erlangen. Daher müssen die
Suchenden, bevor sie eine Beziehung zu einem solchen Mentor eingehen können, zumindest über ein
Anfangsinteresse verfügen, zum Wohle aller Wesen die Buddhaschaft erlangen zu wollen. Das geht aus
den Schriften des indischen Meisters Atisha, des Pioniers der Schriften zum Stufenweg und Quelle der
Kadam-Tradition, klar hervor. In Ein [Selbst-]Kommentar der schwierigen Punkte in »Eine Lampe für den Pfad der
Erleuchtung« erwähnt Atisha die Lehrer-Schüler-Beziehung erst im Zusammenhang mit der Entwicklung
von Bodhicitta. Um aber die Mahayana-Motivation von Bodhicitta überhaupt entwickeln zu können, bedarf es zumindest einer Anfangsstufe der sicheren Ausrichtung (Zuflucht) zu den Buddhas, dem Dharma
und der hoch verwirklichten Sanghagemeinschaft.
Der Fünfte Dalai Lama spricht diese Punkte in seinem Stufenwegtext Persönliche Unterweisung von Manjushri explizit an. Er argumentiert dort für die Notwendigkeit und Richtigkeit einer sicheren Ausrichtung
(Zufluchtnahme) und Entwicklung von Bodhicitta, bevor eine Lehrer-Schüler-Beziehung aufgebaut werden kann. Dieser Argumentation folgend, änderte der Zweite Panchen Lama in Ein geschwinder Pfad die
Reihenfolge in Tsongkapas Text Große Darstellung der Stufen des Pfades. Um der tatsächlichen Abfolge der
spirituellen Entwicklung gerecht zu werden, setzte er die vorbereitenden Übungen vor die Behandlung der
Lehrer-Schüler-Beziehung. Die vorbereitenden Übungen beinhalten das Einnehmen einer sicheren Ausrichtung und die Verstärkung der Bodhicitta-Motivation. Auf diese Weise betrachtet, ist das Verständnis
des Stufenwegs in der Kadam-/Gelug-Tradition mit den Kagyü- und Nyingma-Erklärungen vereinbar, die
eine sichere Ausrichtung, Bodhicitta und erst dann eine gesunde Lehrer-Schüler-Beziehung als Abfolge
der essenziellen vorbereitenden Übungen für den spirituellen Fortschritt im Buddhismus festlegen.
Tsongkapa erklärt weiter, dass jede Stufe der Selbstentwicklung ein Trittstein auf dem Stufenweg zur Erleuchtung sei. Obwohl die Suchenden also bereits über Erkenntnis und Entsagung des Leides, über
Kenntnis, was aufzugeben und was zu üben ist, sichere Ausrichtung und Bodhicitta verfügen müssen, um
überhaupt spirituelle Schüler werden zu können, so müssen sie diese fünf Faktoren zu Anfang jedoch nur
in Form einer vagen spirituellen Orientierung besitzen. Die anfängliche Intensität, in der die fünf Faktoren bei einem spirituellen Suchenden vorhanden sind, dient lediglich als Trittstein zur Weiterentwicklung
und stellt keinesfalls das Endstadium der Entwicklung dieser Faktoren auf dem Pfad dar. Eine sichere
Ausrichtung und Bodhicitta zu haben heißt, dass man nach Befreiung und schließlich nach Erleuchtung
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strebt. Sie lediglich auf der Stufe einer spirituellen Orientierung zu besitzen heißt jedoch noch lange nicht,
dass man die volle Bedeutung dieser Ziele ganz und gar verstanden und akzeptiert haben muss.
Das Überzeugtsein von Wiedergeburt und das aufrichtige Streben nach Befreiung und Erleuchtung
Nach Befreiung und schließlich Erleuchtung zu streben, während man sämtliche Implikationen dieser
Ziele vollständig versteht und verwirklicht, wird erst möglich, wenn man die buddhistischen Erklärungen
der Wiedergeburt versteht und akzeptiert. Im Buddhismus bedeutet Wiedergeburt nicht, dass man die
Existenz einer dauerhaften Seele akzeptiert, die in ein ewiges Nachleben eingeht oder von einer Inkarnation zur nächsten wandert und um zu lernen mit aufeinander aufbauenden Lektionen konfrontiert wird.
Das buddhistische Verständnis geht statt dessen von einer unendlichen Kontinuität individueller Erfahrung aus, allerdings ohne eine von Körper und Geist getrennte unveränderliche, singuläre Wesenhaftigkeit,
die wirklich das »Ich« ist und sich von Leben zu Leben fortsetzt. Die Kontinuität setzt sich von einem
Leben zum nächsten fort, entweder unkontrollierbar durch störende Emotionen und Haltungen sowie
zwingende Impulse (Skt. karma) oder bewusst durch die Kraft des Mitgefühls. Die buddhistische Erklärung dieses Sachverhalts ist sehr anspruchsvoll und überaus schwer zu verstehen.
Befreiung, bedeutet Freiwerden vom Leiden sich unkontrollierbar fortsetzender Wiedergeburten (Skt.
samsara) und seiner Ursachen. Erleuchtung verleiht zusätzlich die Fähigkeit, anderen zu helfen, ebenfalls
Freiheit zu erlangen. Wie können Schülerinnen und Schüler ernsthaft nach Befreiung von unkontrollierbarer Wiedergeburt streben, ohne wirklich zu verstehen, was Wiedergeburt im Buddhismus eigentlich bedeutet und ohne die Überzeugung, dass sie diese seit anfangloser Zeit unkontrolliert erfahren und auch in
Zukunft weiter erfahren werden, wenn sie nicht etwas dagegen unternehmen? Wie können sie nach Erleuchtung streben ohne die Gewissheit, dass alle anderen ebenfalls die Leiden von Samsara erdulden?
Hat man sich auf eine Lehrer-Schüler-Beziehung eingelassen, sind ein korrektes Verständnis der buddhistischen Erklärungen der Wiedergeburt und eine entsprechende Überzeugung ebenfalls notwendig, um
auch nur die erste Stufe spiritueller Entwicklung erreichen zu können. Atisha identifiziert in seinem Werk
Eine Lampe für den Pfad zur Erleuchtung drei unterscheidbare Stufen der Selbstentwicklung, die Schülerinnen
und Schüler auf dem Stufenweg zur Erleuchtung durchlaufen. Die erste Stufe erreichen die Schüler, sobald sie auf günstige Wiedergeburten abzielen, um die Leiden der ungünstigen zu vermeiden. Selbstverständlich werden Schüler nur dann nach günstigen Wiedergeburten streben, wenn sie von der Existenz
zukünftiger Leben nach dem Tode überzeugt sind. Die zweite Stufe erreichen die Schülerinnen und Schüler, sobald sie nach Befreiung von allen unkontrollierten Wiedergeburten - seien es ungünstige oder günstige - insgesamt streben. Auf der dritten Stufe schließlich ist ihr Ziel die Erleuchtung.
Der spirituelle Kontext für das anfängliche Ziel buddhistischer Schülerinnen und Schüler unterscheidet
sich stark von dem anderer Religionen, deren Anhänger darum beten, nach dem Tod in den Himmel zu
kommen und für alle Ewigkeit dort zu verweilen. Um über dieses Leben hinaus an Befreiung und Erleuchtung zu arbeiten, müssen Wiedergeburten erlangt werden, deren Umstände und Bedingungen eine spirituelle Praxis begünstigen. Günstige Wiedergeburten sind für buddhistische Schülerinnen und Schüler also
nur ein vorläufiges und niemals das letzte Ziel. Alle späteren tibetischen Formulierungen der Stufen des
Pfades stimmen mit Atisha bezüglich der ersten Stufe innerer Entwicklung überein.
Der Stellenwert der Überzeugung von Wiedergeburt für den Eintritt in eine Lehrer-SchülerBeziehung
Obwohl ein korrektes buddhistisches Verständnis der Wiedergeburten und ein Überzeugtsein von ihrer
Existenz für das Erreichen selbst der Anfangsstufe des Stufenwegs zur Erleuchtung unverzichtbar ist,
bleibt doch die Frage offen, inwieweit eine solche Überzeugung auch eine Grundvoraussetzung für das
Eintreten in eine spirituelle Mentor-Schüler-Beziehung darstellt. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Überzeugung traditionell vorausgesetzt wird, würde ich sagen, dass ein intellektuelles Verständnis, Offenheit
und ihre vorläufige Akzeptanz durchaus ausreichen. Da der Stellenwert der Überzeugung von Wiedergeburt im westlichen Buddhismus sicher umstritten ist, lassen Sie uns die Begründungen für diese Annahme
näher untersuchen.
Nach der Darstellung des Stufenwegs beginnen die Schülerinnen und Schüler mit dem Training der grundlegenden Lehren, während sie sich immer noch um ihr materielles Wohlergehen, ihr emotionales Glück
und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen in diesem Leben sorgen. Durch wiederholte Meditation über
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die Kostbarkeit des menschlichen Lebens, über Tod und Vergänglichkeit, überwinden sie diese Sorge
schließlich. Sobald sie hauptsächlich daran interessiert sind, Wohlergehen, Glück und positive Beziehungen in zukünftigen Leben zu erlangen - allerdings nur als vorläufiges Ziel auf dem Weg zur Befreiung und
Erleuchtung - erreichen sie die erste Stufe spiritueller Entwicklung.
Die meisten Tibeter akzeptieren Wiedergeburt als Realität, auch wenn ihr Verständnis davon recht vage
bleibt. Wenn zum Beispiel ein Verwandter gestorben ist, erbitten Tibeter regelmäßig Gebete und Rituale,
die dem Verstorbenen helfen sollen, eine günstige Wiedergeburt zu erlangen. Menschen des Westens, die
eine Beziehung zu einem spirituellen Lehrer suchen, teilen meist nur recht wenige der in den klassischen
buddhistischen Texten gemachten Annahmen. Ungeachtet der biblischen Lehre von Himmel und Hölle,
stellen die meisten die Existenz eines »Lebens danach« in Frage. Und selbst wenn sie an Wiedergeburt
glauben, verstehen sie das Phänomen häufig in der Art, wie es in Hindu- oder New-Age-Texten erklärt
wird - eine Sichtweise, die sich signifikant von der buddhistischen unterscheidet. Daher müssen Menschen
des Westens die korrekte buddhistische Erklärung verstehen und sich von ihrer Gültigkeit überzeugen,
bevor sie überhaupt die erste Ebene des Stufenwegs erreichen können. Da sich aber bei den meisten von
ihnen die Überzeugung von der Wiedergeburt in Stufen entwickelt, stellt sich die Frage, an welcher Stelle
des spirituellen Pfades die Auseinandersetzung mit der Existenz von Wiedergeburt, wie sie im Buddhismus verstanden wird, logischerweise beginnen muss.
Im Falle von Entsagung, sicherer Ausrichtung und Bodhicitta brauchen Suchende eine Basis die diese drei
Haltungen als grundsätzliche spirituelle Orientierung umfasst, bevor sie sich auf eine Mentor-SchülerBeziehung einlassen. Nachdem die Beziehung entstanden ist, entwickeln sie die entsprechenden Haltungen im Laufe ihres Trainings dann vollständig. Ein korrektes Verständnis von Wiedergeburt und die entsprechende Überzeugung gelten im Buddhismus ebenfalls als grundlegend für eine spirituelle Orientierung. Aus diesem Grunde scheint es vernünftig anzunehmen, dass potenzielle Schüler zumindest eines
intellektuellen Verständnisses der Wiedergeburt, wie sie der Buddhismus erklärt, bedürfen sowie entweder
einer vorläufigen Akzeptanz ihrer Realität oder zumindest einer offenen Haltung für die Möglichkeit ihrer
Existenz, bevor sie sich dem buddhistischen Pfad aufrichtig widmen können. Die Überzeugung stellt sich
dann später ein, bevor die erste Stufe spiritueller Entwicklung erreicht wird, und zwar durch weiteres Studium und Nachdenken über die logischen und dokumentierten Beweise der Wiedergeburt.
Spirituelle Ziele im gegenwärtigen Leben oder für zukünftige Generationen
Eine weitere wichtige Frage lautet, inwieweit es für westliche Suchende notwendig ist, als Anfangsmotivation ein Streben nach glücklichen Wiedergeburten zu entwickeln, selbst wenn sie die Existenz von Wiedergeburt momentan nur vorläufig akzeptieren. Ich würde sagen, dass dies nicht unbedingt notwendig ist.
Die meisten Suchenden des Westens kennen die Probleme, die sich aus der Sucht nach augenblicklicher
Erfüllung materieller und emotionaler Begierden ergeben. Wenn sie dieses Leiden dann beenden möchten
und sich dem buddhistischen Pfad zuwenden, sind sie anfangs vielleicht vor allem daran interessiert, für
ökologisch vertretbaren materiellen Wohlstand, emotionales Wohlergehen und gute Beziehungen in der
Zukunft zu wirken. Diese Zukunft mag ihr eigenes späteres Leben beinhalten, oder, bei erweitertem Horizont, die Leben zukünftiger Generationen einbeziehen. Da westliche Suchende aber meist lediglich über
ein intellektuelles Verständnis und eine vorläufige Akzeptanz der Wiedergeburt verfügen, ist die Arbeit für
ein Glück in zukünftigen Leben - wenn sie ihre Ziele nicht schon vor ihrem Tod erreichen - für sie keine
realistische Option.
Solange westliche Schülerinnen und Schüler keine feste Überzeugung von Wiedergeburt - wie sie im
Buddhismus verstanden wird - erlangen, können sie ehrlicherweise nur nach Befreiung und Erleuchtung
im gegenwärtigen und nicht in zukünftigen Leben streben.
Ich bin der Meinung, dass es ausreicht, das Leiden aufzugeben, das aus der Sucht nach sofortiger Erfüllung der Begierden resultiert, um in eine buddhistische Lehrer-Schüler-Beziehung eintreten zu können.
Weiter möchte ich behaupten, dass ein vorläufiges Streben nach Glück später in diesem Leben oder auch
für zukünftige Generationen oder nach Befreiung und Erleuchtung im gegenwärtigen Leben eine ausreichende Motivation darstellt, bis man eine feste Überzeugung von zukünftigen Leben, wie sie der Buddhismus erklärt, erlangt. Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass es für die meisten westlichen Schüler sogar sinnvoll ist, nach diesen vorläufigen Zielen zu streben, nämlich als Vorbereitung, um sich den
klassischen Stufenweg zugänglich zu machen. Bestimmte Bedingungen sind dabei allerdings erforderlich.
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Wie Anfänger nach nicht-traditionellen Zielen streben können
Indem sie sich zerstörerischen Verhaltens und störender Emotionen enthalten, können Schülerinnen und
Schüler durchaus Wohlergehen, Glück und gute Beziehungen später in ihrem Leben erfahren, allerdings
gibt es keine Garantie dafür. Viele zusätzliche Faktoren können das Geschehen beeinflussen, etwa ein
tödlicher Autounfall, bevor sie die Früchte ihrer Bemühungen ernten können. Ebenso wenig kann es eine
Gewissheit geben, dass zukünftige Generationen als Ergebnis ihrer konstruktiven Schritte Glück erfahren
werden. Vieles hängt vom Verhalten und den Einstellungen der zukünftigen Generationen selbst ab. Während sie also danach streben, Schwierigkeiten für ihr späteres Leben und für zukünftige Generationen zu
überwinden, müssen Anfängerschüler zu der Einsicht gelangen, dass es tatsächlich unmöglich ist, innerhalb dieses begrenzten Rahmens sämtliche Probleme zu lösen. Das Beste, auf das sie hoffen können, ist
eine gewisse Verbesserung.
Indem sie sämtliche störenden Emotionen und Haltungen beseitigen, können Schülerinnen und Schüler
im gegenwärtigen Leben Befreiung erlangen; indem sie zusätzlich auch noch die Instinkte auslöschen,
können sie sogar Erleuchtung realisieren. Da diese Ziele jedoch überaus schwer zu erreichen sind, ist es
eher unwahrscheinlich, dass sie sich im gegenwärtigen Leben verwirklichen lassen. Während sie also nach
Befreiung und Erleuchtung im gegenwärtigen Leben streben, müssen Schülerinnen und Schüler verstehen
und akzeptieren, dass es ihnen vor ihrem Tod wahrscheinlich nur gelingen wird, einige Schritte in diese
Richtung zu machen.
Kurz, solange Anfängerschüler zukünftige Leben, wie sie der Buddhismus erklärt, verstehen und vorläufig
akzeptieren und in ihrem Streben unrealistische Erwartungen auf Erfolg vermeiden, bin ich der Ansicht,
dass sie vernünftigerweise nach spirituellen Zielen im gegenwärtigen Leben oder auch für zukünftige Generationen streben können. Allerdings dürften sie diese Ziele nur als bloße Trittsteine bis zur Entwicklung
einer sicheren Überzeugung von der buddhistischen Sichtweise der Wiedergeburt betrachten. Nur mit
dieser festen Überzeugung können Schülerinnen und Schüler dann tatsächlich die fortschreitenden Stufen
der Motivation verwirklichen, wie sie in den traditionellen Texten beschrieben werden.
Die spirituelle Lehrer-Schüler-Beziehung - die Beziehung zwischen Klient und Therapeut
Angenommen, jemand möchte emotionales Glück und gute Beziehungen in diesem Leben erreichen.
Wird dieser Mensch nun Schülerin oder Schüler eines spirituellen Mentors, dann ähnelte das in vielerlei
Hinsicht einer Beziehung zwischen Klient und Therapeut. Beide Beziehungen beruhen auf dem Wunsch,
das Leiden im eigenen Leben zu erkennen und zu lindern. Beide Beziehungen beinhalten die Zusammenarbeit mit einem anderen Menschen, um die eigenen Probleme und ihre Ursachen zu erkennen und zu
verstehen. Viele Therapieformen stimmen tatsächlich mit dem Buddhismus darin überein, dass Verständnis der Schlüssel zur Selbst-Transformation ist.
Zudem kennen sowohl der Buddhismus als auch die Therapie Denkmodelle, die das tiefe Verstehen der
Ursachen der Probleme betonen. Sie kennen Traditionen, die zur Überwindung dieser Faktoren die Arbeit
mit pragmatischen Methoden befürworten, und Systeme, die eine ausgeglichene Kombination beider Ansätze empfehlen. Zusätzlich sehen sowohl der Buddhismus als auch viele Therapieformen im Aufbau
einer gesunden emotionalen Beziehung zu dem Mentor oder dem Therapeuten einen wesentlichen Teil
des Prozesses der Selbstentwicklung. Und obwohl die meisten klassischen Therapieformen davor zurückschrecken, das Verhalten des Klienten oder seine Art zu denken im Sinne ethischer Richtlinien zu beeinflussen, befürworten einige post-klassische Therapieschulen ethische Richtlinien, die denen des Buddhismus erstaunlich ähnlich sind. Solche Richtlinien betonen Fairness gegenüber allen Mitgliedern einer dysfunktionalen Familie und das Nicht-Ausagieren destruktiver Impulse wie Zorn und dergleichen.
Ungeachtet dieser offensichtlichen Übereinstimmungen gibt es doch zumindest fünf signifikante Unterschiede zwischen einer spirituellen Lehrer-Schüler-Beziehung und der zwischen Klient und Therapeut.
Der erste Unterschied betrifft den emotionalen Zustand, aus dem heraus man die Beziehung herstellt.
Potenzielle Klienten konsultieren einen Therapeuten in der Regel dann, wenn sie emotional gestört sind.
Vielleicht leiden sie gar unter einer Psychose und benötigen zuerst einmal eine medikamentöse Behandlung, bevor es weitergehen kann. Im Gegensatz hierzu ist der Aufbau einer Lehrer-Schüler-Beziehung für
spirituelle Schülerinnen und Schüler nicht der erste Schritt auf dem spirituellen Pfad. Sie haben schon viel,
früher damit begonnen, sich mit den Lehren des Buddhas zu befassen und an sich selbst zu arbeiten. Als
Ergebnis haben sie ein ausreichendes Maß an emotionaler Reife und Stabilität erlangt, so dass die LehrerSchüler-Beziehung, die sie nun aufbauen, im buddhistischen Sinne des Wortes konstruktiv wirken kann.
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Mit anderen Worten, buddhistische Schüler müssen bereits relativ frei von neurotischen Einstellungen und
entsprechendem Verhalten sein.
Der zweite Unterschied betrifft die Interaktion, die man in der Beziehung erwartet. Potenzielle Klienten
sind hauptsächlich daran interessiert, dass ihnen jemand zuhört. Daher erwarten sie, dass der Therapeut
ihnen und ihren persönlichen Problemen konzentrierte Aufmerksamkeit widmet, selbst im Rahmen einer
Gruppentherapie. Spirituelle Schüler hingegen teilen persönliche Probleme gewöhnlich nicht mit ihrem
Lehrer und ebenso wenig erwarten oder fordern sie gar individuelle Aufmerksamkeit. Selbst wenn sie
ihren Mentor um persönlichen Rat bitten, so doch keinesfalls regelmäßig. Im Mittelpunkt der Beziehung
steht das Hören der Lehren. Buddhistische Schüler lernen von ihren Mentorinnen und Mentoren in erster
Linie Methoden zur Überwindung allgemeiner Probleme, mit denen alle Menschen konfrontiert sind.
Dann übernehmen sie persönliche Verantwortung, um die Methoden auf ihre spezifische Situation anzuwenden.
Der dritte Unterschied betrifft die Ergebnisse, die von der Arbeitsbeziehung erwartet werden. Die Therapie zielt darauf ab, die Probleme im Leben akzeptieren und mit ihnen leben zu lernen oder sie auf ein
erträgliches Maß zu reduzieren.
Für den Eintritt in den buddhistischen spirituellen Pfad kann es nur eine vorläufige Motivation sein, das
eigene Leben emotional weniger schwierig gestalten zu wollen. Schüler spiritueller Lehrer sollten zumindest auf die längerfristigen Ziele günstiger Wiedergeburten, Befreiung und Erleuchtung ausgerichtet sein.
Außerdem sollten sie über ein intellektuelles Verständnis der Wiedergeburt nach buddhistischer Sicht und
zumindest eine vorläufige Akzeptanz ihrer Existenz verfügen. Für die Klienten der Therapie besteht keinerlei Notwendigkeit, sich über Wiedergeburt oder über Ziele jenseits der Verbesserung ihrer derzeitigen
Situation den Kopf zu zerbrechen.
Der vierte Hauptunterschied ist der Grad der Verpflichtung zur Selbsttransformation. Klienten von Therapeuten bezahlen einen Stundensatz, verpflichten sich aber nicht zu einer lebenslangen Veränderung ihrer
Einstellungen und ihres Verhaltens. Buddhistische Schüler hingegen, ob sie nun für die Unterweisung
zahlen oder nicht, ändern ausdrücklich die Richtung ihres Lebens. Indem sie sich für eine sichere Ausrichtung entscheiden, verpflichten sich die Schüler dem Weg der Selbstentwicklung, den die Buddhas bis zum
Ende beschritten und dann gelehrt haben und dem die hoch verwirklichte spirituelle Gemeinschaft zu
folgen sucht.
Darüber hinaus verpflichten buddhistische Schüler sich zu einer ethischen, konstruktiven Art des Handelns, Redens und Denkens. Sie versuchen, soweit es nur möglich ist, destruktive Verhaltensmuster zu
vermeiden und sich statt dessen in konstruktiven zu üben. Wenn Schüler aufrichtig Befreiung von den
fortwährenden Problemen unkontrollierter Wiedergeburt wünschen, gehen sie sogar eine noch striktere
Verpflichtung ein, indem sie formell die Laien- oder Mönchs- oder Nonnengelübde für die individuelle
Befreiung (Skt. pratimoksha Gelübde) nehmen. Schüler auf dieser Stufe der Selbstentwicklung geloben,
lebenslang bestimmte Verhaltensarten zu unterlassen, die entweder von Natur aus destruktiv sind oder
von denen der Buddha bestimmten Menschen aus speziellen Gründen abgeraten hat. Ein Beispiel dafür
ist das Versprechen Ordinierter, ihre Laienkleidung abzulegen und statt dessen Roben zu tragen, um ihre
Anhaftung zu vermindern. Selbst Schüler, die danach streben, entweder ungünstige Wiedergeburten zu
vermeiden oder die emotionalen Schwierigkeiten im gegenwärtigen Leben oder für zukünftige Generationen zu verringern, können auf jeder dieser drei Motivationsebenen die Befreiungsgelübde nehmen, bevor
sie die vorgeschriebene Motivation entwickelt haben.
Klienten von Therapeuten stimmen, als Teil ihres therapeutischen Vertrages, ebenfalls bestimmten Vorgehensregeln zu, wie etwa sich an Sitzungen von fünfzig Minuten zu halten. Diese Regeln gelten allerdings
nur für die Zeit der Behandlung. Sie haben außerhalb des therapeutischen Rahmens keinerlei Bedeutung,
beinhalten es nicht, von Natur aus destruktives Handeln zu unterlassen, und gelten nicht lebenslang.
Der fünfte Hauptunterschied zwischen spirituellen Schülern und Klienten in einer Therapie betrifft die
Haltung gegenüber dem Lehrer oder Therapeuten. Spirituelle Schüler sehen in ihrem Mentor ein lebendiges Beispiel für das, was sie selbst erreichen wollen. Ihre Sicht gründet sich darauf, die guten Qualitäten
des Lehrers korrekt zu erkennen, und sie behalten und stärken diese Sicht während ihrer gesamten Entwicklung durch die Stufen des Pfades. Klienten mögen in ihrem Therapeuten ein Modell für emotionale
Gesundheit sehen, aber dafür ist es nicht nötig, dass sie die guten Qualitäten des Therapeuten korrekt
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erkennen. Wie der Therapeut zu werden ist nicht Ziel der Beziehung. Im Verlauf der Behandlung führen
Therapeuten ihre Klienten über die Projektion von Idealen hinaus.
Der unangemessene Gebrauch des Begriffes Schüler
Manchmal bezeichnen sich Menschen als Schüler eines spirituellen Lehrers, obwohl sie selbst, der Lehrer
oder beide der korrekten Bedeutung dieser Begriffe überhaupt nicht gerecht werden. Ihre Naivität verwickelt sie häufig in unrealistische Erwartungen, Missverständnisse, verletzte Gefühle, ja sogar Missbrauch.
Missbraucht zu werden bedeutet in diesem Zusammenhang, sexuell, emotional oder finanziell ausgebeutet
oder von jemandem im Rahmen eines Machtspiels manipuliert zu werden. Lassen Sie uns drei Arten von
Pseudo-Schülern untersuchen, die heutzutage im Westen anzutreffen und die besonders anfällig für Probleme mit spirituellen Lehrern sind.
(1) Manche Menschen kommen in Dharma-Zentren, um Erfüllung ihrer Fantasien zu finden. Sie haben
etwas über den »geheimnisvollen Osten« oder Superstar-Gurus gehört oder gelesen und möchten nun ihr
scheinbar uninteressantes Leben durch eine exotische oder mystische Erfahrung bereichern. Sie begegnen
spirituellen Lehrerinnen und Lehrern und erklären sich augenblicklich zu deren Schülern, besonders wenn
die Lehrer Asiaten sind und noch eher, wenn sie Roben tragen. Sie neigen zu einem ähnlichen Verhalten
gegenüber westlichen Lehrern, mit asiatischen Namen oder Titeln, egal ob diese Lehrer Roben tragen oder
nicht.
Die ständige Suche nach Okkultem wirkt auf die Beziehungen, die diese Suchenden zu Lehrern aufbauen,
oft destabilisierend. Selbst wenn sie sich zu Schülern eines korrekt qualifizierten Mentors erklären, verlassen sie ihren Lehrer häufig, sobald sie erkennen, dass außer in ihrer Einbildung nichts Übernatürliches im
Spiel ist. Die unrealistischen Haltungen und hohen Erwartungen dieser »Instantschüler« verdunkeln häufig
ihre Kritikfähigkeit. Solche Menschen sind für Täuschungen durch spirituelle Scharlatane besonders offen.
(2) Andere suchen Dharma-Zentren auf, weil sie verzweifelt Hilfe suchen, um ihre psychischen oder physischen Leiden zu überwinden. Sie haben meist vergeblich verschiedene Therapien ausprobiert. Jetzt erwarten sie eine Wunderheilung von einem Magier/Heiler. Sie erklären sich zu Schülern von jedem, der
ihnen eine gesegnete Pille, ein besonderes Gebet oder Mantra oder eine machtvolle Praxis - etwa einhunderttausend Niederwerfungen - gibt, die ihre Probleme automatisch »reparieren« werden. Sie wenden sich
meist derselben Art von Lehrern zu, die auch die Suchenden nach dem Okkulten fasziniert. Die Repariermentalität der Wundersuchenden führt häufig zu Enttäuschung und Verzweiflung, wenn der Rat selbst
qualifizierter Mentoren nicht zu sofortigen Wunderheilungen führt. Diese Mentalität zieht den Missbrauch
durch spirituelle Quacksalber magisch an.
(3) Wieder andere, besonders desillusionierte, arbeitslose Jungendliche, kommen zu Dharma-Zentren
kultischer Sekten in der Hoffnung auf Lebenssinn und Selbstbestätigung auf existenzieller Ebene. Charismatische Größenwahnsinnige ziehen sie an; indem sie »spirituell faschistische« Mittel einsetzen. Sie
versprechen ihren so genannten Schülern große Stärke, wenn diese ihrer Sekte völlige Loyalität entgegenbringen. Sie verführen die Schüler mit dramatischen Beschreibungen grimmiger Beschützer, die ihre Feinde zerschmettern werden, besonders die Anhänger vermeintlich minderwertiger, unreiner buddhistischer
Traditionen. Mit grandiosen Geschichten über die übermenschlichen Kräfte der Gründungsväter ihrer
Bewegung versuchen sie die Träume ihrer Schüler von einem allmächtigen Führer zu erfüllen, der sie auf
die Höhen spiritueller Würden erheben wird. Leicht beeinflussbare Menschen erklären sich schnell zu
Schülern und befolgen blind alle Anweisungen oder Befehle, die ihre autoritären Lehrer ihnen geben - mit
gewöhnlich katastrophalen Folgen.
Die realistische Haltung eines authentischen Schülers
Authentische Schülerinnen und Schüler sind relativ erwachsene und nüchterne spirituelle Suchende, die
unter Anleitung ihres Mentors ethische Disziplin, Konzentration und Gewahrsein trainieren. Anfangs
möchten sie die Qualität des gegenwärtigen Lebens verbessern. Gleichzeitig arbeiten sie daran, eine Überzeugung von der Wiedergeburt nach buddhistischer Sicht zu entwickeln, um dann nach günstigen Wiedergeburten, nach Befreiung und letztlich Erleuchtung zu streben. Sie erwarten von ihrem spirituellen Mentor
keinerlei okkulte Phänomene, Wunderheilungen oder eine Selbstbestätigung auf existentieller Ebene. Um
die eigentliche Bedeutung des Begriffs Schüler erfüllen zu können, müssen spirituelle Suchende also über
realistische Einstellungen verfügen. Solche Einstellungen entspringen einem angemessenen Verständnis
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der aufeinander aufbauenden Ziele, die sie durch ihr Training erreichen können. Daher achten authentische Schüler auf jeder Ebene des Stufenwegs sorgfältig darauf, weder zuviel noch zuwenig zu erstreben.
Auf der vorbereitenden Ebene vermeiden authentische Schüler im Streben nach ökologisch vertretbarem
materiellen Wohlstand, emotionalem Glück und guten Beziehungen im gegenwärtigen Leben, letztendliche Ziele ihres spirituellen Weges zu sehen. Sie erwarten auch nicht, dass sie mit einem solchen Ziel weiteren Problemen im gegenwärtigen Leben entgehen können.
Auf der Anfangsebene vermeiden authentische Schüler es, sich auf günstige Wiedergeburten zu konzentrieren, als Entschuldigung dafür, dass sie ihre emotionalen Probleme im gegenwärtigen Leben ignorieren.
Diese Schüler sehen in einer glücklichen Wiedergeburt auch nicht das ewige Paradies.
Auf der mittleren Ebene beginnen authentische Schüler, das Freisein von den wiederkehrenden Problemen unkontrollierter Wiedergeburt insgesamt einzubeziehen. Sie sehen die Befreiung nicht als völlige
Auslöschung ihrer Existenz, die ihnen jede Möglichkeit nähme, je wieder auf der Welt zu erscheinen, um
anderen zu helfen.
Auf der fortgeschrittenen Ebene schließlich streben authentische Schüler nach einer Erleuchtung, welche
die Befreiung von den wiederkehrenden Problemen unkontrollierter Wiedergeburt beinhaltet. Sie sehen
die Erleuchtung nicht als eine Form der Allmacht, die alle Wesen augenblicklich von ihren Problemen zu
heilen vermag.
Kurz, genau wie nicht jeder, der in einem buddhistischen Zentrum lehrt, ein authentischer spiritueller
Mentor ist, so ist auch nicht jeder, der in einem Zentrum studiert, ein authentischer Schüler. Der Ruf nach
einer Klärung der Begriffe verlangt nach einer präzisen Verwendung sowohl des Begriffs Mentor oder
Lehrer als auch des Begriffs Schüler. Die umfassende Umsetzung dieser Forderung erfordert, spirituell
aufrichtig zu sein und sich nicht zu verstellen.
Ende der Zusammenfassung
Anhang 3: Übertragung und Regression (A. Berzin)
aus: „Zwischen Freiheit und Unterwerfung“, Kapitel 14
Die Beschreibung der klassischen Psychoanalyse
Übertragung und Regression kommen in den meisten menschlichen Beziehungen vor. In der klassischen
Psychoanalyse nach Freud, beschrieben von Menninger in Theorie der psychoanalytischen Technik, werden sie
als Werkzeuge genutzt. Der Patient liegt auf einer Couch, der Analytiker sitzt hinter ihm, außerhalb seines
Blickfeldes, ein wenig wie ein Elternteil, der für ein Baby in der Wiege unsichtbar ist. Der Patient öffnet
sich dem Analytiker, der aber seinerseits die meiste Zeit still bleibt und nicht reagiert. Der Patient fühlt
sich frustriert und überträgt auf den Analytiker das Bild eines Elternteils oder sonst einer schwierigen
Figur aus seiner Kindheit, die ihm nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hat. Der Patient wünscht sich
Hilfe, da er sie aber nicht bekommt, regrediert er in kindliche. Verhaltensmuster.
Die Regression verläuft gewöhnlich in Stufen. Der Patient hat gehorsam den Anweisungen des Analytikers
entsprochen und seine innersten Gedanken und Gefühle enthüllt. Dennoch hat er es scheinbar nicht geschafft, den Analytiker zufrieden zu stellen. Er hat keine Belohnung dafür erhalten, dass er ein »braver«
Patient war. Das dem Patienten scheinbar verweigerte Objekt regrediert von Hilfe zu Aufmerksamkeit, zu
Anerkennung, zu Zustimmung, zu Liebe, zu Zuneigung. Das Gefühl regrediert von Wollen zu Begehren,
zu absoluter Forderung, zu verlangen. Die Frustration darüber, das begehrte Objekt nicht zu erhalten,
regrediert auf ähnliche Weise von Ärger zu blinder Wut.
Die Wut des Patienten kann überkochen und zu einer Art infantilem wütenden Trotzanfall werden. Offensichtlich wird er vom Analytiker nicht geliebt. Der Patient wünscht die Schwachstelle des Analytikers
zu finden, um ihn zu verletzen. Es ist möglich, dass er nicht nur das Bild eines lieblosen Elternteils auf
den Analytiker überträgt, sondern auch das Bild eines teilnahmslosen Partners. Folglich versucht der Patient, mit dem Analytiker zu flirten, ihn zu verführen. Wenn er zurückgewiesen wird, verursacht er einen
Skandal, indem er behauptet, der Analytiker habe versucht ihn zu verführen. Übertragung und Regression
können äußerst facettenreich sein.
Bestenfalls erreicht der Patient irgendwann eine Krise und lässt die kindische Wut hinter sich. Er erkennt,
dass der Ausdruck- seines Schmerzes und seiner Wut nicht automatisch dazu führt, als »böses« Kind
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gebrandmarkt und verlassen zu werden. Der Analytiker agiert stets mit der gleichen Stabilität und Ruhe,
die die gesamte Beziehung auszeichnen. Langsam aber sicher lernt der Patient, vernünftige Erwartungen
zu haben, und findet Wege, wie andere sie erfüllen können. Der Patient wird zu einem reifen Erwachsenen.
Übertragung und Regression in der Schüler-Mentor-Beziehung
Im Sinne des post-freudianischen Gebrauchs ist die Regression in eine frühe Lebensphase nicht in jedem
Falle degenerativ; sie kann auch eine Verbesserung darstellen. Jemand kann in ein kindisches, unreifes
Verhaltensmuster regredieren, wie Freud es beschrieben hat. Es kann sich aber auch um eine geistig offene, unschuldig kindliche
Art des spielerischen. Umgangs, mit der Welt handeln. Eine solch, positive Regression geschieht idealerweise in einer gesunden Schüler-Mentor-Beziehung. Das Beispiel des Lehrers inspiriert den Schüler, rigide
Denk- und Verhaltensmuster abzulegen, die ohnehin nur Leiden schaffen. Degenerative Regression und
Übertragung jedoch kommen besonders häufig in ungesunden Schüler-Mentor-Beziehungen vor, besonders wenn die Mentorin oder der Mentor nicht so reagiert, wie der Schüler es gerne hätte.
Ein Schüler mag den Lehren seines Mentors gehorsam folgen und versuchen, ihn mit Opfergaben,
Dienstleistungen und seiner Praxis zufrieden zu stellen. Der Mentor jedoch bleibt völlig ungerührt - nach
den Worten des Kadam-Gesches Sharawa gleicht er einem Tiger, der Gras anschaut. Der Mentor mag mit
vielen anderen Schülerinnen und Schülern beschäftigt sein, häufig reisen und nur wenig oder gar keine
Zeit für persönliche Aufmerksamkeit gegenüber jedem seiner Schüler haben. Ein Schüler, der zu übertriebener Abhängigkeit, Unterwerfung oder Rebellion neigt, kann von diesen Umständen psychologisch überfordert sein.
Wenn wir uns selbst in solchen Situationen finden, können wir leicht in eine degenerative Regression fallen. Vielleicht projizieren wir das Bild eines unaufmerksamen Elternteils oder eines teilnahmslosen Liebespartners auf unsere Lehrerin oder unseren Lehrer. Wir möchten, begehren, ja verlangen vielleicht sogar Anerkennung, Aufmerksamkeit, Hilfe, Liebe, Lob und Zuneigung. In unserer Erwartung frustriert,
fühlen wir uns ärgerlich und wütend, vielleicht aber auch schuldig. Wegen unserer niedrigen Selbstachtung
trauen wir uns nicht, unseren Zorn zum Ausdruck zu bringen, um nicht als »schlechte« Schüler gebrandmarkt und abgelehnt zu werden. Noch schlimmer ist es, wenn wir schreckliche Angst haben, dass unsere
Gefühle einen »Bruch der Guru-Hingabe« darstellen und wir folglich in der Hölle brennen werden, wie
viele buddhistische Texte sagen. Dabei ist die tatsächliche, lebendige Hölle eigentlich in uns, wenn wir
darum kämpfen, Frustration, Wut und Schuldgefühle zu unterdrücken. Buddhistisch gesprochen ist eine
Hölle kein Ort, wo man für Ungehorsam bestraft wird, sondern die Erfahrung einer Qual, geschaffen von
unseren eigenen verwirrten, destruktiven Gedanken und Handlungen.
Vorschläge zur Problemlösung
Die Unterweisungen des Fünften Dalai Lama zur Guru-Meditation können uns helfen, Probleme mit
Regression und Übertragung zu lösen. Wenn wir in dem höllengleichen Geisteszustand gefangen sind, den
dieses verhalten erschafft, müssen wir zuerst einmal erkennen, dass es erlaubt und sogar unbedingt nötig
ist, unsere Angst und Schuldgefühle unserer Lehrerin oder unserem Lehrer gegenüber abzulegen. Angst
und Schuldgefühle helfen niemandem. Haben wir erst einmal unsere emotionalen Verspannungen gelöst.
etwa mit Hilfe der Meditationsmethoden zur Beruhigung des Geistes, können wir die störenden Gefühle
zulassen und versuchen, sie zu begreifen. Dann können wir uns fragen: »Woher kommen diese Gefühle?
Was will ich eigentlich wirklich sagen?« Die Situation bietet uns eine ausgezeichnete Möglichkeit, mehr
über uns selbst zu lernen.
Wenn wir das Phänomen der Übertragung und der degenerativen Regression erkennen, müssen wir uns als
Nächstes die Fehler ins Bewusstsein rufen, die wir in unserem Mentor erkennen. Dann müssen wir zwischen dem tatsächlichen verhalten unseres Lehrers und den auf ihn projizierten Bildern unbefriedigender
Eltern oder enttäuschender Liebespartner unterscheiden. Indem wir unsere Frustration anerkennen, müssen wir begreifen, dass die Unzugänglichkeit unseres Mentors von Ursachen und Umständen abhängt,
etwa der Tatsache, dass er viele Verantwortlichkeiten hat. Der Mangel an Aufmerksamkeit, den wir erfahren ist keine Ablehnung und bedeutet nicht, dass wir schlechte Schülerinnen oder Schüler sind. Unsere
Schuldgefühle bestätigen oder beweisen auf keinen Fall unsere inhärente Unzulänglichkeit.
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So können wir uns zu den Wurzeln unserer zornigen Frustration vorgraben und die Verwirrung beseitigen, die sie erzeugen - mit anderen Worten, wir meditieren über Leerheit und abhängiges Entstehen, Auf
diese Weise kommen wir zu tragfähigeren Ergebnissen, als wenn wir uns vom Zorn befreien wollten, indem wir ihm freien Lauf lassen. Unterdrücktem Zorn freien Lauf zu lassen verstärkt einfach die Gewohnheit des Zorns. In den meisten Fällen braucht die Meditation über die Leerheit zorniger Frustration
etliche Wiederholungen und viel Vertiefung, bevor sie die Intensität und Häufigkeit des Problems vermindern kann. Resultate stellen sich stets nur auf nichtlineare Weise ein und Wunderheilungen sind äußerst
selten.
Weitere Vorschlüge aus der kontextuellen Therapie
Ein weiterer Grund für Übertragung und degenerative Regression ist wohl kulturspezifisch. Vom Standpunkt der westlichen Kultur ist das Universum gerecht und fair, entweder weil Gott sein Schöpfer und
Lenker ist oder weil wir an eine geregelte Gesetzgebung gewöhnt sind. Wenn wir also den Anweisungen
unserer Mentorinnen und Mentoren gefolgt sind und gewissenhaft praktiziert haben, glauben wir, uns das
Recht auf Anerkennung und Lob verdient zu haben. Wenn unsere Mentoren uns dann aber nicht geben,
was wir gerechterweise verdient zu haben glauben, finden wir, dass sie uns unfair behandeln. Das kann
dazu führen, dass wir uns frustriert und verletzt fühlen und sogar in Zorn geraten. Vielleicht regredieren
wir zu den Gefühlen eines kleinen Kindes, das schreit, wie unfair es sei, dass es jetzt nicht länger aufbleiben dürfe, obwohl es seine Hausaufgaben alle erledigt hat.
Nach dem Ansatz der kontextuellen Therapie haben wir das Recht, uns schlecht zu fühlen, wenn unsere
Mentorinnen und Mentoren uns scheinbar unfair behandeln. Allerdings haben wir nicht das Recht, uns zu
rächen. Um den Schmerz zu überwinden, müssen wir aber auch unser Recht anerkennen, uns wegen der
aufrichtigen Praxis, die wir getan haben, glücklich zu fühlen. Selbst wenn niemand sonst unser Recht auf
Glück anerkennt, gibt uns unsere Selbstbestätigung bereits die Stärke, die Grenzen unserer Mentoren zu
verstehen und zu vergeben. Ferner erlaubt sie uns auch, den Respekt und die Wertschätzung anzuerkennen, die unseren Mentorinnen und Mentoren wegen ihrer guten Qualitäten und ihrer Güte verdient haben.
Darüber hinaus kann die Sicherheit und Ruhe, die wir aus unserer Selbstbestätigung gewonnen haben, uns
die Klarheit und Offenheit des Geistes verleihen, um zu erkennen, dass unsere Mentoren tatsächlich unsere Mühen würdigen, nur anders, als wir erwartet haben.
Einen spirituellen Mentor zufrieden stellen
Das Thema der Anerkennung durch einen spirituellen Mentor ist für Menschen des Westens besonders
heikel, weil die klassischen Texte über die Schüler-Mentor-Beziehung wiederholt betonen, dass man seinen
Mentor zufrieden stellen müsse. Die Ritualtexte enthalten ständig Gebete wie: »Möge ich meinen Guru
zufrieden stellen. Mögen alle Buddhas mit mir zufrieden sein.« Das Problem liegt darin,. wie man herausfinden soll, wann die Mentorin oder der Mentor zufrieden ist. Unterschiedliche Kulturen konditionieren
die Menschen zu unterschiedlichen Ausdrucksformen ihrer Zufriedenheit. Wenn Westlerinnen und Westler mit den tibetischen Bräuchen nicht vertraut sind, können sie vielleicht überhaupt nicht erkennen, wie
ein traditioneller tibetischer Mentor seine Zufriedenheit mit einem Schüler zum Ausdruck bringt.
Niedrige Selbstachtung ist für die meisten Tibeter kein Thema, sondern eher übersteigertes Selbstvertrauen und Arroganz. Daher wird, ein traditioneller tibetischer Mentor es vermeiden, einen Schüler von Angesicht zu Angesicht zu loben, da dies sein übersteigertes Selbstwertgefühl nur noch verstärken würde. Ein
Mentor würde seine Schüler höchstens gegenüber anderen loben, und auch das nur, wenn sie nicht dabei
sind. Außerdem haben Tibeter im Gegensatz zu Westlern nie das Gefühl, dass eine Empfindung nur dann
wirklich sei, wenn sie auch ausgesprochen wird. Die meisten tibetischen Paare würden niemals »ich liebe
dich« zueinander sagen und brauchten auch kein »ich liebe dich«, um sich sicher und geliebt zu fühlen.
Tibeterinnen und Tibeter bringen ihre Liebe zum Ausdruck, indem sie füreinander sorgen. Aus diesem
Grund würde ein tibetischer Mentor die Anerkennung für die Anstrengungen eines Schülers und seine
Zufriedenheit mit ihm immer nur indirekt zeigen, zum Beispiel indem er ihn ernst nimmt und ihm weiterführende Belehrungen erteilt.
Schließlich fühlen Tibeter auch keine Notwendigkeit, dauernd oder auch nur häufig mit einem Menschen
zusammen zu sein, um eine enge Beziehung aufrechtzuerhalten. Im traditionellen Tibet unternahmen die
Menschen oft lange Karawanenreisen, bei denen sie oft für mehrere Jahre hintereinander von ihren Lieben
getrennt waren. Nur wenig Zeit mit einem Schüler zu verbringen, ist also normal und kein Zeichen von
Missfallen oder Abweisung.
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Jemanden auf seine Fehler aufmerksam zu machen und ihn liebevoll auszuschimpfen ist in Tibet eine
verbreitete Art, Fürsorge und Wohlwollen zu zeigen. Tibeter warnen einen nahe stehenden Menschen vor
möglichen Fehlern und machen ihm allgemein das Leben schwer, damit er lernen und wachsen kann.
Wenn einem nicht viel am anderen läge, nähme man wohl kaum so viel Mühe auf sich. Dieses Verhaltensmuster ist nicht nur für traditionelle tibetische Mentoren typisch, sondern ebenso für traditionelle
tibetische Väter.
Die meisten Menschen des Westens verstehen die traditionelle tibetische Art gründlich falsch. Statt das
Gefühl zu haben, dass ihr tibetischer Mentor mit ihnen zufrieden ist, glauben sie, sein Missfallen erregt
und ihn enttäuscht zu haben. Häufig projizieren sie auch unangenehme Erfahrungen mit ihren Eltern auf
Situationen mit ihrem Mentor: Die Folge ist, dass sie regredieren und pubertär reagieren. So können sie
zum Beispiel den tibetischen handfesten väterlichen Rat als westliches beurteilendes und bevormundendes
Missfallen deuten. Vielleicht sehen sie den Rat als harte Kritik und als Bedrohung ihrer Integrität, Individualität und Unabhängigkeit. Warnungen vor möglichen Fehlern deuten sie vielleicht als Zeichen, dass ihr
Mentor ihnen weder traut noch sie respektiert. Statt den Schülerinnen und Schülern zu helfen reif zu werden, untergräbt die tibetische Art vielleicht noch ihr geringes Selbstwertgefühl. Die Folge ist, dass die
Schüler entweder rebellieren oder sich noch miserabler fühlen. Sie gewinnen das Gefühl, dass ihre Mentorin oder ihr Mentor keine Güte besitzt.
Darum ist manchmal ein zusätzlicher Schritt nötig, um Überzeugung von den guten Qualitäten des Mentors und Wertschätzung für seine Güte zu entwickeln. Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen die
Anerkennung und Zuneigung, die ihnen entgegengebracht werden, auf eine andere als die kulturell gewohnte und für universell gehaltene Art und Weise zu verstehen.
Die um den Ansatz der kontextuellen Therapie erweiterte Guru-Meditation würde dann die folgenden
Stufen umfassen: Zuerst müssen wir, ähnlich wie bei der Mitfreude in der siebenfachen Anrufung, unsere
eigene Praxis selbst anerkennen und gut finden. Und wenn unsere Mentorinnen und Mentoren uns dann
nicht die Art der Anerkennung oder Zeichen der Zufriedenheit mit unserer Praxis geben, die wir erwartet
haben, müssen wir uns diese Tatsache bewusst eingestehen. Über die Tatsache zu klagen oder zu glauben,
dass unsere Mentoren unsere Sitten übernehmen müssten, wird uns nur deprimieren. Schließlich waren
unsere Erwartungen unrealistisch. Darum müssen wir als Nächstes erkennen, dass die kulturellen und
persönlichen Grenzen unserer Mentoren in Abhängigkeit von einer Vielzahl von Ursachen und Bedingungen entstanden, aber keinerlei inhärente Makel beweisen. Auf diese Weise konzentrieren wir uns auf die
Leerheit der Fehler unserer Mentoren als inhärent existent.
Wenn unsere Mentorinnen und Mentoren traditionelle Tibeter sind, müssen wir uns vergegenwärtigen, wie
Tibeter den Eifer ihrer Schülerinnen und Schüler anerkennen und ihre Zufriedenheit zum Ausdruck bringen. Und wenn wir uns dann das Verhalten unserer Mentoren uns gegenüber noch einmal vor Augen
führen, sind wir vielleicht schon viel besser in der Lage, ihre guten Qualitäten und ihre Güte so zu erkennen, wie sie eben sind. Dann können wir uns mit klarer Oberzeugung auf diese deutlichen Zeichen konzentrieren. Und erst dann haben wir die Qualitäten und die Güte unserer Mentoren wirklich zu schätzen
gelernt.
Tiefere Problemlösung durch Leerheitsmeditation
Es kann sein, dass wir die kulturellen und persönlichen Gebräuche unserer Mentoren akzeptieren können,
uns aber trotzdem noch nach emotionalen Streicheleinheiten für unsere gute Praxis sehnen. Wenn wir sie
nicht in der uns vertrauten Form von unseren tibetischen Mentoren bekommen können, glauben wir vielleicht, dass wir nur eine westliche Lehrerin oder einen westlichen Lehrer zufrieden stellen müssten, um
endlich genug Aufmerksamkeit und hob zu bekommen. Eine solche Einstellung führt unausweichlich zu
Frustration und Leiden. Wir müssen begreifen, dass hinter unserem Wunsch nach Anerkennung und unserem Wünsch zu gefallen ein unbewusstes Streben nach Bestätigung steckt. Wenn wir nicht tiefer gehen
und die Meditation über Leerheit anwenden, wird dieses ernsthafte Problem ungelöst bleiben.
Wie bereits erwähnt, können zwei typisch westliche Annahmen das Problem noch verschärfen: die Annahme, dass das Universum gerecht sei, und der unbewusste Glaube, dass wir aufgrund der Erbsünde
grundsätzlich schuldig seien. Der Buddhismus stimmt der westlichen Ansicht, das Universum sei gerecht
oder fair, nicht zu. Ebenso wenig behauptet der Buddhismus, dass das Universum ungerecht sei und alles
nur per Zufall geschehe. Alles erscheint als Ergebnis eines äußerst komplexen Netzwerks von miteinander
verbundenen Ursachen und Umständen, aber ohne eine unparteiische Quelle gerechter Gesetze oder ei-
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nen gerechten Richter, der ihre faire Anwendung überwacht. Außerdem lautet die erste vom Buddha gelehrte Edle Wahrheit, dass das Leben Leiden beinhaltet. So folgen wir den Anweisungen unserer Mentorinnen und Mentoren vielleicht aufrichtig, erhalten aber - aus vielerlei Gründen - niemals Anerkennung für
unseren Eifer. Wenn wir dann - aufgrund unseres Glaubens, das Universum müsse fair sein - Anerkennung oder ein Zeichen der Zufriedenheit erwarten, begehren oder gar fordern, schaffen wir nur zusätzliches Leiden.
Die Hoffnung, Anerkennung werde unseren Wert beweisen, geht letztlich von unserem Wert als unabhängig existierende Individuen aus. Diese Zwangsvorstellung entsteht aus einer Täuschung in Bezug auf unsere Existenzweise.
Letztlich müssen wir begreifen, dass es, obwohl wir als Individuen existieren, kein solides »Ich« in uns gibt,
das inhärent unzulänglich sein kann und das Bestätigung braucht oder andere zufrieden stellen muss, um
sich würdig oder real fühlen zu können. Obwohl Anerkennung letztlich sinnlos ist, dürfen wir uns keinesfalls dafür verurteilen, wenn wir sie trotzdem brauchen. Solange wir uns noch innerhalb der Beschränkungen kulturspezifischen Denkens und Glaubens bewegen, ist Anerkennung durchaus notwendig. Ohne
entsprechende Anerkennung dürfte der Ausbruch aus diesen Beschränkungen für die meisten Menschen
schlicht zu schwierig sein.
Bekommen wir keine Anerkennung von unseren Mentoren, Eltern, Liebespartnern oder Freunden, ist
Selbstanerkennung definitiv eine große Hilfe. Aber wir müssen vorsichtig sein, wenn wir sie anwenden.
Geben wir unsere Selbstanerkennung im Überschreiten kultureller Grenzen zu früh auf, können wir wieder mit einem schlechten Selbstwertgefühl enden. Und uns zu schämen oder dumm zu fühlen für das, was
wir früher empfanden, verstärkt die geringe Meinung, die wir ohnehin von uns selbst haben, nur noch
weiter. Mit einem tiefen Verständnis von Leerheit müssen wir uns nicht einmal mehr selbst vergeben, dass
wir dumm gehandelt haben.
In einer gesunden Beziehung zu einem spirituellen Mentor folgen die Schülerinnen und Schüler den Anweisungen ihrer Lehrer, praktizieren eifrig und unterstützen sie sogar finanziell und sonst wie in ihrem
Alltag, ohne jedes Bedürfnis nach Anerkennung oder Lob. Schließlich tun die Schüler all dies, um sich
selbst und anderen langfristig zu nutzen, und nicht wegen ein paar Streicheleinheiten. Wenn wir also versuchen, unsere Mentoren zufrieden zu stellen, so geht es uns nicht um Selbstbestätigung durch Anerkennung, ein Dankeschön oder irgendein Zeichen ihres Gefallens. Wir versuchen, unsere Mentorinnen und
Mentoren zufrieden zu stellen, um in unserer Fähigkeit zu wachsen, anderen zu helfen.
Gegenübertragung
In der Psychoanalyse kann ein Analytiker auf die Übertragung und degenerative Regression eines Patienten mit einer Gegenübertragung reagieren. Nehmen wir an, ein Patient überträgt das Bild eines stets beschäftigten Vaters und regrediert in die Forderung nach Aufmerksamkeit. In seiner Gegenübertragung
kann der Analytiker nun das Bild eines fordernden Vaters projizieren und sich defensiv oder genervt verhalten. Dabei muss man berücksichtigen, dass sowohl die Übertragung als auch die Gegenübertragung
unbewusste Prozesse sind. Andere Ergebnisse der Gegenübertragung können darin bestehen, dass Schützerinstinkte geweckt werden, dass man berechnend, geschmeichelt oder enttäuscht reagiert oder ein romantisches Interesse am Gegenüber entwickelt. Analytiker lernen in ihrer Ausbildung jedes Anzeichen
einer möglichen unbewussten Gegenübertragung zu erkennen, um sie nicht ausagieren zu müssen.
Wenn spirituelle Schülerinnen und Schüler Bilder von Vater, Mutter oder Liebespartnern auf den Mentor
übertragen und in pubertäre Verhaltensmuster regredieren, reagieren qualifizierte Mentorinnen und Mentoren ohne Gegenübertragung. Selbst wenn die Schüler unvernünftige Forderungen stellen oder sogar ihre
Liebe erklären, lassen qualifizierte Mentoren ihre Worte einfach durch sich hindurchgehen, ohne die Situation zu konkret und. unabhängig existierenden Zwischenfällen aufzublasen. Indem sie Ruhe, Gleichmut
und warmherzige Fürsorge aufrecht erhalten, werden qualifizierte Mentorinnen und Mentoren für ihre
Schüler zu einem sanften Spiegel. Ein Spiegel wirft uns einen realistischen Eindruck von uns selbst zurück; aber niemals nimmt er die Merkmale dessen an, der sich in ihm spiegelt.
Gewöhnlich konfrontieren Mentoren die Schülerinnen und Schüler nicht mit ihren Projektionen oder
tadeln sie wegen ihres unangebrachten Verhaltens. Tibetische Mentoren tadeln ihre Schüler nur, wenn sie
sich anderen gegenüber unangemessen verhalten haben, denn wegen ihrer Bescheidenheit können sie
angemessene Behandlung nicht für sich selbst einfordern. Mit ihrem konsequent makellosen Verhalten
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schaffen sie die förderlichen Umstände, die, es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, achtsame
Einsicht in die gegenwärtige Situation zu gewinnen. Schließlich können die Schüler sogar ihre projizierten
Fantasien erkennen. Im Unterschied zu Psychoanalytikern zielen spirituelle Mentorinnen und Mentoren
also nicht auf den Übertragungs- und Regressionsprozess. In Übereinstimmung mit guten Analytikern
aber reagieren sie weise und mitfühlend auf den Prozess, sollte er dennoch eintreten.
Ein erwachsener Umgang mit Gegenübertragungen
Die meisten spirituellen Mentorinnen und Mentoren sind keine Erleuchteten und haben daher zumindest
Reste störender Gewohnheitsmuster. Deshalb kann Gegenübertragung bei ihnen durchaus vorkommen.
Wenn das geschieht, ergreifen Mentoren die gleichen Maßnahmen wie Analytiker. Sie versuchen, sich der
Gefühle der Gegenübertragung bewusst zu werden, um sie nicht auszuagieren. Manchen spirituellen Lehrern mangelt es allerdings an bestimmten guten Qualitäten, weshalb sie die Impulse der Gegenübertragung
gelegentlich doch ausagieren. So können spirituelle Lehrer- sich als Reaktion auf Idealisierung, Schmeichelei oder romantische Annäherungsversuche durchaus gleichfalls romantisch und schmeichelnd verhalten.
Wenn wir mit Gegenübertragung konfrontiert werden, müssen wir die Ursachen des Problems sorgfältig
untersuchen. Während der ersten Phase der Guru-Meditation der Sutra-Ebene müssen wir objektiv prüfen, ob der Fehler unserer Lehrerin oder unseres Lehrers
ob er ganz und, gar auf andere Ursachen zurückgeht. Wenn wir entdecken, dass unser eigenes verhalten
zumindest teilweise verantwortlich ist, müssen wir an der Überwindung dieses Verhaltens arbeiten. Wenn
unsere Lehrer ihr unangemessenes oder sogar missbräuchliches verhalten dann immer noch nicht einstellen, können wir Ashvagoshas Rat folgen und unseren Lehrern unter vier Augen höflich mitteilen, dass ihr
unangemessenes Verhalten uns unangenehm ist und wir sie freundlich bitten, uns zu erklären, warum sie
auf diese Weise handeln. Alternativ können wir auch den Kalachakra-Lehren folgen und einen respektvollen Abstand halten.
Lehrer öffentlich in Verlegenheit zu bringen, so dass sie ihr Gesicht verlieren, darf nur ein letztes Mittel
sein, um extrem missbräuchliches Handeln zu unterbinden. Gedenken wir, solch drastische Maßnahmen
zu ergreifen, müssen wir ganz sicher sein, dass es unser ausschließliches Motiv ist, andere und die Lehrer
selbst vor zukünftigem Leid zu bewahren. Ist die öffentliche . Beschuldigung eines Lehrers ein persönlich
motivierter Rachefeldzug, wird sie mehr schaden als nutzen. Sie kann die Schüler des Lehrers, die von
seinen Unterweisungen profitiert haben, in große Verwirrung stürzen. Die anderen Schüler können in
einen Zustand spiritueller Hoffnungslosigkeit geraten, und wir selbst können in einen verbitterten, negativen Geisteszustand fallen. Missbräuchliches Verhalten, ob von Gegenübertragung ausgelöst oder nicht,
kann nur durch empfindsame, weise und mitfühlende Maßnahmen beendet werden.
Zusammenfassung
Eine gesunde Beziehung zu einem spirituellen Lehrer erfordert eine sichere Richtung (Zuflucht) im Leben, eine Bodhicitta-Motivation und vor allem ein korrektes Verständnis von Leerheit. Ohne diese Voraussetzungen kann jeder Versuch, eine Beziehung aufzubauen, in ungezügelter Übertragung und degenerativer Regression enden.
Die Beziehung zu einem spirituellen Mentor ist nicht dasselbe wie eine Beziehung zu einem Psychoanalytiker. Ein Mentor hält keine, regelmäßigen Einzelsitzungen ab, um den Übertragungs- und Regressionsprozess zu überwachen und unter Kontrolle zu halten. Wenn also Übertragung und Regression auftreten,
was häufig der Fall ist, kann die Guru-Meditation der Sutra-Ebene, ergänzt um Schritte aus der kontextuellen Therapie, helfen, das Problem zu beseitigen.
Anhang 4: Kum Nye – Tibetisches Heilyoga (Matthias Steurich)
Unsere Bewusstheit gibt uns die Freiheit, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, nicht auf eine gewaltsame oder besitzergreifende Weise, sondern vertrauensvoll. Tarthang Tulku2
Entstehung
Kum Nye, das tibetische Heilyoga, wurde von dem Lama Tarthang Tulku Rinpoche in den Westen eingeführt. Er erhielt in Tibet noch vor der chinesischen Invasion die traditionelle Ausbildung eines Tulku
2
Tarthang Tulku, 1980. S. 14
42
(reinkarnierter Lama). Kum Nye erlernte er bei seinem Vater, der selber ein Lama und Heiler war. Nachdem Tarthang Tulku Ende der 60er Jahre in die USA gekommen war, passte er in Zusammenarbeit mit
Psychotherapeuten ausgewählte Übungen der besonderen Situation seiner westlichen Schüler an.
Übungsarten
Die Kum-Nye-Übungen umfassen stilles Sitzen mit weicher Konzentration auf den natürlich fließenden
Atemrhythmus, sehr langsam und bewusst ausgeführte Bewegungen, Selbstmassage mit Druckpunkten
und die Rezitation heilender Klänge (Mantras). Einige Übungen können auch verbunden werden mit der
Visualisation symbolischer Farben.
Indikationen und Kontraindikationen
Kum Nye ist ein Übungssystem zur Entspannung, Anregung der psycho-physischen Energien und zur
Lösung von Blockaden im Energiesystem. Es steigert die Fähigkeit zum reinen Gewahrsein (Achtsamkeit),
zur Disidentifikation von Teilpersönlichkeiten sowie zur Entwicklung von Ich-Stärke und Willenskraft.
Die Übungen sind eine wirkungsvolle Methode für Stressreduktion und –management, Psychohygiene
und zur Selbsterfahrung. Sie fördern eine tiefe innere Ruhe, heitere Gelassenheit und körperliches Wohlbefinden. Das ermöglicht eine umfassende Selbsterkenntnis, die bis in transpersonale Bereiche führen
kann. Untersuchungen an der Universität Osnabrück3 bestätigten die Wirkung von Kum Nye bei psychosomatischen Erkrankungen.
Die Übungen setzen eine normal belastbare geistige und körperliche Gesundheit voraus und sind kein
Ersatz für psychotherapeutische oder medizinische Behandlung. Bei schweren psychischen Problemen
sollte man sie nur nach vorheriger Absprache mit einer Therapeutin bzw. einem Therapeuten üben. Einige
Übungen sind kurz nach Operationen und bei Verletzungen der Wirbelsäule nicht geeignet bzw. sollten
ganz behutsam und unter Anleitung ausgeführt werden. Im Zweifelsfall ist die Konsultation eines Arztes
bzw. einer Ärztin ratsam.
Wirkungsweise
Alle Kum-Nye-Übungen sind technisch sehr einfach und erfordern keine speziellen Fähigkeiten, körperliche Geschicklichkeit oder Vorkenntnisse. Das Besondere an den Kum-Nye-Übungen ist die Entwicklung
einer intensiven Achtsamkeit für das gegenwärtige Geschehens, verbunden mit der Bewusstheit für den
natürlich fließenden Atem. Die Achtsamkeit wird vor allem dadurch gefördert, dass die Bewegungen sehr,
sehr langsam ausgeführt werden.
Dadurch öffnet sich unsere Alltagserfahrung wie auf magische Weise und lässt eine Fülle von Empfindungsnuancen zu, die in der Hektik des ziel- und leistungsorientierten Alltags kaum erfahrbar ist. Es ist
ein Hinweis darauf, dass unser Alltagsbewusstsein lediglich ein blasses Abbild dessen ist, was uns potentiell in jedem Augenblick und in jeder Situation zur Verfügung steht.
In Kum Nye konzentrieren wir uns sanft auf die beim Üben angeregten Empfindungen, denn hier ist die
“Schnittstelle” zwischen Körper und Geist. Solange wir bei Bewusstsein sind und einen Körper mit intakten Sinnen haben, werden wir immer etwas empfinden. Das ist biologisch vorgegeben. Was wir dann aber
mit den Empfindungen machen, wie wir sie interpretieren und auf sie reagieren, das ist eine Frage des
Geistes.
Störmer-Labonté, M., Machemer, P.: Pilot-Studie zur Entspannung in der Herzinfarktrehabilitation; 1988, Forschungsbericht
Nr. 65, FB Psychologie der Universität Osnabrück
Machemer, P., Störmer-Labonté, M.: Überlegungen, Erfahrungen und Untersuchungen zur Kum Nye Entspannung; 1989, Universität Osnabrück
Machemer, P.: Psychotherapie und Meditation - Zur Verbindung von Gestalttherapie und Kum Nye. In: Integrative Therapie,
3/1991, S. 228-253
Störmer-Labonté, M.: Streß und Streßbewältigung in meditativer Sicht: Die implizite Streßtheorie der Nyingma Psychologie auf
dem Hintergrund der transaktionalen Streßtheorie von Lazarus; 1991, Forschungsbericht Nr. 77, FB Psychologie der Universität Osnabrück
Störmer-Labonté, M., Machemer, P., Hardinghaus, W.: Ein meditatives Streßbewältigungsprogramm bei psychosomatischen
Patienten. In: Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, Heft 12, Dezember 1992, S. 409-448
Machemer, P.: Kum Nye und religiöse Erfahrung. In: Dittrich, Hofmann, Leuner (Hrsg.): Welten des Bewußtseins; Bd. 2: Kulturanthropologische und philosophische Beiträge; 1993, VWB Verlag für Wissenschaft und Bildung, S. 105-118
Störmer-Labonté, M.: Ein meditatives Streßbewältigungsprogramm - Evaluation und Indikation bei psychosomatischen Patienten,
1994. Forschungsberichte Nr. 100a und 100b, FB Psychologie der Universität Osnabrück
3
43
Beim Üben kommt es daher nicht in erster Linie darauf an, eine bestimmte Technik oder diverse Tricks zu
lernen und sie richtig anzuwenden. Im Gegenteil, ein allzu technisches Verständnis ist ein großes Hindernis. Dann orientieren wir uns nämlich an vorgegebenen Normen und sind nicht offen für das, was gerade
geschieht. Kum Nye lädt ein, in der Übung mehr, tiefer und intensiver zu erleben.
Fortschritt bei Kum Nye bedeutet daher nicht, ”richtig" oder ”gut" zu üben, sondern feiner wahrnehmen
zu können. Jede Übung, auch eine scheinbar sehr schlichte, kann auf vielen Ebenen erfahren werden. Die
gleiche Übung ist sowohl für ”Anfänger" geeignet als auch für ”Fortgeschrittene".
Die drei Phasen des Übens
Jede Bewegungsübung besteht aus drei Phasen, die in ihrer Gesamtheit eine tief heilende Wirkung haben:
1. Phase der Stille. Hier nehmen wir Kontakt auf zu den Empfindungen des Körpers. Wir spüren den
natürlichen Rhythmus des Atems und lassen ihn frei fließen. So ruht der Geist gelassen in der augenblicklichen Erfahrung. Es gleicht einer vorurteilslosen Bestandsaufnahme unserer augenblicklichen Situation, in
der wir in Kontakt treten mit dem offenen Raum der Wahrnehmung.
2. Phase des Erkundens. In diesem weiten Wahrnehmungsraum kann sich dann die Erfahrung der jeweiligen Übung entwickeln, so dass die äussere Bewegung des Körpers erlebt wird als ein innerer, sich kontinuierlich verändernder Fluss von subtilen Empfindungen. Jede Erfahrung kann als ein Wissen aufgefasst
werden, das uns eine wertvolle Botschaft übermitteln möchte. Wir können sie aber nur aufnehmen, wenn
wir uns ihr öffnen.
3. Phase der Integration. Schließlich nehmen wir in der dritten Phase des Übens achtsam die in der Übung Sitzen wie ein Berg (siehe Übungsteil) vorgestellte Meditationshaltung ein und spüren allem noch
mehrere Minuten lang nach. Hier können die in der Bewegung ausgelösten Erlebnisse in uns nachwirken.
In diesen drei Phasen des Übens können wir den grundlegenden Rhythmus von Ruhe - Bewegung – Ruhe
erleben. Wenn wir uns ihm immer mehr öffnen, werden wir ihn allmählich erfahren als ein Symbol allen
Lebens: Aus der Stille der befruchteten Eizelle bzw. des Samenkorns entwickelt sich eine neue Lebensform und kehrt schließlich wieder zurück in die Stille von Tod und Vergehen. In jeder Übung haben wir
Teil an diesen zeitlosen Rhythmen allen Werdens und Vergehens.
Die drei Wirkungsebenen
Die Übungen wirken auf drei Ebenen zunehmender Subtilität: körperlich; psychisch/emotional; seelisch/existentiell.
Auf der körperlichen Ebene lockern die Bewegungsübungen und Selbstmassagen die verspannte Muskulatur. Das ist zwar sicherlich hilfreich, führt aber nicht sehr weit, und die Wirkung hält nicht lange an.
Chronische Verspannungen der Muskulatur haben psychische Ursachen, z. B. Ängste, traumatische Erlebnisse oder festgehaltene Gefühle, die wir aus verschiedenen Gründen nicht zu zeigen oder auszudrücken
wagen. Beim Üben tauchen diese oft lange unterdrückten Gefühle als Erinnerungen, Bilder, Gedanken
und Emotionen häufig wieder auf. In der Übungssituation besteht die Chance, sie zu integrieren, über sie
hinauszuwachsen und sie loszulassen. Das ist die psychisch/emotionale Wirkungsebene.
Klärt sich auf diese Weise das Bewusstsein und lassen die emotionalen Turbulenzen allmählich etwas
nach, öffnet sich uns eine noch subtilere Erfahrungsdimension, hier als die seelisch/existentielle bezeichnet.
Gemeint ist damit die Frage nach dem Sinn und den Werten unseres individuellen Lebens, aber darüber
hinaus auch die Frage nach dem Leben allgemein. Auf dieser Ebene sind transzendente Erfahrungen und
spirituelle Einsichten möglich (im Sinne der philosophia perennis, der ”immerwährenden Philosophie"), und
zwar nicht als intellektuelle Spekulation, sondern als konkretes Erleben.
Entspannung
Beim Üben lernen wir schon sehr bald die hauptsächlichen Bereiche des Festhaltens kennen. Körperliche
Blockaden werden als schwere, dunkle und gelegentlich sogar schmerzhafte Gefühle erlebt. Geistige Blockaden zeigen sich als ein endloser Strom von Emotionen und sehr häufig erratischer, nicht selten sogar
völlig zusammenhangsloser Gedanken. Entwickeln wir die Fähigkeit der Disidentifikation im achtsamen
Gewahrsein, lösen sich diese Blockaden von selbst. Atem und Empfindungen verschmelzen zu einem
Strom bewusst erlebter Energie, auf dem die Bewegung der Übung mühelos “schwimmt”. Diese Form
44
der Entspannung auch in unangenehmen oder schwierigen Situationen ist ungewöhnlich, denn im Kontrast zu gebräuchlichen Entspannungsverfahren wie dem autogenen Training und der progressiven Muskelentspannung wird im Kum Nye keine reine Umschaltung auf einen möglichst spannungsarmen Zustand, keine konditionierte Entspannungsreaktion eingeübt, sondern entspannte Bewußtheit in allen Lebenssituationen, also auch in anstrengenden, schmerzhaften und emotional negativ getönten Erfahrungen.4
Erdung und Zentrierung im Hier und Jetzt
Kum Nye führt zu einer Erdung und Zentrierung im Hier und Jetzt, ein zentrales Anliegen der Humanistischen Psychologie: Ähnlichkeiten zwischen den humanistischen Ansätzen (einschließlich der Gestalttherapie) und Kum Nye lassen sich in der ganzheitlichen Betrachtung des Menschen als Leib-Seele-GeistEinheit im Lebensraum finden sowie in der Vorstellung eines sich entfaltenden Menschen, der das Potential zu persönlichem Wachstum in sich trägt. Die deutlichsten Berührungspunkte von Gestalttherapie und
Kum Nye liegen in dem Prinzip des “Hier und Jetzt”, der Vorstellung der Prozeßhaftigkeit psychischer
Vorgänge und besonders der Betonung der “wachen Bewußtheit”.5
Stressreduktion und –management
Stress erzeugt nicht in erster Linie eine bestimmte Situation, sondern unsere innere Einstellung zu ihr.
Wird sie als angsterzeugend wahrgenommen, weil die eigenen Möglichkeiten als nicht adäquat eingeschätzt
werden (z.B. in einer Prüfungssituation), so folgt eine Stressreaktion. Dann projiziert der Geist alle möglichen Komplikationen in die Zukunft, und wir reagieren darauf, als sei diese Annahme ein Fakt.
Die Kum-Nye-Bewegungsübungen sprechen vor allem Muskelpartien an, in denen wir stressbedingte
Spannungen festhalten. Durch die Langsamkeit der Bewegung, in Verbindung mit dem natürlich fließenden Atem, kann die Spannung allmählich aufgelöst werden.
Beim Üben bleiben wir bei den Empfindungen des Körpers und des Atems bzw. kehren immer wieder zu
ihnen zurück, wenn der Geist in Projektionen usw. abschweift. Dadurch wird das als überwältigend empfundene globale Angstgefühl als das erkannt, was es tatsächlich ist: eine Kombination verschiedener Symptome und Reaktionen, die jede für sich leicht überschaubar sind.
Psychohygiene
Das Leben in den westlichen Industrienationen gleicht einem unablässigen Bombardement durch Sinnesreize. Die Nerven leben sozusagen in einem permanenten Ausnahmezustand. Ebenso wie der Körper
regelmäßige Ruhephasen braucht, benötigt dies auch der Geist. Das nicht an Zielen und Leistung orientierte Kum Nye schafft ohne großen Aufwand eine Situation, in der wir “die Seele baumeln lassen” können.
Die Kum-Nye-Selbstmassagen mit Druckpunkten regen die Energiebahnen sanft an und harmonisieren
den Energiefluss. So können die Lasten des Alltags von uns abfallen.
Disidentifikation
Die grundlegende Kum-Nye-Übung ist das stille Sitzen in einer Meditationshaltung, bei der so weit wie
möglich der Atem in seinem natürlichen Rhythmus bewusst zugelassen wird (siehe die Übung Sitzen wie ein
Berg). Es entzieht unserem üblicherweise nach außen gerichteten, leistungs- und erfolgsorientierten Geist
die Grundlage. Dieses manchmal geradezu als bedrohlich erlebte “Loch” wird häufig mit einer wahren
Flut von Projektionen gefüllt: Alles, womit wir uns identifizieren, tritt nun deutlich hervor. Statt wie üblich
unsere Projektionen mit der Wirklichkeit zu verwechseln und auf sie zu reagieren, wird nun nicht gehandelt, sondern das achtsame Gewahrsein geübt.
Allmählich können wir auch Teilpersönlichkeiten mit ihren typischen Verhaltensweisen erkennen. In dem
offenen Bewusstseinsraum des achtsamen Gewahrseins haben wir die Freiheit, mit verschiedenen Reaktionen zu experimentieren und so die Kette disfunktionaler Stimulus-Reaktionsweisen zu lösen.
4
5
Störmer-Labonté, M. et al.: 1992, S. 436
Machemer, P.: 1991; S. 231
45
Parallelen finden sich in einigen modernen Therapieformen - z.B. Psychosynthese6 oder Voice Dialogue7 -,
in denen die Disidentifikation von den Forderungen der Teilpersönlichkeiten ein zentraler Bestandteil des
therapeutischen Prozesses ist.
Willensentwicklung
Kum Nye kennt zum Teil ausgesprochen konfrontative Bewegungsübungen, in denen bewusst Stresspositionen erst langsam aufgebaut, dann einige Zeit gehalten und schließlich die Spannung ganz allmählich
wieder abgebaut wird. Ein Beispiel ist die Übung Erdenergie.
Hier spielen wir mit der Grenze unserer Möglichkeiten. Früher oder später treten Gegenreaktionen auf:
die Muskeln beginnen zu zittern, der Körper ermüdet, der Geist dreht sich immer wilder. Wann kehren
wir wieder in die Ruhe zurück? Es ist keine bestimmte Zeit vorgegeben, wir können jederzeit aufhören,
niemand schreibt uns etwas vor. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen.
Wie treffen wir die Entscheidung? Eine innere Stimme sagt: “Es geht nicht. Ich kann nicht mehr.” Wir
können diese Situation nutzen, um spielerisch die Grenze des Bekannten zu verschieben. Was geschieht,
wenn wir die Position noch drei Atemzüge länger halten? Wir können beim Üben beobachten: Verkrampfe ich mich? Gerate ich in einen Kampf mit mir selber? Will ich einen Erfolg erzwingen? Ist es stattdessen
möglich, eine weiche Beharrlichkeit zu entwickeln, die weder gleich aufgibt noch etwas erzwingen will?
Diese Kum-Nye-Spannungspositionen können im besonderen Maß zur Willensentwicklung benutzt werden. In der Psychosynthese ist die Schulung des Willens8 von zentraler Bedeutung, denn “der Wille ist
notwendig, um eine Entscheidung zu treffen und dann bei ihr zu bleiben, um die erforderliche Zeit und
die Schwierigkeiten auf sich zu nehmen.”9
Ich-Stärke
Durch die Bewusstwerdung unterdrückter Wünsche, Bedürfnisse, Vorurteile usw. im offenen Raum des
achtsamen Gewahrseins können wir lernen, abgespaltene Selbstanteile erst zu erkennen und dann anzunehmen. Das wird wesentlich erleichtert durch die beim Üben entwickelte Position der nicht-wertenden
Anerkennung dessen, was da ist. So können sich belastende Schuldgefühle lösen und die unterdrückten
Inhalte des Bewusstseins integriert werden. Wir entwickeln Ich-Stärke.
Übungen
Der folgende Abschnitt lädt Sie zu einigen ausgewählten Kum-Nye-Übungen ein. Die Übungsanleitungen
enthalten viele Hinweise auf Erfahrungsmöglichkeiten in den verschiedenen Phasen des Übens. Es sind
aber lediglich Andeutungen, keine Zielvorgaben. Achten Sie beim Üben darauf, ob Sie daraus ein Pflichtprogramm machen wollen, ob Sie Ihre gegenwärtige Erfahrung an einem idealisierten Ergebnis messen
und dann natürlich hinter diesem zurückbleiben. Immer, wenn Sie eine solche Tendenz in Ihrem Bewusstsein bemerken, wenn Sie in innere Zwiegespräche verwickelt werden, die eigene Erfahrung wertend zensieren, kehren Sie einfach mit dem nächsten Atemzug wieder zur Unmittelbarkeit des Gewahrseins zurück. Machen Sie sich immer wieder bewusst: Das Ziel des Übens ist das achtsame Erleben des augenblicklichen Geschehens.
Es geht nicht um Leistung und Erfolg. Im Grunde ist es ganz einfach: Kommen Gedanken, gehen Sie
zurück zum Atem und zur Erfahrung. Erleben Sie ein ”emotionales Drama”, kehren Sie zurück zum Atem und zur Erfahrung.
Wahrscheinlich wird Ihnen diese offene Haltung des sanften, liebevollen Annehmens der eigenen Situation, auch der eigenen Unzulänglichkeit (!), zunächst nicht leicht fallen. Aber auch das ist keine Zielvorgabe.
Sie können innerlich immer wieder einen Schritt zurücktreten und im Bewusstseinsraum der achtsamen
Gegenwärtigkeit mehr zulassen. So lernen Sie Geduld mit sich selbst, damit verbunden Vertrauen in natür-
6 Assagioli, R.: Psychosynthese. Handbuch der Methoden und Techniken; 1993, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei
Hamburg
7 Stone, H. und S.: Du bist viele. Das 100fache Selbst und seine Entdeckung durch die Voice-Dialogue-Methode; 2. Aufl. 1995,
Wilhelm Heyne Verlag, München
8 Assagioli, R.: Die Schulung des Willens. Methoden der Psychotherapie und der Selbsttherapie; 7. Aufl. 1994; Junfermann-Verlag,
Paderborn
9 Assagioli, R.: 1993, S. 127
46
liche Entwicklung und schließlich die subtile, heilende Freude und Gelassenheit, die spontan entsteht,
wenn der innere Zwang zu Kontrolle und Etwas-tun-Müssen nachlässt.
Übung: Sitzen wie ein Berg
Diese Übung vereint Körper, Atem und Geist zu einer einheitlichen Erfahrung. Daher ist sie grundlegend
für jede echte Entwicklung. Sie kann beliebig lange ausgeführt werden.
Die Sitzhaltung ist weit mehr als eine reine Körperhaltung. Sie kann als die konkrete Verkörperung einer
völlig offenen Bewusstseinshaltung erlebt werden. Dabei entsprechen verschiedene Körperregionen gewissen Aspekten dieses offenen Bewusstseins.
Nehmen Sie so Platz, dass sich der Sitz fest, stabil und bequem anfühlt. Das ist entweder in einer klassischen Meditationshaltung mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden (Abb. 1) oder, falls Ihnen das zu
unbequem ist, nach westlicher Art auf einem Stuhl möglich. Falls Sie das Sitzen auf einem Stuhl bevorzugen, lassen Sie die Fußsohlen flach auf dem Boden ruhen, und lehnen Sie den Rücken möglichst nicht an
(Abb. 2). Beim Sitzen auf dem Boden hilft ein festes Sitzkissen oder ein Meditationsbänkchen, das Becken
etwas höher zu bringen als die Knie. Es wird Ihnen dann leichter sein, mit den Knien den Boden zu berühren. Erzwingen Sie es aber nicht! Falls die Knie nicht den Boden berühren, unterstützen Sie sie mit
einem kleinen Kissen oder einer zusammengelegten Decke.
Nehmen Sie einige tiefe Atemzüge, und lassen Sie beim Ausatmen so weit wie möglich los. Spüren Sie, wie
der Boden Sie bedingungslos trägt. Er nimmt Sie völlig an. Fühlen Sie die Berührung von Körper und
Boden so vollständig wie möglich: Beine, Knie, Fußsohlen (beim Sitzen auf dem Stuhl), Gesäß: ein breites, stabiles Sitzen. Können Sie die kraftvolle Ruhe des Bodens spüren und im Bauch loslassen? Lassen Sie
zu, dass sich das ruhige Vertrauen in Ihre eigene innere Kraft im Bauch ansammelt.
Nachdem Sie sich ein paar Augenblicke auf Ihre Empfindungen in Bauch und Unterkörper konzentriert
haben, lassen Sie Ihre Bewusstheit allmählich im Körper nach oben wandern, so dass die aufsteigende
Bewusstheit die Wirbelsäule sanft aufrichtet. Es ist ein waches, aufrechtes Sitzen, bei dem Sie weich und
elastisch in der eigenen Mitte ruhen. Lassen Sie den Oberkörper spielerisch ein wenig pendeln. Spüren Sie,
welche Empfindungen das entlang der Wirbelsäule anregt. Allmählich wird das Gefühl einer stabilen inneren Mitte entstehen. Die Wirbelsäule trägt mühelos den Körper.
In dieser wachen inneren Mitte können die Empfindungen einer ruhigen, kraftvollen Lebensenergie ungehindert aus dem Bauch aufsteigen und den Brustkorb erfüllen, so dass dieser sich weitet in dem Gefühl
eines ruhigen Lebensmutes. Auf der Grundlage von kraftvollem Vertrauen können Sie aufrecht (aufrichtig!) sein und sich gelassen dem Leben zuwenden.
Dieses offene Gefühl von Lebensmut im Herz- und Brustbereich kann sich immer weiter ausdehnen und
bis in die Schultern ausstrahlen, so dass sich Spannungen im Schultergürtel lösen. Sanfte, kleine Bewegungen mit den Schultern werden den Prozess der Entspannung fördern. Vielleicht können Sie dann auch
spüren, wie das Gefühl des Lebens und der Entspannung wie ein weicher Strom von Bewusstheit allmählich in den Armen nach unten fließt, immer weiter bis in die Hände und in jeden einzelnen Finger. Lassen
Sie die Hände entspannt auf den Knien oder Oberschenkeln ruhen. Können Sie die Verbindung der Hände mit der Kraft des Bodens wahrnehmen?
Nachdem Sie nun kraftvoll und wach aufrecht in Ihrer Mitte ruhen - Bauch entspannt, Brustkorb weit und
Schultergürtel gelöst -, lassen Sie Ihre Bewusstheit allmählich durch Kehle und Nacken weiter nach oben
steigen bis in den Kopf. Der Schädel ruht genau oben auf der Wirbelsäule, nach keiner Seite geneigt. So
fühlt sich der Nacken lang und gerade an, was zu einer klaren Bewusstheit im Kopf führt. Es ist aber
nicht die Bewusstheit von etwas Bestimmtem, sondern eine Wahrnehmung, die auf keine konkreten Dinge oder Objekte gerichtet ist. Lassen Sie Ihre Augen sehr weich sein, entweder halb oder ganz geschlossen, ohne einen bestimmten Punkt zu fixieren. Sobald Ihre Augen entspannt sind, werden sich auch alle
anderen Sinne entspannen. Sie nehmen einfach wahr, was sich Ihren Sinnen zeigt, ohne an irgendeinem
Sinnenreiz festzuhalten noch ihn abzuweisen. Alle Sinneseindrücke kommen und gehen, auch Gedanken,
Erinnerungen, innere Bilder usw. Ihr Geist wird zu einem offenen Raum der Wahrnehmung.
Allmählich dehnt sich die Entspanntheit in den Augen über das gesamte Gesicht aus und strahlt vor allem
in die Bereiche, in denen wir im Allgemeinen sehr verspannt sind: Mund, Unterkiefer und Kaumuskulatur.
Die Lippen liegen weich aufeinander, fühlen sich gelöst und voll an. In der Mitte sind sie ein klein wenig
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geöffnet, so dass der Atem gleichzeitig durch Mund und Nase fließen kann. Die Öffnung zwischen den
Lippen kann sehr klein sein, traditionell wird gesagt, als ob wir ein Reiskorn zwischen den Lippen halten.
Die Zunge liegt locker im Mund, die Zungenspitze berührt kaum merklich die oberen Schneidezähne.
Dieser natürlich fließende Atem durch Mund und Nase ist vielleicht zunächst etwas ungewohnt. Mit mehr
Übung werden Sie aber spüren, wie er die Kehle entspannt, wie er Energien in Körper und Geist anregt
und gleichmäßig fließen lässt.
Selbst wenn Sie auf diese Weise ganz still sitzen, werden Sie im offenen Raum der bewussten Wahrnehmung eine Bewegung bemerken, die in einem natürlichen Rhythmus kommt und geht: den Atem. Lassen
Sie Ihren Atem so fließen, wie er will. Sie brauchen nichts zu tun, um diese Bewegung zu kontrollieren.
Haben Sie völliges Vertrauen in die Fähigkeit Ihres Körpers, atmen zu können. Das macht er schon seit
Ihrer Geburt. Wenn Sie den Fluss des Atems mit wacher Anteilnahme zulassen, werden Sie viele feine
Empfindungen spüren, die der Atem in Ihrem Körper auslöst. Atem und Geist verschmelzen auf diese
Weise immer mehr und werden zu einem Strom bewusster Lebensenergie, der Ihren Körper zunehmend
durchdringt. Diese heilende Energie des bewusst erlebten Atems kann Sie völlig erfüllen und sich über die
Grenzen Ihres Körpers hinaus ausdehnen in den Sie umgebenden Raum.
Verbinden Sie sich immer mehr mit der bewussten Erfahrung des natürlichen Atemrhythmus: Kommen
und Gehen, Aufnehmen und Wieder-Loslassen. Bewegung in der Stille des Sitzens. Bewegte Stille. Bewegung im Bewusstseinsraum. Es ist eine Bewegung, die von selbst geschieht, ohne Kontrolle. Sie hat kein
Ziel, auf das sie zuläuft, sondern kehrt rhythmisch in sich selbst zurück. Der Atem braucht kein äußeres
Ziel, um sich zu definieren oder zu rechtfertigen, er trägt sein Ziel in sich. Aber auch ohne äußeres Ziel ist
er sinn- und wertvoll: Der Atem ist Lebensenergie. Vertiefen Sie sich ganz in diese Erfahrung.
In dieser körperlichen und geistigen Haltung sitzen Sie in einer kraftvollen, ruhigen Präsenz, vom Atem
durchströmt, wie ein Berg: unerschütterlich, alle Sinne offen, wach und anteilnehmend, ohne den geringsten Zwang, etwas tun oder kontrollieren zu müssen. Sie dürfen so sein, wie Sie gerade sind.
Üben Sie dies, solange es Ihnen ohne Zwang möglich ist.
Übung: Die Energiekugel
Diese Übung regt vor allem die Energien des Herzzentrums an und die damit verbundene geistige Qualität des liebevollen Mitempfindens. Vielleicht können Sie nach einiger Zeit spüren, wie weiche, weite Empfindungen Ihren Brustkorb anfüllen und durch die Arme und Hände nach außen fließen. Die geistige
Entsprechung ist eine heitere Ruhe, ein Gefühl des Erfülltseins, das sich mühelos anderen mitteilt. Blockaden werden dagegen als Spannungen und dunkle, schwere Empfindungen wahrgenommen, ihre geistigen Entsprechungen sind Angst, Sorgen und Depression.
Sie kann auch im Sitzen ausgeführt werden.
Stellen Sie sich aufrecht so hin, dass Ihr Körpergewicht gleichmäßig auf beiden Beinen ruht. Die Beine
sind gerade, ohne in den Knien zu blockieren. Verschieben Sie spielerisch wiegend das Körpergewicht
sanft von einem Fuß auf den anderen, und spüren Sie, wie dadurch Empfindungen in den Füßen, Beinen,
dem Bauch und Becken angeregt werden.
Gönnen Sie sich ein paar Augenblicke, den natürlichen Fluss des Atems zu spüren, durch Mund und Nase
gleichzeitig. Lassen sie ihn so weit wie möglich durch den gesamten Körper fließen. Achten Sie vor allem
auf Bereiche, in denen häufig Verspannungen zu finden sind: Bauch und Becken, Brustkorb und Schultern, Arme und Hände, Kehle und Nacken, Augen und Mund.
Wenn Sie sich in Ihrem Körper heimisch fühlen, beginnen Sie, ganz, ganz langsam und achtsam die Hände
vor dem Körper zusammenzuführen, bis sich die eine Hand ein wenig über der anderen befindet (Abb. 3).
Heben Sie nun sehr behutsam beide Hände vor dem Körper hoch. Etwa in der Höhe des Herzens werden
Sie merken, dass sich die Hände beim Heben von selbst nach außen zu drehen beginnen. Fahren Sie in
dieser langsamen, achtsamen Bewegung fort, bis Hände und Arme ganz gehoben sind und die Handflächen nach vorn zeigen. Ohne den Fluss der Bewegung zu unterbrechen, lassen Sie nun die Arme in einem
weiten Bogen nach außen und unten sinken (Abb. 4). Schließlich kommen die Hände wieder vor dem
Bauch zusammen, so dass sie einen vollständigen Kreis beschrieben haben.
Führen Sie diese große Kreisbewegung der Arme und Hände sehr langsam und bewusst mehrere Male
aus, und achten Sie behutsam auf die dabei angeregten Empfindungen in den Händen, Armen und Schul-
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tern. Lassen Sie Atem, Bewegung und Empfindungen in einer weiten, offenen Wahrnehmung verschmelzen. Vielleicht können Sie entdecken, dass sich jede Wiederholung der Bewegung ein wenig anders anfühlt, sich neue Nuancen der Bewusstheit öffnen. Möglicherweise haben Sie nach einiger Zeit das Empfinden eines Energiefelds zwischen den Armen und Händen, das sich zu einer ”Kugel aus Energie” verdichten kann.
Nach mehreren einfühlsamen Wiederholungen der weiten, kreisenden Bewegung sinken die Arme wieder
nach unten. Bleiben Sie ein paar Augenblicke ruhig stehen, die Arme hängen entspannt herab, und spüren
Sie in sich hinein, ehe Sie bewusst wieder in die Sitzhaltung (siehe Übung Sitzen wie ein Berg) zurückkehren.
Spüren Sie im stillen Sitzen noch mehrere Minuten den Empfindungen nach. Vielleicht können Sie feststellen, dass der Atem jetzt ruhiger und weiter fließt, der Geist offener und klarer geworden ist und sich
der Körper erfrischt und belebt anfühlt.
Übung: Wachheit von Körper und Geist
Diese energetisierende Übung löst Verspannungen entlang der Wirbelsäule. Bei einer Schwangerschaft
oder Verletzungen an der Wirbelsäule sollte sie entweder überhaupt nicht ober nur sehr behutsam ausgeführt werden.
Stellen Sie sich locker und aufrecht hin, und verteilen Sie Ihr Körpergewicht ungefähr gleichmäßig auf
beiden Füßen. Regen Sie durch leichte, wiegende Bewegungen das Empfinden eines fließenden Gleichgewichts an, indem Sie das Körpergewicht spielerisch von einem Fuß auf den anderen verlagern. Lassen Sie
die dabei entstehenden Empfindungen allmählich in den Beinen aufsteigen und bis in den Bauch und das
Becken fließen, so dass Sie deutlich den gesamten Unterkörper spüren.
Allmählich steigt die bewusste Wahrnehmung immer weiter nach oben und richtet den Rücken auf, so dass
er elastisch in der eigenen Mitte ruht. Lassen Sie in den Schultern los und die Arme und Hände locker
hängen. Nun fließt der aufsteigende Strom der Bewusstheit weiter durch die Kehle bis in den Kopf, der
senkrecht auf der Wirbelsäule ruht.
Gönnen Sie sich ein paar Augenblicke, um den natürlich fließenden Atemrhythmus zu spüren. Lassen Sie
sich von ihm völlig durchströmen.
Ganz allmählich und achtsam bewegen sich nun die Arme nach vorne und oben, bis sie locker zur Decke
zeigen. Erspüren Sie einige Augenblicke diese neue Haltung, ehe sich die Hände langsam nach vorne und
unten bewegen, so dass der Rumpf von der Hüfte aus in einem weiten Bogen der Bewegung der Hände
folgt. Dabei werden viele Empfindungen angeregt, vor allem entlang der Wirbelsäule. Wirbel für Wirbel
geht es immer weiter nach unten, bis Kopf, Arme und Hände locker herabhängen (Abb. 5).
Verweilen Sie einige Augenblicke in dieser Position, und vertiefen Sie sich in das Gefühl des Sich-HängenLassens. Achten Sie vor allem darauf, ob Sie im Nacken loslassen können und der Kopf locker herabhängt.
Holen Sie nun einen ganz tiefen Atemzug, und beim Ausatmen spreizen Sie leicht die Finger. Vielleicht
spüren Sie, wie Sie alleine durch das vollständige Ausatmen noch mehr loslassen können.
Nun beginnen die Hände und Arme sich wieder im großen Bogen zu heben, und der Rumpf richtet sich
allmählich auf. Sehr langsam und einfühlsam geht es immer weiter nach oben und über die Senkrechte
hinaus in einer kontinuierlichen Bewegung bis in eine leichte Beugung nach hinten (Abb. 6). Verharren Sie
dort einige Atemzüge, und öffnen Sie sich allem. Wahrscheinlich spüren Sie eine große Weite auf der Vorderseite des Körpers.
Richten Sie sich nun ganz allmählich wieder auf, und beginnen Sie zum zweiten Mal mit der achtsamen
Beugung nach vorne und unten. Führen Sie den gesamten Bewegungsablauf sehr einfühlsam insgesamt
dreimal durch.
Richten Sie sich nach dem dritten Mal aus der leichten Beugung nach hinten wieder auf bis zur Mitte, und
lassen Sie dann die Arme allmählich schwebend herabsinken, bis sie locker hängen. Spüren Sie ein paar
Augenblicke im Stehen allem nach, ehe Sie achtsam die Sitzposition (siehe Übung Sitzen wie ein Berg) einnehmen und noch einige Zeit den in der Bewegung angeregten Empfindungen inneren Raum gewähren.
Übung: Erdenergie
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In dieser Übung werden die Energien des Bauchzentrums stark angeregt. Sie löst Verspannungen in den
Beinen, Hüften, in Becken und Bauch. Vielleicht können Sie im anschließenden Sitzen eine intensive Verbindung zur Erde spüren, ein unerschütterliches Vertrauen in die eigene Kraft.
Die Übung erfordert einen sehr stabilen Stand. Praktizieren Sie deshalb am besten barfuß.
Möglicherweise fühlen Sie im Unterkörper eine deutliche Wärme, die entlang der Wirbelsäule nach oben
fließt. Achten Sie deshalb darauf, dass Rücken und Kopf während der gesamten Übung locker und gerade
in der eigenen Mitte ruhen. Die Schultern sind gelöst. Dann können die Energien aus Becken und Bauch
unbehindert aufsteigen.
Die Spannungshaltung dieser Übung wird Sie wahrscheinlich an gewisse Grenzen führen, an denen Sie
versuchen, entweder mit der Erfahrung zu kämpfen oder schnell aufzugeben. Beide Haltungen bestärken
nur typische Verhaltensmuster. Statt sich davon fortreißen zu lassen, können Sie sich aber auch sanft auf
das Gefühl einer kraftvollen inneren Mitte im Bauch konzentrieren und von dort aus alle aufsteigenden
Gedanken, Bilder, Emotionen und Handlungsimpulse ruhig betrachten. So entwickeln Sie Ich-Stärke und
Willenskraft und erleben ein stilles Zentrum inmitten aufgewühlter Energien.
Stellen Sie sich so hin, dass die Beine eine feste Verbindung mit dem Boden haben, und verteilen Sie Ihr
Körpergewicht gleichmäßig auf die Fußsohlen. Die Beine sind gerade, die Knie locker, so dass Energien
unbehindert nach oben fließen können. Spüren Sie, wie sich die Energien im Bauch vereinen. Aus dem
Bauch heraus steigt die Bewusstheit weiter nach oben, so dass Sie der Strom der Energie aufrichtet, den
Brustkorb weitet und die Schultern entspannt. Die Arme und Hände hängen gelöst herab. Der aufsteigende Strom aus Atem, Energie und Bewusstheit fließt weiter durch Kehle und Nacken in den Kopf. Lassen
Sie sich so weit wie möglich vom Atem durchströmen, und öffnen Sie sich den damit verbundenen Empfindungen.
Wenn Sie sich in der eigenen Erfahrung fest verwurzelt fühlen, verlagern Sie allmählich das Körpergewicht
auf den einen Fuß und spüren Sie, wie der andere immer leichter wird. Schließlich löst er sich ein paar
Zentimeter vom Boden, bewegt sich zur Seite und wird wieder belastet. Wiederholen Sie die gleiche Bewegung auch auf der anderen Seite.
Vielleicht müssen Sie dies einige Male ausführen, bis Sie einen kraftvollen, breitbeinigen Stand erreicht
haben. Die Beine sind weit auseinander. Der Stand ist aber ohne jede Anstrengung. Die Zehen zeigen
etwas nach außen. Lassen Sie die Hände locker auf den Oberschenkeln ruhen. Spüren Sie nochmals hin,
ob der Atem bis tief in den Bauch und das Becken fließen kann und Rücken und Kopf aufrecht sind.
Beugen Sie nun ganz allmählich die Knie, so dass sich der Körper mit gerader Wirbelsäule langsam senkt.
Lassen Sie sich behutsam immer tiefer sinken, bis Sie an eine deutlich spürbare Stelle kommen, in der in
den Beinen zwar eine gewisse Spannung herrscht, es aber nicht mühsam ist. Erzwingen Sie nichts. Gehen
Sie nicht in eine extreme Spannung, die rein technisch möglich ist, denn dann ist alle Kraft nur noch darauf gerichtet, die Stellung halten zu können.
Wenn Sie diesen Punkt des Gleichgewichts zwischen Spannung und Ruhe erreicht haben, bleiben Sie darin
stehen (Abb. 7). Lassen Sie den Atem nach wie vor bis tief in das Becken fließen und das Gefühl der
kraftvollen inneren Stille anregen. Bleiben Sie einige Zeit in dieser Spannungsposition, und betrachten Sie
gelassen alle körperlichen und geistigen Reaktionen. Vielleicht fangen die Beine ein wenig an zu zittern.
Lassen Sie sich davon weder irritieren noch versuchen Sie, irgendwelche “Barrieren zu durchbrechen”.
Nachdem Sie eine gewisse Zeit in dieser Position verweilt haben, lösen Sie die Spannung ganz, ganz behutsam wieder auf, indem die Beine allmählich gerade werden und sich der Körper hebt. Kehren Sie behutsam zurück in eine aufrechte Haltung, die Beine im bequemen Abstand parallel nebeneinander. Spüren
Sie einige Zeit allem nach, was im Körper und im Geist angeregt wurde.
Wiederholen Sie dann die gleiche Bewegung noch zwei weitere Male. Stehen Sie nach jeder Wiederholung
ausreichend lange gelassen und entspannt still da, bis Sie sich bereit fühlen, sich nochmals behutsam in die
Spannungsposition sinken zu lassen.
Bleiben Sie auch zum Abschluss der gesamten Bewegung ein paar Augenblicke aufrecht stehen, und nehmen Sie dann achtsam die in der Übung Sitzen wie ein Berg beschriebene Sitzhaltung ein. Öffnen Sie sich im
stillen Sitzen allem, was angeregt wurde.
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Übung: Die Vermählung von Bauch und Herz
Diese Übung regt Energien im Herzen, in Bauch und Becken an und löst Spannungen im unteren und
mittleren Bereich der Wirbelsäule.
Legen Sie sich so bequem wie möglich flach auf den Rücken. Ein kleines Kissen unter dem Kopf wird
Ihnen das Liegen vielleicht noch angenehmer machen. Die Arme ruhen mit den Handflächen nach unten
seitlich am Körper. Gönnen Sie sich ein paar Augenblicke, um den Strom von Atem und Bewusstheit
durch den gesamten Körper fließen zu lassen. Er kann alles Festhalten streichelnd berühren wie eine Einladung zum Loslassen.
Allmählich beginnen Sie, die Arme ganz langsam auf dem Boden gleitend auszubreiten, bis sie etwa in
Schulterhöhe ausgestreckt liegen. Achten Sie während dieser langsamen Bewegung auf alle Veränderungen
der Empfindungen in den Händen, Armen und im Brustkorb. Vielleicht verändert sich mit der Bewegung
auf subtile Weise auch die Qualität Ihres Bewusstseins. Halten Sie am Ende der Bewegung ein paar Atemzüge inne, und vertiefen Sie sich in die Wahrnehmung der neuen Körperposition.
Nun drehen Sie behutsam die Hände, bis die Handflächen nach oben zeigen, die Finger sind ganz entspannt (Abb. 8). Wie verändert diese Bewegung Ihre Wahrnehmung? Können Sie ein neues Empfinden im
Herzbereich feststellen? Worte, Beschreibungen oder Erklärungen sind nicht nötig. Die unmittelbare
Wahrnehmung kann für sich sprechen, jenseits aller Worte. Lassen Sie sich darauf ein.
Sehr einfühlsam heben Sie dann ein Knie, so dass der Fuß auf der Ferse über den Boden gleitend näher
an den Körper herankommt. Das wird wieder ganz neue Empfindungen auslösen, diesmal vor allem im
Bein und im Bauch. Sie holen den Fuß langsam bis dicht an den Körper heran, das Knie zeigt zur Decke.
Wiederholen Sie nun die gleiche Bewegung mit dem anderen Bein, bis beide Fußsohlen nebeneinander
flach auf dem Boden ruhen, so dicht am Körper, wie es ohne Anstrengung möglich ist. Verweilen Sie ein
paar Augenblicke in dieser Position, und spüren Sie die Empfindungen im Körper, vor allem im Brustraum und im Bauch, sowie die Qualität Ihres Bewusstseins.
Jetzt sinken die Knie behutsam seitlich auseinander und so weit nach unten, wie es ihnen möglich ist. Die
Füße werden sich an der Innenseite wahrscheinlich ein klein wenig heben, liegen aber weiterhin möglichst
flach auf dem Boden. Spüren Sie einen Augenblick lang die durch diese Bewegung ausgelösten Empfindungen im Becken und im Bauch.
Beginnen Sie nun, ganz allmählich das Becken vom Boden zu heben. Die Füße stemmen sich ein klein
wenig gegen den Boden, und das Becken hebt sich ganz, ganz langsam immer weiter nach oben, bis die
Bewegung ihren natürlichen Endpunkt findet (Abb. 9). Das führt zu einigen Spannungen in den Beinen,
aber der Atem kann trotzdem völlig gelassen fließen.
Verweilen Sie einige Augenblicke bis Minuten in dieser Stellung, und konzentrieren Sie sich sanft auf die
Empfindungen im Bauch und im Herzen. Vielleicht spüren sie einen Strom von Energie, der aus dem
Bauch in den Brustkorb fließt und von dort durch die Arme bis in die Hände. Versuchen Sie aber nichts
zu erzwingen, jagen Sie keinem Erlebnis und keiner Leistung nach. Öffnen Sie sich allem, was sich in
Körper und Geist zeigt.
Nach einiger Zeit senkt sich das Becken achtsam nach unten, bis es wieder entspannt auf dem Boden
ruht. Danach rutscht erst der eine Fuß langsam auf der Ferse nach vorne, dann der andere, bis beide Beine locker ausgestreckt aufliegen. Spüren Sie den Empfindungen einige Augenblicke nach, und wiederholen
Sie dann die gleiche Bewegung ruhig und einfühlsam noch zwei weitere Male, jedes Mal mit einer kleinen
Pause des Nachspürens.
Gönnen Sie sich nach der letzten Wiederholung ausreichend Zeit zum Nachspüren, und gewähren Sie im
stillen, entspannten Liegen allen Empfindungen viel Raum in Ihrem Bewusstsein.
Nun hebt sich wieder erst das eine Knie und dann das andere, bis beide Fußsohlen nebeneinander dicht
am Körper aufliegen und die Knie nach oben zeigen. Danach gehen beide Knie gleichzeitig im grossen
Bogen in Richtung Brustkorb so dicht an ihn heran, wie es ohne Gewalt möglich ist. Dabei lösen sich die
Füße vom Boden und hängen entspannt herab. Am Ende der Bewegung heben sich die Arme langsam
nach oben, umfassen die Knie und ziehen sie sanft noch etwas näher an die Brust heran (Abb. 10). Dabei
dehnen sich die Lendenwirbel und heben noch ein wenig weiter vom Boden ab.
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Bleiben Sie in dieser Position ein paar Augenblicke liegen, ehe sich die Arme langsam lösen und seitlich an
den Körper herabsinken. Dann entfernen sich die Knie mehr und mehr vom Brustkorb, bis die Füße wieder auf dem Boden sind. Nun gleitet zunächst ein Fuß und danach der andere auf der Ferse nach vorn,
bis beide Beine entspannt aufliegen.
Liegen Sie zum Abschluss der gesamten Übung noch 5-10 Minuten ruhig da, und betrachten Sie gelassen
die Einheit von Körper, Atem und Geist.
Ein Fallbeispiel
Hier die Schilderung einer Kursteilnehmerin10 mit jahrelanger Übungserfahrung. Ihre Beschreibung bezieht sich auf eine intensiv konfrontative Spannungsübung.
Projektion
Vergleich
Teilpersönlichkeit Antreiber
Teilpersönlichkeit Kritiker
Energiefluss
Offener Bewusstseinsraum
Willensentwicklung
Disidentifikation
Disidentifikation
Erkenntnis
Katharsis
Disidentifikation
Willensentwicklung
Ich-Stärke
10
Beim Beginn die Empfindung “Jetzt erwartet mich etwas Anstrengendes”,
das ich mit anderen Situationen verglich, bei denen ich die gleiche Haltung
mir selbst gegenüber an den Tag lege: “Du musst hart kämpfen, durchhalten, es mir oder anderen zeigen.” Während der Übung die Stimme in mir:
“Das schaffst du doch sowieso nicht, gib doch gleich auf!”
Wenn die Arme ganz oben und die Handflächen zueinander gekehrt sind,
fühlt es sich an, als wäre ich ein Kanal, durch den von oben und unten
Energie hindurchfliesst. Beim Beugen zu den Seiten entsteht die Empfindung, dass sich die Räume um mich herum auftun, ich mich in sie hineinstrecke - so war es mal danach, dass ich das Gefühl hatte, um mich herum
sehr freie Räume zu spüren, was mir einerseits viele Möglichkeiten eröffnet,
andererseits aber auch das Gefühl gab, dass es Mut erfordere, Neues auszuprobieren, mal andere Wege zu gehen.
Beim Vorbeugen und Halten ist es manchmal so, als trete die körperliche
Spannung im Empfinden in den Hintergrund, und daneben ist im sanften,
tiefen Atem eine Leichtigkeit zu spüren, die mir ermöglicht, noch ganz
lange diese Spannung zu halten, ohne dass sich Gefühle von Ungeduld
oder Unwillen breit machen.
Einmal wurde die Spannung so gross, dass mich etwas hinabziehen wollte.
Ich kam an Gefühle, die sich dunkel, unglaublich schwer anfühlten, einen
Sog von Selbstmitleid auf mich ausübten, der beim zweiten Durchgang
noch stärker wurde. Ich ließ diese Gefühle zu, halb ließ ich mich vom
Selbstmitleid mitziehen, wodurch ich noch tiefer in die Empfindungen
reinkam. Beim Sitzen und Betrachten danach spürte ich, dass dies alte Gefühle und Erinnerungen waren an Zeiten, in denen es mir über lange Zeiträume hinweg sehr schlecht ging, mich Gefühle des Alleinseins, tiefe Verzweiflung, Ausweglosigkeit und Schmerz gefangen hielten. Es war das Gefühl - genau wie beim Beugen - die Grenze des Ertragbaren erreicht zu
haben, nur konnte ich das Ende damals nicht herbeiführen, was den
Schmerz durch die Ohnmacht noch vergrößerte. Jetzt waren es auch die
Tränen, die ein wenig Erleichterung verschafften. Durch dies alles schien
ich noch mal hindurchzugehen, wobei allmählich das Gefühl hinzukam,
dass sich der alte Schmerz langsam aufzulösen begann, sich eine leichte
Ruhe in mir ausbreitete, das Gefühl, ich habe wieder etwas hinter mir gelassen, was mich beengt, mich behindert hat. Nach dieser Übung habe ich oft
ein vertrauensvolles Gefühl mir und meiner Kraft gegenüber, dass ich - egal
was passiert - immer wieder durch Situationen hindurchgehen kann, die all
meine Kraft erfordern, aber dass ich nicht an ihnen zerbrechen muss, sondern mich jedesmal wieder nach dem Hängen-Lassen aufrichten darf und
mich dem stellen kann, was vor mir liegt. Es ist ein Gefühl von geschmeidiger Stärke und weichem Gefestigt-Sein.
Persönliche Korrespondenz mit dem Autor
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Gleichzeitige Wahrnehmung ver- Nach einem anderen Mal derselben Übung: der Körper fühlte sich leicht
schiedener Wirklichkeiten
an, wie durchlässig, transparent, als könne ich durch ihn hindurchfassen
und stosse dabei auf einen inneren Körper, den ich bisher nicht wahrgenommen hatte, der aber auch zu mir gehört und mit dem äußeren untrennbar verbunden ist, mit ihm kommunizieren kann; diese Zwei-KörperEinheit fühlte sich ganz normal an, gut an, ich nahm dies Gefühl mit in den
Generalisierung
Tag, erst allmählich verlor es sich, ist zeitweise wieder/noch spürbar.
Der Autor bietet Wochenendkurse und Intensivseminare zu Kum Nye – Tibetisches Heilyoga an. Information bei: Matthias Steurich, Im Oberdorf 1, D-79292 Pfaffenweiler, Tel./Fax 07664-6 09 66; E-Mail:
[email protected] ; Internet: www.t-online.de/home/kum-nye
Literatur
Steurich, M.: Tibetisches Heilyoga – Kum Nye. Das Übungsbuch zur sanften Selbstheilung; 1999. Herder
Verlag, Freiburg i.Br., Basel, Wien
Steurich, M.: Wache Stille. Sechs Kum-Nye-Übungen auf einer Doppel-CD inklusive einer Begleitbroschüre; 2000. Lapislazuli Productions, Bettwil/Schweiz
Tarthang Tulku: Selbstheilung durch Entspannung; mehrere Auflagen seit 1980, Scherz Verlag, Bern,
München
***
,
In: Meditation as health Promotion. A lifestyle Modification Approach. Proceedings of the 6th Conference. K.T. Kwee (Editor), Delft: Eburon Publishers, 2000
Anhang 5: Mit existenziellem und „neurotischem“ Leiden arbeiten (Han F. De Wit)
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden wir das Verhältnis zwischen der buddhistischen und der westlich- psychotherapeutischen Annäherung an den Begriff Geist untersuchen und zwar im Hinblick auf das jeweilige Verständnis von (mentalem) Leiden. Es scheint, daß beide Traditionen „Leiden“ auf sehr unterschiedliche
Weise verstehen. Der buddhistische Pfad ist in erster und letzter Hinsicht ein Weg, das zu überwinden,
was wir „existenzielles Leiden“ nennen werden, jene Form von Leiden, die aus der Unfähigkeit rührt, die
Tatsachen des menschlichen Lebens, im Buddhismus als die Drei Merkmale der Existzenz bekannt, zu
meistern und zu akzeptieren. Die psychotherapeutischen Herangehensweisen scheinen ihren Blick hingegen darauf zu richten, das „neurotische Leiden“ zu überwinden, ein etwas überholter Begriff, mit dem wir
hier das Leiden definieren, welches aus der Unfähigkeit entsteht, mit existenziellem Leiden umgehen, bzw.
es lindern zu können. Die Unterscheidung und das Verhältnis zwischen diesen beiden Arten des Leidens,
legt ein diagnostisches Instrument nahe, mit welchem sich unterscheiden läßt, wann Psychotheraphie angebracht ist und wann die buddhistische Annäherung an den Geist – insbesondere die Praxis der Meditation – das Mittel der Wahl ist. Darüberhinaus macht uns diese Unterscheidung die Gefahren bewußt, welche sich ergeben, wenn die spirituellen und die psychotherapeutischen Disziplinen durcheinander gebracht
werden.
Einleitung
In den letzten Jahrzehnten hat die Literatur, welche das Verhältnis zwischen der buddhistischen und der
westlichen Ansicht über Geist, Erfahrung und Verhalten des Menschen untersucht, in einem solchen Maße zugenommen, daß es schwierig geworden ist, sich über all die verschiedenen Herangehensweisen und
Analysen auf dem Laufenden zu halten. Insbesondere hat der Dialog zwischen dem buddhistischen und
dem westlich psychologischen / psychoterapeutischen Verständnis des Geistes eine bedeutende Entwicklung durchlaufen. Ein kurzer Blick auf die Quellenangaben dieses Buches( welches nur eins unter vielen
ist), liefert den Beweis für diese Tatsache. Dennoch gibt es in diesem Publikationsschwall einige wiederkehrende Themen, welche allesamt um die buddhistische Praxis der Sitzmeditaion kreisen: was ist ihr Sinn
53
und Zweck? Handelt es sich um Therapie? Handelt es sich um eine Methode, den Geist objektiv zu untersuchen und irgendeine Art Wissen zu erlangen? Handelt es sich um beides? Liegt ihr Zweck darin, Erleuchtung im buddhistisch verstandenen Sinn zu erreichen? Und wenn dem so ist, wie soll man die Vorstellung von „Erleuchtung“ in westlich - psychologischen Kategorien verstehen?
Obwohl die shamatha/ vipashyana Meditaionspraxis allen buddhistischen Schulen gemein ist, werden
unsere Versuche diese Frage zu beantworten, noch durch die Tatsache kompliziert, daß es innerhalb der
buddhistischen Schulen mehr als eine Art gibt, über den spitituellen Pfad und sein Ziel die Erleuchtung zu
reden. Die Sprache und der begriffliche Rahmen welche der Buddha anfänglich benutzte( und welche in
der späteren Geschichte des Buddhismus als „ Die erste Drehung des Rades der Lehre“ bezeichnet wurde,
definiert Erleuchtung als das Aufhören von Leiden. In den Belehrungen, welche später „Die Zweite Drehung
des Rades der Lehre“ genannt wurden, wird Erleuchtung als die Verwirklichung von shunyata, Leerheit bezeichnet. In „Der Dritten Drehung“ wird sie als Verwirklichung von Buddha nature, tathagatagarbha bezeichnet. Und in der Sprache des Vajrayana Buddhismus schließlich, werden Begriffe wie Verwirklichung
von gewöhnlichem Geist, uranfängliche Reinheit und ähnliche benutzt, um Erleuchtung zu definieren. Es wird
gesagt, daß der Buddha die Sprache „Der Ersten Drehung“ anfänglich benutzte, weil sie NichtBuddhisten am ehesten zugänglich ist. Da die meisten Leser keine Buddhisten sind, werde ich hauptsächlich Sprache und Konzepte der „Ersten Drehung“ benutzen. Dies ist auch deswegen angemessen, weil
sowohl in der Psychotherapie als auch in der „Ersten Drehung“, das Konzept vom Leiden eine zentrale
Stelle einnimmt. Buddhismus und Psychotherapie streben die Aufhebung des Leidens an. Um ihre Beziehung zueinander zu untersuchen, werden wir erforschen, was beide Traditionen unter „Leiden“ und seiner
Beendigung verstehen
Die zwei berühmten Aussagen
In vielen buddhistischen Schriften wird der Buddha als der „ultimative Dokor“ portraitiert, der in der
Lage ist, die Krankheiten aller Lebewesen zu heilen. Eine berühmte und oft zitierte Aussage aus den
Sutren, die dem Buddha selbst zugeschrieben werden, spiegelt dies Portrait wieder: „ Meine Lehren handeln immer und einzig und allein von dem einem: Leiden und das Aufheben von Leiden. (siehe Majjhima
Nikaya I,140) Wir mögen uns jetzt fragen: welche Art von Leiden hatte Buddha wohl im Sinn? Unterscheidet sich seine Absicht von dem Ziel, welches sich Therapeuten setzen und wenn ja, wie?
Ein weiteres, genauso häufig benutztes Zitat findet sich in Sigmund Freud`s Semesterarbeit über Hysterie,
wenn er in der Antwort auf die Frage, was seine Therapie bewirken könne, darauf hinweist, daß sie neurotisches Leiden in „gemeines Unglück“ oder gewöhnliches Leiden umwandelt. Obwohl der Begriff „neurotisch“ heutzutage in professionellen Kreisen außer Gebrauch gekommen ist ( die DSM IV vermeidet den
Begriff), werden selbst unsere optimistischeren Therapeuten die Bedeutung dieser Bemerkung gutheißen.
Wieder mögen wir fragen: Was ist mit „neurotischem“ und „gewöhnlichem“ Leiden gemeint? Untersuchen wir nun zunächst die buddhistische Bedeutung von Leiden. Danach werden wir versuchen, einige
Schlußfolgerungen zu ziehen, die sich hieraus für das Verständnis von Leiden in psychotherapeutischen
Kreisen ergeben.
Die Drei Merkmale der Existenz
Um zu verstehen, was Buddhisten unter Leiden verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, welche Lebenssicht Buddha seinen ersten Schüler präsentiert hat. Traditionellerweise wird diese Sicht (die alle buddhistischen Schulen teilen) durch das dargestellt, was später die „Drei Merkmale der Existenz“ genannt
wurde. Diese Sicht deckt natürlich nicht alle „Merkmale“ oder Aspekte unserer menschlichen Existenz ab,
aber sie erfaßt die Aspekte, die wir neigungsmäßig in unserem Gewahrsein verleugnen oder unterdrücken.
Diese „Drei Merkmale“ werden in der „Ersten Drehung des Rades“ der Lehren betont, weil sie dem
buddhistischen Praktizierenden helfen, sich dieser Verleugnung bewußt zu werden, um eine realistischere
und furchtlosere Lebenssicht einzunehmen. Dies ist notwendig, da nur eine solch realistische Sicht als
Grundlage für wahrhaftige spirituelle Entwicklung und Verwirklichung von Erleuchtung dienen kann.
Erleuchtung ist die unbedingte, vollständige Erfahrung und Akzeptanz der Gegebenheiten der menschlichen Existenz; diese Art von Akzeptanz und Erfahrung ermöglicht aus sich selbst heraus Frieden oder
Befreiung.
Welches sind die „Drei Merkmale“, die drei Gegebenheiten des Lebens, die wir neigungsmäßig ignorieren?
Dem Buddha zufolge sind dies: Schmerz, Vergänglichkeit und Egolosigkeit. Lassen Sie mich kurz beschreiben, was der Buddhismus unter diesen „technischen Begriffen“ versteht.
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Schmerz
Im Zusammenhang mit den „Drei Merkmalen“, läßt sich der buddhistische Begriff duhkha (Sanskrit) am
besten mit „Schmerz“ übersetzen und zwar im weitgefaßten Sinn von Un-wohlsein, Beschwerlichkeit und
als Gegenteil von „Vergnügen“ (Sanskrit: sukha). Lebendige Wesen sind empfindsame Wesen; unvermeidbar erfahren sie Freud und Leid, sowohl körperlich als auch mental. In den Sutren werden verschiedene Arten von Leid genannt. Einige beziehen sich hauptsächlich auf die körperliche Ebene, - wie das
Leiden durch Geburt, Krankheit, Alter und Tod. Andere beziehen sich mehr auf die mentale Ebene, - wie
das zu bekommen , was man nicht möchte; oder nicht zu bekommen , was man möchte; oder der Versuch
zu bekommen , was man sich wünscht; oder der Versuch festzuhalten, was man gern hat. Diese acht Arten von Schmerz gehören zur Wirklichkeit des menschlichen Lebens. Unabhängig davon ob man ein
Buddha ist oder nicht, muß man diese verschiedenen Arten von Schmerz erleben. Ein Buddha jedoch, der
die Tatsachen des Lebens vorbehaltlos akzeptiert hat, wird Schmerz erfahren, aber nicht an der Erfahrung
von Schmerz leiden.
Als Nichterleuchtete neigen wir zu dem Denken, daß der Weg zum Glück darin besteht, Vergnügen zu
suchen und Schmerz zu vermeiden. Wie wir weiter unten diskutieren werden, führt unser Versuch
Schmerz zu vermeiden, ihn zu bekämpfen und die verschiedenen Arten des Leidens aus unserem Bewußtsein zu verbannen dazu, daß wir unter Schmerz leiden, statt ihn zu erfahren. Gegen das Unvermeidbare
anzukämpfen, führt sehr offensichtlich nicht zum Glück. Da wir die Tendenz haben, uns diesen Merkmalen der Existenz gegenüber taub und stumm zu verhalten, lenken die buddhistischen Lehren der „Ersten
Drehung“ unsere Aufmerksamkeit auf die Realität des Leidens; nicht um uns zu depremieren, aber um
uns die Augen für einen realistischeren Blick aufs Leben zu öffnen.
Vergänglichkeit
Das Zweite Merkmal der Existenz wird mit dem Sanskritbegriff anitaya umschrieben, was gewöhnlich als
„Vergänglichkeit“ übersetzt wird. Dieser Begriff bezieht sich einfach auf die Tatsache, daß nichts in unserem Leben gleich bleibt, daß sich alles ständig verändert. Jedes Treffen endet in einem Auseinandergehen
und was sich auch immer zusammenfügt, es wird später auseinderfallen und vice versa. Dies ist eine Realität unseres Lebens – ein Merkmal der Existenz. Wiederum wird die Wirklichkeit der Vergänglchkeit sowohl von den Erleuchteten als auch von uns Nichterleuchteten erlebt.
Selbstlosigkeit, Egolosigkeit
Das „Dritte Merkmal der Existenz“ wird im Sanskrit atman genannt, was gewöhnlich als „Selbstlosigkeit“
oder „Ichlosigkeit“ übersetzt wird. Dieser Aspekt unserer Existenz, ist wahrscheinlich in unserem alltäglichen Leben am schwierigsten zu verstehen und zu erfahren. Allgemein gesagt weist das „Dritte Merkmal“
darauf hin, daß unsere Erfahrung fließend ist, und daß tatsächlich keine unabhängig existierenden Wesenheiten(Objekte und Subjekte) in dem andauernden Strom unserer Lebenserfahrungen gefunden werden
können. Was wir vorfinden, ist ein fortlaufend fließender Wandel voneinander abhängiger, verschiedenartiger Erfahrungen, welche technisch als voneinander abhängig auftauchende dharmas bezeichnet werden
(Sanskrit: pratityasamutpada).
Genauer geagt kann nichts beständig Seiendes, was wir als „mich“ oder „ich“ benennen könnten, in unserem subjektiven Erfahrungsfeld identifiziert werden. Sicherlich machen wir beständig wechselnde, körperliche und andere sinnliche Erfahrungen, wir erleben Wahrnehmungen, Gedankenmuster und Bewußtseinsqualitäten, auf die wir uns normalerweise mit dem Personalpronomen „mich“ oder „ich“ beziehen.
Nichtsdestotrotz können wir in diesem fließenden Strom von Erfahrungen weder eine beständige, unveränderliche Wesenheit erkennen oder festmachen, noch können wir irgendetwas lokalisieren, was diesen
Erfahrungsstrom „besitzt“ oder beherbergt und was wir „mich“ nennen könnten. Der buddhistischen
Sichteweise folgend liegt dies nicht an einer cognitiven Unzulänglichkeit unsererseits, sondern daran, daß
es unmöglich ist, etwas zu finden, was nicht existiert. Tatsächlich wird angenommen, daß das Ergebnis der
Suche nach einer solchen Wesesenheit, die Verwirklichung des Dritten Merkmals ist: wir existieren, aber
in einer egolosen Weise, nicht als eine solide Wesenheiten, die wir „mich“ oder „ich“ nennen könnten.
Vielleicht klingt dies alles etwas zu philosophisch, aber vom praktischen Standpunkt aus gesprochen wird
diese Verwirklichung als die Öffnung in einen psychologischen Raum betrachtet. In diesem Raum ist unser Erfahrungsstrom nicht durch Konzepte über eigenständig Existierendes und die Wesenheit “Ich“
kondtioniert. Dieser Raum ist ein sorgenfreier Raum, in welchem unsere schmerzhaften Versuche, an
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unseren Ideen darüber wie die Welt und wir selbst sein müßten festzuhalten, aufgelöst wurden. Da die
Verwirklichung von „Nicht-Selbst“ unser Gewohnheitsmuster, die Welt in einer selbst-zentrierten Weise
wahrzunehmen, beendet, finden auch alle egozentrischen Emotionen, wie Gier, Eifersucht, Aggression,
Stolz und so weiter ein Ende. Der trügerische Abstand zwischen „mir“ und „der Welt“ hat sich aufgelöst
und dem warmen und klaren Raum Platz gemacht, in welchem wir mit ungebrochenem Vertrauen unseren
jeweiligen Lebenssituationen und Erfahrungen begegnen können.
Natürlich behält unser Geist die ( in sich selbst wetvolle) Fähigkeit, unseren Erfahrungsstrom in Kategorien von selbstexistierenden Wesenheiten wahrzunehmen. Das „Dritte Merkmal“ weist jedoch auf unsere
Unfähigkeit hin, die Selbstlosigkeit der Phänomene wahrzunehmen und auf unsere Tendenz, immer wieder irrtümlich dem Glauben zu verfallen, diese, von unserem eigenen Geist erschaffenen Objekte und
Wesenheiten, würden tatsächlich existieren. Glauben wir dies, leben wir in einer selbst-erdachten Welt an der
wir festhalten; einer Welt, die von unserem eigenen Geist erschaffen wurde, um außerhalb unseres eigenen
Geistes zu liegen. Halten wir daran fest, diese ausgedachte Welt für wirklich zu erklären und kämpfen wir
gegen die gelegentlichen Erfahrungen von Ichlosigkeit an, welche die scheinbare Wirklichket dieser Welt
bedrohen, führt dies zu Leiden.
Die „Drei Merkmale der Existenz“ weisen auf die oben erwähnten, grundlegenden Eigenschaften unserer
menschlichen Existenz hin; unvermeidbare Eigenschaften, die wir nur schwer akzeptieren und in unser
Leben integrieren können, weil wir nicht erleuchtet sind. Der spirituelle Pfad des Buddha zeigt uns den
Weg zu einer Lebenshaltung, die diese Tatsachen einschließt und uns daher in die Lage versetzt, ein zunehmend realistischeres und psychologisch gesünderes Verhältnis zu unserem Leben einzunehmen. Letztendlich führt dieser Pfad zu einer völligen Beruhigung unserer Lebensängste. In „Der Ersten Drehung“
wird dies der Frieden von Nirwana oder Erleuchtung genannt. Die „Drei Merkmale“ sind in der Verbindung
mit dem Verständnis von Nirwana als Frieden, auch als „Die Vier Siegel“ bekannt (siehe Geshe Lundrup
& Hopkins 1989, S.176). Im Grunde genommen stimmen alle buddhistischen Schulen darin überein, daß
all jene, die der Sichtweise der „Vier Siegel“ zustimmen, Buddhisten genannt werden können.
Existenzielles Leiden
Wenden wir uns jetzt der buddhistischen Vorstellung von Leiden zu. Wie ich bereits erwähnt habe, wird
Erleuchtung in der Sprache der “Ersten Drehung des Rades der Lehre“ als die Aufhebung von Leiden
verstanden. Welche Art von Leiden ist hier gemeint? Grundlegend ist es jenes Leiden, welches wir erfahren, wenn wir die Tatsachen unseres Lebens, wie sie in den „Drei Merkmalen“ beschrieben werden, bekämpfen und ignorieren, wenn wir gegen sie angehen oder versuchen, sie aus unserem Bewußtsein zu
verbannen. DieseArt von Leiden werde ich „existenzielles Leiden“ nennen.
Ein Buddha und ein ganz normaler Mensch unterscheiden sich dadurch, das ersterer die grundlegenden
Gegebenheiten des Lebens akzeptiert und willkommen heißt, während letzterer dies nicht tut und daher
leidet. Normalerweise fürchten sich Menschen vor der Wirklichkeit, sie kämpfen gegen sie an und versuchen ihr zu entfliehen, gerade so wie Siddhartha Gautama es tat, als er zum ersten Mal mit der Wirklichkeit außerhalb der beschützten Umgebung des väterlichen Palastes konfrontiert wurde. Tatsächlich war es
die Begegnung mit existenziellem Leiden, die ihn den Palst verlassen ließ, um sich auf die Suche nach
einer Lebenshaltung zu begeben, die dieses existenzielle Leiden beenden würde. Wie wir alle wissen führte
diese Suche dazu, daß er der Buddha wurde, was „Erwachter“ bedeutet. Interessanterweise wird Siddharta
in den buddhistischen Schriften als vollkommen gesunder, junger Mann portraitiert, der sowohl auf körperlicher als auch mentaler Ebene, ohne jede Form von „neurotischem“ Verhalten ist. Dennoch mußte er
lernen, die gegebene Realität des menschlichen Lebens zu meistern. Dies gelang ihm und eben darum
dreht sich seine Erleuchtung.
Weil er sich an die geistige Verfassung erinnern konnte, in der er sich selbst auf den spirituellen Pfad begeben hatte, began er auf das Leiden, von dem er sich befreit hatte, hinzuweisen und über es zu lehren. Er
beschrieb es in vielen Sutren, die später als die „Drei Arten des Leidens“ systematisch zusammengefaßt
wurden. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich in den buddhistischen Traditionen einige, unwesentlich verschiedene Interpretationen dieser Belehrungen. Ich werde kurz auf diejenige eingehen, welche für
unsere Untersuchungen die größte Relevanz hat.
Die erste Art von Leiden wird im Sanskrit duhkhaduhkhata genannt, was wir als das Leiden (duhkhata) am
Schmerz (duhkha) übersetzen können; manchmal wird es auch als „gewöhnliches Leiden“ übersetzt. Es
bezieht sich auf die acht Arten von Schmerz, welche wir zuvor erwähnt haben: Geburt, Alter, Krankheit
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(physische und psychischeKrankheit), Tod oder Sterben, Nichterhalten des Gewünschten, Erhalten des
Nichtgewünschten, Streben das Gewünschte zu erlangen, Streben das Geliebte zu behalten. Wenn wir
diese acht Arten von Schmerz nicht akzeptieren, sondern sie abwehren, unterdrücken oder gegen sie ankämpfen, dann leiden wir unter ihnen; dann erfahren wir duhkhaduhkhata. Dies ist das Ergebnis unseres
Widerstands gegen das „Erste Merkmal der Existenz“. Der Widerstand gegen das nackte ,ungefilterte Erfahren
von Krankheit und Alter, läßt uns unter den Schmerzen von Krankheit und Alter leiden. Wenn wir ständig gegen die Tatsache ankämpfen, daß die Dinge sich nicht unseren Vorstellungen entsprechend verhalten, führt dies nur dazu, daß wir unter andauernder Enttäuschung und ständigem Ärger leiden. Diese Interpretation ( siehe unter Gampopa. Kapitel 5, 1998) besagt auch, daß duhkhaduhkhata am stärksten von
Wesen erlebt wird, die im sogenannten „Menschlichen Bereich“ geboren werden. An dieser Stelle beschreibt dieser Begriffs zunächst die Tatsache, als nichterleuchteter Mensch geboren zu werden. Später
werden wir die Sechs Bereiche, von denen der Menschliche Bereich einer ist, genauer diskutieren.
Die zweite Art von Leiden wird viparanamaduhkhata genannt, was üblicherweise als das Leiden unter Vergänglichkeit übersetzt wird. Wenn wir gegen die Erfahrung von Veränderung oder Wechsel angehen, sie
unterdrücken oder bekämpfen, dann leiden wir unter Veränderungen und erfahren das Leiden an Vergänglichkeit. Dies resultiert aus unserem Widerstand gegen das „Zweite Merkmal der Existenz“.
Die dritte Art von Leiden wird samskaraduhkhata gennant, was üblicherweise als das Leiden unter abhängiger Existenz übersetzt wird. In der Sprache der buddhistischen Begriffe erklärt sich dieses Leiden daraus,
daß wir die sogenannten „fünf skandhas“ fälschlicherweise für Wirklichkeiten halten. Anders ausgedrückt
resultiert dieses Leiden daraus, daß wir unsere ego-zentrierte Erfahrung der Wirklichkeit für real halten.
Diese Art der Erfahrung ergibt sich wiederum aus ego-zentrierten Denkmustern (samskaras), welche sie
bestimmen bzw. bedingen. Aus diesem Grund wird dieses Leiden „das Leiden unter abhängiger Existenz“
genannt. Es richtet sich gegen das Erleben des „Dritten Merkmals der Existenz“. In gewisser Weise ist
diese Art die am tiefsten verwurzelte und weitgreifenste der drei Arten des Leidens. Daher ist es auch am
schwierigtsen, sich davon zu befreien.
Zusammenfassend kann man sagen, daß diese drei Arten des Leidens allesamt aus einer geistigen Bewegung entstehen, die sämtliche nichterleuchtete Wesen miteinander teilen: die Bewegung, sich mental von
der eigenen Erfahrung abzuwenden und abzutrennen, indem die Vorstellung aufrechterhalten wird, man
selbst würde als eigenständige Existenz oder Wesenheit, getrennt von der eigenen Erfahrung, existieren.
In der buddhistischen Gedankenwelt wird dies als die „Geburt des Ego“ bezeichent. Indem wir die Illusion eines Abstand zwischen einerseits „ich oder mich“ und andererseits „meine Erfahrung, meine Welt“
erschaffen, erwecken wir die Vorstellung, wir könnten einen Sicherheitsabstand einhalten, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Die Vorstellung eines Sicherheitsabstandes weist schon auf die ursächliche Dynamik dieser Bewegung hin: es ist Lebensangst und Todesangst oder genauer gesagt, die Angst vorm Leiden.
„Ego“ im Buddhismus
Die verwickelte Dynamik der Geistesbewegung die zur Geburt des Ego führt, wurde an anderer Stelle
ausführlich besprochen. (De Wit, 1999. Kapitel 3) Die enge Beziehung zwischen Angst, Leiden und „Ego“, welche der Buddhismus herstellt, läßt auf jeden Fall deutlich werden, daß sich die buddhistische
Vorstellung von „Ego“ sehr davon unterscheidet, wie der Begriff „Ego“ in der westlichen Pschyologie
und Psychotherapie verwendet wird, wo ihm häufig die positiven Attribute von innerer Stärke und Selbtvertrauen zugeschrieben werden. Dem Buddhismus zufolge hängt ein ego-zentrierter Umgang mit den
eigenen Lebenserfahrungen mit einem Mangel an Zuversicht oder Vertauen in die eigene menschliche Existenz
zusammen. Sein psychodynamischer Antrieb ist Angst vor und Mißtrauen in die eigenen mentalen und
sinnlich vermitteleten Erfahrungen. Dem Buddhismus zufolge ist ein ego-zentrierter Geist ein angstvoller
Geist. Daher verdeutlicht die Redeweise „Man braucht ein starkes Ego, bevor man es (tranzendieren oder)
loslassen kann“ ein falsches und irreführendes Verständnis über die Bedeutung von „Ego“ im Buddhismus.
In freudianischen Begriffen gesprochen bezieht sich die buddhistische Vorstellung von Ego nicht auf ein
Ego im Sinne von Freud`s „Realitätsprinzip“, sondern vielmehr auf die geschlossene Dreiheit von Realitätsprinzip, Lustprinzip und Superego ( das Gewissensprinzip). Vom buddhistischen Standpunkt aus betrachtet, beschreibt Freud die Psychodynamik des unerleuchteten Ego-Geistes, aber nicht die Dynamik
des egolosen Geistes Buddha`s. In buddhistischer Vorstellung ist Ego keine Wesenheit, sondern eine
mehr oder weniger fortwährend stattfindende, mentale Aktivität; die Aktivität unseres Geistes
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(o.a.Bewußtseins/Gewahrseins), welcher(s) nach sich selbst greift und an sich selbst festhält (o.a. an seinen Gedankeninhalten).
Und schließlich, obwohl die Geistesbewegung, welche zur Geburt des Ego führt, den nichterleuchteten
Menschen erklärt, sollten wir diesen Menschen nicht als im konventionellen Sinn psychologisch krank
betrachten. Wenn wir in Begriffen von „Gesundheit“ sprechen wollen, könnten wir sagen , daß der Buddha sich letztendlicher oder absoluter Gesundheit erfreut. Diese Gesundheit resultiert aus der Befreiung von
der zuvor diskuitieretn Geistesbewegung: der Geistesbewegung, welche die „Drie Merkmale“ abwehrt.
Der Weg zu dieser Befreiung führt darüber, das existenzielle Leiden uneigeschränkt und vollständig anzunehmen. Wenn wir mit dem existenziellen Leiden vorbehaltlos Freundschaft schließen, wird es transformiert und als uneingeschränktes Mitgefühl in Bezug auf samsarische (nichterleuchtete) Existenz erfahren. Innerhalb dieser Erfahrung wird die Wirklichkeit von Schmerz, Vergänglichkeit und Egolosigkeit, ohne
Behinderung und mit absoluter Klarheit des Geistes als das gesehen, was sie ist. Auf diese Klarheit bezieht
sich der Buddhismus als die letztendliche Weisheit. Aus dem Leiden unter Schmerz, wird die nackte Erfahrung von Schmerz. Aus dem Leiden unter Vergänglichkeit, wird die Erfahrung von Vergänglichkeit und
das Leiden unter abhängiger Existenz wird in die Erfahrung von Egolosigkeit umgewandelt. Also wird
das, von den gewöhnlichen Menschen erlebte, existenzielle Leiden von den Erleuchteten als Mitgefühl
erlebt. Dies läuft auf die Aufhebung des Leidens, das Ziel des Buddha, hinaus. Die Aufhebung des Leidens selbst wird als letzendliche Freiheit und letztendliches Glück erlebt. So heißt es dann in einem buddhistischen Sadhana: „Jetzt sind Schmerz und Freude gleichermaßen angenehm als Verzierung zu tragen.“
(Trungpa, 1990) Auf diese Weise erfüllt sich das universelle Streben nach Glück, welches alle Lebewesen
miteinander teilen. Im Handeln manifestiert sich diese Erfahrung als die Fähigkeit, mitfühlend und nützlich für all die Lebewesen zu wirken, welche noch unter der Herrschaft des existenziellen Leidens stehen.
Im Vergleich zum Buddha erleben gewöhnliche Menschen relative Gesundheit – relativ in Bezug auf ihre
Fähigkeit, ihr ego-zentriertes Leben und ihre ego-zentrierte Emotionalität handhaben zu können. Im Kontext der bisherigen Diskussion hängt ihre Gesundheit davon ab, wie gut sie mit existenziellem Leiden,
welches aus dem Kampf gegen die Wirklichkeit der „Drei Merkmale“ resultiert, umgehen können. Von
diesem ego-zentrierten Standpunkt aus reduziert sich das Streben nach Glück auf die Jagd nach persönlichem Vergnügen und auf das Abwehren von Schmerz. Sollten wir einmal vergessen, wie dies geht, gibt es
wahrscheinlich immer andere Menschen, die uns auf diesen Weg zurückbringen.
Eine Buddhistische Sichtweise über Neurotisches Leiden
Solange wir in irgendeiner Form mit den drei Arten des Leidens, die unser furchtsamer Geist hervorbringt, umgehen können, betrachten wir sie als unumgängliche Aspekte unseres Lebens die wir ertragen
müssen, während wir gleichzeitig versuchen, unsere relative Gesundheit aufrechtzuerhalten. Sind wir jedoch aufmerksam genug, können wir auch die Moment in unserem Leben wahrnehmen, welche frei von
existenziellem Leiden, also frei von Angst vor der Wirklichkeit unseres Lebens sind. Solche Momente
bringen uns möglicherweise zum Nachdenken. Sie können in Zeiten des Glücks, oder sogar Mitten im
Elend auftauchen. Sie bringen uns dazu, unseren Geist und unsere Erfahrungen genauer zu betrachten
und inspirieren uns, sie zu erforschen. Statt unser existenzielles Leiden abzuwehren, suchen wir nach
Möglichkeiten, es zu durchschauen und unseren Widerstand aufzugeben. Dies bedeutet, daß wir -genauso
wie der Buddha- tatsächlich auf dem Pfad der Meditation angelangt sind, der uns letztendlich von existenziellem Leiden befreien wird.
Was passiert aber, wenn wir mit den drei Arten des existenziellen Leidens nicht umgehen können? Wir
wenden die gleiche Geistesbewegung, die wir auf die „Drei Merkmale der Existenz“ angewandt haben,
und die uns diese „Drei Merkmale“ als die drei Arten des Leidens erfahren ließ, auf dieses Leiden an: wir
versuchen dem existenziellen Leiden auszuweichen, bekämpfen oder unterdrücken es und verbannen es
aus unserem Bewußtsein. Diese Verdrängung und Unterdrückung führt zu einer anderen Art von Leiden,
welches die direkte Erfahrung von existenziellem Leiden verhindert. Dieses Leiden nennen wir neurotisches
Leiden, auch wenn es sich hierbei um einen etwas altmodischen Begriff handelt. Gemeinsam ist beiden
Arten des Leidens, daß sie vom Geist verursacht sind. Dem Buddhismus zufolge richten sich die Denkund Verhaltensmuster, die wir aus diesem Grund entwickeln, gegen unsere Menschlichkeit; sie lassen uns
unmenschlich werden. Traditionell buddhistisch ausgedrückt, entwickeln wir Muster, die potentiell bewirken können, daß wir nach unserem Tod nicht im „Menschen Bereich“ wiedergeboren werden, sondern in
einem der fünf anderen Bereiche (siehe weiter unten).
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Spielarten des neurotischen Leidens
Neurotisches Leiden entwickelt sich auf der Grundlage von existenziellem Leiden. Wird das existenzielle
Leiden (als) überwältigend (erlebt), neigen wir dazu, neurotische Reaktionsmuster zu entwickeln. Weil
diese Muster aber schlecht geeignet sind, führen sie ihre spezifischen Formen des Leidens im Schlepptau.
Nichtsdestotrotz sind sie Versuche, existenzielles Leiden zu „überwinden“. Im Buddhismus werden die
unterschiedlichen Arten das existenzielle Leiden zu unterdrücken oder zu verdrängen, im Zusammenhang
mit den „Sechs Bereichen“ beschrieben. Den Begriff „Bereich“ können wir hier als psychologischen
Raum verstehen, in welchen wir uns und unsere Umwelt auf eine spezielle Weise erleben. Jeder Bereich
bringt seine spezifische kognitive Verzerrung -seine neurotische Lebenshaltung- mit sich. Jeder hat seine
besondere affektive/emotionale Fixierung, seine besonderen Vorstellungen über Glück und seine eigene
Form des neurotischen Leidens. Ich werde jetzt jeden der Bereiche kurz vorstellen. (genauere Einzelheiten
in Gampopa, 1998:97, Trungpa,1973:138)
Der „Höllen Bereich“ ist ein psychologischer Raum, in welchem die Welt aufgrund der kognitiven Verzerrung ausschließlich als ein von Gewalt besetzter Ort wahrgenommen wird. Das Leben ist sozusagen die
Hölle. Die emotionale Fixierung besteht darin, sich selbst als Opfer von ständiger Aggression zu empfinden. Leiden besteht hier insbesondere aus den verschiedensten Formen der Folter oder Qual. Glück
scheint in der Abwesenheit von Qual zu liegen. In Zusammenhängen der modernen Pschychologie finden
wir diese Muster in der Arbeit mit Angstörungen und Depressionen.
Der „Bereich der Hungrigen Geister“ ist ein psychologischer Raum, in welchem die Welt aufgrund der
kognitiven Verzerrung ausschließlich als ein Ort wahrgenommen wird, der mit unerreichbaren Reichtümern angefüllt ist. Die emotionale Fixierung besteht in einem unersättlichen Verlangen oder Hunger. Das
neurotische Leiden dieses Bereichs äußert sich in Gefühlen von Entbehrung, Ausgeschlossenheit und
einer tiefgreifenden Armutsmentalität. Glück wird hier natürlicherweise als die Abwesenheit von Unzufriedenheit erlebt. In Zusammenhängen der modernen Psychologie kann sich der Bereich der Hungrigen
Geister in einem Mangel an Selbstachtung und dem Gefühl von Gram über unerfüllte Pläne und mangelnde Anerkennung aüßern; von Gram oder Kummer darüber, von anderen nicht gesehen oder anerkannt zu werden.
Der „Bereich der Tiere“ ist ein psychologischer Raum, in welchem die Welt aufgrund der kognitiven Verzerrung grundsätzlich undurschaubar und so überwältigend groß erlebt wird, daß schon der Versuch sie
zu verstehen, aussichtslos erscheint. Die emotionale Antwort besteht darin, sich taub und stumm zu stellen, die Welt zu ignorieren und sich selbst eine sehr kleine, begrenzte Welt aufzubauen. Das neurotische
Leiden dieses Bereichs aüßert sich in der permanenten Angst vor Kontrollverlust. Glück wird als die Abwesenheit alles Unerwarteten und Unbekannten wahrgenommen. In Zusammenhängen der westlichen
Psychologie manifestieren sich die Muster dieses Bereichs in Zwangsneurosen, schizoiden Persönlichkeitsstörungen und einigen Formen des Autismus.
In den klassisch buddhistischen Lehren werden diese drei zu den „Niederen Bereichen“ zusammengefaßt.
Gemeinsam ist allen, daß Menschen, die sich in einem der drei Bereiche aufhalten, sich als machtlose Opfer des jeweiligen psychologischen Raumes empfinden. Die nächsten drei Breiche werden die „Höheren
Bereiche“ genannt. Hier hat man das Gefühl, ein gewisses Maß an persönlicher Macht zu besitzen.
Der „Götterbereich“ ist ein psychologischer Raum, in welchem die Welt aufgrund der kognitiven Verzerrung als völlig uninteressant erlebt wird, als etwas, was Interesse oder eigene Beteiligung nicht wert ist. Die
emotionale Qualität aüßert sich in einem extremen „Von-sich-selbst-eingenommen-sein“. Dieses wird von
dem gößenwahnsinnigen Gefühl, über alle Belange der Welt erhaben zu sein, oder von übermäßigem Stolz
begleitet. Glück wird als glückseliges Vergessen oder Selbstversunkenheit erlebt. In diesem Bereich wird
das Leiden am erfolgreichsten vermieden. Es ist nahezu nicht wahrnehmbar. Dennoch erschöpft sich
dieser Bereich irgendwann aus sich selbst heraus (den Texten zufolge dauert das möglicherweise sehr lange). Hält man sich hier auf, werden die eigenen Energien und Resourcen aufgebraucht, so daß ein Zusammenbruch notwendigerweise irgendwann erfolgen muß. In Zusammenhängen der westlichen Psychologie finden wir diese Muster in Drogen bedingten Störungen und gewissen Formen der SubstanzAbhängigkeit ( und bei diesen “Substanzen“ kann es sich durchaus um Reichtum, Macht, Vergnügen und
Müßiggang handeln), aber auch in narzißtischen Persönlichkeitsstörungen und (Hypo)Manien.
Der „Bereich der Eifersüchtigen Götter“ ist ein psychologischer Raum, in welchem die Welt aufgrund der
kognitiven Verzerrung als Schlachtfeld betrachtet wird, welche man nur bis an die Zähne bewaffnet
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betritt, denn seinen Regeln entsprechend überleben hier nur die „Fähigsten“ . Seine emotionalen Qualitäten sind Eifersucht, Konkurrenzdenken und Mißtrauen. Das neurotische Leiden dieses Bereichs besteht
daher konsequenterweise in der ständigen Bedrohung, von anderen unterminiert oder ausgebootet zu
werden und dem ständigen Bedürfnis, Vergeltungsschläge in alle denkbaren Richtungen auszuteilen.
Glück wird hier als Sieg erlebt. Man ist glücklich, wenn man am Ende als Sieger hervorgeht und allen anderen überlegen ist. Einige der psychologischen Muster dieses Raums können wir in paranoiden und asozialen Persönlichkeitsstörungen wiederfinden und auch in der paranoiden Form der Schizophrenie.
Der letzte wird der „Menschliche Bereich“ genannt. Er unterscheidet sich von den anderen in gewisser
Weise dadurch, daß in ihm die neurotischen Versuche, das existenzielle Leiden abzuwehren, am wenigsten
erfolgreich sind. Durch die kognitive Verzerrung dieses Bereichs, wird die Welt ausschließlich als ein von
angenehmen und unangenehmen/schmerzhaften Qualitäten erfüllter Ort betrachtet, und der Sinn des
Lebens besteht darin, auf intelligente Weise zwischen diesen zu wählen. Die Lebenshaltung ist eine Art
intelligenter Hedonismus, in welchem scheinbar das Freudsche Realitäts- und Lustprinzip widerhallt.
Hauptsächliche emotionale Qualitäten sind Leidenschaft oder Verlangen. Glück wird hier als Befriedigung
erlebt. Das neurotische Leiden besteht darin, fortwährend auf obsessive Weise dem Vergnügen hinterherzurennen (oder vielmehr hinter dem, was einem Vergnügen verspricht), um durch dieses Gegenmittel das
existenzielle Leiden, welches in diesem Bereich so vehement erlebt wird, nicht erfahren zu müssen. Traditionell heißt es in den Belehrungen „Der ersten Umdrehung“ (aber nicht in den Mahayana Belehrungen
der „Zweiten Umdrehung) , daß man nur in diesem Bereich die Belehrungen des Buddha hören und anwenden kann. Die Intelligenz welche in diesem Bereich operiert, öffnet einen Menschen vielleicht für die
Vorstellung, daß das Beenden des existenziellen Leidens, möglicherweise die Erfahrung von größtmöglichen Vergnügen überhaupt bedeutet.
Wie die sechs Bereiche zu verstehen sind
Die buddhistischen Belehrungen über die sechs Bereiche werden schnell falsch verstanden. Daher hier
noch einige zusätzliche Bemerkungen.
Zuerst einmal ist allen gemeinsam, daß sie das Ergebnis von mißglückten Anpassungsstrategien sind, welche zum Ziel haben, auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene der Wirklichkeit von Schmerz, Vergänglichkeit und Egolosigkeit auszuweichen. Wenn sich die Geistbewegungen und Verhaltensmuster, die
diese Bereiche charakterisieren und regieren, auch in vielen der mentalen Störungen niederschlagen, die
wir in unserer westlichen Psychologie unterscheiden, sollten wir doch nicht den voreiligen Rückschluß
ziehen, die buddhistische Theorie über die „Sechs Bereiche“ würde nahelegen, daß sich diese Störungen
alle aus der geistigen Bewegung des Abwehrens von existenziellem Leiden entwickelt hätten. Es können
viele andere Faktoren (sowohl biologischer als auch Umfeld bedingter Natur) zu mentalen Poblemen und
Störungen führen und tatsächlich tun sie dies auch. Die „Sechs Bereiche“ liefern also keine ursächliche Erklärung von mentalen Störungen, wie es durch die DSM IV der westlichen Psychologie geschieht. Dennoch
können wir viele Muster der „Sechs Bereiche“ klar in letzteren erkennen. Die Erklärung der „Sechs Bereiche sagt weder direkt noch indirekt, daß geistige Krankheit von einem Geist verursacht wird, der sich
dagegen wehrt, ein Verhältnis zu existenziellem Leiden zu finden. Stattdessen liefert die buddhistische
Auslegung des „neurotischen Leidens“ mit den Begriffen der „Sechs Bereiche“, eine Beschreibung des
tendenziellen Verhaltens unseres Geistes, welches auftritt, wenn existenzielles Leiden als unaushaltbar
erfahren wird. Die Gründe für diese Unaushaltbarkeit können zahlreiche sein. Die durch die „Sechs Bereiche“ erstellte Analyse ist in erster Linie eine Beschreibung von unangemessenen, mentalen und verhaltensmäßigen Mustern. Unangemessen insofern, als sie die eigene Fähigkeit schwächen, mit den tatsächlichen Gegebenheiten der menschlichen Existenz umgehen und Frieden schließen zu können. Der Wert
dieser Analyse liegt darin, daß sie ein diagnostisches Werkzeug liefert, mit dessen Hilfe zu unterscheiden
ist, ob eine psychotherapeutische oder eine spirituelle Herangehensweise erforderlich ist. Der Geist, welcher auf die Unaushaltbarkeit des existenziellen Leidens reagiert, kreiert psychologische Probleme, welche
hauptsächlicher Focus der westlichen Psychotherapie sind. Hier scheint auch der große Beitrag den die
westliche Psychotherapie liefern kann, zu liegen. Obwohl der Buddhismus auch entsprechende Behandlungsmethoden kennt (s. De Silva 1984,1996). Auch für die Behandlung von mentalen Krankheiten und
Psychosen hat der Buddhismus seine eigenen Behandlungswege; Wege, die in vielen Aspekten denen der
westlichen biologischen Psychatrie ähneln (s.Clifford 1984).
Zweistens könnte man sich fragen, welcher psychologische Gewinn daraus erwächst, wenn man sich in
einen der „Bereiche“ begibt. Insbesondere wenn es sich um die „Niederen Bereiche“ handelt, - warum
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sollte sich irgendein Mensch dort hineinbegeben wollen? Sie scheinen zu wahrhaftigem Glück wirklich
keinen Beitrag liefern zu können. Nur in ihrem Vergleich zueinander, scheint es einen Unterschied, in
dem jeweilig als Glück Erlebten, zu geben. Die Antwort lbesteht darin, daß es keine freiwillige Entscheidung ist, wenn man sich in einen der Bereiche begibt, sondern das Ergebnis davon, daß sich bestimmte
Geistes- und Verhaltensmuster entwickeln (meistens Schritt für Schritt und ohne sich der Konsequenzen
bewußt zu sein), um existenzielles Leiden abzuwehren. Wenn wir uns auf eine bestimmte Sichtweise und
emotionale Qualität besonders stark ausrichten ( sagen wir zum Beispiel, die Welt sei ein Folterplatz, von
Aggression durchdrungen), können wir das Leiden, welches wir z.B. bedingt durch einen großen Verlust
erfahren, damit überschatten. Diese Bewegung des Geistes, die ursprünglich die Funktion hatte, uns von
existenziellem Leiden abzulenken, kann sich zu einem Gewohnheitsmuster entwickeln. Wir verinnerlichen
dieses dann zunehmend und es formt und dominiert allmählich den psychologischen Raum, in welchem
wir leben. Und an einem Punkt stellt sich dann heraus, daß die Medizin schlimmer ist, als die Krankheit
selbst. Zu dieser Zeit versklavt diese Geistesbewegung unsere Erfahrungen bereits. Es ist, als würde man
in blinder Panik vor einer drohenden Gefahr in eine Wüste oder einen Urwald flüchten, um dann festzustellen, daß das Leben dort auf lange Sicht weitaus gefährlicher ist, und daß es kein Zurück mehr gibt.
Man hat das Gefühl, es gäbe keine andere Lösung, als sich dieser Umgebung anzupassen.
Und zuguterletzt können Menschen Geistes- und Verhaltensmuster entwickeln, die den verschiedenen
„Bereichen“ zugehörig sind. Abhängig davon wie sie ihre gegenwärtige Situation einschätzen, werden sie
diese Muster anwenden. Sie werden feststellen, daß sie Erfahrungen machen, welche dem Leben in einem
der Bereiche ähneln. Obwohl sie im „Menschlichen Bereich“ geboren wurden, benutzen buddhistische
Praktizierende daher manchmal die Analogie, einen der anderen Bereiche zu erleben. Traditionell werden
die „Sechs Bereiche“ in einem mehr wortwörtlichen Sinn verstanden: nämlich als verschiedene physische
Existenzbereiche, in welche man wiedergeboren werden kann. Als Höllenwesen, Hungriger Geist, Tier,
Mensch oder (Eifersüchtiger) Gott wiedergeboren zu werden, wird als Ergebnis von tief eingegrabenen
mentalen Mustern betrachtet, die nach dem physischen Tod erhalten bleiben. Diese Muster werden in
dem jeweils korrespondierendem Bereich wiedergeboren.
Wenn die Vorstellung von mehreren Leben der westlichen Kultur auch fremd ist ( mit Sicherheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft), zeigt dies doch, daß die neurotischen Muster, welche die verschiedenen
„Bereiche“ ausmachen, aüßert hartnäckig und schwer aufzulösen sein können. Buddhisten würden sagen,
diese Hartnäckigkeit rührt daher, daß diese Muster sich über einen langen Zeitraum, in vielen Leben entwickelt haben. Man wird mit ihnen wiedergeboren und wenn die Bedingungen vorhanden sind, werden sie
aktiv und manifest. In diesem Sinn ähneln sie sehr den Unterteilungen der „Persönlichkeitsstörungen“ in
unserer westlichen Psychologie. Diese Störungen sind ebenfalls bemerkenswert schwierig zu heilen.
Das Verhältnis zwischen Existenziellem und Neurotischem Leiden
Aus unserer Definition des neurotischen Leidens, als Ergebnis eines Abwehrens des existenziellen Leidens, ergeben sich zwei wichtige Folgerungen. Die erste besteht darin, daß neurotisches Leiden nicht auftauchen kann, ohne daß existenzielles Leiden existiert. Neurotisches Leiden ist symptomatisch für existenzielles Leiden und entsteht aus der Unfähigkeit, mit letzterem umzugehen. „Unfähig“ in dem Sinn, daß wir
nicht in der Lage sind, diesem spezifische Leiden zu begegnen, es auzuhalten und letztendlich aufzulösen
und von daher nach Strategien suchen, um uns zu schützen, welche zu neurotischem Leiden führen. Die
Gründe dafür können unterschiedlich und zahlreich sein, abhängig von der jeweiligen Person und den
Umständen. Ich werde sie hier nicht diskutieren. Ein Ziel der Psychotherapie besteht darin, sie aufzudecken und aufzulösen.
Die zweite Folgerung ergibt sich aus der Funktion des neurotischen Leidens: wird neurotisches Leiden
erlebt, kann existenzielles Leiden nicht (so ohne weiteres) erfahren werden. Obwohl neurotisches Leiden
in sich selbst ein Symptom für nicht zu bewältigendes existenzielles Leiden ist, verdeckt es das existenzielle Leiden auch, was die direkt Arbeit mit dem existenziellen Leiden erschwert.
Und schließlich resultieren beide Formen des Leidens aus der gleichen Bewegung des Geistes: dem Widerstand. Existenzielles Leiden ergibt sich aus dem Widerstand gegen die „Drei Merkmale“, der sich darin
äußert, die Dinge nicht so sehen wollen, wie sie sind. Neurotisches Leiden ergibt sich aus dem Widerstand
gegen existenzielles Leiden.
Die Schlußfolgerungen aus dem Verhältnis zwischen Psychotherapie und Buddhistischer Spiritualität
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Rufen wir uns jetzt die zwei Aussagen vom Anfang dieses Kapitels in Erinnerung, die Ausage von Freud
und die vom Buddha. Die Aussage vom Buddha können wir folgendermaßen umformulieren: „ Mein Ziel
ist einzig und allein das eine: existenzielles Leiden und das Beenden des existenziellen Leidens.“ Freud`s
Aussage könnte man wie folgt umformulieren: „ Das einzige was die Psychotherapie leisten kann, ist neurotisches Leiden in existenzielles Leiden umwandeln.“ Anders gesagt: Buddha Ziel liegt nicht darin, das
neurotische Leiden zu beseitigen, sondern das existenzielle. Freud`s Ziel und auch das der meisten
Psychtherapeuten liegt darin, das neurotische Leiden zu beseitigen, nicht aber das existenzielle Leiden.
Wenn wir beiden Aussagen auf diese Weise betrachten, erhalten wir ein Kriterium, mit welchem wir unterscheiden können, wann Psychotherapie erforderlich ist und wann der spirituelle buddhistische Pfad. Ob
eine spirituelle Praxis oder Psychotherapie angezeigt ist, hängt davon ab, ob der jeweilige Mensch in der
Lage ist, direkt mit existenziellem Leiden umzugehen, oder nicht. Dies ist keine Frage von schwarz oder
weiß: möglicherweise ist die neurotische Reaktion auf existenzielles Leiden nur sehr schwach und hält den
Praktizierenden daher nicht davon ab, direkt mit existenziellem Leiden zu arbeiten. In diesen Fällen ist die
buddhistische spirituelle Praxis in der Lage, das existenzielle Leiden zu überwinden und mit dem damit
verbundenen Aufwachen, wird auch die neurotische Reaktion verschwinden, sofern sie sich auf das existenzielle Leiden gründet. Dies erklärt, warum spirituelle Praxis (in einigen Fällen) einen psychtherapeutischen Effekt haben kann. Ist jedoch das neurotische Leiden so ausgeprägt, daß nicht direkt mit dem darunter liegenden, existenziellem Leiden gearbeitet werden kann, ist Psychotherapie angebracht. Mit buddhistischen Begriffen gesprochen können wir sagen, daß Psychotherapie das Mittel ist, Menschen aus den
anderen fünf „Bereichen“ in den „Menschlichen Bereich“ zu führen.
Ich möchte hier noch einen subtilen Gesichtspunkt hinzufügen. Beide Arten des Leidens leiten ihre
schmerzhaften Qualitäten aus dem mentalen Widerstand und der Angst ab, die diesen Widerstand begleitet und nährt. Das bedeutet, daß die Transformation des Leidens an den neurotischen Mustern und den
„Drei Merkmalen der Existenz“ in die nackte Erfahrung derselben, in beiden Fällen darauf hinausläuft,
den eigenen angst-getriebenen Widerstand loszulassen. Daraus folgt, daß es möglich ist, eine „Befreiung
vom Leiden“ oder Erleuchtung im buddhistischen Sinn zu erlangen, während man gleichzeitig noch mit
neurotischen Mustern lebt. Aber diese Muster sind zu toten Hülsen geworden. Wir leben nicht mehr in
ihnen, was heißt, wir nähren die Energie nicht mehr, die notwendig ist, um sie aufrechtzuerhalten. Und
mit der Zeit verschwinden sie einfach, oder sie werden in einer konstruktiven Weise genutzt, so wie man
eine leere Muschel oder ein Muschelhorn als Musikinstrument nutzen kann.
Spirituelle Lehrer sind keine Psychotherapeuten und vice versa
Die Kriterien welche hier für die Unterscheidung von den Aufgaben der Psychotherapie und dem buddhistischen Pfad präsentiert wurden, lassen einige Schlußfolgerungen für spirituelle Lehrer und Psychotherapeuten zu, die wir hier kurz diskutieren werden.
Bringt man den buddhistischen und den psychotherapeutischen Pfad durcheinader, oder setzt man ihn
gleich, können zwei Formen von unproffessioneller Herangehensweise auftreten. Spirituelle buddhistische
Lehrer könnten annehmen, sie wären gute Psychotherapeuten und Therapeuten könnten annehmen, sie
würden sich als buddhidtische Lehrer eignen. Oder ihre Studenten oder Klienten könnten dies annehmen.
Ist die Unterscheidung dem buddhistischen Lehrer oder der buddhistischen Lehrerin nicht klar, könnten
sie neurotisches Leiden nicht angemessen diagnostizieren und spirituelle Disziplinen darauf anwenden.
Dies wird in den meisten Fällen für Lehrer und Schüler zu einem Mißerfolg führen. Konsequenterweise
wird der Schüler, welcher (stillschweigend oder explizit) mit therapeutischen Erwartungen an den Lehrer
herangetreten ist, Vertrauen in den spirituellen Pfad und den Lehrer verlieren. Solch eine Person wird,
auch nachdem ihr neurotisches Leiden erfolgreich von einen Therapeuten behandelt wurde, später kein
Verlangen verspüren, einen spirituellen Pfad zu betreten. In den seltenen Fällen, in denen es einem spirituellen Lehrer gelingt, neurotisches Leiden erfolgreich zu behandeln, wird der Schüler in dem Denken
bestätigt, der spirituelle Pfad sei eine Form der Psychotherapie. Daher wird seine Motivation für die Disziplinen dieses Pfades immer davon bestimmt sein, das neurotische Leiden aufzulösen. Dies bedeutet
auch, daß diese Person, sowohl im Fall des Erfolgs als auch des Mißerfolgs, nicht motiviert ist, die Möglichkeiten zu erforschen, die der spirituelle Pfad bietet: mit dem eigenen existenziellen Leiden zu arbeiten
und die Befreiung davon zu erlangen.
Ist diese Unterscheidung einem Psychotherapeuten nicht klar, wird sie oder er existenzielles Leiden nicht
angemessen diagnostizieren und psychotherapeutische Maßnahmen darauf anwenden. Auch dies führt in
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den meisten Fällen zum Mißerfolg, denn wie viele Therapeuten gibt es schon, die völlig und ohne Vorbehalte mit ihrem eigenen existenziellem Leiden Frieden geschlossen haben und die von daher in der Lage
sind, ihre Klienten in diese Richtung zu führen? Dem Klienten, welcher mit existenziellen Problemen zum
Therapeuten kommt und dann eine psychotherapeutische Behandlung erhält, wird nicht geholfen und er
oder sie verliert daher Vertrauen in die Psychotherapie. Tritt dann später im Leben neurotisches Leiden
zutage, wird er/sie psychotherapeutische Hilfe nicht in Betracht ziehen. In den sporadischen Fällen, in
welchem ein Psychotherapeut hier Erfolg hat, wird der Klient in dem Denken bestätigt, daß spiritueller
Pfad und Psychotherapie sich nicht unterscheiden und so auch niemals motiviert sein, eine spirituelle Praxis auszuüben, welche „über Therapie hinaus“ geht („Beyond Therapie; Claxton 1986).
Buddhistischer Pfad und Psychotherapie sind unterschiedliche Disziplinen, mit verschiedenen Zielen und
verschiedenen Methoden. Die zuvor genannten Risiken, welche sich daraus ergeben, daß diese Disziplinen
vermischt werden, könnten uns vorsichtig, wenn nicht skeptisch werden lassen, wenn es um die „Integration “ von buddhistischer Praxis in den psychotherapeutischen Weg geht und umgekehrt. Das ändert
nichts an der Tatsache, das es sehr wertvoll wäre, in beiden Disziplinen von qualifizierten Menschen, also
von „Linienhaltern“ beider Disziplinen, ausgebildet und authorisiert zu werden. Dies würde bestimmt
unsere Fähigkeiten erweitern, besser bestimmen zu können, was hifreich und gut für einen Menschen ist,
der spirituelle oder therapeutische Hilfe sucht. Hat man einmal herausgefunden, welche Art von Hilfe am
sinnvollsten wäre, scheint es unserer Diskussion zufolge am besten zu sein, sich entweder für eine spirituelle oder eine psychotherapeutische Beziehung mit Student oder Klient zu entscheiden.
Literaturhinweise:
Claxton, G. (1986):(Ed.) Beyond therapy. London: Wisdom Publications, 1986
Clifford, T.(1984): Tibetan Buddhist medicine and psychiatry: The diamond healing. York Beach, Maine:
Samuel Weiser,1984
De Silva, P. (1984): Buddhism and behavior modification. Behaviour Research & Therapy, 22, 661-678
De Silva, P. (1986): Buddhist psychology: theory and therapy. In M.G.T. Kwee & T.L. Holdstock (Eds.)
Western and Buddhist psychology: clinical perspectives. Delft, Holland: Eburon, 1996
De Wit, Han F. (1999): The spiritual Path – An introduction to the psychology of the spirizual traditions.
Pittsburgh: Duquesne University Press, 1999.
Freud, Sigmund (1952): Gesammelte Werke, I. London: Imago Publishing, 1952
Gampopa (1998): The Jewel Ornament of Liberation. Ithaca NY: Snow Lion Publications, 1998
Geshe Lundrup Sopa & Jeffrey Hopkins (1989): Cutting through appearances. Ithaca NY: Snow Lion
Publication, 1989.
Majjhima Nikaya, (Ed. V. Trencker) London: Pali Text Society, London. Or: The Middle Lenght Discourses of the Buddha, Sutta 22: 38. Transl. Bhikku N_namoli & Bhikkhu Bodhi. Boston: Wisdom Publications, 1995.
Trungpa, C. (1973) Cutting through spiritual materialism. Boston: Shambhala Publications.
Trungpa,C. (1990) Sadhana of Mahamudra. Halifax: Nalanda Translation Committee, 1990.
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Anhang 6: Was ist ein transpersonaler Psychotherapeut? (Ulla Heist)
Über die Kunst, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen
Zusammenfassung: In diesem Artikel wird eine Zusammenschau dessen versucht, was die verschiedenen Schulen transpersonaler Psychotherapie über Person, Rolle und Aufgabe des Therapeuten, der Therapeutin aussagen. Grundlegend in der transpersonalen Psychotherapie ist der Umgang des Therapeuten mit
zwei verschiedenen Dimensionen: der Dimension der Persönlichkeit und der Dimension des Wesens oder
des Selbst, die immer beide beachtet und miteinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Diese Notwendigkeit der Integration ist die beständige Herausforderung an den Therapeuten, die Therapeutin, nicht
63
nur den Verdrängungs- und Spaltungskräften der Klienten zu begegnen, sondern ebenso auch den eigenen
standzuhalten, so daß wirkliches Wesenswachstum geschehen kann. Der Weg zu einer größeren Ganzheit
des Menschseins als Therapeut wird unter vier Blickwinkeln betrachtet: Die Person des Therapeuten, der
Blick auf den Klienten, die heilende Beziehung und die therapeutische Haltung.
Schlüsselworte: Zwei Dimensionen, Person, Selbst, Teile und Ganzes, Beziehung, Ganzheit.
Was ist ein transpersonaler Psychotherapeut? Diese Frage wurde mir zur Ausarbeitung eines Vortrages für
den Kongress 'Transpersonale und spirituelle Dimensionen in der Psychotherapie' in Bad Kissingen vorgelegt. Ich habe diese Frage dann als Titel übernommen, obwohl sie bestimmt nicht so gedacht war. Weil
ich aber über die Frage etwas erschrocken bin, habe ich schnell einen Untertitel dazugesetzt: Über die
Kunst, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen.
Was ist ein transpersonaler Psychotherapeut? Die Frage bekommt ihren aufschreckenden Charakter durch
den Begriff 'transpersonal': Denn er klingt etwas jenseitig, und deshalb halte ich ihn nicht mehr für besonders geglückt. Ich glaube nämlich, daß er unbewußte Bedeutungsnuancen auslöst, die er im Grunde
gar nicht sagen möchte. Sehr leicht wird mit ihm assoziiert, daß das Eigensein, die Individualität, die Subjektivität verlassen werden sollen, und in meiner Erfahrung mit Menschen, die auf einem spirituellen Weg
sind, geschieht das auch gar nicht so selten, und es entstehen Konflikte durch den Versuch, eigene Wünsche, Bedürfnisse und Überzeugungen von sich zu werfen, zu unterdrücken oder zu verleugnen, und die
Menschen versuchen dann, jemand anderer zu werden statt sich selbst, allgemeiner zu werden statt einzigartiger, weniger statt mehr.
Dabei kann der Begriff ja auch ganz anders verstanden werden. Francis Vaughan definiert ihn folgendermaßen: "transpersonal kann insofern von transzendental unterschieden werden, als es sich auf das Transzendentale bezieht, wie es sich in und durch den Menschen manifestiert." (1990, S. 48) Das heißt, nicht die
Person überschreitet sich, sondern sie läßt etwas durch sich hindurch kommen. Die Person wird durchlässig wird für das, was größer, was höher ist als sie selbst. Das Lateinische 'Personare' bedeutet 'Hindurchtönen'. Graf Dürckheim, der ja einer der großen Pioniere auf dem Gebiet der transpersonalen Psychotherapie war, pflegte zu sagen, die Frage sei, wie der Karlfried durch den Dürckheim durchkomme. In diesem
Sinne will ich mich hier mit dem 'transpersonalen Psychotherapeuten' befassen. Es soll um den Psychotherapeuten, die Psychotherapeutin gehen, der oder die eine höhere, größere, spirituelle Dimension in
seine oder ihre Arbeit miteinbezieht als integralen Bestandteil seines Selbst- und Weltbildes, seines Verständnisses von Gesundheit und Krankheit, von Diagnose, Therapie und Heilung, und von Entwicklung
und Wachstum.
Im Untertitel habe ich die transpersonale Psychotherapie benannt als "Die Kunst, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen". Denn Transpersonale Therapie lebt und arbeitet in bewußter Ausrichtung in
zwei Welten, in zwei Dimensionen: in der Welt der Persönlichkeit, des Abgetrenntseins, des Für-sich-Seins,
in der es um das Ganzwerden als Person geht. Und in der Welt des größeren Seins, des Wesens, des 'wahren Selbst', in der es um das Verbundensein mit dem Ganzen, um die Verwirklichung des eigenen Platzes
im großen Ganzen, und um das Erwachen zu einer größeren Wirklichkeit geht. Genau diese Ausrichtung
der transpersonalen Psychotherapie auf zwei verschiedene Dimensionen ist ihr Potential und ihre Aufgabe. Wir haben in unserer Innenwelt und in unserer Umwelt eine tiefe Spaltung zwischen dem Persönlichen
und dem Spirituellen, zwischen dem Alltäglichen und dem Heiligen, zwischen dem Pragmatischen und
dem Mystischen. Ich glaube, daß wir als transpersonale Psychotherapeuten an dieser Stelle unseren Platz
haben. Für klassische Psychotherapieschulen gehört das Spirituelle oft nicht ins Themengebiet der Therapie, so daß psychische Gesundheit und Spiritualität voneinander getrennt werden. Spirituelle Schulungswege dagegen befassen sich nicht eigentlich mit Fragen der persönlichen Biographie. So kann es geschehen, daß die Persönlichkeit 'draußen bleibt' und eine von ihr abgekoppelte 'spirituelle' Entwicklung verfolgt, eine Art spirtueller Überbau erzeugt wird.
Dagegen sehe ich uns als transpersonale Psychotherapeuten genau an der Stelle stehen, an der persönliches Leben und spirituelle Suche sich finden sollten, eine Stelle, die sich nur allzu oft als Spalt darstellt. Ich
sehe uns Brücken bauen, die solange helfen, diese beiden Dimensionen des Lebens und des Wachsens
miteinander zu verbinden, bis sie schließlich unauflöslich miteinander verwoben und eins geworden sein
werden, weil wir sie in uns zusammengeschafft haben zu der einen, wirklichen Realität unseres Lebens.
Die Begleitung dieses Zusammenschaffens von Persönlichem und Spirituellem zu einer größeren Ganz-
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heit des Menschseins könnte die ganz spezifische Arbeit sein, die gerade uns zufällt, wenn und weil wir
uns in beiden Dimensionen, in beiden Erfahrungswelten des Menschlichen bewegen.
Im Folgenden will ich versuchen, das Gemeinsame, das Schulenübergreifende zu finden und darzustellen,
das die verschiedenen Ansätze transpersonaler Psychotherapie über Person, Rolle und Aufgabe des Psychotherapeuten, der Psychotherapeutin aussagen, und jeweils eigene Gedanken und Erfahrungen dazustellen. Das soll in vier Abschnitten unter den Überschriften: 'Zur Person des Psychotherapeuten', 'Der Blick
auf den Klienten', 'Die heilende Beziehung' und 'Die therapeutische Haltung', geschehen.
Zur Person des Psychotherapeuten, der Psychotherapeutin
Psychotherapie – ob 'transpersonal' oder nicht – muß sich mit der Frage auseinandersetzen: Was wirkt?
Inwieweit liegt es an der Methode, an ihrer theoretischen Sicht und den Techniken, die sie benutzt, und
inwieweit liegt es an der Persönlichkeit des Therapeuten, der Therapeutin? Was ist das Heilmittel? Die
Methode oder der Mensch?
Roger Walsh und Francis Vaughan schreiben dazu: "Da wir ( die transpersonalen Therapeuten) sowohl
Werkzeug als auch Modell dessen sind, was die Zielsetzung transpersonaler Psychotherapie bildet, müssen
wir all das zu leben versuchen, was wir unseren Klienten nahebringen wollen. Angesichts der wenigen wissenschaftlich gesicherten Hilfsmittel müssen wir uns vor allem auf uns selbst verlassen und uns um Integrität und Sensibilität mühen. Nirgendwo sonst auf dem Feld der Psychotherapie ist die Arbeit des Therapeuten an sich selbst wichtiger für den Verlauf der Therapie." ( 1987, S.193)
Es gibt im transpersonalen Umfeld zwei Bezeichnungen für den Therapeuten, für die Therapeutin, die
häufig auftauchen. Er oder sie wird oft als Reisebegleiter oder als Hebamme benannt als Ausdruck dafür,
daß das alte Arzt-Patient-Verhältnis verlassen und ein neues, anderes ausgebildet werden soll.
Dazu eine Geschichte aus dem Buch: 'Die Wurzeln der Liebe'. Eine Hebamme aus dem Stamm der Lahu
in Nordthailand, sie heißt Nami, berichtet: "Ich habe meine Kinder ganz allein zur Welt gebracht... die
Leute haben immer gesagt, weil ich meine Kinder ja allein zur Welt gebracht habe, könnte ich anderen
helfen. Sie fingen an, zu mir zu kommen, damit ich ihnen helfe, und ich glaube, das mache ich jetzt seit
ungefähr zwanzig Jahren." (Odent 2001, S. 110) Nami kann anderen Frauen helfen, ihre Kinder zur Welt
zu bringen, weil sie selbst durch diese Erfahrung auf eine Weise durchgegangen ist, die ihr Sicherheit im
Umgang damit gibt. In traditionellen Gesellschaften Malaysias und Thailands kann nur Hebamme werden,
wer die eigenen Kinder leicht zur Welt gebracht hat, und wem darüberhinaus auch das Beten leichtfällt.
Dort wird also zweierlei vorausgesetzt: eigene Erfahrung und Zugang zur höheren Dimension.
Zunächst zur eigenen Erfahrung: Vor kurzem sagte eine Teilnehmerin unserer Therapeutischen Weiterbildung in einer Einzelsitzung zu mir: "Ich bin nicht geeignet für diesen Beruf, ich stecke selbst so tief im
Sumpf." Das höre ich immer wieder einmal. Ich antworte dann: "Genau diese Erfahrung des Im-SumpfSteckens wird Dir mehr als alles andere helfen, die Menschen zu verstehen, die zu Dir kommen und die in
ihrem Sumpf feststecken. Es wird Dir dabei helfen, dich mit dem Menschen, der Dir da gegenüber ist, zu
verbinden. Es wird Dir helfen, Dich ihm gleich zu fühlen, anstatt Dich über ihn zu stellen, und zu glauben, daß Dir so etwas nicht passiert. Es wird Dir helfen, nachzuvollziehen, wie es in ihm aussieht, und so
wirklich bei ihm zu sein. Und wenn Dein Klient oder Deine Klientin tief im Sumpf steckt, wird Dir Deine Erfahrung, wie Du Dich Schritt für Schritt aus Deinem Sumpf befreit hast, helfen, die Hoffnung nicht
zu verlieren und Schritt für Schritt mit ihm oder ihr geduldig den Weg heraus zu suchen."
Eigene Erfahrung bedeutet für uns als Therapeuten zum einen das Wissen um unsere Konflikte, das Leiden an unseren persönlichen Defiziten, das Erleben unserer eigenen Ohmacht und Hilflosigkeit. Zum
anderen bedeutet es, daß wir den Weg, auf dem wir unsere Klienten begleiten, den Weg aus dem Sumpf,
selbst schon ein ganzes Stück gegangen sind. Dieser Weg ist in der Sicht der transpersonalen Psychotherapie mehr als das Erlernen von Problemlösungsstrategien oder die Aufarbeitung einer defizitären Kindheit.
Er ist ein Weg der Entwickung und Ausbildung der Persönlichkeit, ein Weg des 'Mehrwerdens', der übereinstimmend in vielen Schulen als 3-Schritt dargestellt wird:
Als 3-Schritt von
1.
Beobachtung im Sinne von Selbstreflektion, das führt zur Kenntnis der eigenen Persönlichkeit und damit gleichzeitig zur beginnenden Ausbildung eines höheren Standpunktes sich selbst gegenüber,
65
2.
Distanzierung, das heißt ein Lockern, Loslassen von bisherigen Identifikationen, von
alten Selbst-Bildern im Sinne einer Disidentifikation, das führt zur zunehmenden Ausbildung eines inneren Zentrums, eines inneren Zeugen und
3.
Stellungnahme, das heißt aus diesem Zentrum heraus Verantwortung übernehmen für
die eigenen inneren Kräfte, für deren Wirkungen auf mich selbst und auf andere, und für deren weitere
Entwicklung. Das ist der schöpferische Aspekt im engeren Sinne.
Die Bildung und Festigung der Persönlichkeit ist nichts, das man einmal getan und damit hinter sich gebracht hat, es ist ein fortschreitender, sich vertiefender Prozess, für uns als Menschen, und ebenso für uns
transpersonale Psychotherapeuten.
Wenn wir aber die psychische und die spirituelle Entwicklung in linearer Weise als hintereinander kommend sehen, glauben wir vielleicht, wir wären auf der persönlichen Ebene bereits 'fertig', weil wir einige
Selbsterfahrung, einige therapeutische Eigenarbeit hinter uns gebracht haben. Dann sind wir in Gefahr,
ein Psychotherapeuten-Selbstbild aufzubauen, das nicht mehr hinterfragt wird, besonders aber ein transpersonales Psychotherapeuten-Selbstbild. Solche Bilder haben unter Umständen enorme energetische
Ladungen, und sind reichlich stabil, weil sie die Identität außerordentlich stützen! Vom Bild des neurosefreien, durchgearbeiteten Therapeuten bis hin zum Guru gibt es da gar vieles, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Und jede und jeder von uns muß ihre oder seine ganz eigene Haltung dazu finden. Ich
persönlich glaube nicht, daß es so ein 'heiles' Endstadium gibt. Ich glaube, daß es darum geht, sich der
eigenen Begrenzungen, der eigenen menschlichen Unvollkommenheiten bewußt zu werden.
Das Bewußtsein der eigenen Begrenzungen, das Bewußtsein über mich selbst überhaupt, hängt von der
Ausbildung des inneren Beobachters, des Zentrums, des Zeugen ab. Je mehr ich im Zeugen versammelt
bin, desto klarer kann ich neutral wahrnehmen und so sein lassen, was ist, auch mich selbst. Eine wesentliche Qualität des Beobachters ist das liebende Verstehen, das Mitgefühl nicht nur anderen, son dern auch
sich selbst gegenüber. Von da aus können wir uns sein lassen und arbeiten, so wie wir eben sind. Wir
brauchen nicht anders, nicht weiter, nicht 'fertig' zu sein. Mein Psychosynthese-Lehrer David Bach hat oft
etwas gesagt, was uns Lernenden damals sehr tröstlich war. Er sagte: "Du mußt Deinem Klienten mindestens einen Schritt voraus sein. Aber ein Schritt genügt, damit Du ihn begleiten kannst."
Auf den dritten Schritt hat vielleicht Jung als erster hingewiesen: daß dem Unbewußten, den vielfältigen
inneren Kräften gegenüber Stellung bezogen werden muß. Die Selbsterforschung, das "Wer bin ich?"
führt weiter zur Frage: "Und wer könnte ich sein?". Diese Frage erschließt das Potential des tieferen und
des höheren Unbewußten und eröffnet damit faszinierende Weiten und unbegrenzte Möglichkeiten: unendliche 'Potentialitäten der Realisation' (Hans-Peter Dürr). Erst die Fragen "Wie will ich mich dazu stellen?" und "Was will ich sein?" bringen eine ethische Haltung ins Spiel. Das ist ja innen und außen ganz
gleich: Je weiter die Erkenntnisfähigkeit fortschreitet und die Bewußtseinskräfte innen sich ebenso potenzieren, wie das die technischen Möglichkeiten in der Außenwelt bereits getan haben, desto dringlicher wird
die Notwendigkeit, das Mögliche auch zu verantworten. Die aktive Einstellung zum eigenen Werdeprozess
als Person bedeutet, daß dem Prinzip der Analyse das Prinzip der Synthese hinzugefügt werden muß.
Als transpersonale Psychotherapeuten geht uns das ganz besonders an. Wir haben ein wachsendes Repertoire an bewußtseinsverändernden Techniken, an außerordentlich eingreifenden Methoden zur Verfügung,
mit denen wir tatsächlich vieles bewirken können. Denken Sie nur ans Familienstellen, das weit in den
kollektiven Raum hineinwirkt. Das holotrope Atmen kann sehr schnell in tiefe Schichten vordringen.
Auch in der Psychosynthese haben wir äußerst wirkungsvolle Techniken, ebenso in der Initiatischen Therapie, und in anderen Schulen, die ich nicht alle aufzählen kann.
Wir kennen die Gefahren dieser machtvollen Methoden, haben vielleicht selbst schon erlebt, oder davon
gehört, wie z.B. eine akute Psychose, oder auch Suizidales ausgelöst wurde. Aber ich denke da auch an
anderes, das so umso bedrohlicher ist, weil es nicht erkannt, und so mitgenommen wird auf den weiteren
Entwicklungsweg. Beispielsweise habe ich in meiner psychotherapeutischen Arbeit immer wieder zu tun
mit Menschen, die gerade durch ihre spirituelle Schulung ein neues falsches Selbst aufgebaut , bzw. das alte
falsche Selbst neu verkleidet haben, und das kann sehr subtil, und deshalb schwer zu erkennen sein. Weil
transpersonale Psychotherapie ja auf tiefen Seelenebenen zugreift, können innerlichste Verwundungen
verstärkt oder neue Verletzungen auf der tiefen Seelenebene geschehen. Spaltungstendenzen, auch im
Sinne eines unintegrierten Größenselbst, können zugedeckt, und unter dem Deckmantel des 'Höheren'
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weitergepflegt werden, sich unerkannt auswirken und heimlich vermehren. Das sind alles Themen und
Fragen, mit denen wir uns gründlich auseinandersetzen müssen, und über die wir bis heute noch zu wenig
wissen, obwohl wir mit allen diesen Methoden längst arbeiten, die auf tiefe Bewußtsseinsschichten einwirken, und mit denen – wie wir aus unserer Erfahrung und aus der Diskussion um Sekten und andere problematische Gruppierungen wissen – manipuliert, vereinnahmt und mißbraucht werden kann.
Denn es ist doch so: Es kommt tatsächlich nicht so sehr auf die Methode an. Methoden sind Werkzeuge,
die für einen bestimmten Zweck besser oder schlechter eingesetzt werden können. Die beste Methode
kann von uns benutzt werden, um zu manipulieren. Dieselbe Methode kann zur Verfügung gestellt werden, um dem Wesenswachstum eines Menschen zu dienen. Ob wir sie so oder so einsetzen, hängt von uns
Therapeuten ab: Von unserer Selbsterkenntnis und Bewußtseinsklarheit, vom Maß unserer eigenen Integration und vor allem von unserer ethischen Haltung. Es kommt ganz allein auf uns an, wir wir unsere
Techniken benutzen, mit welcher Umsicht und Weitsicht wir sie einsetzen, welche Zwecke wir damit verfolgen und welche Motive uns dazu bewegen. "Wer seine Erkenntnis nicht als ethische Verpflichtung anschaut, verfällt dem Machtprinzip", sagt Carl Gustav Jung (1992, S. 196). Roberto Assagioli sagt in diesem
Zusammenhang, daß die inneren Kräfte nicht sich selbst überlassen werden dürfen. Um konstruktiv mit
ihnen umgehen zu lernen, müssen wir vom Zentrum ausgehen. "Wir müssen das vereinigende und kontrollierende Lebensprinzip finden und funktionsfähig machen." (1988, S. 38)
In diesem Sinne ist die fortlaufende Arbeit an uns selbst im Sinne des beschriebenen 3-Schrittes: Erkennen, Lösen, Verantworten ganz außerordentlich grundlegend. Deshalb finde ich es sehr bedauerlich und
auch unverständlich, daß es immer noch psychotherapeutische Ausbildungsgänge gibt, für die die Selbsterfahrung der Therapeuten nur deshalb gefordert ist, weil man dann halt auch mal an sich erlebt hat, wie es
ist, in der Klienten- oder Patientenposition zu sein. Das läßt einen dann vielleicht in der Illusion zurück,
man selbst sei relativ konfliktfrei oder 'schon weiter' als andere oder sowieso gesünder, und enthebt einen
der tiefen Erfahrung des Menschseins mit allen ihren Facetten, die uns erst zu persönlicher Integration
und menschlicher Ganzheit führt. Jungs ethische Verpflichtung verweist uns ebenso wie Assagiolis vereinigendes und kontrollierendes Lebensprinzip auf die höhere Dimension.
Bevor wir uns dieser zuwenden, noch eine Geschichte: Eine Mutter kommt mit ihrem Sohn zum heiligen
Mann, und sagt: "Heiliger Mann, mein Sohn ist zuckerkrank, und ich kann ihn nicht davon abhalten, Süßes zu essen. Sag Du ihm, daß er es lassen soll, auf Dich wird er hören." Der heilige Mann sagt: "Komm
in sechs Wochen wieder." Nach sechs Wochen kommt die Frau mit ihrem Sohn wieder und der heilige
Mann schaut diesen an und sagt: "Iß keine Süßigkeiten mehr." Der Sohn nickt, und die Frau fragt verwundert: "Bitte sag mir doch, warum Du sechs Wochen gebraucht hast, um einen so einfachen Satz zu sagen."
Der heilige Mann antwortet: "Ich esse auch gern Süßes, und so mußte ich zuerst ausprobieren, ob ich
selbst darauf verzichten kann, bevor ich es Deinem Sohn sagen konnte."
Nun zur höheren Dimension: Als 'transpersonale' Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten brauchen wir ganz bestimmt auch eigene Erfahrung mit der spirituellen Dimension. Die einen bringen das
sowieso mit sich als persönliche Glaubensorientierung und eigene Erfahrung transzendenter oder mystischer Natur. Andere von uns werden vielleicht durch berufliche Erfahrungen auf einen spirituellen Weg
geführt, vor allem, wenn sie mit schwer traumatisierten Menschen oder mit unheilbar Kranken und mit
Sterbenden arbeiten. Die Öffnung zum Spirituellen ist keineswegs auf 'transpersonale' Psychotherapeuten
beschränkt. Die Schulen transpersonaler Psychotherapie verstehen jedoch nicht nur die innere Beziehung
des Therapeuten zum Höheren, seine oder ihre persönliche Seinserfahrung als wesentlichen Kern der
therapeutischen Qualifikation, sondern sie begreifen das Spirituelle auch als eigentlichen Kern der psychischen Gesundheit überhaupt.
Die Schulen transpersonaler Psychotherapie unterscheiden zwischen verschiedenen Bewußtseinsebenen
und arbeiten mit veränderten Bewußtseinszuständen, jede Schule hat dafür ihre eigenen Zugangswege und
Umgangsmethoden, und verschiedene Begrifflichkeiten, die auch auf unterschiedlichen Bewußtseinsmodellen basieren. Darauf will ich hier nicht näher eingehen, weil uns das von unserer Blickrichtung auf die
Therapeutin, den Therapeuten abbringen würde.
Die transpersonalen Schulen haben, wie gesagt, ihre Methoden, mit deren Hilfe das Bewußtsein in eine
höhere Dimension erhoben werden, der Wechsel von einer Ebene des Bewußtseins auf eine andere gezielt
geschult werden kann. Diese Methoden sind im allgemeinen dem Wissen spiritueller Schulungswege entlehnt und für therapeutische Zwecke abgewandelt worden. Eine zeitweise Bewußtseinsveränderung ist im
67
Grunde ja nur eine Frage von Übung. Solche meditativen oder kontemplativen Techniken werden meist
im Rahmen der spirituellen Praxis der Therapeutin, des Therapeuten regelmäßig ausgeübt und methodisch
geschult. Sie müssen auch ein fester Bestandteil des eigenen Lebens geworden sein, damit sie im Rahmen
der therapeutischen Arbeit eingesetzt werden können; Techniken, mit denen das normale Wachbewußtsein verändert, verfeinert und dies über einen bestimmten Zeitraum aufrechthalten werden kann, sozusagen eine zeitweilige Ausdehnung über die Begrenzung der Persönlichkeit ermöglicht wird. Manche Schulen haben auch ihre ganz spezifischen Techniken entwickelt, wie z.B. die Psychosynthese. Assagiolis Disidentifikationsübung ist eine solche Praxis, die heute weit über die Psychosynthese hinaus bekannt, und in
vielen Publikationen zu finden ist, beispielsweise auch in einigen Texten Ken Wilbers (z.B.: 1984, S. 170 f;
1999, 406 f). Solche Bewußtseinsvertiefung oder –erweiterung ist natürlich hilfreich für das therapeutische
Geschehen, weil intuitive Kanäle frei werden und in der Therapie Bilder, Fühlungen und Erkenntnisse
zufließen, die dem Prozess zur Verfügung gestellt werden können.
Hierbei gilt es jedoch etwas zu beachten. Diese Dimensionen werden ja nicht umsonst als 'überpersönlich'
bezeichnet. Graf Dürckheim spricht sehr deutlich davon,daß das Teilhaftigwerden an den höheren Ebenen an sich unpersönlich und unpersonal ist (z.B.1990, S. 158). Er weist darauf hin, daß Seinserfahrung, also
der Zugang zum Erleben einer höheren Bewußtseinsdimension, und Verwandlung aus dem Sein , nämlich die
Verwirklichung solcher Erfahrung im Leben, zweierlei ist (1990, S. 148).
Ich meine, daß gerade das Unpersönliche des 'transpersonalen Bewußtseinsraumes' eine starke Faszination
in uns auslöst. Wir wollen den Verletzlichkeiten und Leiderfahrungen der persönlichen Ebene gerne entkommen und 'drüberstehen'. Aus der Psychoanalyse, die sicherlich das ausgefeilteste Wissen über psychodynamische Prozesse entwickelt hat, wissen wir, daß Abstraktion der Depersonalisation, der Entfremdung
von peinlichen, von schmerzhaften, von unerträglichen Gefühlen dienen kann. Der Psychoanalytiker Arno
Gruen hat viel und tiefgründig darüber nachgedacht, wie es geschieht, daß unser Selbst, unsere Lebendigkeit, unsere Lebensbejahung und Lebenslust für uns sogar zum Feind werden können und daß wir gerade
unser Selbstsein, unsere wirkliche Lebendigkeit als gefährlich, als bedrohlich erleben. Wir suchen dann den
Weg der "Erlösung von, nicht Verbindung mit den eigenen Bedürfnissen", sagt Arno Gruen (2000, S.39).
Aus der Erfahrung unserer Ohnmacht heraus lernen wir, nach Macht zu streben, nach Eroberung von
Dingen außerhalb des zurückgewiesenen Selbst. Ein Vorgehen, das die zugrundeliegende Spaltung immer
nur noch mehr vertieft. Ich glaube, daß wir das in diesem Zusammenhang ganz sorgfältig beachten müssen, damit unser Streben nach Zugang zu höheren Bewußtseinsebenen nicht der Abwehr dient, sondern
zu wirklicher Wesenswandlung führen kann, bei uns selbst ebenso wie bei den Menschen, die wir begleiten.
Deshalb geht es für mich ganz zentral darum, sich der Spannung zwischen beiden Dimensionen menschlichen Daseins und Wachsens zu stellen, und im eigenen Leben die Integration zu suchen. Wenn ich mich
selbst auf den Weg der Wesenswandlung gemacht habe, wenn ich ernsthaft bemüht bin, aus den beiden
getrennten Dimensionen, aus meinem Lebensalltag und meinem spirituellen Weg, ein ganzes, mein ganz
eigenes Leben zu gestalten, dann habe ich mir die Qualifikation zur 'Hebamme' erworben: Die Qualifikation zur Hebamme, die eigene Kinder zur Welt gebracht hat, die Qualifikation zum 'Reisebegleiter', der
persönlich mit dem Gelände vertraut ist. "Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen", sagt Rilke. Ich
glaube, daß unsere wichtigste berufliche Qualifikation darin besteht, daß wir selbst in unserem Alltag, in
unserem ganz persönlichen, privaten Umfeld, erlebt haben und erleben, daß sich unser Leben wirklich
ändern kann: Nicht nur im Sinne von gelingender Problemlösung oder größerer Kompetenz oder dem
Anwachsen von Selbstbehauptung und Durchsetzungskraft, sondern im Sinne einer neuen Qualität von
Dasein und Zugewandtheit, von Verständnis und Mitgefühl, von Vertrauen und Hoffnungskraft. Roger
Walsh und Francis Vaughan haben gesagt, wir müßten all das zu leben versuchen, was wir unseren Klienten nahebringen wollen. Auch sie weisen auf unsere Aufgabe der Verwirklichung hin. Während nämlich
der Wechsel auf eine höhere Bewußtseinsebene eine Frage von Übung ist, ist die Wesenswandlung etwas
ganz anderes. Sie hat zu tun mit den innersten Ausrichtungen unserer Zuwendung, mit den geheimsten
Absichten unseres Willens, mit dem Umfang und der Kraft unseres Verstehens und mit dem Mut unserer
Lebensbejahung.
Und so kann unsere Arbeit an uns selbst nicht abgeschlossen sein, es gibt immer noch eine tiefere Herzenskammer zu ergründen, es gibt immer noch einen größeren Umkreis an Integration, einen weiteren
Lebensring des Ineinanderschaffens der beiden Dimensionen unseres menschlichen Wachstums zu ge-
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winnen. Und das schließt unseren Kreis oder die Spiralbewegung zwischen Persönlichkeit und Wesensebene, die auch in Rilkes Gedicht erscheint:
"Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge zieh'n.
Ich weiß nicht, kann ich den nächsten vollbringen,
aber versuchen will ich ihn"!
Der Blick auf den Klienten, auf die Klientin
Hier möchte ich nun auf den Untertitel dieses Vortrages zurückkommen. Dort habe ich von der Kunst
gesprochen, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen. Diese Formulierung ist einem Zitat von
Roberto Assagioli entnommen, in dem er den Therapeuten "die stetige Verfeinerung und die Anwendung
des synthetischen Geistes" ans Herz legt, und ausführt, daß dazu "ein ständiges Bemühen, die Teile stets
mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen" (1988, S. 82), erforderlich sei. Der Satz klingt schlicht und überzeugend: >Die stetige Verfeinerung und die Anwendung des synthetischen Geistes, das ständige Bemühen, die Teile stets mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen<. Erst bei näherer Betrachtung erkennen wir
mehrere Aussagen darin:
Wenn wir unseren Blick darauf richten, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen, sagt Assagioli,
können wir unseren synthetischen Geist verfeinern, das heißt, wir können unseren Geist in seiner Fähigkeit
zur Ganzheitswahrnehmung schulen.
Er sagt auch, daß wir uns darum bemühen müssen. Dies zeigt eine Willenshaltung an, eine therapeutische
Haltung, auf die ich später zurückkommen werde.
Und dann sagt er noch, daß es darum gehe, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen. Er sagt
nicht, wie das heute oft so leichthin gesagt wird, daß alles miteinander in Beziehung stehe, sondern er sagt,
wir müssen das tun. Es erfordert unsere Ausrichtung, unsere Aktivität und unser schöpferisches Handeln.
Es liegt mit an uns, wie die Teile und das Ganze in Beziehung gebracht werden. Die 'werdende Ganzheit
Mensch' ist Schöpfungsprozess. Und die Bemühung, von der Assagioli spricht, richtet sich darauf, daß wir
uns dieses fortdauernden Schöpfungsprozesses bewußt sind, als Menschen auf unserem eigenen Werdeweg und als Therapeuten, wenn wir andere Menschen in deren Weiterentwicklung begleiten. Deshalb habe
ich im Untertitel von der Kunst, Teile und Ganzes in Beziehung zu setzen, gesprochen.
Der Blick auf den Klienten ist also einer, der Teile und Ganzes in Beziehung setzt, der in der therapeutischen Arbeit den verschiedenen Dimensionen menschlichen Seins gleichermaßen Beachtung schenkt. Das
bedeutet, daß nicht nur auf die Störung, auf das Problem, auf den Mangel gesehen wird, sondern auch
und vor allem auf das, was werden, was wachsen will. Es geht dabei nicht um bloße Erweiterung des
Blickwinkels, sondern um eine Veränderung des Blickwinkels in aktiver Zusammensetzung von Teil und
Ganzem: Wir überschreiten die Polaritäten gesund-krank, oder gestört–heil, indem wir erkennen, welche
Qualität gerade aus diesem Leid erwachsen will, was aus dem Störungsbild, wie dieser Mensch es trägt, an
Zukünftigem erstehen möchte, was aus diesem Mangel an spezifischer Kraft gewonnen werden kann.
Wenn wir diesen Blickwinkel einnehmen, ohne aber das Leid, die Störung, den Mangel zu verleugen oder
zu idealisieren, können wir unsere Klienten in ihrer ganzen Ambivalenz, Zerrissenheit oder Fragmentiertheit ebenso wahr- und ernstnehmen, wie in der Ganzheit seines oder ihres Daseins: Alles Verwundete
braucht Heilung, alle Zerrissenheit ruft nach Ganzwerdung, alle Ambivalenz sucht ihre Mitte: Es geht um
eine lebendige Einfügung der Teile ins Ganze, jeder Teil muß zu seinem wirklichen Sein, zu seiner wahren
Lebendigkeit finden, damit er das Ganze bereichern, damit er seinen wahren Platz im Ganzen einnehmen
kann, damit das neuentstehende Ganze wirklich größer ist als nur die Summe seiner Teile.
Ich habe vorher von einer Weiterbildungs-Teilnehmerin berichtet, die sich als rettungslos im Sumpf feststeckend empfand. Solches Erleben ist ja durchaus keine vereinzelte Erfahrung. Es deutet auf das sich
ausbreitende Lebensgefühl hin, das seit den 70er Jahren in Psychologie und Psychotherapie zunehmend
wahrgenommen und thematisiert wurde, das Lebensgefühl, den Herausforderungen dieser Welt nicht
gewachsen zu sein. Wir müssen heute mehr und mehr zur Kenntnis nehmen, daß wir – und damit meine
ich jetzt vor allem die Nachkriegsgeneration – in einer zerbrochenen Wirklichkeit leben, und die frühe
Störung, das schwach oder unrealistisch ausgebildete Selbstgefühl, das brüchige Ich sind die inneren Kor-
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relate dieser äußeren Realität. Wir haben inzwischen die Diskussion recht weit entwickelt, wie die in den
östlichen spirituellen Traditionen geforderte Ich-Überschreitung in den Begriffen westlichen psychologischen Denkens aufzufassen ist. Wir haben unterscheiden gelernt zwischen dem schwachen Ich, das gestärkt werden und dem festgefügten Ichkonzept, das als Bild entlarvt und überschritten werden muß. In
gewisser Weise scheint mir aber diese Diskussion insofern ganz müßig zu sein, als wir das Ich, von dem
die spirituellen Traditionen sprechen, das sich seiner selbst so sicher ist, und den höheren Wirklichkeiten
einen festgefügten Widerstand entgegenhalten kann, immer seltener antreffen. Stattdessen haben wir es
mit schwachen Ich-Strukturen zu tun bei Menschen, deren spirituelle Sehnsucht gerade aus der Erfahrung
von Mangel, Zersplitterung und Sinnverlust heraus, schmerzhaft und brennend ist. Und es macht wenig
Sinn dann zu sagen: Du mußt mit Deiner spirituellen Suche noch warten, Du bist noch nicht soweit, das
Haus Deiner Persönlichkeit muß erst noch fester gemauert werden, bevor es dann losgehen kann mit dem,
wonach Du so sehr verlangst. Vielleicht können wir stattdessen erkennen, daß gerade solche Beschädigung
der Ich-Strukturen das Potential einer Durchlässigkeit besitzt, und daß unser therapeutisches Problem
darin bestehen könnte, welche neuen Wege und Methoden des Umgangs wir damit finden, wenn wir darin
nicht so sehr Störung, als vielmehr eine "unfertige Begabung" sehen, wie Veronica Gradl das nennt (Ohne
Jahresangabe, S. 87).
Mir erscheint es ganz wichtig, daß wir ein Verständnis vom menschlichen Werdeweg entwickeln, das diesen sehr realen Bedingungen gerecht wird. Wenn wir die psychologische und die spirituelle Entwicklung
hintereinanderstellen, und glauben, daß zuerst die eine kommt, und dann erst die andere folgen kann,
können wir mit der bestehenden Realität einer beschädigten psychologischen Struktur, die gerade deshalb
um so dringender nach einer größeren Dimension ruft, weil nur von dort Heilung erfolgen kann, nicht
umgehen. Natürlich strebt der Gang der Entwicklung ein Mehrwerden im spirituellen Sinn an und es ist
deshalb offensichtlich, warum Entwicklungsmodelle, wie z.B. das von Ken Wilber, die spirituellen Stufen
im eigentlichen Sinne erst auf die Stufen der Persönlichkeitsentwicklung folgen lassen. Ich glaube aber, wir
müssen auch hierbei lernen, die Teile mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen. Wenn wir nämlich mit der
Frage auf unsere Klienten schauen: Geht es hier um Stärkung der Persönlichkeit oder geht es um Transzendenz, dann scheint mir das ein Spaltungsbewußtsein anzuzeigen. Wenn wir aber fragen: Wie kann diese
Persönlichkeit ihr größeres Wesen ausdrücken? Oder was steht solchem Selbst-Ausdruck, solchem Wesens-Ausdruck im Weg? Wenn wir fragen, wieviel Wesenhaftes will hier zum Ausdruck kommen, das blockiert ist, und verwirklicht werden könnte? Wenn wir also fragen, wie wir dem Karlfried helfen können,
durch den Dürckheim zu kommen und was der Dürckheim braucht, damit er mehr vom Karlfried zum
Ausdruck bringen kann, dann haben wir in unserem Blick auf den ganzen Menschen die Dimensionen
zusammengefügt. Wenn ich die beiden Dimensionen in meinem Bewußtsein zusammenhalten kann, dann
kann ich meinen Klienten dabei helfen, ganz andere Lösungen für ihre Lebensprobleme zu finden. Dann
stütze ich beispielsweise nicht mehr eine falsch verstandene Durchsetzungsfähigkeit, die auf eigenem Willen gegen andere, auf eigenen Bedürfnissen unter Ausschluß anderer beharrt, eine Vorgehensweise, die unverständlicherweise oft als 'Selbstverwirklichung' bezeichnet wird. Wenn ich die Dimensionen in meinem
Bewußtsein zusammenhalte, dann kann mein entschiedenes Festhalten am Glauben an die Einheit und
Unteilbarkeit des Ganzen dazu beitragen, daß die Lösung gefunden wird, die allen dient und niemandem
schadet. Die Lösung, die das Ganze im Sinn behält, ohne den Teil zu vernachlässigen. Dann kann eine
wirkliche Ich-Kraft, ein größerer Wille, eine tiefere Einsicht jetzt gleich Einzug halten.
Wenn wir über die Teile und das Ganze reden, ist uns allen sicherlich recht klar, was mit den Teilen gemeint ist: Die psychologische Ebene ist uns gut vertraut, und wir kennen uns hinreichend aus mit psychischen Funktionen, mit Komplexen und Teilpersönlichkeiten, mit Bewußtseinsebenen, mit Selbst- und
Objektbildern und anderem mehr. Ken Wilber hat in einem großen Wurf diese verschiedenen Teile als
Wellen und Ströme, als Stufen und Linien zu einem Bild zusammenfaßt: Er nennt das 'das Nest des Seins',
und es sieht aus, wie man sich Rilkes wachsende Ringe vorstellen würde: konzentrische Kreise, einer immer größer als der andere, um eine stille Mitte herum. Das ist ein umfassendes, 'ganzes' Bild unserer Teilhaftigkeit. Ob wir davon mehr oder weniger wahrnehmen, was immer wir überhaupt davon wahrnehmen
und worauf wir vielleicht besonderes Gewicht legen, wir bleiben damit immer noch auf der Ebene der
Teile. Unser Blick auf die vielfältigen Anteile der Persönlichkeit ist je nach Schule, Ausbildung und individuellen Faktoren durchaus verschieden. Gleichwohl haben wir auf der Ebene der Teile unsere Mittel der
Einschätzung, die unseren Blick gestalten. Ein Blick, der sachlich-objektiv ist, der sozusagen auf ein Es
gerichtet ist. Unser Blick auf die Teile der Persönlichkeit ist uns weitgehend bewußt, ist objektiviert.
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Was aber ist DAS GANZE? Da wird die Angelegenheit schon schwieriger. Ich schlage vor, daß Sie sich
einen Moment Zeit für eine Übung nehmen, sich einen Moment entspannen, sich Ihrem Inneren zuwenden und sich dort eine Frage stellen. Stellen Sie nur die Frage nach innen, und seien Sie aufmerksam, was
dann in Ihnen geschieht. Achten Sie auf Empfindungen, Gefühle, Bilder, Worte oder Klänge, die auftauchen. Vielleicht auch ein Duft....... Was ist Ganzheit? ............
Ich habe diese Übung mit mir selbst und mit einigen anderen Menschen gemacht und möchte jetzt berichten, was dabei erlebt wurde. Einige haben innerlich Bilder vor sich gesehen: einen Kreis, eine Kugel, ein
Oval, also ein eiförmiges Gebilde, oder auch ein Kreuz. Manche haben Empfindungen eines Zentrums,
eines Art Kernpunktes, andere erleben ihren ganzen Körper wie ausgefüllt, und bei manchen dehnt sich
dieses Empfinden über den Körper hinaus, das kann weit bis in den Kosmos reichen. Es löst Ruhe aus,
innere Stille, Zufriedenheit. Gefühle der Verbundenheit, der Einheit entstehen. Eine Frau sah ein neugeborenes Baby.
Auf der Ebene des Erlebens wissen wir recht gut, was Ganzheit ist. Wir wissen es, weil wir es alle auch in
uns tragen. Das Selbst oder die Seele als wachsende, sich entwickelnde Aktivität ist immer schon da, auf
jeder Stufe der Bewußtwerdung. Jeder und jede von uns ist ja bei aller Zerbrochenheit, bei allem Mangel,
bei aller Verwundung auch lebendig, ganz, heil. Es gibt etwas in uns, das uns in all unserer Teilhaftigkeit
zusammenhält, das uns über unsere Brüche hinweg zu einem Menschen macht, und ich weiß doch, daß ich
dieselbe bin heute wie damals als Kind, auch wenn mir das in der Rückschau vielleicht wie ein anderes
Leben vorkommt, und daß ich dieselbe sein werde in Zukunft, obwohl ich doch hoffe, dann auch eine
ganz andere geworden zu sein. Es gibt viele Bezeichnungen für dieses Ganze, und ob wir es Selbst nennen
oder Seele oder Höheres Selbst oder wie auch immer, letztendlich geht es um das Lebendige in uns, das
Wachsende, Werdende, das sich in seiner Entwicklung und seiner Wandlung immer gleich bleibt, das zwar
immer wieder neu werden muß, das auf anderen Stufen der Bewußtwerdung immer wieder neu zu sich
selbst erwacht, in immer größerem Umkreis seiner Aufmerksamkeit und seiner Reichweite.
Um Teile und Ganzes in Beziehung zu setzen, müssen wir diese Ganzheit sozusagen im Zentrum unseres
Blickfeldes halten können, ohne die Teile zu vernachlässigen, muß unser wesentliches Augenmerk immer
auf diesen Kern des Menschseins gerichtet sein. Seine Lebendigkeit zu schützen und zu stärken, oder aber
sie wiederzufinden und neu zu beleben, muß unser tiefstes Anliegen sein. In diesem Sinn kann transpersonale Psychotherapie auf allen Stufen menschlicher Entwicklung ihre Aufgabe und ihren Platz finden,
weil es nicht darum geht, auf welcher Stufe der Mensch, mit dem ich arbeite, ist, sondern darum, mit welchem Blick ich als transpersonale Psychotherapeutin auf den ganzen Menschen schaue und frage, was sein
oder ihr nächster Schritt auf seinem oder ihrem Weg ist, und meines dazu beitrage, daß dieser Schritt getan werden kann.
Obwohl wir also alle wissen, was Ganzheit ist , finden wir es doch immer wieder recht schwer, davon zu
sprechen, wir leben so sehr in der analytischen Denkwelt der Teile, daß wir das Ganze schwer benennen
können. Wir müssen dazu in einen anderen Modus wechseln: umschalten von der Analyse auf die Synthese, und das beinhaltet mehr als nur ein Summieren der Teile, es erfordert einen Ebenenwechsel. Der sachlich-objektive Blick auf ein 'Es' reicht nicht mehr aus. Eine neue Dimension muß dazutreten, die eine ganz
andere Art der Beziehungsaufnahme erschafft: Beziehung zu einem wirklichen, zu einem lebendigen Du.
Martin Buber hat diese Beziehungform nicht nur als dialogisches Prinzip bekannt gemacht, sondern er verkörpert es auch durch und durch.
Der Blick auf den Klienten bedeutet also auf der Ebene der Ganzheit, daß wir nicht mehr von außen
schauen können, wie das bisher noch möglich war. Wir brauchen jetzt andere Möglichkeiten, andere 'Instrumente'. Wenn wir auf die Ganzheit des anderen Menschen 'schauen' wollen, müssen wir ganz zu dieser in Beziehung treten.
Die heilende Beziehung
Daß die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ein wesentlicher Wirkungs- und Heilungsfaktor ist, ist
eine der am besten gesicherten Erkenntnisse in der Psychotherapieforschung (Yalom 1989; Grawe et al.
1994). Das Verständnis dieser Beziehung und ihre Ausgestaltung haben sich seit Freuds genialen und mutigen Experimenten verändert und weiterentwickelt. Sein Abstinenzgebot diente dazu, die Therapeuten
vor Verwicklungen mit Mustern der Klienten, und die Klienten vor Übergriffen von seiten der Therapeu-
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ten zu schützen, und eine freie Leinwand für das Erleben der Klienten zur Verfügung zu stellen. Carl Rogers hat mit der klientenzentrierten Schule Wertschätzung, empathische Einfühlung und Authentizität
eingebracht, und Eugene Gendlin hat meines Erachtens mit seinem Focusing den nächsten ganz wesentlichen Schritt getan, indem er zeigte und durch Forschung absicherte, daß diese 'klientenzentrierte' Beziehungsform noch größeres Heilungspotential besitzt, wenn es dem Klienten gelingt, sie so zu verinnerlichen, daß er Wertschätzung, empathische Einfühlung und Authentizität in seiner innneren Beziehung , in
seinem inneren Gespräch, in seiner Zuwendung zu sich selbst aufbauen und pflegen kann.
Die humanistisch-existentiellen Schulen beziehen sich auf Martin Buber und sprechen von echter Beziehung, von wirklichem Gegenübersein, von existentieller Kommunikation und von Zuwendung aus dem
ganzen Sein. Sie betonen, daß es jenseits der Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung etwas gibt, das
das eigentlich Heilsame ist, und daß der Prozess der Therapie darin besteht, aus dem verstaubten Wachsfigurenkabinett der einen heraus-, und in die Lebendigkeit der anderen hineinzuwachsen.
Aber Buber spricht noch von etwas anderem. Bubers dialogisches Prinzip enthält eine höhere Ebene, eine
andere Dimension. Er redet weniger davon, daß wir als Menschen und Sozialwesen immer in Beziehung
miteinander stehen, sondern vielmehr davon, wie sich in der Beziehung zum Du die höhere Dimension,
eine neue Wirklichkeit entfalten kann. Dies kann aber nur dort geschehen,wo sich die Dialogpartner in
ihrem Dasein und Sosein wirklich meinen und sich einander in der Intension lebendiger Gegenseitigkeit
zuwenden. Wenn die "Andersheit des anderen" anerkannt wird, kann in diesem dialogischen Raum eine
neue Wirklichkeit entstehen, eine Wirklichkeit, die die Partner nicht 'machen' können, sie gehört ihnen
nicht, aber sie können ermöglichen, daß sie zum Leben kommt. Dieses "Zwischen", das in dialogischer
Beziehung erwächst, ist für Buber eine geistige Wirklichkeit, etwas, das über die beiden Dialogpartner
hinausreicht in einen höheren Raum hinein, es ist eine neue Lebendigkeit auf höherer Ebene, ein "Geistgeschöpf".
"Die Eswelt", sagt Buber "hat Zusammenhang im Raum und in der Zeit. Die Duwelt hat in beiden keinen
Zusammenhang. Sie hat ihren Zusammenhang in der Mitte, in der die verlängerten Linien sich schneiden:
im ewigen Du." (1997, S. 101f) Für Buber öffnet sich also gerade im Aufspannen der horizontalen Achse
Ich – Du die vertikale Achse einer Wirklichkeit, die uns übersteigt: Indem ich mich dem wirklichen Anderen zuwende, beginnt dessen Sein sich mir zu öffnen, und indem ich mich davon wirklich angeredet fühle,
bin ich aufgerufen, auch wirklich zu antworten, aus meinem ganzen Sein heraus diesem anderen Sein zu
antworten. Je tiefer ich in mich hineingehe, desto direkter und unmittelbarer wird die Beziehung zum Du.
Mein tieferes In-mich-Gehen ist gleichzeitig ein Schritt über die Begrenzung meines Ich hinaus. Je tiefer
ich ich selbst bin, desto klarer kann ich dein Du-Sein erkennen. Dazu muß ich mich auf mich selbst, auf
mein Sein ebenso einlassen wie auf Dich und Dein Sein, ich kann nicht mehr 'draußen' bleiben, kann
nicht mehr von außen schauen. Wir beide sind und erleben uns als Teil einer uns umfassenden Wirklichkeit.
Die Betrachtung des Beziehungsspektrums im Rahmen der Psychotherapie hat uns von der Sicherheit der
Abstinenz im Sinne Freuds bis hin zum Wagnis des Einlassens auf die Unmittelbarkeit Bubers geführt.
Hin zur Unmittelbarkeit einer Beziehung, in der ich mich einlassen muß auf die Ungewißheit des Werdeprozesses. In der ich mich dem anvertrauen muß, was sich hier jetzt zwischen dir und mir ereignen will. Die
Unmittelbarkeit einer wirklichen Gegenüber-Beziehung geschieht auch mir, ich kann es nicht tun, obwohl
ich alle meine Ich-Kräfte dazu versammeln muß, daß es möglich werden kann: Meinen Willen und meine
Liebesfähigkeit, meinen Mut und meine Durchhaltekraft, meinen Humor und meine Bescheidenheit und
vieles andere dazu. Wenn ich all diese Kräfte bei mir habe, dann kann es sich ereignen zwischen uns, wie
Buber betont.
In der transpersonalen Psychotherapie begrenzen wir uns nicht auf eine bestimmte Beziehungsform. Wir
wollen das ganze Spektrum zur Verfügung haben, und uns darin üben. Je versammelter wir in unserem
Zentrum sind, desto flüssiger mag es uns gelingen, von einer Form zur anderen zu wechseln, je nach Situation und Notwendigkeit. Wenn ich mich hineinziehen lassen kann in die emotionalen Reaktionsmuster
der Klienten, wenn ich mich also der Dynamik aussetze, ohne darin verloren zu gehen, kann ich dem anderen bei seiner Bewußtwerdung dieser Muster zur Seite stehen. Indem ich mich aber nicht nur als Leinwand für die Übertragung betrachte, sondern mich als wirklichen Menschen in die Beziehung hineinstelle,
und dabei Wertschätzung, bewußte Einfühlung und Echtheit aufrecht halten oder aber immer wiederfinden kann, entsteht gleichzeitig ein neues Beziehungselement, das über das Geschehen von Übertragung
und Gegenübertragung hinausgeht. Wenn ich als Therapeutin einen Schritt über diese Dynamik hinaus-
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mache, bringe ich aktiv eine neue Form der Beziehungsgestaltung hinein, ich kann etwas von dem dazugeben, was diesem Menschen in seinem bisherigen Leben gefehlt, was ihm oder ihr gemangelt hat. Wenn
ich noch einen weiteren Schritt mache, mich in meiner Präsenz versammle, und von dort aus diesem Menschen gegenüber sein kann, dann kann sich dieser Raum zwischen uns aufspannen, der nicht nur etwas
von dem Fehlenden dazugibt, sondern darüberhinaus Neues ermöglicht, Zukünftiges einlädt, so daß wir
beide ein Stück mehr werden können. Solche Ich – Du-Beziehung ist nämlich immer gegenseitig. Auch ich
muß bereit sein, mich ändern zu lassen durch das, was sich zwischen uns ereignet.
Verschiedene Beziehungsformen stehen uns zur Verfügung in der Gestaltung der therapeutischen Begegnung. Aber darüberhinaus gibt es noch das Beziehungsganze, die sich verändernde, hoffentlich wachsende
Beziehungsgestalt, die lebendige Beziehung zwischen Mensch und Mensch, die sich in den Wochen, Monaten oder Jahren eines Therapieverlaufes bildet und entwickelt, und dadurch eine Wirklichkeit der Verbundenheit erschafft. Eine Wirklichkeit, die bleibt und weiterwirkt, auch wenn die gemeinsame Zeit der
therapeutischen Arbeit zuende ist. Und ich meine, wenn es uns gelingt, im Verlauf der gemeinsamen Arbeit mit unseren Klienten dieses Bleibende, das wir hier miteinander erschaffen, ins Bewußtsein zu nehmen und im Bewußtsein zu halten, die inneren Repräsentanzen, die im Klienten ebenso weiterleben und
weiterwirken werden wie in mir, dann hat unsere Aufmerksamkeit, unser Wille und unsere Intuition einen
guten Fokus. Dann stehen wir im Geist der Synthese, der uns erkennen hilft, welche Früchte unser Tuns
bringt , so daß wir immer größere Ganzheit erkennen lernen, so daß wir immer ein Stückchen mehr lernen, zu wissen, was wir tun.
Die therapeutische Haltung
Die transpersonale Psychotherapie sieht als Kern der therapeutischen Haltung die Achtsamkeit als ein
meditatives Gewahrsein, das nicht mit therapeutischen Konzepten und diagnostischen Einschätzungen
befaßt ist, sondern wahrnehmen kann, was von Augenblick zu Augenblick tatsächlich geschieht. Solches
Gewahrsein ermöglicht ein tiefes Zuhören, ein offenes Wahrnehmen des Klienten. Es ermöglicht mir als
Therapeutin Freiheit von persönlichen Ablenkungen, von Projektionen, von alten Gefühls- und Denkmustern und von meinen Verteidigungsstrategien, es ermöglicht mir unverstelltes, unmittelbares Dasein.
Die Verankerung des Therapeuten in der Seinsebene, sein Verbundensein mit dem Selbst, seine oder ihre
Präsenz wird in der transpersonalen Literatur als die eigentlich heilende Kraft beschrieben. Sie ermöglicht,
daß die Qualitäten des transpersonalen Raumes, des Höheren Unbewußten zufließen können. Thomas
Yeomans, ein amerikanischer transpersonaler Therapeut, sagt z.B.: "die therapeutische Präsenz erzeugt
oder evoziert ein spirituelles Energiefeld, das Klient und Therapeut einhüllt und das die Verbindung des
Klienten oder der Klientin zur eigenen Seele aktiviert. (...) Man könnte sagen, daß in diesem Feld, das
durch die Präsenz des Therapeuten geschaffen wurde und auf das die Seele des Klienten reagiert, die beiden Seelen vereint sind in der gemeinsamen Anstrengung (...). Je kohärenter die Präsenz vom Therapeuten
oder der Therapeutin aufrechterhalten werden kann, umso kraftvoller ist dieses Feld. Daher wird das Ausüben von Präsenz die wichtigste Kunst in der Praxis spiritueller Psychotherapie." (1998, S. 32)
Thomas Yeomans hat Richtlinien erarbeitet, eigentlich für die 'spirituelle Gruppenarbeit', die sein Hauptanliegen ist, die aber auch in der Einzelarbeit anwendbar sind, und die ein handhabbares Werkzeug für die
transpersonale Haltung darstellen. Diese Prinzipien werden Ihnen bekannt vorkommen, wenn Sie eine
Meditationspraxis ausüben. Indem sie hier als Prinzipien gefaßt sind, können sie leicht übertragen werden
auf die Arbeitssituation und können auch in der Ausbildung weitergegeben und geübt werden. Es sind
sehr einfache Dinge, die wie immer, wenn es um Einfachheit geht, gar nicht leicht zu verwirklichen sind.
Ich nenne Ihnen nur einige wenige davon: *Langsam werden, um Verbindung herzustellen. Im bewußten
Langsamwerden verändert sich die Wahrnehmung. *Schweigen praktizieren, damit Tieferes sich zeigen
kann *Konflikte, Gegensätze und Polaritäten willkommen heißen und dasein lassen, sie im Bewußtsein
halten, statt sie vorschnell zu lösen, damit ein größeres Spektrum an Erfahrungen zugelassen und wertgeschätzt werden kann *Intensität halten, sie im Schweigen, in der Stille dasein lassen, damit die größere
Kraft kommen darf * Das Unbekannte willkommen heißen, damit die größere Ganzheit sich zeigen kann
* Sich am Prozess freuen, so daß Erfolgsorientierung losgelassen und zur Wertschätzung der Erfahrung
und des Lebens selbst durchgedrungen werden kann (2002, S. 18). >>> Wer diese schlichten Dinge ausprobiert, kann erfahren, daß sie viel Zentrierung, Ausrichtung und Willenskraft erfordern, aber sehr wirksam sind.
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Thomas Yeomans faßt die therapeutische Haltung so zusammen: "Es ist das Sein des Therapeuten oder der
Therapeutin mehr als irgendein Tun, das zur Heilung der Wunde beiträgt. In der Stille dieser willkommen heißenden Präsenz beginnen Klienten Stück für Stück aufs neue Erfahrungen zu machen, daß sie wirklich so, wie sie sind, willkommen
sind." (1998, S. 32)
Jetzt möchte ich noch einmal auf Dürckheims Warnung zurückkommen, auf seinen Hinweis, daß die
höheren Bewußtseinsdimensionen an und für sich unpersönlich und unpersonal sind, und daß es an uns
liegt, sie persönlich zu integrieren, sie menschlich zu durchdringen, den GEIST auf die Erde zu bringen,
das Wort Fleisch werden zu lassen. Dürckheim erinnert uns daran, daß es verschiedene Möglichkeiten
gibt, mit den höheren Dimensionen umzugehen, und das halte ich für ganz entscheidend in bezug auf die
therapeutische Haltung. Denn dabei stellt sich ja sofort die Frage nach der Zielsetzung, bzw. nach dem
Inhalt: Was will meine Haltung 'halten'? Was will ich halten, das gedeihen, das daraus erwachsen soll? Wozu will ich eine Haltung einnehmen? Was soll das bewirken?
Wir können uns als transpersonale Psychotherapeuten auf eine Weise in einem überpersönlichen Raum
verankern, in der eine Abspaltung des Persönlichen geschieht bei uns selbst, und in der Folge häufig auch
bei unseren Klienten. Wir können aber auch nach einer Haltung des wirklichen Gegenwärtigseins streben
und uns ihr üben. Oft wird auch der Begriff der 'Zentrierung' gebraucht, und ich finde, daß das Wort sehr
schön eine Loslösung von Identifikationen ins Bild setzt, ohne daß dabei Persönliches unterdrückt oder
abgespalten werden muß. Alles darf da sein, kann versammelt werden um ein Zentrum, um eine freie
Mitte herum. Von da aus kann ich antworten, anstatt nur zu reagieren. Aus religiösem Sprachgebrauch
kennen wir den Begriff der Geistesgegenwart, und darin ist gleich die Anwesenheit einer größeren Kraft,
einer höheren Dimension angezeigt. Wenn wir geistesgegenwärtig sind, sind wir ganz da, mit dem, was wir
sind, mit unseren Stärken ebenso wie mit unseren Schwächen, eben mit allen unseren Kräften und wir sind
gleichzeitig durchlässig für das, was größer ist als wir selbst.
Thomas Yeomans hat gesagt, daß in der Stille der Präsenz des Therapeuten die Klienten die Erfahrung
machen können, daß sie so wie sie sind, willkommen sind. Das ist ein sehr schönes Bild und ich denke, wir
haben alle schon die Erfahrung gemacht, wie heilsam eine solche Präsenz für uns selbst und für andere
wirken kann.
Aber ich muß Ihnen leider auch gestehen, daß es in meinen Therapiestunden nicht immer so schön zugeht. Meine Präsenz ist nicht immer so umfassend, daß ich meine Klienten, so wie sie sind, willkommen
heißen kann. Und vielleicht ist das auch nicht immer erstrebenswert. Dazu möchte ich ein Beispiel aus
meiner Praxis berichten:
Eine junge, alleinerziehende Frau, die vom Sozialamt unterstützt wird, spricht in der Therapiestunde darüber, daß sie vom Amt bedrängt wird, sich eine Arbeitsstelle zu suchen. Sie findet das ungerecht, denn
schließlich erzieht sie, wie sie sagt, ja ihre Kinder auch für die Allgemeinheit, und deshalb sieht sie sich
berechtigt, eine Berufstätigkeit abzulehnen. Im Gespräch mit ihr kommen in mir zunehmend aggressive
Gefühle auf, und schließlich lasse ich mich zu der Bemerkung hinreißen, das Geld für die Sozialhilfe falle
schließlich auch nicht vom Himmel, sondern werde von anderen Menschen erarbeitet. Das sagte ich mit
ziemlich spitzem Unterton. Von Willkommenheißen keine Spur! Die junge Frau antwortete mit Gegenangriff und die Sätze flogen hin und her. Ich konnte dann beobachten, daß ich in kämpferischen Gefühlen
gefangen war, registrierte also meine Gegenübertragung, die mich für eine Weile ganz und gar eingenommen hatte. Nun aber konnte ich heraustreten und wahrnehmen, daß durch diese Auseinandersetzung die
Beziehung zwischen uns völlig abgebrochen war: Wir saßen da in Gegnerschaft und Unverständnis, der
Raum war erfüllt von Vorwurf und Widerstand. Das erfüllte mich zutiefst mit Betroffenheit und Trauer,
wo doch in den letzen Wochen in achtsamer und wirklich mühsamer Arbeit ein zartes Beziehungspflänzchen zwischen uns aufgekeimt war. Ein sehr kostbares Pflänzchen, weil diese Frau sich so umfassend verteidigt, daß es schwer ist, ihr wirklich nahe zu kommen und sie zu finden. Es erfüllte mich auch mit
Scham, weil ich ihr gegenüber in eine so abwertende Haltung gefallen war. Aber aus meiner wiedergefundenen Mitte heraus konnte ich ihr jetzt ganz einfach mitteilen, was in mir vorgegangen war, und das ließ
sofort eine neue Verbindung zwischen uns entstehen, eine Verbindung, die anders, die fester und verläßlicher war als zuvor, und die in der Zwischenzeit auch bereits einige neue Belastungsproben überstanden
hat. Die Klientin ist übrigens jetzt auf Arbeitssuche, und wir können über ihre Angst sprechen, sich aus
dem sicheren Versteck ihres Hausfrau- und Mutterseins herauszuwagen und sich der Welt und deren Anforderungen zu stellen. So wie der Prozess zwischen uns verlaufen war, konnte sie selbst auf ihre Angst
stoßen und sich ihr zuwenden. In der Sicherheit der menschlichen Verbundenheit mit mir konnte sie mich
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an der Angst teilhaben lassen, ohne sie weiter verbergen zu müssen. Durch das Eingeständnis meines
Fehlers, das Zeigen meiner Schwäche war ich ihr gleich geworden.
Natürlich kann ich nicht sagen, was geschehen wäre, wenn ich nicht von Gegenübertragungsgefühlen
gegriffen worden wäre. Aber ich glaube, daß genau das hier das Hilfreiche war: Daß ich von Gefühlen
überwältigt worden war, bewirkte meine Betroffenheit, aus der sich ein Größeres auffalten konnte. Und
daß ich es bemerkt und ihr eingestanden habe, ermöglichte ihr, mir näher zu kommen, mich in meinen
menschlichen Schwächen zu erleben, und genau dadurch ein Stück ihrer Verteidigungsmauer aufzugeben.
Zwischen den wechselnden Bildern ihrer ambivalenten Übertragung der Idealisierung und der Abwertung
war meine reale menschliche Gestalt sichtbar geworden und sie hatte es wahrnehmen können, weil es ein
Moment der direkten und ungeschützten Begegnung zwischen uns war. Ein Raum hatte sich für einige
Augenblicke aufgespannt, in dem wir beide anwesend waren: sie hielt die eine und ich die andere Seite
eines Konfliktes, der über uns zwei Personen weit hinausreicht. Eines Konfliktes, der um das Individuum
und die Gemeinschaft, um Selbstsein und gesellschaftlich Gefordertes, um innere Bedürfnisse und äußere
Notwendigkeiten kreist. Indem wir das wahrnahmen, anerkannten, und so sein ließen, wurden wir beide
umschlossen, wurden Teil eines größeren Ganzen, das uns jetzt tragen konnte, wir waren gleich geworden
in unserer Verschiedenheit der Positionen. Wir haben das beide erlebt, jede auf ihre Weise, es war spürbar
im Raum und wir konnten darüber sprechen. Ihr Vertrauen in unsere Beziehung, in sich selbst und ins
Leben ist seither sichtlich gewachsen, und mein Vertrauen in ihre Kraft ebenso.
Ich habe das Beispiel erzählt, weil ich glaube, daß es wichtig ist, ganz konkret zu machen, was wir meinen.
Wenn wir von Präsenz reden, oder von der Verankerung im transpersonalen Bewußtseinsraum, dann geschehen nämlich sehr leicht Verdinglichungen in unserem Verständnis. Martin Buber sagt dagegen ausdrücklich: "Denn ich rede von nichts anderem als von dem wirklichen Menschen, dir und mir, von unserem Leben und unserer Welt, nicht von einem Ich an sich und nicht von einem Sein an sich." (1997, S.17)
Um die therapeutische Haltung menschlich zugänglich und persönlich erfahrbar zu beschreiben, ist für
mich das hilfreichste Bild das versammelte Herz. Und dazu gehört meine Bemühung, nichts von mir auszusperren, auch nicht in meinem beruflichen Dasein; meine Bemühung, auch bei mir selbst die Teile und das
Ganze in Beziehung zu setzen: Wenn ich alles bei mir haben kann, was zu mir und meinem Leben dazugehört, vom allerverletztesten Kind bis zur elaboriertesten Therapeutin, dann ist mein Herz so versammelt, daß es zum Gefäß werden kann für die größere Kraft, die durchscheinen, die durchtönen will. Denn
diese größere Kraft ist angewiesen auf meine wirkliche Anwesenheit, auf mein versammeltes Herz, auf
meine ganze Person, damit sie durch mich auf die Erde kommen kann: Personare.
Das ist keine leichte Aufgabe, weil wir ja meistens dazu neigen, das abzuspalten, wegzulassen, was uns
schwach und hilflos macht. Wir orientieren uns lieber an Bildern, die uns suggerieren, wir seien 'schon
weiter', wir hätten uns den Verletzlichkeiten unserer menschlichen Natur in eine höhere Sphäre davonentwickelt. Unsere narzistischen Persönlichkeitsanteile wollen uns zu gerne dazu verführen, anders zu werden, anders zu scheinen als wir sind. Ich glaube, daß uns stattdessen das archetypische Bild des 'verwundeten Heilers' bei der Bemühung um das versammelte Herz ein gutes Leitbild sein könnte. Assagioli hatte
uns darauf hingewiesen daß es eine Bemühung erfordert, die Teile und das Ganze in Beziehung zu setzen.
Es geht nicht von allein, es braucht eine Willenshaltung, die mit dem Willen zur Ganzheit umschrieben
werden könnte. Das Wort Bemühung drückt gleichzeitig aus, daß es uns nicht immer gelingen wird, und das
kommt mir einerseits entlastend und andererseits auch aufrichtig vor: Die therapeutische Haltung der
Präsenz ist ja kein Status, den man einfach einnehmen kann, sondern sie ist eben meine Bemühung um
eine größere Ganzheit, in der die Teile ihren Platz haben dürfen, sie ist meine Ausrichtung auf ein wahreres Menschsein, sie ist mein Streben danach, zu werden, was ich im tiefsten bin, sie ist mein ehrliches Anliegen, anderen dabei zur Seite zu stehen, das zu werden, was sie im tiefsten sind.
Die therapeutische Haltung in der transpersonalen Psychotherapie ist für mich wesentlich eine Haltung, in
der Willenausrichtung und Liebesfähigkeit versammelt sind zu einer tieferen Ganzheit des Menschseins.
Ich möchte das noch einmal zusammenfassen in ein Bild, das ich von Veronica Gradl (vgl. 1994, S. 67–69)
entlehnt habe: Ich kann meine verschiedenen Persönlichkeitsanteile um mich versammeln, wie die Schalen
einer Zwiebel. Ob diese Schalen ganz und unversehrt, oder ob sie löchrig und rissig sind, spielt fürs Kochen nur eine sekundäre Rolle. Ich kann sie allemal noch in eine Soße schneiden. Aber ob die Zwiebel
intakt ist, so daß ich sie einpflanzen kann, und eine neue Pflanze daraus wachsen wird, die Blüten treiben
und Samen bilden kann für eine nächste Generation Zwiebeln, das liegt ganz allein an dem lebendigen,
grünen Zwiebelkeim in der Mitte, der das Geheimnis des Lebens in sich birgt. Vom Heilsein dieses Keims
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hängt alles weitere Leben ab. Darum ist unsere Zuwendung zur Ganzheit, unser Hüten des Zwiebelkeims,
unsere Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebendigen, das in den innersten Herzenskammern wohnt,
ganz unabdingbar wichtig.
Ich schließe mit einem Gedicht von Hilde Domin. Das Gedicht faßt in wundersam eindringliche Worte,
was ich hier als mein zentrales Anliegen verdeutlichen wollte. Es heißt:
Bitte
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut.
Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.
Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.
Und daß wir aus der Flut,
daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.
What is a transpersonal psychotherapist?
The art to bring into relation the parts with the whole
Summary: The purpose of this article is an attempt to provide an overview of what the different schools
of transpersonal psychotherapy teach about the person, the role and the task of the therapist. The basis
of transpersonal psychotherapy is the work of the therapist with two different dimensions, the dimension
of personality and the dimension of being or of the self, wich have to always be both taken into account
and brought in relationship with each other. This need for integration is a constant challenge for the therapist to not only deal with clients' suppressive and splitting tendencies but also withstand one's own, so that
true growth of being can happen. The path to achieve a greater human wholeness as a therapist is being
reviewed in four aspects: the person of the psychotherapist, the view of the client, the healing relationship
and the therapeutic attitude.
Keywords: Two dimensions, person, self, parts and whole, relationship, wholeness.
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vergriffen, zu beziehen bei : V.Gradl, Franz-Fischer-Str. 6, A-6020 Innsbruck
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de Wit, H.F. (2001): Psychotherapie und Meditation aus Sicht des Buddhismus, in: Transpersonale Psychologie
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Yalom, I. ((1989): Existentielle Psychotherapie, Edition Humanistische Psychologie, Vertrieb: Moll &
Eckhardt, Zülpicher Str. 174, 5 Köln 41
Yalom, I. (2002): Der Panamahut, Wilhelm Goldmann Verlag, München
Yeomans, Th. (1998): Seelenwunde und Psychotherapie, in: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie,
4. Jahrgang, Heft 1
Yeomans, Th. (2002): Der Corona-Prozess, in: Zeitschrift für Psychosynthese 6, März 2002, Elke Gut
(Hrsg.),
Postfach 252, CH –8153 Rümlang ZH
Zundel, E. & Loomans, P. (1994): Psychotherapie und religiöse Erfahrung, Herder, Freiburg i.Br.
***
***
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Anhang 7: The six root factors of emotional obscuration (L. Lhundrup)
(Skt: mulaklesa; Tib: rtsa nyon-mongs drug)
The root afflictions bind us to the cycle of discontented existence, thereby acting as the primary cause for
all our suffering and frustration. They put the mind into a state of turmoil and unrest that results in mental
or physical activity which is harmful to both oneself and others and which propels us into states of samsara. They are the very basis for all intellectual distortion and emotional conflict. While under their domination our existence becomes one of bondage in which we lack the freedom to determine our destiny.
They present the real challenge in the practice of dharma. Doubt and erroneous views are mentioned
separately, but they could be classified under ignorance, because they arise mainly out of it. Jealousy is not
included in this list of the first six, it comes later.
1. Desire ('dod-chags; raga)
Desire is clinging to the three realms of existence and it inevitably leads to suffering. It is classified as two:
(1) attachment to the world of desire (the objects of the 5 senses plus the 6th sense, the mental faculty)
and (2) attachment to the world of existence which corresponds to attachment to the samadhis of the
form- and formless realms. The desire of the form realm is becoming attached to enjoyable, peaceful
states of minds. In one’s meditation it is a wanting to reproduce these, which develops into longing, clinging and even dependence to recreate such happy samadhis. But these are of no true value because they do
not lead as such to any further insights. The desire of the formless realm is becoming attached to the
formless samadhi-experiences called limitless space, limitless consciousness, nothing whatsoever, neither
differentiation nor non-differentiation. Desire over-exaggerates the attractiveness of samsaric phenomena, misconceiving an object to be more attractive and agreeable than it really is. It then proceeds to wish
for and take a strong interest in them. It acts as a basis for the continued production of discontent. It
should be noted that a genuine desire for enlightenment or liberation is not a form of attachment, but a
wholesome and realistic aspiration.
2. Anger (aversion, irritation, khong-khro; pratigha)
Anger is ill will in regard to (a) living beings who (seem to) inflict harm, either on ourselves or on our
friends or on our party, (b) the suffering or harm itself, and (c) the reasons or conditions for being experiencing this suffering. It leads to unhappiness and unwholesome actions and thus creates suffering, frustration and despair. It agitates the mind through being unable to bear experiences judged as disagreeable or
through intending to cause harma to the object of anger. It disturbs the mind, makes it rough, and leads to
tormenting oneself and others. Anger is a mistaken conception that over-exaggerates the displeasing aspects of its object. The object can be of the past, present or future. By distorting the reality of a situation
or misapprehending the qualities of the object, it causes us to see certain people or things in a very disagreeable and unpleasant light which gives rise to the wish to fight against, hurt and destroy.
3. Pride (nga-rgyal; mana)
Pride or self-importance is an exalted state of mind based on clinging to the idea of self. It gives rise to an
inflated image of oneself, a sense of personal superiority leading to disrespect, contempt, arrogance and
the like. It's result is an experience of suffering, of painful and undesirable situations. It prevents the attainment of any higher virtues since it will be impossible to learn anything from others, as the Tibetan
proverb says: "The water of knowledge can never remain on the balloon of pride." The Tibetan word for
pride – nga rgyal – is very descriptive. It means “Ego-King”, nga means "I", and rgyal means "king" or "victorious". It refers to the sense of self, the basic ignorance of the clinging to a self, and augmenting the
sense of self through self-contentment — a feeling of being very important. This feeling of importance,
this high ideal of oneself, colours one’s vision of everyone and everything around. It is a negative mental
factor because it leads to a lack of respect and therefore not being able to understand and to learn from
others. It becomes a source of suffering. Because of falsely elevating oneself the suffering of falling down
will surely come. There are traditionally seven kinds of pride. They can be summarised as three kinds of
pride related to people (1) lower than oneself, (2) on the same level as oneself, and (3) higher than oneself.
4. Ignorance (ma-rig-pa; avidya)
Definition: Ignorance is the absence of understanding concerning the three realms of existence. It leads to
the appearance of emotional bewilderment, erroneous decisions and doubt concerning the dharma. It is
the basis for all other emotions, for all unwholesome actions and their result: bondage in samsaric rebirth.
Simple ignorance is not knowing, not understanding things, the basic ignorance that all beings have
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(rmongs-tsam-gyi ma-rig-pa). A second form is the ignorance of erroneous clinging to what one thinks to be
true, like misinterpreting what is existent to be non-existent and what is non-existent to be existent (phyin
sta log-tu 'dsin-pa'i ma-rig-pa).
Both are further subdivided according to ignorance concerning the relative and the absolute truth. On the
relative level it manifests as the ignorance related to actions and their effects (the law of karma), which is the ordinary way of thinking that there are no consequences of one’s actions beyond the actual situation (las 'bras
la rmongs-pa'i ma-rig-pa). On the absolute level it is the ignorance of thinking that we ourselves as well as the
world around us really exist, whilst there can be found no real existence as such. This is ignorance related to
suchness (de-kho-na-nyid la rmongs-pa'i ma-rig-pa). Due to these arise desire-attachment, aversion etc., the whole
of samsara. It arises because of the basic misunderstanding of reality, from which many other factors arise.
Ignorance is the root of all of them.
Ignorance is linked with mental dullness (rmongs-pa), with lack of confidence and trust (ma dad-pa), with
laziness (le-lo), with carelessness (bag med-pa), with an a-moral memory (brjed nges), with lack of discernment
(shes-bzhin ma-yin-pa), with distractions (rnam-par gyeng-ba). They are enumerated later, but all arise from basic, fundamental ignorance. It is the root of all attachment, because it gives rise to the notion of self and
others. It is the basic attachment due to the presumption of real existence. You can say that ignorance is
the same as attachment, there is basically no difference. When there is attachment there is ignorance, and
vice versa.
5. Doubt (the-tshom)
Definition: Doubt, scepticism or afflicted indecision is uncertainty concerning such important points as
the four truths including the law of karma, the Three Jewels etc.. It is a wavering, indecisive state of mind
tending towards an incorrect conclusion. It provides the basis to the non-functioning of all wholesome
aspects. Doubt is considered as one of the six basic klešas, it is closely linked to ignorance. It is emotionally tangible as fear, hesitations, many secondary thoughts, complexity, lack of straightforward actions,
always thinking “if”, “if not”, “yes” and “no”, forth and back, thus being unable to take clear decisions. It
is a lack of clarity and insight. Doubts are hesitations which make one stay in indecision and uncertainty
and which obstruct one’s engagement to virtuous activity and to abstaining from non-virtue. It clouds
one’s perception of what is to be done and what not. Doubts destroy even what you have experienced
already in your practice, making you questioning it again and again. To overcome it we have to probe the
object of our doubt with intelligent discrimination based on sound reasoning and we shall be able to reach
a one-pointed state of conviction. This factor does not include indecision about trivial, mundane topics.
6. Afflicted views (lta-ba nyon-mongs can)
Definition: An afflicted or “emotional” view is confusion in relation to absolute and relative truth. It is
either an afflicted state of intelligence that regards the aggregates as being inherently "I" or "mine" or, in
direct dependence on such a view, an afflicted intelligence that develops further mistaken conceptions.
Afflicted views act as a basis for all the troubles engendered through the afflictions as well as all other false
and negative outlooks. These can be dealt with in great detail.
***
Anhang 8: Das „Training des Aufwachens“ oder „Die Illusion der Lückenlosigkeit“
(von Prof. Ernst Liebhart)
Eine Skizze zu einem Grundprinzip der Meditation
I
Gibt es Lücken zwischen den Gedanken? Oder bilden unsere Gedanken ein undurchdringliches Geflecht?
Man könnte darüber philosophieren. Aber dazu bedürfte es vorgefaßter Begriffe, die vermutlich, je kohärenter sie wären, selber bereits ein undurchdringliches Geflecht bilden müßten. Oder man könnte, wie die
alten Psychologen es wollten, Introspektion betreiben. Aber diese Methoden sind nie klar, handhabbar
sozusagen, beschrieben worden; vermutlich laufen auch sie auf Nachdenken über relativ subtile private
Phänomene hinaus - ein zarteres „Geflecht“.
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Dies alles ist implizit vor-eingenommen - die Lücken, wenn es sie denn gäbe, würden im Versuch ihrer
Erkundung zugeschüttet oder überbrückt - und das Ergebnis wäre vorweggenommen.
II
Aber wir erleben beständig „Lücken“. Immer dann, wenn wir „aufwachen“. Wenn wir den Faden verlieren.
(Das Tip-of-the-tongue-Phänomen - „mir liegt’s auf der Zunge“ - ist verwandt.) Bei jedem Ereignis, das
Erwartungen verletzt, Gewohnheiten außer Kraft setzt. Immer, wenn etwas neu ist. Wenn ein Bild (Escher,
Vasarely) „kippt“. Jeder erste Augenblick einer sinnlichen Wahrnehmung. Die „Orientierungsreaktion“ - die
Reaktion auf neue Reize - ist in der experimentellen Psychologie seit langem gut untersucht, auch ihre
physiologischen Aspekte (z.B. Pupillenerweiterung); sie ist abhängig nur von der Neuheit des Reizes, nicht
von seiner emotionalen Bedeutung (seinem „Inhalt“) - der wirkt sich erst ein wenig später aus. Abruptheit
macht die Lücken leichter erfahrbar. Eine elektrische Berührung, Niesen, ein plötzlicher Schmerz, Orgasmus, eine Ohrfeige ... Eine ärztliche Diagnose, welche die Lebensperspektive verändert, die Lebenserwartung verkürzt. Eine zweite Diagnose, welche die erste zurücknimmt. Das Ausbleiben erwarteter Ereignisse:
etwa das plötzliche Stillstehen eines Ventilators, dessen Geräusch nicht mehr bewußt wahrgenommen
worden war; das unerklärliche Ausbleiben eines Gastes. Wenn die gewohnten Denkmuster irrelevant sind:
angesichts eines Sterbenden, eines Schwerbehinderten mit nicht kompensierbarem Defekt. Oder angesichts einer Liebe, die in kein Schema von „Lebbarkeit“ paßt: die andere ist zu jung / zu alt / zu krank /
zu weit entfernt / schon gebunden / erwidert die Liebe nicht usw. Die Gründe des Herzens, die der
Verstand nicht kennt. Vielleicht sind auch darum Liebe und Tod verwandt: Risse im gewohnten Ablauf
der Dinge.
Der Lücke entspricht die Reaktion Staunen. Der Anfang der Philosophie. Vielleicht sogar ihre fortwährende Praxis und Essenz. „Anfängergeist“ - im Gegensatz zum Un-Geist des Routiniers. Es gibt eine Atmosphäre des Staunens - wenn wir das erste Mal durch eine fremde Stadt gehen; beim ersten, tastenden Gespräch mit einem unbekannten Menschen. Es hat mit „Raum“ zu tun; manche Menschen „haben Raum
um sich“, „lassen mir Raum“. Ob wir in der Haltung des Staunens sind oder gefangen im „Geflecht“, ist
erkennbar: wenn wir auf eine Frage von persönlicher Relevanz sofort antworten, sind wir im Geflecht
geblieben. Wenn wir eine Antwort sich bilden lassen (10 Sekunden, die Mindestzeit) statt sie zu „machen“,
ist sie eher überraschend, für Sprecher wie für Zuhörer - möglicherweise von der Qualität eines AhaErlebnisses. (Die Psychoanalytiker legen allerdings sogleich wieder Geflechte, „Deutungen“ darüber.)
Manche Sprecherinnen lassen der Zuhörerin keinen Raum - man kommt nicht mehr „dazwischen“,
„durch“ - bei Angst-, Zwangs-, psychotischen Zuständen. Marihuana scheint die Lücken zu füllen (mit
einer weichen, zähen, Masse) - das beste Antidot gegen Wachheit.
III
Es gibt eine absichtsvolle Disziplin des Staunens. Es ist möglich, willentlich zu staunen, ohne bestimmte Techniken - man kann es, weil es einem grundlegenden menschlichen Potential entspricht. Oder vielleicht eher:
sich staunen lassen. Man kann die Atmosphäre des Staunens, des „Zum-ersten-Mal“, er-innern, rekreieren. Re-Member. „Glück ist, etwas zu sehen wie zum ersten Mal.“ Therapeuten empfehlen ihren
Klienten, eine staunende Haltung gegenüber allen Phänomenen ihres Alltags einzunehmen, einschließlich
der eigenen Person. Not taking things for granted. „Unmöglich scheint immer die Rose, / Unbegreiflich
die Nachtigall“. - Verlangsamung; das Vermeiden sofortiger, impulsiver Reaktion. Absichtliche Pausen; drei
Atemzyklen lang nichts tun, besonders in Belastungssituationen. - „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ dies nicht als sensible Lyrik sondern als Anleitung. - Vielerlei Übungsformen, besonders jene, die nicht
ziel- sondern prozeßorientiert sind, Körper und Aufmerksamkeit zusammenbringen, „synchronisieren“.
Die Illusion der Lückenlosigkeit ist ja eine des vom Körper abgetrennten, des abwesenden Geistes. Alle
Kunst, die Seh- und Hörgewohnheiten, „Gestaltgesetze“ verletzt; Diskontinuitäten, Dissonanzen, Heterophonie. Man kann sogar sich selbst absichtlich überraschen, so unlogisch das scheinen mag. Man tut’s einfach,
der Logik zum Trotz. (Sogar das „Gedanken-Stoppen“ in der Verhaltenstherapie ist ein Versuch, Lücken
herzustellen - fragwürdig wegen seiner Gewaltsamkeit, wegen der impliziten Annahme, daß Lücken überhaupt erst „hergestellt“ werden müssen und wegen des Fehlens der Einsicht, daß Gedanken - auch wenn
sie sich emotional aufspielen - sehr luftig, substanzlos, vergänglich sind.)
Der Sprung des Glaubens: der anderen - ohne die vorherige Zusage weicher Landung - die Wahrheit sagen.
„Was ist Wahrheit?“ Sie ist dasjenige, was nur der Sprechende wissen kann, was im Augenblick auftaucht und
als bedeutsam empfunden wird - und nicht leicht auszusprechen ist. Schuld, Liebe, alles was nicht durch
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Konvention „gedeckt“ ist. Nacktheit. Always do what you are afraid to do. Die Lücke ist zwischen dem Aussprechen und der Landung. „Es treibt, was wahr ist, Risse in die Wand.“ - Wir können uns unbeantwortbare
Fragen stellen lassen, stellen. Wer bist Du? (Keine Antwort genügt.) Wer bin ich? Wo ist der Gedanke?
woher kommt er? wohin geht er? Wer denkt ihn? wo ist die Denkerin? Der Ton des Klatschens der linken
Hand. Ehe Abraham ward, bin ich. (Jedesmal die Entscheidung, alle paar Sekunden: im natürlichen Zustand, im „Schauen“, in der ersten Person zu bleiben - oder in Konstruktionen, Geflechte, in die dritte
Person zu gehen.) Wir können entdecken, daß die Ausgangsfrage - „Gibt es Lücken?“ - schon Selbstbetrug ist, falsch ontologisch, eine Vorentscheidung für die Undurchdringlichkeit des Gedankengeflechts,
weil sie Denken „über“ verlangt. (Ebenso wie es Gott, Liebe, Eifersucht, Treue, Altruismus, Weg usw.
weder „gibt“ noch „nicht gibt“ - sondern ich wähle derartige Existenzmöglichkeiten und lebe mit dem
Entwurf.) Statt der Antwort auf eine Frage gibt es meine Entscheidung, jeden Augenblick: Lücke oder Geflecht. Riß oder Cocon. Zwei Arten von Schmerz, dirty pain (nicht die Wahrheit zu sagen, z.B.), clean pain
(ins offene Messer, schlimmstenfalls). Die Wahrheit, die „zu zweien beginnt“ oder die Wahrheit in den
Bibliotheken.
Wir könnten einander aufwecken. Einander sanft stupsen: „Du - “ Einander begrüßen, alle paar Minuten:
„Hallo, du?“ Auch „Guten Morgen“ ist o.k., zu jeder Tageszeit. Constant sunrise happens. Einander nerven:
„Wo bist du jetzt gerade?“ Den Blick der anderen einladen, aufnehmen. Sich fallen lassen ins Schwarze
des anderen Auges. Nicht nett sein. Sich kein Bild machen. Nicht so planbar. Nackt sein, viel nackter als
unbekleidet. „Ich will dich ausklammern aus deinen Geschichten.“
Lücken können sehr weit werden. Mangels Wand gibt es dann keine Risse mehr. Die Wandlosigkeit hat die
Gestalt von Personen. Die haben nicht Power, Charisma, Ausstrahlung, sex appeal, Beredsamkeit oder
anderen Firlefanz. (Nichts von dem, was in der New-Age-„Bewegung“ und von manchen Therapeuten
kultiviert, zur Schau gestellt wird, was C. G. Jung „Mana-Persönlichkeit“ nannte.) Sie sind unergründlich
wie alle anderen - nur noch gründlicher unergründlich, unerhörter. Das sind die, derentwegen Menschen
seit je alles verließen und Tausende von Meilen wanderten. Gurus. Das Wort bedeutet einfach „Meister“.
Sie sind Spiegel, in denen wir uns erkennen können. Wir haben aus dem Namen ein Spott- oder Schimpfwort gemacht. (Auch dieser Sachverhalt spiegelt unseren Geisteszustand.) Sie sind sichtbar so wie wir
werden können und im Grund schon sind. „I entered his room and my mind went blank.“ „His mere presence enabled people to drop their burden.“ Man kann „darüber“ nicht reden. Aber auch nicht schweigen.
IV
Wir können Aufwachen üben. Eine Art formelles Training - nicht ein Selbstzweck. In einer maximal vereinfachten Situation. Das ist unumgänglich; Alltag, Aufgaben, Beziehungen sind kompliziert, verwirrend; wir
verheddern uns unvermeidlich, verwechseln den Riß mit der Wand. Oder das Denken über die Lücke mit
der Lücke selbst. Oder wir bleiben stecken, wenn es uns scheinbar „gut geht“, wenn etwas uns fasziniert.
Oder wir wissen nicht mehr, was all das soll, was wir damit wollten, wohin es führt. Zu üben, was wir
schon haben, was aber beständig von unseren Gewohnheitsmustern verdeckt wird, ist der Sinn von Meditation. Nicht Zustände zu kultivieren (Ruhe, allerlei Annehmlichkeiten), nicht Gedanken unterdrücken,
keine religiöse Übung sondern nur: immer wieder aufwachen, auf die einfachste Weise, ohne Krampf.
Langsam wird das den Rest des Lebens infizieren, unterminieren.
Vieles an der Praxis der Meditation ist willentlich machbar. Die Haltung vor allem. Noch bedeutsamer ist
das nicht Machbare. Anfangs _ ein sehr langer Anfang - können wir normalerweise nicht für längere Zeit die
Aufmerksamkeit auf dem Ausatem ruhen lassen, uns mit dem Ausatem „identifizieren“, wie es heißt. Das
ist zu langweilig, der Ausatem hat keine Griffe, fast unvermeidlich gleiten wir ab. Zurück in unsere Phantasiewelt, in eine der zahllosen Varianten des Wiederholungszwangs. Wir „schlafen ein“. So, im Halbschlaf,
in einer Traumwelt, verbringen wir, bis auf einige Augenblicke, unser Leben. (Meditationserfahrung spiegelt
unser Leben unbestechlich.) Das ist Gemeingut. „Oh rühre nicht am Schlaf der Welt!“ „Wir träumten von
einander / Und sind davon erwacht . . .“ Der Augenblick des Abdriftens ist immer unbewußt. (Er ist entspricht dem Augenblick der Wiedergeburt in Samsara, dem Bereich der Verwirrung und des Leidens. Wir
werden werden buchstäblich jeden Augenblick „wiedergeboren“. Das Aufwachen, die Rückkehr zur Wirklichkeit, geschieht spontan - „Ah -“, immer wieder. Meditation trainiert die Fähigkeit, zwischen Traumwelt
und Wirklichkeit zu unterscheiden (discriminative awareness). Das Ziel des Trainings: „Wiedergeburt“:
nicht zwanghaft, getrieben, als Einschlafen, sondern bewußt, frei gewählt, aus Mitgefühl: wo wird etwas
gebraucht?)
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Dann - hat die Phantasiewelt eine Lücke, der Traum stolpert. Eine Art Sprung, Ruck, plötzliches Aufblitzen, manchmal eine abstrakte Panik: „Ah -“ („Aha!“ wäre schon zuviel - da öffnen sich schon wieder
Schubladen, wenn auch vielleicht neue.) Der Ruck kommt nicht aus eigenem Bemühen oder Beschluß
sondern steht auf eigenen Füßen. Voraussetzung ist lediglich eine allgemeine Bereitschaft, ihn überhaupt
zuzulassen; sie drückt sich aus darin, daß wir die Instruktionen befolgen, die Haltung einnehmen, Ablenkung vermeiden usw. Der Sprung ist jenseits oder diesseits der Inhalte der Wachphantasie - nicht Bedauern oder Freude über deren Ende - aber auch diesseits der Selbstbewertung der Meditierenden, etwa von
Selbstkritik: wo war ich bloß schon wieder! Es ist nicht „etwas“ - und schon gar nichts Bestimmtes - was
da aufblitzt sondern pures Aufblitzen, frei von Namen, Begriffen, Bewertungen, Gefühlen. (Die mögen
gleich wieder das Bewußtsein ausfüllen - das ist dann eben die nächste Wachphantasie.) Dem entspricht
übrigens die Erfahrung von Liebe oder Verliebtsein - dieser Mensch, urplötzlich vollkommen gegenwärtig;
nicht als ein Name, als ein Jemand mit bestimmten Zügen, als Teil einer Phantasie - das wäre nachträglich.
Leerer, erfüllter Raum. (Leer von Geflechten; erfüllt, weil nichts fehlt.) Nicht möglich, „über“ ihn zu reden. Genau dies ist der Unterschied zwischen Lücken und Gedankengeflecht. Die abstrakte Panik entspricht, in einem Sekundenbruchteil, der Erfahrung des Todes. Die reine Lücke, nicht überlagert von den
Bezugspunkten - Prozessen, Anforderungen, Inhalten, Interpretationen - des Alltags.
V
Die verschiedenen Aspekte der Meditationstechnik fördern - mehr oder weniger leicht erkennbar - diese
Erfahrung und ihr Bewußtwerden. Das Vermeiden aller Elemente von Konzentration. Die unausweichliche Diskontinuität: die physiologische „Lücke“ zwischen Aus- und Einatem. Die Rätselhaftigkeit dessen,
was „Identifikation“ mit dem Ausatem heißt - man tut es einfach, ohne „Wie“. Offenheit - von den Beinen bis zu den Augen. Die leicht geöffneten Lippen - sie entsprechen dem „Ah -“, der Bereitschaft, zu
staunen. (Und der, die Wahrheit zu sagen.) Die entspannte Aufrichtung des Rückens, in allen Kulturen die
Haltung von Wachheit, zugleich antidepressiv. Das explizite Anerkennen der Augenblicke des Aufwachens
durch das freundliche Bezeichnen der vergangenen Phantasie: „Denken -“.
Wir lernen langsam, primäre Wahrnehmung nicht mit Gewohnheitsmustern zuzudecken. Dadurch bleiben
die Dinge „neu“; die Qualität des Staunens dehnt sich aus. In der Tat klingt die Orientierungsreaktion bei
untrainierten Menschen ab, wenn ein Reiz sich wiederholt. Bei Zen-Meistern bleibt sie erhalten. Sie haben
das Muster „Kenne ich ja schon!“ abgebaut, die Neugier erhalten. Ihre Welt ist jung geblieben - und sie
mit ihr. (Konzentrative - etwa hinduistische - Praktiken dagegen unterdrücken die Orientierungsreaktion
auch bei neuen Reizen: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.) Dies könnte ausführlich diskutiert werden
- aber viel aufschlußreicher ist es, die Praxis tatsächlich auszuführen. Auch das neueste Handbuch der
Sexualforschung kann nicht die Erfahrung ersetzen, die Hand der geliebten Frau zu berühren.
Zuletzt die Frage: Sind derlei „östliche“ Methoden überhaupt brauchbar im „Westen“? Das kann man
uferlos diskutieren - aber die Sachfrage - wie „ist“ es? - vermeidet wieder die Entscheidung: „Tu ich’s?“
Und die Entscheidung läßt sich nicht auf Gründe reduzieren - so wenig wie Liebe.
***
Anhang 9: Eight Key Points for Developing Buddhist Psychotherapy
1. If the formulation of a Buddhist concept of therapy wishes to find the agreement of all Buddhist
schools, it must necessarily be based on Buddha Shakyamuni himself, e.g. be built on source texts in
Sanskrit and Pali accepted by all, and not on commentaries written later by other masters who are disputed as authoritative in some schools.
2. The central aims of Buddhist psychotherapy must be identical with the central aims of the Buddhadharma, since we assume that this will help us to avoid errors on the way to ultimate health.
3. Furthermore, also the methods of Buddhist psychotherapy must be in harmony with the basic approach of dharma practice. If not, this Buddhist therapy cannot be expected to prepare and support
dharma practice.
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4. If we manage to describe the central aims of Buddhadharma in a few key terms and key phrases, we
will find ourselves in the very heart of a Buddhist approach to psychotherapy, since such an approach
would be nothing else than a prolongation of the Dharma into therapeutic practice.
5. The central points and aims of the Buddhadharma – and thus of a Buddhist psychotherapy – are
those which characterise it as a way to deliverance and enlightenment and without which one cannot
any longer speak of a Buddhist path. They are the common ground of all Buddhist schools, based on
the words of Buddha Shakyamuni, which are acknowledged by all.
6. Buddhist psychotherapists practise these central aims themselves in order not to have only an intellectual knowledge of the Dharma but to know it also from personal experience.
7. Buddhist psychotherapy is the application of the truths described and experienced in the Dharma to
the work of a therapist who deals with all people in need for help regardless of their philosophy and
faith.
8. With the perspective of long-term, profound healing Buddhist psychotherapy will filter out from
among the many methods within the Dharma and therapy schools those methods which are especially
helpful in offering therapeutic support and which simultaneously prepare well for the time of death
and after.
* * *
Anhang 10: Die erste Gemeinschaft der „Therapeuten“
Bericht des griechischen Juden Philo über eine Gemeinschaft von „Therapeuten“, die in der Gegend des Mareotis Sees bei
Alexandria gelebt hat. Quelle: Philo v. Alexandrien (1.JH.) in: „De vita contemplativa“
„Die Gemeinschaft der Therapeuten war von Anfang an belehrt, immer das Sehvermögen (der Seele) zu
gebrauchen. ... Es ziemte sich.., daß sie, welche den sehenden Reichtum zu ihrer Verfügung erlangt haben,
den blinden (Reichtum) den noch geistig Blinden überlassen... Jede Stadt nämlich, auch die am Besten
verwaltete, ist voll von Unruhe und unsäglichem Durcheinander, und dem möchte wohl einer, der auch
nur einmal von der Weisheit geführt wurde, sich nicht preisgeben. Vielmehr suchen sie die Einsamkeit und
halten sich... auf entlegenen Grundstücken auf..., weil sie wissen, daß der Umgang mit Menschen ungleicher Gesinnung nutzlos ...ist. Vielerorts auf dem Erdkreis ist diese Art Menschen zu finden... Die Häuser
der einzelnen Mitglieder dieser Gemeinschaft sind von größter Einfachheit... Sie sind weder nahe aneinander gebaut wie in den Städten... (denn für Menschen, welche die Einsamkeit erstreben und suchen ist
Nachbarschaft lästig...), noch stehen sie weit voneinander entfernt. Der Grund ist, daß ihre Bewohner die
Gemeinschaft hoch schätzen... In jedem Haus gibt es ein ...Gemach, das den Namen... Klausur trägt. In
ihm verweilen sie ganz allein... Sie nehmen nichts mit hinein, weder Trank noch Speise noch sonst etwas,
das für die Bedürfnisse des Leibes notwendig ist, wohl aber die Gesetze, die von den Propheten verkündet
wurden, sowie Psalmen... Bei Sonnenaufgang bitten sie um einen schönen Tag, und zwar um einen wahrhaft schönen Tag, daß nämlich himmlisches Licht ihren Geist erfüllen möge; bei Sonnenuntergang bitten
sie, ihre Seele möge nach der Wahrheit suchen.
An sechs Tagen in der Woche bleiben sie jeder für sich in den erwähnten Klausuren... Am siebten Tage
aber kommen sie gleichsam zu einer gemeinschaftlichen Versammlung zusammen... Der...ihrer Lehren am
meisten Kundige tritt dann auf und trägt vor, mit ruhigem Blick und ruhiger Stimme, in Vernunft und
Überlegung. Dabei zeigt er keine große Redegewandtheit, wie die Redner unserer Zeit, sondern sucht und
bringt zum Ausdruck die in den Gedanken liegende Genauigkeit, welche nicht bis außen an die Ohren und
nicht weiter gelangt, sondern durch das Gehör in die Seele eindringt und dort fest haften bleibt. ... Auch
Frauen... hören... dem Vortrag zu, von demselben Eifer und demselben Streben beseelt... Die Selbstbeherrschung machen sie gleichsam zu einem Fundament der Seele...
Einige, in denen die Liebe zum Wissen noch tiefer gegründet ist, denken... nur alle drei Tage an Nahrung.
Es gibt einige, die sich so freuen und schwelgen, da sie von der Weisheit bewirtet werden, welche reichlich
und verschwenderisch ihre Lehrsätze darbieten, daß sie... kaum... die notwendige Nahrung zu sich nehmen. 'Sie sind daran gewöhnt, wie man dem Geschlecht der Zikaden nachsagt, sich von der Luft zu ernähren, wobei der Gesang, wie ich glaube, den Mangel an Nahrung erleichtert... Sie essen... nichts Besonderes,
sondern einfaches Brot und als Zukost Salz... Als Trank dient ihnen Quellwasser. Hunger und Durst...
lindern sie, doch bringen sie nichts bei, was schmeicheln kann, sondern nur eben das Nützliche, ohne daß
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es nicht möglich ist, zu leben. Deshalb essen sie so viel, daß sie nicht hungern, und trinken so viel, daß sie
nicht dürsten; Übersättigung meiden sie als feindlich und schädlich für Leib und Seele. ... Die Kleidung...
hat vor Eiseskälte und Hitze zu schützen... Sie befleißigen sich der Anspruchslosigkeit, weil sie wissen, daß
große Ansprüche Anfang der Falschheit sind, Anspruchslosigkeit aber Anfang der Wahrheit ist...
Wenn sie... zusammenkommen, ...strahlend vor Freude, erheben sie Blick und Hände zum Himmel. Den
Blick, weil sie gewöhnt wurden, auf das zu schauen, was der Betrachtung würdig ist, die Hände, weil sie
rein sind von schmutzigem Gewinn, da sie durch kein Motiv der Profitmacherei besudelt werden... Am
Gastmahl nehmen auch Frauen teil... Sie... befleißigen... sich immer und überall einer Genügsamkeit, die
eines freien Menschen würdig ist... Sie lassen sich nicht von Sklaven bedienen, da sie den Besitz von Sklaven für gänzlich naturwidrig ansehen. Die Natur nämlich brachte alle als Freie hervor... Freie vollbringen
die Dienstleistung, und zwar nicht unter Zwang oder auf die Weise, daß sie auf Anordnung warteten,
sondern mit freiem Entschluß nehmen sie voller Eifer und Bereitwilligkeit jede Aufforderung vorweg...
Von solcher Art sind die Vorbereitungen...
Dann tritt tiefstes Schweigen ein. Man könnte fragen, wann denn nicht alle schweigen. Aber zu diesem
Zeitpunkt herrscht noch tieferes Schweigen als vorher... (Ihr Vorsteher) geht einem Problem nach... oder
erörtert eine Frage, die aufgeworfen wurde... (Er) achtet nicht auf glanzvolle Vortragsweise..., denn er
strebt nicht nach Ruhm, der auf großer Beredsamkeit beruht, sondern ihm geht es darum, bezüglich einiger Punkte eine genauere Erkenntnis zu gewinnen – und, wenn ihm das gelingt, sie den anderen nicht
vorzuenthalten, die das gleiche Verlangen nach Verständnis besitzen... (Er) geht recht langsam vor, da er
oft wiederholt und dadurch verweilt und zögert. So prägt er den Gedankengang in die Seelen... Bei der
Vortragsweise eines Menschen, der mit atemberaubender Geschwindigkeit redet, kommt der Geist des
Zuhörers ins Hintertreffen, da er nicht folgen kann, und ist daher nicht in der Lage, das Gesagte zu begreifen... Die gesamten Gesetzbücher gleichen nach Ansicht dieser Männer einem Lebewesen, das als
Körper die wörtlichen Anordnungen hat, als Seele aber die in den Worten verborgene, unsichtbare Bedeutung besitzt. Hierin besonders beginnt die vernunftbegabte Seele das ihr Verwandte zu schauen. Sie erblickt durch die Worte wie durch einen Spiegel die übermäßige Schönheit der in ihnen sich zeigenden
Gedanken; ... Sie...führt die Bedeutung der Worte...ans Licht für die, welche nur etwas erinnert zu werden
brauchen, um das Unsichtbare durch das Sichtbare sehen zu können...
Der Vorsteher singt einen Hymnus... entweder einen neuen, den er selbst verfaßt hat, oder einen alten, der
von den Dichtern der früheren Zeit herrührt... Jambische Verse, Hymnen, Lieder, welche der Chor singt,
wenn er stillsteht oder tanzt... Danach singen auch die anderen... (Alle) erheben, Männer und Frauen, ihre
Stimme... in der Mitte des Speisesaales bilden sie... Chöre... (Sie) singen Hymnen... in vielen Versmaßen
und Melodien, ...wobei sie teils im Wechselgesang die Harmonie aufnehmen, die Hände zum Takt bewegen und tanzen; bald singen sie voller Begeisterung... Lieder, welche vom Chor vorgetragen werden, wenn
er stillsteht, sowie die bei Wendung und Gegenwendung im Chortanz üblichen Liedteile...
Dann... vermischen... sie sich untereinander und werden ein Chor aus Zweien. Der Gesang der männlichen und weiblichen Therapeuten (greift) in beiderseitigem Wechselgesang die Melodie auf, wobei der
Diskant der Frauen sich mit dem Baß der Männer mischt, und bewirkt so einen harmonischen und wahrhaft musischen Einklang... Zum frühen Morgen... richten sie den Blick und den ganzen Körper nach Osten und verharren in dieser Haltung... Wenn sie dann die Sonne aufgehen sehen, erheben sie die Hände
zum Himmel und beten um einen schönen Tag, nämlich um Erkenntnis und Wahrheit und Scharfsichtigkeit des Geistes...
Soviel... sei gesagt über die Therapeuten. Sie widmen sich der Betrachtung der Natur sowie dessen, was sie
enthält, und leben...mit der Seele.“
* * *
Anhang 11: Die acht Aspekte des Bewusstseins (L. Lhundrup)
(freier Vortrag mit Skizzen)
Lhundrup: Im Abhidharma – wie er im tibetischen Buddhismus gelehrt wird – wird von verschiedenen
Ebenen bzw. Aspekten des Geistes gesprochen und da einige von Euch nicht damit vertraut sind, werde
ich sie in einfacher Form erklären.
1 visuelles
2 auditives 3 olfaktorisches 4 gustatorisches 5 taktil-sensitives
6 mentales Bew.
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Bewusstsein Bew.
Bew.
Bew.
Bew.
7 Emotionales Bewusstsein, Verknüpfung und Interpretation der Bewusstseinsinhalte
8 Speicherbewußtsein (Alaya, Namshe) ––– Ursprüngliches Gewahrsein (Alaya, Yeshe)
Buddha sprach von sechs Aspekten des Bewusstseins, die sich in Verbindung mit den sechs Sinnen manifestieren. Die sechs Sinne sind Bewusstseinsmomente, die gleichgestellt nacheinander im Geist auftauchen
können. Das sind die fünf Sinne, wie wir sie kennen: visuelles, auditives, olfaktorisches, gustatorisches und
sensitives oder taktiles Bewusstsein, sowie als sechstes das mentale Bewusstsein: das ist die Fähigkeit
wahrzunehmen, was im Geist passiert. Wenn wir z.B. im Traumzustand sind oder einfach in der Meditation, nehmen wir geistige Bewegungen wahr. Das wird mentales Bewusstsein genannt. Diese sechs Aspekte
des Bewusstseins sind einander nebengeordnet, ohne irgendeine Bewertung. Mit ihnen wird einfach nur
wahrgenommen, was passiert.
Diese sechs Bewusstseinsformen werden integriert, d.h. zueinander in Beziehung gesetzt, von dem, was
wir das emotionale Bewusstsein nennen. Dieses siebte Bewusstsein verarbeitet die Sinneseindrücke. Bei
einem dualistisch funktionierenden Menschen ist das der Geist der emotionalen Verblendung, auf Sanskrit
„Klesha“, auf Tibetisch (nyönmong kyi sem), das von emotionaler Verblendung gefärbte Bewusstsein.
Verblendung bedeutet, nicht klar sehen zu können, weil etwas anderes da ist. Das „Blendende“ hier sind
die geistigen Bewegungen, an denen der Geist haftet, Bewegungen, die Verwirrung auslösen. „E–motion“
im eigentlichen Sinne des Wortes ist einfach Geist in Bewegung, aber auf Grund der Reaktionen des Haftens verwirrt diese Bewegung unseren Geist. Diese Verwirrung ist „nyön“ im Tibetischen – und „mong“
ist die sie begleitende Dumpfheit oder Blindheit.
Dann haben wir die achte Geistesebene – die bekommt in unserer Zeichnung eine diagonale Unterteilung
– und das ist, was wir das Speicherbewusstsein nennen, das Alaya-Bewusstsein, auf tibetisch Namparschepa, das unterscheidende Bewusstsein, die Basis von allem anderen. Dieses Speicherbewusstsein ist
normalen Menschen nicht bewusst zugänglich. Nachher werden wir noch sehen, dass es der Ort ist, aus
dem die karmischen Impulse kommen. Nun kann dieses Speicherbewusstsein, je nachdem, wie wir damit
umgehen und welchen Zugang wir dazu finden, auch als ursprüngliches Gewahrsein wirken. Das entspricht diesem diagonalen Strich: wenn man von der einen Seite schaut, ist es dualistisches Bewusstsein,
geprägt von karmischen Inhalten, und wenn man von der anderen Seite schaut, ist es ursprüngliches Gewahrsein. Es kann so oder so funktionieren.
Vielleicht kennt Ihr die Unterweisung vom 3. Karmapa „Namsche-Yesche: dualistisches Bewusstsein,
ursprüngliches Gewahrsein“. Ursprüngliches Gewahrsein ist das Gewahrsein von allem, was sich manifestiert als illusorisch und ohne Ich. Buddha hat die Möglichkeit entdeckt, Zugang dazu zu finden und so die
eigentliche Natur unseres dualistischen Bewusstseins freizulegen.
Die tiefen Meditationen, wie sie z.B. im Hinduismus gelehrt werden, die immer noch leicht dualistisch
sind, verbleiben alle im Bereich der emotionalen Verblendung, bis hin ins Speicherbewusstsein. Es gibt
dabei immer noch eine Erfahrung, selbst wenn der Beobachter abwesend zu sein scheint. Buddha war es,
der den Zugang zum ursprünglichen Gewahrsein entdeckt hat. Dieses Eintauchen in die Dimension jenseits von Inhalten, jenseits von Beobachtungen, jenseits von selbst der subtilsten Anwesenheit eines Beobachters ist das, was ihn zu seiner Zeit von allen anderen Meistern in Indien unterschied.
Was wir gestern das „personale Ich“ genannt haben, sind diese ersten sieben Bewusstseinsarten. Und dann
sind hier im achten Bewusstsein unbewusst alle Eindrücke gespeichert. Was das Speicherbewusstsein angeht, würde man aus psychologischer Sicht sagen, dass es normalerweise unbewusst bleiben wird. Es
heißt, der Buddha und andere erleuchtete Menschen können Kontakt damit aufnehmen, und nicht nur
zum eigenen, sondern auch zum Speicherbewusstsein von anderen. Wie in der Zeichnung von dem Psychosynthese-Ei gestern, müssten wir hier mit gestrichelten Linien arbeiten, denn das Speicherbewusstsein,
wie auch das ursprüngliche Gewahrsein, sind im Kontakt mit dem Geist aller anderen Wesen.
Deswegen ist es möglich, die Vergangenheit anderer Wesen und auch ihr Potential zu kennen. Auf der
Ebene des emotionalen Bewusstseins – für jemand, der nicht im ursprünglichen Gewahrsein ist – sind das
fast hermetisch geschlossene Bereiche. Wir sind nicht in der Lage, auf dieser Ebene mit anderen Wesen
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Kontakt aufzunehmen. Wenn wir aber tiefer gehen, in offenere Bereiche tiefen Loslassens, in diesen unteren Bereich der Zeichnung, dann wird es möglich, diese Durchlässigkeit zu erfahren.
Die Psychologen würden das ursprüngliche Gewahrsein in der Zeichnung (siehe Ende des Textes) nach
oben setzen, weil sie diesen Platz dem Höchsten, dem Ziel allen Strebens geben, aber Buddhisten würden
es eher unten zeichnen, weil es die völlig natürliche, stets vorhandene Basis für alles andere ist. Die Bewusstseinsbereiche darüber sind nur Ausformungen, oberflächliche Manifestationen, die auf Grund dessen entstehen, was an karmischen Tendenzen früher nach unten abgeleitet wurde und jetzt wieder aufsteigt.
Zuhörer: Das Speicherbewusstsein würde Assagioli wohl auch nach unten setzen.
Lh.: Ja, aber wohl kaum das ursprüngliche Gewahrsein.
Frage: Wie kommen die Eindrücke eigentlich ins Speicherbewusstsein und was wird da überhaupt gespeichert?
Lh.: Es speichert Auswirkungen von Handlungen, karmische Information. „Karma“ bedeutet einerseits
Ursache und Wirkung und andererseits auch Handlung. Der Buddhismus spricht von Handlungen auf den
Ebenen von Körper, Rede und Geist, wobei die Körper- und Redehandlungen aus dem geistigen Handeln
entspringen. Körper und Rede tun nichts, was nicht vorher im Geist entstanden ist.
Es ist so, dass jede körperliche, verbale und mentale Handlung Folgen auslöst – keine Handlung bleibt
ohne Folgen: Wenn ich diesen Stift fallen lasse, hat die Handlung Folgen. Ich habe die Hand aufgemacht,
mit der Folge, dass der Stift fällt – der Stift fällt, hinterlässt einen Eindruck auf dem Teppich, diese Welle
dehnt sich aus und so setzt sich die Auswirkung einer einzigen Handlung im ganzen Universum fort. Man
kann nicht sagen, wo diese Auswirkung aufhört. Die kleinen Schockwellen, die da absorbiert worden sind,
im Teppich und in der Wand, teilen sich auch nach außen mit, obwohl sie für uns nicht wahrnehmbar sind.
Aber jede Handlung hat unbegrenzte Wechselwirkungen mit allem anderen, was darum herum ist im Universum. Deswegen ist die Lehre vom Karma eng verknüpft mit der Lehre der wechselseitigen Abhängigkeit von Phänomenen, vom Entstehen der Dinge. Karma ist also keine lineare Ursache-Wirkungskette,
sondern verhält sich wie ein Zentrum und seine Auswirkungen gehen in alle Richtungen, in jedes Feld des
Seins hinein.
Wir haben gestern im nachmittäglichen „Psycho-Teil“ diese Übung gemacht, wo wir uns selbst mit Affirmationen etwas Heilsames bestätigten. Diese Handlung des Sagens und dann Hörens – wir haben es alle
gespürt – löst eine Art Vibration aus in unserem Bewusstsein und diese Vibration hat gewirkt, als wäre da
etwas im Geist „verpackt“ worden. Wie ein Geschenk zugeschnürt, verpackt und in die Tiefen des Bewusstseins abgeschickt und dies nicht nur ins leicht zugängliche Oberflächengedächtnis. Es ist möglich,
dass dieser Satz, der da verpackt wurde, irgendwann wieder auftaucht. Bei dem einen oder anderen von
Euch ist er ja vielleicht schon aufgetaucht. Vielleicht taucht er ja auch erst in einer Woche auf. Vielleicht
taucht er am Ende des Lebens oder im nächsten Leben auf…
Das Speicherbewusstsein wie auch seine andere Seite, das ursprüngliche Gewahrsein, sind nicht zeitlich
gebunden. Alle Leben sind darin enthalten. Die Speicherung, welche die karmischen Impulse aus unserer
Wahrnehmung aufnimmt, ist nicht auf eine physische Geburt-Tod-Einheit beschränkt. Das Speicherbewusstsein setzt sich über den Tod hinaus fort, während die anderen sieben Bewusstseinsformen, einschließlich des emotionalen Bewusstseins, sich im Tod auflösen und sich nach dem Tod aus dem Speicherbewusstsein neu formen. Der Tod ist wie ein Nadelöhr, wo nur Namshe-Yesche, dieses Speicherbewusstsein mit seiner Qualität des ursprünglichen Gewahrseins, hindurchgeht. Alles andere, die Fähigkeiten
der Sinneswahrnehmung und die emotionalen Tendenzen, entsteht wieder daraus.
Das Speicherbewusstsein beinhaltet Billionen und Billionen von Eindrücken. Jede einzelne Handlung,
jedes Wort, das ich jetzt spreche, hinterlässt eine kleine Auswirkung im Speicherbewusstsein. Nichts bleibt
spurlos. Das ist wie der Grund eines Sees: Jede Bewegung auf seiner Oberfläche hinterlässt im Grund eine
kleine aber deutliche Spur. Es ist allerdings nicht leicht nachzuvollziehen, dass mit jedem Gedanken, mit
jedem gesprochenen Wort eine Rückmeldung in diesen nonkonzeptuellen Bereich stattfindet.
Das Speicherbewusstsein ist non-konzeptuell, nicht begrifflich, und dies gilt für beide Aspekte, das nonduale ursprüngliche Gewahrsein wie das dualistische Speicherbewusstsein. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir
haben zwar das Gefühl, dass Erinnerung in Begriffen, d.h. in Sätzen oder Worten stattfindet, aber das ist
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hier nicht der Fall. Erinnerung, das ist ja auch aus der psychologischen Forschung bekannt, besteht nicht
aus Sätzen, die irgendwo abgelegt sind, sondern eher aus Eindrucksspuren, die eine noch unmittelbarere
Qualität als Begriffe haben. Es sind vorbegriffliche Speicherungen des Erlebten, zu denen wir heute durch
eine Vernetzung von Eindrücken erneut Zugang finden können.
Nehmen wir als Beispiel eine Kindheitserfahrung, die wir 20, 30, 40 Jahre vergessen hatten, ohne bewussten Kontakt dazu. Es gibt für diese Erfahrung keine Augenzeugen, aber es kann sein, dass wir durch irgendeinen Geruch oder durch irgendeinen optischen Eindruck oder ein Wort wieder Zugang zu dieser
Erfahrung bekommen und plötzlich entfaltet sie sich uns mit allen ihren Anteilen. Die Erfahrung, die wir
in dieser Situation gemacht haben, entfaltet sich mit all den sechs Sinneseindrücken, sowie ihrer emotionalen Komponente. Das ist etwas, was für manche Meister auch über die Grenze von Geburt und Tod hinaus möglich ist. Auch für normale Menschen kann es manchmal dazu kommen, dass sich über die Grenzen des Todes bzw. der Geburt hinaus solche Eindrücke wieder im Bewusstsein entfalten.
Obwohl nichtbegrifflich sind die im Namsche gespeicherten Eindrücke dualistisch – es gibt in unserem
Geist einen nonkonzeptuellen dualistischen Bereich. Denn „nonkonzeptuell“ ist nicht etwa synonym mit
Nondualität. Es ist eine wichtige Entdeckung, die man im eigenen Geist machen kann, dass man Zugang
zu solchen Mustern oder Energiefeldern oder gespeicherten Eindrücken gewinnen kann – es ist schwierig,
das mit Worten zu benennen, weil es eben nicht begrifflich ist. Ein geschulter Geist kann dabei unterscheiden, ob das ein Zugang zu etwas bereits Begrifflichem oder zu etwas Vorbegrifflichem ist. Es tauchen Bilder, Klänge, Gerüche auf, die noch gar nicht benannt sind – es ist, als müssten wir sie neu entdecken, um ihnen dann wieder einen Namen geben zu können. Die Begriffe, mit denen wir das Erinnerte
beschreiben, kommen einige Gedankenmomente später als die Erinnerung selbst.
Frage: In welcher Beziehung steht das Speicherbewusstsein zum Jung’schen kollektiven Unbewussten oder
zu den morphogenetischen Feldern bei Sheldrake?
Lh.: Das kollektive Unbewusste – ich habe nicht genug von Jung gelernt und zudem ist es lange her –
diese Möglichkeit zu einer das eigene Erleben übersteigenden Wahrnehmung ist hier in der Zeichnung die
gestrichelte Linie, wo wir Zugang zu den Bildern auch von anderen haben. All die Bilder, Einstellungen
oder „Archetypen“, die den Mitgliedern einer Gemeinschaft gemeinsam sind, wie z.B. auch unseren Eltern, haben ebenfalls Spuren im Speicherbewusstsein hinterlassen, denn wir sind mit den damit verbundenen Haltungen – wenn auch meist unbewusst – in Berührung gekommen. Dabei sind Bilder entstanden
und diese Bilder und Eindrücke können aufsteigen. Es handelt sich aber meiner Ansicht nach nicht um
einen diffusen Prozess des Eintauchens in ein sog. kollektives Unbewusstes, sondern um eine Begegnung
mit den unbewussten Haltungen und Bildern von Menschen, denen wir selbst konkret begegnen, in konkreten Lebenssituationen.
Frage: Ist es also ein individuelles Speicherbewusstsein oder ein kollektives?
Lh.: Weder noch. Letztendlich gibt es keine Abgrenzung von Selbst und Anderen und es gibt weder Selbst
noch Andere. Das Speicherbewusstsein ist in jede Richtung hin durchlässig und als ursprüngliches Gewahrsein ohne Wesenkern, also ohne Besitzer. Nur solange das Ichhaften stark ist, besteht diese starke,
aber unvollkommene Abgrenzung von Ich und Anderen.
Frage: ... noch mal zum Nadelöhr. Es heißt ja immer, die Handlungen, die ich ausführe, würden mich
begleiten... aber dann stellt sich die Frage: Was geht denn da wirklich weiter?
Lh.: Das ist der „Geistesstrom“, von dem die Buddhisten sprechen, „Gyü“ auf Tibetisch, Geistesstrom als
Alternative zur Vorstellung eines Selbst. Der Geistesstrom ist ein sich ständig wandelnder, immer wieder
neu entstehender Fluss von Eindrücken, die zu Handlungen führen. Aktion und Reaktion. Wenn dieser
Geistesstrom von der Annahme eines Ichs geprägt ist, arbeitet in ihm die Kraft des Haftens. Diese Kraft
des Haftens wirkt wie alles einfangende Hakenbewegungen auf alles, was im Geist auftaucht. Sobald Bewusstseinsinhalte im Geist entstehen, werden sie sozusagen ‚eingefangen’ und zu einem vermeintlichen
Ich-Zentrum in Beziehung gesetzt. (zeichnet ein Zentrum mit Haken) ... Das gibt eine schöne Sonne. ...
(Lachen). Diese Aktivität eines vermeintlichen Zentrums (das sind unsere ichbezogenen Tendenzen) hält
die Bewusstseinsinhalte fest. Es hält sie für die Attribute eines Ichs, und so beginnt Karma zu wirken.
Karmische Ursache-Wirkungsbeziehungen finden nur in dem Moment statt, wo es zu Haften kommt. Wo
kein Haften ist, ist der Geist keinerlei karmischen Einflüssen unterworfen.
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Um diesen „Ego-Magneten“ herum findet karmische Gestaltung statt – da wird ein Körper angenommen,
da wird verdichtet. Durch die zusammenhaltende Kraft des an einem Ich haftenden Bewusstseins entsteht
eine Existenz nach der anderen. Das nennen wir Samsara, den Daseinskreislauf. Wenn man dieses IchHaften loslässt, besteht keine Notwendigkeit mehr für erneute Existenz. Die karmischen Gestaltungskräfte, die all unsere leidvollen Erfahrungen bedingen, wie Geburt, Alter, Krankheit und Tod, können dann
nicht mehr wirken.
Dies sind Erklärungen, die uns vielleicht helfen können, den karmischen Prozess zu verstehen, aber vermutlich werden wir das später mit vertieftem Studium und im Austausch mit erleuchteten Meistern noch
differenzierter ausdrücken können.
Frage: Karma ist demnach auch die Ursache für unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit?
Lh.: Ja.
Frage: Ich habe immer viel Schwierigkeiten mit der Vorstellung von Wiedergeburt und bin persönlich
mehr den Zen-Vorstellungen zugeneigt: also, ich bin eine Welle in einem Ozean. Und nach dem Tod geht
mein Geist wieder in diesen Gesamtstrom zurück. Mein Ich, nicht im Sinne der Person, sondern im Sinne
der Zusammensetzung meiner Einzelteile, die ich jetzt lebe, wäre das als karmisch oder nicht-karmisch zu
verstehen in diesem Gesamt-Speicherbewusstsein?
Lh.: Für den Yogi ist der Tod so: Die ganze Blase unserer Ich-Anhaftung bleibt beim Sterben zurück. Was
durch das Nadelöhr geht, sind Speicherbewusstsein und ursprüngliches Bewusstsein. Der Yogi geht im
Tod ins ursprüngliche Gewahrsein ein (die Wellen verebben im Ozean). Dieses ursprüngliche Bewusstsein
ist auch hier in der Zwischenphase durchaus voll klar präsent. Ein Yogi verliert im Tod nicht das Bewusstsein, sondern taucht in das Klare Licht ein. Selbst im Tod nicht das Bewusstsein zu verlieren, wo sich
Körper und Geist trennen und sich die karmische Verbindung löst, ist höchste Meisterschaft. Dieses ursprüngliche Gewahrsein bleibt vom Tod unberührt und es kommt nicht zu einem erneuten Ergreifen, der
Geist ist völlig frei und geht in diese Offenheit ein. Das ist das Aufgehen im ursprünglichen Gewahrsein
„Yesche“.
Beim Sterben muss der Geist alles hinter sich lassen, was an Identifikationen usw. da ist. Wenn sich Körper und Geist trennen verliert der unerleuchtete Geist das Bewusstsein. Denn er geht in den nichtbegrifflichen Speicherbewusstseins-Zustand ein, der vom normalen Bewusstsein wie ein Black-out erlebt
wird. Das Black-out kann von ein paar Minuten bis hin zu drei Tagen dauern. Im Tod geht jeder notwendigerweise ins ursprüngliche Gewahrsein ein, denn es ist immer da, doch dann entsteht wieder jede Menge
Illusion und eine neue ‚Lebensblase’. Das Speicherbewusstsein wird wieder aktiv, was mit Haften an einer
vermeintlichen Ich-Identität einhergeht und schließlich dazu führt, dass die Illusion eines Ichs sogar zur
Annahme eines neuen Körpers führt.
Das neue Leben, sei es im Bardo oder danach, entwickelt keineswegs zwangsläufig dieselbe Ich-Struktur
wie in diesem Leben. Die Zusammenmischung der karmischen Anteile wird neu sein. Man sagt, zunächst
ähnele das Bewusstsein im Bardo noch dem vorherigen Leben, dann aber kommen aufgrund der neuen
karmischen Durchmischung andere Tendenzen zum Vorschein. Es ist wirklich nicht mehr dieselbe Person, die wir waren oder gekannt haben. In einer menschlichen Existenz können sich nur Geistesfaktoren
manifestieren, die mit dem Menschenleben in Einklang sind. Aber im Bardo kommen dann weitere Geistesfaktoren hinzu, die im Menschenleben nicht zum Zuge kommen konnten. Es kann dort zu einer
Durchmischung kommen, die einem anderen der sechs Daseinsbereiche ähnelt, Gott, Halbgott, Tier usw.
Und diese neue Durchmischung führt dazu, dass der anhaftende Geist bisher nicht gekannten, unbewussten Eindrücke begegnet und sich darin verwickelt – diese immens vielen, schnellen Eindrücke, die im Zwischenzustand auftauchen. Im Bardo läuft, da wir keinen Körper haben, alles unheimlich schnell ab. Das
führt zudem zu einer tiefen Verunsicherung und man wünscht sich nur eins: schnell wieder einen Körper
zu haben.
(macht eine Skizze) Hier war Tod, dort ist die nächste Geburt und dazwischen ist das Bardo. Der Durchgang in die nächste Geburt beinhaltet wie ein Filter stets wieder eine Selektion der zum Tragen kommenden karmischen Tendenzen. Das Haften im Bardo führt zu einer bestimmten Existenz und darin kann
sich wiederum nur das an karmischen Kräften manifestieren, was in dieser Form möglich ist. Anderes
bleibt für die gesamte Dauer dieser Existenz ausgeklammert. Man kann also nicht sagen, dass die Person,
die ich hier war und die Person, die in der nächsten Existenz sein wird, noch viel gemeinsam haben. Es
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gibt Prägungen in diesem Geistesstrom oder typische Eindrücke, die gespeichert wurden, die etwas Gemeinsames erkennen lassen, aber wir können nicht davon sprechen, dass dies noch dieselbe Person ist.
Fr: Wie ich auch nicht sagen kann, dass ich in zehn Jahren noch dieselbe Person bin?
Lh.: In diesem Leben besteht eine viel engere Verbindung, weil Du in zehn Jahren noch im selben karmischen Umfeld bist, d.h. da ist eine viel größere Konstanz: Du bist immer noch der gleiche Mensch aus
Europa, mit den in diesem Leben geformten Anlagen. Das, was wir in diesem Leben geformt haben, ist
im Speicherbewusstsein am leichtesten zugänglich; es hat die größten Auswirkungen auf das, was wir in
diesem Leben erleben. Aber es kommen immer wieder Impulse oder Kräfte durch, die mit früheren Leben zu tun haben, die wir nicht aus diesem Leben erklären können.
Frage: Ist aus dem Speicherbewusstsein auch abzuleiten, dass wir den Weg des Bodhisattva gehen, weil da
von früher schon entsprechende Prägungen im Geist sind?
Lh. (zeichnet): Natürlich, da gibt es diese dicken „Blubber“, die heißen Bodhisattva-Versprechen – (allgemeines Gelächter) – und die tauchen im Bewusstsein auf, ob man will oder nicht, die haben eine starke
Kraft.
Frage: Die Frage war noch spezieller, denn das Speicherbewusstsein ist ja im Grunde nicht abgegrenzt, es
ist mit allen verbunden. Das Bodhisattva-Gelübde berücksichtigt ja, dass wir das Speicherbewusstsein aller
teilen und uns deswegen auch allen zuwenden.
Lh.: Ja, das Bodhisattva-Versprechen berücksichtigt bereits, dass wir nicht von den anderen getrennt sind.
Fr: Es kommt mir so vor, als lebten da doch noch irgendwelche Entitäten?
Lh.: Diese verdrängten Persönlichkeitsanteile, von denen die Psychologie spricht, wie auch alle anderen
Wesen, die uns begleiten, sind alles nur illusorische Entitäten – die haben alle keine Ich-Existenz, die lösen
sich in dem Moment auf, wo kein Haften mehr da ist.
(Frage unverständlich)
Lh.: Jede Erfahrung ist kombiniert mit der grundlegenden Tendenz des Anhaftens. All die Eindrücke, die
einen Geistesstrom im nächsten Leben bestimmen, sind kombiniert mit dieser grundlegenden Tendenz
des Haftens. Die ist so stark und omnipräsent, dass wir, wenn wir es nicht schaffen, uns im ursprünglichen
Gewahrsein zu entspannen, es zwangsläufig mit unseren karmischen Tendenzen zu tun haben.
Frage. Du sprichst von Eindrücken. Karma aber heißt Handlung – ich hatte immer gemeint, es kommt
nur darauf an, was wir denken, reden und tun und nicht darauf, was auf uns einwirkt?
Lh.: Ja, die Eindrücke unserer eigenen Handlungen mit Körper, Rede und Geist erzeugen Karma in uns.
Aber Du musst wissen, dass die Wahrnehmung eines Objektes auch schon eine Handlung ist. Was wir eine
geistige Handlung nennen, ist eine geistige Bewegung. Ich habe ein Flugzeug vorbeifliegen hören und die
Wahrnehmung dieses Flugzeuges ist eine geistige Handlung. Deswegen spreche ich von Eindrücken, all
den Spuren geistiger Bewegungen.
Frage: Wie geht es dann weiter mit dem Geist, der das Ich-Haften auflöst?
Lh.: Buddha-Aktivität! Aber was ist Buddha-Aktivität? Was hält sie zusammen? Was sie zusammenhält ist
der „Bodhisattva-Magnet“, der um sich alle Wunschgebete sammelt, die im Laufe eines Lebens gemacht
wurden. Diese Wünsche, damit sind vor allem die Qualitäten gemeint, die der Geist hat, werden zusammengehalten durch das Bodhisattva-Gelübde. Das ist kein Ich, aber diese Kraft scheint auch eine Fähigkeit
zu haben, sich in einer körperlichen Existenz zu manifestieren. Sie nimmt nicht aus dem Ich heraus Existenz an, sondern aus dem Bodhicitta heraus.
Die Buddhisten machen nicht gerne so viele Schemata, nachher bleiben die im Kopf hängen und schaffen
Probleme. – (Lachen) – All diese Dinge, die Erklärungen wie die Zeichnungen, sind heute spontan entstanden und daher können wir sie auch spontan wieder vergessen. Ich habe heute in der Meditation diese
Eindrücke gehabt, die kamen einfach so – deswegen lassen wir das so unausgegoren, wie es ist, es sollte
nur zur Veranschaulichung dienen.
Jetzt muss ich Euch noch den Prozess der karmischen Reinigung erklären.
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Frage: Kannst Du dabei noch erklären, wie Wünsche wirken?
Lh. (weist auf die Zeichnung): Also, da haben wir hier im Speicherbewusstsein die von unseren Wünschen
hinterlassenen Eindrücke. Wenn Menschen nicht beten können, dann arbeiten sie vielleicht lieber mit
Affirmationen. Gebet ist eigentlich Affirmation auf die höchste Ebene gebracht. Affirmationen oder
Gebete hinterlassen Eindrücke und diese Eindrücke werden sich, in dem Moment wo sie wach werden, als
positive Kraft im Geist bemerkbar machen.
Frage: Je stärkere Gewohnheitsmuster man hat, umso ähnlicher ist die nächste Inkarnation? Wenn man
besondere Tendenzen besonders stark entwickelt, sind das dann besonders große Blasen? Und weil sie
größer sind, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie in der nächsten Inkarnation da sind?
Lh. (zeichnet): Wenn wir mit unserer Zeichnung des Speicherbewusstseins weiter herumspielen, dann
hätten wir hier einen Topf, das ist z.B. der Topf Wut, Ärger. Jemand mit einer starken Tendenz, ärgerlich
zu reagieren, der wirft im Laufe eines Lebens eine Menge Eindrücke hier in diesen Topf und der wird
immer voller und größer und speichert eine unglaubliche Menge von Wuteindrücken. Beginnt dieser
Mensch dann zu meditieren, sitzt er mit einem proppenvollen Wut-Speicherbewusstsein und wird durch
das Nichtstun und die Entspannung Zugang zu seinen Mustern bekommen. Sie werden sich bemerkbar
machen und ins Bewusstsein aufsteigen. Wenn der Meditierende sich aber ablenken lässt und zerstreut ist,
dann gibt es keine Chance, dass diese Eindrücke auftauchen und gereinigt werden können. Ablenkung
behindert den Prozess der Reinigung, weil wir weiterhin ständig dabei sind, neue Eindrücke zu erzeugen,
statt die alten verrauchen zu lassen.
Man entspannt sich zwar ein wenig, aber kaum gelangt ein kleiner Eindruck aus dem Speicherbewusstsein
nach oben, geht die Kette der Reaktionen schon wieder los und wir sind wieder für eine Weile damit beschäftigt. Dann gibt es irgendwann mal wieder eine kleine Pause in den Reaktionsketten und es kann wieder ein karmischer Eindruck aufsteigen – doch bei solcher Abgelenktheit mit stetem Reagieren dauert die
karmische Reinigung sehr lange. Durch fortgesetzte Entspannung hingegen entsteht Raum und diese Entspannung und Offenheit ermöglichen, dass in kurzer Zeit eine ganze Menge Eindrücke aus dem Speicherbewusstsein hochkommen können, und wenn wir nicht darauf reagieren werden sie mit unglaublicher
Geschwindigkeit verpuffen. Sie tauchen auf, es findet keine Reaktion statt und sie erweisen sich als das,
was sie immer schon waren: leer, illusorisch. Der ganze Inhalt des Speicherbewusstseins ist von illusorischer Natur, ist leer, ohne wirkliche Existenz, auch wenn er auf relativer Ebene deutlich aktiv ist. Jeder
auftauchende Eindruck kann, weil er selbst eine geistige Bewegung darstellt, weitere geistige Bewegungen
auslösen. Und der normale Mensch reagiert auf geistige Bewegung stets mit weiterer geistiger Bewegung
und verschlimmert den karmischen Salat – und so dreht sich Samsara. In der nächsten Existenz tauchen
Eindrücke auf von dem, was wir schon erzeugt und erlebt haben, und statt sie einfach verpuffen zu lassen,
machen wir jedes Mal ein Theater; dieses Theater nennt sich Samsara.
Fr: Angehörige von Menschen, die sich umgebracht haben, leiden unter dem Gedanken. Was passiert
denn eigentlich dann? Wird der jetzt bestraft?
Lh.: Jemand, der sich umbringt, geht kurz vor seinem Tod durch starkes, emotionales Haften mit Verzweiflung, Wut und dergleichen. Für den Geistesstrom spielen Tod und Geburt keine so große Rolle, er
setzt sich über den Tod hinaus weiterhin von Moment zu Moment fort. Das, was als letzte Handlung in
diesem Leben ausgeführt wurde, hat eine besonders starke Wirkung in dem Moment, wo im Bardo der
Bewusstseinsprozess weitergeht, d.h. so jemand wird anknüpfen an das Karma, das er vorher in den letzten emotional starken Momenten erzeugt hat. Er wird Paranoia, Verzweiflung, Trauer, Wut erleben – eine
Mischung all dieser Emotionen.
Karmische Reinigung geschieht, wenn wir beim Meditieren in einem ausgeglichenen Zustand bleiben und
die illusorische Natur der aufsteigenden Geisteseindrücke von Unwissenheit, Begierde und Hass zusammen mit den anderen Emotionen, die immer wieder auftauchen, erkennen. Das kann auch im Alltag stattfinden. Wenn ich krank werde, eine dicke Erkältung kriege, was ja das Karma der menschlichen Existenz
ist, und all das damit verbundene Leid in meinem Geist auftaucht – und wenn ich dann nicht darauf reagiere, mir keine Sorgen und kein Theater draus mache, kann das als karmische Reinigung verstanden werden. Es wird aber keine karmische Reinigung sein, wenn ich ein riesiges Theater draus mache. Ich erzeuge
sogar noch mehr Karma, mehr Krankheit. Es ist nicht so, dass Krankheit stets die Reinigung von Karma
wäre – Krankheit ist per se die Manifestation von Karma und man kann vielleicht sagen, dass sich im
Kranksein karmische Kräfte erschöpfen. Ich halte es aber nicht für angebracht von „Reinigung“ zu spre-
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chen, denn ob unter dem Strich eine karmische Reinigung herauskommt, also mein karmischer Gesamtballast leichter wird, hängt sehr davon ab, wie ich mit der Krankheit umgehe. Das gilt für alle Leidenszustände.
Frage: Woher stammt eigentlich unser enormes Interesse an dem, was nach unserem Tode passiert? Ich
könnte ja auch sagen, ich gebe mich jetzt ganz der Ungewissheit hin, ich sterbe und dann sterbe ich eben.
Aber in uns ist ja eine enorme Neugierde. Sind das Angstverminderungsversuche oder was ist das?
Lh.: Es ist die Angst vor der Nicht-Existenz des Ichs. Es ist dieselbe Angst, die Leute davon abhält,
Dharma zu praktizieren. Das ist unsere grundlegende Angst. In den Retreats merken wir das, wenn Leute
zusammenkommen, die ohnehin schon motiviert sind, Dharma zu praktizieren. Aber die Fähigkeit, sich
zu entspannen in der Meditation, ist sehr von dieser Angst eingeschränkt – kaum dass sich authentische
Entspannung einstellen will, beginnt wie ein Zucken, ein Erschrecken, das im Organismus spürbar ist, z.T.
begleitet von körperlichem Zusammenzucken – die Abwehrmechanismen des Ich-Anhaftens werden so
schnell aktiviert, dass es z.T. Jahre braucht, um sich von diesem Reflex zu lösen, nur ja nicht zu tief loszulassen. Existiere ich noch oder existiere ich nicht? Gibt es eine Sicherheit, gibt es keine Sicherheit?
Frage: Wenn ich nicht mehr existierte, das wäre doch sehr schön. Wenn ich in einen großen Strom wieder
eintauche. Was immer mit mir passiert, ich lege meinen Geist in Gottes Hand.
Lh.: Das könnte auch für Dharma-Praktizierende eine Antwort sein: Ich freue mich, nicht mehr in diese
Welt des Haftens, der Verkörperung und des Ausgeliefertseins zurückzukehren. Das ist der Ort, an dem
ich mich auch schon jetzt tief entspannen kann, im Aufgehen im Namenlosen, im nicht mehr Benennbaren. Keine Angst vor dem Nichtsein. Diese tiefe Entspannung, dieses tiefe Vertrauen ist es, was DharmaPraktizierende dann letzten Endes entspannen lässt, völlig problemlos.
Frage: Könnte man sagen: Dharma praktizieren ist Suizid des Ichs?
Lh.: Man kann das vielleicht schon sagen, aber wer hat das Ich je gefunden? Es gibt ja gar kein Ich. In
dem ganzen Prozess, den wir da vorhin gesehen haben, da gibt es kein Ich. Es ist in jedem Moment des
Prozesses möglich, das alles als illusorisch zu erkennen. Wir haben jederzeit Zugang zum ursprünglichen
Gewahrsein. Nichts von dem, was wir erleben, ist getrennt vom ursprünglichen Gewahrsein, weil dieses
die Basis ist. Wenn wir unser Erleben mit der Basis verbinden, besteht die Möglichkeit zu erkennen, dass
jeder einzelne Geistesmoment von der Natur des ursprünglichen Gewahrseins ist.
Frage: Wenn man die Eindrücke hochkommen und sich auflösen lässt, indem man sie als illusorisch erkennt, das reinigt sie natürlich. Aber in der Praxis ist es ja so, dass erschütternde Situationen geschehen,
auf die wir mit Abwehr usw. reagieren. Dabei muss ein Praktizierender dann auch lernen, geduldig mit
sich umzugehen und sich Raum zu geben. Aber wo ist die Grenze zwischen Geduld und Raum geben und
wieder neues Karma entstehen zu lassen, weil man zuviel Raum gibt.
Lh.: Der Unterschied liegt hier zwischen dem verwirrten Geist und dem unendlichen, dem entspannten,
klaren, ruhigen Geist. Die gewöhnliche Reaktion ist eine Emotion, eine emotionale Spirale… (zeichnet)
Wenn wir beim Aufsteigen von Eindrücken aber Raum geben, indem wir uns öffnen, dedramatisieren,
dann erzeugen wir kein Karma von Verwirrung, sondern ein Karma von Geistesruhe. Und wenn man das
nicht kann und das Raum geben darin besteht, sich den Gedankenketten hinzugeben, dann geht die Verwirrung halt weiter und nimmt zu. Aber wenn du es schon schaffst, dass die gewohnte Riesenspirale emotionaler Reaktionen ein bisschen kleiner wird, bist Du bereits einen Schritt weiter, und wenn du dem Muster das nächste Mal begegnest, wird die Spirale noch ein bisschen kleiner und kürzer, dann noch ein bisschen (zeichnet) – Du wirst vertrauter mit dem Entspannen dieser Reaktionsmuster und allmählich gelingt
es Dir, diese aufkeimenden, aufspringenden Gedanken recht früh zu entspannen, bis du sogar dahin
kommst, schon den ersten Gedanken entspannen zu können. Diese Arbeit müssen wir leisten.
Frage: Reicht es, die Emotionen einfach nur zu sehen, ohne darauf zu reagieren?
Lh.: Ja, es reicht, aber das ist schwer. Wenn du die Meditation richtig anwendest, erzeugst du kein zusätzliches verwirrendes Karma, sondern du entschärfst laufend „Zeitbomben“ und nimmst Abstand davon, die
Kraft der emotionalen Energie weiter zu nähren.
Frage: Kann man das Reinigen von Karma beschleunigen? Es muss ja spontan vor uns auftauchen – ich
dachte, Tonglen wäre eine Technik dafür. Was für Praktiken gibt es?
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Lh. (deutet auf die Zeichnung): Bei den Bodhisattva-Praktiken, da sitzt man nicht nur auf seinen eigenen
Töpfen, sondern beschäftigt sich obendrein noch mit denen von anderen Wesen. Ein Bodhisattva öffnet
sich dem Leid aller Wesen, geführt durch eine bestimmte Methode. Und das schwemmt sehr stark in sein
eigenes Bewusstsein die Geisteseindrücke ein, die mit diesem Leid in Verbindung stehen. Wenn ich mich
der gewalttätigen Eigenschaft eines Menschen öffne, schwemmt das in meinem eigenen Bewusstsein alles
hoch, was bei mir mit Gewalt zu tun hat. Ich muss mich dem öffnen, um dem Menschen mein Herz zuwenden zu können. Das Bodhicitta bewirkt wie ein Magnet eine Beschleunigung des karmischen Prozesses und so bin ich auf geschickte Art und Weise aktiv und stimuliere Karma – ich sitze nicht nur und warte.
Und wenn ich zudem noch mit Vajrayana-Methoden arbeite, indem ich Mantra, Mudra und Visualisation
zur Anwendung bringe, die drei Ebenen der Praxis, z.B. wenn ich Tschenresi visualisiere, dann aktiviert
das noch zusätzlich bestimmte Geistesfaktoren. Dabei werden teilweise die heilsamen Faktoren bewusst
verstärkt und teilweise aktiviert die Praxis auch, wegen der Gegenreaktionen, die gegenteiligen Faktoren.
Der Vajrayana-Weg ist deshalb so ein schneller Weg, weil viele kraftvolle Methoden zur Verfügung stehen,
diese karmischen Töpfe zu aktivieren. Schaut Euch die friedvolle Form von Tschenresi an und die zornvolle Form Mahakala – das ist ein großer Unterschied, weiß und schwarz. Auf diese verschiedenen Manifestationen des ursprünglichen Gewahrseins zu meditieren aktiviert natürlich auch verschiedene Energien
in uns. Obwohl beide Meditationen friedvoll sind, sind die Eindrücke, die durch weiß und friedfertig oder
schwarz und zornvoll stimuliert werden, natürlich verschieden. Auch die unterschiedlichen Klänge verschiedener Mantras aktivieren unterschiedliche Energien.
All dies spielt eine Rolle, um den Geist zur vollen Integration zu führen. Die geistige Integration, die wir
aus psychologischer Sicht Psychosynthese genannt werden kann, verstehe ich hier eher als das Aufsteigen
und Befreien von karmischen Impulsen, den Folgen früherer Handlungen, und nicht als das Integrieren
verschiedener als existent angenommener Persönlichkeitsanteile. Psychologie und Dharma gemeinsam ist,
dass ich zunächst die Muster erkennen und akzeptieren muss, bevor ich sie loslassen kann. Im Dharma
geht es halt immer um dieses Loslassen und Nichtidentifizieren und nicht so sehr darum, mich mit ungeliebten Tendenzen anzufreunden. Solange ich Impulse, Muster nur wahrnehme und mich mit ihnen anfreunde, haben sie noch eine gewisse Macht. Wenn ich sie aber in ihrer Natur erkenne und dadurch loslasse, verlieren sie ihre emotionale Kraft.
DD: Vielleicht müsste man beifügen, dass die Emotionen nicht ein für alle Mal gereinigt werden. Sie werden erst einmal für kurze Zeitperioden aufgelöst, aber wenn sie eine Gewohnheit sind, können sie wieder
kommen.
Lh.: Ja, das ist der Unterschied zwischen einem einzelnen Karma und einem Muster. Um ein einzelnes
Karma aufzulösen, ist das einzelne Erkennen seiner Natur ausreichend. Aber um den ganzen Topf zu
leeren, ist das Auflösen einzelner karmischer Eindrücke nicht genug. Da sind ja noch verwandte Eindrücke und die müssen millionenfach aufgelöst werden im Geist, um erschöpft zu werden. Die Meditation ist
kein kurzer Weg, sondern alle Eindrücke müssen hochkommen.
Wenn der Bodhisattva wiederkommt, nachdem er seine Praxis zu Vollendung gebracht hat, dann kommt
er nicht mit der selben Art von persönlichen Töpfen wieder. Sein persönliches Speicherbewusstsein ist
gefüllt mit vielen heilsamen Eindrücken, aber er hat keine verwirrende Energie aus eigenem Karma mehr
zu behandeln und er kann sich voll und ganz dem Menschen zuwenden, dem er gerade begegnet.
Schleier entstehen, bildlich gesprochen, wenn diese Töpfe so sehr brodeln, dass sich hier Wolken bilden…
(zeichnet) … Bei normalen Menschen sind die Töpfe so stark angeheizt, dass wir viele Schichten von
Schleiern haben. Und diese Schleier können wir nur auflösen, indem wir uns entspannen. Das geht nicht
anders, wir müssen loslassen. Wir müssen mit dem Schleier arbeiten, der gerade am aktivsten ist.
Frage: Als Psychotherapeut sage ich mir: Klasse, als Verhaltenstherapeut geht es nicht darum zu analysieren, die aufsteigenden Impulse aufzugreifen oder durch die entsprechenden Methoden, klassische bzw.
operante Konditionierung, auszulösen. Und auch bei der klassischen Analyse auf der Couch geht es ja
darum, dass der Klient sich aufmacht – und wenn die Assoziationen und Emotionen kommen, soll ja auch
nicht darauf reagiert werden. Der Therapeut hat die Anweisung, wie eine Wand zu sein und nicht weiter
auszulösen. Toll, und trotzdem gibt es da noch einen Unterschied. Was ist jetzt genau dieser Unterschied?
Es geht auch um die Methoden und die hören sich ja doch recht ähnlich an. Was unterscheidet jetzt diese
weltlichen Methoden von dem, was im Dharma gemacht wird?
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Lh.: Das Gemeinsame besteht darin, dass die Haltung des „Sich-nicht-verwickeln-lassens“ dazu führt, dass
sich die Muster auflösen. Der Unterschied ist, dass diese emotionalen Wolken im Dharma von Anfang an
als illusorisch erkannt werden. Es wird ihnen keinerlei echte Wirklichkeit beigemessen, d.h. du brauchst
dich mit ihnen gar nicht zu beschäftigen. Und der Lama, zu dem du gehst, der lässt sich von den Schleiern
nicht beeindrucken. Er zeigt dem Schüler, wie er mit dem Geist so umgehen kann, als wären diese Schleier
im Grunde gar nicht da. Trotz der Schleier kann er mit seinem ursprünglichen Gewahrsein Kontakt aufnehmen. Die immense Präsenz des ursprünglichen Gewahrseins ist wie eine aufgehende Sonne und die
Wolken haben keine Chance. Du brauchst dich nicht mehr mit jeder Wolke einzeln zu befassen. Die Kraft
des erleuchteten Gewahrseins, die im Bewusstsein zunimmt, wird alles austrocknen, was an Dunst und
Dampf und Sonstigem dort auftaucht. Das ist der Unterschied. Der Unterschied hängt mit der Leerheit
zusammen. Das ist der springende Punkt. Man beschäftigt sich nicht mit den Inhalten, sondern mit der
Natur der Erscheinung.
Frage: Ja, das ist mir schon nachvollziehbar. Aber ich kann doch nicht sagen, so wir kümmern uns jetzt
nicht mehr um die Inhalte – Du setzt dich jetzt da hin und ... (Lachen) ... ich will das doch noch genauer
wissen. Was du gesagt hast mit der Präsenz, die versuche ich ja auch zu nutzen. Bekommt Präsenz eine
andere Qualität, wenn ich eine Dharmaübertragung bekomme oder ein Drei-Jahres-Retreat mache?
Lh.: Der Aspekt der Übertragung besteht darin, dass von einem erfahrenen spirituellen Lehrer auf der
tiefsten Ebene deines Speicherbewusstseins eine Verankerung vorgenommen wird. Dies ist eine symbolische Übertragung, die nicht mehr begrifflich ist. Bei einer Einweihung ist ja nur ein ganz kleiner Teil begrifflich, der Rest ist non-konzeptuell. Da werden dann Verankerungen vorgenommen, Bahnen geschaffen
zu deinem ursprünglichen Gewahrsein, so dass es dann sehr viel leichter ist, dazu Zugang zu finden. Der
Lama, der dir die Vase auf den Kopf setzt und mit uns den Prozess der Ermächtigung durchläuft, sagt im
Grunde jedes Mal: „Du bist ein Buddha, glaube nicht an dein Ich.“ Und das wirkt in das ursprüngliche
Gewahrsein hinein, das ist jedes Mal eine Verankerung, immer tiefer und tiefer. Der Lama ist selbst eins
mit dem ursprünglichen Gewahrsein und so ist Übertragung keine konzeptuelle Verankerung, die durch
das intellektuelle Denken geschieht. Es ist, wie wenn aus der völligen Offenheit und Entspannung des
Meisters völlige Offenheit in uns aktiviert wird. In unserem Bewusstsein speichern wir etwas ab, dass uns
später daran erinnert: Da war doch etwas – ich kann es gar nicht in Worte fassen, was da war ... usw.
Frage: Was ist mit den evozierenden Techniken, wo du therapeutisch aufdeckst?
Lh.: Alle kathartischen, alle evozierenden Methoden heizen die Töpfe an. Da musst du wissen, wie du
damit umgehst, z.B. bei Missbrauchserlebnissen, Aggressionshemmung, Depressionen. Wenn sich die
Wolken der angeheizten Töpfe nicht verdichten, durch Loslassen, durch ermunternden Zuspruch, was
auch immer – so kann das auch zu Erkenntnis und zu Verständnis führen im Sinne von Weisheit – Psychotherapie stärkt ja auch die Weisheit.
Frage: Wir können dann also sagen, wir heizen die Töpfe gezielt an.
Lh.: Diese therapeutischen Methoden haben aber einen Haken. Ein wichtiger Haken bei vielen Methoden
ist, dass sie künstlich sind. Sie entspringen nicht der Situation selbst, sondern sind eine auf sie angewandte, manchmal recht aufwendige Methode. Sie fügen der Situation etwas hinzu, meist braucht es z.B. die
Anwesenheit eines Therapeuten. Alle Dharma-Methoden versuchen, die Situation so einfach wie möglich
zu halten. Die meisten werden ohne Fremdhilfe angewandt.
Im Dharma legt man auch Wert darauf, dass es, wenn man mit einer Methode arbeitet, wenig Anstrengung
braucht, um sie in einer unerwarteten Situation zu aktivieren. Das ist so, als ob du z.B. mit einer FocusingMethode schon so oft gearbeitet hast, dass sie dir von selber ins Bewusstsein kommt, egal in welcher Situation du bist.
Die eigentlichen Dharma-Methoden , wie z.B. das Meditieren auf den Atem, sind sehr einfach und gipfeln
in den Instruktionen über die Natur des Geistes, Mahamudra, wo wir eigentlich gar nicht mehr von Methoden sprechen können, sondern eher von einer Sichtweise, dem Entwickeln einer Geisteshaltung. Dabei
handelt es sich um einen völlig direkten Umgang mit dem auftauchenden Material, ohne dass Methoden
dazwischengeschaltet werden. Das ist der eine wichtige Unterschied. Der andere ist, dass im Dharma,
obwohl ich Euch gegenüber viele Worte benutze, möglichst ohne Begriffe, ohne das Einschalten eines
starken Intellekts, gearbeitet wird. Das ist auch ein wichtiger Punkt. Wir müssen den Intellekt entlasten,
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denn er ist es, der sich immer wieder verwirrt. Meditation muss zu einer Entlastung statt zu einer Stärkung
des Intellekts führen.
DD: Auch im Dharma werden viele Methoden angewendet. Der eine Aspekt ist die Mahamudra-Praxis,
auf den du da gezielt hast, aber wenn bei uns Leute lernen, Tibetisch zu rezitieren und Pudjas auszuführen, könnte man das auch als künstlich bezeichnen.
Lh.: Das ist es ja auch.
DD. Und dieser Aspekt des „Sich-vertraut-machens“ mit Methoden usw., wenn es um Heilung und karmische Reinigung geht, könnte man vielleicht sagen, dass es sinnvoll oder gut sein könnte, eine Umgebung
von geistiger Gesundheit zu schaffen, in der dieses Entspannen möglich wird. Das ist ja auch, was man in
Therapie versucht.
Lh.: Ja, ich sagte bereits, dass wir speziell im Vajrayana viele Methoden anwenden, aber diese Methoden
werden so oft angewendet, dass sie sehr natürlich werden – wir machen 111.111 Verbeugungen und nicht
nur 10 oder 20. Zudem sind alle Methoden im Dharma so ausgetestet, dass man sie unbegrenzt häufig
anwenden kann und sie zu keiner Störung führen, was man nicht unbedingt von psychotherapeutischen
Methoden sagen kann.
Frage: Gehören diese vielen Methoden zum Pfad der heilsamen Anwendungen oder zum Pfad der
Vollendung?
Lh.: Je weiter du auf den fünf Stufen vordringst, desto weniger Methoden brauchst du. Wenn du bei der
letzten, kurz vor der Vollendung, ankommst, brauchst du keine mehr. Die Methoden sind wichtiger am
Anfang des Weges.
DD: Bei Ferenci habe ich kürzlich gelesen, dass er beim Umgang mit Depressiven versucht hat, eine Übung für die depressive Person zu finden, auf die sich dann diese Person ganz konzentriert. Zum Beispiel
ließ er die Person ihm einen Text vorlesen, um dann über diesen Text zu sprechen. Also da sehe ich, dass
der Dharma bereits ganz viele Möglichkeiten hat, mit dem „Sich-Konzentrieren“ auf Übungen über die
Situation hinaus zu kommen und nicht darin zu verweilen.
Noch ein Unterschied zur Therapie ist, dass in Therapien ein Zeuge da ist. Oft haben wir es mit Leuten zu
tun, die nicht die Fähigkeit haben, sich selber hinzusetzen und den Buddhas ein Gebet vorzulesen. Wenn
sie das später können, dann brauchen sie die Therapie nicht mehr.
Frage: Es gibt therapeutische Methoden, die an sich nicht heilsam sind, die aber hilfreich sein können,
wenn sie mit gewissem Gewahrsein, mit Energie gefüllt sind – z.B. eine Person, die wütend ist und diese
Wut dann ausdrückt, haut nicht auf die Mutter ein, sondern auf die Matratze – oder Trancetechniken. Sie
werden damit gerechtfertigt, dass man sagt, man wisse ja , was man tut. Ich bezweifle aber, ob auf diese
Weise nicht heilsame therapeutische Techniken wirklich heilsam werden ...?
Lh.: Das ist ein wichtiger Punkt. Ich kann mich fragen, was passieren würde, wenn ich diese Methoden
ständig ausführen würde. Dann zeigt sich sofort, dass diese Methode nur einen ganz begrenzten Anwendungsrahmen hat, weil sie sonst zu einer Verstärkung von nicht-heilsamen Tendenzen führt.
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Anhang 12: Gestalttherapie (Irma Dockter)
Ich stelle mir vor, dass ich Euch erst ein bisschen über Gestalttherapie erzähle und wir dann noch so eine
Art Übung machen.
Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie, hat die Theorie ziemlich vernachlässigt. Er war mehr daran
interessiert, die Gestalttherapie mit anderen zu teilen. Später hat er Kollegen gehabt, die den theoretischen
Überbau gemacht haben. Er und seine Frau waren Analytiker in Deutschland, Juden, und sie sind Anfang
der 30iger Jahre emigriert, erst nach Südafrika und über Südafrika nach Amerika, zunächst an die Ostküste.
F. Perls hat in New York am Institut keine Anerkennung gefunden, weil – ich weiß nicht genau – vielleicht
weil die Ausbildung nicht vollständig war. Er hat dann freie Analysen durchgeführt und begann auch, das
Setting zu verändern. Man saß sich gegenüber - nicht mehr so, dass der Analytiker hinter der Couch sitzt
und der Patient liegt. Er war ein sehr kreativer Mensch mit vielen Ideen und viel Oppositionsgeist. Diese
Ideen trieben ihn weiter, und er ging dann irgendwann an die Westküste. Es heißt immer, dass seine Frau
die Analysen z. B., die er abgebrochen hat, zu Ende geführt hat. Also sie war wohl diejenige, welche die
Qualität der Zuverlässigkeit hatte.
Er hat dann in den 60er Jahren an der Westküste in Kalifornien für die damalige Zeit recht spektakuläre
Sitzungen abgehalten. Und von da stammt die Bezeichnung des „heißen Stuhls“. Ihr müsst Euch vorstellen, dass er also eine Zuhörerschaft hatte; die Gruppe war mehr wie eine Zuschauerrunde. Er hat dann hat
einen Stuhl vor sich hingestellt und gefragt: „Wer will mit mir arbeiten?“ Und es fand sich auch immer
jemand Mutiges, der mit ihm gearbeitet hat. Ein Merkmal dieser Arbeit war, dass Perls eine sehr gute Begabung hatte, im Gespräch das Gegenüber auf den Kern seiner Problematik zu bringen. Er hatte einen
intuitiven Blick, vor allem für die Körpersprache. Und er brachte die Körpersprache in Zusammenhang
mit dem, was die Leute ihm verbal mitteilten. Das passte oft nicht zueinander, und er machte dann oft auf
die Körpersprache aufmerksam. Wenn jemand z.B. sehr sanft sprach und gleichzeitig seine Faust ballte,
hat er ihn darauf hingewiesen: „Was macht denn jetzt deine Faust? Was sagt sie?“ Dann kam diese Seite
seines Lebens zum Tragen.
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Das war spektakulär, denn bisher hatten Analytiker auch in Amerika nicht auf diese Art und Weise gearbeitet. Wer sich für die Anfänge der Gestalttherapie interessiert: Es gibt ein Bucht, das heißt „Gestalt in
Aktion“, und es gibt auch Videos darüber, wie er gearbeitet hat. Er saß dann da, Zigarette rauchend, und
bezeichnete sich selbst als den „old ugly man“. So ein typischer Vertreter der 68iger in Amerika.
Als er älter wurde, ging er nach Kanada und wollte dort zusammen mit dem Sozial-Philosophen Goodman etwas kreieren, und die beiden schafften es auch. Sie hatten den Kibbuz als Vorbild – kleine Gruppen, kleine Dörfer kann man sagen, von Menschen, die zusammen leben und zusammen GestaltSelbsterfahrung machen. Und er hoffte, in diesen kleinen Zellen die Gesellschaft zu verändern. Die Idee
ist wunderbar! Über eine persönliche Veränderung kleine Zellen von gesellschaftlicher Veränderung schaffen. - Gemurmel der Zustimmung - Ich weiß nicht, wie lange das gehalten hat. Er ist dann auch in Kanada
gestorben. Ich glaube, das Projekt ist nicht weitergeführt worden, ohne ihn, mit seiner Fähigkeit zu begeistern.
Einige Aspekte aus der Theorie und Praxis finde ich auch für spirituelle Wege von Belang, z. B. den Slogan: hier und jetzt. Der war durch die Gestalttherapie in die Psychoszene hereingekommen. Das Hier und
Jetzt bedeutet, ganz gegenwärtig zu sein. So wie ich es verstanden habe, bezieht er es vor allem auf den
Kontakt mit dem anderen Menschen, so wie er es ja auch demonstriert hat, und da war er sehr direkt.
Integer sein, echt sein, jetzt im Moment, benennen, was jetzt im Moment ist. Das kann im nächsten Moment wieder anders sein. Sehr prozessorientiert: Jetzt ist es so, gleich ist es anders. Er hatte ein großes
Vertrauen in die Dynamik des gegenwärtigen Augenblicks. Man weiß nie, was um die Ecke gleich anders
ist. Es gibt ein Zitat, ich glaube es ist von ihm: „Don’t push the river, it flows by itself.“ – Begleite den
Fluss, schiebe ihn nicht. Obwohl er gepusht hat. Aber ich denke, er hatte ein großes Vertrauen in die
Selbstheilungskräfte des Menschen – sehr positiv. Dass wir alle dazu drängen, uns heilen zu wollen, wo
immer und wie auch immer. Und er hatte auch ein Gespür für Ehrlichkeit. Sei mal ehrlich: Was ist denn
jetzt mit dir und mir. Auf diese ganz direkte Art hat er Dinge herausgelockt. Aber das kann auch ein
Nachteil sein, weil es eine ziemliche Ich-Stärke voraussetzt. Man musste schon ziemlich selbstbewusst
sein, um ihm gegenüber zu treten. Das war dann auch in der Folge eine Kritik an der Therapie-Methode:
Was ist mit Patienten die das nicht können, die Angst vor ihm haben. Oder: Wie können BorderlinePatienten auf so eine Art therapiert werden? Das geht ja nicht.
Am Perls-Institut wo ich gelernt habe, weicht die Ausbildung auch etwas von der klassischen Gestalttherapie ab. An unserem Institut nehmen wir schon Rücksicht auf andere Analytiker. Es gibt da auch eine
Verbindung zu Ferenci, der mit ganz frühen Störungen gearbeitet hat. Da geht es dann nicht mehr um die
Konfrontation, sondern ich würde es fast ein Nachlernen nennen. Wie gehe ich damit um, wenn tatsächlich ein Mangel erkennbar ist? Ich denke, das geht über die Gestalttherapie hinaus.
In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff der „awareness“ wichtig. Eine sehr geschulte „awareness“
geht ja in unseren Begriff der Achtsamkeit hinein. Von Moment zu Moment wahrnehmen lernen: „Wie
geht es jetzt mit mir und was mache ich daraus? Wie geht’s jetzt weiter.“ Ich denke, es ist gröber als die
Geistesfaktoren, die du beschrieben hast, aber es ist darin durchaus enthalten. Awareness ist ein Kontinuum.
Ja, ich lasse es jetzt mal dabei. Das sind einige Schwerpunkte in der Gestalttherapie, wo es nach meiner
Einschätzung Annäherungen gibt zu unserem spirituellen Weg. Mein eigener Standort: Ich habe Kontakt
1980 zur Gestalttherapie bekommen, und er hat mich am Anfang ziemlich erschüttert. Ein Jahr später
habe ich dann angefangen, sie selber zu lernen, in einem anderen Kontext. Ich habe das dann 6 Jahre gelernt, und wie ich da so hineingewachsen bin, fing ich an, es auch weiterzugeben. Wo bin ich jetzt? Wie hat
sich die Methode entwickelt, wie wende ich sie heute an, wie hat sie sich verändert? Ich kann’s nicht so
genau schildern. Ganz sicher ist dieses Provokante noch manchmal in mir, aber es hat sich gemildert, denke ich. Ich werde im nächsten Jahr 60 und merke, dass ich diese Arbeit auf der therapeutischen Ebene
verlassen will. Ich werde in der Eheberatungsstelle, in der ich arbeite, kündigen. Und irgendwie geht mein
eigener Weg in eine Zurückführung, wie auch immer. Wenn ich helfen will, will ich es irgendwie anders
tun. Ich weiß noch nicht genau, aber ich glaube, dass ich mit dieser Art der Hilfe aufhören will, und das ist
auch gut so. Ich habe mit Dordje Drölma hier eine Woche gearbeitet, und da ist es mir ziemlich klar geworden. Mit Gestalttherapie arbeite ich immer noch, sie macht mir immer noch Freude im Sinne, dass ich
etwas bewirken kann.
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Ich beschreibe noch einmal, wie die Methode konkret aussieht, damit diejenigen, die sie gar nicht kennen,
sie sich vorstellen können. Man kann mit Einzelpersonen arbeiten und mit vielen Arten von Themen und
Problemen. Man kann auch mit Paaren arbeiten – ich arbeite auch in der Eheberatungsstelle mit Gestalttherapie. Bei Einzelpersonen arbeitet man häufig nicht mit dem heißen Stuhl von F. Perls, sondern mit
dem leeren Stuhl. Ein Klient erklärt uns sein Problem, und dann nimmt man einen Stuhl dazu, der als
Projektionsfläche dient. Zum Beispiel sagt jemand: „Ich arbeite furchtbar viel, ich will davon loskommen.
Ich war schon beim Arzt, der hat gesagt, sie müssen reduzieren; aber ich kann das nicht.“ Dann kann man
jede Teilpersönlichkeit - diese würde ich jetzt einen Arbeitsantreiber nennen („du musst fleißig sein“) - auf
den leeren Stuhl setzen. Und jetzt beginnt der Dialog, den man normalerweise innerlich ablaufen lässt und
wird nach außen projiziert. Der Antreiber sagt: „Der einzige Sinn des Lebens ist Arbeit – du kannst doch
hier nicht rumfaulenzen.“ Dann geht es wieder zurück zum Klienten, der sagt: „Aber mein Körper sagt
mir das und das, und der Arzt hat das auch schon gesagt.“ Dann wenn die andere Seite sich innerlich wieder meldet, kann man den Stuhl wechseln. So geht der Dialog hin und her bis sich irgendwann ein
Schwerpunkt herausstellt. Nicht so sehr nach dem Motto: wer siegt, sondern eher: wo geht es wirklich
lang, verändert es sich? Oder es findet sich kein Kompromiss und geht darum wer siegt. Da sind die
Selbstheilungskräfte am Werk, die Frage: Was tut mir wirklich zutiefst gut? Im günstigsten Falle - ich interveniere ja auch in diese Richtung – kann man dann die Entscheidung fällen: „Ich muss nicht mehr so viel
arbeiten“, der Antreiber wird kleiner. Man fragt auch: Wie sieht der Antreiber denn aus? Der kann dann
schrumpfen oder er wird wütend, denn er hat keine Daseinberechtigung mehr. Man kann diese Rollenspiele fortführen, in der Vorstellung oder mit dem Stuhl, bis der Antreiber sich ganz verkrümelt. Oder
vielleicht geht er nicht ganz weg, weil man ihn noch braucht……
In der Paartherapie gibt es keinen leeren Stuhl, sondern zwei Stühle. Ich möchte euch jetzt einen Fall von
Konfliktbearbeitung vorführen. Dazu habe ich ein Paar eingeladen, das zu mir kam und sagte, es brauche
Hilfe. --- (Hierauf folgt die Vorführung der Eheberatung mit Lhundrup und Dordje Drölma)
Anhang 13: Die Praxis des Lodjong in therapeutischem Handeln (L. Dorje Drölma)
„Lodjong“ könnte aus tibetisch buddhistischer Sicht als die Grundhaltung des therapeutischen Handeln
bezeichnet werden. „Lo“ heißt Geist und „Djong“ bedeutet Üben. Somit geht es hier um die Schulung des
Geistes, der geistigen Sichtweise, wie wir mit uns und anderen in Beziehung treten. Das Schulungssystem
des „Lodjong“ ist in allen tibetisch-buddhistischen Schulen bekannt und war in Tibet weit verbreitet als
eine Möglichkeit, Mitgefühl und Weisheit ganz unmittelbar und praktisch im Alltag anzuwenden. Es gibt
dazu verschiedene Kommentare und Übungs-Zusammenfassungen. Die bekannteste davon ist die Geistesübung in sieben Punkten „Der Pfad des Erwachens“ von Jamgon Kongtrul. Darin werden viele Erklärungen und Merksätze zur erleuchteten Geisteshaltung (Bodhicitta) auf relativer und absoluter Ebene
vorgestellt. Das Lodjong Geistestraining gibt uns die Möglichkeit, die sechs befreienden Qualitäten, über
die wir bereits gesprochen haben, tatsächlich anzuwenden.
Die Hauptaussage des Lodjong „Alle Niederlagen zu mir, alle Siege den anderen“ ist sehr revolutionär und
kraftvoll. Sie läuft unserer üblichen, vertrauten Lebenshaltung völlig entgegen und fordert uns auf, unsere
starre, ichbezogene Grenze zu öffnen. Wenn wir den Wunsch verspüren diese tiefgründige Methode in
der therapeutischen Praxis anzuwenden, ist es deshalb wichtig, von einem erfahrenen Lehrer oder einer
Lehrerin, die selbst Lodjong praktizieren die Einzelheiten erklärt zu bekommen. Vermutlich haben sich
einige von Euch bereits mit den Unterweisungen zu dieser Lodjong-Geistesübung befasst. Im Rahmen
dieses Kurses haben wir auch nicht die Zeit tiefer darauf einzugehen. Ich möchte Euch jedoch einen kleinen Überblick geben.
Zu den sieben Punkten der Geistesübung gehören viele markante Merksprüche, die auf ganz alltägliche
Situationen eingehen. Es sind 59 Merksprüche, die in sieben Punkte, wie: Vorbereitung, Hauptpraxis,
Umwandlung widriger Umstände etc. unterteilt sind. Vielleicht können jene, die diese Übertragung schon
erhalten haben, Merksprüche nennen, die ihnen spontan in den Sinn kommen?
Folgende Merksprüche wurden genannt:
- Mach kein Aufheben von Deinen Anstrengungen
- Überprüfe Deine Einstellungen, aber bleibe natürlich
- Erwarte keinen Dank
- In der Nachmeditation verhalte Dich wie ein Magier.
- Amüsiere Dich nicht über verletzende Bemerkungen.
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Damit erhalten wir einen anschaulichen Eindruck, welche Qualitäten im Lodjong bewusst geübt werden:
Zurückhaltung, Natürlichkeit, Gelöstheit und Leichtigkeit. Mit diesen Merksprüchen wird als erstes das
begriffliche Denken unseres Verstandes angesprochen. Je nachdem, was wir für einen Hintergrund haben,
interpretieren wir diese Merksprüche natürlich so oder so, vor allem wenn wir sie zum ersten Mal hören.
Deshalb brauchen wir detaillierte Erklärungen und den Austausch mit erfahrenen Praktizierenden, um
diese Übung tatsächlich in unser tägliches Handeln und Sein integrieren zu können.
Das Üben mit Merksprüchen bildet also die Hauptpraxis des Lodjong, die sich mit dem Üben der erleuchteten Geisteshaltung (Bodhicitta) in ihrem relativen und absoluten Aspekt in allen Lebenslagen einschliesslich des Sterbeprozesses befasst.
Dieses Üben findet einerseits auf dem Meditationskissen statt und andererseits in der Nachmeditation der
unmittelbaren Alltagssituationen.
Zur Hauptpraxis auf dem Kissen gehören die Atemmeditation und die Tonglen-Meditation des Gebens
und Annehmens. Die Atemmeditation steht mit dem absoluten Bodhicitta des ursprünglichen Gewahrseins in Verbindung und die Tonglen-Meditation mit dem relativen Bodhicitta von Liebe und Mitgefühl.
Wir wenden uns jetzt kurz der Tonglen Meditation zu: „Len“ bedeutet Annehmen, „Tong“ Geben. Das
bezieht sich darauf, die Niederlagen, das Schwierige und Schmerzhafte, das Ungewollte von uns selber
und allen anderen einzuatmen und anzunehmen. Das Gute, das Bereichernde und Inspirierende in unserem Leben geben wir großzügig mit dem Ausatem allen Wesen, einschliesslich uns selber. Dieses Nehmen
und Geben wird also im Wechsel mit dem ein- und ausfliessenden Atem praktiziert. Dabei erinnern wir
uns daran, dass die Übung selber traumhaft ist und illusorischen Charakter hat.
Das ist sozusagen eine Umkehrung des ständigen Ich-Anhaftens, das sich an allem festhakt, was unangenehm ist, und es dann aber verdrängt oder an allem, was angenehm ist, um es zu behalten. Diese Art der
Übung ist sozusagen eine Möglichkeit, dieses Festhalten zu entspannen und zu öffnen.
Diese ganze Tonglen-Meditation basiert auf dem Verständnis des ursprünglichen Gewahrseins. Deshalb
wird, wenn Lodjong Erklärungen gegeben werden, als erstes über dieses ursprüngliche Gewahrsein gesprochen, das absolute Bodhicitta, das uns hilft, nicht alles so tierisch ernst zu nehmen. Das heißt nicht,
dass wir dieses ursprüngliche Gewahrsein sofort selber direkt erfahren, sondern nur, dass wir uns dieser
Möglichkeit verstandesmäßig annähern und zu erkennen beginnen, dass nicht alles so fest ist, wie wir
meistens meinen.
Statt weiter darüber zu sprechen, möchte ich nun eine Tonglen-Meditation anleiten damit ihr eine direkte
Erfahrung damit machen könnt. Es ist eine Übung, die im zweiten Teil des Roten Fadens von Lama
Lhundrup detailliert beschrieben wird. Es ist durchaus möglich, auf diese Art und Weise schon selber zu
Hause zu experimentieren, auch wenn man noch keine volle Übertragung erhalten hat. Wenn man dann
spürt: „Das ist etwas, was mich sehr anspricht, da möchte ich weitergehen“, dann wäre es gut, mal an einem Kurs teilzunehmen, wo alle Punkte ausführlich erklärt werden.
Die Grundlage dieser Übung ist, dass wir zuerst uns selber annehmen müssen, wenn wir andere annehmen wollen. Wie ich es verstanden habe, ist das auch ein Grundprinzip, wenn es darum geht, therapeutische Methoden zu erlernen. Zum Beispiel begibt man sich in eine Lehranalyse bevor man selber als Analytiker arbeitet. Denn wenn man sehr von unbewussten inneren Konflikten hin und her geworfen wird, ist
es sehr schwierig, entspannt und gelöst mit anderen umgehen zu können. So beginnen wir auch in dieser
Übung immer damit, dass wir zuerst das Schwierige, die Sorgen, die Ängste, die uns belasten, einatmen
und aus der weiten Offenheit, des liebevollen Bodhicitta-Herzens heraus alles geben, wonach wir uns sehnen. Wir haben uns bereits damit befasst, dass Worte wie Liebe und Mitgefühl innerhalb eines großen
Spektrums verwendet werden können. Hier beziehen sie sich also auf die erleuchtete Geisteshaltung diesen Bodhicitta-Magneten.
Das absolute Bodhicitta ist die Grundlage für die Tonglen-Meditation. Sonst nehmen wir die Übung
plötzlich zu wichtig. Solange wir nicht ein gewisses Verständnis von diesem absoluten Bodhicitta haben, ist
es natürlich unerträglich, alle Leiden einzuatmen und alle Niederlagen auf uns zu nehmen. Normalerweise
wollen wir die Siege irgendwie für uns behalten. Wir würden gern erfolgreich sein und das Unangenehme
den anderen zuschieben. So wird der Schneeball des Unangenehmen immer weiter gereicht, bis eine richtige Lawine entsteht und man sich ständig fragt: „Bei wem oder bei was liegt denn die eigentliche Schuld“?
Generell suchen wir in Situationen, wo wir uns herausgefordert fühlen, wo ein Ungleichgewicht entsteht,
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nach dem Schuldigen – das ist eine sehr starke Tendenz in allen von uns. Und natürlich suchen wir auf
Grund unserer dualistischen Grundstimmung die Schuld irgendwo außen, beim Anderen. Es ist sehr
schwierig, auf diese Art und Weise in eine echte Entspannung hineinzukommen. Deshalb provoziert uns
die Lodjongübung mit der Aussage: „Die Schuld liegt immer bei uns.“
Das ist die Ausgangssituation, an der wir ansetzen. Dann ist es durchaus möglich zu entdecken, dass alles
von illusorischer, traumhafter Natur ist und dass es gar keine Schuld gibt. Diese Schuldfrage gibt es nur
innerhalb des begrifflichen Denkens, innerhalb der dualistischen Aufspaltung von Ich und Du. Um
schrittweise aus dieser enormen und schmerzhaften Spannung herauszufinden, beginnen wir mit den
Menschen in unserem Leben, die uns nahe stehen, mit denen wir zusammen wohnen oder zusammen
arbeiten. Wir beginnen zunächst damit, einfach wahrzunehmen, wann wir in diesen Mechanismus verfallen, die Schuld dem Anderen anzulasten. Und das bearbeiten wir dann schrittweise durch diese veränderte
Sichtweise. Ein großer Teil dieses Bearbeitens geschieht auf dem Sitzkissen, wo wir die Möglichkeit haben,
all diese Tendenzen des Festhaltens, des Ich-Anhaftens, die wir in uns entdecken anzunehmen und aus der
Buddha-Natur heraus uns zu leben.
Erklärung der Übung:
Die Übung beginnt wie immer damit, dass wir Zuflucht nehmen. Wir erinnern uns daran, dass es die
Buddha-Natur gibt, dass es jemanden gegeben hat, den Buddha, der dieses ursprüngliche Gewahrsein
kontaktiert und ganz und gar verwirklicht hat. Wir vergegenwärtigen uns, dass es einen Weg gibt, um diese
Transformation zu vollziehen, der zeigt, wie wir zu unserer Buddha-Natur, zu unserem ursprünglichen
Gewahrsein finden können – die Zuflucht zum Dharma. Um diesen Weg gehen zu können braucht man
eine Gemeinschaft, die bereit ist zu kommunizieren und zu unterrichten, die Hilfestellungen in Krisensituationen gibt und von der wir Unterstützung erhalten. Das ist die Zuflucht zur Sangha.
Als nächsten Schritt erinnern wir uns daran, dass wir Ängste und Spannungen loslassen können, da wir
eine Richtung gefunden haben, die authentisch ist und Sinn macht. So wird es für uns viel offensichtlicher,
wie andere in ihren Spannungen, Missverständnissen und Verwirrungen gefangen sind. Wir beginnen uns
zu wünschen, fähig zu werden ihnen zu helfen. Das ist das Erwachen von Bodhicitta. Dann entdecken wir,
dass es uns oft nicht möglich ist, anderen die Hilfe zu geben, die sie eigentlich bräuchten, weil wir noch
nicht geschickt genug sind in unserer Kommunikation. Deshalb ist es so wichtig, unseren eigenen Weg zu
vertiefen und auszuweiten, in dem wir die sechs befreienden Qualitäten anwenden.
Im zweiten Teil des Zufluchtsgebetes geht es um das Entwickeln und Wachrufen von Bodhicitta zum
Wohle von allen Wesen. Wir wünschen uns, Erleuchtung zu verwirklichen – nicht für unser persönliches
Vergnügen, sondern um fähig zu sein, anderen zu helfen.
Wir beginnen diese Meditation damit, dass wir für einige Momente mit einer sanften Achtsamkeit dem
Ein-und Ausfliessen des Atems folgen und uns an die traumhafte Natur von allen Erscheinungen erinnern. Danach praktizieren wir Tonglen, Geben und Annehmen, mit uns selber, solange wie es stimmig ist.
Zum Schluss lassen wir die Übung völlig los, erinnern uns nochmals an die Traumhaftigkeit von allem und
widmen dann das Positive, was natürlicherweise durch so eine Meditation entsteht dem Wohle von allen
Wesen.
Frage: In meiner Ausbildung zur Therapeutin wurde mir beigebracht, mich abzugrenzen. Ich hatte immer
ein mulmiges Gefühl dabei, es ging mir dabei nicht gut, aber ich habe erst einmal gemacht, was man mir
beigebracht hat. Ich habe gemerkt, dass ich unheimlich hart wurde, immer härter und auch verspannter,
bis ich mich entschieden habe: Das tut mir nicht gut – und dazu übergegangen bin, mich nicht mehr abzugrenzen, sondern aufzunehmen, was da zu mir kam, und damit ging es mir viel, viel besser. Ich konnte
klarer arbeiten und war selber nicht so verspannt.
Dordje Drölma: Therapeuten und Therapeutinnen auf dem Bodhisattva-Weg werden schrittweise fähig,
sich weniger abzugrenzen, da sich ihre meditative Fähigkeit kontinuierlich stabilisiert und vertieft. Das
ermöglicht ihnen sich geschickt mit ihren eigenen verborgenen karmischen Tendenzen, die durch Schüler
oder Klienten, die zum Beispiel ein grosses Gewaltpotential haben, aufgewühlt werden können, in Beziehung zu setzen und sie aufzulösen.
Ich vermute, dass deshalb soviel Wert auf Abgrenzung gelegt wird, um zu vermeiden, dass die Therapeuten durch den Kontakt mit Klienten plötzlich von ihrem eigenen negativen karmischen Potential überflutet werden.
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Aber hier geht es ja um eine ganz andere Sichtweise, um ein anderes Vorgehen. Da braucht es die Selbstverantwortung, sich auf sein Kissen zu setzen und seine Praxis zu vertiefen, weiter zu entfalten und alles,
was kommt, in dieser Offenheit aufzunehmen, zu entspannen und loszulassen. Oder vielleicht auch mal zu
sagen, jetzt nehme ich für eine Weile weniger Patienten und arbeite dafür im Garten.
Sondierende Frage von Lhündrup: Welche Methoden würdet ihr als Dharma praktizierende Therapeuten
heute nicht mehr durchführen?
Antwort: Ich habe früher Encounter Sessions mitgemacht und würde einen Teil dieser Encounter Interventionen, wo auf Wut- und Aggressionspotentiale eingegangen wird, heute niemandem mehr zumuten.
Antwort: Ich war Übersetzer für eine amerikanische Therapeutin in Bad Herrenalb und musste übersetzen, wie sie Patienten anschrie, um aus ihnen provokativ Wut- und Hassanteile herauszuholen. Das würde
ich heute nicht mehr machen. Ich würde heute warten, bis die Anteile stärker an der Oberfläche sind und
ich eine ganz leichte Intervention anwenden könnte. Wohlgemerkt – arbeiten mit Suchtpatienten usw. ist
nicht immer das Einfachste, aber in der Form würde ich es nicht mehr machen.
Dordje Drölma: Ich selber habe eine Primärtherapie, also diese Urschreitherapie gemacht. Es war Bert
Hellinger, der das in Deutschland angeboten hat und ich war für fünf Monate am Stück mit dabei. Das
ging sehr tief. Ich habe es mit meinem Freund zusammen gemacht. Wir haben nichts anderes gemacht als
das. Wir haben getrennt gewohnt und einmal am Tag fand eine offene Therapie statt. Das würde ich also
nicht mehr machen und er wahrscheinlich auch nicht. Während meiner Retreat-Zeit hatte ich den Eindruck, dass ich dadurch Muster geschaffen hatte, die ich nicht kontrollieren konnte und die meinem inneren Weg sehr abträglich waren. Es ging ja darum zu warten, bis innere Spannung hochkam und sie dann
auszudrücken – sich immer tiefer in sie hineinzufühlen und dann zu schreien, zu weinen, zu schlagen, etc.,
was halt kommt. Ich hatte das Gefühl, dass das subtile Energiesystem dadurch geschädigt wurde.
Jemand beschreibt, dass er am Anfang seiner therapeutischen Ausbildung zu seinem Vater gehen sollte um
ihm zu sagen: „Vater, ich liebe Dich“. Diese Art auf jemanden zuzugehen, kann genauso aggressiv sein
wie anschreien.
Antwort: Holotropes Atmen und schnelles Rebirthing – es ist nichts passiert, weil der Klient von selbst
aufgehört hat, aber aus der heutigen Sicht gesehen würde ich das nicht mehr wieder machen.
Antwort: Ich habe beim holotropen Atem sehr tiefe Erlebnisse gehabt, die ich nicht missen möchte – es
kommt darauf an, wo man es macht, wer es macht und wie man es macht. Es kann beim holotropen Atem vorkommen, dass jemand verrückt wird, aber das gibt es auch bei gruppendynamischen Prozessen.
Da kommt es auch wieder sehr darauf an wie es gemacht wird und wer es macht. Man kann mit der
Gruppe so langsam fahren, dass niemand gefährdet ist oder man kann mit der Gruppe so heftig fahren,
dass sie platzen muss. Es kommt auch auf die Gruppenmitglieder an. Es ist sehr schwer zu sagen, die eine
Methode sollte man nie anwenden. Obwohl es sehr wohl Methoden gibt, die ich nicht anwenden würde.
Antwort: Ich kann mich dem nur anschließen. Meiner Erfahrung nach liegt es nicht an der angewendeten
Methode, sondern am Kontext, in dem diese Methode angewendet wird. Auch eine weiche Intervention
kann schief gehen. Mir ist heute sehr viel wichtiger, eine sehr exakte Diagnostik zu machen, um dann im
individuellen Fall zu entscheiden, wie man vorgehen soll: Sind die Rahmenbedingungen gegeben, stimmt
es wirklich überein? Nicht jemanden in irgendetwas hineindrücken. Wenn man bestimmte Methoden beim
Borderliner in der Psychiatrie anwendet, sind sie sehr unheilsam, auch wenn die Methode eigentlich sehr
heilsam ist. Die Diskussion sollte nicht sein, ob die Methode gut oder schlecht ist, sondern wie die Rahmenbedingungen sind. Unter welchen Bedingungen bringe ich etwas Heilsames hervor und unter welchen
Bedingungen etwas Nicht-heilsames?
Antwort: Ich möchte da gerade noch kontern. Ich denke da an die paradoxe Intervention, die ich gelernt
habe. Was ich bei mir bemerken konnte, wenn die Intervention nicht gut war, war ein geistiger Zustand, z.
B. von Unverständnis und fehlendem Mitgefühl. Auch beim körpertherapeutischen Arbeiten habe ich
immer sehr unter dem Unverständnis, dem geistigen Missverstehen von Situationen, gelitten. Die Interpretation oder Implikation von solchen Ausbrüchen - Aggression oder was immer es war - fand ich
schlimm und sie hat mich unheimlich belastet. Obwohl ich sie gelernt habe, traute ich mich nicht, diese
Methode anzuwenden. Das Verständnis von dem allen war nicht adäquat. Wir haben wirklich ein Stück
weit unsere Eltern verantwortlich gemacht. Wir hatten keine Belehrungen zu Karma, keine Belehrungen
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zu dem eigenen Aspekt dazu. Dieses Unverständnis finde ich im Nachhinein schwierig, wenn ich mir die
Methoden angucke, die ich angewandt habe.
Frage: Was waren die beiden Methoden? Was bedeutet Paradoxe Intervention?
Antwort: Im Rahmen der Systemischen Familientherapie benennst du das Subversive im System. Einerseits benennst du ganz exakt das System, andererseits ist es paradox. Es hat eine total befreiende Wirkung,
wenn es akzeptiert wird. Beispiel: zu einem schizophrenen Kind sagt der Therapeut: Du bist die Großmutter der Familie. Wenn es aus dem tiefen Verständnis heraus kommt, sind alle danach entspannt. Aber
wenn ich dieses Verrücktsein ablehne und kein Verständnis habe, dann ist die paradoxe Intervention katastrophal.
Frage: Welches war die Körpermethode?
Antwort: Die Methode ist von George Downey, und man kann sie an sich stehen lassen. Aber die Interpretation über das Verschulden der Eltern, das mangelnde Verständnis, was sich darin ausdrückte, war
verheerend.
***
Anhang 14: Meditationserfahrungen und verwandte Erlebnisse (L. Lhundrup)
Lhündrup: Ich möchte mit euch etwas über Meditationserfahrungen sprechen. Aber bevor ich das tue,
sollte ich erst einmal erklären, was eigentlich Meditation ist. Im Ngedön Gyamtso gibt es da eine zusammenfassende Meditations-Anweisung, die lautet: Reflektiere nicht, denke nicht, überlege nicht, analysiere
nicht, meditiere nicht, lasse den Geist natürlich.
„Reflektiere nicht“ bedeutet, nicht der Vergangenheit nachzuhängen. „Denke nicht“ bedeutet, aus der
Gegenwart keinen Denkinhalt zu machen, sondern die Gegenwart, so zu lassen, wie sie ist, ohne über sie
nachzudenken. „Überlege nicht“ bedeutet, nicht in die Zukunft voraus zu eilen, sie nicht vorweg nehmen
zu wollen, die Zukunft nicht zu planen. „Analysiere nicht“ bedeutet, aus dem, was ich gerade erfahre, kein
Objekt der Analyse zu machen: „Ist es jetzt gut, ist es schlecht, ist es richtig, ist es das Absolute oder ist es
das nicht?“ „Meditiere nicht“ bedeutet, nicht zu manipulieren, nichts erzeugen zu wollen, z.B. keine Meditation der Leerheit erzeugen zu wollen. Versuche nicht, irgendeinen bestimmten Zustand in der Meditation zu erzeugen. Lasse den Geist natürlich. Und wenn man diese 5 Dinge unterlässt, besteht die Chance,
dass der Geist in seinen natürlichen Zustand kommt. Das ist die einzige affirmative Instruktion hier: „Lasse den Geist natürlich“.
Wohl gemerkt, dies sind Instruktionen aus der Mahamudra-Tradition und die sind nicht identisch mit
denen in anderen spirituellen Traditionen. In der Mahamudra-Übertragung der Kagyü Linie geht es darum, den Geist völlig natürlich zu lassen. In völliger Natürlichkeit entspannt sich der Geist und irgendwann
taucht dann ganz von selbst das ursprüngliche Gewahrsein auf.
Damit das geschehen kann, muss ich ja irgendwo beginnen, und so beginne ich mit meinem aufgewühlten
Geist. Mit dem Geist, der ständig abgelenkt ist und über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachdenkt, der auch ständig etwas anderes möchte als das, was ist.
Und was sind jetzt eigentlich spirituelle Erfahrungen? Echte spirituelle Erfahrungen sind die, die uns in
Bereiche zunehmender authentischer Offenheit hineinführen.
Die erste spirituelle Erfahrung, die auftaucht ist aber Verwirrung. Ich würde das als eine authentische spirituelle Erfahrung bezeichnen, eine unerlässliche Erfahrung. Ich muss meine Ichbezogenheit wahrnehmen, meine Verwirrung. Bei denen, die das entsprechende Karma mitbringen, mag auch direkt eine Erfahrung von Klarheit auftauchen, aber bei vielen Menschen es das so, dass sie zunächst dem aufgewühlten
Geist begegnen.
Die nächste authentische spirituelle Erfahrung, die auftaucht, ist Langeweile. Wir sind so gewöhnt, dass
der Geist immer mit etwas beschäftigt ist, dass sich Langeweile einstellt, wenn wir dieser Tendenz nicht
mehr folgen. Doch wir sind weiterhin angespannt und suchen etwas. Langeweile ist ein Anzeichen von
Anspannung. Zudem tauchen Gefühle von Alleinsein auf, „Sich-Völlig-Isoliert-Fühlen“. Ich bin auf meinem Kissen, weiß nicht was ich tun soll und fühle mich recht getrennt von anderen. Das sind notwendige
Erfahrungen auf dem Weg und wenn wir ihnen nicht aus dem Weg gehen, helfen sie uns, mit uns selbst in
Kontakt zu kommen.
101
Wenn wir weiter gehen auf dem Weg, fleißig üben und immer wieder auf das Kissen zurückkehren, auch
wenn es unangenehm ist, dann treten auch allmählich andere Erfahrungen auf. Wir unterscheiden drei
Bereiche von dualistischen Erfahrungen in der Meditation:
•
•
•
Das sind die Erfahrungen des Wohlgefühls,
Erfahrungen von Klarheit und
Erfahrungen von Nicht-Denken, Freisein vom Denken.
Und diese Erfahrungen wollen wir uns jetzt etwas genauer anschauen. Das sind alles Erfahrungen, die wir
im Tibetischen „Njam“ nennen. Erfahrungen hier im Unterschied zu Verwirklichung. Auch die beschriebene Langeweile ist ein Njam, auch das Gefühl von Getrenntsein ist ein Njam, auch das Aufsteigen von
starker Wut ist ein Njam in der Meditation. Wir aber suchen immer nach den besonderen Erfahrungen.
Die Erfahrungen, die ich jetzt beschreiben werde, sind Durchgangsstationen, Erfahrungen, die dem Götterbereich ähneln und die sehr schnell zu Hindernissen werden können.
Die Erfahrung des Wohlgefühls kann man körperlich und geistig erleben. Körperliches Wohlgefühl ist z.
B. „Sich-Durchströmt-Fühlen“ von Wärme, „Im-Fluss-Sein“, ein totales „Ausgeglichen-Sein“, keinen bzw.
wenig Hunger zu haben, keinen bzw. wenig Durst zu haben, wenig Schlaf zu brauchen usw. Geistiges
Wohlgefühl kann ein freudiger Geist sein, das kann ein Gefühl von Einheit sein, es kann ein Gefühl von
völliger Sorglosigkeit oder von Freude sein.
Bei den Erfahrungen, die mehr in den Bereich der Klarheit gehören, steht die Präzision der Wahrnehmung im Vordergrund. Wir nehmen sehr genau wahr, was alles im Geist passiert, jeden Gedanken, der
kommt. Wir nehmen die Bewegung des Geistes mit den sechs Sinnen in großer Deutlichkeit und Schärfe
wahr. Eine Klarheitserfahrung ist auch, sehr gut nachdenken zu können. Kaum dass wir ein Thema berühren, können wir damit verweilen und es genau untersuchen. Wir können sehr logisch denken. Wenn
wir wollen, können wir es auch sein lassen, aber die Klarheit gibt uns die Fähigkeit dazu. Es ist die Erfahrung von großer Schärfe im Geist. Es ist, als wenn wir einen klaren Raum hätten, und die einzelnen Objekte, die vorbeiziehen, zeichnen sich ganz deutlich ab, da ist kein Schleier.
Die Erfahrung des Nicht-Denkens bzw. der Freiheit von diskursiven Denkprozessen besteht darin, dass
wir das Zur-Ruhe-Kommen des Geistes bemerken. Zunächst ist der Geist wie ein Wasserfall: wir sehen
den Wasserfall, aber wir sind nicht mehr darin gefangen. Dieser Bergbach wird allmählich zu einem Bach,
dann zu einem Fluss, der dahin strömt. Wir sind entspannt, bemerken dieses Dahinströmen und der Beobachter greift nicht nach dem, was da vorbeiströmt. Es findet eine Verlangsamung der zunächst aufgewühlten Denkprozesse statt. Zumindest erscheinen sie aufgewühlt, weil der Beobachter so klar und
schnell geworden ist, dass er ganz genau mitbekommt, was im Geist abläuft. Der Prozess des Aufsteigens
von Gedanken kann sich weiter und weiter verlangsamen, bis wir fast in einem Zustand von NichtDenken sind - bloß ab und zu taucht ein Gedanke auf, wie ein Fisch, der aus dem Wasser springt. Und die
einzelnen Gedanken werden in völliger Klarheit wahrgenommen, bis auch die sich auflösen und wir tatsächlich vom Zustand des Nicht-Denkens sprechen können. Da ist einfach nur ein wacher Beobachter,
der nicht einmal mehr einen Kommentar abgibt, sondern nur schweigend gewahr ist, dass keine Gedanken
da sind. Das ist ein Zustand des Nicht-Denkens, im Rahmen der Dualität.
Alle diese Erfahrungen sind völlig normal, aber sie lösen eine große Faszination aus. Die Erfahrung, etwas
beglückend Neues zu entdecken, möchten wir gerne wiederholen. Und das ist schon genau der Punkt.
Schon in diesem Moment, wo wir nicht loslassen, wird diese Erfahrung zu einem Hindernis. Als Erfahrung ist dies ein Geschenk, weil wir mehr über den Geist verstehen und bemerken, was im Geist alles
möglich ist. Aber da diese Erfahrungen sich im Unterschied zu all dieser Verwirrung, die wir durchmachten, so angenehm anfühlen, möchten wir mehr davon, und damit fängt unser Ich an, sich zu überlegen:
„Wie kann ich den Geist manipulieren, so dass ich das häufiger erfahre?“
Der schweigende Beobachter ist ein einfaches Gewahrsein, dass keine Gedanken auftauchen. Er ist nur
schweigend gewahr, ohne Kommentare abzugeben. Viele spirituelle Traditionen irren sich in genau diesem
Punkt und halten diese Erfahrung für anstrebenswert. Doch Buddha hat gesagt, dass dies nicht der Weg
ist. Er hat all diese Erfahrungen bis in ganz subtile Bereiche hinein erlebt, in die 4 Dhyanas, in denen seine
hinduistischen Meister geschult waren. Er ist vorgestoßen bis in die subtilsten, ruhigsten, offensten dualistischen Erfahrungen, die möglich sind. Das sind Erfahrungen von Geist-Unendlichkeit, Raum-
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Unendlichkeit, weder Wahrnehmungen noch Nicht-Wahrnehmungen. In diesen tiefen Samadis kann ein
Yogi tagelang, wochenlang, monatelang verweilen. Das sind wirklich Erfahrungen des Geistes, sie führen
aber nicht dazu, dass man aus Samsara herausfindet, sie führen nicht aus der Dualität heraus. Es bleibt
immer ein kleiner Rest von dualistischer Wahrnehmung, und wer aus diesen Zuständen herauskommt, hat
auch nicht weniger Emotionen als vorher. Er hat natürlich eine gewisse Geisteskontrolle, aber er hat die
gleichen Emotionen wie vorher. Das müsst ihr wissen, weil ihr eventuell von verschiedenen spirituellen
Traditionen Begriffe wie z.B. All-Einigkeit als eine nonduale Erfahrung beschrieben bekommt. Weil das
Wort All-Ein heißt, denkt man vielleicht, das wäre wirklich nondual. Aber im nondualen Zustand gibt es
kein Gefühl von All-Einheit, denn es gibt keinen Beobachter, der sich eins fühlt. Das ist in sich eine Unmöglichkeit. Und es ist sehr wichtig, das zu wissen.
Außerdem können Glückszustände auftauchen, die man bis zur Extase verstärken kann. Man kann auf
Klarheitsreisen gehen, man kann damit Phänomene untersuchen, man kann analysieren. Man kann diese
Fähigkeit des Geistes ausbauen – man kann z. B. unglaublich visualisieren. Man kann sich Dinge mit einer
Schärfe und Klarheit einbilden, als wäre es genau so. Man kann sich alles Erdenkliche im Detail vorstellen,
man kann fühlen, schmecken usw. Alles, was wir auch im Traum erleben, jede Art von geistigem, bildlichem, optischem, akustischem Phänomen kann man im Geist hervorrufen. Man kann ganze Opern komponieren, all das ist die Funktion der Klarheit des Geistes, befreit aber nicht aus Samsara.
Das sind Erfahrungen, die auf dem spirituellen Weg gemacht werden und die von Buddhisten als Sackgassen bezeichnet werden. Normalerweise brauchen wir einen Lehrer, der uns da herausführt, denn wir erkennen sie nicht als Sackgassen. Z. B. im Bereich des Nicht-Denkens tauchen sogenannte Tong-Njams
auf, Leerheits-Erfahrungen. Diese Tong-njams haben eine täuschende Ähnlichkeit mit der Beschreibung
der Natur des Geistes, damit, wie die Natur des Geistes begrifflich erklärt wird. Eine Leerheitserfahrung
ist die Erfahrung der Abwesenheit jeglicher Substantialität von allem, was wir wahrnehmen, innen und
außen. Diese Leerheitserfahrung kann genau wie jede andere Erfahrung dazu führen, dass man an ihr
haftet. Sie kann dazu führen, dass jemand in der Meditation eine nihilistische Leerheit entwickelt und sie
u.U. lebenslang mit sich trägt. Er kann anderen davon erzählen und wird auch eine gewisse Überzeugung
haben, weil es auf einer bestimmten Art von wirklich gemachter Erfahrung beruht. Aber dies ist keine
Erfahrung der Auflösung der Dualität, sondern da ist ein Beobachter, der etwas als leer wahrgenommen
hat. Und diese Leerheit ist ein Konzept. Jemand ist also mit seiner Meditation über die Abwesenheit von
Substanz, von konkreter Wirklichkeit, in einem Konzept gelandet. Rinpotsche sagte oft, der Meditierende
schaut die Leerheit an, als wäre sie vor ihm präsent. Er macht aus der Leerheit ein Ding, doch die Leerheit
gibt es gar nicht.
Ein Lehrer kann das unterscheiden, weil er weiß, wie sich die Leerheitserfahrung ohne Beobachter anfühlt.
Aber er muss den anderen Bereich kennen, sonst kann er es nicht unterscheiden. Die Beschreibungen, die
von solchen Praktizierenden gegeben werden, klingen wie Tao, wie Mahamudra. Wenn jemand intellektuell
ist, dann schafft er schon, sie so zu beschreiben, dass es sich richtig anhört. Deswegen muss der Lehrer
aus dem Inneren heraus wirklich spüren, hören und sehen können, ob diese Erfahrung gemacht wurde
oder nicht. Und wenn diese Erfahrung wirklich gemacht wurde, hinterlässt sie auch charakteristische Spuren. Welche Spuren? Die Art, wie darüber gesprochen wird, und die Art, wie sich der Mensch entwickelt
im Vergleich zu vorher, sind typische Spuren dieser Erfahrung. Z.B. entsteht Furchtlosigkeit, und es ist
nicht nur eine eingebildete Furchtlosigkeit. Es kommen auch andere Qualitäten hervor, von denen ich
jetzt aber nicht sprechen möchte. Es ist nicht immer möglich, wenn man die Menschen nicht gut kennt,
bei der ersten Begegnung zu spüren, wo sie stehen und was sie erfahren haben. Es ist gut, den Menschen
zu kennen, zu spüren und Fragen zu stellen zu seiner Erfahrung.
Es kommen sicher Leute zu euch, die euch eine spirituelle Erfahrung als die große Leerheit usw. verkaufen
wollen, aber wir können im Allgemeinen davon ausgehen, dass sie keine Verwirklichung haben. So lange
es beschreibbar ist, kann es nicht das Letztendliche sein. Aber auch, wenn jemand von dem großen Unbeschreibbaren erzählt, was ihm da widerfahren ist, ist es das wahrscheinlich nicht. Edith, Du hast gesagt, du
kriegst so viele Anrufe bei SEN, aber eigentlich keine spirituellen. Die Dinge, mit denen Du zu tun hast,
sind Persönlichkeitskrisen, die als spirituelle dargestellt werden. Lasst uns mal durchgehen, helft mir da
mal was die absurdesten Erscheinungen sind, wann bei uns die Warnlichter angehen: wenn man Stimmen
hört....
103
Durcheinander reden ... unverständlich
Lh.: Diese Klarheits- und Nicht-Denken-Erfahrungen findet man auch im Mahamudrabereich, aber ohne
dass es ein Ich, ein Zentrum gibt, was die Klarheit, das Wohlbefinden und das Nicht-Denken erlebt. Die
Fähigkeit des Geistes klar zu sein, ist eine Qualität, die er immer hat, die ist natürlich und geht auch nicht
verloren. Die Qualität des Geistes, einfach zu sein und aufzuhören, Begriffe zu produzieren, wenn es keine Begriffe braucht, auch das ist eine natürliche Eigenschaft des Geistes. Die geht nicht verloren, die ist
einfach da. Genauso ist jemand, der entspannt ist, und in Offenheit und Freude verweilt. Wir nennen das
große Freude, aber sie ist nicht groß im Sinne von exstatisch, sondern sie ist groß, weil sie durch nichts
bedingt ist. Sie ist nicht von äußeren Bedingungen abhängig. Diese große Freude begleitet einen durch
leidvolle Erfahrungen hindurch, durch Krankheit, Verlust der Eltern oder Kinder. Diese große Freude, die
sich aus dem Nicht-Ich manifestiert, ist nicht von äußeren Bedingungen abhängig. D.h. nicht, dass dieser
Mensch nicht auch Momente von Trauer erfahren kann, aber er kann loslassen. Dieses grundlegende
Eins-Sein, dieses Wohlbefinden im Leben an sich, ist nie in Frage gestellt.
Das gilt für Menschen, die schon eine Stabilität der non-dualen Erkenntnis erworben haben.
Frage: Du sagtest eben, das grundlegende Eins-Sein wird nicht in Frage gestellt. Aber die Erfahrung von
Eins-Sein hast du doch vorher als dualistisch bezeichnet.
Lh.: Ja, aber hier, in diesem Eins-Sein stellen sich keine Fragen mehr: Was ist Leben? Sinn des Lebens?
Eins sein? Getrennt Sein usw. Auch die Frage nach dem Tod, all diese Fragen lösen sich auf. Es ist so, als
hätten sich die Fragen in sich selbst geklärt.
Das sind auch wieder nur Worte. Doch zum Glück gibt es Kriterien. Gampopa führt z.B. Kriterien an für
die Gewissheit der wahren Erkenntnis.
Frage: Könnte man sagen, für Anfänger in der Meditation ist ein wichtiges Kriterium dafür, dass die spirituellen Erfahrungen in Ordnung sind, wenn die Emotionalität abnimmt?
Lh.: Leider nicht. Man kann sehr emotional sein und doch authentische Erfahrungen in der Natur des
Geistes gemacht haben. Es ist ein langer Prozess, bis die Erfahrung der Natur des Geistes sich auf alle
Lebensbereiche und auch auf alle emotionalen Bereiche ausweitet. Es gibt Menschen, die sind vorher
schon sehr ausgeglichen. Sie haben eine stabile geistige Ruhe und wenn sie spirituelle Erfahrungen machen, bleiben sie weiterhin stabil und werden noch stabiler. Und andere machen diese Erfahrungen in
einem Auf und Ab von Sich-Öffnen und Verschließen. Die Erfahrung des Letztendlichen ist gelegentlich
vorhanden, aber dieser Zick-Zackkurs wird trotzdem nicht aufgehoben, sondern wird erst allmählich weniger zick-zack-mäßig. Diese Art von wechselnder Erfahrung ist immer noch vorhanden.
Ich wollte Euch eigentlich über diese späteren Erfahrungen gar nicht so viel erzählen, sondern eher mit
Euch zusammen die häufigsten Entgleisungen benennen und vielleicht auch andere Euch geläufige spirituelle Erlebnisse beschreiben. Also, was hören wir da häufig so? Es gibt Menschen, die hören Stimmen.
Das hat nichts mit Spiritualität zu tun. Entweder ist das reine Einbildung, oder es ist Psychopathologie.
Ich habe bisher noch niemanden getroffen, der authentisch von einem erleuchteten Wesen durch Stimmen
Inspiration erhalten hätte. Ich habe Menschen getroffen, die tatsächlich in einer Vision z.B. Tara oder
Tschenresi gesehen haben, das gibt es. Aber dass Menschen durch Engel geführt werden und dergleichen
– hab ich bisher noch nicht als überzeugend erlebt. Ich habe Leute getroffen, die Stimmen hörten, die
ihnen alles Mögliche sagten, was sie zu tun hätten. Aber ich habe in dem, was sie gesagt bekamen, keinerlei
echte Weisheit entdecken können. Für mich waren das entweder Eingaben aus dem verwirrten BardoBereich, also aus dem Jenseits oder einfach psychotische Phänomene.
Frage: Ich habe kürzlich in einem „Tendrel“, der Zeitschrift von Dhagpo Kagyü Ling, einen Artikel gelesen: „Schüler von Karmapa“. Dort beschrieb eine Frau, dass sie nach der Begegnung mit dem 16. Karmapa starke negative Gefühle hatte, dann langsam aufweichte und als sie nach einem Autounfall in einer
schweren Krise war, hörte sie Stimmen.
Lh.: Das gibt es gelegentlich, das habe ich auch schon gehört. Schüler haben die Stimme von Gendün
Rinpotsche gehört, der sagte: „Dann mach das“, oder „Gehe zu dem Lehrer“. Ja, einfach einmal eine
Stimme. Im Grunde genommen ist es egal, wo die Stimmen herkommen, es geht nur darum, ob sie wirklich hilfreich sind. Also wenn Leute Stimmen hören, geht es mir nicht darum, ihnen das auszureden – sie
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dürfen ruhig Stimmen hören. Es geht nur darum, ihnen klar zu machen, dass sie diesen Stimmen mal ganz
aufmerksam zuhören sollen. Sind das verwirrte Stimmen oder Stimmen, die mit dem Dharma übereinstimmen? Sind das Stimmen, die einen auf den Irrweg bringen? Bei den meisten hören dann die Stimmen
auf. Es gibt eine Frau hier bei uns in diesem Mandala, die hört und sieht Dinge die offensichtlich authentisch sind, aber das ist äußerst selten.
Man kann also Dinge hören oder sehen. Man kann auch Träume haben, die einem ganz klar sagen, was
man machen soll. Da werde ich immer skeptisch, weil das Anhaften an Träumen eines der größten Hindernisse auf dem spirituellen Weg ist. Wenn wir unseren Träumen Glauben schenken, im Sinne eines Leitfadens für unser tägliches Tun, dann messen wir etwas Realität bei, das keine hat. Wir sollten es lieber
umgekehrt machen: Unsere Tagträume als solche erkennen und nicht noch zusätzlich den Nachtträumen
Wichtigkeit geben.
Natürlich ist in Träumen jede Menge Wahres über uns zu erkennen, über die emotionalen Inhalte unseres
Speicherbewusstseins, aber sie als Leitfaden für eine spirituelle Entwicklung zu nehmen ist völlig verkehrt.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt und Gendün Rinpotsche hat zig Mal mit uns darüber gesprochen.
Erst wenn wir uns vom Haften an Träumen lösen, wird allmählich klar, welcher Traum einen nicht neurotischen, nicht emotional gefärbten Inhalt hat im Unterschied zu den Tausenden von Träumen, die uns ein
Spiegel unserer emotionalen Beschaffenheit sind. Es gibt ab und zu mal einen Traum, der mir etwas zeigt,
auf das ich im Wachbewusstsein nicht gekommen wäre, aber das ist ganz selten.
Der Wirkung von Träumen, die eine echte Bedeutung haben, können wir uns gar nicht entziehen, weil sie
einfach so klar da sind als Botschaft. Deswegen brauchen wir uns auch nicht zu sorgen, dass wir sie eventuell nicht bemerken könnten und ‚verpassen’ würden. Worum es mir heute geht ist, den Träumen keine
zusätzliche Bedeutung beizumessen, nichts hineinzuinterpretieren, nicht zu meinen, man müsste damit
etwas machen oder man müsste nachts ‚gut’ träumen.
Bemerkung: Träume können das ausdrücken, was sich seelisch vorbereitet.
Lh.: Vorbereitet oder nachbereitet. Es kann alles Mögliche aufsteigen, sicherlich auch alles, was gespeichert
ist. Nehmen wir noch einmal zur Kenntnis: Wenn man die Träume festhält, kann man karmische Tendenzen verstärken. Wenn man sie aber nicht weiter beachtet, dann werden sie nicht noch verstärkt.
Es kommen oft Menschen, die mir ihre Träume erzählen. Ich weiß nicht, wie das in der Therapie gehandhabt wird, aber eine Grundregel, die sich für mich als Gold erwiesen hat, ist, davon auszugehen, dass alles
was im Traum auftaucht, jede Traumfigur, ich selbst bin. Wenn schon mit Träumen arbeiten, dann nicht
mit Gut und Böse, sondern: Ich bin das alles. Ich bin der Lehrer, den ich erlebt habe, der Mörder, der
Verfolgte usw. Alles im Traum ist eigene Projektion.
Wir als Dharma-Lehrer werden konsequent das Haften an Träumen mindern. Auf dem Dharmaweg geht
es halt um etwas anderes als in der Therapie. Im Dharma geht es um das Erkennen der illusorischen Natur
aller Phänomene. Da darf ich etwas Illusorischem nicht noch zusätzliche Wirklichkeit verleihen. Es geht
nicht darum, sich selbst als Person emotional kennen zu lernen. Man arbeitet einfach mit dem, was da
aufsteigt und erarbeitet sich neue Freiräume. Also überall, wo ich Fixierung und Haften auflösen kann,
gehe ich sofort daran es zu tun. Ich verweile nicht in einem Zwischenzustand: „Ach, das interessiert mich
jetzt, da gehe ich noch etwas länger rein.“ Das lässt man sein, sobald man sich intensiver auf dem meditativen Weg befindet.
Frage – nicht zu verstehen.
Lh.: Dass man seinen Geist kennt ist, die Voraussetzung, um prophetische und andere Träume unterscheiden zu können. Träume haben eine Eigendynamik, die uns erst einmal nicht vertraut ist, und Träume,
die wirkliche Eingebungen sind, haben eine andere Eigendynamik als normale Träume.
Frage – undeutlich
Brigitta: Es ist so, dass man weiß, dass man spüren kann, dass es wohltuende karmische Auswirkungen
hat. Man weiß, dass etwas positiv karmisch wirksam ist, was jetzt hochkommt. Was vielleicht vorher nicht
da war.
Lh.: Einen Traum, mit echtem Segen, brauchen wir nicht festzuhalten und aufzuschreiben. Die Wirkung
des Traumes am Tag danach wird sein, dass uns Segen begleitet. An der Auswirkung kannst Du es sehen.
105
Erneuter unverständlicher Beitrag
Lh.: Die anderen Abarten der spirituellen Erfahrung erkennt man daran, dass Sendungsbewusstsein auftritt, missionarisches Bewusstsein. Das sind normalerweise keine echten spirituellen Erfahrungen, sondern
narzisstische Überhöhungen.
Was kennen wir denn noch als Symptome? Wenn z.B. spirituelle Erfahrung mit Schlaflosigkeit einhergeht,
wenn sie einem über längere Zeit den Schlaf raubt, dann ist das für mich schon prä-psychotisch, sehr
gefährlich.
Beitrag von Geri – Voodoo und schamanistische Erfahrungen
Lh.: Besessenheits-Erfahrungen gibt es bei uns nur selten, aber in Brasilien und anderen Ländern ist das
durchaus häufig. Aber das ist ein Bereich, in dem ich mich nicht auskenne.
…… Auch hier im Westen kommen gelegentlich Besessenheitsphänomene vor, durch unsichtbare Wesen,
die sich mit dem Geist eines lebenden Menschen verbinden – das gibt es. Es ist nicht einfach, diesen Menschen zu helfen. Man kann durch das Entwickeln von Bodhicitta und großer geistiger Stabilität einige
dieser Wesen dazu bringen, den Besessenen frei zu lassen, aber manche sind nicht so einfach dazu zu bewegen. Aber ich weiß tatsächlich auch nicht viel dazu.
Frage: Kannst Du uns etwas dazu sagen, wo hellsichtige Fähigkeiten herkommen und wo sie anzusiedeln
sind?
Lh.: Hellsichtige Fähigkeiten entstehen normalerweise auf Grund des Karmas aus Vorleben. Sie sind etwas, das wir auf Grund von bestimmten spirituellen, meditativen Übungen in vorherigen Leben mitbringen, einfach so. Wenn Hellsichtigkeit neu entsteht, ist sie eine Frucht von tiefer geistiger Ruhe, von Schine.
Es gibt Menschen, die haben in ihrer Schine-Praxis die Fähigkeit entwickelt, weit weg Gesprochenes zu
verstehen, über hunderte von Metern oder Kilometern hinweg, oder durch Wände hindurch zu sehen,
oder zukünftige Ereignisse zu kennen, allein auf Grund der Praxis von Samadhi-Zuständen in geistiger
Ruhe. Diese Fähigkeiten lösen sich normalerweise wieder auf, wenn man in den Mahamudra-Zustand
eintaucht. Durch fortgesetzte Mahamudra-Praxis können sie einige Zeit später wieder auftauchen. Wenn
sie dann auftauchen, sind sie stabil, während sie vorher im Schine-Zustand instabil waren: manchmal vorhanden, manchmal nicht, von äußeren und inneren Bedingungen abhängig.
Das vollständige Erkennen des Geistes und die damit verbundene Natürlichkeit bewirken, dass die geistige
Anspannung sich auflöst. Es ist eine feine Spannung, die diese außergewöhnlichen Fähigkeiten im SchineZustand ermöglicht, und die löst sich auf und steht dann nicht mehr zur Verfügung.
Frage: unverständich
Lh.: Soweit ich das verstanden habe - ich habe ja auch noch nicht mit einem Orakel gesprochen – ist das
eine bewusste Einladung eines Buddha-Aspektes oder einer Meditationsgottheit, für eine Weile mit dem
Orakel zu verschmelzen. Es ist keine Besessenheit: Es ist etwas Ähnliches, aber es ist gewünscht und zeitlich begrenzt. Es ist eine Trance. In der Trance kannst du dich für diese andere Wesenheit öffnen, so dass
sie eintreten kann.
DD. Ich möchte auf die Hellsichtigkeit zurückkommen, denn in psychotischen Zuständen gibt es auch
Hellsichtigkeitsphänomene.
Lh.: Die psychotische Hellsichtigkeit betrachte ich nicht als etwas Krankhaftes. Es ist nicht die Hellsichtigkeit, oder –fühligkeit von Psychotikern, die eigentlich besorgniserregend ist, denn das ist eine normale
Tätigkeit des Geistes, die sich da als Möglichkeit zeigt. Aber was die Menschen damit machen, wie sie
darauf reagieren und wie sich das noch mit anderen emotionalen Inhalten verbindet, das ist das Besorgniserregende. Die Fähigkeit, Dinge zu erahnen, zu erspüren oder zu hören, ist überhaupt nicht tragisch –
nur wie sie es dann verarbeiten, das ist das Schwierige.
Alles wird interpretiert, Verknüpfungen zwischen Jedem und Mir werden hergestellt, eine völlig entgleiste
Sensibilität. Ein Psychotiker hat einen hoch angespannten Geist, der nichts mit den beschriebenen Zuständen von Offenheit und geistiger Ruhe hat. Es ist ein maximal galoppierender Geist, der Allem und
Jedem nachhängt und anhaftet und da ist kein Loslassen. Und das ist das Problem.
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Frage: Ich wollte wieder auf das Normale zurückkommen. Wie schätzt Du es ein, wenn jemand sagt: Ich
bin dieser Baum, ich nehme mich als den Baum wahr, ich bin gleichzeitig die Wiese und gleichzeitig die
Sonne, so – und Ich bin Ich.
Lh.: Das wäre für mich krankhaft. Etwas anderes ist zu denken: „Ich bin alles“, aber das man denkt: „Ich
bin der Baum“, so in dieser abgegrenzten Form halte ich das für krankhaft.
Was ich für nicht so besorgniserregend halte, sind diese out-of-body Phänomene, wo man sich von außen
sieht, wo man über dem Bett schwebt oder oberhalb des Raumes. Man muss die Person nur auffordern,
sofort wieder zurückzukehren und keine Experimente damit zu machen. Denn der Faden, der da zum
Körper besteht, kann jederzeit durch einen Schock, wie z.B. einen Knall, zerreißen und dann ist der
Mensch tot, denn dann trennen sich Körper und Geist. Wenn man sich wirklich von außen sehen kann,
dann ist das Gewahrsein nicht mehr in so engem Kontakt mit dem Körper wie es normalerweise im
menschlichen Leben der Fall ist. Der Schock des Aufreißens der Tür z.B. oder eines plötzlichen Knalls
kann bewirken, dass die Verbindung von Geist und Körper unterbrochen wird.
Brigitta: Während ich meine Kinder erzogen habe, habe ich das bei Maja und ihren Freunden öfter erlebt.
Es war immer in Krankheitsphasen, sie hatte hohes Fieber und damit sie schnell zurückkommt, habe ich
ihr die Füße massiert und dann ging das schnell vorbei.
- Ich habe einmal erlebt, dass ich außerhalb meines Körpers war und dabei eine sehr schöne Erfahrung
gemacht. Irgendwann tauchte eine schreckliche Erfahrung auf und dann ging mir diese Fähigkeit abhanden und ist nie mehr aufgetaucht.
- Es ist ein recht häufiges Phänomen bei Menschen die gefoltert wurden. Und auch bei Missbrauchserfahrungen ist es häufig für die Betroffenen eine Möglichkeit, das zu überstehen, indem sie nicht im Körper
bleiben.
Ich mache es und probiere, auch wieder zurückzukehren, aber ich habe es nie als gefährlich erlebt. Es ist
manchmal eine Flucht in eine andere Dimension, aber man kann sich einfach auch Kraft holen in einer
anderen Dimension. Ich bin ganz erstaunt, dass ihr das so als gefährlich anseht.
Lh.: Ja, weil ich die ganz intensive Warnung von meinem Lehrer bekommen habe. Wir wissen ja nicht, wie
viele Leute schon so gestorben sind – jene, die dabei sterben, können uns ja nichts mehr sagen.
Lh.: Welche Symptome kommen denn noch als spirituelle Erfahrungen zu Euch?
- Dissoziative Lähmung, Amnesie und solche Dinge? – z. B. nach Missbrauchserlebnissen
Lh.: Ja, für mich ist das Missbrauchserlebnis und danach aus dem Körper zu sein, noch etwas anderes, als
das was ich ansprechen wollte. Ist es in solchen Situationen nicht eher so, dass der Mensch neben sich
steht?
- Ja, in der traumatisierten Situation ... oft wird es beschrieben als alles von oben betrachten.
Lh.: Zwei Frauen habe ich bisher erlebt, die mir davon erzählt haben. Es kam mir so vor, als ob ein Teil
ihres Bewusstseins doch im Körper bleiben würde und es nur ein gewisser Teil ist, der ausgelagert wird, so
dass diese Auslagerung nicht komplett ist.
- Was z. B. bleibt, ist dieses schreckliche Gefühl von Ohnmacht. Das wird dann von oben beobachtet, mit
einer Unbeteiligtheit.
- Es gibt ja in der Psychiatrie dissoziative Störungen, z. B. nach Vergewaltigung und bei Folteropfern, die
dann auf einmal ihr Gedächtnis verloren haben oder aufgrund einer Stimmbandlähmung nicht mehr sprechen können. Dabei wird das Bewusstsein von den Körperfunktionen abgespalten und man ist nicht mehr
in der Lage, sie zu steuern. Es gibt auch psychogene Lähmungen.
- Man kann sich das so vorstellen: Die Sinne werden einfach in bestimmten Bereichen eingestellt und das
hat Auswirkungen. Ich habe Kontakt mit einer Frau, die erst jetzt wahrnimmt, dass sie die Sinneswahrnehmung des Hörens einstellt. Wenn sie in der Nähe bestimmter Gefühle ist, schneidet sie sich komplett
ab. Der Sinn wird nicht mehr genutzt.
- Das wurde früher Hysterie genannt, ist aber keine Hysterie im klassischen Sinne.
- Das war eine Überlebensreaktion.
107
Lh.: Es ist ganz klar, dass bei diesen Erfahrungen Blockaden entstanden sind.
Frage: Was sind jetzt spirituelle Erfahrungen?
Lh.: Die habe ich alle am Anfang beschrieben: am besten sind Verwirrung, Langeweile usw., weil sie das
Ichanhaften nicht verstärken. Eine hervorragende Erfahrung ist auch, die eigenen Fehler zu sehen. Gendün Rinpotsche nannte es das Aufgehen des Weisheitsauges, das dritte Auge, wenn man beginnt, die eigenen Fehler zu sehen.
Spirituelle Erfahrungen, wie sie auf dem Mahamudraweg beschrieben werden, sind diese Erfahrungen von
Freude, Klarheit und Nicht-Denken. Diese Erfahrungen tauchen auf, wenn man praktiziert, müssen aber
losgelassen werden, damit sie nicht zu Hindernissen werden. Und dann gibt es gelegentlich, ganz selten,
bei außergewöhnlichen Praktizierenden, mal eine echte Vision, ein echtes Kontaktaufnehmen mit einem
erleuchteten Meister, der einem Anweisungen gibt oder mit einem Buddhaaspekt (Yidam). Und dies hinterlässt einen mit einem wirklichen Segen und einer großen Dankbarkeit, ohne dass dadurch das Ego größer wird.
***
Anhang 15: Erklärungen zur Psychosynthese, Teil 1 (Harald Pieron)
Es spricht Harald:
………Und dass der Freud – das ist interessant - schon zu alt war, für das was Assagioli entwarf. Interessant, weil Freud sehr kritisch gegenüber Jung u. a. war, die die Psychoanalyse versuchten für spirituelle
Ideen zu öffnen. Assagioli hat v. a. an der Psychoanalyse kritisiert, dass Freud Sexualität und Aggression
und all das, was – evolutiv gesprochen – aus dem Tierreich kommt, überbewertet und zuviel Motivation
auf diese unterste Ebene zurückgeführt hat. Was natürlich auch ein Verdienst von Freud war, darauf aufmerksam gemacht zu haben. Aber Freud hat auch alle spirituellen Impulse auf verdrängte Sexualität zurückgeführt. Wenn jemand von Kirchtürmen geträumt hat, dann waren das bei ihm verdrängte Penisse,
oder wenn jemand von einer wunderschönen Landschaft voller Licht und Schönheit träumt, dann war das
nach Freud etwas Regressives, ein Weglaufen vor der Realität.
Bereits 1910 hat Assagioli wesentliche Gedanken der Psychosynthese formuliert, man kann sagen, die
erste Transpersonale Schule. In den 20iger Jahren bereits hat er die Psychosynthese weiterentwickelt und
aufgebaut. Trotzdem ist Assagioli sehr unbekannt. Wenn man Professoren fragt, ob sie Assagioli kennen,
wird erst mal nein gesagt. Ich habe Psychologie studiert, da kannte man Assagioli nicht. Den Begriff
„Transpersonal“ kannte man schon, aber er wurde immer mit Parapsychologie gleichgesetzt. Assagioli hat
viele Gedanken vorweg genommen, die später von Humanisten oder Existenzialisten, wie Victor Frankl,
ausformuliert wurden.
Ich fange einfach einmal an mit dem Grundgerüst, dem sogenannten Psychosynthese-Ei. Das Ei ist ein
Archetyp für Ganzheit, für Inkarnation – außerdem kann man es besser malen als einen Kreis.
Bevor ich mit der Theorie beginne, leite ich noch eine Meditation an – die so genannte Disidentifkationsübung.
Um noch vorweg zu nehmen: Assagioli hat die Psychosynthese auch als Öffnung für einen spirituellen
Weg, auch für Nicht-Dharma-Praktizierende und Atheisten vorgesehen – als einen Weg, der zu einem
spirituellen Menschenbild führt und an wenige bzw. gar keine Voraussetzungen geknüpft ist. Für ihn war
es ein ganz zentrales Element, die starre Identifikation mit einem Selbstbild zu überwinden. Und deshalb
gibt es diese sehr bekannte Übung der Disidentifikation von Selbstbildelementen. Nach Assagioli ist das
Selbst-Bild kein einheitliches Bild, sondern besteht aus verschiedenen Teilen, die wechseln können – je
nachdem, in welchem Kontext oder sozialen Milieu man sich gerade aufhält, mit welchen Menschen man
zusammen ist. Z.B. lernt man in der Schule anderen Rollenerwartungen zu entsprechen, anderen Anforderungen, und da wird eine andere Rolle sozialisiert, als z.B. in der Familie zu Hause oder mit Freunden.
Und dadurch entstehen verschiedene Teil-Persönlichkeiten. Eine Teilpersönlichkeit ist die psychologische
Entsprechung zu dem sozialen Konzept der Rolle. Diese Teil-Persönlichkeiten sind klar zu sehen in der
Multiplen Persönlichkeitsstörung, wo jemand zeitweise mit einer bestimmten Persönlichkeit oder Identität
identifiziert ist und dann mit einer ganz anderen. Beim gesunden Menschen ist es nicht so extrem. Es ist
revolutionär, dass Assagioli sagt, dass der gesunde Mensch auch Teil-Persönlichkeiten hat, die sich aber
eher vermischen und ineinander übergehen. Man ist immer unbewusst mit einem Teil identifiziert. Und
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dieser Teil ergibt sich aus den verschiedenen Anforderungen, die man gelernt hat zu erfüllen. Die Anforderungen können sich auch aus dem Inneren, dem Unbewussten ergeben, z.B. Verdrängungsmechanismen. So kann man Teil-Persönlichkeiten auch als Ausdruck von Verdrängung betrachten.
Beispiel: Jemand vermeidet nicht-recht zu haben, in dem er einfach die eigene Unsicherheit über das, was
richtig ist, auf andere projiziert. Das ist eine weit verbreitete Teil-Persönlichkeit, die ich auch bei Klienten
immer wieder finde. Wer früher als Kind oft kritisiert worden ist, weil er den Erwartungen nicht entsprochen hat, der entwickelt sich aufgrund dieser strengen Erziehung zum Kritiker. In dem Maße wie das
Kind nicht bedingungslos angenommen wurde, kritisiert es sich selbst und nimmt sich auch nicht bedingungslos an. Das Ergebnis ist die Teilpersönlichkeit des Kritikers. Der Kritiker kompensiert sein mangelndes Selbstwertgefühl durch die ständige Beurteilung anderer Menschen. Er projiziert also sein eigenes
Unwertsein auf die soziale Umwelt, und so werden dann die anderen kritisiert. So wie man andere behandelt, behandelt man sich selbst und umgekehrt. Das ist das Prinzip der Teil-Persönlichkeiten.
An der Teil-Persönlichkeit des Künstlers wird deutlich, dass es auch schöne Persönlichkeiten gibt, die
Qualitäten haben. Es gibt auch die Teil-Persönlichkeit des Lehrers mit dem Potential, Wissen weiterzugeben, aber da ist auch das Belehrende. Es ist meistens so, dass sich bei Teil-Persönlichkeiten positive
mit unvollkommenen Eigenschaften mischen.
Im späteren Prozess der Psychosynthese werden die Teil-Persönlichkeiten von ihren Verzerrungen befreit,
so dass die reinen Qualitäten zum Vorschein kommen. Die Angst, die in einer Teil-Persönlichkeit steckt,
wird bearbeitet und transformiert. Und die wahren Qualitäten werden unterstützt, damit sie zum Ausdruck kommen. Wut z.B. ist in den meisten Fällen verzerrter Wille. Der Wille wird z.B. aus Angst vor
Liebesentzug zurückgehalten und kommt dann irgendwann so gewaltig zum Ausdruck, dass er aggressiv
wird.
So jetzt erst zur 1. Übung.
Schließe deine Augen – nimm deine Atmung wahr – spüre, wie sich dein Körper anfühlt – du kannst deine Aufmerksamkeit z.B. auf die Füße richten – dann spürst du sie besonders intensiv. Vielleicht entsteht
ein Gefühl von Wärme oder Kribbeln – du kannst mit deiner Aufmerksamkeit von den Füssen, durch die
Beine langsam nach oben gehen – in den Bauch – so bist du dir der Realität des Körpers bewusst. Du
weißt, dass du einen Körper hast – du kannst dich in diesem Körper erleben – als Energie, als Wärme.
Manchmal fühlt sich der Körper angespannt an. Manchmal hast du Schmerzen, du kannst die Schmerzen
im Körper lokalisieren. Oder der Körper fühlt sich entspannt an und im Fluss. Du kannst dich nun einmal
fragen: Bin ich der Körper? Was hat es mit dem Körper auf sich? – Oder bist du im Körper? Wenn ja, wo?
–
Und wenn du nicht das Gefühl hast, dass du der Körper bist, sondern eher einen Körper hast, kannst du
weiter entdecken, dass du auch Gefühle hast. Die Gefühle sind entweder ruhig, so dass du sie nicht bewusst wahrnimmst – oder sie sind intensiv. Du erlebst manchmal starke Emotionen, Ärger oder Angst
oder auch intensive Freude – du kannst diese Gefühle beobachten, wie sie sich verändern – wie sie zeitweise auch ganz verschwinden – so kannst du dir auch die Frage stellen, ob du die Gefühle bist. Bist du
das Fühlen, oder hast du Gefühle und bist der Beobachter der Gefühle? –
Wenn du nicht die Gefühle bist, dann kannst du dich auch deinen Gedanken zuwenden – und dir deiner
Gedanken bewusst werden. Du stellst fest, wie sich die Gedanken verändern, im Laufe der Zeit, im Laufe
des Tages. Manchmal sind da mehr Gedanken oder Gedankenketten, manchmal sind die Gedanken
schneller, manchmal verlangsamen sie sich – und du kannst auch die Bewusstseinsinhalte betrachten, um
die sich die Gedanken drehen, das Essen z. B. oder andere weltliche Dinge, vielleicht Aktivitäten, die du
vorhast – oder Dinge, die hinter dir liegen – oder du denkst an spirituelle Aspekte – und so ändern sich
ständig die Bewusstseinsinhalte – und du kannst dir die Frage stellen: bin ich das Denken? – oder bin ich
der Beobachter meiner Gedanken? Wer oder was bin ich? – verschwinde ich mit den Gedanken? – oder
bin ich immer noch da, wenn die Gedanken weg sind? – so kannst du dich erleben, als der Beobachter
deines Körpers, deiner Gefühle – und deiner Gedanken.
Ich schlage vor, dass wir jetzt noch eine 2. Übung dranhängen:
Disidentifiziert von deinem Körper bist Du Dir bewusst, dass du nicht der Körper bist – auch bist du
disidentifiziert von den Gefühlen und Gedanken – i. S. dass du dir bewusst bist, nicht die Gedanken und
nicht die Gefühle zu sein – sondern der Beobachter dessen – in dieser Disidentifikation kannst du viel-
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leicht die Leerheit zulassen? – und wenn Bewusstseinsinhalte auftauchen – diese einfach vorüberziehen
lassen und nicht festhalten – und so, in diesem inneren Raum kann sich etwas öffnen, das wir in der Psychosynthese das Transpersonale Selbst nennen. – z. B. als Stern, oder als Sonne oder einfach als Licht – du
atmest das Licht von oben ein – lässt es einfließen in diese innere Leerheit, in diesen inneren Raum, der
sich da öffnet – du nimmst diese Verbindung wahr zu dem Göttlichen, Zeitlosen, Ewigen in Dir – zu der
Realität, zu der Wahrheit – in der Verbindung atmest du – spürst Du die Verbundenheit - und was in dir
ist, vermischt sich mit dem Transzendenten – mit dem Ganzen, dem Absoluten – das Licht von oben
strömt ein und intensiviert sich in deiner Herzmitte – und mit jedem Ausatmen verbreitet sich das Licht
mehr und mehr in dir – in deinem Körper, um die Herzmitte herum – und wenn Bewusstseinsinhalte
auftauchen, werden sie auch von diesem Licht durchdrungen – wenn du das Licht schaust, kannst du auch
sehen, ob es eine Farbe hat – wenn du es nicht als Licht sehen kannst, dann nimm es einfach wahr als
Präsenz – die Präsenz dehnt sich auch aus im Körper – sie ist nicht getrennt vom Körper – heilsame Entspannung. Dann komme allmählich wieder mit deiner Aufmerksamkeit in den äußeren Raum – nimm den
Körper wieder konkret wahr – nimm die Geräusche draußen wahr– und öffne wieder deine Augen.
Diese 2. Übung gehört schon zur Transpersonalen Psychosynthese, wo es darum geht, dieses personale
Selbst, auf das ich noch zu sprechen kommen will, mit dem Transpersonalen zu verschmelzen.
Das personale Selbst ist nicht zu verwechseln mit dem Ego – das personale Selbst ist nach Assagioli das
Zentrum des Bewusstseins und verfügt über die Funktion der Ich-Stärke im Sinne Freuds. Zu den personalen Qualitäten gehören Aspekte und Funktionen, die auch für jeden Dharma-Praktizierenden notwendig sind, wie Durchhaltevermögen, Willensstärke, Geduld, Konzentrationsfähigkeit, Achtsamkeit und auch
diese introspektive Fähigkeit, dass man sich während der Meditation nicht nur auf etwas konzentriert – ein
Mantra, ein Objekt – sondern, dass man sich gleichzeitig dabei prüfen kann, welche Gedanken kommen
und welche Ablenkungstendenzen da sind. Man erkennt, ob man abgelenkt ist oder nicht. Ist die Fähigkeit
nicht genügend entwickelt, kann z.B. glauben, in einer tiefen Trance zu sein, wenn man in Wirklichkeit
abgelenkt ist. Diese Introspektionskraft ist auch ein Aspekt, der zum personalen Selbst gehört. Assagioli
hat diese Elemente des personalen Selbst als Funktionen bezeichnet. Dazu gehören z.B. die des Erkennens, Wahrnehmens und Empfindens durch die Sinnesorgane. Man erkennt etwas wieder oder bringt es
mit etwas schon Bekanntem in Verbindung. Weitere Funktionen sind das Unterscheiden, Imaginieren und
überhaupt jede Form von geistiger Aktivität. Einige dieser Funktionen werden in der Meditation weiter
geschult, genährt und verfeinert, so wie das personale Selbst überhaupt subtiler wird.
Im Unterschied zu den Teil-Persönlichkeiten ist das personale Selbst von Natur aus mit nichts identifiziert.
Es ist einfach Wachheit und Präsenz. Die Erfahrung des personalen Selbst ist Leerheit und Energie
zugleich.
Ja, was ist dann das Transpersonale Selbst? Nach Assagioli ist es nicht erfahrbar, zumindest nicht in der
Weise, dass ich sagen könnte: das ist es jetzt. Man könnte sagen, es ist das immanente Göttliche im Menschen. Der buddhistische Begriff Buddhanatur würde dem Transpersonalen Selbst entsprechen. Assagioli
selbst hat diesen Begriff nicht verwendet. Er wollte nicht innerhalb eines Systems bzw. einer Kultur bleiben, und deshalb hat er diesen neuen Begriff geprägt. Man kann ihn in Beziehung setzen zum Gottesfunken bei den Mystikern, die ja auch das Göttlich-Immanente im Menschen erfahren haben. Das transpersonale Selbst ist nicht erfahrbar. Was jedoch erfahrbar ist, ist die Verbindung und teilweise auch die Verschmelzung des personalen mit dem transpersonalen Selbst. Es ist sehr schwierig, darüber Aussagen zu
machen. Zu sagen, es sei nicht erfahrbar, soll einfach vorbeugen, dass man sagt: Ich habe das transpersonale Selbst erfahren. Es hat keine Natur, keine Eigenschaften. Was erfahrbar ist, sind transpersonale Qualitäten.
Ich komme nun zu dem Bewusstseinsmodell. Dies hier sind drei Bewusstseinsbereiche. Ich fange mal
ganz oben an, mit den transpersonalen Qualitäten:
Man kann sich vorstellen, dass die transpersonalen Qualitäten vom transpersonalen Selbst ausstrahlen wie
Strahlen einer Sonne. Und die Sonnenstrahlen sind dann das, was erfahrbar ist, wobei die Sonne an sich
nicht erfahrbar ist. Die transpersonalen Qualitäten durchdringen das Über-Bewusste.
Assagioli war übrigens auch mit Lama Govinda und Sri Aurobindo bekannt und hat sich mit verschiedenen Yoga-Traditionen beschäftigt. Der Begriff des Überbewussten kommt ursprünglich aus der YogaPsychologie und daher taucht er auch bei Aurobindo auf. Das Überbewusste ist transpersonaler Natur. Es
übersteigt alles Personale, gehört also nicht zur Persönlichkeit. Wenn die Persönlichkeit überbewusste
110
Qualitäten für sich beansprucht, indem sie z. B. meint, erleuchtet zu sein, dann resultieren pathologische
Entgleisungen wie Psychosen, Narzissmus oder die berühmte „Inflation des Ego“.
C. G. Jung hat transpersonale und präpersonale Archetypen nicht auseinandergehalten. So ist das kollektive Unbewusste bei Jung ein großer Eintopf, in dem alle möglichen Qualitäten samt ihren Verzerrungen
vermischt sind. Da sind neben dem alten Weisen z. B. auch der böse Zauberer, die Hexe oder die Verführerin.
Assagioli spricht nur dann von Archetypen, wenn es sich dabei um transpersonale Qualitäten handelt. Im
Transpersonalen Bereich sind nur die reinen, essenziellen Qualitäten. Die Ängste und die verdrängten
Impulse gehören zum unteren Unbewussten. Es gibt auch kollektive Ängste. Zwischen dem individuellen
und dem kollektiven Unbewussten gibt es keine wirkliche Trennung. Unsere individuellen Erfahrungen
spiegeln auch immer die kollektive Menschheitserfahrung wieder.
Da ist das untere Unbewusste, das mittlere Unbewusste und in der Mitte das personale Selbst. Das personale Selbst ist das Zentrum des Bewusstseinsfeldes. Und das Bewusstseinsfeld müsste eigentlich im Verhältnis zu dem Ei winzig klein sein, weil das, was mir bewusst ist, nur ein winzig kleiner Teil ist von dem
Ganzen. Das Verhältnis ist vielleicht wie ein Atom zum Kölner Dom.
Wie unterscheidet sich jetzt das kollektive vom persönlichen Unbewussten? Das kollektive Unbewusste
beinhaltet die gesamte Menschheitserfahrung und im persönlichen Unbewussten sind nur deine individuellen Erfahrungen. In dem Ei ist das kollektive nicht enthalten – es liegt da drum herum. Und es kann
umso stärker auf die Person wirken, je größer die Resonanz mit dem jeweiligen Teil des kollektiven Unbewussten ist. Wenn man etwas bestimmtes verdrängt, ist man auch anfälliger für die selbe Art von Verdrängung in der Gesellschaft. Zum unteren Unbewussten gehören die Triebe: Fortpflanzungs- und Selbsterhaltungstrieb; und auch die sekundären Konditionierungen gehört dazu, z.B. der Impuls, zu einer Gruppe dazugehören zu wollen – im Kindergarten und in der Schule. Wenn man nicht mehr dazu gehört, entsteht Angst. Der starke Anpassungswunsch beruht auf Angst. Man kann das damit erklären, dass die Urmenschen davon abhängig waren, im Clan zusammenzuleben. Ausgestoßen zu werden bedeutete den Tod.
Das ist noch im kollektiven Unbewussten enthalten und wird dann als persönliche Geschichte erlebt.
Das mittlere Unbewusste ist das Vorbewusste bei Freud. Das sind all die prinzipiell bewusstseinsfähigen
Inhalte, die nur gerade nicht präsent sind. Z.B. Träume, an die ich mich erinnern kann, aber an die ich
gerade nicht denke. Zukunftsgedanken i. S. was ich nächste Woche vorhabe, Ideen. Beim Brainstorming
z.B. kommen sämtliche Aspekte aus dem mittleren Unbewussten ins Bewusstseinsfeld, indem man zu
einem Thema assoziativ nachdenkt. Alles, was ich weiß, kommt aus dem mittleren Unbewussten. Dazu
gehören das Gedächtnis, prinzipiell alles Wissen und alle Erfahrungen. Grundsätzlich kann ich nur etwas
erfahren in Bezug zu einem Ichgefühl. Der mittlere Bereich wird immer dominiert von einem Ich-Gefühl.
Entwicklungsbiologisch gesehen sind die Dinge so abgespeichert, wie sie erlebt wurden von dem damaligen Ich. Wenn man als Kind nicht über so viele Bewältigungsstrategien verfügte wie als Erwachsener,
dann sind diese Erlebnisse emotional als viel dramatischer abgespeichert.
Assagioli hat dem Ei-Modell auch diese psychologischen Zeitdimensionen zugeordnet. Das untere Unbewusste repräsentiert die Vergangenheit, das mittlere Unbewusste die Gegenwart und das höhere Unbewusste bzw. das Überbewusste die Zukunft. Zu letzterem gehören deshalb auch die Visionen und alle
höheren Potenziale - Visionen über die Zukunft der Menschheit. Und kollektiv all das, was den Menschen
noch möglich wäre, in der Medizin oder Wissenschaft. Aber auch spirituell - was wird in der Bewusstseinsentwicklung noch stattfinden? Und so gibt es Menschen die ihrer Zeit schon hunderte und tausende
von Jahren voraus sind, die großen Propheten und Weisen zu allen Zeiten. Aber auch die andere Seite der
Wahrheit muss berücksichtigt werden: Durch falschen Gebrauch und Mangel an Weisheit können geniale
Erfindungen, die eigentlich kraft des Überbewussten entdeckt werden, völlig destruktive und verheerende
Wirkungen nach sich ziehen. Ein Beispiel ist z. B. die Atomkraft. Der Mensch, der sie erfunden hatte,
Oppenheimer glaube ich, verfügte an sich über geniale Fähigkeiten.
Das ist nur ein Modell, aber es geht über Freud hinaus. Freuds Psychoanalyse enthält nur Verdrängung,
Abspaltung etc. Unberücksichtigt bleibt das Zusammenbringen, das Integrieren, Kooperieren und natürlich die Synthese. Freud ist im Vergleich dazu sehr rudimentär: Zwischen Es und Über-Ich hängt das Ich
irgendwie. Die einzige Aufgabe, die das Ich aus der Sicht von Freud hat, ist die Vermittlung zwischen
Über-Ich und Es im Dienst des Überlebens. Das ist nicht besonders kreativ. Der erwachsene Mensch wird
demnach von unten getrieben und von oben bedrängt. Das Ich erlangt zunehmend Kontrolle über das Es.
111
- Ist dies angeboren nach Assagioli?
Nein, es entwickelt sich auch.
- Eine Frage zum Zeitbegriff in diesem Modell – ist das Transpersonale immer in der Zukunft oder kann
das auch in der Gegenwart sein.
Beim durchschnittlichen Menschen liegt es in der Zukunft, kann aber wegen der Durchlässigkeit durch
Meditation in die Gegenwart geholt werden.
- Kann es sein, dass die Inhalte des oberen Bereiches mehr im Alter zum Vorschein kommen?
Ja, da würde Assagioli wohl zustimmen, dass man sich eher im Alter zum oberen Bereich hin entwickelt.
- Lh.: Bei einem Buddha ist das, was du Verdrängtes nennen würdest...
Es findet eine Abgrenzung statt zum Buddhismus, bzw. erläutern die Lamas ihre Erfahrungen und Ansichten dazu – es ist schwierig zu verstehen und zu heikel, als dass ich das hier versuche aufzuarbeiten.
Das Ziel ist die Verschmelzung des personalen Selbst mit dem transpersonalen Selbst.
….ist nie so weit gegangen, es direkt mit anderen Vorstellungen zu vergleichen z. B. könnte das Buddhaschaft sein?
Das ist die einfachste Landkarte für Menschen die etwas Lichterfahrung haben, bei denen hin und wieder
spirituelle Momente durchscheinen; mit ihnen kann man dieses Modell durchgehen und ihnen einiges
erklären. Wer aber auf dem spirituellen Weg schon weit fortgeschritten ist, braucht dieses Modell nicht
mehr.
Lh.: Ohne Zweifel sehr aussagekräftig. Aber wenn ich auf die Übung zurückkommen darf, wie ist es eigentlich mit dem Beobachter?
H.: Das wäre bei Assagioli das reine personale Selbst. Hier kann man sich einen Kristall vorstellen, der
geschliffen wird.
Für Assagioli sind das personale Selbst und das transpersonale Selbst keine absoluten Wirklichkeiten. Es
sind für ihn nur Konzepte, die phänomenologisch etwas ausdrücken. Er hat Erfahrungen bei sich selbst
und anderen untersucht, auf der Beschreibungsebene. ....und er hat nie gesagt, dass dies zwei verschiedene
Selbste sind. Symbolisch gesprochen ist es wie Mond und Sonne, eigentlich müsste man sagen: das Licht
des Mondes und das Licht der Sonne. In Wirklichkeit kommt das Mondlicht ja nicht aus dem Mond, sondern ist reflektiertes Sonnenlicht. Entsprechend ist die Bewusstheit des Beobachters die reflektierte Bewusstheit des personalen Selbst.
- Frage zur Funktion bzw. des Inhaltes der Übung.
H.: Bei Assagioli beinhaltet die Ich-Stärke auch die Fähigkeit der Disidentifikation. Das ist nicht zu verwechseln mit dem Ich im Buddhismus, das wir überwinden wollen. Es ist eher eine Energie, die etwas mit
Stabilität zu tun hat. Disidentifikation ist z.B. wichtig für die Stabilität auf dem spirituellen Weg, aber auch
im Alltag. Ich habe Kontrolle über all das, wovon ich disidentifiziert bin und das, womit ich mich identifiziere, kontrolliert mich. Mit Kontrolle meint er eine Art Steuerungsfähigkeit. Ich kann etwas wahrnehmen,
beobachten, beeinflussen. Das wird in therapeutischen Prozessen auch so angewandt.
Diese Übung ist v. a. mit Teil-Persönlichkeiten wichtig. Da gibt es verschiedene Schritte. Der erste Schritt
ist Erkennen. Wann immer ein Mensch leidet, Schmerzen hat usw., da ist er identifiziert. Weil er nicht im
reinen Gewahrsein ist, muss er ja mit etwas identifiziert sein. Das nennt man dann Teil-Persönlichkeit. Um
da rauskommen zu können, muss man das zuerst erkennen, das ist der erste Schritt. Ein 2. Schritt wäre
dann, das anzunehmen und sich dann davon zu distanzieren. Dann gibt es noch den Schritt der Transformation, Integration und Synthese. Dabei schaue ich mir die Teil-Persönlichkeit näher an – was hat sie zu
bieten, welche Qualitäten stecken da drin und wie kann ich die Verzerrungen loslassen? Ich kann die Qualitäten nutzen, die die Teil-Persönlichkeit zu bieten hat, aber ich bin davon nicht mehr gefangen. Ich kann
auch andere nutzen – ich kann mich entscheiden.
Es gibt auch die Übung: Tanz der Teil-Persönlichkeiten. Man betrachtet das als Kreis – in der Mitte ist das
Selbst, drum herum im Kreis sind die Teilpersönlichkeiten. Hier in der Mitte stehe ich also, ich trete dann
in die Peripherie des Kreises und drücke eine bestimmte Teilpersönlichkeit aus, dann disidentifiziere ich
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mich davon und gehe wieder in die Mitte. Ich kann immer wieder in eine andere Teil-Persönlichkeit hineingehen – dabei ändere ich meine Körperhaltung, etc. Man kann auch die Dialogtechnik anwenden, um
eine Teilpersönlichkeit kennen zu lernen. Zwei Stühle stellt man in einigem Abstand gegenüber. Auf dem
einen Stuhl sitzt die Teil-Persönlichkeit, auf dem anderen sitze ich. Ich kann jetzt fragen: Wer bist du? Was
willst du? Was brauchst du? Was ist der Sinn deines Daseins? So kommst du in einen Dialog mit der TeilPersönlichkeit. Nach jeder Frage wechselst du den Stuhl und versuchst dabei, in völliger Identifikation mit
der Teilpersönlichkeit, diese Frage zu beantworten. Auch andere Fragen sind möglich. Bei dieser Dialogtechnik geht es um das Kennen lernen einer Teilpersönlichkeit.
Die Teil-Persönlichkeiten können auf unterschiedlichen Ebenen stehen, ja, sie haben manchmal sogar
schon transpersonale Inhalte. Wenn sie jedoch nur aus transpersonaler Energie bestehen, wären es schon
keine Teil-Persönlichkeiten mehr, sondern reine Qualitäten.
Größere Sachen, wie z.B. traumatische Erlebnisse in der Kindheit, können zu verdrängten, weniger zugänglichen Teilpersönlichkeiten führen. Hier ist es dann wesentlich schwerer, dranzukommen. An starken
Reaktionen lassen sich auch solche Teilpersönlichkeiten entdecken. Z. B. beim Brotkaufen in der Bäckerei.
Normalerweise lächelt die Bäckerin immer, jetzt lächelt sie nicht – der Kunde erlebt plötzlich ein viel stärkeres Gefühl von Verletzung und Kränkung, als es der Situation angemessen wäre. Da könnte sich irgendetwas melden. Du bittest den Klienten, diese Situation noch mal zu erinnern und dabei den Körper zu
spüren. Es gibt im Körper eine Analogie zu dieser Anspannung. Die Brust wird vielleicht eng. Und du
gehst weiter im Dialog und forderst ihn auf, in der Aufmerksamkeit zu bleiben, um festzustellen wo dieses
Gefühl entstanden ist. Da kann dann eine Erinnerung kommen, z. B. als 2-jähriger vom Vater verprügelt
worden zu sein, oder eine andere Erfahrung von totaler Ablehnung. Dann folgt die Bearbeitung, evtl. Im
kathartischen Sinne erst die Emotionen ein Stück weit zuzulassen.
Die Teil-Persönlichkeiten, das sind die Geschichten, bzw. die Identifikation mit diesen Geschichten. Wenn
diese Blasen von Erinnerung aufsteigen, kann man erleben, dass man sie endlich annehmen kann. Die
Integration geht z. B. mit Gestaltarbeit, dass man die Teil-Persönlichkeiten auf den Stuhl setzt und mit
ihnen in den Dialog tritt – es geht aber auch mit geschlossenen Augen, so dass man sich das Ganze nur
vorstellt, den Dialog mit der Teilpersönlichkeit in der Vorstellung durchspielt.
(Hier waren noch Fragen, die ich z. T. weggelassen habe)
Ganz wichtig ist, dass die Teil-Persönlichkeiten zusammengeführt bzw. integriert werden. Das passiert
durch das Integrieren der Aspekte, die man vorher so nicht hat sehen wollen. Zunächst ist man identifiziert und weiß es nicht, dann ist man zwar immer noch identifiziert, aber man weiß es – einen Schritt weiter.
- Wenn bei der Suche nach einem bestimmten Muster kein auslösendes Ereignis festgemacht werden kann
– schon bei der Geburt vorhanden. Wo ist das in diesem Modell?
H.: Ich kann nur so antworten: ich würde damit genau so arbeiten, wie mit Dingen, die aus dem persönlichen Unbewussten kommen. Es ist nicht notwendig, ein auslösendes Ereignis festzumachen.
- Gespräche über persönliche Erfahrungen während des Retreats mit Aufsteigen von Tendenzen und Loslassen.
- Zuletzt noch ein Thema: die transpersonale Entgleisung – lachen –
- Das Thema Wille und Liebe:
Wille ohne Liebe führt zu Diktatur, Krieg, wo der starke Wille zum Ausdruck gebracht wird und zu Eroberung und Gewalt führt. Drei Aspekte hat Assagioli dazu genannt:
1. der starke Wille, etwas mit Gewalt erreichen zu wollen. Ich will auf die andere Seite der Wand und versuche sie zu zertrümmern.
2. Dann den geschickten Willen – also ich gucke erst mal, ob da irgendwo ein Durchgang ist.
3. Und der liebende Wille – dazu ist das Beispiel schlecht.
Verzerrungen kommen meist zustande, weil der Aspekt der Liebe fehlt. Und Verzerrungen der Liebe sind
auf Angst zurückzuführen. Liebe ohne Willen – totale Konformität, dass man keinen eigenen Willen hat,
keinen individuellen Bezug hat, keinen Standpunkt einnimmt. Auch in Gruppen, z. B. im 3. Reich die
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Mitmacher,... totale Hingabe als Qualität wird in der Verzerrung als blinder Gehorsam gelebt. Was da dahinter steckt sind eben Verzerrungen, aber auch die Kraft der Liebe. Eine Verzerrung des Willens ist der
Größenwahn, Macht, Omnipotenzphantasien. Im spirituellen Bereich sind das die Führer, die andere manipulieren, um Macht zu gewinnen. Der Begriff der Psychosynthese bezieht sich auf Wille und Liebe.
Es gibt Psychosynthese auf der horizontalen Ebene: die Teil-Persönlichkeiten werden zur Synthese gebracht, die Energien fließen mehr zusammen und stehen als Qualitäten zur Verfügung. Das ist auf personaler Ebene, man spricht auch von personaler Psychosynthese.
Auf der vertikalen, transpersonalen Ebene geht es dahin, dass das personale und das transpersonale Selbst
nicht mehr getrennt sind voneinander, dass sie in Verbindung sind und im seltenen Fall vielleicht sogar
eins. Der Zustand der Nicht-Dualität. Die Dualitäten von Ich und Universum, Ich und Gott oder auch Ich
und Buddhanatur sind aufgehoben.
Die Synthese von Wille und Liebe gehört sowohl zur personalen wie zur transpersonalen Psychosynthese.
Assagioli unterscheidet zwischen personaler und transpersonaler Liebe, wie auch zwischen personalem
und transpersonalem Willen... Aber darauf gehe ich jetzt nicht mehr ein...
***
Anhang 16: Psychosynthese, Teil 2 (Wolfgang Erhardt)
Es spricht Wolfgang:
Ich habe gerade einen Workshop mitgemacht bei Feruci, dem großen Nachfolger von Assagioli in der
Psychosythese, einen Workshop über die Psychopathologie des Transpersonalen. Anwendbar auf alle
geistigen Wege. Ich hätte eigentlich vermutet, es würde mehr um Pychopathologie im strengen Sinne gehen, war aber viel weniger – nur kleine Verweise darauf. Es ging eher um die Verzerrungen auf dem Weg.
Die sich im Extremfall auch kollabierend weiterentwickeln können.
Über einige Sachen hat Ralf gestern schon referiert, die sind auch im Abhidharma als Hindernisse erklärt.
Die Pathologien sind folgende:
1. Eines ist Stolz – kennen wir alle sehr gut, glaube ich. Wir haben viele verschieden Facetten von: ich bin
besser als andere, ich bin wichtiger, ich bin größer… Es könnte eine pathologische Abweichung geben,
wenn eine Frühstörung, z. B. eine narzisstische Anlage vorhanden ist. Ein bisschen davon hat jeder von
uns, es kann aber bis hin zum Pathologischen ausgeprägt sein.
- Was ist eine narzisstische Anlage?
W.: Narzisstische Anlage bedeutet, man liebt sich selbst und ist sich selbst der Wichtigste. In der Regel
sind Personen mit einer ausgeprägten narzisstischen Störung sehr wenig fähig, Kontakt aufzunehmen und
auszuhalten. In der Regel wird alles als Publikum benutzt. Die Welt ist eine Bühne, ich stehe auf der Bühne und alle müssen mich bewundern, sonst bin ich todunglücklich.
2. Als zweites wird Schüchternheit erwähnt.
Ich habe Angst vor der Welt, vor Beziehungen, vor Kontakten, vor Gruppen. Ich bin abends auf eine Fete
eingeladen, gehe aber nicht hin, sondern setze mich aufs Meditationskissen, aber nicht, weil ich den geistigen Weg weitergehen will, sondern weil ich Angst vor den Kontakten habe. Rückzug vor der Welt eher als
Flucht.
3. Trennung zwischen Geist und Körper –
z.B. die Geißelung des Körpers, wie wir es auch aus der Kirche kennen. Der Körper wird abgelehnt, bis
hin zur Abspaltung, bis in den pathologischen Bereich. Z.B. bei vielen Essstörungen, wenn bestimmte
Körperteile abgelehnt werden, oder bei bulimischen und Magersucht-Strukturen ist das Ablehnen des
Körpers sehr stark ausgeprägt.
4. Dann zu hoher Anspruch, Perfektionismus.
In der Regel dient die Spiritualität auch dazu, ein Bild von sich selbst aufrecht zu erhalten. Die Praxis perfekt auszuüben. Die Praxis wird von dem inneren Perfektionisten, Kritiker oder Zweifler, also aus dem
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Über-Ich gespeist. Ich muss sagen, diesem Prinzip bin ich selbst eine ganze Weile aufgesessen. Meditationspraxis ist nur noch Pflicht. (rigide mit sich selbst und anderen)
5.Psychologie der Sekten:
Man kann ohne den Zusammenhang der Gruppe nicht mehr leben, man ist verloren ohne ihn. Es wird
damit gearbeitet, die Persönlichkeit zu destabilisieren. Hier wird auch bei Seminaren über die geistigen und
physischen Grenzen gegangen, mit dem Ziel Personen zur Destabilisierung zu bringen, um sie abhängig
zu machen.
6. Spiritualität als Konsumobjekt.
Eine Einweihung nach der anderen nehmen – für die, die schon längere Zeit im tibetischen Buddhismus
gehen. Durch Kontakte mit den Lamas aus dem alltäglichen Leben herausgehoben werden, danach süchtig
sein. Das ist letztlich auch eine Flucht davor, sich auf etwas richtig einzulassen. Dies kann sich ein Stück
auch in anderen Formen ausdrücken. Z. B. durch Aktionismus im Alltag, wenn man immer aktiv sein
muss, um eine Stimmung oder ein Gefühl aufkommen zu lassen. Das Übertragen auf den spirituellen
Bereich.
Dann noch eine Sache, die vielleicht auch noch gefährlicher ist:
7.Gleichgültigkeit der Welt und anderen gegenüber.
Das ist etwas, was im pathologischen Bereich mit frühen Störungen und Beziehungsstörungen zu tun hat.
Das lautet etwa so: Ich bin jenseits von Gut und Böse. Charles Manson z.B. stand in seinem inneren Erleben jenseits von Gut und Böse und hat dann Menschen umgebracht.
8.Abkehr von der Verantwortung,
Wenn das Leben aus der neuen Sicht eigentlich verändert werden muss. Oft heißt es zu verzichten, bspw.
auf den Wutanfall, auf die Rache, etc. Wenn man ein Stück den spirituellen Weg gegangen ist, heißt es
auch Verantwortung zu übernehmen, und das bedeutet oft auf einiges zu verzichten, sich selbst auch ernst
zu nehmen, und bspw. zu viel Fernsehen gucken, oder zu viel Alkohol trinken, übermäßig arbeiten.
Alles Verhaltensweisen, die (im Übermaß) an einem bestimmten Punkt nicht zu dem passen, wo man so
hin will auf dem Dharmaweg. Verhaltensweisen, die nicht mehr dazu passen und die, wenn man sie nicht
unterlässt ein Hindernis sind. Dass man auch die Verantwortung für sich selbst auf dem geistigen Weg
übernimmt.
9. Aufgeben des Ichs oder eines Teils davon.
Man identifiziert sich mit Eindrücken und Erfahrungen, die nur für einen Moment wahrgenommen wurden oder einem Teil der Persönlichkeit ausmachen und man denkt, dass man schon mit der ganzen Persönlichkeit weiter wäre, als man wirklich ist. Wir haben auch die Einsicht, den geistigen Weg zu gehen,
aber das bedeutet eben auch im Alltag etwas zu verändern, bspw. Unheilsames zu unterlassen
Feruci versucht die Schritte der Entwicklung aufzuzeigen. Das Modell, das wir eben hatten, war Grundlage. Wir wissen nicht und wir können ihn nur fragen, wie eng er es eigentlich gesehen hat. Er ist wohl
schon von einem Bewusstseinsfeld, einem Beobachter ausgegangen, bei der Vermittlung der Psychosynthese. ....
In der Theorie ist es relativ offen gehalten. Aber im Umgang mit den Ausführungen habe ich schon das
Gefühl, da gibt es ganz andere Ebenen der Entwicklung. (s. Schaubild - 4 Phasen der spirituellen Entwicklung Die 1. Phase, sozusagen der Anfang des geistigen Weges: Wenn man ihn bewusst wahrnimmt, vielleicht
durch Zufluchtnahme oder durch eine Beziehung zu einem Lehrer oder auch durch eigene meditative
Praxis in Verbindung mit einem Lehrer. Es gibt sozusagen einmal ein Selbst-führendes Selbst, das WegBewusstsein und es gibt noch die Persönlichkeit. Und beide sind relativ getrennt voneinander. Man meditiert eine Stunde und anschließend besäuft man sich – das ist klassisch. Das ist jetzt sehr polarisiert. ....
Lachen ... Das selbst-führende Selbst tropft in die Persönlichkeit. ... Lachen
Wir wollen uns nicht verändern, die Persönlichkeit will sich nicht verändern. Es gibt ein paar Verbindungen, die sind da – aber die Pfeile zeigen in unterschiedliche Richtungen. Es gibt innere und äußere Kon-
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flikte. Wir sehen, wir müssen uns eigentlich auch ändern. Mehr Schattenseiten kommen hoch, spirituelle
Erlebnisse oder erweitertes Bewusstsein. Wenn wir das andere noch einmal nehmen: durch einen Kontakt
z. B. mit einem Lama haben wir einen kleinen Kontakt mit dem spirituellen Bereich gemacht und das
führt oft auch dazu, dass etwas aus dem "Schatten"-Bereich, aus dem nicht bewusst Zugänglichen der
Persönlichkeit dazu kommt und es verdrängt werden muss.
(Mehr Licht mehr Schatten)
- Ich erlebe das auch in Therapien mit Klienten. Wenn es einen Lichtblick von oben gibt, fast immer danach gefolgt von einem Rückschlag. Habt ihr das auch?
- Ich kenne das auch, nach Kontakten mit den Lamas. Danach gab es manchmal mehr Ängste als vorher.
Kleine Zwischendiskussion – mit freundlichem Lachen ...
Wenn man bestimmte Chakras stimuliert, werden andere, die damit in Verbindung stehen, auch stimuliert.
Dasselbe Konzept in einem anderen Modell. In der Terminologie der Psychosynthese wird die Schattenseite aktiviert und erfordert unsere Aufmerksamkeit.
Lh.: Es ist Raum da, so dass Karma auftauchen und den Raum erfüllen kann.
- Warum kommt dunkles Karma hoch? Es könnte doch auch heilsames Karma auftauchen.
W.: Der Organismus sucht sich zu schützen. Bei allen Veränderungen kommt erst einmal ein Schutzmechanismus vom Organismus selbst. Er versucht immer wieder, das stabile Gleichgewicht zu erreichen. ...
Der Organismus muss sich erst daran gewöhnen in Richtung auf Erleuchtung, um dann wirklich diesen
Schritt zu machen. Der Organismus ist immer auf den eigenen Schutz orientiert, bis hin zu den schlimmsten Erkrankungen. Selbst eine Schizophrenie oder eine Krebserkrankung ist ein schützender Vorgang des
Organismus.
- Wovor bzw. wogegen?
Auflösung, tiefste Ängste, Zersplitterung, ...
- Wenn so ein Gipfelerlebnis auftaucht, hat man die starke Neigung, es festhalten zu wollen. Ich könnte
mir vorstellen, dass durch diese Spannung eine Blockade entsteht....
- R: Dadurch, dass Raum entsteht, kommt jetzt Dunkles nach, oder es ist jetzt wirklich der Prozess, dass
dies meine Identität erschüttert und dass ich mich deshalb schützen muss ... die Botschaft: ich bin klein
und minderwertig und bekomme dann eine tolles Erlebnis von Weite und Glücksgefühl. Das ist dann eine
klare Bedrohung für das Ego „ich bin klein und minderwertig“. Das bedroht ganz tief meine Identität und
dann muss der Abwehrmechanismus etwas dagegen halten. Das sind jetzt zwei verschiedene Modelle.
Meine Frage ist jetzt, sind beide Modelle vorstellbar und kann man sie voneinander unterscheiden?
Lh.: Wir machen oft Erfahrungen, weil wir kontraproduktiv sind.
Integration:
Phase 3: vorausgesetzt, dass wir uns weiterentwickeln. Diese beiden, erst getrennten Elemente: das höhere
Selbst bzw. Persönlichkeit gehen beide in die gleiche Richtung, man macht auch da entsprechende Erlebnisse, Verantwortung für sich selbst und den Weg wird übernommen und es geschieht eine Integration.
Das ist auf dem geistigen Weg eine Weiterentwicklung und dann gibt es im Idealfall der Psychosynthese,
die Synthese. Das Ganze ist zu Einem geworden – zwischen dem höheren Selbst, dem transpersonalen
Selbst und der Persönlichkeit. Das höhere Selbst ist also in der Persönlichkeit zur Blüte gekommen. Ich
mag das jetzt nicht vergleichen ... zu wenig eigene Erfahrung...
Dieses Modell fand ich eigentlich sehr gut. Auch um sich selbst und mir selbst klar zu machen, dass man
sich verändern muss. Lachen ... Verändern der Werte, der Verhaltensweisen – auf dem Weg besonders
wichtig, Phase 1 – 3.
Ob sich das immer wieder wiederholt?
Von diesem Modell her würde sich das schon auf ein Ziel hin entwickeln. Ein Vorgang bis dahin – und
nicht immer wieder dieser Vorgang bis dahin?
Das ist ein idealtypisches Modell – das geht doch auch immer wieder rauf und runter.
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Wenn diese Phase erreicht ist, dann nicht mehr.
Das ist jetzt das Plateau. ....... durcheinander reden ...
So wie Feruci es dargestellt hat und ich es verstanden habe ist es so, dass man ab einem bestimmten Punkt
manche Sachen ganz einfach aufgegeben hat.
Und dann darf man wieder fernsehen, oder wie? ... Lachen ..
Wo ist jetzt hier der Lehrer, wo sollte der sein?
Fehler dürfen wir haben – aber die Alltagsprobleme werden einfach weniger. Sie werden weniger bestimmend, können gesehen werden und können dann entsprechend kontrolliert werden.
R: Ich mache das jetzt an dem Beispiel Fernsehn gucken fest. Ich gehe so einen Weg und brauche jetzt
nicht mehr die ganze Nacht rumzappen. Das habe ich jetzt geschafft. Und als nächstes sollte ich auch in
meinen Beziehungen nicht mehr so rumzappen!
Das ist idealtypischer zu sehen – wenn du diesen Punkt erreicht hast, sind auch diese Dinge nicht mehr so
maßgeblich.
Ist das eine Teilpersönlichkeit?
Nein das ist das Gesamte.
Lh.: Egal was das für ein Modell ist – ich halte das für Wunschdenken. Das muss relativiert werden, denn
man wird immer wieder auf Phase 1 zurückfallen, man fällt halt seltener oder nur kurz. Das dauert lange
bis wir hier sind, bei der Buddhaschaft.
Synthese, Phase 4
Die Stufe 4 ist vielleicht so zu sehen, die ist ein Raum, die durch negative Tendenzen oder Gefühl, wie
auch immer ... was vorher als linearer Weg zu gehen war, wo man praktisch von 1 bis 4 immer wieder
durchläuft, kommt man mit einer Teilpersönlichkeit, die man normalerweise als ärgerlich erlebt – jetzt hat
man vielleicht gelernt damit umzugehen. Loszulassen und davon nicht mehr so infiziert zu werden.
Es ist, dass man nicht mehr so vollkommen zurückfällt. Dass man dazu neigt – wenn man an einem bestimmten Punkt ist – dass dies ins Bewusstsein kommt und dann kann ich diesen Impuls kontrollieren. Ich
habe mich entschieden, den Weg ein Stück weit zu gehen, dies beeinflusst mein Weltbild und man fällt
eben nicht mehr so weit zurück. Ich würde die Mücke jetzt nicht mehr töten, auch wenn sie mich noch so
ärgert – das kann ich für mich schon so sagen. Ich habe mich entschlossen diesen Weg zu gehen und kein
Tier, kein Lebewesen zu töten.
DD: Vielleicht kommt man in Kriegssituationen – es hängt natürlich sehr von der Umwelt ab – könnte
auch sein, dass dann mehr existentieller Druck ist... und plötzlich, wenn man ganz nahe daran ist selber
umgebracht zu werden,....
Das läuft auf eine Entscheidung heraus bei vollem Bewusstsein, es wäre nicht einfach nur ein Reflex. Es
wäre eine bewusste Entscheidung: es ist jetzt Kriegsituation und ich muss jetzt stehlen, um zu überleben –
vielleicht muss ich mich sogar wehren.
Lh.: das wäre doch eine Form der Integration, unten steht Synthese, die weder auf den spirituellen Weg
noch auf dem Pfad der Ansammlung – es lässt sich nicht den 5 Pfaden zuordnen, weil da .... die ersten
Formen der Synthese kann man schon erreichen, wenn die ersten wirklichen Momente von stabilem Geist
auftauchen, wenn äußerer Weg und innere Werte beginnen überein zu stimmen und das beginnt erst dort.
Wenn man alle Kräfte zusammen hat und diese einigermaßen harmonisch zusammen sind und die Tropfen da oben fließen gut und dann könnte man richtig Heilsames tun und die tiefere Meditation erfahren,
die Erkenntnis erfahren und weiter gehen. Das ist weit vor dem ersten Punkt.
- Wenn wir von voller Einheit von Persönlichkeit und höherem Selbst sprechen – so lange noch karmische
Sachen aufgehen, kann man nie von voller Einheit von Person und höherem Selbst sprechen.
Dann muss es Buddhaschaft sein.
Ja, das wäre dann auch so. Es wäre nahezu unerreichbar für normale Menschen. Das wäre Buddhaschaft
oder Christusschaft – der vollkommene Mensch. Aber es wäre jetzt niemals so, dass dann noch negative
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Tendenzen, die ich noch wahrnehmen kann, mit denen ich umgehen kann, aber über die ich Kontrolle
habe – das wäre nicht die vollkommene Einheit.
Es gibt da zwischen Assagioli und Ferucci verschiedene Auslegungen dazu.
Eine Teilpersönlichkeit von mir ist z. B., dass ich ein fauler Sack bin. Ich habe einfach keine Lust – keine
Lust mich so irrsinnig anstrengen zu müssen. Ständig muss man meditieren und ... Gibt es in diesem Konzept, wie in anderen ja auch, so etwas wie Gnade? Ist es immer nur eine einseitige Bewegung? Eine dualistische Bewegung?
Lh.: Es ist eine Gnade, den Dharma zu geben, es ist eine Gnade, einen Lama zu empfangen. Es geht genau darum, diese Anstrengungen zu durchlaufen.
...das Thema der Anstrengungen, die dann keine mehr sind, wird von den Lamas weiter erklärt – leider
nicht gut verständlich.
Lh.: erklärt, dass verschiedene Tendenzen in immer neuer Form wieder auftauchen, aber dann auch wieder
als Problem nicht vorhanden sind – bis sie wieder auftauchen.
Man kommt immer wieder an den gleichen Mustern, an den Teilpersönlichkeiten vorbei. Hallo – dich
kenn ich schon, wie geht’s dir denn jetzt? ....lachen.
Phasen 1 bis 3 sind wohl eher zyklisch.
Lh.: Wenn der Geist noch klarer wird, stellt man doch wieder fest, dass noch Emotionen z. B. vorhanden
sind. Man dachte, man wäre ganz ruhig und dann ...merkt man die vielen, vielen kleinen Emotiönchen, die
noch da sind. ... und ... Man denkt, man ist auf dem Weg, doch der Weg entpuppt sich als etwas ganz Anderes.
Ralf: Kann das sein, dass wir dieses Modell viel zu genau zu erfassen versuchen, dass es eigentlich viel
grober gemeint ist? ...Das ist nur eine Vermutung?
W: Mir ist v. a. wichtig zu bemerken, dass Verändern der Werte und Verhaltensweisen wichtig ist.
Edith: ja ich finde es ganz besonders wichtig. Es gibt viele sog. Vorbilder, die hoch hinaus kommen, haben
in ihren Verhaltensweisen ganz wo anders sind. Ich finde es viel wichtiger als hoch hinauszugehen, dass
man es beieinander hält – dass man das spirituell erleben kann, was man auf der praktischen Ebene leben
kann. Ich finde das schlimm, wenn das so weit auseinander klafft. Und dazu ist das hier ein ganz gutes
Schema.
Jetzt können wir noch eine Imagination machen – einer leitet an und begleitet. Z. B. Unkraut jäten. In dem
man erst einmal Unkraut benennt (Begierde, Ungeduld, ...= vielleicht so 10 – 15 Sachen, die man eigentlich so gerne loswerden würde, als Eigenschaft, Wert oder Verhaltensweise und die werden dann fast journalistisch und wir stellen uns dann in die Mitte und die Gruppe zusammen und die werden dann ausgesprochen und imaginativ ins Feuer geworfen. Das ist eine Methode – Unkraut jäten.
Die 2. Methode wäre 2,3,4 Sachen zu nehmen, die ich ganz gerne entwickeln möchte – da kann man sich
eine herausgreifen und dann machen wir Gruppen Willensarbeit. Es könnte dann sein, ich werde abends
nicht mehr fernsehen..... Das funktioniert so, erst geht jeder in sich – sucht sich eine Sache aus - und dann
machen wir Gruppen 4 bis 6 zusammen – einer geht in die Mitte der Gruppe : er sagt laut z. B. ich werde
liebevoll mit meiner Frau umgehen; - die Gruppe soll in einem aufmerksamen und bewussten Kontakt
sein und antworten: du wirst liebevoller mit deiner Frau umgehen – er guckt dann alle in der Runde an, die
Idee ist eine Verankerung im Bewusstsein.
Es finden Absprachen und Diskussionen statt, welche Übung mit der Gruppe gemacht werden soll.
- Übung Persönliche Schilderungen zu der Gruppenübung:
Es kam die Frage auf, ob die Gruppenerlebnisse im Retreat bzw. Kloster anderer Art sind, als in gruppentherapeutischen Sitzungen.
118
Wir arbeiten zusammen, wir machen die Hausarbeiten ... wir wenden keinerlei Methoden an. Die eine
Methode ist, der Lehrer kommt, alle sitzen am Tisch und erzählen und hören auch zu, was der Lehrer
antwortet. ....
Eine Therapie kann als Spiel gesehen werden – Spiel im positiven Sinne des Wortes, während ein 3-Jahres
Retreat das Ziel hat, ein Leben komplett zu verändern. Die Dharma-Praxis im Retreat geht ganz anders an
deine Existenz heran. Im Endeffekt lässt man sich auf ein neues Leben ein.
Gruppenarbeit ist aber auch ein längerer Prozess über mehrere Jahre, u. U. – ein ständiges Facettenspiel in
dem etwas Heilendes entsteht. Der Dharma-Gedanke als über allem stehender Gedanke als heilende
Wirkkraft?
Ob das so etwas Heilendes ist, diese 3 Jahre lang geht es so ans Eingemachte- ihr habt z. T. 7 Jahre – da
findet Heilung ganz anders statt. Durch Klärung – das ist so ehrlich und so ... es gibt nichts mehr, was
man da noch an netten Worten sagen könnte, es ist so roh, so direkt. Man kann sich überhaupt nichts
mehr vormachen. Man kennt den anderen schon am Schritt, wenn er vorbeigeht – man erkennt seine
Stimmung schon am Schritt. Man kann keinen mehr leiden und dadurch entsteht echte Freundschaft.
Psychologisch gesehen ist das ein stark gruppendynamischer Prozess. Es entsteht eine Gruppendynamik
auf spezielle Art und Weise. Normalerweise würden sie sich zerfleischen oder es würden alle abhauen – es
würde kaum jemand übrig bleiben. Wenn wir nicht dieses Bodhicitta haben, dem anderen auch zuzuhören,
bei sich zu gucken und versuchen etwas zu verändern. Ihr könnt Euch das nicht vorstellen. Schon als Ehepaar ist es schwierig und wenn man da so Rücken an Rücken für drei Jahre sitzt, wir haben alles mitgekriegt von einander: jedes Räuspern, jede was auch immer – das kriecht dem andern durch und durch.
Man hat keine Lust auf irgendeine unnatürliche Intervention.
Mein Haupterlebnis von der Übung heute ist: es ist relativ künstlich. Im Retreat wird alles, was aufgesetzt
ist, vom Tisch gefegt. Was auch immer herauskommt, was die Situation verlangt, nur das hat Sinn. Alles
Aufgesetzte kann man nicht durchhalten. Therapie bzw. Gruppensitzungen ist ein Spiel – wunderbar –
aber Retreat ist halt kein Spiel.
***
Anhang 17: Psychologisches Minimalwissen (Matthias Baumann)
Psychopathologie
1. Bewußtsein:
wach, somnolent, komatös
2. kognitive Funktionen: Orientierung, Auffassung, Gedächtnis, Konzentration
3. Formales Denken:
beschleunigt, verlangsamt, geordnet, zerfahren, ideenflüchtig
4. Inhaltliche DS:
Beeinflussungsideen, andere Wahnformen
5. Sinnestäuschungen:
Halluzinationen
6. Ich-Störungen:
Fremdbeeinflussungserlebnisse, Depersonalisation, Derealisation
7. Affekt:
euphorisch, deprimiert, dysphorisch, ängstlich, innerlich unruhig, parathym, affektarm,
schwingungsfähig
8. Antrieb:
9. Suizidalität:
antriebsarm, antriebsgesteigert
Suizidgedanken, Suizidabsichten, handlungsweisende S., Absprachefähigkeit
Symptom(e) - Syndrom - Diagnose
Psycho-pathologische Syndrome
Depressive Syndrome
Manische S.
119
Schizophrenes S.
Angst- S.
Suizidales S.
Dementielles S.
***
Anhang 18: Der Vajra-Spiegel der Achtsamkeit (Nyoshul Khen Rinpoche)
Spontaneous Song: “The Vajra Mirror of Mindfulness”
by Nyoshul Khenpo, Dordogne, France 1982, translated by Padmakara Translation Group
Homage to the sovereign king within, self-arising mindfulness.
I am the vajra of mindfulness.
Look, vajra friends! When seeing me, be mindful.
I am the mirror of mindfulness, I mirror your careful attention.
Look clearly, moment by moment, and see directly into the very essence of mind.
Mindfulness is the root of Dharma.
Mindfulness is the body of practice.
Mindfulness is the fortress of the mind.
Mindfulness is the aid to the wisdom of innate wakefulness.
Mindfulness is the support of Mahamudra, Maha Ati, Dzogchen, and Madhyamika.
Lack of mindfulness will allow the negative forces to overcome you.
Without mindfulness you will be swept away by laziness.
Lack of mindfulness is the creator of evil deeds.
Without mindfulness and presence of mind, nothing can be accomplished.
Lack of mindfulness piles up a lot of shit.
Without mindfulness you sleep in an ocean of piss.
Without mindfulness you are a heartless zombie, a walking corpse.
Dear Dharma friends, please be mindful!
By the aspiration of the holy lamas, buddhas, bodhisattvas, and lineage masters,
May all vajra friends attain stable mindfulness and
ascend the throne of perfect awakening!
These few words were extemporaneously composed by the buck-toothed foolish ox, the fallen monk, Jamyang Dorje, and
offered to his vajra friends, who are endowed with the eyes of Dharma. --- Virtue, happiness and peace! Sarva Mangalam!
***
Anhang 19: Reflections on a New Approach in Psychotherapy (Ch. Trungpa Rinpoche)
Speech at Naropa Institute, August 5, 1979,
Transcribed and lightly edited by Lama Tenpa, February 2003. Small grammatical corrections have been made where it was
clear what was being said. Where it was not clear, things were left as they were on the tape.
[Introduction:] Welcome again everyone. It is my pleasure and honor to introduce to you Chogyam
Trungpa Rinpoche, president and founder of Naropa Institute. Trungpa Rinpoche from an early age has
been trained in the meditative and philosophical disciplines of the Kagyu and Nyingma traditions in Tibetan Buddhism. He is founder of Nalanda Foundation and Vajradhatu, an organization of Buddhist
meditation centers internationally. He has inspired thousands of students to ... wake up... (laughter) to
their own nervousness (laughter) as well as to basic goodness.
120
[Chogyam Trungpa Rinpoche:]
Thank you, ladies and gentlemen. I expected that this was going to be some kind of symposium as opposed to one man combat. However, as I have no choice, which is usually the case, and we go from starting right here, now.
The psychology concept of western traditions and Buddhist traditions has an interesting background,
history, historical background, general sense of how the psychological discipline has had to developed in
this continent and working with Buddhism all together. (...tape not clear...) that the people who studied
mind, beyond matter, are known as psychologists had studied Buddhism as a second thought, or double
take.
At the beginning of the century people began to study, practice meditation, in the Zen tradition as well as
the Theravadin tradition early in the century. And begin to become very interested in furthering Buddhist
studies such as like the Vajrayana discipline which exists in the Tibetan tradition. So we can say it is due to
the psychological studies that were made, the discoveries that had been made and developed in the western hemisphere all together have made it possible that we can present Buddhism all together, in this continent or in the western hemisphere, all together.
When Buddhism began to accept the hospitality of the psychological disciplines existing in the western
hemisphere that presentation of Buddhism becomes further and stronger in some sense. Buddhist begin
to take their style and practice and their root of heavy sitting practice of meditation and introduction level
such as taking the refuge vow or Bodhisattva vow, things began happening. So there is somewhat an appreciation of the hospitality that developed at an early stage, but none the less, on the other hand the
Buddhists began to present their case which made their original host(...tape not clear...) so there was an
interesting ...kind of...that the original hosts (...tape not clear...) psychological systems have had to think
twice. And that is not necessarily abusing the hospitality, but it is a natural process of how when we establish Buddhism properly that had to happen.
So in a sense in the present situation at the Naropa Institute psychological program and things like
that...that we are... begin to handle more guests and... less hosts than the original psychological system.
And maybe I should apologize behalf of the Buddhist involvement, this type... this particular type of
nature which is not meant to be invasive but turned out to be so in some sense.(laughter).
We are getting to the "brass tacks", so to speak, situation,...brass tacks situation is that in the presentation
of the Buddha dharma that we don't have the notion of ...eh...(laughter) we don't have the notion of analytical and psychological training. When a teacher talks to a student it is more likely... the relationship and
the language being used is more likely that the teacher is trying to raise the student in order to have good
table manners and a good behavior pattern rather than analyzing the students problems particularly.
When the students has bad table manners maybe it could be corrected either by direct sitting practice in
meditation or else telling the student that mindlessness of that particular student and they should be more
mindful of what they are doing.
And in the history of Buddhism there is no such thing as encounter therapy or primal therapy. But on the
other hand you could say that any capable Buddhist masters, teachers who is dealing with student's minds,
including the Buddha himself could be said to be the best teacher of psychology in some sense.
But the approach of psychology here is not internalize of the state of mind alone, but it is also related
with the state of behavior patterns of inadequacy on the student's part. If they are they are unable to
clean their room, their meditation cell. Early monastic discipline they were told to clean up. And the
monks and nuns are supposed to have thirteen articles of possessions when they become monks and nuns
and they are supposed keep those thirteen articles clean and good and those that they have they are not
supposed to lose any one of them mismanage any one of them. So a natural situation like that is basically
a practice of how to become sane by dealing with the environment. Dealing with ones state of mind becomes one with that.
And one traditional story is that Ananda, the Buddha's attendant decided to take a long period of fast not
eating any food, and he is getting feeble and weak, he cannot sit and meditate and the Buddha told him,
"Ananda, if there is no body there is no Dharma. If there is no Dharma there is no enlightenment therefore go back and eat." So that is the kind of logic that we have been using throughout the whole thing that
121
we don't have to go through extreme situations of any kind but we can actually be (...) on the spot by
managing our lives...
This brings us to another kind of question is that some sense of natural trust in oneself , and appreciation
of oneself which seems to be one of the key points that people who have psychological problems and all
of the problems come out of either individuals are mismanaged by their parents or their teachers in
school, or maybe their parents have a good intention or their teachers might have had a good intention
but their environment has not been adequate enough due to lack of money or skills, skillful means in handling the situation so that there is some kind of shortcoming.
And basic psychological problems you can say (...tape not clear...) from the Buddhist point of view is at
least people have been neglected our their environment ...ideally enough. In other words we are not particularly saying that parents should be rich (...tape not clear...) but we are saying that parents or teachers, or
their uncles, aunts, whatever you might have they could be skillful enough to provide some psychological
hospitality, in some sense of... (in the) early stages of childhood, a basic sense of welcome, basic sense of
health and goodliness...some kind of goodliness. And , on the whole, if there is no lying, twisting logic or
pretend to be something other than what they have. and all of those situations begin to build up...
So we have a child who is extremely intelligent, usually they are, all of us, and we begin to see through the
deceptions that go through, unskilfulness that goes through with our upbringing situation. With that upbringing situation we begin to become victim of that situation and we begin to feel affected by it either
inferior...authority, conflict or some kind of schizophrenia and worst of all there is a basic hatefulness of
individuals, the children themselves.
Whenever there is aggression and a disliking of any one of the environment or all of them, begins to
develop, that is the definition of insanity from the Buddhist point of view. Insanity comes from... not
necessarily from passion but usually it comes from aggression, resentful disliking...doesn't want to relate to
the world because the world has been punishing too much. Or even some times extraordinary hospitality
which makes people claustrophobic which also some from some sense of aggression and wanting to put
out too much hospitality into the children or the student situation. So we have an unbalanced situation
that there is no sensitivities involved by the environment ... could be animate or inanimate situation, that is
to say physical living situation, economic situation or sociological situation and parents, teacher, student
maid, governess, your business partners, your driver, your waitress, your... whatever. You tend to blaming
everything onto somebody else that in turn brings blaming on ourselves as well at the same time.
The western education all together has taught us to think that we are free men and women. We have a
perfect right to do anything we want. And therefore you have been taught that if anything goes wrong you
can also blame to anybody else rather than oneself. The psychological discipline on the other hand Which
is quite(...) democratic in that sense. The psychologists keep on telling their patients and their students that
(...tape not clear...) your ego so that you are capable of blaming somebody else. You have a tremendous
personal dignity and confidence so that if anything goes wrong think and flip around as much as we can
and then find a scape goat somewhere. "Hah, this one is wrong therefor I am fucked up." And the people
begin to do that quite consistently then we have all sorts of revolutions, fights, riots, evolutions and all
sorts of complaints based on somebody else but never you.
And the product of that is when you want to rule the world, if you do so that you have a tremendous
personal ego that you are bound to produce someone like Hitler, Mussolini, Mao Tse Tung, Castro,
Brezhnev...Carter (laughter) Ego of nations who says it is not my fault it is my nations pride therefore we
have our own pride and ego and glory and dignity and we do right. We are what we are therefore what are
what we are.... a gigantic ego world of some kind.
It seems to be one of the problems, the fundamental problems is that emotions ....unable to feel that you
can be so gentle and willing related with the world. There is no sympathy there is no real genuineness
which we are trying to cultivate at Naropa Institute of psychology program... as well as the rest of the
disciplines we have, the foundation is based on that. (...tape not clear...)ones own basic goodness which is
you are capable of opening yourself up and basic goodness may be not necessarily solid goodness but just
basic goodness, unconditional goodness on that space that you might find that you don't have a fundamental argument of resentment but you could be open situation that you can relate to the rest of the
environment, your world in that way.
122
So, in turn, the neurosis can be reduced because we don't put out... feeds back into the world and therefore the world begins to not begin to out any further feed back on us. That seems to be one of the basic
points and someone has to reduce the aggression, passion and ignorance. And we have to do it ourselves
to begin with. And once you begin to do that you are not only finding that the world is good but you begin to find that you're good too.
So interaction of that kind of nature which is a very, very simple minded approach, which we take pride in
that, kind of simple minded approach because we are true and we are not killing anybody, we don't say
that we have the best product, that we are devout in our institute psychological program.
But anybody can discover, Joe Schmidt down the street, could discover that. Doesn't have to have a
Naropa Institute as such to discover that particularly. But on the other hand everybody here are individually Joe Schmidt, ordinary people. So maybe if we have a hundred Joe Schmidts it might be good. We have
an ordinary discovery, a very simple discovery which might make sense as a total situation all together.
That what we are trying to do is that...deflate this pressure that goes on in the universe, in our world,
planet called earth. There is so much pressure and so much tightness. In order to deflate that we have to
start with a pinpoint by pinpoint. So if that big giant balloon could be deflated by a hundred needles,
maybe many needles, to deflate that particular balloon. It's possible. It has been done in the past. And I
think we are ready in the ripe present situation that way too.
We are not here to discuss what we are going to tell the rest of the world.. how we are going to jiggle
around the mad people, how we are going to tell them, how we are going to tell their parents they should
have paid their money to our center. We are not trying to find here a new scheme of how to make money
or come up with a new merchandise, a new discovery, but we are here to be honest, how much we can be
honest. With ourselves it is pretty much related to how much we can be honest with the others. (...tape not
clear...) general world honesty begins to develop, that we could be very free and very delightful, we can
work with each other as brothers and sisters.
Quite interesting (...tape not clear...) going to talk also about the same concepts tonight on the public talk
(...tape not clear...) talking about honesty, and gentleness, how could develop enlightened society. So we are
saying the same thing here in some sense.
It is in some sense ordinary but on the other hand, it's very special, straightforward. Maybe we could have
a discussion, a symposium. If you like to ask any questions you are more than welcome. (...tape not
clear...) Yes, the gentleman here?
1. You mentioned very briefly that insanity is a product of aggression. If wonder if you could go into that
a little bit more.
A. Well, insanity meaning hurting people and hurting yourself. Basically there is no (...tape not clear...) in
helping anybody, so aggression is definitely to keep yourself intact. You do not to deal with anybody else
at all. In fact if anyone attacks you want to attacks them back. It's very straightforward in that sense. And
you don't want to take part in the world. That's the problem of aggression. Unless they are part of your
gang. We have to think very simply this morning in our whole approach. It could be very simple and presented to anybody.
Mr. Podvoll would you have something to say? It would be nice if you could say something. (laughter)
2. It does seem that the ground of insanity is self loathing.
Trungpa Rinpoche: Self what?
Questioner: Loathing, hatred.
Trungpa Rinpoche: Yeah
Questioner: And that does seem to be apparent clinically when we work with very disturbed people...that
their self hatred surfaces in various ways.
Trungpa Rinpoche: hum hmm I think so. Well, somebody told me the other day that apparently I said that
if anybody has gone too far in their neurosis that we can't do anything. And I think that is not true. I
would like to make a correction on that. That we can help anybody, even those who have gone too far and
beyond the communication of regular channels of any kind. But the basic point is that there is some kind
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of magic in environment that when we set up our environment for people to be treated there could be a
wholesome environmental situation where staff members and hospitalities could be involved. And maybe
that particular person is not highly awake enough or sensitive enough to reach what's going on. But on the
other hand I think there is a general sense of when there is enough loving kindness is communicated in
the work and there is some process of cracking down into the heavy built of neurosis can be worked with.
This could be argued maybe but it could be possible, definitely possible.
And after all taking the example, only taking the example... is that the Buddhas and Bodhisattvas of the
past who worked on us, who originally were impossible people and they began to work on us, we (...tape
not clear...) so much at this point we can even hear and practice the teachings. So considering that possibility we can do the same thing as well. (laughter).
3. I had a question for you before the cocktail hour And now it seems like it has gotten snarled up a bit. It
seems like more of an answer but I would like to say...
Trungpa Rinpoche: umm hmm
Questioner: ... in some ways I... as I go through my life I look at certain ways that I am that tell me that I
am further along the path. I don't know quite how to say it but...
Trungpa Rinpoche: What kind of path are we talking about?
Questioner: uh... Well, I have inside some... when I was younger I had some goals. And now I don't have
any goals but I have something that I am moving toward, that I want to move towards. And I wonder... I
think if I wanted to be in...if I wanted a teacher I would seek out someone who seemed to be...have more
saner moments than I. And I wonder...now I know what the question is... It is kind of like what tells
you...what kinds of things in you tell you that you are a teacher. And I'm sorry I can't formulate this any
better but...
Trungpa: yeah
Questioner: Do you know what I am ...
Trungpa: I think so... yeah. Well it seems to be a simple situation that you have been learning so much,
trying to accumulate knowledge so much there has to be a point in our life, when we reach a certain age,
or a certain educational system that we have to unlearn all of them. And then we begin to find ourselves
as being completely naked and maybe we feel insecure, because we have stripped out everything to the
bone and that seems to be the point of relating with a teacher as if the teacher is willing to uneducate you.
That is the best thing at a certain point (laughter)....uneducate you....strip you naked. After all, the discovery is the naked mind. Enlightenment is not so much embarrassment that you become like a Christmas
tree. (laughter) But enlightenment is just watching at a blade of grass. That is better than a Christmas tree.
So there is a long journey from Christmas tree to blade of grass. It's so fresh, naked and fantastic and
simple and very ordinary.
Questioner: Thank you. That touches me in some way and I can't find any words to...
Trungpa: I am sure it touches you in some way. We have the basic goodness (laughter). Well, when it
touches you it makes you sad and happy at the same time. That's good. Keep it that way. Quite painful
maybe. Tickling.
Questioner: I think following that question there is a sense of discipline which is needed at those times of
nakedness, especially, for instance, in a psychotherapy session. We talked about earlier times when we go
blank, when we are working with people and some kind of panic and delight at the same time that all the
theories we learned don't seem to fit anymore. ...Uh.. and at that point the only thing I can think of right
now is discipline and I am wondering if you could suggest some "table manners" for the psychotherapist
particularly at those moments.
Trungpa Rinpoche: Well, I think that's very ordinary, extremely ordinary. The question is having some
sense of fundamental connection and you have to have... you have to be a people loving person to begin
with. That means you have to love yourself as well, that you don't regard this as a JOB, (laughter) a job.
And now duty, no job, and you don't say, "Now I have to go to the job, and have sweat and tears." Kind
of... and you just work with the people as if you were going to cook for yourself, peeling potatoes and
cooking vegetables and cleaning your rice and chopping your meat, whatever you do. And that is regarded
124
as a process of entertainment and therefore we don't regard that as a JOB. Usually, we don't. We have a
good meal.
So that kind of approach...the problem in the American world particularly people regard it that you have a
job and you have a family life very separate. And if you like people and you like to work with the people
and you miss them. You want to be with them. They might be quite demanding. On the other hand, but
self... you are not tired of that. So that's what's called the Maitri concept, people liking, liking people. And
that, when you have that much input and willingness to open you button and... (laughter) invite everyone
in. So that brings tremendous fresh air in your system. You like people with your open arms. Having had
that develop which is a very important thing first. Because you like yourself you like others to begin with
then you can proceed (...tape not clear...) and there is no tricks involved how to talk people into or out of
it. But we are not trying to talk people out of their insanity or talk them into insanity.
Otherwise it becomes a Mafioso project...(laughter) You don't have to do that particularly but the whole
point is being true. You see, the thing is that any therapy sessions where the therapist feels they have the
answer and the others don't have and you are going to tell the truth to them, but you are afraid to say, "I
think you are basically bad, why don't you shape up." No body does that particularly. The linguistic twists
that are involved is the problem of the therapeutic practice and you try everything so that you don't even
have to tell the truth.
So you hope that somebody will come up to the conclusion even using drugs of all kinds, upwards or
downwards, whatever is appropriate and some how it is trickery.
The main point is to learn to tell the truth and then they will respond to you because there is tremendous
power in telling the truth rather than bending you logic (...tape not clear...) come up with a good one.
Which is very close to the situation that... I had a meeting the other day, talking about Vajradhatu community business people. I told them that they have to tell the truth, they can't negotiate by lying and if they
begin to do so they lose, normally, in the long run, by lying too much, adding zeros in their financial report to the bank. Same thing, truth always works. Always. Some kind of honesty always works. That is the
source of trust. When somebody begins to trust you they begin to realize that you are saying something
worthwhile, truthful. It always works.
There is no special tips how to trick people into sanity by not telling the truth. I don't think there could be
such a thing at all. At least I haven't found it, dealing with my own students. Sometimes telling the truth is
very painful to them, but they begin to realize it is the truth. They begin to appreciate sooner or later.
(laughter)
4. That brings me to another question about the difference between the past of Buddha-dharma and the
conventional activity of being a therapist especially in agency work in which the therapy has a beginning,
middle, and an end that you don't always have control over.
Trungpa Rinpoche: Don't have any control over that you see... that is exactly the truth situation. You are
not assuming your control of the situation but you are trying to tell the truth in the beginning, middle and
end. (...tape not clear...) some kind of product of that truth involved. In fact (...tape not clear...) same
thing but you don't use the lingo of the dharma particularly, necessarily. But it is how you are, who you
are, how you behave yourself to begin with is important (....) come out of it. We are not talking about a
linguistic twist (...tape not clear...) at all. You see what I mean?
Questioner: yeah
Trungpa Rinpoche: You have to be honest and straightforward. And it has to be a good (...tape not
clear...) people... disturbed people are usually the only intelligent people. And they can tell you right and
left, the minute when you open your mouth they have(...tape not clear...) they know it and usually they are
so accurate and they are so profound So you have to learn to trust (...tape not clear...) situation (...tape not
clear...) at the same time.
And you don't think you know that someone is purely fucked up and therefore you have to reshape them,
and make into a different model of society people, which is not the fashion of the enlightened society
concept. The enlightened society concept is use them, work with them, channel them as they are, their
expression of accuracy.
Sometimes people give up conventional logic and they come up with neurotic logic, never the less still
125
there is the truth in them. They are very accurate. And it is very stunning. Sometimes one wonders who is
sane and who is not sane. And one has to trust in that kind of situation (...tape not clear...) willing to go.
Take a chance (...tape not clear...)
Questioner: Thank you Rinpoche.
5. Rinpoche you said that neurosis could be reduced because we don't put out feedback to the rest of the
world and I was wandering what you meant by feedback, whether that was that you had some product that
you wanted to sell or...
Trungpa Rinpoche: What?
Questioner: Product that you wanted to sell or... just that whether you had some product that you wanted
to sell.
Trungpa Rinpoche: I don't think so, particularly but the basic point is a question of ... if we are not willing
to open ourselves fully into the response that we get in dealing with the neurosis of the world you begin
to have the developed systems. The same as in the medical discipline that when the patient begins to have
bloodshot eyes that means they are getting fever, or whatever. So there is always some little guidelines how
to put them into pigeon holes which becomes very dangerous for the therapist or anybody who is working
with a psychological situation. You see what I mean?
Questioner: I am having a bit of difficulty hearing you.
Trungpa Rinpoche: Well, if you have to put pigeon holes on people. If they shake that means something.
If they stutter, that means something. And any little thing like that of behavior patterns in people of how
they are basically schizophrenia or whatever comes up with the situation, that is not the way that we
should always relate with the people. There are other situations where that we could look into, look for.
The persons basic goodness, where is that?
So the whole project in the traditional sense is critically oriented, negatively oriented. We are trying to find
out the symptoms rather than the healthiness. So if you begin to look into where does the health come
from. Even if they are so energetic and crazy, where does the energy come from? They could be critical,
where does the accuracy come from? They could be so neurotic and destructive, where does the basic pin
point of dealing with the energy come from? So if you could look into that point of view of basic goodness there is a point to it. That seems to be important rather than killing the symptoms of neurosis and
making somebody into a jellyfish.
Questioner: Thank you.
Trungpa Rinpoche: ...and which is also connected with the notion of the massaging system, that you
would like to massage any nervous system that exists in the body. If there is any tension it should be
quelled and modified so that the person has a complete jellyfish body, so there is no tension. And that
seems to be one of the biggest problems, you know. Therefore the Tibetan medical tradition never recommended massage as the highlight of relaxing people. Relaxation should have strength at the same time.
You don't make somebody into a "flop". (laughter).
5b. Rinpoche, recently my way of working with people has involved at some point...one, encouraging their
inquisitive mind by getting to know the situation they are coming in with. Such as, if someone is concerned about their anger, rather than trying to get rid of it I have been encouraging them to get to see
how it works and develop some kind of curiosity about it. And at some point it has seemed appropriate to
suggest meditation practice which I have done. And I wondered if you would say something about the
timing or appropriateness of actually suggesting to someone to begin to start meditating. I see therapy as a
bridge to help people become more open to hearing the teaching.
Trungpa Rinpoche: Yes, that's very good. But there should be some problems of that when you begin to
work with the energy level of their neurosis that you are stepping into a higher level of the Buddha's
teachings, vajra possibilities, that if you (tell them to ride on the?) energy it is very, very powerful. If you
can tell them how to do it would be fantastic, but, on the other hand if you tell them in a somewhat half
hearted way and it is very difficult for them to do so. Which is somewhat problematic, if you ride on a
rope and slide down, either you have the rope or you catch yourself half way through as you ride down,
which is very dangerous, at the same time very effective on the other hand. But so you should be careful
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that you don't give Vajrayana teachings to them.
But, on the other hand, I think introducing sitting practice is an excellent notion and definitely that could
be done. And the way and the logic that we introduce the sitting practice to anybody if there is some little
connection. And usually based on a sense perception level if they are artists, musicians, or connoisseurs of
food . Or even if they like food, or even if (they) like buying clothes, how many sense perceptions of
feeling, attaching of any kind, involves the world and then, that particular discipline could be reversed or
transformed into touch and go of the mindfulness situation.
So the basic point is that if anybody has appreciation (even if they are ?) collecting door knobs ... you
know, as their occupation, if they have things they are holding the door knobs hold something in their
hand and turning and opening and ... a connoisseur of door knobs or anything like that, if there is any
connection of that nature in the real physical level of appreciation of some thing or other, cooking food,
fine...buying clothes or a connoisseur of wine or perfumes, hairdressing or anything like that. If people
have any connection with the(...tape not clear...) the body or mind synchronization possibilities or anything you can work with that situation and you can do sitting practice that way at the same time, which is
no problem. Some one has some kind of interest, there has got to be ... some kind of interest somewhere.
Questioner: Thank you. Could you say something further about the issue of emotions, working with emotions in therapy?
Trungpa Rinpoche: Well, I think the point is that in the early level of therapy we are not particularly working with the emotions, particularly. But we are working with somebody's connection with the real world. If
somebody has a strong relationship with their husband, or their wife and we could talk in terms of how
you touch your husband, how you touch your wife, how you hit them, how you hug them. Rather than you
want to get something out of them... just to feel... a very simple concept and if you have your husband's
shirt and take it into your bed and smell it, how you feel that. Anything, but concrete rather than having a
Freudian concept all together of the masculine and feminine sexuality, everything. Which seems to be
stretching the logic a little bit. We are not all that up to date yet, with the Freudian concept and so on.
Questioner: (laughs) I agree with that. Thank you very much.
Trungpa Rinpoche: The gentleman in the back? Hello?
6. From what I understood and how you might feel....
Trungpa Rinpoche: Hello? (...tape not clear...)
Questioner: I am somewhat interested in how you might feel the unwillingness to ask for help. And maybe
some kind of basic trust in self but somehow or another willing to get into your particularly outrageous...
or get in to particularly....hmm... loose aspects of self, you know when you are particularly freaking out,
you know. But you are not looking for any kind of help, but you trust in the particular path, you know, of
your neurosis at the moment, or even psychosis, you know. And you see the various aspects, you know, it
is not particularly grounded or anything, it's quite crazy. And you are willing to go along with that, but you
are not actually interested in having any body else telling you about it but you're willing to go ahead and go
along with that. And maybe it's indulgence but...I am just wondering how you feel about that, the willingness to go along with craziness as it comes up in the moment.
Trungpa Rinpoche: Well, I think the basic point is that... one of the basic policies so to speak is (...tape
not clear...) not to go along with the craziness of any kind at all even the slightest of it even if your arm
twitches. Right?
Questioner: yeah
Trungpa Rinpoche: ...to begin with?
Questioner: sure.
Trungpa Rinpoche: And then there is the second step which is what kind of possibilities of not willing to
go along with the craziness which doesn't have to be heavy handed, particularly, but what is a possible
connection, any little pin point, whatever exists, even the simplest thing, pin point, of the situation. Same
thing as what we were saying is that we have to be very practical and ordinary. Basically any connection
can be made by some kind of environment if suddenly the person loses the gravity... begins to float in the
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moon. They want to come back to earth, they are willing to become sane. So maybe we have a... the next
project is that we should take everybody to the moon. Like if you really don't have earth how do you feel
like in outer space? Then when you teach them something they are so thankful that we have gravity of the
earth. Do you see what I mean? And you could use that logic in every situation. And I am not here to
predict every thing but to just give rough suggestions. Earth is good. If somebody is dancing in the sky,
breathing air is worse than if someone is (sitting?)on the earth eating dirt. It has more potential. Is it as
simple as that we ask? (laughter)
Questioner: Thanks.
Trungpa Rinpoche: I think we will close down this point ladies and gentlemen. What we are trying to say
is that we have to be very pragmatic and practical and also extra analysis doesn't particularly help. And
sitting practice (...tape not clear...) if possible, the best way all together. You have a connection with the
earth, your cushion, and your earth and your posture goes along with it. But at the same time the student
of therapy, psychology disciplines also have to (...tape not clear...) self first. Otherwise we have more patients rather than therapists which doubles the confusion all together.
Having heard (about such things ?) as egolessness you think you can bounce around in the nowhere which
is a very dangerous thing to do. So we have to get down to earth very much and once we begin to do that
I think we will have greater results. And we will be doing so with this particular program and we have been
having tremendous good results including Mr. Podvoll and others concerned, they begin to take more
seats in their chair which is the best example of the whole thing. (laughter)
So I appreciate you a whole lot and I am glad nobody is doing levitation tonight here (laughter) and everybody is sitting on your seat. And thank you very much. Let's keep it that way. None the less, sitting practice, meditation, would be an enormous help and it is very advisable. We have to try that (...tape not
clear...) that the story of the Buddha's attaining enlightenment, and having attained enlightenment somebody came along and said, "What is your witness, who is your witness that you attained enlightenment."
and he touched the earth ,"This is my witness. I sat on this earth, this very seat." And that is the principal
concept of therapy is that you sat on this earth. The earth witnessed your sanity. That is a very important
system, a very important concept. And that goes with out saying there is a (...tape not clear...) system.
(laughter).
Thank you ladies and gentlemen.
PS: A more condensed and sharp form of this talk was published in the Naropa Institute Journal of Psychology, Volume 2, 1983, (copyright, Nalanda Press), under the title "Creating an Environment of Sanity."
It is fair to say that this article became a seminal statement of what became Contemplative Psychotherapy,
and still is, a guiding principle in our development of Windhorse treatment. --- It is so good to see the
orignal transcript again, so rich and earthy and humorous. I personally have no objections at all to your
using the original transcript for your teaching purposes and selected distribution. Mangalam, Mingyur
(Edward Podvoll)
Anhang 20: Das Vierfache Kultivieren von Achtsamkeit (L. Lhundrup)
Überarbeitetes Transkript einer Unterweisung, aus dem Englischen übersetzt
Einführung
Wie immer, wenn wir einer Belehrung zuhören, entwickeln wir zuallererst die Bodhicitta-Motivation, die
Absicht des erleuchteten Geistes, den größtmöglichen Nutzen aller fühlender Wesen zu bewirken: Erleuchtung. Um dies umzusetzen und alle Wesen in diesen Zustand zu führen, engagieren wir uns im
Dharma, in Studium und Praxis.
Der Buddha unterrichtete das vierfache Kultivieren der Achtsamkeit auch bekannt als die vier „Grundlagen“ der Achtsamkeit als Basis aller Meditationspraktiken im Satipatthana Sutra, dem zehnten Sutra der
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mittellangen Sammlung (Majjhima Nikaya) des Pali-Kanons.11 Dieses Sutra ist die Basis der Achtsamkeitspraxis aller buddhistischen Schulen. Weitere Erklärungen finden sich im Anapanasati-Sutra, in dem der
Buddha über die Achtsamkeit auf den Atem als einem Mittel spricht, um alle vier Arten der Achtsamkeit
zu entwickeln, und auch im Kayagatasati Sutra, wo er die Anweisungen, wie Achtsamkeit auf den Körper zu
entwickeln ist, anhand vieler Beispiele erläutert. Diese drei Sutren zusammen sind das Herz der Achtsamkeitspraxis in der Theravada Tradition.12 Gampopa erwähnt die 'Vier Grundlagen der Achtsamkeit' im
'Kostbaren Schmuck der Befreiung' als Faktoren, die von Beginn der Praxis an entwickelt werden müssen,
wenn jemand den kleineren Pfad der Ansammlung betritt. Sie bilden die ersten vier der 37 Erleuchtungsfaktoren und formen den „Pfad des vollkommenen Untersuchens aller Dinge“.
Hier, im Kontext dieser kurzen Einführung werden wir nicht alle Aspekte der Achtsamkeit betrachten, wir
werden uns vielmehr auf das konzentrieren, was der Buddha das Vierfache Kultivieren nennt. Achtsamkeit selbst wäre ein wesentlich weiteres Gebiet. Es umfasst im Grunde genommen alle Formen der Praxis,
angefangen bei der Achtsamkeit auf den kostbaren Menschenkörper, auf die Vergänglichkeit, Ursache
und Wirkung, auf das Leiden, fortgeführt mit Achtsamkeit auf die Qualitäten der Zuflucht, Bodhicitta,
auf die Lehrer, Jidams und Schützer, und schließlich Achtsamkeit auf Mahamudra, die wahre Natur der
Wirklichkeit. Achtsamkeit ist das, was unsere Praxis wirksam macht. Ohne sie hat keine einzige Praxis eine
tiefere Wirkung.
Der Buddha spricht bei seinen Ausführungen zunächst über die zu entwickelnde Motivation: Sie ist der
Wunsch, vollständige Befreiung zu erlangen, Nirvana, die vollständige Auflösung des Haftens an ein
Selbst, was dasselbe bedeutet, wie jenseits von Leid zu gehen, jenseits von Kummer und Klagen, hin zu
wahrer Freude. Als nächstes spricht er von der Notwendigkeit, einen zurückgezogenen Ort aufzusuchen,
ganz gleich, welche Art von Achtsamkeitsübung wir praktizieren wollen, uns mit gekreuzten Beinen hinzusetzen, und mit geradem Oberkörper unsere Achtsamkeit vor uns zu sammeln; nicht notwendigerweise
mit Hilfe eines Objektes vielmehr einfach durch Stillsitzen mit ruhigem, unabgelenktem Blick. Dann, indem wir die Natur von Samsara kontemplieren, sollten wir alles Verlangen, alle Wünsche, alles Haften am
Kreislauf der Existenz hinter uns lassen und uns von Traurigkeit und üblen Geisteszuständen lösen. Die
Traurigkeit, die Buddha hier anspricht, entsteht zunächst mit der Entscheidung, Samsara hinter uns zu
lassen. Diese Traurigkeit ist im Grunde ein Unbehagen, weil wir unsere geliebten Anhaftungen hinter uns
lassen. Es sollte keine solche Traurigkeit in unserem Geist sein, wenn wir uns daran machen, die Ursachen
des Leidens zum Verschwinden zu bringen (!), vielmehr große Freude aufgrund fester Entschlossenheit,
jetzt auf die Befreiung zuzugehen, und fähig zu werden, sie auch allen anderen Wesen zugänglich zu machen. Es ist sehr hilfreich bei der Achtsamkeitspraxis die Unterstützung freudiger Entschlossenheit zu
haben. Achtsamkeit ist die Praxis derjenigen, die froh sind, Samsara zu entkommen. Unsere grundlegende
Geisteshaltung sollte frei von Anhaftung an die Welt sein. Auf dieser Basis können wir die vier Grundlagen der Achtsamkeit entwickeln. Dazu müssen wir mit Fleiß üben und mit einem klaren, präzisen Wissen
über das, was wir tun, mit klar verstandenen Meditationsanweisungen. Achtsamkeit heißt, nicht vergesslich
zu sein, nicht das Ziel zu vergessen. Achtsamkeit muss von Gleichmut begleitet sein, einem stabilen Geist,
unbeeindruckt von jedweden Erscheinungen im Geist. Sie sollte anhaltend sein, ohne Unterbrechungen,
nicht manchmal achtsam und manchmal nicht. Eine andauernde Achtsamkeit beruht in Wirklichkeit auf
tiefem Loslassen, so wie Gendün Rinpotsche uns immer unterwiesen hat. Achtsamkeit entsteht ganz natürlich, wenn wir kein Interesse für die weltlichen Belange haben und die Beschäftigung damit hinter uns
lassen.
Aber es gibt auch ein spirituelles Beschäftigtsein, das Hindernisse erzeugt: Ein starkes Wollen nach Loslassen, ein starkes Ringen um Entspannung, mit der Hoffnung, etwas zu bekommen und der Furcht, es nicht
zu erreichen. Wenn zuviel Wollen vorhanden ist, werden wir die Achtsamkeitspraxis recht schnell verwer-
Eine englische Übersetzung dieses Sutras aus Pali und Chinesisch findet sich in: Thich Nhat Hanh, Transformation & Healing, Sutra on the
Four Establishments of Mindfulness, Parallax Press, 1990; in Deutsch: Umarme deine Wut, Theseus, 2. Auflage 1993. Thich Nath Hanh gibt
außerdem umfangreiche Erklärungen und direkte Meditationsanweisungen.
Eine französische Übersetzung (Orginal in Englisch) findet sich zusammen mit ausführlichen Erklärungen in: Nyanaponika Thera, Satipatthana,
Le Coeur de la Méditation Bouddhiste, Libraire d'Amérique et d'Orient, Paris 1976
12 Ich bin meinem früheren burmesischen Lehrer Saya U Chit Thin zu Dank verpflichtet, der uns mehrfach zum Thema Achtsamkeit unterrichtete
und sich dabei auf diese Surtras als seinen Hauptbezugspunkt stützte. Weitere Hinweise bekam ich vom indischen Lehrer Angarika Munindra.
Dieses Teaching beruht auf der deutschen Übersetzung des Sutras in: Die Lehrreden des Buddhas aus der mittleren Sammlung, Jhana Verlag,
Neuübersetzung von Kay Zumwinkel, 2001, 3 Bände
11
129
fen, denn wir werden nicht in der Lage sein, authentische Entspannung zu erlangen. Wollen wühlt den
Geist auf, ebenso wie Hoffnung und Furcht.
Der Buddha lehrte vier Grundlagen der Achtsamkeit, die aufeinander aufbauen und die die Basis sind, um
Befreiung zu entdecken:
Achtsamkeit auf den Körper
Achtsamkeit auf die Gefühle
Achtsamkeit auf den Geist
Achtsamkeit auf die Dharmas
Die Achtsamkeit, die mit diesen Praktiken entwickelt wird, ist immer dieselbe. Die angewandten Methoden zur Entwicklung und Stabilisierung der Achtsamkeit ändern sich dagegen und werden zunehmend
feiner.13
I. Entwicklung der Achtsamkeit auf den Körper
Die grundlegende Unterweisung des Buddhas zur Achtsamkeit auf den Körper14 ist: 'Betrachte den Körper als Körper.' Das heißt: Was immer ein Körper ist was immer eine Form hat, betrachte es einfach als
eine physische Form und nicht als mein Körper, meine Form, identifiziere dich nicht mit dem Körper, betrachte ihn lediglich als Körper, als Ansammlung physikalischer Bestandteile. Wie dann die Erfahrung
dieser physikalischen Bestandteile aussieht, lernen wir auf der nächsten Stufe der Meditation kennen.
Die erste Unterweisung für diese Achtsamkeitsübung läßt sich in der Frage zusammenfassen: 'Was nehmen
die Sinne wahr?' Dies bezieht sich auf die fünf physiologischen Sinne (ohne den geistigen Sinn): Alles was
durch berühren (innere physiologische Wahrnehmung) hören, riechen, schmecken und sehen wahrgenommen werden kann.
Es gibt viele Wege, um Achtsamkeit auf den Körper zu entwickeln. Alle dienen dem Zweck, zur Nichtidentifikation mit dem ersten Skandha, Körper, oder Form zu verhelfen. Die wichtigste Methode ist die
Meditation auf den Atem. Zunächst aber geben wir einen Überblick über die Meditationen, die man gemäß Buddha ausführen kann.15
- Meditation auf die Unbeständigkeit aller körperlichen Gefühle und aller Formen einschließlich der
Betrachtung der Ursachen ihres Entstehens und ihrer Auflösung
- Meditation auf die 'Nicht-Attraktivität' des Körpers, der aus einer Reihe nicht sehr attraktiver Teile
besteht, etwa Knochen, Blut, Fleisch, Sehnen, Muskeln, Exkrementen usw.
- Meditation auf die Tatsache, daß der Körper aus den Elementen Erde, Wasser, Feuer und Wind zusammengesetzt ist, was uns zu einem Verständnis der wechselseitigen Abhängigkeit physischer Phänomene führt.
- Die traditionelle Kontemplation des Leichenfeldes, wo man den Körper in den verschiedenen Stufen
des Verfalls betrachtet: Ganz frisch, eine Stunde alt, einen Tag, drei Tage, eine Woche, einen Monat, bis
hin zum letzten Staub nach Jahren des Verfalls. Und auf jeder Stufe sollte man sich daran erinnern: 'Mein
Körper hat dieselbe Natur wie dieser Körper. Sobald der Atem stoppt, wird es keinen Unterschied zu
diesen Körpern geben, denn auch er ist ein zusammengesetztes Phänomen.' Was jemand bei der Betrachtung eines Leichenfeldes sieht, oder was sich jemand in seiner Visualisierung vorstellt, sollte auf jeder
Stufe mit dem eigenen Körper in Verbindung gebracht werden, an dem wir so sehr haften. Man sollte
vollkommene Klarheit über die bedingte und vergängliche Natur des Körpers erlangen.
All diese Meditationen werden auch von Gampopa im 'Kostbaren Schmuck der Befreiung' erwähnt. Sie
sind wichtige Heilmittel für Begierde und Unwissenheit. Weitere Meditationen zur Entwicklung von Achtsamkeit auf den Körper sind:
Zur Begriffsklärung: sati in Pali ist das Äquivalent zu smrti in Sanskrit und dran-pa in Tibetisch. Es wird mit Achtsamkeit, Aufmerksamkeit,
Sammlung übersetzt. Upatthana in Pali ist das Äquivalent zu upasthana in Sanskrit und zu nye-bar-bzhag-pa in Tibetisch. Es wird übersetzt mit
entwickeln, anwenden, befolgen, etwas gewärtig halten, eintreten. Wenn die beiden Worte verbunden werden, wird der anlautende Vokal 'u'
fallengelassen. Es ergibt sich: Sati-patthana: Entwickeln der Achtsamkeit
14 Körper: lus (gesprochen lu) in Tibetisch und kaya in Sanskrit
15 Eine solche Liste mag wenig anregend wirken, eher etwas akademisch, aber hier geht es darum, einen Überblick zu geben, gerade so wie es auch
Buddha im Sutra getan hat.
13
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- Meditation auf Gefühle des Wohlergehens und der Freude im Körper, die basieren auf physiologischen Meditationserfahrungen
- Meditation auf den Körper, wie er von klimatischen Bedingungen beeinflußt wird, von Hitze und
Kälte, von Hunger und Durst, Gefühlen der Schwere und der Leichtigkeit
-
Achtsamkeit in der Bewegung des Körpers, beim gehen, hinsetzen, liegen, essen, usw.16
Es ist wirklich sehr wichtig, auf unsere physischen Bewegungen zu achten. Wenn wir nicht einmal achtsam
auf unseren Körper sind, wie achtsam werden wir unserem Geist gegenüber sein? Physische Bewegungen
sind selten und eigentlich langsam, geistige Bewegungen dagegen sind zahlreich und äußerst schnell. Bei
der Praxis der Körperachtsamkeit geht es um die Entwicklung der Fähigkeit, sich von unheilsamen Handlungen mit Körper und Rede zurückzuziehen, den Geist zu beruhigen und Schritt für Schritt bei einer
Achtsamkeit des Geistes für sich selbst anzugelangen, bei ihm, der der Chef aller Handlungen ist, der
Ausgangspunkt aller karmischen Gestaltungen. Achtsamkeit auf den Körper ist mit Sicherheit leichter zu
praktizieren als Achtsamkeit auf den Geist.
Achtsamkeit auf den Atem
- Der Buddha unterrichtete ausführlich über die Achtsamkeit auf den Atem. Körperachtsamkeit in
Bezug auf den Atem bedeutet, des Atems gewahr zu sein beim Einatmen und des Atems gewahr zu sein
beim Ausatmen. Zu wissen, daß das eine ein kurzer Atemzug ist und das andere ein langer Atemzug.
- Atemachtsamkeit schließt weiterhin ein, was der Buddha das volle Gewahrsein des 'Atemkörpers'
nennt. Dies ist ein Begriff, der sich auf die Bewegung der subtilen Energie im ganzen Körper bezieht, des
Kreislaufes des inneren Atems, während man mit dem äußeren Atem meditiert. Wir begrenzen uns nicht,
indem wir den Atem lediglich an der Nasenspitze beobachten oder wie er die Bauchdecke hebt. Wir dehnen unsere Atemachtsamkeit aus, um unseren ganzen Körper einzuschließen. Der ganze Atemkörper
atmet. Auf diese Art sollte man die Atemmeditation nutzen, um Anhaften am Körper zu verringern. Man
kann auch körperliche Gefühle mit dieser Achtsamkeit beruhigen. Bis hierher gehört alles zu Achtsamkeit
auf den Körper.
- Buddha lehrt im folgenden Atemachtsamkeit unter Einschluß aller vier Grundlagen der Achtsamkeit.
Er zeigt, wie wir während der Übung der Atemachtsamkeit zugleich achtsam auf die Sinneseindrücke sein
können, auf die Gefühle, die im Zusammenhang mit allen sechs Sinnen entstehen. Während man auf den
Atem achtet, kann man zugleich in achtsamer Verbindung sein mit den meditativen Zuständen von körperlicher Freude, geistiger Freude, dem Ende intellektuellen Suchens, usw. Diese Erfahrungen gehören
zum Bereich der Achtsamkeit auf die Gefühle. Das heißt nicht, daß wir diese Zustände kultivieren sollen,
es heißt lediglich, achtsam zu sein und nicht daran zu haften. Der Nutzen dieser Zustände besteht einfach
darin, unsere innewohnende Weisheit zu wecken, die uns helfen wird, sie zu transzendieren.
- Wenn wir achtsam auf den Atem sind, können wir zugleich achtsam auf den Geist sein. Gemäß dem
Buddha heißt dies zunächst, den Geist vollständig zu erfassen, (in Kontakt mit den verschiedenen Zuständen des Geistes zu sein, ohne Ablenkung) Zweitens, die Freude im Geist zu vergrößern, drittens, den
Geist zu konzentrieren und viertens den Geist zu befreien.
- Die Achtsamkeit auf die Dharmas im Zusammenhang mit der Atemachtsamkeit schließt ein die Meditation auf die Vergänglichkeit, das Abwenden von Samsara, das Aufhören des Anhaftens und das vollständige Loslassen.
Diese Belehrungen stammen aus dem Anapanasati Sutra, in dem gezeigt wird, wie man den Atem als
Schlüsselmethode benutzen kann, um mit ihm alle vier Grundlagen der Achtsamkeit zu üben.
Für den interessierten Praktizierenden schließen wir hier noch einige mündliche Unterweisungen von
Gendün Rinpotsche zur Atemachtsamkeit an.17
Manche Lehrer halten diese äußere Ebene des Achtsamkeitstrainings für sehr wichtig. Als ich zum Beispiel einmal zu einem Interview mit
meinem Lehrer Anagarika Munindra in Bodhgaya kam, beobachtete er mich, als ich den Raum betrat. Dann sagte er mir: 'Du warst die ersten fünf
Schritte achtsam, dann hast du die Achtsamkeit verloren bis du dich auf dem Kissen niedergesetzt hast. Erst dann hast du die Achtsamkeit wiedergefunden. Geh zurück und versuch es noch einmal.' Er war ungewöhnlich präzise. Seine Assistenten beobachteten uns beim Essen um festzustellen, ob wir achtsam äßen: Achtsam auf die Bewegung der Hand, auf das Schlucken der Nahrung, den Geschmack usw. Ebenso ließ er uns lange
Stunden Gehmeditation praktizieren.
16
131
'Wenn wir den ein- und ausatmenden Bewegungen unseres Atems folgen, dann sollten wir ihn ganz natürlich lassen, so wie er ist. Wir sollten weder den Geist noch den Körper in irgendeiner Weise anstrengen,
wir sollten vollständig entspannt bleiben und den Geist das Kommen und Gehen des Atems beobachten
lassen, ohne irgendeine Ablenkung, ohne andere Gedanken, nichts anderes beschäftigt unsere Aufmerksamkeit. Laßt den Geist mehr und mehr mit der Bewegung verschmelzen, bis er vollkommen darin aufgelöst ist. Tut dies zunächst für 21 Atemzyklen, ohne Ablenkung, dann für eine größere Anzahl, und bleibt
die ganze Zeit aufmerksam.
Das heißt nicht, sich starr auf den Atem zu konzentrieren und zu sagen: 'Ich darf die Bewegung nicht
verlieren, ich muß konzentriert bleiben...' Wenn wir uns mit so einer Art von diskursiven Gedanken beschäftigen, entsteht ein Zustand geistiger Aufgeregtheit, der die natürliche Bewegung von Atem und Meditation stört.
Unsere Aufgabe ist einfach des Atems gewahr zu sein, ihn zu fühlen, ihn physisch und geistig zu erfahren.
Wir sollten ihm folgen, ohne etwas darüber hinaus zu tun, ohne Kommentar, ohne ihn in irgendeiner
Weise zu verändern. Dafür müssen wir sehr entspannt sein, sehr ruhig, und regelmäßig und liebevoll praktizieren. Wir warten dabei auf das Entstehen von Stille, die uns erlaubt, tiefer in die Meditation einzutauchen."
Will ich wach sein oder träumen?
Wenn wir Trungpa Rinpotsches Belehrungen18 zur Körperachtsamkeit zusammenfassen führt uns das zu
der Frage: Will ich schlafen oder will ich im Augenblick gegenwärtig sein?' Wenn du schlafen willst, praktiziere lieber keine Körperachtsamkeit, sie könnte dich aufwecken. Aber, wenn du im Augenblick gegenwärtig sein willst, dann praktiziere sie. Achtsam mit dem Körper zu sein, heißt wirklich in Kontakt zu kommen, und eine echte Verbindung zu unserem Körper zu etablieren. Es heißt, tatsächlich auf der Erde zu
sitzen, tatsächlich auf der Erde zu gehen, anstatt in den Wolken der Vorstellung zu schweben.
Es gibt eine gewisse Einfachheit unserer physischen Präsenz, die sich aus sich selbst entwickelt und uns
den Weg aus unseren Konzepten weist. Unser komplexer, konzeptueller, ständig denkender Geist beruhigt
sich, wenn er die schlichte Gegenwart des Gehens oder die bloße Präsenz auf dem Kissen fühlt. Es geht
darum, einfach in den Körper zu entspannen, einfach zu sitzen, zu gehen, zu atmen ohne irgend etwas
bestimmtes zu wollen, ohne irgendwo hin zu wollen. Nicht der Ankunftsort, das Sein selbst, die Bewegung ist es, die zählt. Das ist genug. Buddha gibt uns die Erlaubnis, einfach zu sein.
Hier, auf der ersten Ebene der Achtsamkeit gibt es noch keine Absicht, etwas analysieren oder verstehen
zu wollen, es gibt nur diese grundlegende Gegenwart, die Offenheit entstehen läßt. Und das ist sehr hilfreich. Es kann auch helfen, wenn man nachts nicht einschlafen kann. Du übst ein wenig Atemachtsamkeit,
und entspannst dich, Offenheit entsteht, und du kannst leichter einschlafen, weil sich die aufgeregten feinen Energien infolge der Atemachtsamkeit beruhigen.
Nun, Chögyam Trungpa sagt: Wenn wir diesen festen Grund berühren, verbindet sich unsere Praxis mit
unserer wirklichen Existenz. Dann können wir uns öffnen, auf der festen Grundlage des tatsächlichen
Geschehens, öffnen für unsere Umgebung und auch für andere Arten der Praxis. Zunächst aber brauchen
wir diese Festigkeit, dieses Gefühl, nach Hause zu kommen. Thich Nhat Hanh vergleicht das Geschehen
mit einem Kind, das nach langer Abwesenheit wieder nach Hause kommt. Wieder nach Hause zu finden
ist ein großer Schritt nach vorn auf unserem Weg.
Wie wir die Praxis der Körperachtsamkeit im Vajrayana weiterführen
Auch in unserer Vajrayana-Praxis arbeiten wir auf verschiedene Weise mit der Achtsamkeit auf den Körper. Unser Ziel ist dabei, zu einer vollständigen Integration von Körper, Rede und Geist zu kommen, und
zu einem Verständnis ihrer tieferen Realität. Das Training beginnt, indem wir das Drehen unserer Mala mit
der Rezitation eines Mantras synchronisieren. Wir verbeugen uns mit unserem Körper in voller Länge,
sind achtsam auf diese äußere Bewegung und führen sie korrekt aus. Zugleich entwickeln wir Achtsamkeit
auf die inneren Bedeutung, als Zufluchtnahme uä. Wir benutzen den Körper als Hilfsmittel, um immer
wieder in einen heilsamen Geisteszustand zurückzukehren, oder in Kontemplation und Meditation. Wir
opfern Mandalas oder formen Mudras, während wir zur gleichen Zeit rezitieren und visualisieren. In der
17
18
Lodjong Dossier, Seite 14
Chögyam Trungpa Rinpotsche: Das Herz des Buddha. Buddhistische Lebenspraxis im modernen Alltagsleben. Bern (Scherz), 1993, 31-67
132
Meditation üben wir die richtige Körperhaltung und wir benutzen ebenso Mantras und rezitieren. (In dieser vierfachen Klassifikation gehört Achtsamkeit der Rede ebenso zur Körperachtsamkeit, weil es eine
äußere Handlung darstellt.)
Körperachtsamkeit heißt auch, daß wir uns auf unseren Körper einstellen, daß wir ihn nicht überstrapazieren, daß wir bemerken, wenn wir müde, steif oder kalt sind, und daß wir unsere Praxis dementsprechend
anpassen, indem wir unsere Sitzposition, Essen und Trinken, Wärme und Frischluft, Ruhe, Schlaf und
Übung verändern. Um wirklich ein Yogi zu sein, müssen wir wissen, was unser Körper uns sagen will. Wir
sollten eine Haltung von Sensibilität, Warmherzigkeit und Gewaltfreiheit gegenüber unserem Körper entwickeln, ohne in Faulheit und Sorge um uns selbst zu verfallen. Unser Körper ist nicht bloß der Sklave
unserer Praxis, sondern tatsächlich ein sehr feines Werkzeug zur Entwicklung von Achtsamkeit. Wir sagen
im Vajrayana sogar, daß er der Sitz der Erleuchtung ist.
Wenn wir uns selbst als Buddhaform (Jidam) visualisieren, üben wir Körperachtsamkeit auf einer noch
feineren Ebene. Wir beziehen uns auf eine tiefere Realität von 'Körper' mit der Absicht, der durchscheinenden, nicht-substantiellen Natur von Körper und Form gewahr zu werden, und die Identifikation mit
unserem normalen, physischen Körper aufzugeben. Dabei ist unsere Achtsamkeit auf die Wirklichkeit
gerichtet, so wie ein Buddha sie sieht. Das dehnt unsere Achtsamkeitspraxis über alle begrenzenden Konzepte aus, mit denen wir sonst den 'Körper' erfassen. Das ist die Integration der grundlegenden Körperachtsamkeit in die höhere Achtsamkeit des Vajrayana. Es ist die natürliche Fortsetzung von Erfahrungen
mit der auf den Boden bringenden Körperachtsamkeit, die sich mehr und mehr auf die Feinheiten des
Seins einschwingt. Wenn 'Körper' erfahren wird als der feine Widerschein aller inneren und äußeren Ereignisse, wenn er wahrgenommen wird als Spiegel des ganzen Universums, dann enthüllt er seine heilige
Dimension. Alle Form wird als Bestandteil des höchsten 'Körpers' der Yidam-Gottheit angesehen.
Achtsamkeit auf den Körper führt uns schließlich zu dem Verständnis, daß alle Phänomene, alle Formen,
alle 'Körper' frei von innewohnender Existenz sind, leer, vollständig rein, verbunden und durchscheinend,
gerade wie Reflexionen auf einem reinen Spiegel oder auf klarem, unbewegten Wasser. Das ist die wahre,
letztendliche Einfachheit des 'Da-Seins', das ist der Schlüssel zur Körperachtsamkeit schon vom Beginn.
Frage: Können wir diese Belehrungen zur Körperachtsamkeit auch auf Gedanken anwenden?
Antwort: Ja. Es gibt tatsächlich keinen Unterschied zwischen unserer äußeren, physischen Form und der
inneren Form, geistigen Repräsentationen oder Gedanken. Wenn du auf den Körper meditierst, stellst du
fest, daß der Körper sich nicht außerhalb der Gedanken befindet. Und wenn du auf Form meditierst,
wirst du sehen, daß Form nicht außerhalb ist, daß es keinen Unterschied gibt zwischen Gedanken, die
vollständig aus dem Geist kommen und solchen, die eine äußere Stütze haben. Das ist eine der Einsichten
die aufgrund der Meditation von Körperachtsamkeit entsteht. Die Trennungslinie zwischen Gedanken,
Körper und äußerer Umgebung löst sich auf. Wir können keine Grenze für dieses sich ständig verändernde und in mannigfachen Bezügen sich befindende Phänomen namens Körper finden. Innen-Außen wird
vollständig durchscheinend und nicht unterscheidbar. Das ist der Grund, warum die Meditation auf den
Körper die Quelle aller Realisationen sein kann.19
II. Entwicklung der Achtsamkeit auf die Gefühle
Die zweite Grundlage der Achtsamkeit besteht in der Meditation auf die Gefühle oder die Sinneswahrnehmungen.20 Wieder sind die Anweisungen Buddhas sehr einfach. 'Betrachte die Gefühle als Gefühle.'
Das sind einfach Gefühle nicht meine Gefühle. So kommt es auch zu der Anweisung: Wenn ein angenehmes Gefühl entsteht sage dir in deinem Geist: 'Angenehmes Gefühl', wenn ein unangenehmes Gefühl
entsteht, sage bloß 'unangenehmes Gefühl' – Ende der Geschichte, keine weiteren Kommentare.
Was wir 'Achtsamkeit auf die Gefühle' nennen ist gemäß Buddha eine einfache, nicht wertende Aufmerksamkeit auf angenehme, unangenehme (zeitweise sogar schmerzhafte) Gefühle und auf neutrale Gefühle.
Letzteres bezieht sich auf meditative Versenkungszustände (Samadhis) Wir sollen ebenso achtsam sein, ob
die Gefühle von weltlicher oder von spiritueller Art sind und in welchen Kombinationen sie auftreten, als
weltlich angenehm, weltlich unangenehm usw. Die Anweisung kann hier zu der Frage zusammengefaßt
19 Laut Mingyur (Edward Podvoll) hat Goethe einmal folgende Zeilen geschrieben: 'Es gibt kein Innen und kein Außen, Außen ist Innen, Innen
ist Außen.' Vielleicht kennt einer der Leser die Quelle?
20 Gefühle/Sinneswahrnehmungen: tshor-ba in Tibetisch (gesprochen tsorwa) und vedana in Sanskrit
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werden: 'Was fühle ich innerlich, wenn ein Sinneseindruck auftaucht.' Die Idee dabei ist, einfach nur zu fühlen,
direkt, ohne irgendeinen Kommentar, und zu bemerken, wie sofort jede Erfahrung als angenehm oder
unangenehm bewertet wird. Es geht darum, daß wir uns dieser ständig im Geist stattfindenden Bewertungen bewußt werden. Dieses Bewußtsein gibt uns die Chance, die Kette zu unterbrechen.
So begleiten wir unsere Gefühle mit Achtsamkeit, und indem wir uns des begleitenden Bewertungsprozesses bewußt werden, finden wir Möglichkeiten, wie wir sie loslassen können, eines nach dem anderen.
Dank der Achtsamkeit können wir weitere Kettenreaktionen verhindern, mit all den damit verbundenen
emotionalen Verwirrungen. Achtsamkeit auf unsere Gefühle führt auch dazu, daß wir uns besser kennenlernen, und nicht mehr vor unseren Gefühlen davonlaufen. Sie werden zu vertrauten Erfahrungen verschiedenster Art, jedoch ohne spezielle Wichtigkeit. In einer Hinsicht sind sie trotz ihrer Verschiedenartigkeit gleich: Sie kommen und gehen, ohne Spuren zu hinterlassen. Diese Art von Meditation führt zur
schrittweisen Disidentifiktion mit dem zweiten Skandha: den Gefühlen oder Sinneseindrücken. Dann
können Gefühle entstehen, ohne daß zusätzliche Gedanken daran hängen, die Verbindungen zu einem
'Ich' oder 'Selbst' herstellen. Sie sind einfach, was sie sind, Gefühle, ein Strom von Erfahrungen, ständig
im Wandel. Kannst du ein 'Selbst' darin erkennen?
Du kannst deine Gefühle von innen betrachten, als persönliche Erfahrung, oder von außen, so als ob
jemand anderes sie erlebte, als ob du auf dich selbst vom Standpunkt eines äußeren Betrachters schautest.
Es werden beide Arten zu praktizieren unterrichtet und beide sind okay. Außerdem sollen wir gemäß
Buddha beobachten, was die Gefühle entstehen läßt, und was die Ursachen für ihr Verschwinden sind.
Damit untersuchen wir die Vergänglichkeit der Gefühle und ihre bedingte Natur. So betrachten wir die
Gefühle auf intelligente Art. Diese Art ist nicht-wertend, und weil das etwas Raum gibt, läßt das NichtWerten Verständnis entstehen. Wir sehen wie Freude entsteht, und wie Leid entsteht. Wir sehen, wie
Freude vergeht und wie Leid vergeht.
Das ist die eine Art, mit den Gefühlen zu praktizieren, indem wir unsere Intelligenz und unseren Forschergeist benutzen. Die andere Art ist, einfach gewahr zu sein, was passiert. Einfach gewahr sein, ohne
sich anzustrengen, etwas zu verstehen, genau wie bei der grundlegenden Körperachtsamkeit. Ein sehr
einfacher Geist, nicht mehr. Am Anfang empfiehlt sich, zunächst die grundlegende Achtsamkeit auf die
Gefühle zu üben, sich klar zu werden über ihr Kommen und Gehen. Später untersucht man gelegentlich,
wie Ursachen und Bedingungen Gefühle und Wertungen entstehen und vergehen lassen. Man kann auch
jeden einzelnen der fünf Sinne als Stütze für die Achtsamkeit auf die Gefühle nutzen und auf diese Weise
beobachten, wie der Geist sofort die Sinneseindrücke bewertet. Wir benutzen Geräusche als unsere Stütze,
Gerüche, Geschmack, Körpergefühle, den strömenden Wind, einen Juckreiz, jede Art von Stütze. Jedesmal schauen wir, was damit im Geist geschieht.
Wir bemerken die tausenden, millionen Bewertungen, die in unserem Geist stattfinden. Die übliche Konsequenz ist, daß wir anfangen, uns total abscheulich zu finden, mit all diesem Mögen und Nichtmögen.
Aber was soll man machen? So ist es schon lange Zeit gegangen. Jetzt wird es uns bewußt. Großartig! Bald
werden wir uns damit entspannen können, und später -von Zeit zu Zeit- werden wir fähig, loszulassen, bis
wir am Ende zur wahren Freude am nicht-wertenden Geist finden. Dann muß man sich keine Mühe mehr
geben, loszulassen, dann finden wir darin unseren bevorzugten Seinszustand.
Frage: Ist dies Achtsamkeit auf Bewertungen oder noch Achtsamkeit auf Gefühle?
Antwort: Sie sind miteinander verbunden. Wenn man allein auf der Ebene der Gefühle bleibt ist man
schon ein fortgeschrittener Praktizierende. Normalerweise haben wir uns in Bewertungen verfangen, ehe
wir das überhaupt bemerken. Du wirst feststellen, daß es unmittelbar nachdem du etwa ein Traktorgeräusch gehört hast, zu einer Namensgebung kommt. Du sagst: Traktor. Du meinst, daß die Namensgebung der Gedanke ist, der unmittelbar auf den Sinneseindruck folgt. Aber eigentlich hast du das Geräusch, bevor diese in Wirklichkeit recht komplexe Namensgebung erfolgt, schon mehr oder weniger bewußt als angenehm/unangenehm bewertet. In der Meditation wirst du diese Zusammenhänge erkennen.
Am Anfang ist Achtsamkeit auf die Gefühle vor allem ein Bewußtwerden darüber, wie jedes Gefühl eine
Kettenreaktion lostritt. Wenn sich später grundlegende Achtsamkeit von allein einstellt, gelangst du in den
Bereich, wo du einfach die Gefühle fühlst, ohne weitere Kommentare, und wo der Unterschied zwischen
Treckerkrach und der lieblichen Stimme einer Frau immer geringer wird.
Frage: Angenehm/Unangenehm – Das geschieht vor der Benennung?
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Antwort: Ja, lange vorher. Ein Name ist schon ein komplexes Konzept. Du hast schon den Unterschied
zwischen diesem und all den anderen dir bekannten Geräuschen analysiert, von Tieren, Autos, usw. Du
hast fokussiert. Du hast dich an andere Geräusche aus der Vergangenheit erinnert und es mit ähnlichen
verglichen, die du kennst und schon einmal gehört hast. Indem du vergleichst und noch weitere situative
Faktoren in Rechnung stellst kommst du zu dem Schluß: Das ist wohl ein Traktor. Das heißt, bis dahin ist
eine Menge passiert. Angenehm/unangenehm ist die erste und unmittelbare Reaktion des Geistes auf
einen Sinneseindruck. In Folge dieser Reaktion entscheidet sich, ob wir eine offene oder eine beschützende Haltung gegenüber der Situation einnehmen.
Wie kann der Überlebenstrieb zum Lebendigsein führen?
Wenn wir Trungpa Rinpotsches Belehrungen zusammenfassen wäre die wichtigste Fragestellung bei dieser
Art Achtsamkeit: 'Wie kann sich der elementare Überlebenstrieb zu einer Achtsamkeit auf das Leben
wandeln?' Alle unsere Handlungen (atmen, essen, sich bekleiden) sind normalerweise von unserem elementaren Überlebensinstinkt gesteuert. Alle Interpretationen unserer Gefühle stehen mit ihm in Zusammenhang. Was ich auch höre oder fühle, ich bewerte es als gefährlich oder nicht-gefährlich. 'Könnte dies
eine Hilfe für mich sein, könnte ich einen Nutzen daraus ziehen, oder könnte es mir Ärger einbringen, mir
etwas wegnehmen oder mich ärmer machen?' Dieser Überlebenstrip spielt sich in einem fort unbewußt in
unserem Geist ab.
Achtsamkeit auf die Gefühle lehrt uns, wach zu sein und zu bemerken, daß wir schon immer überleben.
Jedes Gefühl, jeder Sinneseindruck zeigt uns, daß wir leben. Wir bemerken, daß das Leben einfach weitermacht, von Moment zu Moment, ohne daß wir uns speziell dafür anstrengen müssten. Wenn wir es so
betrachten, entkommen wir den immer wiederkehrenden, mit den Gefühlen verbundenen Schwierigkeiten.
Wir bekommen ein bißchen Hunger, - aber wir müssen nicht gleich reagieren. Wir beobachten nur, wie
dieses lebhafte Hungergefühl in uns entsteht und wieder vergeht. Dann können wir natürlich auch noch
etwas damit machen. Wenn es irgendwo einen lauten Knall gibt, müssen wir uns nicht unbedingt anspannen, wir beobachten einfach. Wir müssen uns nicht ständig anspannen, nur weil irgend etwas passiert.
Einige Zitate von Chögyam Trungpa Rinpotsche: 'Der Überlebensinstinkt wandelt sich in einen Sinn für
das Dasein, und Achtsamkeit wird zu einer grundlegenden Zurkenntnisnahme unserer Existenz. Meditation wird untrennbar von unserem Lebenswillen, und in ihm sind Aufmerksamkeit, Meditation und Achtsamkeit enthalten. Die Lebenskraft, die uns lebendig sein läßt, und die sich fortwährend in unserem Bewußtseinsstrom offenbart, sie selbst wird zur Praxis der Achtsamkeit....Wir können uns einfach auf unseren Lebensprozeß einschwingen... Einfach Leben ist schon genug, wir müssen uns nicht immer wieder
vergewissern. Wenn du den Prozeß nicht unterbrichst, um dich zu vergewissern, bekommt das Leben sehr
klare Züge, es wird kraftvoll und sehr präzise. Meditation ist die absolute Erfahrung jedes Lebewesens, das
einen Überlebensinstinkt besitzt.'
Vollständig Leben heißt, im Moment vollständig präsent zu sein, ohne störende, den direkten Kontakt
verhindernde Gedanken. Trungpa Rinpotsche lehrt uns, klar zu bemerken, was ist, sich sofort darauf einzustellen, und unmittelbar wieder loszulassen. Berühren und Gehenlassen. Wir berühren die Situation,
verstehen sie, sehen sie, und lassen schnell genug wieder los, um wieder in der Frische des Augenblicks
verweilen zu können. Und es ist diese Frische, die sich zum Fluß des Lebens öffnet. Das Leben ist ein
Fluß von Eindrücken, ein Fluß von Gefühlen. Ein ständiger Fluß von Wahrnehmungen, Gefühlen und
Erfahrungen. Anstelle von Angst entwickeln wir ein grundsätzliches Vertrauen, daß wir all diese Wahrnehmungen nicht kontrollieren müssen. Wir müssen nicht eines festhalten und anderes loslassen. Wir
können uns erlauben, den Fluß in unserem Geist geschehen zu lassen. Das ist die grundlegende Vorstellung von Entspannung bei der Achtsamkeit auf die Gefühle.
Dafür müssen wir unsere Absicht aufgeben, die Welt auf dieser grundlegenden Ebene zu manipulieren.
Unser üblicher Überlebenstrieb bringt uns dazu, daß wir die Situation manipulieren wollen: 'Das will ich,
das will ich nicht.' In der grundlegenden Achtsamkeit gibt es solche reflektierenden Gedanken nicht. Es
gibt keine persönlichen, ich-zentrierten Interessen in unserem Kontakt mit dem Leben. Es handelt sich
um eine ganz einfache Präsenz.
Ich-zentrierte Achtsamkeit ist das genaue Gegenteil davon: Der Wächter auf dem Turm, der fortwährend
Ausschau hält nach günstigen Gelegenheiten oder Feinden. Das ist 'Überlebensachtsamkeit', ohne
Gleichmut und ohne Loslassen. Wir sollten unsere Achtsamkeit nicht entwickeln, um unsere Überlebensfähigkeit zu verbessern. Ich vermute, daß genau das in den Meditationsseminaren für Manager angeboten
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wird. Wir üben uns nicht in Meditation, um besser dazustehen, und um anderen die Chancen vor der Nase
wegschnappen zu können.
Chögyam Trungpa meint, das Festhalten am Wunsch nach Leben bringe die Gefühle an den Tod mit sich.
Wenn wir nach dem Leben greifen, sind wir schon halb tot. Das ist der Motor der Depression. Nach dem
Leben zu greifen, tötet das Leben. Das Festhalten an Aspekten unseres Lebens, das unserem Lebenswillen
geschuldet ist, entfernt uns weit von dem was tatsächlich passiert. Wenn wir das Klammern loslassen,
taucht sofort das Gefühl auf: 'Ach, als wenn ich den Himmel für lange Zeit nicht gesehen hätte...', 'ach,
der frische Wind…'Mit einem mal kehrt frische Präsenz in unser Bewußtsein zurück. Das ist ein sicheres
Zeichen, daß unsere Depression sich auflöst. Wenn die Frische des Moments zurückkommt, dann ist das
das Ende des Todes und der Beginn der Freude.
Natürlich, wir klammern, weil wir Angst vor dem Tod haben. Aber wenn wir es hinkriegen, einfach dazusein und zu entspannen, achtsam auf einen Atemzug nach dem nächsten, dann wissen wir auch, daß wir
wieder einen Moment überlebt haben, und daß wir uns erlauben können, uns ebenso im nächsten Moment zu entspannen. Keine Notwendigkeit, festzuhalten. Thich Nath Hanh sagt: 'Achtsames Arbeiten mit
unangenehmen Gefühlen schenkt uns Einsicht und Weisheit.' Ja, die Freiheit von Angst vor dem Tod, die
Einsicht in die Wahrheit des 'Nicht-Selbst', und den Mut, geduldig ein Gefühl nach dem anderen anzuschauen in dem Wissen, daß wir aufgrund der Achtsamkeit nicht befürchten müssen, von den Gefühlen
überwältigt zu werden.
Für die Mahayana- Praxis ist es sehr wichtig, sich für die Gefühle zu öffnen, denn jeder Kontakt mit einem
anderen Menschen bringt Gefühle mit sich, -angenehme und unangenehme, -die verschiedensten Arten
von Gefühlen. Man kann nicht Bodhisattva sein, ohne sich für seine Gefühle zu öffnen. Wie können wir
anderen helfen, wenn wir uns nicht für unsere Gefühle öffnen und nicht bereit sind, sie durch uns hindurchgehen zu lassen? Wie können wir uns der Aufgabe stellen, die Schwierigkeiten der Wesen zu befreien, wenn wir an eigenen Erfahrungen festhalten? Auch sollte unsere Achtsamkeit kein kalter Beobachter
sein sondern -wie Thich Nath Hanh es ausdrückt: 'eine Lampe, aus der Licht strahlt, kein Richter' oder
'wie eine ältere Schwester, die sich liebevoll um ihre jüngeren Geschwister kümmert'. Eine Lampe gibt
nicht nur Licht, sondern auch Wärme. Unsere Achtsamkeit ist nicht nur Ausdruck von Weisheit sondern
auch von Liebe und Mitgefühl. Wir lächeln uns selbst an und nehmen uns von Zeit zu Zeit in den Arm.
Eine mitfühlende Annäherung an Samsara, Bodhicitta für alle Wesen, uns eingeschlossen.
Wie wir die Achtsamkeitspraxis auf Gefühle im Vajrayana fortführen
Im Vajrayana öffnen wir uns bewußt den Gefühlen, wir laden sie ein als Bestandteile vieler Praktiken.
Wenn wir z.B. ein Festopfer zusammen feiern, entstehen intensive Gefühle verschiedener Art in Verbindung mit allen Sinnen. Es entsteht eine Offenheit für die Sinneseindrücke, wir bewegen uns auf das Leben
zu. Auch die Praxis, einen Schrein einzurichten und ihn schön zu gestalten ist Ausdruck von Wertschätzung der Gefühle, in diesem Fall der durch die sichtbare Form hervorgerufenen Gefühle. Musik, Räucherwerk, Gesang, Instrumentenspiel…, im Tantra befördern wir die Gefühle, um ihre wahre Natur besser zu erkennen. Wir betrachten sie als Botschafter der Weisheit.
Echte Achtsamkeit auf die Gefühle ist Einsicht in ihre wahre Natur. Auf der ersten Ebene der Achtsamkeit konstatieren wir einfach die Anwesenheit eines Gefühls. 'Da gibt es Ärger'. Dann sehen wir seine Vergänglichkeit: 'Der Ärger ist schon vergangen. ' Dann sehen wir sein abhängiges Entstehen, die Tatsache, daß er
nicht einfach aus dem Nichts heraus gekommen ist, sonder entsprechend einer Kette von Ursache und
Wirkung. 'Ärger entstand durch Festhalten an einer Erfahrung, die als unangenehm bewertet wurde.' Weil wir den abhängigen Charakter der Gefühle erkennen, erkennen wir auch ihre illusionäre Natur, bar eines essentiellen
Kerns. Wenn sie vorüber sind, sind sie vorüber, sie hinterlassen keine Spuren, sie besetzen keinen Platz
mehr. 'Der Ärger ist vergangen und erscheint wie ein böser Traum, der vorüber ist, ich kann ihn nicht einmal mehr wieder
finden.' Dann verstehen wir von innen, daß man das Leerheit nennen kann, Leerheit der Gefühle: 'In diesem
ganzen Ärger gibt es kein 'Selbst'. Wenn wir in ihn hineinschauen bei seinem Entstehen, ist nichts zu sehen. Wenn wir
hineinschauen sehen wir nicht mehr, als wenn eine Blase zerplatzt wäre.'
Auf dem Vajrayana-Pfad sehen wir alle diese Gefühle als Erfahrungen der Buddhaform (yidam) oder des
Lama'. Wir meditieren auf unsere Gefühle nicht als unsere eigenen, sonder als Gefühle der Buddhaform
im Rahmen des ursprünglichen Gewahrseins. Es gibt keinen Grund mehr, sich zu sorgen. Gefühle entstehen aus dem Spiel des Bewußtseins im grenzenlosen Raum. So berühren wir die wahre Natur der Gefühle.
Ständig sich wandelnd, so wie der Wind in ewiger Bewegung. Ständige Aktivität ohne jede Substanz, und –
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wenn kein Haften entsteht- dann erscheint diese Bewegung als Ausdruck von Freude und Glückseligkeit,
als Vollkommenheit aller Erscheinungen. Sie ist der Ausdruck des großen Mitgefühls, des selbstlosen,
nicht-haftenden erleuchteten Geistes. Wenn es keine dualistischen Reaktionen auf diese Bewegungen gibt,
auf diese Gefühle, dann versteht man, daß sie natürlicherweise vollkommen sind. An diesen Gefühlen gibt
es nichts zu verändern, weil sie die spontane, unaufhörliche Kreativität des Geistes sind. Das ist wirklich
'lebendig-Sein', vollständig offen, ohne jedes Haften.
III. Entwicklung der Achtsamkeit auf den Geist
Die Anweisungen Buddhas für die Achtsamkeit auf den Geist21 sind wieder sehr einfach: 'Betrachte den
Geist als Geist.' Nicht als meinen Geist! Buddha war sehr einfach in seinen Belehrungen, sehr direkt. Wenn
man aber seine Anweisungen in die Praxis umsetzt, sieht man sehr schnell, wie tiefgründig sie sind. Man
kann seine Anweisungen zu dieser dritten Art Achtsamkeit in der Frage zusammenfassen: 'Wie ist der Geist
in diesem Moment?
Buddha fragt: Ist da Begehren, ist da Hass, ist da Unwissenheit? Ist dieser Geist im aktuellen Moment
klein (eng) oder weit? Ist er konzentriert oder abgelenkt? Ist es ein edler oder ein samsarischer Geist. Ist er
begrenzt oder unübertrefflich? Ist er befreit oder nicht befreit? Angespannt oder entspannt.
Buddha lehrt, daß die erste Stufe der Achtsamkeit auf den Geist in einer einfachen, nicht wertenden Achtsamkeit auf den momentanen geistigen Zustand besteht. Sieh in den Geist wie in einen Spiegel, und du
wirst finden: 'Ah, sehr angespannt, oder: oh, sehr offen, oder was immer da ist, Verlangen. Hass, usw., sieh
einfach, was da ist.
Dann entwickelt sich die Achtsamkeit einen Schritt weiter, um die Ursachen für das Auftauchen und Vergehen der verschiedenen Geisteszustände zu untersuchen. Wenn wir auf diese Art etwas über die Zustände unseres Geistes und ihr bedingtes Entstehen lernen, hilft uns das in einer Situation schneller loszulassen. Wir wissen dann, wie wir heilsame Geisteszustände befördern können, und was das schnelle Auflösen
von unheilsamen Zuständen ermöglicht. Mithilfe dieser Achtsamkeit lernen wir auch die Qualitäten und
Möglichkeiten des Geistes kennen. Emotionale Verletzungen können heilen, und Knoten in unserem
Geist lösen sich.
Grundsätzlich besteht Achtsamkeit auf den Geist immer in einer einfachen, achtsamen Präsenz, ohne
geistige Nachforschungen. Die Nachforschung, von der wir hier sprechen, besteht nicht in einem konzeptionellen Nachdenken über den Geist. Es geht darum, in der Art wach zu sein, daß man das Entstehen
einer Emotion bemerkt, daß man die Gedanken bemerkt, die kurz vor dem Auftreten der Emotion da
sind, und die die emotionale Kettenreaktion anstoßen Wir bemerken unsere Körpergefühle, unsere Bilder,
wir bemerken sie vor der Emotion, während und nach der Emotion. Weil wir achtsam auf unseren Geist
sind, bemerken wir, wie ein geistiger Zustand sich wandelt, welcher Gedanke dem Wandel vorausgeht, Wir
sehen zum Beispiel im Fall von Verlangen daß es sich in dem Moment auflöst, wo wir über Vergänglichkeit oder Freigebigkeit kontemplieren, oder auch nur einfach dadurch, daß wir einen anderen Gedanken
hatten, der stärker oder interessanter war. Wir sehen eine Menge von der Arbeitsweise des Geistes, und
das befördert unsere Weisheit und unser Verständnis. Da gibt es eine Spur von Verständnis, die bestehen
bleibt, wenn wir die Arbeitsweise des Geistes kennenlernen. Wir suchen nicht nach diesem Verständnis, es
reicht, achtsam zu sein, der Rest geschieht automatisch.
Achtsamkeit auf den Geist ist schon ziemlich subtil. Wir müssen zunehmend entspannt sein, um das Arbeiten unseres Geistes mitzubekommen. Das ist nicht mehr die grobe Ebene der Achtsamkeit. Wenn wir
uns von der Achtsamkeit auf den Körper über die Achtsamkeit auf die Gefühle zur Achtsamkeit auf den
Geist fortbewegen, brauchen wir zunehmend mehr Erfahrung darin, uns nicht von dem, was wir beobachten, stören zu lassen. Gewöhnliche Übende können nicht mit dem Achtsamkeitstraining sofort auf der
Ebene des Geistes beginnen. Sie müssen auf der Ebene des Körpers und der Gefühle beginnen. Am Anfang kann es schon schwierig genug sein, nur den Atem zu beobachten ohne ihn in seinem Rhythmus und
seiner Tiefe zu verändern.
Gleichgültig bleiben oder sich Interessieren?
21
Geist: sems in Tibetisch (gesprochen sem) und citta in Sanskrit
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Wenn wir Trungpa Rinpotsches Belehrungen zu diesem Punkt in einer Schlagzeile zusammenfassen, so
hieße sie: Bleibe ich gleichgültig oder interessiere ich mich? Welche Haltung nehme ich meinem Leben, meinem
Geist gegenüber ein? Bin ich interessiert daran, meinen Geist kennenzulernen, und einen Ausweg aus
Samsara zu finden? Oder sind mir diese Fragen gleichgültig, ziehe ich Unwissenheit und Dummheit vor?
Dummheit bedeutet, daß einem gleichgültig ist, was geschieht, daß man sich nicht um die eigene Zukunft
und die anderer sorgt. Für Trungpa Rinpotsche geht es in der ganzen Belehrung von der Achtsamkeit auf
den Geist um die 'Achtsamkeit auf die Bemühung.'
Der entscheidende Punkt in diesem Zusammenhang ist, mit ausgewogenem und bestimmten Einsatz zu
praktizieren. Solch ein angemessener Einsatz entspringt der richtigen Motivation. Wenn wir die Bodhicitta-Motivation entwickeln, so sagt Gendün Rinpotsche, diese vollkommen selbstlose, mitfühlende und
tiefste Hingabe an die Erleuchtung, dann entstehen die angemessene Bemühung und die richtige Achtsamkeit auf natürliche Weise, und Meditation wird ganz einfach. Bodhicitta ist der Schlüssel zu Achtsamkeit und Einsicht.
Wenn wir Erleuchtung, echtes Erwachen erreichen wollen, dann brauchen wir die aufrichtige Achtsamkeit,
in der Intelligenz mit dem einsgerichteten und aufrichtigen Bemühen um Mitgefühl vereint ist. Dieses
Bemühen ist frei von überbordendem Ehrgeiz, und ohne die Last von Druck oder Gefühlen von Pflicht.
Wir praktizieren nicht aus Pflichtgefühl oder Ehrgeiz. Aufrichtiges Bemühen entsteht nicht aufgrund eines
Befehls, einer Verpflichtung oder einfach deswegen, weil jemand irgendwo hin will.
In den Schriften wird aufrichtiges Bemühen mit einem Elefanten verglichen: ein Elefant, der unbeirrbar
voranschreitet und nicht aufgehalten werden kann. Er geht mit Zuversicht und Sicherheit, seine Achtsamkeit ist vollkommen ausgeglichen. Mit panoramischer Sicht geht er durch den Urwald. Er interessiert sich
für den Dschungel, er ist nicht geistesabwesend, seine Sinne sind sehr scharf. Dieses geistes-offene Interesse läßt ihn aber nicht seine innere Balance verlieren. Man benutzt das Bild vom Elefanten nicht allein
wegen seiner Größe. Man könnte ebenso gut eine Schildkröte als Beispiel benutzen. Worauf es ankommt,
das ist die Selbstgewißheit, ohne Hast und ohne Greifen. Die Bewegung im Raum selbst ist es, wofür man
Interesse zeigt. Achtsamkeit in Übereinstimmung mit der Bewegung führt zur Befreiung. Es ist eine sichere Bewegung, die nicht gestoppt werden kann, voller Würde, nicht aufgeregt, mit panoramischer Sicht,
und verbunden mit spielerischer Leichtigkeit und Intelligenz. Sie ist gefühlvoll, aber nicht zögerlich, ernsthaft, aber nicht zu ernsthaft. Sie ist bestimmt, aber nicht steif. Sie holt den Geist aus seiner Traumwelt.
Wir schauen in die Arbeitsweise des Geistes, und wir schauen in die Realität des Geistes.
Am Anfang benutzen wir unseren Beobachter, den abstrakten, von Emotionen freien Beobachter, um den
Geist kennen zu lernen. Wir benutzen die dualistische Funktionsweise, um unseren Geist besser kennenzulernen. Es ist nichts falsches dabei, wenn wir dualistische Denkprozesse benutzen. Wir können diesen
Beobachter benutzen, um uns aus Emotionen zu lösen, anstatt uns immer mehr in ihnen zu verstricken.
Das Beobachten hilft uns, dem emotionalen Dschungel zu entkommen, hinein in eine nicht-wertende
Präsenz, von Moment zu Moment, ohne Kommentare.
Trungpa Rinpotsche beschreibt, wie sich dann plötzlich Momente unmittelbarer Einsicht auftun, kleine
Spalten, die sich hin zu tieferer Einsicht öffnen. Diese Momente ereignen sich aber nur auf der Basis von
Disziplin, einem disziplinierten, elefantengleichen Geist, der nicht abgelenkt ist. Während wir als dieser
Elefant durch den Wald unseres Geistes schreiten, fortwährend in Berührung mit den Geschehnissen,
wird es ganz natürlich zu diesen Momenten von Einsicht kommen, so wie wenn Licht durch die kleinen
Öffnungen des Waldes fällt. Plötzlich sehen wir sehr klar. Inmitten von Dunkelheit und Verwirrung entstehen Momente direkter Einsicht. Es kann ein nicht-konzeptionelles Verstehen sein, wie der Geist funktioniert, oder auch letztendliche Freiheit von Konzeptionen, es kommt nicht darauf an, worauf sich dieses
Aufleuchten richtet. Diese Momente, dieses Aufleuchten von Klarheit, sie sind einfach da. Wenn wir achtsam sind, dann gibt es in fast jeder Meditationssitzung einen kleinen Moment des Verstehens, ein Aufleuchten, das durchdringt. Diese vielen kleinen Momente bringen über die Zeit die Fortschritte der Praktizierenden, ihr sich vergrößerndes Verständnis. Gehe als der Elefant, und du wirst sehen, es geschieht in
jedermanns Geist. Es ist natürlich. Es entsteht durch das Loslassen.
Trungpa Rinpotsche sagt, daß die Disziplin, die den Grund für diese Momente der Klarheit legt, einem
Gefühl der Verpflichtung entspringt, mit der Realität in Kontakt zu treten. Damit in Kontakt zu kommen,
dieser undefinierbaren, unbeschreiblichen Realität. Er gibt die anschaulichen Beispiele von jemandem, der
sich verliebt und von einem Jäger im Wald. Sich verlieben bedeutet, daß wir grundsätzlich offen sind für
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diese Erfahrung, wir sind präsent und grundsätzlich vorbereitet. Dann, in der Anwesenheit einer bestimmten Person ist da dieses, etwas anderes, etwas, das all unsere Möglichkeiten aufweckt, das uns vollständig
lebendig macht. Sogar die bloße Anwesenheit der Person im Raum, in der Mitte einer Menge anderer,
nehmen wir als dieses wahr, wir können nicht genau sagen was, aber es läßt uns ganz präsent sein. Natürlich, dies ist nur ein Beispiel, auf der relativen Ebene, aber es ähnelt diesen Momenten der Klarheit, des
Wissens um den Geist: wir spüren dies: diese unbeschreibbare Dimension, noch weniger zu beschreiben als
das Gefühl, sich zu verlieben. Man kann es auch das nennen. Das, was nicht gezeigt werden kann. Das, wo
das Selbst, der Beobachter abwesend ist. Eines Tages verstehen wir plötzlich...:'Oh ja, das!', und wir wissen, worüber die Lehrer die ganze Zeit gesprochen haben: Das! Man kann keine Namen benutzen, es ist
einfach das.
Es ähnelt auch einem Jäger im Wald. Er geht durch den Wald, seine Sinne sind weit geöffnet...und dann, er
bemerkt etwas, ein Blitz intuitiven Wissens...und er weiß, dort...das...dieses. Er weiß nicht, ob Hase oder Reh,
seine intuitives Wissen hat noch nicht zu einer Schlußfolgerung oder einem Identifizieren geführt. Sein
Jägerinstinkt sagt ihm bloß: Das ist es! Und dann folgt er der Spur... Das Beispiel zeigt, wie die ununterbrochene, achtsame Präsenz die Grundlage bildet, auf der Das erscheinen kann. In dieser fortdauernden
Präsenz erscheint unsere innere Weisheit, wird aktiv, und in einem Moment wissen wir: ‚Ja, das ist wahr,
das ist es, worum sich der ganze Dharma dreht. Wir beginnen Das zu verstehen. Da gibt es ein vorkonzeptuelles Verstehen und Wissen. Davon handeln diese Momente von Klarheit, wenn die Wolken für einen
Moment aufreißen, und sich der Geist öffnet für die wahre, beinahe magische Einsicht in die Soheit. Achtsam sein heißt anwesend sein, aber nicht wie der Wachmann, der die Situation kontrolliert. Es ist Anwesenheit mit wacher Intelligenz – und das ist der Unterschied zwischen Interesse und Gleichgültigkeit.
Diese blitzartigen Einsichten betreffen nicht nur die grundlegende Natur des Geistes. Es gibt auch Momente etwas konzeptueller Natur, wo wir etwa das Funktionieren der Emotionen verstehen, von Karma
usw. Dennoch, Einsicht kommt nicht bei jedem auf diese blitzartige Weise. Viele Praktizierende verstehen
Das in einem schrittweisen Hellerwerden der intuitiven Einsicht, wie die Sonne, die sich aus dem Morgennebel erhebt. Wenn es so vor sich geht, geschehen die einzelnen Blitze unmittelbaren Kontaktes häufig
unbemerkt, aber sie hinterlassen Spuren tieferen Verständnisses, bis man eines Tages bemerkt –wie Gendün Rinpotsche es ausdrückt-, ‚daß die Sonne aufgegangen ist, und daß, auch wenn jemand keine blitzartigen Einsichten erlebt hat- dennoch alle Zweifel verschwunden sind.
Im Mahayana benutzen wir die Achtsamkeitspraxis auf den Geist hauptsächlich, um jederzeit zu wissen,
wie es um unsere gegenwärtige Motivation steht: Ist sie selbstbezogen oder offen für andere? Bin ich in
Kontakt mit Bodhicitta oder bin ich auf einem Egotrip. Beziehe ich andere mit ein? Ist mein Herz offen?
Achtsamkeit auf die Qualität der Motivation ist der spezielle Aspekt, den das Mahayana in der Achtsamkeit auf den Geist betont. Ansonsten ist die Praxis die selbe. Da aber die Motivation die Wurzel der Erleuchtung darstellt, ist der Aspekt von Achtsamkeit auf die Motivation äußerst wichtig.
Wie wir die Achtsamkeitspraxis auf den Geist im Vajrayana fortführen
Im Vajrayana meditieren wir auf den Geist des Lamas. Durch die Praxis des Guru-Joga wird alles, was im
Geist erscheint, in die Dimension des Geistes des Lamas integriert. Alle geistigen Zustände, was immer
wir wahrnehmen, offene oder enge Geisteszustände, Verlangen, Hass usw.- alle diese Zustände werden als
Ausdruck des Geistes des Lamas oder des Yidams angesehen. Wenn wir wirklich auf diese Zustände als
Ausdruck des Geistes des Lamas meditieren, dann müssen wir Bewertungen loslassen und aufhören sie als
'gute’ und 'schlechte’ Gedanken zu etikettieren, und wir müssen zwangsweise die Identifikation mit 'unseren’ Emotionen loslassen. Wenn wir die Anweisungen zum Guru-Yoga ernstnehmen, können wir nicht an
der Oberfläche bleiben sondern müssen zum Kern der Sache vordringen. Wie sonst wollen wir die Reinheit all dieser geistigen Zustände erleben, die Natur des Lama-Geistes?
Wieder, der Schlüsselpunkt ist das Beobachten und das Vertrauen in die ursprüngliche Lamanatur aller
geistigen Vorgänge. Man sagt, daß es keinen einzigen Gedanken gibt, der nicht an dieser ursprünglichen,
reinen Dimension teilhat. Mit Vertrauen in die Übertragung betrachten wir alle aufsteigenden Gedanken
als Gedanken des Lamas, als Ausdruck letztendlicher Wahrheit. Schrittweise wächst unser Verständnis, was
diese unerklärliche Dimension, die wir Lama-oder Jidamgeist nennen, bedeutet. Wir erkennen, daß es eine
unveränderliche Dimension gibt, die das gesamte geistige Spiel durchdringt. Diese Dimension, jenseits von
Worten, ist vollkommen sicher und verläßlich, wie die Erde, nicht weil sie so fest wäre, nein, weil sie überhaupt keine Substanz hat. Das Fehlen eines Selbst ist die eigentliche Stabilität, der Urgrund, die zugrunde-
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liegende Matrix, die man weder als existierend noch als nicht-existierend bezeichnen kann. Die grundlegende Dimension ist gleichermaßen präsent im gesamten Geist, in seinen einzelnen Bewegungen wie auch
im Geist eines jeden. Das ist die Stabilität des grundlegenden natürlichen Zustandes. Dessen gewahr zu
sein -ohne Abschweifen in dualistisches Greifen-, ist die höchste Form von Achtsamkeit auf den Geist,
das Ergebnis von 'wirklichem Interessiertsein’ an dem, was der Geist tatsächlich ist
IV. Entwicklung der Achtsamkeit auf die Dharmas oder Geistesobjekte
Wieder ist die Anweisung Buddhas einfach: 'Betrachte Dharmas als Dharmas',12 was man folgendermaßen
ausführen kann: Erkenne das Aufeinanderbezogensein aller Phänomene in der Welt! Erkenne ihre Leere.
Es gibt kein Selbst, kein Ich, keine beständige Identität in irgendeinem Aspekt dieser Welt.
Wir finden diesen Begriff übersetzt mit Achtsamkeit auf die 'Geistesobjekte' oder die 'Geistesfaktoren'.
Nach den Quellen wird aber klar, daß sich die Achtsamkeit hier nicht nur auf das bezieht, was wir normalerweise die “51 Geistesfaktoren” nennen, aus denen das fünfte Skandha besteht. Die Geistesfaktoren sind
bereits Inhalt der Achtsamkeit auf den Geist, die das Geistgeschehen umfaßt, das nicht bereits im Körper
und in den Gefühlen beinhaltet war. Hier -dem Sutra zufolge- richtet sich die Achtsamkeit auf alle Dharmas im weitesten Sinne des Begriffes: als Gesamtuntersuchung der Wahrheit (Dharma) von Buddhas Lehre
(Dharma), die sich auf sämtliche Phänomene (Dharmas) gründet, die im Geiste aufsteigen. Und die grundlegende Frage jeglicher Dharmauntersuchung heißt: Was läßt Samsara entstehen, und wie entsteht Nirvana?
Auf dieser Ebene der Achtsamkeitsübung ermutigt Buddha uns, unsere geübte, nicht-wertende Achtsamkeit auf die Gesamtsituation unserer Gefangenschaft in Samsara zu richten. Wir sollen die wichtigsten
Dharmalehren untersuchen: Sind die fünf Hindernisse an- oder abwesend? Gibt es ein Selbst in einem der
fünf Skandhas oder in den sechs Sinnen? Was bedeuten die vier edlen Wahrheiten? Buddha fordert uns
sozusagen dazu auf, die Summe zu ziehen; völlige Sicherheit bezüglich der Einsichten herzustellen, die wir
aufgrund der drei ersten Achtsamkeitsübungen gewonnen haben.
Um herauszufinden, ob die fünf Hindernisse der Befreiung anwesend sind, muß man sich fragen: Gibt es in
meinem Geist zu irgendeinem Zeitpunkt meiner Übung: (1) Sinnesbegierde? (2) Übelwollen? (3) Trägheit
oder Mattheit? (4) Rastlosigkeit bzw. Gewissensunruhe? und (5) Zweifel? Dies sind die fünf Haupthindernisse auf dem Weg zur Erleuchtung. Es ist wichtig, Kenntnis über ihre An- bzw. Abwesenheit zu haben, da
die Hindernisse - solange sie unbewußt bleiben - die Früchte unsere Übung zunichte machen können. Sind
wir uns ihrer bewußt, können wir auf intelligente Weise mit ihnen umgehen: Indem wir sie weder unterdrücken noch ihnen folgen, sondern indem wir sie reinigen und befreien.
Für diese Aufgabe muß die Achtsamkeit der Dharmas mehr sein als reine Beobachtung. Wir müssen herausfinden: Wie entstehen diese Hindernisse? Wie überwindet man sie? Wie kann man ihr Entstehen in
Zukunft verhindern? Was kann ich dazu beitragen?
Dies ist wirklich intelligente Achtsamkeit. Hier kommt der beste Teil des Intellekts zum Einsatz. Manchmal findet die Untersuchung auf konzeptuelle, manchmal auf nicht-konzeptuelle Weise statt mit Hilfe
dieser spontanen Einsichtsmomente. Alles, was im Geist entsteht, wird in Beziehung zu den Ursachen
seines Entstehens und Vergehens betrachtet.
Genauso untersucht man die fünf Skandhas, die wir für unser 'Ich' halten und an denen wir anhaften. Wir
beobachten, wie Form, Gefühl, Wahrnehmung-Differenzierung, karmische Formationen und Bewußtsein
entstehen und vergehen. Dabei werden beide Aspekte - Entstehen und Vergehen - betrachtet, um ihre
Funktionsweisen vollständig zu verstehen. Auf diese Weise wird die Unwissenheit an der Wurzel durchgeschnitten.
Dann folgt die Untersuchung der sechs Sinne: Wie arbeiten Auge, visuelle Formen und Bewußtsein zusammen? Wie entsteht eine vorübergehende Funktionseinheit aus Ohr, Geräuschen und Hörbewußtsein? Wie
entstehen Geruchseindrücke durch Nase, Geruchsbewußtsein und äußere Objekte? Wie hängen Zunge,
Geschmack und Geschmacksbewußtsein zusammen? Wie funktioniert das Spiel andere Körpersinne, ihrer
Objekte und ihrer Bewußtseinselemente? Wir entsteht die Wahrnehmung geistiger Objekte? Und wie hal-
12 Dharmas: Chos im Tibetischen (gesprochen chö) und Dharma in Sanskrit, ein Begriff, der Wahrheit, Lehre, Geistesobjekte und Phänomene
bedeutet.
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ten all diese Eindrücke uns in Samsara gefangen? Wie kann man ihre Ketten zerreißen? Wie erreicht man
Befreiung? Wie kann man sicher sein, daß diese Ketten auch in Zukunft nicht mehr entstehen?
Das klingt nach einer Menge Fragen, nach viel Arbeit. Aber diese Fragen kommen ganz von selbst auf,
wenn wir mit unserer Meditationspraxis fortfahren und Belehrungen hören. Und wir finden die Antworten
nicht durch unser bloßes Wissen-Wollen. Die Antworten kommen durch intelligente Entspannung des
Geistes und durch eine Öffnung für den Segen der Buddhas. Alle Lehren Buddhas zu den unterschiedlichen Aspekten von Geist und Welt verstehen wir schließlich, wenn wir unseren Geist in die allwissende
Dimension entspannen, die als “Segen der Buddhas” bezeichnet wird. Alle angesprochenen Fragen lassen
sich auf eine einzige reduzieren: Was ist das 'Selbst'? Oder, in anderen Worten: Was ist die Natur des Geistes? Wenn wir die Antwort auf diese Frage finden, lösen sich alle folgenden Fragen von selbst.
Ebenfalls im Satipatthana Sutra lehrt Buddha -als Gegengewicht zur Untersuchung der Hindernisse auf
dem Weg zur Erleuchtung- die Untersuchung der sieben Verbindungsglieder bzw. Faktoren der Erleuchtung: (1) Achtsamkeit, (2) Unterscheidung, (3) freudige Ausdauer, (4) Freude, (5) Stille des geübten Geistes,
(6) meditative Versenkung (samadhi) und (7) Gleichmut. Sind diese Faktoren in unserem Geist anwesend
oder nicht? Wie entstehen sie? Was läßt sie mehr und mehr anwachsen?
Schließlich schlägt der Buddha gegen Ende des Sutras folgendes vor: “Du kannst auch über die vier edlen
Wahrheiten meditieren: (1) Ist Leiden vorhanden? (2) Wie entsteht es? (3) Kann es beendet werden? (4)
Welcher Weg führt zu seinem Ende?”
Die Meditationsanweisung über die vier edlen Wahrheiten ist eigentlich eine Zusammenfassung der Achtsamkeit auf die Dharmas. Nach Gampopa (“Der Kostbare Schmuck der Befreiung”, Kapitel 18) entsteht
das Verständnis der vier edlen Wahrheiten auf dem Pfad der 'Verbindung'13, als Ergebnis tiefer, umfassender Achtsamkeit. Das Verständnis ist noch getrübt von konzeptuellem, dualistischen Denken, aber es legt
den Grund für die tatsächliche Verwirklichung der vier edlen Wahrheiten auf dem Weg der Erkenntnis.
Die vier Wahrheiten gehen uns allmählich auf bis wir vollkommenes Verständnis erlangt haben - so wie
die Sonne allmählich aufgeht. In den vier edlen Wahrheiten sind die Antworten auf die oben gestellten
Fragen zusammengefasst: Was bindet uns an Samsara und was führt zur Befreiung? Ihr Verständnis ist der
Kulminationspunkt der Belehrungen zur Entwicklung von Achtsamkeit. Dies ist es, was man untersuchen
muß. Dies ist die einzige Frage. Wenn man sie verstanden hat, hat man Befreiung erlangt. Wenn man sie
vollständig verstanden hat, ist man ein Buddha. Es handelt sich übrigens um dieselbe Frage wie die nach
dem Wesen von Selbst und Geist...
Inspiriert von Trungpa Rinpoches Belehrungen könnten wir die Belehrungen zur Achtsamkeit der Dharmas in der folgenden Frage zusammen fassen:
Wie sieht die Realität im Detail aus?
Die ersten drei Achtsamkeitsarten waren bereits Untersuchungen der Realität, aber jetzt wird diese sehr
detailliert, sehr subtil, und sehr präzise. Jetzt untersucht die detaillierte Präzision eines stabilen Geistes die
Realität. Die Untersuchung wird vom Geist als dem unbewegten Beobachter durchgeführt. Wir sitzen und
meditieren und lassen den rastlosen Beobachter völlig zur Ruhe kommen, er muß überhaupt nichts tun.
Wir lassen die Realität auf uns zukommen. Es ist nicht so, daß der Beobachter losziehen und die Realität
suchen muß. Wir lassen sie von selbst kommen, und auf diese Weise entsteht Verständnis.
Mit einer leichten, wachen Intelligenz öffnen wir uns den grundlegenden Problemen von Samsara. Die
Liste der Probleme ist lang: Die fünf Hindernisse sind ein Problem, Identifikation mit den Skandhas ist
ein Problem, Anhaftung an die Sinne ist ein Problem, usw.. Wir untersuchen die Probleme, die Leiden
entstehen lassen. Wir beschäftigen uns nicht mit irgend etwas, wir beschäftigen uns mit den grundlegenden Problemen der Existenz. Dennoch bleiben wir die ganze Zeit über frisch, in meditativem Gleichgewicht, im Gleichgewicht von Wachheit und Entspannung: nicht zu angespannt, nicht zu entspannt.
Trungpa sagt: Es ist, als ob man in einem Raum mit weit geöffneten Fenstern sitzt. Man schaut hinaus,
aber man läuft nicht hinaus. Man bleibt. Man schaut und sieht. Und man teilt die Frische der Welt, ohne
sich in die Welt zu verstricken. Schau, was geschieht, und bleibe frei von Anhaftung. Wir schauen direkt in
den gegenwärtigen Augenblick. Sehr präzise.
13 Der Pfad der 'Verbindung' folgt auf den Pfad der 'Ansammlung'. Es ist der Weg, mit Hilfe der Vertiefung geistiger Ruhe und der Anwendung
der Methoden intuitiver Einsicht zu arbeiten, bis wahre Einsicht entsteht – in diesem Moment betreten wir den 'Pfad des Sehens'
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Das ist persönlich, sehr intim; es zielt ins Herz unserer Existenz. Wir können nicht mehr weglaufen. Es ist
sehr stark. Indem wir diese präzise Untersuchung konsequent von Moment zu Moment weiterführen, mit
vollem Bewußtsein, erhalten wir allmählich ein vollständiges Bild von der Realität, von der Realität unseres
Geistes. Unsere neurotischen Spiele werden allesamt offenbar. Sie zeigen sich. Wir können uns nicht mehr
vor uns selbst verstecken.
Zugleich mit der rückhaltlosen Offenlegung unserer Illusionen entdecken wir aber auch eine tiefere Güte
und Einfachheit. Es geschieht gleichzeitig. Wir sehen das neurotische Spiel. Aber aufgrund der Achtsamkeit entdecken wir dann eine neue Ebene von Selbstakzeptanz und Einfachheit. Die Lösungen erscheinen
in dem Moment, in dem sich das Problem deutlich zeigt, oder zumindest kurz danach. Jeder erlebt es anders, nach Persönlichkeit und Umständen. Ursprünglich mag die klare Sicht einen Schock auslösen, doch
danach folgt das Loslassen des geübten Meditierenden, das bereits den Heilungsprozeß darstellt.
Manchmal werden wir von unseren Problemen und von der Selbsterkenntnis überwältigt, weil wir uns
nicht im Zustand tiefer Entspannung und Achtsamkeit befinden. Dann müssen wir mehr geistige Ruhe
(shine, shamatha) entwickeln. Wir müssen grundlegende Achtsamkeit entwickeln, die uns dazu befähigt,
nach unseren unangenehmen Entdeckungen ein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. In solchen Zeiten
ist es nicht sinnvoll, mit Gewalt weiter zu wollen und auf noch mehr formaler Meditation zu beharren.
Statt dessen sollten wir Raum für die Integration (der neuen Erkenntnisse) schaffen: Die Haltung entspannen, spazieren gehen, mit einem guten Freund sprechen, Sport treiben und nur kurze Meditationssitzungen (zur Erhaltung der elementaren Achtsamkeit) durchführen. Auf diese Weise finden wir zurück
zum einfachen Da-Sein, zur einfachen Akzeptanz all dessen, was sich zeigt.
Unsere neu entdeckte Einfachheit wird sich zu einer sehr direkten, unkomplizierten Einstellung zum Leben und zur Meditation entwickeln, ohne Hintergedanken, und wird letztlich zur vollständigen Integration
der Achtsamkeit in unser Leben führen. Einfachheit wird zu Achtsamkeit. Es gibt keinen Beobachter und
kein Beobachtetes mehr: Geistige Bewegung und Gewahrsein werden eins. An diesem Punkt wird Achtsamkeit zum ursprünglichen Gewahrsein, dem Eingang zum Bereich der tiefen Einsicht (lhaktong, vipashyana), die sich zu Mahamudra weiterentwickelt, dem Pfad wahren Gewahrseins, wo Erscheinungen und
Gewahrsein gleichzeitig und ohne Unterscheidung entstehen.
Wie wir die Achtsamkeitsübung auf die Dharmas im Vajrayana fortführen
Die Meditation über diese fundamentalen Fragen ist im Vajrayana mehr oder weniger offensichtlich in
jede Form der Praxis eingebaut. Hier kann das Thema nicht weiter ausgeführt werden, da es Teil eigener
Belehrungen ist. Es gibt Meditationen über die ursprüngliche Reinheit der Elemente, der Skandahs, der
Wahrnehmungsprozesse und der Emotionen. Dies drücken auch die Vajrayana Mandalas aus, indem sie
auf die Präsenz der fünf Buddha-Familien in all unseren Erfahrungen hinweisen.
Genau wie bei den anderen Ebenen der Achtsamkeit wenden wir uns der Vision der Buddhas zu und
betrachten die Scheinprobleme von Samsara durch erleuchtete Augen. Vom Erleuchtungs-Standpunkt aus
gesehen gibt es nirgendwo Hindernisse, sie sind leer und daher von Natur aus rein. Die Sinnesfreuden, die
Skandhas, alle unsere Anhaftungen werden in Opfergaben für das erleuchtete Bewußtsein verwandelt.
Hindernisse werden überwunden, indem man direkt in ihre wahre Natur schaut. Wenn man entdeckt, daß
sie ebenso leer sind wie die Natur des Selbst, können sie keinen Schaden mehr anrichten, weil es keine
Anhaftung mehr gibt. Die Phänomene der sechs Sinne werden in ihrer Vielfalt wahrgenommen, doch
zugleich gibt es ein Gewahrsein ihrer letztlich einzigen Natur. Ursprüngliches Gewahrsein erkennt - wie
bereits erklärt - den immer gleichen, beständigen Aspekt im Spiel der Phänomene. Dieses erleuchtete,
unterscheidende Gewahrsein ist Achtsamkeit auf die Dharmas, das gleichzeitig ihre Verschiedenheit und
ihre wahre Natur erkennt. Es verbrennt sämtliches Anhaften an scheinbarer Vielfalt im Feuer des Wissens
um ihre einheitliche, leere Natur. Die sorgfältige Untersuchung aller Aspekte der Realität, die für diese
vierte Achtsamkeit charakteristisch ist, führt auf diese Weise zu einem umfassenden Verständnis der Realität.
Im Vajrayana gibt es viele Richtlinien, um den Eintritt des Praktizierenden in diesen Bereich reiner und
heiliger Vision zu ermöglichen, ohne daß er in egozentrische Projektion scheinbarer Reinheit verfällt. Das
Üben mit trantrischen Methoden macht unsere Achtsamkeit auf die Dharmas zur Achtsamkeit der reinen
Sicht, Achtsamkeit der höchsten Wahrheit. Dies geschieht fast von selbst durch den Segen der Übertragungslinie. Was wir von unserer Seite dazu beisteuern müssen ist ausdauernde Praxis, Hingabe und die
zuvor beschriebene Achtsamkeit auf die Motivation.
142
Schlußbetrachtung
Am Anfang sind diese vier Achtsamkeitsformen eigentlich vier Nicht-Achtsamkeiten, vier Formen der
Ablenkung in Nicht-Wahrheit, weil wir in dualistischem Bewußtsein gefangen sind und nicht auf die Realität achten, so wie sie ist. Wenn wir jedoch unsere Energie der Wachsamkeit benutzen, um tiefere Formen
von Achtsamkeit zu entwickeln, wird sich das reine Gewahrsein manifestieren,. Man entwickelt sich von
einem Gewahrsein relativer Aspekte zu einem immer subtileren Gewahrsein dessen, was ist, bis sich das
reine Gewahrsein der grundlegenden Realität zeigt. Wir beginnen mit den alltäglichen, emotionalen und
physischen Aspekten, und so lange diese sich manifestieren, gibt es keinen anderen Ausgangspunkt. Von
dort aus machen wir fleißig weiter, bis wir den ganzen von Buddha offengelegten Weg beschritten haben.
Auf diesem Weg lassen wir allmählich unsere paranoide Beziehung zur Welt los, unseren Überlebenstrip;
wir lernen, uns zu öffnen, entwickeln Vertrauen, entwickeln eine mitfühlende Beziehung zu Körper und
Geist; Segen gelangt zu uns, usw.....
Es zeugt von einem großen Mangel an Verständnis, wenn man auf irgendeinen Aspekt der Achtsamkeitsübungen herabblickt, da jede einzelne von ihnen alle anderen beinhaltet. Um diese Ansicht zu verdeutlichen, können wir sagen, daß Achtsamkeit auf den Körper die höchste Form der Praxis ist. Körper und
Atem sind die Behältnisse aller Geheimnisse. Wenn wir auf die einfachen Praktiken wie Achtsamkeit auf
den Atem oder auf den Körper herabblicken, heißt das nur, daß wir deren Geheimnisse noch nicht entdeckt haben. Buddhas Belehrungen über die vier Achtsamkeiten schließt den gesamten Weg zur Erleuchtung ein. Sie sind Bestandteil aller Belehrungen, die wir erhalten, auch wenn es nicht extra erwähnt wird.
Ein Grund dafür ist, daß die vier Arten der Achtsamkeit nicht vier separate Praktiken sind, sondern daß
sie alle – je nach individueller Fähigkeit – gleichzeitig geübt werden.
Auszug aus einer englischen Unterweisung von Lama Lhundrup in Dhagpo Kundröl Ling, November 2001, überarbeitet
mit Hilfe von Lama Mingyur und Lama Dorje Drölma.
***
Anhang 21: Die heilende Kraft des Geistes, Vortrag (L. Sherab Künsang)
Kernaussage: Wenn wir die richtige Sichtweise und Haltung entwickeln,
kommt Heilung aus den dem Geist innewohnenden Qualitäten.
Einführung
Krankheit, Gesundheit, Heilung sind Themen, die alle Menschen hautnah betreffen und ganz konkret
fühlbar unsere Lebenswirklichkeit ausmachen.
Als mir das Thema für diesen Vortrag vorgeschlagen wurde, war mein erster Gedanke: „Ja, was ist eigentlich die Kraft im Geist, die Heilung bewirkt?“, und wie kann man sie Menschen erklären, die, wie Sie, eventuell keinen buddhistischen Hintergrund haben. Wie kann man sie so erklären, dass sie Menschen
nachvollziehbar ist, auch ohne dass sie dazu ein „Glaubenssystem“ annehmen und „Buddhist“ werden
müssen.
Buddha hatte gesagt, seine Schüler sollen seine Worte nicht einfach glauben, nur weil er, der Buddha sie
gesagt hätte. Sie sollten seine Worte immer wieder an ihren eigenen Erfahrungen überprüfen. Buddhismus
will kein Dogma sein, das nicht infrage gestellt werden darf. Er stellt den Anspruch an sich, überprüfbar
zu sein und auch rationaler Prüfung standzuhalten.
Insofern hat der Buddhismus die Qualitäten einer Wissenschaft im besten Sinn. Natürlich geht er, wie jede
Wissenschaft, von bestimmten Grundannahmen oder Hypothesen aus, allerdings mit dem Unterschied,
dass diese Grundannahmen von Buddha selbst erlebt wurden und für ihn nicht nur Theorie waren. Für
uns sind sie es zur Zeit allerdings. Dennoch können wir Aussagen über bestimmte Zusammenhänge logisch nachvollziehen und falls wir uns darauf einlassen, den buddhistischen Weg zu gehen, werden sie
mehr und mehr zu unserer eigenen Erfahrung.
Mein Interesse für den Vortrag heute Abend besteht darin, die grundlegenden Gedanken des Buddhismus
auf eine Weise darzustellen, dass sie nachvollziehbar sind und dass Sie Ansätze finden, sie mit ihrer eigenen Erfahrung zu verbinden.
Wenn wir von der heilenden Kraft des Geistes sprechen, stellen sich sofort mehrere Fragen:
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1. Was ist Gesundheit?
2. Was muss geheilt werden, d.h. was ist die Krankheit?
3. Was ist Geist eigentlich?
Was ist Gesundheit - was ist Krankheit?
Im allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis sagen wir, Gesundheit sei Abwesenheit von Krankheit, von
Störung. Wenn alles funktioniert, sind wir gesund.
Während meiner Studentenzeit, die inzwischen über 20 Jahre zurückliegt, wurde in den Studienfächern
Psychologie und Soziologie viel über den Begriff der Gesundheit diskutiert. Für eine solche Diskussion
kommen sofort die zugrundeliegenden Menschenbilder ins Spiel, d.h. die Frage: was ist der Mensch, was
macht ihn aus, was ist sein Potential und der Sinn seines Daseins? Sogar über Krankheit als Weg zu umfassenderem Bewusstsein und zur „Selbstverwirklichung“ wurde diskutiert.
So werden wir heute Abend auf das buddhistische Menschenbild zu sprechen kommen, oder treffender,
auf die Frage: „Was ist Geist?“. In der buddhistischen Lehre wird kein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Lebewesen gemacht. Die Grundlage allen Lebens ist Geist. Geist trägt alles Potential in sich
und kann sich in jeglicher Form verkörpern, ebenso gut als Mensch wie als Regenwurm. Jedes fühlende
Wesen hat gemäss der buddhistischen Auffassung dasselbe geistige Potential, das jedoch mehr oder weniger verschleiert und behindert oder, im Gegenteil, entfaltet ist. Auch ein Wurm ist ein potentieller Buddha.
Aber bleiben wir hier bei den Menschen. Schon in bezug auf uns gibt es genug zu sagen und wir haben
wahrscheinlich genug damit zu tun, uns über unsere eigene Situation klar zu werden.
Der buddhistische Begriff von Gesundheit geht sehr weit und ist sehr radikal.
Buddha sagte: ihr seid alle wie Kranke und der Weg, den ich entdeckt habe, der Dharma, ist die Medizin, die euch heilt.
Als er Erleuchtung erreichte, realisierte er den Zustand, der völlig frei ist von Leid. Das ist die Gesundheit,
von der ich heute Abend sprechen möchte, das ist der Gesundheitsbegriff, der meinem Vortrag zugrunde
liegt.
Was Leid ist, wissen wir alle. Wir haben alle Erfahrungen damit. Jeder ist schon mal krank gewesen, erlebt
Frustrationen, äußere Zwänge oder innere Probleme, die sich immer wiederholen. Wenn wir drinstecken,
hoffen wir, es möge schnell vergehen und dann nicht wiederkommen. Eigentlich denken wir nicht so gern
darüber nach. Es demoralisiert uns, denn irgendwie ahnen wir, dass wir ihm nicht entfliehen können, und
das ist beängstigend. Wir wissen nicht, wie wir dem Leid begegnen können, uns fehlen die Mittel, uns ihm
zu stellen und kreativ mit ihm zu arbeiten.
Wir erleben Leid in allen möglichen Bereichen: wir können es auf der körperlichen Ebene erfahren und
wir können es auf geistiger Ebene erfahren. Es gibt Leid, das eher durch äußere Situationen hervorgerufen wird und welches, das ganz ohne äußere Anlässe aus dem eigenen Inneren auftaucht. Die Grenzen
zwischen Körper und Geist sind fließend, und auch die Grenzen zwischen inneren und äußeren leidvollen
Anlässen. Der Buddhismus beschäftigt sich nicht sehr ausführlich mit solchen Unterteilungen, sondern
geht die Sache eher ganzheitlich an.
Die westlichen Wissenschaften haben für all unsere verschiedenen Probleme in den diversen Lebensbereichen ausführliche wissenschaftliche Disziplinen entwickelt, die das Leid analysieren und beseitigen sollen:
- die Medizin soll das körperliche Leid beseitigen (was Dinge einschließt, die die Natur auf drastische
Weise manipulieren, wie Organtransplantationen, Gentechnik, Schönheitschirurgie)
- Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie für alle Arten von Problemen und Personengruppen, Methoden
zur Selbstverwirklichung sollen das psychische Leid beseitigen
- psychische und soziale Problemen werden in aufwendigen statistischen Erhebungen analysiert in der
Hoffnung, Dinge besser zu verstehen und in der Folge besser steuern zu können.
Die westliche Wissenschaft investiert, mit der Absicht, das Leid zu besiegen, Unsummen Geldes und Unmengen von Arbeitskraft in diese Disziplinen, deren Ergebnisse relativ begrenzt zu sein scheinen.
Buddhas erste Lehrrede nach seiner Erleuchtung: die Vier Edlen Wahrheiten.
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Wir können das Thema „Gesundheit – Krankheit – Heilung“ gut zu dieser ersten Lehrrede in Beziehung
setzen, die bereits alle Grundgedanken der buddhistischen Lehre enthält, und ich möchte in diesem Vortrag über jede der vier Wahrheiten etwas sagen.
1. Leid ist allgegenwärtig in der bedingten Existenz. (das ist die Krankheit)
2. Es gibt ein Ende des Leidens.(Natur des Geistes = allumfassende Gesundheit)
3. Das Gesetz von Ursache und Wirkung, Karma, erklärt die Ursachen des Leidens (hilft uns den
Weg zur Heilung zu verstehen)
4. Der Weg zur Aufhebung des Leidens (Heilung)
Das Leid aus buddhistischer Perspektive: die drei Arten von Leid
Hier die buddhistische Analyse des Leides. Der Buddhismus unterscheidet zwischen drei Arten: dem offensichtlichen Leid, dem Leid der Veränderung und dem Leid der Dualität.
1. Das offensichtliche Leid
Es gibt ganz massive Leiden wie Hungersnöte, Krieg, schwere körperliche Krankheiten und der drohende
Tod.
In unserem Alltag erleben wir Leid durch diffusen Stress (Lärm, Hast, Aggression), der aus allen Richtungen auf uns einwirkt. Wir leiden darunter, entweder arbeitslos zu sein oder, wenn wir eine Stelle haben,
zuviel arbeiten müssen, in Gesellschaft von Menschen (Nachbarn, Arbeitskollegen) sein müssen, die man
nicht mag, von geliebten Menschen getrennt zu sein usw.
Wir erleben Leid, weil alles mögliche in unserem Leben anders läuft als wir es uns wünschen. Wir können
eigentlich nie richtig machen was wir möchten. Wir stecken in vielen Zwängen. Man ununterbrochen damit beschäftigt, einfach nur sein Leben zu erhalten und muss dabei viele Frustrationen hinnehmen. Die
meisten Menschen sind eher ein Spielball der Ereignisse anstatt der Dirigent ihres Lebens. Und selbst
wenn wir freie Zeit haben, wissen wir oft nichts besseres damit anzufangen als uns vor den Fernseher zu
setzen, denn wir langweilen uns.
Selbst wenn es uns im Moment ganz gut geht, werden wir langfristig dem Leid nicht entkommen, denn
unsere Lebenszeit vergeht. Irgendwann müssen wir aus diesem Leben gehen und alles, was uns lieb war,
woran wir uns gewöhnt haben und woraus wir Sicherheit gewonnen haben, hinter uns lassen. Wenn wir
sterben können wir nichts mitnehmen. Das einzige, was dann zählt, ist die Fähigkeit, uns selbst so zu begegnen wie wir wirklich sind.
2. Das Leid der Veränderung
Manchmal bekommen wir das, was wir uns wünschen. Wir sind glücklich verliebt, haben ein gesundes
Kind bekommen, eine gute Arbeitsstelle. Doch meistens hält das Glück nicht sehr lange. Wenn die erste
Verliebtheit nachlässt, werden uns die Eigenheiten des Partners unangenehm, die Kinder stellen hohe
Anforderungen und erfüllen unsere Erwartungen nicht, und bei der Arbeit müssen wir ständig Überstunden machen. Es gibt zwar schöne Momente im Leben, aber wir können sie nicht festhalten.
Die Sache ist: wir wünschen uns, dass es uns ständig gut geht, selbst wenn wir rational verstehen, dass das
nicht möglich ist. Das Streben nach unmittelbarer Befriedigung ein sehr tief verwurzeltes Merkmal unserer gesamten modernen Gesellschaft. Es scheint, als seien die Menschen immer weniger bereit, zugunsten
umfassenderer Ziele oder Interessen auf ihre Befriedigung zu verzichten. Wir wollen immer noch mehr
Genuss. Wir haben schon riesigen materiellen Reichtum, und trotzdem werden weiter Unmengen von
immer neuen Konsumgütern produziert, und das auf Kosten der begrenzten Ressourcen der Erde.
Es ist ein Merkmal des Daseins, dass es zyklisch ist. Auf Begegnung folgt Trennung, auf Wachstum Verfall, nach einem großen Erfolg kann es logischerweise nur schlechter werden – es kann nicht immer nur
bergauf gehen. Wenn wir die Qualität unseres Lebens verbessern wollen, sollten wir uns darum bemühen,
diese Wirklichkeit zu berücksichtigen und lernen, sie zu akzeptieren.
Es ist immer wieder ein wenig schmerzhaft, grandiose Ideen und Ziele loszulassen, die täglichen kleinen
Frustrationen zu akzeptieren, die eigenen Interessen zurückzustellen usw., aber es ist die Grundlage für
Stabilität im eigenen Leben, und Stabilität ist Grundlage für spirituelle Entwicklung.
145
Prinz Siddharta, der später zum Buddha wurde, besaß alles, was man sich nur wünschen kann. Er war ein
Königssohn und besaß nicht nur materiellen, äußeren Reichtum, sondern auch viele geistige und körperliche Fähigkeiten, und das Leben bot ihm die größtmögliche Freude und Lustbefriedigung. Er war keinem
offensichtlichen Leid ausgesetzt, und er hatte offenbar auch schon gelernt, die Wirklichkeit zyklischer
Veränderung zu akzeptieren, was ihm einen gut funktionierenden Körper und Geist verlieh.
Alles Leid, auch Anblick von Leid, wurde während seiner Jugend von ihm ferngehalten. In seiner Lebensgeschichte heißt es, als er als junger Mann seinen Palast verließ, sah er zunächst einen alten Menschen und
begriff in dem Moment das Leid des Alterns. Als er einen Kranken sah, begriff er das Leid der Krankheit,
und als er einen Toten sah, wurde er sich der Endlichkeit unseres Erdenlebens bewusst. Der Tod ist ein
Ereignis, dem absolut kein Mensch entfliehen kann, und für die meisten ist er mit großem Leid verbunden. Als ihm die Unausweichlichkeit dieser Leiden bewusst wurde, konnte der Buddha sein Prinzenleben
nicht mehr genießen. Wenn alle Freuden, die wir heute erleben mit dem Tod enden, was sind sie dann
wert? Folglich machte Buddha sich auf die Suche nach dem Unsterblichen und Unvergänglichen in ihm,
nach dem Weg, der den Tod überwindet.
Die Lösung zum Überwinden des Leidens liegt im Geist, da das Leid im Geist erlebt wird. Sie kann nicht
in der Außenwelt gefunden werden, da all ihre Phänomene vergänglich und daher unverlässlich sind. Deshalb zog der Buddha sich zurück und übte sich in der Schau nach innen, d.h. er begann zu meditieren.
Die Natur des Geistes
Nach siebenjähriger Übung verwirklichte er den leidfreien Zustand jenseits von Tod und Wirdergeburt
und ihm wurde klar, dass dieser seit jeher in jedem Wesen präsent ist, dass wir es nur aus Unwissenheit,
Verblendung, nicht sehen. Wir müssen nichts verändern, sondern „nur“ die richtige Haltung einnehmen
und lernen, richtig zu sehen. In uns gibt es eine Ebene des Seins, die unzerstörbar, unverformbar und
ständig gegenwärtig ist. Dieser Punkt ist wichtig für unser Gespräch über Gesundheit. In buddhistischen
Begriffen ist dies die Natur des Geistes.
Buddha hatte das Ursprüngliche Bewusstsein zur vollen Entfaltung gebracht, das alle Dinge so sieht, wie
sie wirklich sind: Gedanken, Gefühle, Sinneswahrnehmungen, äußere Objekte. Er begriff, dass es weder
Außen noch Innen gibt, sondern alle Manifestation sich in dem einen Geist abspielt, der in allen Wesen,
ob Mensch oder Wurm, derselbe ist. Es gibt kein Ich als wirklich existierende Instanz, sondern alles, was
wir gewöhnlich als Ich und Andere erfahren ist nur das freie, spontane Spiel des Geistes, in dem alle erdenklichen Erscheinungen auftauchen und sich wieder auflösen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Die völlige Verwirklichung der Natur des Geistes ist das Ende des Leidens und damit völlige „Gesundheit“. An dem Punkt ist das Leid überwunden. Geist ist völlig ungehindert. Er hat keine Form oder Struktur. Auf dem Weg geben wir alle festen Ideen auf, alle Konzepte: Über uns selbst, über andere, über die
Welt, und werden erkennen, dass alles in uns enthalten ist.
Indem Buddha sich bewusst der Unvermeidbarkeit von Leid (Aller, Krankheit, Tod) stellte und sich auf
den spirituellen Weg begab, entdeckte er den leidfreien Zustand der Nondualität.
3. Das Leid der Dualität oder: das Leid, das allem Zusammengesetzten innewohnt
Damit kommen wir zum dritten der Leiden, die unser Dasein kennzeichnen: das Leiden an der Dualität.
Dieses ist schwerer zu verstehen als die vorherigen, und wir können uns nicht so ohne Weiteres vorstellen,
dass ein Leben ohne Dualität erstrebenswert sein soll. Es mag uns fade und unattraktiv erscheinen, denn
schließlich ist es die Dualität, die uns das Gefühl von Sinn und Lebendigkeit vermittelt. Was wäre die Welt
ohne gut und böse, ohne richtig und falsch, ohne Freunde und Feinde, ohne männlich und weiblich? Gegensätze erzeugen Dynamik, und genau die gibt uns ein Gefühl von Lebendigkeit. Was bleibt denn noch
von uns selbst, von unserem Lebenssinn, wenn wir diese Gegensätze fallen lassen?
Nicht nur wir persönlich funktionieren so, sondern auch unsere gesamte Umgebung denkt in Begriffen
von Dualität. „Starke Persönlichkeiten“ werden bewundert, selbst wenn sie auf Kosten anderer leben, die
sexuelle Attraktivität wird in Filmen und Werbung betont. Man muss „seinen Stolz“ verteidigen, die Familienehre, die Ehre des Vaterlandes usw. Ständig wird uns suggeriert, dass wir ein eindrucksvolles Ego aufbauen solten, uns durchsetzen müssen usw. Wir halten an diesen Dingen fest, teils weil sie uns gefallen,
teils, weil wir nichts anderes kennen und nicht wissen, was übrigbleibt, wenn wir sie loslassen. Jenseits
davon kommen wir in unbekanntes Gebiet.
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Hier wird unsere Diskussion etwas subtiler. Es ist nicht das Ziel des Buddhismus, die Dualität zu verleugnen und gleich zu machen was nicht gleich ist. Es geht vielmehr darum, die „Nondualität der Dualität“ zu
erkennen, die Ebene des Geistes, die alle Gegensätze umfasst. Der Weg dahin ist die Übung in Liebe und
Mitgefühl und Wachsamkeit.
Wenn wir vom Leid der Dualität sprechen, bedeutet es nicht, dass wir die Dualität ausräumen wollen. Sie
hat freudvolle und leidvolle Seiten. Es ist vielmehr wichtig hinzuschauen und zu erkennen, wie die Dualität bzw. konventionelle Wirklichkeit funktioniert. Der Weg zur Befreiung basiert nicht auf ihrer Verleugnung, sondern auf ihrem Verständnis.
Wenn wir eines Tages nach entsprechender Übung ein genügend tiefes Verständnis und geistige Weite
entwickelt haben, können wir begreifen, dass es eine Ebene jenseits der konventionellen Wirklichkeit gibt,
die diese überschreitet und alle Gegensätze umfasst. Sobald wir mit ihr in Kontakt sind, leiden wir nicht
mehr an der Dualität, sondern die Dualität wird Nahrung für die Vertiefung unserer Weisheit.
Warum sind wir in dieser Welt, in der Leid unausweichlich ist?
Wir sind hier, weil wir etwas wollen, weil wir von Bedürfnissen getrieben sind, die wir befriedigen wollen:
z.B. das nach Partnerschaft, nach Sexualität, nach Anerkennung, nach Nähe. Wir Menschen sind komplizierte Gebilde, denn neben unseren körperlichen Bedürfnissen haben wir viele geistige Konzepte von
Richtig und Falsch, Gut und Böse. Dieses Gemisch und Zusammenspiel von Körper und Geist macht
unser „Ich“ aus, das wir mit großem Einsatz zu erhalten versuchen. Letztlich kreisen all unsere Anstrengungen um die Erhaltung dieses Ich, denn wir haben Angst vor der Auslöschung, vor dem Nicht-Sein.
Der Buddhismus postuliert, dass es kein festes Ich gibt. Das Ich ist vergänglich und eine Illusion. Auch
wenn wir uns ganz „wirklich“ fühlen und merken, dass wir „jemand“ sind, sagt Buddha, da sei kein Ich,
sondern nur Geist. Alles, was wir als unser Ich betrachten, und was uns sehr wertvoll ist, ist bloß eine
Anhäufung von Gewohnheiten. Die Qualitäten unseres Körpers, unsere Intelligenz, unsere Emotionen
und Neurosen, das alles ist bloß ein Ergebnis früherer positiver oder negativer Handlungen, die selbst
auch auf Gewohnheit basierten. Wir fühlen uns zwar wie „Jemand“, wie eine feste Persönlichkeit, aber wir
sind es nicht.
Das ist erst einmal wahrscheinlich ein fremder, vielleicht auch beunruhigender Gedanke. Im allgemeinen
glauben wir, um im Leben funktionieren und bestehen zu können, müssten wir es schaffen, eine „starke
Persönlichkeit“ zu entwickeln und etwas darzustellen. Wir investieren viel Energie in unsere Wirkung auf
andere und darin, sie für uns einzunehmen. Wir hoffen, auf diese Weise unsere Bedürfnisse befriedigen
und uns dauerhaft der Existenz unseres Egos versichern zu können.
Aber das Ich ist bloß eine Idee und besitzt nicht die Wirklichkeit, die wir ihm zuschreiben. Es erhebt sich
durch unsere Tendenzen und Gewohnheiten aus einer feineren geistigen Ebene, aus dem Geist selbst und
besitzt keine letztendliche Wirklichkeit. Es ist nichts als Gewohnheiten, die der Geist in Unkenntnis der
feineren, subtileren Ebene, aus der alles entsteht, angehäuft hat.
Diese Aussage, dass Ego nichts Wirkliches ist, könnte uns viel Mühe ersparen. Es könnte uns von der
Notwendigkeit befreien, ständig unsere Existenz beweisen und alles Mögliche darstellen zu müssen. Eigentlich brauchen wir uns nur der darunter liegenden Geistesschicht anzuvertrauen, die ständig da ist. Wir
können unsere künstliche Persönlichkeit immer mehr fallen lassen und uns durch spirituelle Übung auf
die natürliche Geistesebene abstimmen, bis wir schließlich eins damit werden. Das führt zu der Fähigkeit,
in allen Situationen des Alltags mit Mitgefühl und Weisheit zu reagieren und gleichzeitig die Unwirklichkeit
aller Erscheinungen wahrzunehmen.
Indem wir unser Leben damit verbringen, vergänglichen Freuden hinterher zu laufen, verschwenden wir
unsere Zeit. Wir blicken nicht weit genug, denn 1. wird unser Ich sowieso ausgelöscht, wenn wir sterben
und alle Bemühungen, existenzielle Sicherheit zu finden, sind damit vernichtet, und 2. gibt es eine Möglichkeit zum Grund der Existenz vorzustoßen, zum Sein jenseits vom Ego, aber dafür müssen (und können) wir hier und jetzt etwas tun.
Das Festhalten am Glauben an die wirkliche Existenz des Ego ist die Grundlage für alles Leid, für alle
Schwierigkeiten und Neurosen. Der Buddhismus spricht von 5 Grund-Emotionen (Begierde/Anhaftung,
Zorn/Ablehnung, Verblendung, Eifersucht, Stolz), die in unterschiedlicher Zusammensetzung und Intensität die verschiedenen Persönlichkeits-Coctails (d.h. Individuen) erzeugen, die von relativ zufriedenen
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Menschen über normale Unzufriedenheit bis zu Neurosen und schweren sozialen und psychischen Problemen reichen.
Der Begriff des Karmas
„Karma“ bedeutet wörtlich „Handlung“. Das Gesetz des Karmas wird auch das Gesetz von „Ursache
und Wirkung“ genannt. Es besagt, dass jede Handlung, sei es eine körperliche, sprachliche oder geistige,
Auswirkungen hat.
Ganz grob gesagt haben selbstlose, positive, heilsame Handlungen Glück zur Folge und ichbezogene,
negative, unheilsame Handlungen Leid. Wir wissen alle, dass die Welt nicht Schwarz-Weiß ist, sondern
dass es zwischen Gut und Schlecht viele Abstufungen gibt.
Was eine Handlung zu einer positiven oder negativen Handlung macht (oder besser: zu einer heilsamen
oder unheilsamen), ist in erster Linie die ihr zugrunde liegende Motivation. Karma ist kein weltliches Gesetz. Es kommt nicht darauf an, ob Handlungen nach außen positiv oder negativ aussehen und ob sie die
Anerkennung von anderen finden oder nicht, sondern die karmischen Rückwirkungen einer Handlung
hängen davon ab, was sie motivierte.
Zwischen „Positiv“ und „Negativ“ gibt es viele Abstufungen. Unsere Handlungen sind in der Regel ein
Gemisch aus verschiedenen Antrieben. Auch wenn wir uns um Selbstlosigkeit bemühen, werden unsere
Handlungen, solange wir nicht erleuchtet sind, nie völlig rein sein, sondern immer egoistische Anteile
haben, und wenn es nur die Angst vor den Folgen negativer Handlungen ist.
Was wird als negative Handlung bezeichnet, was als positive? Ichanhaften ist der Maßstab. Das ist ein
weites Gebiet, zu dem es viel zu sagen gibt. Heute Abend kann ich nur die groben Linien aufzeigen.
Es gibt offensichtlich negative Handlungen, mit denen jemand gezielt beabsichtigt, anderen zu schaden,
sei es aus Ärger, Rache, Eifersucht, verletztem Stolz.
Viele Dinge tut man aus Begierde, ohne dabei das erklärte Ziel zu haben, anderen zu schaden. Wenn man
stiehlt oder Tiere tötet für ihr Fleisch usw. fügt man jemand Leid zu für seinen eigenen Vorteil.
Es gibt einen ganz großen Bereich, in dem man sich überhaupt nicht bewusst ist, welche Auswirkungen
die eigenen Handlungen auf andere haben, welches Leid man ihnen zufügt ohne es zu merken. Auch als
ganz durchschnittlicher Mensch und ohne besonders „schlecht“ zu sein bewirkt man Leid. Wir alle haben
eine tief verwurzelte Tendenz, die guten und angenehmen Dinge für uns selbst und die uns Nahestehenden haben zu wollen und uns nicht so enorm viel daraus zu machen, wenn für die anderen in der Folge
das Schlechte, die Nachteile und das Unangenehme übrig bleibt.
Diese Haltung ist „ganz normal“, „das macht ja jeder so.“ Es ist zwar ganz normal, aber bewirkt trotzdem
Leid. Kurzfristig für die, denen wir die guten Dinge vor der Nase wegschnappen und langfristig für uns
selbst, denn unser ichbezogenes Funktionieren hält uns im Daseinskreislauf fest, in dem wir den vielfältigen Leiden ausgesetzt sind, die wir schon beleuchtet haben.
Wenn wir uns selbst ehrlich anschauen, können wir sehen, dass bei allem, was wir tun, Eigennutz beteiligt
ist. Wir wollen vor allem, dass es uns gut geht. Wenn wir uns verlieben, geschieht das nicht, um dem anderen einen Gefallen zu tun, sondern weil wir selbst ein Bedürfnis nach Gemeinsamkeit, Austausch, Sexualität haben. Selbst wenn wir lernen, menschliche Beziehungen mit viel Toleranz, Liebe und Offenheit zu
leben, ist an der Basis doch noch unser eigenes Interesse nach Nähe. Unsere Liebesbeziehungen und
Freundschaften basieren also auf Egoismus. Dasselbe mit dem Kinderwunsch: Wir setzen Kinder in die
Welt, weil wir selbst uns danach sehnen, eine Familie zu haben und ein Kind aufwachsen zu sehen.
Damit will ich nicht sagen, dass all das schlecht ist. Ich will einfach nur eine Sensibilität erzeugen für die
Allgegenwart unserer Ichbezogenheit. Sie die Basis all unserer Handlungen!
Je klarer wir das sehen, desto eher haben wir die Wahl, uns bewusst für ein Verhalten zu entscheiden, das
weniger eng ist, ein Verhalten, dass mehr die Interessen und Gefühle anderer wahrnimmt und berücksichtigt.
Der Grund, warum wir in dieser Welt sind, ist, dass wir ständig von unserem eigenen Wohlbefinden motiviert sind. Wir haben ein starkes Gefühl unserer eigenen Wichtigkeit, und sobald dieses (d.h. unser Ego)
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verletzt oder in Frage gestellt wird, reagieren wir in der Regel sehr extrem: durch Ärger, Depression, Anklage, in extremen Fällen bis hin zum Selbstmord.
Solange wir unserer Gewohnheit treu bleiben, unser Wohl über das der anderen stellen, bleiben wir Gefangene. Getrieben von unseren ichbezogenen Bedürfnissen kreisen wir ununterbrochen um unser eigenes
Wohlergehen, ohne dass wir es aber erreichen können, denn die Dinge laufen oft nicht nach dem eigenen
Willen.
Der Weg zum Überwinden des Kreislaufes der bedingten Existenz mit all seinen Leiden besteht im Abschneiden von Ichanhaften, im Loslassen unserer eigenen Wichtigkeit. Am Ausmaß des Ichanhaftens bemisst sich, ob eine Handlungen heilsam oder unheilsam ist. Je mehr wir uns darin üben, über unsere Eigeninteressen hinaus zu blicken und andere wichtiger nehmen als uns selbst, desto heilsamer sind unsere
Handlungen und desto zufriedener werden wir selbst langfristig. Warum? Wenn wir offener für andere
sind, sind die anderen auch offener, dann kann eine bessere Kommunikation stattfinden. Man erlebt, dass
man die Welt aus unendlich vielen Blickwinkeln sehen kann und erkennt, wie begrenzt der eigene kleine
Ego-Standpunkt ist. Vertrauen und Aufrichtigkeit im Kontakt mit den anderen geben unserem Geist Ruhe
und Sicherheit. Der Geist wird weiter, die Energien können besser fließen, das Wohlbefinden nimmt zu.
Je wichtiger wir uns selbst nehmen, je starrer und eingeschränkter unser Ich ist, desto mehr Leid entsteht
für uns und andere. Vielleicht verschließen wir uns in uns selbst und werden depressiv und selbstzerstörerisch oder wir halten anderen gegenüber starr an unseren Ansprüchen, Interessen und Ideen fest und
geraten ständig in Konflikte. Oder wir manipulieren andere und benutzen sie fortwährend zur Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse. So entstehen Verwicklungen und Enttäuschungen. Es gibt sicher noch
viele weitere leidvolle Beziehungs- und Verhaltensmuster, die man hier darlegen könnte, und jeder würde
Gelegenheit finden, sich wieder zu erkennen.
Wir sind immer noch beim Thema „Karma“. Wir haben gesehen, dass wir aufgrund unseres Ichanhaftens
mehr oder weniger unheilsame, schädliche Handlungen ausführen. Diese Handlungen haben nicht nur
nach außen hin Folgen, sondern auch eine Rückwirkung auf uns selbst.
Wie wirken unsere Handlungen auf uns zurück?
Handlungen haben verschiedene Arten von Folgen:
1. eine unmittelbare Rückwirkung auf den Geist des Handelnden selbst (Verstärkung der Emotionen)
2. unmittelbare Auswirkungen auf die Interaktion mit der Umwelt
3. karmische Spätfolgen für den Handelnden
Wie die eigenen Einstellungen und Handlungen direkt auf einen selbst zurückwirken, ist leicht nachzuvollziehen:
1.
Je öfter ich negativ und schädlich für andere handele, desto mehr gewöhne ich mich daran bis
ich schließlich völlig aus dem Bewusstsein verloren habe, dass es an sich andere Verhaltensmöglichkeiten
gibt, die weniger leidbringend sind. So werden die eigenen Emotionen und damit die geistige Rastlosigkeit
immer stärker und äußere Konfliktsituationen nehmen zu, und das ist leidvoll.
2.
Z.B. wer immer zornig ist, wird wenig Liebe von anderen erhalten, sondern eher Ablehnung, er
wird einsam sein und viele Schwierigkeiten haben.
Das sind Ebenen und Zusammenhänge, die wir direkt beobachten können.
Über die karmischen Spätfolgen von Handlungen wird viel in den buddhistischen Texten gesprochen. Es
gibt sehr präzise Aufzählungen, welche Handlungen welche Folgen haben, aber ich möchte ich hier nicht
in die Einzelheiten gehen, sondern eher die grundlegende Wirkungsweise von Karma erklären. Das Prinzip ist immer, dass man erntet, was man gesät hat. Was ich anderen zu einer Zeit antue, werde ich zu anderer Zeit erleiden. Für positive Handlungen gilt das genauso. Die Folgen unserer Handlungen gehen
selbst mit dem Tod nicht verloren.
Ich finde es wichtig, ein paar Worte über den Sinn und die Absicht der Karmalehre zu sagen.
Nach seiner Erleuchtung wollte Buddha zunächst nicht lehren. Er wollte seine Entdeckung für sich behalten, da er davon ausging, dass sowieso niemand sie verstehen würde. Erst nachdem er darum gebeten
wurde begann er, von seinen Erfahrungen zu sprechen. Als er die Vier Edlen Wahrheiten lehrte und über
149
Karma sprach, hatte er dabei keine Eigeninteressen. Er hatte nicht vor, irgend jemand zu bekehren, zu
unterdrücken und ihm seine Moralvorstellungen aufzudrücken.
Er sprach über Karma, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, durch ihr Verhalten einen positiven
Einfluss auf ihre Zukunft zu nehmen und gab ihnen damit ein Mittel in die Hand, langfristig zum Herrn
ihres Schicksals zu werden statt sein Spielball zu bleiben.
Karma ist ein Naturgesetz des Geistes. Es gibt keinen äußeren Richter. Buddha richtet uns nicht. Er hat
das Karmagesetz nicht gemacht – er hat es nur entdeckt. Es ist unser eigener Geist, der und „richtet“,
indem er die Qualität unserer Handlungen objektiv wahrnimmt und die Handlung „speichert“, so dass
sich zu gegebener Zeit, wenn alle nötigen Bedingungen zusammenkommen, ihre karmischen Folgen manifestieren können.
3.
Wie die karmischen Spätfolgen zustande kommen, wie die Folgen von Handlungen sich in die
Zukunft und selbst in spätere Leben übertragen, erklärt Dagkyab Rinpotsche folgendermaßen.:
"Unser Geist hat verschiedene Ebenen oder Schichten, vom groben Alltagsbewusstsein bis hin zu einer
sehr feinen Schicht, die wir nur im Todesmoment oder durch sehr intensive Meditation erfahren. Diese
feinste Bewusstseinsschicht ist klar, erkenntnisfähig und frei von allen einschränkenden Konzepten."
Genau dies ist die uns innewohnende Gesundheit! Dieses Bewusstsein hat verschiedene Namen. Es wird
auch das „Klare Licht des Geistes“ genannt, der Natürliche Zustand oder Mahamudra. Es begleitet uns
ständig, auch wenn wir uns seiner nicht bewusst sind. Z.B. durchqueren wir diese Schicht jedes Mal beim
Einschlafen.
Diese Schicht ist der Träger des Karma in ein anderes Leben. "Was abgespeichert wird, sind Eindrücke,
die noch viel subtiler oder feiner sind als Erinnerungen ..... Das feinste Bewusstsein nimmt Informationen
in einer bestimmten Weise auf, wird selbst aber durch sie nicht verändert.... Es registriert die Abweichungen von einem Zustand des klaren erkennenden In-Sich-Ruhens, der vielleicht einmal vorhanden war und
durch Unwissenheit verlorengegangen ist.“
Diese Bewusstseinsschicht wirkt als das sogenannte Speicherbewusstsein, das „Alaya“ und „speichert“ alle
Handlungen, die auf der Basis der Dualität der Ichbezogenheit durchgeführt werden, sowohl die negativen, schädlichen als auch die positiven. Es gibt auch Handlungen, die jenseits des Daseinskreislaufes führen, die die Auflösung von Karma begünstigen bzw. bewirken, und das sind solche, die direkt auf das
Erkennen der letztendlichen Natur des Geistes gerichtet sind.
Das Speicherbewusstsein registriert also alle Eindrücke, die vom in seiner eigenen Natur ruhenden Geist
abweichen, all unsere Handlungen, die aus einem Zustand von Spannung ausgeübt wurden, d.h. alle
Handlungen mich ichbezogener Motivation. Alles, was aus dem Ego kommt, ist auf irgendeine Weise mit
Spannung verbunden: Wollen/Begehren, Vermeiden/Ablehnen.
Die Sache ist, dass uns Emotionen im allgemeinen ganz gut gefallen, aber nur, solange sie unser Ego stärken. Wir öffnen unser Herz leicht jemandem gegenüber, der uns verehrt und verwöhnt. Lässt es der andere aber an Respekt fehlen, meldet sich der Stolz, wir schieben unsere Empfindungen weg und zeigen dem
anderen die kalte Schulter. Dann sind uns unsere Emotionen plötzlich nicht mehr so lieb.
Im Todesmoment stirbt das Ego, aber das Klare Licht, die innere objektive, wahrnehmende Instanz bleibt
bestehen. Wenn die Außenwelt sich für den Sterbenden auflöst, muss er sich vom Partner trennen, aber
die Begierde bleibt als Impuls im Geist. Menschen, die man ablehnte, lösen sich für ihn zusammen mit der
Welt auf, aber der Ärger bleibt als Impuls im Geist. Wir können dann die Emotionen nicht mehr ausleben
oder nach außen projizieren, sondern sind gezwungen, sie in ihrer vollen Stärke zu erleben.
Je nach dem Mischungsverhältnis und der Stärke dieser Tendenzen und Eindrücke treiben sie uns in der
Nachtodphase, Geburt in einem mehr oder weniger vorteilhaften Körper anzunehmen, mit mehr oder
weniger gutem Erbgut in mehr oder weniger guten Lebensumständen.
Es sind nicht nur die bewussten Emotionen, die sich beim Sterben lösen, sondern auch alle Energie, die in
unseren festen Vorstellungen gespeichert ist. Unser Selbstbild, unser Weltbild, unsere Erwartungen an die
Zukunft, all das löst sich auf und der Geist zeigt sich in seinem natürlichen, spontanen Zustand. Die Abneigung, die wir vielleicht gegen einen Rivalen unser Leben lang gepflegt haben, manifestiert sich in ihrer
vollen Stärke und wir müssen sie einfach aushalten, ohne dass unsere Rationalisierungen sie dämpfen
könnten. All unsere unterdrückte Begierde, unsere „animalische Natur“, die wir vielleicht unser Leben
lang als unmoralisch empfanden und auf andere projiziert und verurteilt haben, wird direkt fühlbar und
spült unser Bild von uns als einem anständigen, kultivierten Menschen hinweg, und wir haben dann nichts
150
mehr, an dem wir uns festhalten können. War unser Leben auf Irrtümern und Selbstbetrug gebaut, werden
wir im Todesmoment, wenn die bisher verdrängten Emotionen uns überwältigen, nicht mehr wissen,
woran wir uns orientieren sollen.
Die Konzepte von Richtig und Falsch, mit denen wir uns im allgemeinen identifizieren, sind sehr eng. Sie
sehen nur einen ganz kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit des Geistes und versuchen, den Geist darauf zu
beschränken, damit das Ganze nicht zu beängstigend wird. Der Rest ignorieren sie.
Buddhistische Ethik hat ihren Bezugspunkt jenseits des Handelns.
Dieser Punkt ist sehr wichtig und knüpft noch einmal an die Intention der Karmalehre an. Die buddhistische Karmalehre will uns helfen, Karma, d.h. die bedingte Existenz zu überwinden und uns zur letztendlichen Freiheit führen (zur allumfassenden Gesundheit). Diese beinhaltet ein Verständnis der Natur der
Wirklichkeit, das jenseits von Gut und Schlecht ist, da es alle Gegensätze überschreitet.
Es geht im Buddhismus nicht darum, Menschen mit Versprechungen dazu zu locken, Gutes zu tun und
sie mit schrecklichen Drohungen davon abzuhalten, negativ zu handeln. Der Dharma nimmt zwar klar
Stellung zur Frage, was gut-heilsam und was schlecht-unheilsam-schädlich ist, aber er geht noch einen
Schritt weiter, indem er die Menschen darauf hinweist, dass sie sich zum Meditieren hinsetzen sollten, um
in ihrem eigenen Geist die letztendliche Freiheit entdecken, die nondualistische Ebene, in der die relativen
Begriffe von Gut und Schlecht in ihrem größeren Zusammenhang der letztendlichen Wirklichkeit koexistieren.
Mein Lehrer Gendün Rinpotsche sagte öfter, wenn unsere Dharmapraxis dazu führe, dass wir immer
unglücklicher werden, sei etwas falsch an der Praxis. Auch wenn es im Dharma Praktiken des Bekennens
schädlicher Handlungen gibt und das feste Versprechen, sie nicht zu wiederholen, sollen diese Praktiken
nicht zu Selbstquälerei sondern zu Befreiung führen. Qualifizierte Dharmalehrer können helfen, den Praktizierenden auf eine Weise durch den spirituellen Weg zu geleiten, dass letzterer in Kontakt kommt (oder
bleibt) mit der befreienden Qualität des Dharma. Auf dem Weg gibt es manche harte Momente von
Selbsterkenntnis oder niederschmetternden Ereignissen, die uns wiederfahren, aber all das ist nicht die
Endstation. Dharmapraxis führt nicht in eine Sackgasse des Leidens, in der man dann feststecken würde,
sondern die vielfältigen Methoden der Meditationspraxis ermöglichen, schnell wieder mit den befreienden
Aspekten der Situation und des eigenen Geistes in Kontakt zu kommen.
Was uns voranzieht, ist Buddhas Realisation des leidfreien, alle Wesen umfassenden Zustandes. Wir
„nehmen Zuflucht“ zu diesem Zustand, und unser Vertrauen in ihn kann uns helfen, zeitweise Härten
auszuhalten und gereinigt, gestärkt und mit größerer Klarheit aus ihnen hervorzugehen.
Und hier sind wir schon mitten im Gespräch über die vierte Edle Wahrheit.
Grundgedanken zum buddhistischen Weg
- Um Befreiung zu erreichen, müssen wir unsere Ichbezogenheit erkennen und überwinden
- Sonst bleiben wir ein Spielball unserer verschiedenen Tendenzen, ohne Kontrolle über die Qualität
unserer zukünftigen Leben
- Lodjong und Bodhicitta Praxis sind Wege zu einer heilsameren Beziehung zur Umwelt
- Das Ganze sollte von Achtsamkeit (Meditation) begleitet sein, um mit dem befreienden Aspekt der
Bc-Praxis in Kontakt zu bleiben
- In der Meditation berühren wir Erfahrungen von Freude, Wohlbefinden, Klarheit, die wiederum unsere Bc Praxis im Leben ermutigen und stärken
- In der geistigen Ruhe, die langfristig durch heilsame Handlungen ermöglicht wird, können wir schließlich die Natur des Geistes erkennen
***
Anhang 22: Emotionen und das Fünf-Stufen Modell von K. Tschakme (L. Lhundrup)
Notizen zum Arbeiten mit Emotionen
151
I. Unwissenheit
Positive Aspekte? Verdrängen erleichtert vorübergehend; Kokon der Ignoranz, Gleichmut der Unwissenden,
unbehelligt von dem, was um uns herum geschieht und was uns selbst nach dem Tod erwartet; Schutz vor Aufgewühltsein und vor manchen Ängsten; fundamentale Natur: Gewahrsein des Raumes der Phänomene;
Problem:
Unkenntnis der Ursachen des eigenen Leides, Dharma nicht verstehen können, Richtiges
nicht von Falschem unterscheiden können; mangelndes Gewahrsein der Natur des Geistes und der Phänomene; Gefangensein in Dualität = Basis aller Emotionen (wir bemerken nicht einmal, dass wir gefangen sind und ein Problem haben), Verblendung, Verwirrung, hindernde Zweifel, Verzweiflung; Verdrängen und Verleugnen der Wirklichkeit, irrige Annahmen über die Wirklichkeit, Dogmatismus; Vergesslichkeit, Gleichgültigkeit,
kein Interesse, Stagnation; mangelnde Achtsamkeit; Dumpfheit, Schläfrigkeit, nicht verstehen können
Ursache:
Ichanhaften – egoistisches, schädliches Handeln – karmische, emotionale Schleier, die das
Verständnis behindern – mangelnde Achtsamkeit, Fehleinschätzung von Situationen
Lösung:
Entwickeln von Disziplin, Achtsamkeit und Weisheit:
Shila (heilsames Verhalten, ethische Disziplin)
Samadhi (Achtsamkeit, tiefe Entspannung, meditative Stabilität)
Prajna (Weisheit, Seinsverständnis)
durch: Studium, Kontemplation und Meditation
-
-
Dharmastudium lässt ein intellektuelles Verständnis entstehen und führt zum Aufgeben schädlicher Handlungen und Ausführen heilsamer Handlungen.
Kontemplation (tiefes, meditatives Nachdenken) verbindet das Studium mit unseren
persönlichen Erfahrungen. Sie gibt uns die Kraft, das intellektuell Verstandene in unserer jeweiligen Lebenssituation anzuwenden. So entsteht mit der Zeit ein auf Erfahrung basierendes Verständnis des Dharma.
Meditation stabilisiert den Geist, entwickelt Achtsamkeit und lässt uns die Dinge
deutlich sehen und verstehen. Die zunehmende Entspannung und Offenheit führt
schließlich zu Verwirklichung, der direkten Einsicht in die Natur des Geistes.
Was können wir konkret tun, um Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Zweifel aufzulösen?
a) Grundlagenverständnis entwickeln: um Unterweisungen bitten, sie aufmerksam hören und sorgfältig studieren, z.B. über:
die vier edlen Wahrheiten: vom Leid, den Ursachen des Leides, der Befreiung und dem edlen
achtfachen Weg zur Befreiung von Leid
die vier grundlegenden Gedanken: Kostbarkeit unserer Geburt; Vergänglichkeit; Ursache und
Wirkung von Handlungen (Karma); die Nachteile Samsaras
die zwölf Glieder der Kette abhängigen Entstehens und ihre Auflösung
die Buddhanatur und wie sie freigelegt wird
das Hervorbringen des Erleuchtungsgeistes und der sechs befreienden Qualitäten (Paramitas)
den Weg der Meditation und die Natur des Geistes
hierzu gehört, dass wir die erhaltenen Unterweisungen aufschreiben, tief über sie nachdenken und
versuchen, sie in unserem Leben umzusetzen und so täglich unser Verständnis des Dharma vertiefen
b) Interesse entwickeln: uns in die Gegenwart von authentischen Lehrern begeben, um Vorbilder der Weisheit und des Mitgefühls kennenzulernen; um Hilfe bitten und ihren Ratschlägen folgen; die Lebensgeschichten des Buddhas und anderer erleuchteter Meister lesen, um Inspiration zu gewinnen und Interesse zu entwickeln; die Beziehung mit den Lehrern kultivieren und uns mit Fragen und Zweifeln direkt an sie wenden; so wird sich Vertrauen und Hingabe entwickeln; Interesse am Leben entwickeln,
152
c)
d)
e)
f)
g)
Anteil nehmen am Leben von anderen, eine gesunde Art von Neugier dem Unbekannten gegenüber;
Kenntnis der wichtigen Lebenszusammenhänge entwickeln
die Disziplin des Unterlassens von Schädlichem: alle schädlichen und nicht heilsamen Handlungen aufgeben,
evtl. Laiengelübde nehmen, um uns einen eindeutigen Rahmen zu stecken; unsere Vergangenheit bereinigen; Schleier auflösen; unsere Zeit nicht vertrödeln; schlechte Freunde aufgeben (bis wir in der
Lage sind, ihnen wirklich zu helfen); sich nicht von Trägheit, Dumpfheit und Schläfrigkeit bestimmen
lassen, sondern die entsprechenden Gegenmittel anwenden; praktizieren statt schlafen oder uns ablenken
des Disziplin des Ausführens von Heilsamem: unsere wenige Zeit in diesem Leben gut nutzen und so viele
heilsame Handlungen wie möglich ausführen; immer bereit sein, anderen zu helfen; positive Kraft
(Verdienste) und ein positives Umfeld in unserem Leben aufbauen; dort, wo nötig unser Leben ändern und Raum schaffen für die Dharmapraxis; klare Prioritäten setzen (ohne engstirnig zu werden!);
durch tägliches Üben heilsame Gewohnheiten entwickeln; ständig eine hilfreiche Sichtweise kultivieren; freudige Ausdauer im Heilsamen entwickeln; die Gemeinschaft anderer Praktizierender suchen
Achtsamkeit entwickeln: regelmäßig meditieren: mit einigen Minuten von einfachem, achtsamen Nichtstun beginnen, geistige Ruhe entwickeln; bei allen Handlungen des Körpers, der Rede und des Geistes
Achtsamkeit üben und die Meditationsanweisungen auch auf den Alltag übertragen; immer wieder
Pausen einlegen, um aus dem Trott der Gewohnheiten herauszufinden; mit dem Atem verbunden
bleiben; der eignen Motivation in jeder Situation gewahr werden
Weisheit entwickeln: die Kraft der Liebe und des Mitgefühls nutzen, um ein tieferes Verständnis anderer
Menschen und dadurch auch des Dharma hervorzubringen; auf die innere Stimme des Lamas in uns
hören (unsere Weisheitsstimme); das "Auge der Weisheit" entwickeln: nach innen schauen, die Emotionen wahrnehmen und uns nicht von unseren Projektionen einwickeln lassen, sondern unverzüglich,
ohne zu werten, Abstand gewinnen und den Dharma anwenden; lernen, uns selbst realistisch zu sehen (auch um Feedback von anderen bitten); zu tieferen Meditationserfahrungen vorstoßen; die illusorische Natur aller Erscheinungen und die Natur des Geistes meditieren und intuitive Einsicht entwickeln
spezielle Methoden anwenden: Zuflucht nehmen, das siebenteilige Gebet ausführen, Wunschgebete ausführen, Stupas umwandeln, Pilgerreisen, die vier vorbereitenden Übungen (Ngöndro) ausführen;
Tschenresi Praxis (auf den Buddha des Mitgefühls) oder die Praxis auf Dordje Sempa (der die unverschleierte Reinheit des erleuchteten Geistes darstellt), sowie Gebete an Manjushri (den Weisheitsaspekt aller Buddhas), Mantras rezitieren; Guru Yoga, Schinä u. Lhaktong Meditation; Jidampraxis, Mahamudra, Yoga des Klaren Lichtes und des Traumes
Befreiende Weisheit, Zusammenfassung in Versen:
»Wer die fünf Aggregate als illusorisch erkennt,
wird Illusion und Aggregate nicht als zweierlei betrachten.22
Er wird sich von der Vielzahl der Wahrnehmungen lösen
und wahren Frieden praktizieren.
Das ist die Praxis der höchsten befreienden Weisheit.«
Sutra König der tiefen Meditation:
»Zauberer erschaffen illusionäre Formen,
Pferde, Elefanten, Kutschen und vielerlei mehr,
die zwar erscheinen, aber keineswegs existieren.
Erkenne, dass es mit sämtlichen Phänomenen genauso ist.«
ZUSAMMENFASSUNG (nach den Fünf Stufen von Karma Tschakme Rinpotsche)
Erste Etappe: Innehalten – der Unwissenheit Schranken setzen
22
Mit Illusion sind die Objekte der Wahrnehmung gemeint und die Aggregate sind das Subjekt.
153
„Stop!“ sagen, den Projektionen Einhalt gebieten, ihnen nicht mehr solchen Glauben schenken, andere
Sichtweisen in Betracht ziehen, mich nicht von Gleichgültigkeit, Unwissenheit und Schläfrigkeit einlullen
lassen, keine weiteren negativen Handlungen ausführen (evtl. Gelübde nehmen), Schaden eingrenzen, um
Hilfe bitten; Abstand nehmen, um neue Verhaltensweisen lernen zu können.
Zweite Etappe: Gegenmittel für Unwissenheit anwenden
Dharma studieren und kontemplieren, heilsame Handlungen ausführen (Verdienste ansammeln), einem
Lehrer folgen, Achtsamkeit entwickeln, mich mit anderen austauschen, den Geist anregen, Interesse wecken
Dritte Etappe: Unwissenheit transformieren
neue Geisteshaltung oder Sichtweise zur Anwendung bringen, z.B. die Tschenresi-Praxis; in die Weite des
Geistes der Buddhas eintauchen, die aufsteigenden Projektionen nicht mehr als Feinde betrachten, sondern als Hilfe, um die spontane Aktivität des Buddhageistes tiefer zu verstehen, alle Situationen als Hilfe
und Fingerzeige auf dem Weg betrachten; Nichtwissen, Dumpfheit und Zweifel als willkommene Herausforderung nehmen, noch tiefer loszulassen, noch mehr auf das Leben zuzugehen, die innere Entspannung
zu vertiefen und tiefer in das erleuchtete Bewusstsein hineinzufinden; Erkennen – Entspannen –Loslassen
– Transformation in Offenheit, Verständnis, Liebe usw.; die Praxis wird immer energievoller, denn wir
gewinnen die Emotionen als Freunde.
Vierte Etappe: Unwissenheit in ihrer wahren Natur befreien
die wahre Natur der Unwissenheit erkennen: direkt in die vernebelten, ichbezogenen Geisteszustände
schauen und ihre Leerheit, die Abwesenheit konkreter Existenz sehen; das klare Licht, die Leerheit entdecken; alles befreit sich im Moment des Erkennens; unmittelbar denjenigen betrachten, der sich für wirklich
hält oder direkt ins Objekt der Emotion selbst hineinschauen (Subjekt oder Objekt).
Fünfte Etappe: Unwissenheit als Weg nehmen
Unwissenheit und Dumpfheit stimulieren (z.B. bewusst mehr schlafen), um immer wieder das klare Licht,
die Natur des Geistes zu sehen und sämtliche noch vorhandenen Gewahrseinsschleier aufzulösen; je mehr
Emotionen, desto mehr Verwirklichung; alle unwissenden Geisteszustände haben die Natur des Geistes;
sie enthüllen sich als das ursprüngliche Gewahrsein des Raumes aller Phänomene (Dharmadhatu) und alle
Unwissenheit ist aufgelöst
154
II. Begierde–Anhaftung
positive Aspekte? Begierde sucht und schafft Kontakt mit der Umwelt; sie bejaht die Welt und drückt Interesse aus; sie erkennt die unterschiedlichen Qualitäten von Objekten; im Verliebtsein liegt
eine enorme Intensität der Zuwendung, die als Vorbild der Zuwendung zu allen Wesen
genommen werden kann; ihre wahre Natur ist das alles unterscheidende (genau erkennende) ursprüngliche Gewahrsein
Problem:
Streben nach Glück bleibt unerfüllt, Unzufriedenheit, Gefangensein in Verlangen und
Wunschgedanken, Leid durch innewohnende Vergänglichkeit, angespannter Geist aufgrund von Haften, Unfreiheit, ständige Quelle schädlicher Handlungen, immer größere
Abhängigkeit, unkontrollierter, zerstörerischer Konsum, Habsucht, endlose Geschäftigkeit und Ablenkung, Unausgeglichenheit, das Verfolgen unserer Begierden stiehlt der
Dharmapraxis die Zeit
Ursache: Ichanhaften, Habenwollen, Glaube an die Wirklichkeit illusionärer Objekte und
Personen, Glückssuche außen, langes Kultivieren von Begierde-Tendenzen, Karma und
emotionale Schleier, mangelndes Gewahrsein, Hoffnung
Lösung:
Entwickeln von Gelöstheit, Freigebigkeit und Liebe:
Gelöstheit (Entsagung, Loslassen)
Freigebigkeit (materielle, freundschaftliche und spirituelle Hilfe; sich selbst Geben
mit Körper, Rede und Geist)
Liebe (ganz am Wohlergehen anderer interessiert sein; Dankbarkeit)
durch tiefes Betrachten der Nachteile von Begierde–Anhaftung; Kontemplation des Nutzens von Freigebigkeit; Entwickeln von wahrer Liebe und innerer Gelöstheit
Was können wir konkret tun, um Begierde und Anhaften aufzulösen?
a) Entsagung entwickeln durch Kontemplation: die Vergänglichkeit des begehrten Objektes und von uns selbst
sowie der erhofften Freude kontemplieren; die weniger anziehenden Aspekte des begehrten Objektes
kontemplieren (5 Meditationen im "Großen Pfau" S. 49-51); Visualisationen: Körper Schicht um
Schicht öffnen, Altern, Gebrechlichkeit, (Haut-)Krankheit, Leichnam; an den Tod denken: wie wertlos
die Erfüllung meiner Begehren angesichts des Todes ist; mir klar werden über die wirklichen Prioritäten im Leben und im Tod; die Nachteile Samsaras allgemein kontemplieren: wie Begierde zu immer
mehr Leid führt; Kreislauf von Hoffnung und Furcht; Begierde zu folgen ist wie Salzwasser trinken,
um Durst zu stillen
b) Gelöstheit entwickeln und Loslassen üben: Wünsche loslassen, deren Erfüllung nicht wirklich wichtig ist;
Erkennen, dass das ersehnte Objekt gar nicht so besonders ist wie es uns unsere Projektionen vorgaukeln; die illusorische Natur des begehrten Objektes und der Begierde selbst kontemplieren; regelmäßig
meditieren, um zu lernen, nicht an den aufsteigenden Gedanken zu haften, und so Loslassen zu üben;
Gier und Unzufriedenheit direkt anschauen, wodurch sie sich auflösen
c) wahres Glücklichsein fördern: aktiv für innere Zufriedenheit sorgen, statt dem Lustprinzip zu folgen und
passiv die Erfüllung unserer Wünsche von außen zu erwarten; um innere Erfüllung zu erleben, müssen wir Momente von Lustlosigkeit überwinden; die Freuden disziplinierten Handelns und entspannten Seins entdecken; sich auf dauerhafte, verlässliche Quellen des Glücks ausrichten (innerer Friede);
sich aus allem Suchtverhalten lösen; sich der Zuwendung und Liebe anderer öffnen; Entspannung kultivieren und Gefühle des Verbundenseins zulassen; Zufriedenheit mit unserer gegenwärtigen Situation
entwickeln; Verzicht üben, statt sich auf endlose Verstrickungen einzulassen; Begierde als Lehrer betrachten, der uns Loslassen lehrt
d) Freigebigkeit entwickeln und allgemein positiv handeln: in jeder Situation eine Haltung freizügigen Teilens und
Gebens einnehmen, statt etwas für uns selbst zu erwarten und haben zu wollen; unsere Handlungen
allen Wesen widmen; anderen konkret oder im Geiste Geschenke oder eine Freude machen (auch denen, wo es uns nicht so leicht fällt);
e) eine liebevolle Geisteshaltung kultivieren: stets das Wohl aller im Auge behalten und eine weite Perspektive
einnehmen; andere nicht als Rivalen betrachten, sondern als geliebte Freunde und ihnen die Erfüllung
155
ihrer Wünsche wünschen und die eigenen Wünsche evtl. hinten anstellen; sich in andere hinein versetzen; die Güte aller Wesen, unserer ehemaligen Mütter, meditieren (Schmuck der Befreiung, S. 99–102)
f) spezielle Methoden: klare Abmachungen mit sich selbst eingehen oder Gelübde nehmen, um spezifische
schädliche Verhaltensweisen aufzulösen; regelmäßige symbolische Opfergaben ausführen; TonglenMeditation des Gebens und Annehmens zum Entwickeln von Liebe; Schinä, Lhaktong, Tschö Praxis;
Karmamudra; Samayamudra: Tummo; Jñanamudra: Jidampraxis; Mahamudra
Aus dem vom Laienpraktizierenden Ugra erbetenen Sutra:
»Was wir hergeben, ist unser, was wir zu Hause behalten, ist nicht unser. Was wir hergeben, hat Wert, was
wir zu Hause behalten, ist wertlos. Was wir hergeben, brauchen wir nicht zu schützen, was wir zu Hause
behalten, müssen wir schützen. Was wir hergeben, macht keine Sorgen, was wir zu Hause behalten, macht
Sorgen. Was wir hergeben, führt auf direktem Weg zur Erleuchtung, was wir zu Hause behalten, führt als
nächstes zu schädlichen Handlungen. Was wir hergeben, bringt großen Wohlstand, was wir zu Hause
behalten, bringt keinen Wohlstand. Was wir hergeben, wird zu einem unerschöpflichen Schatz, was wir zu
Hause behalten, wird sich erschöpfen ...«
ZUSAMMENFASSUNG:
Erste Etappe: Innehalten – der Begierde Schranken setzen – Abstand nehmen
den Projektionen, die das Objekt unserer Anhaftung aufbauschen, Einhalt gebieten; tief durchatmen und
mich nicht zu schädlichen Handlungen verleiten lassen (z.B. in bestehende Beziehungen eindringen; stehlen; auf Triebbefriedigung bestehen), evtl. klare Abmachungen treffen, um mich aus einer Sucht zu befreien oder Gelübde nehmen, den Fantasien und Illusionen nicht auf den Leim gehen, Schaden eingrenzen,
um Hilfe bitten; Abstand nehmen, um Gegenmittel anzuwenden und neue Verhaltensweisen lernen zu
können
Zweite Etappe: Gegenmittel für Begierde anwenden
die wirkliche Beschaffenheit des begehrten Objektes kontemplieren (siehe oben), die Prioritäten im Leben
klären, positive Handlungen ausführen (Verdienste ansammeln), Freigebigkeit und wahre Güte entwickeln
Dritte Etappe: Begierde transformieren
eine weitere Geisteshaltung zur Anwendung bringen, z.B. die Tschenresi-Praxis; in die Weite der Liebe der
Buddhas eintauchen, die aufsteigenden Projektionen als Hilfe betrachten, um die spontane Aktivität des
Buddhageistes tiefer zu verstehen, alle Situationen als Hilfe und Fingerzeige auf dem Weg betrachten;
Anhaften und Begierde als willkommene Herausforderung nehmen, noch tiefer loszulassen und sich den
wahren Quellen des Glückes zuzuwenden und die innere Entspannung zu vertiefen; Erkennen – Entspannen –Loslassen – Transformation in Gelöstheit, Liebe usw.; die Praxis wird immer energievoller, denn
wir gewinnen Begierde als Freund
Vierte Etappe: Begierde in ihrer wahren Natur befreien
die wahre Natur der Begierde erkennen: direkt in die anhaftenden, ichbezogenen Geisteszustände schauen
und ihre Leerheit, die Abwesenheit konkreter Existenz sehen; die Leerheit entdecken, mittelpunktslose
Liebe; Anhaften befreit sich im Moment des Erkennens; unmittelbar denjenigen betrachten, der anhaftet
oder direkt ins Objekt des Haftens hineinschauen (Subjekt oder Objekt).
Fünfte Etappe: Begierde als Weg nehmen
sie stimulieren, indem man z.B. bewusst an Objekte der Begierde denkt, um jedes Mal wieder die leere
Natur des Geistes zu sehen und loszulassen; sämtliches Haften stimulieren und auflösen; je mehr Begierde, desto mehr Verwirklichung; alle anhaftenden Geisteszustände haben die Natur des Geistes; sie enthüllen sich als das alles unterscheidende ursprüngliche Gewahrsein
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III. Wut–Abneigung
positive Aspekte? energievoll, starker Antrieb um Situationen zu ändern, gibt neue Impulse, lässt uns sehen,
wo etwas evtl. nicht stimmt, Wutausbruch kann die Atmosphäre reinigen, bringt ehrlichere Kommunikation in Gang; scharfe Klarheit, durchtrennt Illusionen, schnell und genau,
zieht Grenzen, schützt; spiegelgleiches ursprüngliches Gewahrsein
Problem:
unglücklich mit Situationen, Ablehnung, Ungeduld, extreme Anspannung, alles geht auf
die Nerven, innerlich gefangen, wir sehen überall Fehler, Handlungen aus Wut verschlimmern unser Karma noch, Hass zerstört alles, wir fügen anderen Schaden zu, ständig im Kampf mit der Welt
Ursache:
Ichanhaften, karmische Grundspannung, fixe Vorstellungen und Urteile, Stolz, Mangel an
Flexibilität, Mangel an Verständnis für andere, Mangel an Mitgefühl, Glaube an die Wirklichkeit illusionärer Objekte und Personen, Glückssuche außen, langes Nähren von WutTendenzen mit starken emotionalen Schleiern, mangelndes Verständnis von Karma, mangelndes Gewahrsein, Angst
Lösung:
Entwickeln von Geduld, Verständnis und Mitgefühl:
Geduld (Gleichmut, Akzeptieren und Warten können, Entspannen)
Verständnis (von sich selbst, anderen und Karma)
Mitgefühl (sich einfühlen können und andere vor Leid bewahren wollen)
durch:
Betrachten der Nachteile von Wut–Ungeduld und der Vorteile von Geduld
Kontemplation des Gefangenseins von uns selbst und anderen, der karmischen
Bedingtheit von Situationen, der illusorischen Natur des Ichs und aller Phänomene
Entwickeln von Mitgefühl und Angstfreiheit (Weisheit)
Was können wir konkret tun, um Wut, Ärger und Ungeduld aufzulösen?
a) den tiefen, grundlegenden Entschluss entwickeln, uns nicht von Wut fortreißen zu lassen: die zerstörerische Natur
von Ärger und Zorn und das aus ihnen entstehende Leid kontemplieren und den großen Nutzen von
Geduld kontemplieren (siehe Schmuck der Befreiung S.183, 184); an den Tod denken; uns klar werden
über die wirklichen Prioritäten im Leben; kontemplieren, wie Streit zu immer mehr Streit und Leid
führt;
b) standhaft bleiben, wenn Wut auftaucht: entspannen und durchatmen; unsere Achtsamkeit auf etwas anderes lenken, z.B. Atemzüge zählen, immer wieder Zuflucht nehmen; beten, um Kraft zu finden, durchzuhalten; den Lama oder Tschenresi visualisieren, Tonglen praktizieren; Abstand nehmen, um sich zu
beruhigen: sich evtl. aufs Sitzkissen flüchten und warten, bis der Anfall vorüber ist und dann – falls
noch nötig – einen offenen Dialog suchen; sich nicht von Schwierigkeiten entnerven lassen; sich an
das Versprechen erinnern, anderen kein Leid zuzufügen; an den Tod denken: Falls ich heute noch
sterbe, wie würde ich mich verhalten?
mit uns selbst geduldig und mitfühlend sein: uns selbst nicht verurteilen, sondern verzeihen, wenn wir emotional werden; die eigenen Gefühle zulassen; geduldig immer wieder an uns selbst und mit unseren
Ängsten arbeiten; nicht an Rückschlägen festhalten; keine zu hohen Ansprüche an uns selbst stellen;
realistisch werden; Tonglen zuerst mit uns selbst üben; die eigenen Fehler und die eigene Bedürftigkeit
annehmen; emotionale Selbständigkeit entwickeln, die Verantwortung für unser eigenes Wohlergehen
übernehmen; Gleichmut in unangenehmen Erfahrungen entwickeln
Geduld, Gleichmut und Toleranz mit anderen üben, indem wir (siehe Schmuck der Befreiung S.185–187) das
Leid und die emotionale Unfreiheit (Angst!) jener wahrnehmen, die uns Leid zufügen; uns in sie einfühlen (versuchen, den Ärger anderer zu verstehen; schauen, ob er vielleicht berechtigt ist); sehen,
dass letzten Endes unser eigenes Handeln (Karma) und nicht ihr Verhalten verantwortlich für unser
Leid ist; dass ich selbst mit Körper und Geist entscheidend zu dieser Situation beigetragen habe
(wenn ich nicht in Samsara wiedergeboren wäre, könnte all dies nicht passieren); dass es in solchen Situationen keinen Unschuldigen gibt;
157
fixe Vorstellungen darüber, wie etwas zu sein hat, loslassen; Situationen akzeptieren, wie sie sind; uns
von Erwartungen freimachen; aus festen Rollenvorstellungen aussteigen; andere nicht überfordern;
uns nicht von ersten Gefühlen der Ablehnung verleiten lassen; sich nicht provozieren lassen; nicht
nach Schuldigen suchen; anderen verzeihen, nicht nachtragend sein, Entschuldigung oder Versöhnung
anbieten; Erkennen, dass das Thema, um das wir uns streiten, gar nicht so wichtig ist, wie es uns unsere Projektionen vorgaukeln; unsere eigene Emotionalität bedenken, um die Emotionen anderer besser
annehmen zu können; erkennen, dass andere in vieler Hinsicht einfach Spiegel unserer eigenen Emotionen sind;
das Gewahrsein von 5 Dingen üben (siehe Schmuck der Befreiung S.188, 189): dass jene, die uns Leid
zufügen, unsere liebsten Angehörigen sind; dass sie nur eine Abfolge bedingter, vergänglicher Phänomene sind; dass sie selbst leiden und dass wir uns ihrer mit Bodhicitta annehmen sollten
regelmäßig meditieren, um zu lernen, nicht an den aufsteigenden Gedanken zu haften, und so Loslassen zu üben; die illusorische Natur der Situation und der Wut selbst kontemplieren; Wut und Unzufriedenheit direkt anschauen, wodurch sie sich auflösen; sehen, dass Wut nur aus Gedanken besteht,
ohne Substanz, leer von Natur; völlig unabhängig vom Inhalt der Wut den Prozess des Anhaftens und
Ablehnens selbst zum Gegenstand der Praxis machen
c) wahres Glücklichsein fördern: aktiv für innere Zufriedenheit sorgen; an uns selbst arbeiten, statt andere
und die Welt ändern zu wollen; sich der Zuwendung und Liebe anderer öffnen; Entspannung kultivieren und Gefühle des Verbundenseins zulassen; Zufriedenheit mit unserer gegenwärtigen Situation
entwickeln; Verzicht üben, statt sich auf endlose Verstrickungen einzulassen; Wut als Lehrer betrachten, der uns Loslassen lehrt; unablässig positives Karma aufbauen (Verdienste): hilfsbereit sein, kleine
Geschenke machen...
d) eine positive, neue Sichtweise annehmen und Mitgefühl kultivieren, um eine entspanntere Grundhaltung zu
entwickeln: die Qualitäten und positiven Seiten der für mich schwierigen Personen kontemplieren; sie
als meine Mutter visualisieren; mich als den Widersacher und ihn als mich selbst sehen, bis ein völliger
Austausch des inneren Erlebens stattgefunden hat; die Dinge aus der Perspektive des Gegners sehen;
daran denken, dass sie mir einen großen Dienst erweisen und sehr gütig zu mir sind: sie sind der Lama
in Person, der mir hilft, mein Karma zu reinigen; mich freuen, dass mein Karma gereinigt wird und
dass mein Ichanhaften eins auf den Deckel bekommt; lehrreiche Situation willkommen heißen; anderen den Sieg schenken und selbst die Niederlage annehmen; selber rücksichtsvoll und nachsichtig sein,
statt dies von anderen zu erwarten; auf andere zugehen, statt sie abzuweisen; das Leid aller Wesen,
unserer ehemaligen Mütter, meditieren (Schmuck der Befreiung S. 102–105) und daran denken, dass
alle unsere vermeintlichen Widersacher bereits einmal unsere Eltern waren; stets das Wohl aller im
Auge behalten und eine weite Perspektive einnehmen; andere nicht als Rivalen betrachten und ihnen
Freiheit von Leid wünschen; die eigenen Wünsche evtl. hinten anstellen; sich in andere hinein versetzen
e) spezielle Methoden: ständig Wunschgebete für andere machen; klare Abmachungen mit sich selbst treffen (z.B. nie jemanden körperlich anzugreifen); Zuflucht; Tonglen-Meditation; geistige Ruhe üben,
Achtsamkeit entwickeln, so dass wir des Auftauchens der Wut unmittelbar gewahr werden und wissen,
wie wir den Geist ausrichten und öffnen können, Lhaktong (sich nicht vom Objekt der Wut einnehmen lassen, sondern direkt in die Wut bzw. in den Wütenden selbst hineinschauen), Mahamudra,
Tschö Praxis; Tschenresi, Dordje Sempa; Sichtweise des Vajrayana kultivieren: sich selbst und alle Wesen als Jidam sehen, Gedanken als Geist des Jidam, Laute als Mantra, die Umgebung als Palast; Yoga
des illusorischen Körpers (Gewahrwerden der illusorischen Natur von uns selbst und aller Situationen,
den Einen Geschmack entwickeln)
Eintritt in die Bodhisattva-Praxis:
»Jene, die sich nichts aus ihrem eigenen Leid machen,
bezwingen Hass und alle anderen Geistesgifte.
Wer solchen Sieg erlangt, ist ein wahrer Held –
die anderen bringen nur Leichen um.«
ZUSAMMENFASSUNG:
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Erste Etappe: Innehalten – der Wut Schranken setzen – Abstand nehmen
den Projektionen, die das Objekt unserer Abneigung aufbauschen, Einhalt gebieten; tief durchatmen und
mich nicht zu schädlichen Handlungen verleiten lassen, evtl. klare Abmachungen diesbezüglich eingehen
oder Gelübde nehmen, Schaden eingrenzen, um Hilfe bitten; Abstand nehmen, um Gegenmittel anzuwenden und neue Verhaltensweisen lernen zu können; schauen, was wirklich wichtig ist
Zweite Etappe: Gegenmittel für Wut anwenden
die neun Kontemplationen und das fünffache Gewahrsein zur Anwendung bringen (siehe oben), positive
Handlungen ausführen (Verdienste ansammeln), Gleichmut und wahres Mitgefühl entwickeln
Dritte Etappe: Wut transformieren
eine weite Geisteshaltung zur Anwendung bringen, wie z.B. in der Tschenresi-Praxis; in die Weite des Mitgefühls der Buddhas eintauchen, die aufsteigenden Projektionen als Hilfe betrachten, um die spontane
Aktivität des Buddhageistes tiefer zu verstehen, alle Situationen als Hilfe und Fingerzeige auf dem Weg
betrachten; Ärger und Wut als willkommene Herausforderung nehmen, noch tiefer loszulassen und sich
den wahren Quellen des Glückes zuzuwenden und die innere Entspannung zu vertiefen; Erkennen – Entspannen – Loslassen – Transformation in Gelöstheit, Mitgefühl usw.; die Praxis wird immer energievoller,
denn wir gewinnen Wut als Freund
Vierte Etappe: Wut in ihrer wahren Natur befreien
die wahre Natur der Wut erkennen: direkt in die ärgerlichen, ichbezogenen Geisteszustände schauen und
ihre Leerheit, die Abwesenheit konkreter Existenz sehen; die Leerheit entdecken, mittelpunktsloses Mitgefühl; Abneigung befreit sich im Moment des Erkennens; unmittelbar denjenigen betrachten, der ärgerlich
ist oder direkt ins Objekt des Ärgers hineinschauen (Subjekt oder Objekt).
Fünfte Etappe: Wut als Weg nehmen
Ärger bei sich selbst stimulieren, indem man z.B. bewusst an Objekte der Wut denkt, um jedes Mal wieder
die leere Natur des Geistes zu sehen und loszulassen; alle Abneigung stimulieren und auflösen; je mehr
Wut, desto mehr Verwirklichung; alle ärgerlichen Geisteszustände haben die Natur des Geistes; sie enthüllen sich als das alles unterscheidende ursprüngliche Gewahrsein
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IV. Stolz
positive Aspekte? Stolz kann uns weniger empfindlich für Kleinigkeiten machen, stabilisiert, schützt vor
Ängsten; Selbstzufriedenheit, scheinbares Selbstvertrauen; Stolz fühlt sich zunächst angenehm an, ermöglicht eine gewisse Lebensfreude; übernimmt Führung; Gefühl von Reichtum und Überfluss; ursprüngliches Gewahrsein der Gleichwertigkeit (Gleichheit aller Erscheinungen)
Problem:
Stolz ist die Basis aller Emotionen und fördert Dummheit; Einsamkeit, Isolation; Überheblichkeit, Unfähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen; verhindert echte Kommunikation
und gleichwertige Beziehungen; fixes Selbstbild, Widerstand gegen Veränderung und Kritik; verhindert Arbeit an sich selbst; Hochmut ist die Unfähigkeit, sich unterzuordnen und
z.B. einen Lehrer zu akzeptieren; verunmöglicht spirituellen Weg; Einbildung, mangelnder
Realitätsbezug; Eitelkeit, Verblendung; enger, komplizierter Geist; zerstört alle Qualitäten
(als wären sie mit Gift vermischt); mangelndes Einfühlungsvermögen; verletzter Stolz
führt zu Streit; Angst vor Demütigung und Niederlage
Ursache:
Identifikation mit dem "Ich" und dessen vermeintlichen Qualitäten; sich selbst wichtiger
nehmen als andere; möchte geliebt und beachtet werden; Mangel an Weisheit und Erkenntnis, Glaube an die Wirklichkeit eines Ichs, mangelndes Gewahrsein, Angst
Lösung:
Entwickeln von:
Einfachheit, Mut, Flexibilität
Hingabe, Bescheidenheit, Demut
Freundschaft, Gleichwertigkeit
durch:
Gewahrsein der eigenen Beschränktheit,
Gewahrsein der Qualitäten anderer
Gewahrsein der Leerheit und unserer wahren Natur
Was können wir konkret tun, um Stolz aufzulösen?
a) uns zutiefst entschließen, uns nicht von Stolz einwickeln zu lassen: die verheerenden Auswirkungen von Stolz
kontemplieren; überhaupt erkennen, dass wir ein Problem mit Stolz haben; stolzes Verhalten unterlassen (z.B. beim Erzählen nicht übertreiben, uns nicht hervorstreichen)
b) Gewahrsein der eigenen Beschränktheit entwickeln, indem wir sehen, dass wir keinen Grund haben, stolz zu
sein: "Wenn ich tatsächlich so toll wäre, wie ich denke, warum bin ich dann noch nicht erleuchtet?";
unsere vermeintlichen Qualitäten sind rein weltlicher Natur und wir sind nicht in der Lage, uns selbst
(geschweige denn andere) aus Samsara zu befreien; sich die Vergänglichkeit der Eigenschaften vergegenwärtigen, auf die wir stolz sind; echte Qualitäten sind – falls tatsächlich vorhanden – Ausdruck der
Buddhanatur und nicht unser eigenes Werk, von daher kein Anlass zu Stolz; Qualitäten manifestieren
sich dank des Segens des Dharma, dank des Loslassens und nicht aufgrund von Ichbezogenheit; sehen, wie unbedeutend und austauschbar wir eigentlich sind; unsere Fehler kontemplieren, bis wir uns
schämen; die wahre Beschaffenheit des eigenen Körpers meditieren, um die Vorstellung der eigenen
Attraktivität aufzulösen
c) Mut und Vertrauen entwickeln: mit den eigenen Gefühlen arbeiten, unsere Ängste nicht mehr hinter einer
Fassade verstecken, Schwächen zeigen; den Wunsch nach Liebe und Beachtung eingestehen; Kritik
einladen; schwierigen (evtl. demütigenden) Situationen nicht aus dem Weg gehen; unsere Abhängigkeit
von anderen eingestehen; ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen (Vertrauen in die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten)
d) Freundschaften pflegen: uns der Zuwendung und Liebe anderer öffnen; spielerischen Umgang mit uns
selbst üben; Flexibilität im Rollentausch (mal oben, mal unten, mal helfen, mal sich helfen lassen); Beziehungen zu Freunden auf gleicher Ebene pflegen; sehen, dass sich andere genauso nach Aufmerksamkeit sehnen, wie wir selbst; Gefühle des Verbundenseins zulassen; Mitgefühl entwickeln: an andere
denken, hilfsbereit sein, kleine Geschenke machen, Gesten der Aufmerksamkeit; die Hilfe anderer erbitten, zulassen und wertschätzen; anderen dienen, aufrichtiges Interesse für andere Menschen entwi-
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ckeln, sie für wichtiger nehmen als uns selbst; Bescheidenheit üben; andere im Mittelpunkt stehen lassen; fähig werden, sich zurückzunehmen; unser Handeln dem Wohl aller widmen
e) Gewahrsein der Qualitäten anderer entwickeln: in erster Linie die Qualitäten der drei Juwelen, dann die Qualitäten unserer Eltern, Lehrer, Angehörigen, Mitarbeiter; Hingabe entwickeln
f) spezielle Methoden: Niederwerfungen, Zuflucht, Lobpreisungen, Tonglen-Meditation: sich selbst und
andere austauschen (!); Guru Yoga; Achtsamkeit entwickeln, so dass wir des Stolzes unmittelbar gewahr werden und uns entspannen können, Lhaktong (in den Denker schauen, um die Leerheit zu erkennen), Mahamudra; Sichtweise des Vajrayana kultivieren: Vajra-Stolz entwickeln (ein mittelpunktsloses Gewahrsein der Qualitäten der Buddhanatur); das Gewahrsein der Gleichwertigkeit aller Phänomene und aller Wesen entwickeln, Praxis des Tschö
Gendün Rinpotsche:
"Wenn wir trotz Dharmapraxis immer intoleranter, hochmütiger, engstirniger und dogmatischer werden,
so ist das ein Zeichen, dass unser Geist von Wut, Eifersucht und Stolz verschleiert ist. Wir glauben, einer
Elite anzugehören und die Weisheit gepachtet zu haben. So wird der Dharma völlig von Emotionen verdorben und unsere Praxis hat nichts mehr mit Dharma zu tun.
Wir müssen sofort an uns arbeiten und diese gravierende Abweichung korrigieren, indem wir Offenheit,
Toleranz und Mitgefühl für andere entwickeln und unseres eigenen Stolzes gewahr werden. (Retreatunterweisungen:)Um diese Offenheit und Geistesgegenwart sollten wir uns jeden Tag und in jeder Situation
bemühen. Das ist wahre Disziplin, durch die sich unsere Praxis Tag für Tag vertieft.
(WB, 3T:)Wenn wir durch solche Disziplin den Berg der Emotionen in uns bemerken, fällt das Gebäude
unseres Stolzes von selbst zusammen. Alles hatten wir auf der Annahme aufgebaut, Recht zu haben und
frei von Fehlern zu sein – und aus diesem Stolz heraus haben wir gehandelt. Die Burg des Stolzes stürzt
ein wie ein Kartenhaus und unsere Emotionen werden sich nach und nach auflösen. Das Projizieren nach
außen hört auf und es stellt sich innere Ruhe ein."
ZUSAMMENFASSUNG:
Erste Etappe: Innehalten – nicht auf den Stolz hereinfallen
den Tendenzen, uns selbst aufzuplustern, Einhalt gebieten; Abstand nehmen und entspannen
Zweite Etappe: Gegenmittel für Stolz anwenden
Zuflucht nehmen, Tonglen, um Hilfe bitten, ganz für andere da sein usw.
Dritte Etappe: Stolz transformieren
eine weite Geisteshaltung zur Anwendung bringen, in der alle gleich sind, wie z.B. in der TschenresiPraxis; in die Weite des Geistes der Buddhas eintauchen, demütigende Situationen als Lama willkommen
heißen; Erkennen – Entspannen – Loslassen – Transformation in Gelöstheit, Mitgefühl usw.; die Praxis
wird immer energievoller, denn wir gewinnen Stolz als Freund
Vierte Etappe: Stolz in seiner wahren Natur befreien
die Leerheit des Stolzes und des Stolzen erkennen: direkt in die stolzen, ichbezogenen Geisteszustände
schauen; mittelpunktslose Offenheit entdecken
Fünfte Etappe: Stolz als Weg nehmen
Stolz bei sich selbst stimulieren, indem man bewusst Stolz hervorruft, um jedes Mal wieder die leere Natur
des Geistes zu sehen und loszulassen; je mehr Momente des Stolzes, desto mehr Gelegenheit, die Natur
des Geistes zu sehen; Gewahrsein der Gleichwertigkeit aller Phänomene
161
V. Eifersucht–Neid
positive Aspekte? spornt zu Leistung an; Dynamik, Beweglichkeit; Intelligenz, schnelles Erfassen von Situationen; starker Antrieb, Fortschritte zu machen; Effektivität; allvollendendes Gewahrsein
Problem:
unzufrieden, neidisch, feindselig, verdächtigt andere (Wachhund-Mentalität); freudlos,
Furcht vor Verlust und Benachteiligung; Unfähigkeit, sich am Wohlergehen anderer zu
freuen; nörglerisch, alles wird kritisiert; enger, knauseriger Geist; die eigenen Fehler werden vertuscht; Selbstmitleid und Melancholie: Abwertung der Freuden des Lebens, um
nicht so stark an unserer Unfähigkeit, uns zu freuen, leiden zu müssen; Welt wird als ungerecht erlebt; zerstörerisch; Wettkampf, Konkurrenz, Rivalität; Intrigen
Ursache:
Identifikation mit dem "Ich" und dessen Ansprüchen und Besitz; ständiges Vergleichen
mit anderen oder mit unseren Idealvorstellungen; Minderwertigkeitsgefühle; Anhaften;
verletzter Stolz; Armutsgefühl; Enttäuschung
Lösung:
Entwickeln von:
offene, ehrliche, direkte Kommunikation
Gleichmut
Freude, Wunschgebete
durch: Mut, Entsagung, Freigebigkeit, Weisheit
Was können wir konkret tun, um Eifersucht aufzulösen?
a) uns zutiefst entschließen, Eifersucht nicht auf den Leim zu gehen: die Folgen von Eifersucht kontemplieren;
erkennen und eingestehen, dass wir eifersüchtig sind; eifersüchtiges Verhalten unterlassen (z.B. nicht
schlecht über andere reden, nicht intrigieren); uns an das Bodhisattva-Gelübde erinnern
b) Gleichmut durch Weisheit: sehen, dass es keinen Grund gibt, zu vergleichen und eifersüchtig zu sein; mit
dem Vergleichen aufhören und Situation akzeptieren wie sie ist: jeder erlebt sein Karma, was anderes
liegt nicht drin; ich bin reich, weil ich den Dharma gefunden habe; Illusion auflösen, dass mehr zu haben glücklicher machen würde: die "Reichen" sind auch nicht unbedingt glücklicher; wir alle besitzen
fundamental die selben Qualitäten, da alle die Buddhanatur besitzen; alle haben das gleiche Glückspotential; Zugang zur eigenen Buddhanatur finden; uns die Nachteile des erstrebten Besitzes in Erinnerung rufen: was bringt es mir, an persönlichem Wohlergehen zu haften? nichts als Leid!; uns aus
Leistungs- und Wettkampfdenken befreien; der Vergänglichkeit gewahr sein; die traumhafte Natur der
Situation erkennen; statt neidisch auf andere zu sein, selber den Weg gehen;
c) Mut zu direktem Austausch: schwierige Situationen ansprechen und wiederkehrende eifersüchtige Gedanken mitteilen; den Personen und Situationen, die Eifersucht in uns auslösen, nicht aus dem Weg
gehen, sondern auf sie zugehen und uns direkt dem Gefühl des Mangels stellen; zusammenarbeiten;
Schwächen zeigen; den Wunsch nach Liebe und Beachtung eingestehen; Kritik einladen; schwierigen
(evtl. demütigenden) Situationen nicht aus dem Weg gehen; unsere Abhängigkeit von anderen eingestehen; ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen (Vertrauen in die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten); Mut, die Kontrolle loszulassen
d) Mitfreude kultivieren: eine weitere Sicht entwickeln (wenn jemand glücklich ist oder Qualitäten hat, so
kommt das allen zugute), Freude am Erfolg, Wohlergehen und den heilsamen Handlungen anderer
zum Ausdruck bringen, sich mitfreuen als wären wir es selbst; freigebig sein, anderen mehr geben, als
sie erhoffen oder sich schon genommen haben; unsere Freuden mit anderen teilen, sie einbeziehen;
Freunde und Geliebte nicht an uns ketten; uns einsetzen, dass andere es besser haben und schneller
vorwärts kommen als wir (positive Energie aufbauen); uns andere zum Vorbild nehmen; freudige Anstrengungen statt Rivalisieren
e) Wünsche für andere machen: dass sie alles finden, was sie glücklich macht; dass ihr Reichtum und ihre
Qualitäten weiter zunehmen; dass mehr und mehr Wesen in den Besitz dieser Vorteile kommen; dass
sie von Leid verschont bleiben; dass sie vor uns Erleuchtung erlangen (je schneller desto besser); ihnen unsere Verdienste widmen; auch Wunschgebete für uns selbst machen (z.B. uns am Glück anderer
mitfreuen zu können), auf die eigenen Wünsche eingehen
f) spezielle Methoden: Bodhisattva-Gelübde; Wunschgebete für alle Wesen; Tschenresi-Praxis; TonglenMeditation: sich selbst und andere austauschen (!); Achtsamkeit entwickeln, so dass wir der Eifersucht
gewahr werden und uns entspannen können, Lhaktong (in den Eifersüchtigen schauen, um die Leer-
162
heit zu erkennen), Mahamudra; Sichtweise des Vajrayana kultivieren: alle Wesen in ihrer Buddhanatur
sehen; das allvollendende ursprüngliche Gewahrsein entwickeln, Praxis des Tschö
Gendün Rinpotsche:
"(WB 41:) Ein Bodhisattva interessiert sich für andere und ist davon betroffen, wenn sie leiden. Er
wünscht ihnen von Herzen, dass sie glücklich und frei von Leid sein mögen. Wenn sie glücklich sind, dann
ist er froh und nicht im geringsten eifersüchtig, denn sein einziges Anliegen ist ihr Glück.
Wo Güte und Wohlwollen vorhanden sind, verschwindet jegliche Art von Eifersucht und Wettbewerb,
ebenso auch Stolz, Zorn und Neid. Ein Bodhisattva hat nicht mehr den Wunsch, besser oder glücklicher
zu sein als andere. In seinem Herzen ist kein Raum mehr für Eifersucht und so erlebt er anhaltende Freude, wahren Frieden und tiefe Stabilität. Nicht mehr motiviert von persönlichen Interessen, verschwindet
die Faszination für all die Objekte, die früher Eifersucht und Begierde nährten. Diese Objekte, denen er
bislang hinterher rannte, werden erkannt als bloße Erscheinungen im Geist und der Geist wird glücklich
und voller Frieden.
Dieser Frieden entspringt dem Interesse an anderen und ist das, was wir Geistige Ruhe nennen. Frei von
Faszination entsteht tiefes Glück und der Geist wendet sich anderen Wesen zu mit dem einzigen Wunsch,
dass sie glücklich sein und sich befreien mögen. Je mehr sich diese Hinwendung vollzieht, um so glücklicher wird man sein und große Freude wird entstehen.(Ende WB 41)"(Ende)
ZUSAMMENFASSUNG:
Erste Etappe: Innehalten – nicht auf die Eifersucht hereinfallen
allen eifersüchtigen Tendenzen Einhalt gebieten; Abstand nehmen und entspannen
Zweite Etappe: Gegenmittel für Eifersucht anwenden
Zuflucht nehmen, Tonglen, Wünsche machen, Mitfreude entwickeln usw.
Dritte Etappe: Eifersucht transformieren
eine freudige Geisteshaltung entwickeln, in der alle die gleichen Qualitäten haben, wie z.B. in der Tschenresi-Praxis; in die Liebe des Geistes der Buddhas eintauchen; Eifersucht stimulierende Situationen als Lama willkommen heißen; Erkennen – Entspannen – Loslassen – Transformation in Gelöstheit, Mitfreude
usw.; die Praxis wird immer energievoller, denn wir gewinnen Eifersucht als Freund
Vierte Etappe: Eifersucht in ihrer wahren Natur befreien
die Leerheit der Eifersucht und des Eifersüchtigen erkennen: direkt in die eifersüchtigen, ichbezogenen
Geisteszustände schauen; mittelpunktslose Offenheit entdecken
Fünfte Etappe: Eifersucht als Weg nehmen
bewusst Eifersucht bei sich hervorrufen, um jedes Mal wieder die leere Natur des Geistes zu sehen und
loszulassen; je mehr Momente der Eifersucht, desto mehr Gelegenheit, die Natur des Geistes zu sehen;
das allvollendende ursprüngliche Gewahrsein verwirklichen; die Einheit von Freude und Leerheit
Anhang 23: Gegenmittel für alle Emotionen (L. Lhundrup)
•
die Sichtweise der persönlichen Befreiung entwickeln: Vergänglichkeit kontemplieren, alles als Reinigung von Karma und als Gelegenheit zum Aufbauen positiver Kraft betrachten, Entsagung üben
•
Bodhisattvahaltung einnehmen: alles als Gelegenheit zum Entwickeln von Liebe und Mitgefühl betrachten; uns an schwierigen Situationen erfreuen, sie geradezu aufsuchen
•
Vajrayana-Sicht entwickeln: alles als Unterweisungen des Lamas betrachten, uns selbst und andere als
Jidam sehen, usw.
163
•
uns nicht mehr mit unseren Emotionen identifizieren und die Emotionen anderer als unsere eigene
Projektion annehmen bzw. erkennen
•
ehrlich mit sich selbst sein, die eigenen Fehler sehen und eingestehen
•
Humor, Mut
•
kontinuierliches Üben, Qualitäten entwickeln, positives Karma aufbauen
•
immer sofort Zuflucht nehmen, Lama, Jidam und 3 Juwelen um Hilfe bitten
•
ständig Wunschgebete und Mantras machen
•
in jeder Situation die Bodhicitta Motivation wachrufen
•
Tonglen üben mit uns selbst, mit Personen und imaginären schwierigen Situationen
•
immerzu auf größtmögliche Entspannung achten
•
sich bei allem üben, nicht mit Anhaften und Ablehnen zu reagieren; tägliche Praxis von Achtsamkeit
und geistiger Ruhe (wie ein Spiegel werden, der unberührt von allen Spiegelbildern bleibt)
•
Loslassen: nicht an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haften
•
Jidampraxis: sich selbst und alle Wesen in ihrer wahren Natur wahrnehmen ("Großer Pfau" S. 67/68)
•
illusorische Natur aller Erscheinungen kontemplieren,
•
direkt in die Natur der jeweiligen Emotion schauen, intuitive Einsicht entwickeln
•
sich an die Leerheit erinnern (Sobhawa Mantra) und vorstellen, dass sich alles in Leerheit auflöst: die
Emotion verwandelt sich in den entsprechenden Dhyani Buddha, Licht geht zu allen Wesen und bewirkt ihre völlige Reinigung, Licht kommt zurück in den Buddha, der sich auflöst; beschließe mit
Wunschgebeten ("Großer Pfau" S. 65/66/73)
• Leerheit direkt erkennen, stets in Mahamudra Praxis bleiben
***
Anhang 23: Die Sache mit dem Ego – Ich-Stärke oder Ich-Losigkeit? (M. Steurich)
ARTIKEL FÜR DAS "SPIRITUAL EMERGENCE NETWORK" (SEN), AUGUST 2002
Psychotherapien - auch die transpersonalen - betonen für eine gesunde psychische Entwicklung die Notwendigkeit der Ichstärke und Willenskraft. Dagegen lehren viele spirituellen Wege, das Ich zu überwinden
oder gar zu zertrümmern (das gewaltsame Bild spricht für sich selbst!). Der Buddhismus, auf den ich mich
hier exemplarisch beziehe, verkündet als höchstes spirituelles Ziel sogar die Ichlosigkeit (Pali: anatta,
Sanskrit: anatman). Andererseits erheben sowohl die buddhistische Lehre wie auch eine Psychotherapie
den Anspruch, Leiden überwinden zu können.
Das Thema wird recht kontorvers diskutiert, gelegentlich auch wenig fundiert. So wird in einigen spirituellen Zirkeln westliche Psychotherapie mitleidig belächelt als „Psycho-Spielchen“ für geistig „noch nicht
so weit Entwickelte“. Willenskraft wird als „alles nur Ego“ gebrandmarkt und der Aufbau von Ichstärke
als Versuch abgetan, lediglich das Leiden des Samsara (Kreislauf der Wiedergeburten) ein wenig polstern
zu wollen. Aber, so geben sie zu bedenken, geht es nicht um das unvergleichlich edlere Ziel, das Leiden
des Samsara zu überwinden und in der Ichlosigkeit des Nirvana die grenzenlose Freiheit der Erleuchtung
zu erlangen?
Für manche Therapeuten dagegen ist Meditation und Ichlosigkeit gleichbedeutend mit einer
Gebrauchsanweisung für den schnellsten Weg entweder in die pathologische Regression frühkindlicher
Stadien oder, schlimmer noch, geradewegs in die Dekompensation der Psychose. Es wäre in jedem Fall
das genaue Gegenteil dessen, was es im therapeutischen Prozeß aufzubauen gilt. Bestenfalls wird Meditation als eine Art nette Entspannungsmethode verstanden, eine kleine Pause von der Hektik des Alltags,
letztlich ein beschönigendes Wort für „ein Nickerchen machen“.
Wer hat nun recht? Sind es unversöhnliche Gegensätze? Oder stimmt vielleicht beides?
Es ist hilfreich, sich darüber klar zu werden, wovon wir eigentlich sprechen. Die gleichen zentralen
Begriffe – Ich bzw. Ego, Willenskraft und Leiden - werden nämlich ganz unterschiedlich verstanden. Au-
164
ßerdem unterscheiden sich geistige Wege in ihrer Zielsetzung deutlich von der einer Psychotherapie, auch
wenn es natürlich Überschneidungen gibt.
Buddha war kein Psychotherapeut im heutigen Sinn, ein Beruf, den es zu seiner Zeit schließlich überhaupt
nicht gab. Buddha war ein spiritueller Lehrer. Er wandte sich an Menschen, die schon relativ gut integrierte Persönlichkeiten waren und sich intensiv für spirituelle Fragen interessierten, einen existentiellen Leidensdruck spürten. Wer allgemeine bzw. neurotische Lebensprobleme hatte, wurde von ihm nicht in die Meditation eingeführt, sondern mit ethischen Lebensregeln vertraut gemacht, denn ein ethisches Verhalten beruhigt, entspannt und entlastet den Geist.
Die Klientel heutiger Therapeuten (und Meditationslehrer) hingegen sucht häufig in erster Linie Linderung ihres neurotischen Leidens, auch wenn es sich bisweilen hinter einem spirituell anmutenden Vokabular
versteckt (etwa „das Ich endlich loslassen“).
In der Psychologie wird das Ich verstanden als ein Zentrum der Wahrnehmung, das sich im Laufe der Lebensphasen und in den verschieden Rollen als ungebrochene Identität erlebt. Ichstärke bezeichnet eine
integrierte Persönlichkeit, die mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt steht, Situationen
realistisch einschätzen kann und auf die Wechselfälle des Lebens angemessen und flexibel zu reagieren
vermag, ohne Erfahrungen übermäßig zu unterdrücken oder abzuspalten. Damit verbunden ist eine Willenskraft, die dem starken und elastischen Ich ermöglicht, die eigenen Bedürfnisse und das, was als wichtige
Lebensziele erkannt wurde, kreativ und auf ethisch vertretbare Weise zu verwirklichen.
Als Buddha vor 2.500 Jahren von Ichlosigkeit (anatta) sprach, meinte er das natürlich nicht im Sinne moderner westlicher Psychologie. Buddha bezog sich auf die zeitgenössische philosophische Diskussion um
die Natur des Selbst (atman, oft als „Ich“ oder „ego“ übersetzt) innerhalb des vedisch-brahmanischen
Opferkultes (deren Schriften die Veden und frühen Upanishads waren). Unter Atman wurde eine ewig
währende, unwandelbaren Seelenmonade verstanden bzw. - mit modernen Begriffen - die Idee einer unabhängigen Entität.
In seinem Erleuchtungserlebnis erkannte Buddha, daß sich der gesamte Kosmos in einem unablässigen
Prozeß der Veränderung befindet. Nirgendwo fand er etwas, was nicht diesem Wandel unterlag. Daher
lehnte Buddha die Idee einer unwandelbaren Entität, wie es die brahmanischen Philosophen seiner Zeit
lehrten, als subtilen Irrtum ab. Statt vom Atman sprach Buddha konsequenterweise von Anatman (NichtAtman, meist mit „Ichlosigkeit“ wiedergegeben).
Vereinfacht könnte man sagen, Buddha lehrte: „Alles woran ihr festhaltet, alles was ihr eurer Meinung
nach seid, ist nicht euer wahres Wesen. Euer wahres Wesen ist Ichlosigkeit.“ Das „wahre Wesen“ kann
allerdings unmöglich mit Worten ausgedrückt werden. Es liegt an der Natur von Sprache: Sobald man ein
Erleben als einen Begriff definiert, muß man ihn gegen andere Begriffe abgrenzen und diese Grenze als
unveränderlich erklären. Damit macht man das prozeßhafte Erleben zu einem statischen Ich-Ding (atman). Daher lehrte Buddha den Weg der Meditation, so daß wir unser wahres Wesen unmittelbar erkennen
können, jenseits von Worten.
Auf diesem Hintergrund wird auch die buddhistische Vorstellung vom Leiden (dukkha) und der Freiheit
vom Leiden verständlich. Denn auch das ist nicht das gleiche wie das neurotische Leiden bzw. die Leidensfreiheit heutiger Psychologie.
Bereits in seiner ersten Lehrrede legte Buddha sozusagen die Eckpunkte seiner Lehre dar und definierte präzise die von ihm benutzten grundlegenden Begriffe. Buddha lehrte drei Arten des Leidens: a. körperlich, b. psychisch und c. essentiell/universal.
Die ersten beiden Arten des Leidens sind uns allen wohlvertraut. In der Regel suchen wir bei körperlichen Leiden einen Arzt auf, zur Linderung psychischen Leiden gehen wir zum Therapeuten. Was aber ist
unter dem essentiell/universalen Leiden zu verstehen, der Form des Leidens, um dessen Überwindung
sich im Buddhismus alles dreht?
Die komplexe buddhistische Psychologie (Abhidharma) lehrt, das essentielle/universale Leiden entsteht bedingt durch die Fünf Skandhas des Ich-Bewußtseins. Dieser Begriff erfordert ausführliche Erklärungen, die hier zu weit führen würden. Kurz gesagt: Solange man im Ich-Bewußtsein verhaftet ist, sich
damit identifiziert, erzeugt es unweigerlich (subtiles) Leiden.
165
Was der Buddhismus daher letztlich unter Leiden versteht, ist weitaus subtiler als einfach nur das
„normale“ neurotische Leiden. Ein Mensch kann subjektiv keinerlei neurotischen Leidensdruck spüren
und dennoch nach buddhistischer Auffassung offensichtlich massiv leiden.
Zur Überwindung des essentiell/universalen Leidens lehrte Buddha den Weg der Meditation. Buddhistische Meditation ist ein systematischer Weg zur Erforschung und Transformation des Ich-Bewußtseins in
die Ichlosigkeit. Dieser Weg umfaßt die Entwicklung 1. von Meditation in den beiden Aspekten der a.
Ruhemeditation (samatha) und b. Erkenntnismeditation (vipassana) sowie 2. heilsamer Geistesqualitäten
(u.a. Liebe, Freude, Gleichmut und Mitempfinden).
Die grundlegende buddhistische Meditation, in der Ruhe- und Erkenntnismeditation miteinander verbunden werden, ist die Achtsamkeit (satipatthana). In der Entwicklung von Achtsamkeit geht es zunächst
darum, im Reine Beobachten alles anzunehmen, was sich in Körper und Geist abspielt, ohne es festzuhalten oder abzulehnen, zu kommentieren oder zu bewerten. Das ist – in den Worten westlicher Psychotherapie - das genaue Gegenteil jedweder Unterdrückung und ein effektives Mittel zur Integration abgespaltener Teile der Persönlichkeit.
Beim genauen Hinsehen erkennen wir also folgende paradoxe Situation: Ein Übungsweg, der in buddhistischen Begriffen zur Ichlosigkeit führt, ist in der Sprache heutiger Psychologie ichstärkend! In der buddhistischen Achtsamkeitsmeditation, die Ichlosigkeit fördert, wird genau das entwickelt, was in der Psychotherapie unter
Ichstärke verstanden wird.
Wer schon einmal Achtsamkeitsmeditation geübt hat, der weiß, wie beschwerlich und fordernd dieser
Übungsweg sein kann! Daher ist es nicht verwunderlich, daß „die größten Mystiker einen starken und gut
entwickelten Willen bekundet haben.“23 Im Buddhismus hat die Entwicklung von Willenskraft (viriya) einen großen Stellenwert. Auch hier sind die Begriffe sehr präzise. Der Buddhismus unterscheidet nämlich
zwei Arten des Willens: 1. den ich-zentrierten karmischen Willen (cetana) und 2. die Willenskraft (viriya).
Diese auf die Ichlosigkeit gerichtete Willenskraft wird in der buddhistischen Meditationspraxis systematisch geübt.
Diese kurzen Überlegungen helfen vielleicht zu verstehen, warum für einen harmonischen geistigen Weg
beides notwendig ist, Ichstärke und Ichlosigkeit. Statt das eine gegen das andere auszuspielen, ist es wichtig zu erkennen, auf welcher Ebene der Erfahrung man sich befindet. Neurotisches Leiden löst sich nicht unbedingt durch Meditation (z.B. der stets vergebliche Versuch, „Probleme wegzumeditieren“), und herkömmliche Therapien lindern nicht einen universellen/essentiellen Leidensdruck.
Nur ein nach westlicher Psychologie gefestigtes Ich ist stark genug, um den Herausforderungen eines
authentischen geistigen Weges zur Ichlosigkeit gewachsen zu sein. Das Ich wird auf dem geistigen Weg
nicht überwunden, losgelassen oder gar zerstört, sondern es wird transzendiert. Das Ich ist eine für die
Belange des Alltags hilfreiche Geisteskonstruktion, die man benutzen kann, ohne sich mit ihr zu identifizieren und/oder sie als letztlich existent anzuerkennen.
***
Anhang 24: The 51 mental factors with an introduction to the 5 skandhas (L. Lhundrup)
a teaching given by Lama Lhundrup in May-June 1997, re-edited transcript March 2003
INTRODUCTION
The root of samsara as well as of liberation lies within the mind. We have the choice and might ask: What
is the mind which is the root of samsara, and what is the mind conducive to liberation? What is actually a
‘healthy’ mind from the point of view of the dharma, a mind that is apt to attain liberation? What is a
healthy personality structure conducive to liberation?
When looking in meditation we see that a continuity of a so-called self or person at a given time cannot be
found. The illusion of a ‘self’ falls apart, since there is always space between one’s thoughts, there are always moments of discontinuity. The only thing we can find are mental factors operating from instant to
Assagioli, Roberto. Die Schulung des Willens. Methoden der Psychotherapie und der Selbsttherapie. Paderborn: Junfermann, 1994. S. 107.
23
166
instant. These determine our mental functioning and make up what we usually call a “person”. An individual is described, according to the Buddha, as being the agglomeration of five aggregates (skandha in
Sanskrit, phung-po in Tibetan), the first one representing the physical or material aspect or “body” and the
other four representing the knowing mind (tib: shes-pa). It is the constant presence and interaction of these
five which is mistakenly perceived by dualistic mind as “I” or “self”:
1. Form (tib: gzugs, skt: rupa), also translated as “matter”. Form is characterized by the constant
change and transformation of the elements (earth, water, fire, wind) and their combinations. The
skandha of form also includes the five sense organs and their objects. as well as immaterial kinds
of form (visualisations, visions, invisible forms and the imperceptible form of infinitely small particles).
2. Feeling (tib: tshor-ba, skt: vedana), also translated as “sensation”. Due to the contact of the senseorgans with their objects agreeable, disagreeable and neutral sensations arise which are the result
of previous harmful or beneficial actions.
3. Discernment (tib: ´du-shes, skt: samjna), also translated as “perception”. It knows and identifies the
specific characteristics of an object (or also their absence); it recognizes the object of experience
by comparison and expresses whatever has been discerned.
4. Compositional Factors (tib: ´du-byed, skt: samskara), also translated as “karmic formations”, because – based on volition – they direct the mind towards helpful, harmful or neutral actions. They
’construct’, form or colour experience.
5. Consciousness (tib: rnam-shes, skt: vijnana) includes three aspects of knowing or being aware: (a)
the basic “storehouse” consciousness that contains the seeds and traces (sarvabijakam alaya-vijnana;
tib: kun-gzhi rnam-shes); (b) its constant object, the clinging to a self, called the “mental organ” (manas) or “emotional/obscured mind” (tib: nyon-mong yid-kyi rnam-shes) ; and (c) the six aspects of
consciousness (vijnana) that enable mind to know and interconnect all sense perceptions and mental reactions/events.
Each one of the five skandhas corresponds to an aspect of our identification as “I”, “me” or “myself”: it
is clinging to my body (outer form), my feelings or sensations, my perception or personal experience, my
mental capacities, emotions and mental states, and finally my mind or consciousness. And this clinging
continues to project itself onto past, present and future. The skandhas are arranged in this order because
due to form arises sensation, due to sensation arises discernment (perception), due to discernment arise
thoughts (karmic formations) – and consciousness is present in all these states.
Abhidharma, the buddhist research into the mind and its functioning, looks at mind with the particular
buddhist question: What helps us, and what hinders us to reach enlightenment? Which factors are necessary and need to be cultivated in order to reach liberation? And which factors obstruct the path and need
to be overcome? The answer is given in short in the description of the fourth skandha, called compositional factors (or karmically conditioning factors), where we distinguish neutral (e.g. ever-present and
object-ascertaining factors) as well as wholesome, unwholesome, and variable mental factors or states of
mind. There are countless such mental factors, but traditionally (according to the Compendium of Abhidharma by Asanga) the most important ones are enumerated as the 51 mental factors (tib: sems-byung lngabcu rtsa-gcig) that condition our personality and direct the course of our inner development. A correct understanding of these factors will enable us to cultivate those which lead to happiness and liberation and to
discard those which lead to suffering and imprisonment:
• 5 omnipresent factors
• 5 object-ascertaining factors
• 11 wholesome factors
• 6 primary unwholesome factors
• 20 secondary unwholesome factors
• 4 variable factors
This is a list of quite divergent mental factors which work on different levels of mental functioning. For
example the ever-present factors accompany every movement of cognition; of the root afflictions ignorance is almost ever-present while the others are at times mutually exclusive (attachment versus aversion)
and at other times arising together (like in jealousy) to give the mind a specific emotional colouring which
is then further described as the secondary mental afflictions. The idea of this list is to give a rather com-
167
plete description of our samsaric functioning and of what we need to develop to find liberation. However
some mental states cannot be put into these black and white categories and for this reason we find the last
group of variable factors. The primal intention of the Abhidharma is to give us guidelines for practice and
not to make an analysis of mind free of such underlying intentions. This is something we have to keep in
mind: it is a form of psychology intend on liberation and not free of all intentions.
At any given moment we experience mental states which are coloured by these mental factors. This is
described as the primary mind (gtso-sems) with its accompanying mental factors (sems byung). The term
primary mind denotes the totality of a sensory or mental state or the primary cognition of the six senses
apprehending the presence of an object. Primary mind is composed of a variety of mental factors, like a
hand with its individual fingers, the palm, back of the hand etc., or like an overseer who is aware of what
all the individual workers of his group are doing. A mental factor is a cognition that apprehends a quality
of an object. It arises simultaneously with a primary mind with which it has certain similarities (being
wholesome, unwholesome, deluded, non-deluded, related to sense perception or related conceptual perception etc.)
The four Abhidharma schools: Before we enter the subject more deeply we should keep in mind that
there are different ways to present the Abhidharma in the four main streams of buddhist transmission:
(a) the Theravadin approach of Hinayana Abhidharma based on the seven Abhidamma Pakarana, the Abhidhammapitaka,
(b) the Sarvastivadin approach of Hinayana Abhidharma based on the Jnanaprasthana
(c) the Madhyamika approach of Mahayana Abhidharma founded by Nagarjuna in the 2nd century A.C.
based on his Mulamadhyamikakarika and Mahaprajnaparamitashastra, and
(d) the Yogacara (or Vijnanavada) system of Mahayana Abhidharma which we are principally following in
the Kagyu lineage (and also in the present explanations) founded by Asanga based on his Yogacarabhumishastra and the summary of his work, the Abhidharmasamuccaya,. The Abhidharmakosha of his brother
Vasubandhu counts as the second monumental work of this tradition.
These four schools of explanation are each valid and comprehensive in their own right but should not be
mixed in one explanation. Otherwise this gives an “indigestible soup” as Khenpo Chödrak said. We are
following the fourth school.
A. The five ever-present factors (tib: kun-'gro lnga; skt: sarvatraga) (factors 1-5)
These five factors are present in every state of consciousness or mental act (e.g. primary mind in connection with the six senses) and are indispensable for the perception of an object – they are therefore called
the five omnipresent factors, even if there are rare exceptions (e.g. just before and during death or rebirth
or in certain states of deep meditation) when one or more of these factors are not active. In an ordinary
mind they build up the subject-object dichotomy: going towards an object and holding onto it in order to
receive some further information about that representation of an object in our mind. This describes the
basic mental capacity of every sentient being enabling it to perceive an object, the simple ability to establish a relationship between mind and its objects. These omnipresent factors function (almost) simultaneously in an extremely rapid succession, like lightning. To be aware of something perceived by mind means
that these five factors are present. Their order of presentation varies in different commentaries but for the
sake of clarity most presentations mention again “feeling” and “discernment” which were already discussed as the second and third skandha.
Asanga only mentions “attention” and “contact” in the group of ever-present factors. He leaves away the
two already mentioned skandhas and speaks of “interest” (volition) apart from the rest of the list as the
basic directing factor that accompanies all mental activity, all karma.
1. Interest or intention, volition (sems-pa; cetana) directs the primary mind and its accompanying mental
factors towards a general field of reference within one of the six senses (the five physical senses and
thought perception). It is both the conscious and automatic motivating element of consciousness that
causes the mind to involve itself with and apprehend its objects. Without such a general interest in the
world of the six senses mind would not go towards an object. Interest or intention is the actual principle
168
of activity, it is what gives rise to a mental act (yid-kyi las; karma) – often followed by verbal or physical acts
– and thus acts as the basis of conditioned existence.
In describing the functioning of pure, liberated beings the Abhidharma of the Theravadins speaks of a
purely functional intention free of clinging to self and thus free of karmic consequences.
2. Contact (reg-pa; sparsha) is the stimulation of mind due to the coming together of three aspects – object,
sense faculty and perceiving consciousness. Without their coming together the sense faculty (organ) would
not be activated or re-activated and mind could not encounter the object and establish a relation with it.
“Contact” describes the normal functioning of the six senses. It provides the basis for subsequent (not
simultaneous) feelings in the corresponding sense field to arise.
3. Feeling or sensation (tshor-ba; vedana) is a distinct cognition of an object of the six senses (including the
mental sense) experienced as pleasant, unpleasant, or indifferent (neutral). We thus have six kinds of sensations: pleasant, unpleasant and neutral physical sensations and pleasant, unpleasant and neutral mental
sensations. Without feeling mind would not experience its object. It is the inherent quality of experience
present in every mental state. Feelings can be impure (contaminated by ignorance) or pure (accompanied
by an understanding of emptiness). The general function of feeling is to fully experience the ripening effects of our previous actions. Its specific function is that of leading to the reactions of attachment, hatred
and bewilderment.
4. Attention (mental engagement, yid-la byed-pa; manaskara) is the repeated movement of the mind towards
a certain object of interest in order to apprehend it including its specific details. It focuses and holds the
mind on the object, without allowing it to move elsewhere. Without attention mind could not remain
fixed on an object of the six senses and there would be no stability. It forms the basis for the more developed mental functions of recollection and alertness. While interest for example directs the mind to a landscape in general, attention focuses the mind on its details like mountains, trees etc.
5. Discernment (identification, discrimination, differentiation; 'du-shes; samjna) apprehends the particular
marks of an object of the six senses. It (a) identifies the object and (b) differentiates it to be one thing as
opposed to another. Without discernment mind could not distinguish the characteristics of the object and
could not give a name to the object by comparing it to similar objects of one's experience. There are six
types of discernment referring to different kind of objects or mental states: with a sign, without a sign,
limited (realm of desire), vast (all three realms of existence), infinite (beings of the formless realm and
realized beings), and of nothing at all. Also one distinguishes deceived discernments accompanied by ignorance from non-deceived discernments free of ignorance.
Such discernment is said to be based (a) on direct personal sensory perception, (b) on what others have
told us, (c) on logical conclusions or (d) on direct mental perception including the intuitive discernment of
a realized being or yogi. Discernment usually occurs in two steps: an initial direct, non-conceptual discernment of an object with its characteristics without conceptual labelling followed by a conceptual discernment of further attributes of the object including thinking and labelling processes. This discernment
including labelling happens in the sixth or mental sense. However, a subtle form of discernment without
labelling is also active on the level of the alaya ground consciousness where it refers to the quality of objects appearing distinctly (“unmixed”, e.g. without being confused one with the other).
B. The five object-ascertaining factors (tib: yul so-sor nges-byed lnga; skt: viniyata) (factors 6-10)
These five factors ascertain individual aspects or characteristics within the objective field. Together with
the five ever-present factors they constitute the basic mechanism of mind. Although morally neutral in
themselves, when they come under the influence of wholesome and unwholesome mental factors, they
play a major role in moulding the character of the personality and the quality of individual experience.
Their function in the dharma is to stabilise the mind in going towards wholesome objects such as enlightenment. Their presence is needed to reach the goal of awakening.
1. Aspiration ('dun-pa; chanda) is the wish to do something concerning a desired object. It ascertains that
which is desirable within the objective field and having focused on the intended object it takes a strong
interest in it. Thus the wish or yearning to obtain the desired object is formed. Aspiration motivates the
search for objects judged as desirable (which can be wholesome or unwholesome). Aspiration towards a
169
goal serves as a basis for joyful perseverance (brtson-'grus), the fourth paramita. Aspiration includes the wish
to encounter once again the object, the wish not to be separated from (and perhaps obtain) the object, and
the wish to fulfil one’s aspiration in the future. The objects of aspiration can be material, sensual, conceptual or liberation.
2. Appreciation or determination (mos-pa; adhimoksa or adhimukti) stabilises the apprehension of a previously ascertained cherished object. It further defines the object already grasped with conviction and establishes definite certainty or conviction about the object and thus prevents changing opinions or decisions
concerning it. Appreciation is the factor that makes the mind sure of the object’s qualities as being worthwhile or valuable and secures the recollection of it. Appreciation serves as the basis for faith and confidence and can be either mistaken or non-mistaken/realistic.
3. Recollection (dran-pa; smrti) is not forgetting the thought concerning the experienced object. It can also
be translated as mindfulness. It repeatedly brings the already familiar object to mind and protects against
forgetfulness and distraction. It acts as the basis of concentration, mental stability and absorption. Recollection makes us be mindful of the various mental factors that arise, it makes us remember our commitments and decisions, it helps us to remember what we have learnt, it gives structure to our daily activity by
not letting us forget what we set out to do. Thus it is compared to a treasure house that can store many
wholesome qualities without letting them perish. There are mentally disturbing and non-disturbing recollections.
► All three factors mentioned above work together as the basis of the fourth paramita, joyful perseverance. So these three are essential in order to perform an action. You have to want it, you have to be determined to do it as well as having to remain mindful of it as you are doing it (keeping it in memory). Thus
one can work towards enlightenment.
4. Absorption or concentration (ting-nge 'dzin; samadhi) is the one-pointed, continued focusing or collecting
the mind on an object to be examined, not being distracted by any other object. This kind of stable abiding on the object can last but a short moment or several minutes or longer. The steadier our absorption/concentration becomes, the clearer becomes our understanding of a given object.
► Recollection (mindfulness) and absorption work together to form the fifth paramita (mental stability,
bsam-gtan) and allow the sixth paramita (understanding and wisdom) to develop. In general, when one
speaks about meditative concentration, it refers to shine meditation, stabilising the mind, bringing it to rest
calmly without distraction. Absorption from the point of view of mahamudra is to be one-pointedly engaged in letting go of all clinging to the seeming reality of illusory phenomena. What is meant here by
concentration should not be understood as a tense state of mind. True concentration is only possible
through relaxation and not being interested in anything but the present task or object. This is true renunciation.
5. Understanding, wisdom or intelligence (shes-rab; prajña) is the capacity of fine discrimination which
examines and distinguishes the specific characteristics or value (e.g. the defects and qualities) of a recollected object. It analyses the object from every angle, compares alternatives and dispels doubts and indecision.
“Understanding” does not accompany every act of cognition and is thus different from the ever-present
factor “discernment” which accomplishes the moment to moment activity of distinguishing objects. Discernment only has the function to differentiate various objects in order not to confuse them and to be
able to label them, but understanding goes beyond this initial discrimination to know – whenever necessary – all aspects of any given object of cognition in order to make good use of it.
Understanding is also different from “non-bewilderment” because it can be accompanied by emotional
obscuration like ignorance and so on. But it is different from doubt which always arises from ignorance –
it rather has the capacity to dispel such doubts.
The difference with the 51st variable factor “investigation” is that understanding is specifically concerned
with the values of the object and that it does not entail an elaborate mental discussion.
Due to the capacity to distinguish precisely all phenomena one comes to an increasing understanding of
the functioning of mind and the world as a whole and thus develops “wisdom”, the sixth paramita. This
capacity of understanding can be applied in wholesome as well as in unwholesome pursuits. On the bud-
170
dhist path it is particularly used to differentiate between what is to be given up or abandoned and what is
to be adopted or practised.
The mental factor “understanding” in this list of 51 factors is not identical with the paramita “wisdom”,
although it is the same word. “Wisdom” as a transcendent quality (paramita) leads to liberation or is the
expression of liberation, while “understanding” is only the simple application of the discriminative faculty
of mind – often accompanied by ignorance – which is the underlying, preceding mental factor that, if used
repeatedly in a wholesome way, will lead to more and more true wisdom. If not used in a wholesome way,
the result will only be “worldly wisdom” which can be completely unwholesome, like the ‘wisdom’ of a
clever criminal!
► These three paramitas of joyful perseverance, mental stability and wisdom are talked about here on the
level of the moment to moment functioning of the mind as the five object-ascertaining factors. It depends
on them whether and how an action is accomplished. If someone acts, for example, with little mindfulness
and little understanding/intelligence, then the outcome of this act will certainly be different compared to
someone who acts with more mindfulness and wisdom. If there is only little mental stability, the mind will
fluctuate and a straight path of action cannot be followed. If there are no aspiration and appreciation leading to perseverance, an action will not be performed up to its end over a sufficiently long period of time,
and its fruits will not be obtained. For this reason these factors are called the ascertaining mental factors
which assure a proper grasp of the situation and a correct understanding of whatever object the mind is
focused upon.
From the point of view of wanting to help others with their psychological problems one can see that some
of these ten factors are greatly lacking in people who come with demands for help. For example, there can
be quite a lack of aspiration (volition), the wish to direct the mind anywhere, leading to lethargy. Or
someone might not be able to concentrate, to focus his mind on anything, which will render any attempt
to help him quite futile. Or the ability to discriminate and understand might be found lacking which leads
to great confusion in one’s life. Everyone needs to develop these basic mental functions, and they definitely also need to be trained in dharma practice. They determine how we use our minds, how we use our
life, how we put into action our choices.
C. The eleven wholesome factors (dge-ba bchu-gchig; kushala) (factors 11-22)
They are called wholesome, because they are directed towards virtue and are needed to reach enlightenment, the entirely wholesome state. Through their cultivation their corresponding unwholesome counterparts are naturally overcome and we discover greater and greater peace and well-being. They are the elements responsible for all forms of spiritual development. Wholesome factors can never occur at the same
time with any of the mental afflictions, primary (root) or secondary and they cause the ever-present, object-ascertaining and variable mental factors to likewise take on a wholesome aspect.
1. Faith (dad-pa; shraddha) is trust, belief, or confidence. It is an entire, firm conviction which produces a
joyous, serene, open state of mind free from emotional turmoil when thinking of the law of cause and
effect, the Buddha, Dharma and Sangha etc. It generates and increases an aspiration for wholesome qualities and is thus the doorway through which they manifest. Faith is the basis of motivation. A mind devoid
of faith is unable to cultivate anything wholesome. If we have firm confidence in something, we will
automatically be motivated to adjust our behaviour accordingly. Having confidence in the reliability of a
person we will have no hesitation to believe him and follow his advice. Trust is not blind faith but a factor
that opens our mind to the wholesome and widens our perspective. For the three types of faith – believing, inspired and longing – see ch. 2 in Gampopa’s Precious Ornament of Liberation.
2. Self-respect (ngo- tsha shes- pa; hri) is scruple or shame to do something unwholesome when considering
oneself. It's function is to avoid unwholesome acts for reasons of personal conscience, e.g. (a) for the sake
of oneself and (b) for the sake of one’s dharma. It restrains harmful conduct on considering that we would
dislike such harm to befall us or that such an act is not fitting for a dharma practitioner. Self-respect prevents our conduct to become chaotic and unrestrained.
3. Respect for others (khrel yod-pa; apatrapya) is a sense of embarrassment or shame to do something unwholesome when considering others. For (1) the sake of other beings or (2) for the sake of the dharma
171
practice of others it (a) restrains harmful conduct, (b) maintains the purity of one’s moral discipline, (c)
prevents others to lose faith and (d) acts as a cause for joy to arise in their minds. It avoids disappointment or suffering for others.
► Self-respect and consideration for others the basis of the second paramita discipline or proper conduct
(tshul-khrims, šila). They are the determining factors whereby people in this world are regarded as being
noble or not.
4. Non-attachment (ma chags-pa; alobha) is absence of desire or detachment concerning existence or its
attributes. It increases the remedy for attachment and withdraws us from a compulsive involvement with
the object through an understanding of its true nature and thereby eliminates the grasping and clinging to
possess which could otherwise induce harmful acts. Detachment enables us to see more clearly and objectively and to focus our attention and energy on the accomplishment of truly worthwhile aims. It is the
basis for generosity, discipline, love etc.
5. Non-hatred or non-aversion (zhe-sdang med-pa, advesa) is the absence of ill will towards living beings,
suffering and the conditions of suffering. It has the characteristics of loving kindness which directly overcomes hatred. It prevents hatred and strengthens love, patient acceptance, discipline etc. Instead of blindly
reacting with agitation, tension and anger when confronted with (a) someone inflicting harm upon us, (b)
the harm itself, and (c) the cause or instrument of harm, non-hatred maintains a clarity of mind characterised by love, kindness and patient acceptance. When cultivated, it helps to stop harmful acts and eradicates
anger and hatred.
6. Non-bewilderment or non-delusion (gti-mug med-pa, amoha) is a clarity and sharpness of mind that –
like a lamp in a dark room – dispels bewilderment about a particular object. In particular it is knowing and
understanding the results of actions, the dharma and liberation. It arises either from an inborn disposition
or from the three trainings learning, contemplation and meditation. It is the remedy for ignorance and
accompanies the firm intelligence that thoroughly analyses the true nature of objects. It (a) prevents bewilderment, (b) increases the four types of wisdom (see ch. 17 in Gampopa’s Precious Ornament of Liberation), and is (c) an empowering factor for all wholesome qualities pertaining to purification. It helps to
stop harmful acts and is the basis of discipline and all the other qualities. It is not wisdom itself but the
lucid quality that accompanies wisdom.
► These three are the foundations of everything virtuous hat put an end to all unwholesome actions; they
are not only the absence of the three main klešas of attachment, hatred and ignorance but their active,
wholesome remedial counterparts.
7. Joyful perseverance, energy or enthusiasm (brtson-'drus; virya) is a firm mental effort, an awake, diligent
state of mind, based on self-confidence that joyously engages in the preparation and practice of any
wholesome activity. It is characterised by absence of weakness, not turning back on the task and never
being self-satisfied. The three kinds of joyful perseverance are the remedy for the three kinds of laziness:
sloth, self-pity and attraction to evil (see ch. 15 in Gampopa’s Precious Ornament of Liberation). It is the
dynamic quality or active force which like a “fuel” enhances all paramitas, all wholesome qualities. It realises the plenitude and accomplishment of the wholesome.
8. Suppleness, pliancy or flexibility (shin-sbjangs; prashrabdhi) enables mind and body through relaxation to
be applied to a wholesome object in whatever manner is wished, for example to solve an intellectual problem or to accomplish a contemplation or meditation. It overcomes mental and thus also physical rigidity
and heaviness, purifies it and makes the mind flexible and quick. Suppleness is the workability of our
mind, the capacity to let go of one thing in order to take up and stay with something more beneficial. In
this way suppleness is the basis of mental calm and insight meditation. Rigidity is a state where one is unable to do what one wishes and gives rise to all kinds of afflictions. It helps to overcome all obstacles.
9. Conscientiousness (bag yod-pa; apramada) or diligence cherishes the accumulation of what is wholesome. It develops favourable conditions and guards the mind against that which gives rise to afflictions.
Accompanied by enthusiasm one is very careful and conscientious about not committing unwholesome
actions and bringing to fulfilment and forever maintaining all that is wholesome within and beyond the
world. Conscientiousness protects from reacting in a negative way towards external conditions and thus
protects from being overwhelmed by attachment, hatred and confusion. It thus protects from impure
conditions and realises the fullness and accomplishment of worldly and other-worldly happiness.
172
In guarding the mind it is similar to the factors self respect and respect for others, except that is not based
on a particular reason, rather it is a more fundamental protective quality. If we are not conscientious we
automatically squander any opportunity for cultivating virtue. Conscientiousness applies itself to (a) accumulating merit, (b) attaining liberation, (c) developing renunciation, and (d) cultivating uncontaminated
virtue (actions accompanied by true insight).
10. Equanimity (btang-snyoms; upersa) keeps the mind balanced and calm without letting it become either
carelessly distracted or unclear and dull. It the equality and stability of a mind not interested in clinging. It
is "passive" in the sense of not reacting emotionally to stimuli. It prevents from excitement and dullness
without having to exert a great effort. It settles the mind and leaves it in rest upon a wholesome object. It
is the basis of the understanding of ultimate reality. It prevents the arising of emotional bewilderment. On
a practical level it makes us not get upset by appearances, situations and whatever, due to the fact one has
meditated a lot and has cultivated one’s mind. Here we are not referring to equanimity as one of the four
limitless qualities, but rather as a formative element. There are three kinds: (1) the equanimity of a balanced mind is one that with some exertion is able to maintain an equipoise; (2) the equanimity of a mind
at rest is able to concentrate with little effort and without remedies; (3) the equanimity of a spontaneous
mind needs no effort whatsoever and occurs when mind is in meditative equipoise or absorption.
11. Non-violence (rnam-par mi 'tshe-ba; avihimsa) lacks any intention to do harm. It is the compassion, the
strong urge not to disrespect others by killing and hurting them or by putting them down as well as the
aspiration that all beings may be separated from suffering. It motivates us to dispel the suffering of others
and to benefit and bring happiness to the weak. But it is not a mere absence of being harmful; it is benevolence. There are three kinds of compassion (cf. ch. 7 in Gampopa’s Precious Ornament of Liberation).
► These eleven wholesome factors should not be taken for granted, as often they are actually quite weak
in our stream of being. They are a potential of our mindstream and it depends on us to strengthen them
through the practice of dharma. They arise according to former deeds (karma), tendencies and circumstances. One actually has to train in them. They can be strong or weak in us, depending on our practice.
These eleven wholesome factors will never all arise simultaneously, but combinations of them do occur:
(1) At times of having belief, faith occurs. (2) At times of turning away from evil, self-respect and consideration for others occur. (3) At times of engaging in the wholesome, non-attachment, non-hatred, nonbewilderment and joyful perseverance occur. (4) At times of freeing oneself from attachment by worldly
means, suppleness occurs. (5) At times of freeing oneself from attachment by non-worldly means, conscientiousness and equanimity occur. (6) At times of benefiting others, non-violence occurs.
There are many further positive qualities, which are implied but not mentioned explicitly listed among
these eleven. These are for example love, compassion, joy, a sense of responsibility, contentment, simplicity (letting go of complications), honesty, renunciation (being a mixture of wisdom and non-attachment),
devotion (faith, wisdom and openness), self-esteem and so on. These basic qualities which are often talked
about in the dharma teachings are usually the combination of several wholesome mental factors and that is
why they are not listed here but only mentioned in the explanations.
D. The six root factors of emotional obscuration (rtsa nyon-mongs drug; mulakleša) (factors 23-28)
The root afflictions bind us to the cycle of discontented existence, thereby acting as the primary cause for
all our suffering and frustration. They put the mind into a state of turmoil and unrest that results in mental
or physical activity which is harmful to both oneself and others and which propels us into states of samsara. They are the very basis for all intellectual distortion and emotional conflict. While under their domination our existence becomes one of bondage in which we lack the freedom to determine our destiny.
They present the real challenge in the practice of dharma. Doubt and erroneous views are mentioned
separately, but they could be classified under ignorance, because they arise mainly out of it. Jealousy is not
included in this list of the first six, it comes later.
1. Desire ('dod-chags; raga)
173
Desire is clinging to the three realms of existence and it inevitably leads to suffering. It is classified as two:
(1) attachment to the world of desire (the objects of the 5 senses plus the 6th sense, the mental faculty)
and (2) attachment to the world of existence which corresponds to attachment to the samadhis of the
form- and formless realms. The desire of the form realm is becoming attached to enjoyable, peaceful
states of minds. In one’s meditation it is a wanting to reproduce these, which develops into longing, clinging and even dependence to recreate such happy samadhis. But these are of no true value because they do
not lead as such to any further insights. The desire of the formless realm is becoming attached to the
formless samadhi-experiences called limitless space, limitless consciousness, nothing whatsoever, neither
differentiation nor non-differentiation.
Desire over-exaggerates the attractiveness of samsaric phenomena, misconceiving an object to be more
attractive and agreeable than it really is. It then proceeds to wish for and take a strong interest in them. It
acts as a basis for the continued production of discontent.
It should be noted that a genuine desire for enlightenment or liberation is not a form of attachment, but a
wholesome and realistic aspiration.24
2. Anger (aversion, irritation, khong-khro; pratigha)
Anger is ill will in regard to (a) living beings who (seem to) inflict harm, either on ourselves or on our
friends or on our party, (b) the suffering or harm itself, and (c) the reasons or conditions for being experiencing this suffering. It leads to unhappiness and unwholesome actions and thus creates suffering, frustra-
24
Additional remarks on desire from the oral teaching: Based on sensations first arises an inclination towards a seemingly
agreeable object, an initial impulse to go toward it, whereas in aversion the impulse is to step back from a seemingly disagreeable object. Fascination arises, more and more longing arises, and as you experience the object more you do not want to
separate from it anymore. Thus the attachment gets stronger and solidifies into clinging. You really hold on to the object,
ready to defend it in order to be able to hold it longer. This is called clinging due to grasping, and all of this is called desire. If
this desire is very strong one is dependent, addicted, because one needs that specific object in order to feel happy. This is the
opposite of freedom.
If our emotions due to attachment are very strong we develop strong dependencies. We can neither live without our dependencies, nor can we live without our aversions, since both have become our main reference points. Most people think they do
not need their aversions, that they are just a nuisance. But if you actually try to take away the object of their anger or attachment from someone who is addicted to it, it is close to impossible! People do not want to let go of their favourite attachments
and aversions, since it is a part of their feeling alive, they are identified with it. We either need desire-attachment or angeraversion to feel alive, to identify as human beings. Due to this everything is pushed to the maximum, either aversion or desire, a maximum state of heavy samsara.
To practise means to cut through early in the process, before a chain reaction starts. We do not have to wait until we have big
emotions. When desire or aversion arise, if we are aware, we cut right then and let go of them exactly at the time when they
arise. By letting go and cutting through these emotions will be flattened, but this does not mean at all that we are less alive or
become like vegetables.
Because these negative states were taking all the space, the positive mental factors did not have much space in our minds. As
these negative emotional states are less often present in the mind, the inherent positive mental factors will show themselves.
From the Abhidharma point of view the meditator’s work simply consists of changing priorities: eliminating negative states
of mind and cultivating positive ones. So, as negativities become less the positive factors become present more and more
often. Treating the 51 mental factors (samskara) in this way is still a dualistic approach, but it is definitely of benefit. It brings
happiness which however is still experienced in a dualistic way.
Geshe Rabten: "Often we confuse attachment for love or compassion. In reality, though, they are quite different. Attachment
is always characterised by the tendency to exaggerate whereas true love and compassion are based upon a non-distorted
awareness of what is real. In their aims too they differ greatly. Although attachment may superficially take on the aspect of
wanting to benefit others, it is essentially selfish, only striving to satiate one's own desires. Love and compassion, though, are
by nature only concerned with the welfare of others, untainted by any concern for oneself. The result too is dissimilar: attachment always results in suffering whereas love and compassion only increase well-being. We can observe this for ourselves. When our apparent love for someone is merely selfish attachment, although at the beginning it may seem pleasant, in
the end it will often change to dislike and hatred. Real love and compassion do not have the quality of changing in that way.
On the contrary, the feelings of closeness and warmth they engender only increase as they develop- Also compassion and
love grow stronger even if there is no reciprocation from the other side. They are selflessly dedicated to the welfare of others."
174
tion and despair. It agitates the mind through being unable to bear experiences judged as disagreeable or
through intending to cause harma to the object of anger. It disturbs the mind, makes it rough, and leads to
tormenting oneself and others. Anger is a mistaken conception that over-exaggerates the displeasing aspects of its object. The object can be of the past, present or future. By distorting the reality of a situation
or misapprehending the qualities of the object, it causes us to see certain people or things in a very disagreeable and unpleasant light which gives rise to the wish to fight against, hurt and destroy.25
3. Pride (nga-rgyal; mana)
Pride or self-importance is an exalted state of mind based on clinging to the idea of self. It gives rise to an
inflated image of oneself, a sense of personal superiority leading to disrespect, contempt, arrogance and
the like. It's result is an experience of suffering, of painful and undesirable situations. It prevents the attainment of any higher virtues since it will be impossible to learn anything from others, as the Tibetan
proverb says: "The water of knowledge can never remain on the balloon of pride.".
The Tibetan word for pride – nga rgyal – is very descriptive. It means “Ego-King”, nga means "I", and rgyal
means "king" or "victorious". It refers to the sense of self, the basic ignorance of the clinging to a self, and
augmenting the sense of self through self-contentment — a feeling of being very important. This feeling
of importance, this high ideal of oneself, colours one’s vision of everyone and everything around. It is a
negative mental factor because it leads to a lack of respect and therefore not being able to understand and
to learn from others. It becomes a source of suffering. Because of falsely elevating oneself the suffering of
falling down will surely come.
25
Additional remarks on anger from the oral teaching: It all starts with the experience of a mental object which is judged as
being disagreeable, not the way we like it; we would like something else. We begin to experience this mental representation
of an object or person as an enemy in our mind and wish to get rid of this experience. We project this dislike outwards and
identify it with the object. The object itself becomes the enemy – whatever person, object, or situation it may be. The mind
begins to be agitated, and suffering is present, becoming stronger and stronger the longer this object judged as unpleasant is
present. The longer it is present, the more our wish increases to get rid of it, to destroy it, to drive it out of our field of experience, leading to malevolence and anger, hostility, hatred, rage, wishing to go into action, to destroy, to beat. and to kill...
Many people react immediately to their anger by withdrawing inwardly, and might get stuck with it, never allowing themselves to express this anger. They keep it inside, might not show any anger at all, and are completely locked in. Somebody
like this might appear very peaceful from the outside, very nice and smiling, but actually he has so much anger inside. He is
locked in the feeling of being aggressed from the outside, he feels constantly aggressed. He experiences situations constantly
as a danger for his own existence, and the way he defends himself is to go like a snail into his protection shell. But defence is
a state of anger. This defence can take the form of depression and also autism (autistic children for example). It can also
simply be the attitude of a person going around smiling, looking very open and happy all the time, but never making any real
contact with situations and other people.
The feeling of being aggressed by the world is one’s own aggression and anger projected out. It is our own irritation to be
irritated by the way the world and people are. And the world is like this because it is judged by ourselves as being like this.
Due to experiences of past lives and of this life we came to the conclusion that the world is a kind of enemy. This resulted in
a basic attitude of not wanting to get involved, of keeping to ourselves, always being on defence.
Then there are others who are stuck in the opposite way, always on the destructive or aggressive side. Immediately when they
perceive something disagreeable happening, they use whatever they found out to be most effective to defend themselves:
crushing down, jumping on, ready to destroy the opponent. There action is very sharp, very precise, the immediate impulse to
destroy the object like a hammer. They also experience the world as an aggression, only the reaction is a bit different.
Of course there can be mixtures of these two basic mechanisms of anger. Experiencing the world as being aggressive you
might combine your defence with some intelligent way of manipulating the world, building in a lot of safety mechanisms like
lies to protect and hide yourself, influencing others by your powers of speech, trickery, and so on.
All these are basically expressions of being irritated by life, and we all know through our practice how we try to get rid of all
these different kinds of irritations. First, if someone or something irritates us, we try to change him or it, before we like to
change something in ourselves. We try all kinds of manipulations or we look just away, trying to ignore the unpleasant experience as just another way to deal with anger. It is like in scenes of aggression and violence in busy cities – people just turn
away, ignoring to see anything because it would arouse too much of there own anger.
These irritations are due to aversion against something, but actually this is a kind of clinging, of wanting a different state. We
desire something else, pleasant, and we insist on the way we would like to have it!
175
There are traditionally seven kinds of pride. They can be summarised as three kinds of pride related to
people (1) lower than oneself, (2) on the same level as oneself, and (3) higher than oneself.
a.
Condescension (nga-rgyal) is pride in the case where one is indeed superior to another person in some
faculties, abilities, or wealth etc., and where due to this difference one assumes a superior attitude and
treats the other with disrespect as if from far above. It is an attitude of accentuating the difference
that indeed exists. It is also called the "lesser" form of pride.
b. Arrogance (lhag-pa'i nga-rgyal) is pride related to people on the same, equal level of competence. Here
one estimates oneself as being superior although one is actually equal to others, having the same understanding, capacities etc. One might feel okay in relation with those of lower capacities and might
have respect towards one's spiritual teacher and higher ones, but as soon as one is among people of
the same level pride manifests trying to make oneself superior. This is arrogance directed towards
one’s peers, also called "greater" pride.
c. Presumptuousness (nga-rgyal las kyang nga-rgyal) is estimating oneself as much superior to someone
who is actually superior. This is thinking for example to be greater than the Buddha or one’s teacher.
One presumes to have greater qualities than those who are actually superior. This is blindness, a form
of pride which makes us completely unable to see or understand anything, also called "extreme"
pride.26
d. Presumption (nga-bo snyam-pa'i nga-rgyal) could also be called ordinary pride. It is to identify with the
five aggregates (skandhas) of body and mind as being “me”. One presumes an entity to be present–
“myself” with these thoughts and this body etc. – where actually no such entity can be found. It is ignorance, the clinging to a self, on which is built an ego-identity. The presumed identity is only the
network of skandhas, arising from instant to instant. Presumption provides the ground for all other
forms of pride. Furthermore it can develop into an overt self-satisfaction with the aggregates, for example concerning the aggregate of form (body), saying: “Oh, I have such a beautiful face, am I not
beautiful?” etc. This is vanity or conceit, another form of pride, arising due to identification with the
aggregates.
e. Pretension (chung-zad snyam-pa'i nga-rgyal) is less obvious than the previous form of pride: it is thinking
oneself to be scarcely inferior to beings who are greatly superior. One might say, “The lama is really
great, but there’s not so much missing for me to become just like him.” This is the pretension of
someone who does not see his own faults and who is projecting his image to almost approach the image of his idol.
This can also occur as what is called self-effacing or inverse pride, an inflated state of mind where
one considers to have only a fraction of the qualities, knowledge etc. of others and feels completely
insignificant and truly humble. But actually one identifies strongly with being so insignificant and
humble.27
26
Additional remarks on presumptuousness: Jealousy is being envious of what others have reached. It is the opposite of this
attitude of presumptuousness where one does not feel any lack or inferiority. A proud person with this attitude can be so
proud that he doesn’t even get angry with anyone. Normally pride is the origin of anger, so if you “stab” a proud person a
little bit he will immediately get angry. “How can you do this to me? You have no respect or what? Don’t you see who you
have in front of you?” But there is a type of pride which is so enormous that one will just say: “What is this person talking
about? What’s he saying to me? What’s the lama saying?” Presumptuousness can be so big that one does not even get angry
when insulted. Nothing can penetrate this immense layer of pride. This is the complete "Ego- king", occupying all territory,
nobody can approach him. Presumptuousness is like an enormously big balloon, difficult to pierce.
27
Additional remarks on pretension: One still follows the idol or teacher but thinks of oneself to have almost reached the
same perfection; and if someone else comes and tries to tell you where your actual place is you will say, “No, no, no, I’m just
next to him!” If the idol is in the centre of a crowd, then the person who thinks he is almost like him will try to be in the
immediate vicinity of the idol, placing himself just behind, or left, or right, or in front of this person to show that, “I’m the
next one. He’s the best, but I’m next.” This kind of pride is difficult to discern because it has different degrees. It is not the
obvious kind of thinking oneself as superior to the lama, but one misplaces oneself in relation to where one really is in order
to look and act as if very close to him. You are so ignorant of your own faults that you think you have almost reached the
state of purity. There is a little “almost” which leaves you enough space in case someone challenges you. You always say
“almost” and because you’re “almost” there, but your efforts to work further on your own defects are almost non-existent.
Pride is basically the incapacity to see one’s defects.
176
f.
Infatuation (mngon-pa'i nga-rgyal) is imagining oneself to possess greater qualities than actually present.
This does not refer to anyone else in a form of comparison, but is simply a view of oneself. It could
also be called over-estimation of oneself, fancy or proud imagination. One thinks to be very strong
while one is just normal, believes to be intelligent while dumb, a good swimmer without ever having
tested it etc. As long as the imagined qualities are not put to the test one will firmly continue to believe in them.
This can also occur as what is called full-blown pride which is the grossly inflated attitude of one
who, without having realised any of the superior spiritual qualities that overcome the emotions, is
convinced that he has.
g. Thoroughly mistaken pride (log-pa'i nga-rgyal) is believing to have qualities where one actually has
great shortcomings or even defects. For example: I believe or pretend that I am generous but actually
my live is governed by stinginess. Or one is proud of something which is actually unwholesome, a
moral degeneration, like for example having killed many people or being skilful in lying.28
28
Additional remarks on pride: A.: The basic desire for recognition is part of pride. It is desire mixed with the presumption
of being really existent and wanting to be recognised for one’s qualities. The basic desire of existence is linked to fear, the
fear to not exist. The basic desire to exist linked with seeing the world as aggressing oneself – having to defend your place in
the world. The basic desire to exist is not more than the natural wish to take the next breath. That’s basically it! If you think
about not taking your next breath, then you will see what this desire is. It is the fear of encountering the non-self, the nonexistence, the death. You can perceive your world as not allowing you to breathe. To take it in the opposite way: when you
are with a proud person you have no space to breathe. He is filling up all space so that the others who also have the wish to be
recognised find almost no space in this kind of situation. When you talk to people about how they experience others, especially their contact with proud people, they often express this — because of their own pride they have no space to breathe.
Q.: Is pride related to the skandhas? I don’t see a difference between the feeling of I, basic ignorance and pride.
A.: Yes, this you can say. Just like when there is ignorance there is always clinging and desire, in the same way you can say
that where there is ignorance there is always pride. The pride starts the moment you are attached to an I. As soon as you
begin to give yourself some self-importance, that’s the beginning of pride.
So even the people who give themselves no importance at all with attitudes like: “Everybody can just walk all over me” or
“Nobody takes care of me” or “I don’t care that people take care of me” etc — this very important humbleness or very important depression is another form of pride. Depressed people very often suffer from anger and pride. They are so proud that
they are the centre of the universe. There’s only my depression, only what’s going on in my mind, how I’m suffering, my
story, my ..., what the others have done to me, how I’m incapable, how I’m not beautiful, how I’m not able to talk and communicate with others — all this is pride.
Q.: So all the stories and chains of thought we follow in our mind, when it is not emotional, can we say this is just a kind of
pride?
A.: Yes.
Q.: The teachings say that the practitioner should enter into action and put himself into situations where he sees his own
attachment and pride. I wonder if there could be a subtle pride in this practice to want to test your attachment etc.
A.: Yes, pride takes no matter what to feel proud. Pride takes dharma practice, qualities and even defects to be proud. Pride
even takes the defects of others to be proud. For example a father can be proud of how good a thief his son is. The identification of pride extends outwards to family and friends and you identify yourself not only with the qualities but also with the
defects of the persons concerned. In this way one can identify oneself with the national pride of one’s nation and say, “Look
how we Germans kept the whole of Europe going, we kept the whole world busy!” Pride will take something as stupid and
terrible as killing millions of people, and will turn this defect into something to be proud of.
So if you find yourself becoming proud of doing whatever aspect of your practice, this is completely normal — it is the way
pride functions. Pride takes no matter what as its object. It takes the cheer fact of going to the toilet as a source of pride:
“Yeah, I really had a good shit!” Pride is wherever we look — it’s everywhere!
For example, a lama might come out of retreat and start out as an honest lama wanting to serve others. He might feel he has
not learned much but the little that he knows he will want to give to others. When he starts teaching like this, people will
come to him because he is honest and they start listening to his words. As more people come to listen he starts to think that
there must be something good in what he is saying and he becomes proud. Then as he continues teaching and more people
start coming he starts to think, “Oh, the number of people coming to me exceeds those going to see my own lama, so I must
be greater than him.” Like this the teaching might become more and more an ego-teaching. It is not motivated by really serving others but by having more students, becoming greater and more important, having more influence and more power. Like
this you pass on ego-transmission.
177
4. Ignorance (ma-rig-pa; avidya)
Definition: Ignorance is the absence of understanding concerning the three realms of existence. It leads to
the appearance of emotional bewilderment, erroneous decisions and doubt concerning the dharma. It is
the basis for all other emotions, for all unwholesome actions and their result: bondage in samsaric rebirth.
Simple ignorance is not knowing, not understanding things, the basic ignorance that all beings have
(rmongs-tsam-gyi ma-rig-pa). A second form is the ignorance of erroneous clinging to what one thinks to be
true, like misinterpreting what is existent to be non-existent and what is non-existent to be existent (phyin
sta log-tu 'dsin-pa'i ma-rig-pa).
Both are further subdivided according to ignorance concerning the relative and the absolute truth. On the
relative level it manifests as the ignorance related to actions and their effects (the law of karma), which is the ordinary way of thinking that there are no consequences of one’s actions beyond the actual situation (las 'bras
la rmongs-pa'i ma-rig-pa). On the absolute level it is the ignorance of thinking that we ourselves as well as the
world around us really exist, whilst there can be found no real existence as such. This is ignorance related to
suchness (de-kho-na-nyid la rmongs-pa'i ma-rig-pa). Due to these arise desire-attachment, aversion etc., the whole
of samsara. It arises because of the basic misunderstanding of reality, from which many other factors arise.
Ignorance is the root of all of them.
Ignorance is linked with mental dullness (rmongs-pa), with lack of confidence and trust (ma dad-pa), with
laziness (le-lo), with carelessness (bag med-pa), with an a-moral memory (brjed nges), with lack of discernment
That is how pride takes qualities which were there in the beginning and transforms them into the opposite. An old saying says
“You are not aware of the true qualities you may have.” As soon as you become aware of them you become proud and they
cease to be untainted qualities.
Q.: We’ve been told, just like with any other emotion, to increase the pride, to make it bigger and bigger. Does this mean to
make it bigger so we can see what a joke it is or until something else appears?
A.: Yes, you make it bigger until you are so ridiculously proud that you just have to laugh about yourself.
Q.: What about looking at the suffering? Could looking at the suffering of pride be another way because by just laughing
about it you might not really want to do anything about it.
A.: To see the suffering, the tension in our own mind is very important. When pride is present we feel a tensed with others
who are a challenge to our pride because they might be superior and better. Pride just like jealousy is connected to comparing
oneself with others. There is the suffering of pride of not really being able to communicate with others. The proud person,
because of the clinging to self, is not really relaxed and feels very much alone. Solitude is one of the most common forms of
suffering of a proud person. Because he is so proud, no real communication happens. He has many friends, admirers, but no
one, even his own spouse, can come really close. In order to get out of his pride, a proud person has to learn to communicate,
to open up, to see and show his faults, to let himself be hurt. Pride is also just a protection against being hurt.
There is a lot of work to do and it is a very painful work where all the suffering comes up to the surface. As long as one is in
the pride there is very little conscious suffering — there is some, but not so much. When the pride is shattered, then there is
great suffering.
A proud person whose pride is shattered by circumstances, for example millionaires who lose all their possessions over night,
like during the Wall Street crash, might kill themselves as they did. There was no way out. All their identifications were gone
and the suffering was so great.
This can happen any time. Whenever the pride over some achievement is shattered by losing (like in sports or in any other
form of competition), the wounded pride of having lost can be so unbearable that one prefers to die; or one prefers to leave
the circle of friends, one prefers to change countries. One does anything to evade having to confront the defeat. Someone
who had lost in the Olympic games did not appear for the silver medal because silver was not good enough, he wanted the
gold.
Q.: The whole thing seems like a vicious circle. There is pride, it is hurt, then there is the desire to escape this. Then I do not
get that, then there is anger etc. It’s just one emotion followed by pain followed by another emotion etc. ... I’ve often tried to
find out which one is my family, my principal emotion, but it seems to be impossible to see.
A.: Yes, it is impossible. Don’t worry about it, we all have all the emotions. The only way out is to relax from this whole
game. The only way is to not care so much about ourselves, to sit and develop some patience, not to react so much, let the
thing run out by itself, and do not try to change the outside.
178
(shes-bzhin ma-yin-pa), with distractions (rnam-par gyeng-ba). They are enumerated later, but all arise from basic, fundamental ignorance. It is the root of all attachment, because it gives rise to the notion of self and
others. It is the basic attachment due to the presumption of real existence. You can say that ignorance is
the same as attachment, there is basically no difference. When there is attachment there is ignorance, and
vice versa.
5. Doubt (the-tshom)
Definition: Doubt, scepticism or afflicted indecision is uncertainty concerning such important points as
the four truths including the law of karma, the Three Jewels etc.. It is a wavering, indecisive state of mind
tending towards an incorrect conclusion. It provides the basis to the non-functioning of all wholesome
aspects.
Doubt is considered as one of the six basic klešas, it is closely linked to ignorance. It is emotionally tangible as fear, hesitations, many secondary thoughts, complexity, lack of straightforward actions, always
thinking “if”, “if not”, “yes” and “no”, forth and back, thus being unable to take clear decisions. It is a
lack of clarity and insight. Doubts are hesitations which make one stay in indecision and uncertainty and
which obstruct one’s engagement to virtuous activity and to abstaining from non-virtue. It clouds one’s
perception of what is to be done and what not. Doubts destroy even what you have experienced already in
your practice, making you questioning it again and again. To overcome it we have to probe the object of
our doubt with intelligent discrimination based on sound reasoning and we shall be able to reach a onepointed state of conviction. This factor does not include indecision about trivial, mundane topics.29
29
Additional remarks on doubt: Doubts are secondary thoughts and are the source of all complications in one’s mind. Simplicity of mind in this context is to look directly and to do things as they are decided and not always to come back on one's
decisions, to hesitate, and to doubt one’s actions. But simplicity is not a stupid mind, which simply reacts to the first thing
arising in mind. It is to do what needs to be done with wisdom, discerning what is the best thing to do, and then to perform it
without further hesitations. All this indecision and uncertainty arises due to ignorance. Doubt leads to instability of mind,
putting into question what one already had found out to be true, and is thus the cause of a lot of suffering. One hand one
knows what would be good, but on the other hand there are always secondary thoughts creeping in which destroy the already
gained understanding or knowledge.
Q: How do you know, if that what you understand is correct or not, without falling into an extreme?
A: One should check properly one’s experiences and build one's whole dharma path on experience. There is no outer reference point as such. If in the past something proved to be true, you can build on it. But speculations like “would be”, “should
be”, “can be” etc. about this and that all generate clouds of thoughts in the mind. If you just build very clearly on what you
have already experienced and know, then you see what comes next. You see what you wish to check out more, and you just
move towards it. This is a simple, direct approach.
You should compare your experiences of the practice with the teachings which you received. Do they fit together or not? Are
there any contradictions? If they do not fit together, something needs to be changed. To find out what needs to be changed
needs of course some clarity. Either the dharma teaching is not true to experience, or its presentation, or something in our
application of the practice is wrong and needs to be changed. You can also wait and just continue to see whether more experience will reveal a new understanding and give more certainty. But do not doubt.
For example, if remembering of impermanence helps you to be more present in situations and to take good decisions, you
gain conviction that remembering impermanence is a valuable guide in taking decisions. So do not doubt it. If you know this
and that practice has given you this and that result then it is clear and you build on this, you use it as the basis for your trust
and continue your journey. Trust is the opposite of doubts and hesitations, it is reliable. So build your practice on what you
know rather on what you do not know.
Doubts arise also due to trying to reach out into the future, trying to find out and pre-arrange things so that nothing will happen to us. They are an expression of fear. There are all these hesitations because of projecting oneself into the future and
trying to manipulate what should happen. It is the complicated approach of sending out one’s messengers, i.e. projections, to
see “how is this path”, “how is that one”, etc. From the outside this may look very intelligent but it makes life very complicated, because you rely only on other people's experiences and on intellectual speculations. The more simple the approach is,
the better it is. Go step by step, grounded on your own experiences, one foot after the other, like the steady walk of an elephant.
Q: If you rely on your experience, and the lama comes and brakes that into pieces, saying you have to change, to take another
direction, how to deal with that?
179
6. Afflicted views (lta-ba nyon-mongs can)
Definition: An afflicted or “emotional” view is confusion in relation to absolute and relative truth. It is
either an afflicted state of intelligence that regards the aggregates as being inherently "I" or "mine" or, in
direct dependence on such a view, an afflicted intelligence that develops further mistaken conceptions.
Afflicted views act as a basis for all the troubles engendered through the afflictions as well as all other false
and negative outlooks. In our classification this factor includes five aspects which – like for example in
Asanga’s presentation of mental factors – can be listed separately:
a.
“Clinging to the notion of a personal self” (bdag 'dzin) or “the (wrong) view of what is perishable” ('jig
lta) is considering the aggregates (skandhas) as “mine” and “me”. It is thus a wrong semblance of wisdom which is the basis for all wrong views.
b. “Extreme views” (mthar lta) are basically the belief in the existence or non-existence of the five skandhas (the views of eternalism and nihilism, or a combination of the two). They obstruct the possibility
to be liberated by the “middle path”.
c. “Overestimation of one's views” (ltha-ba mchog 'dzin) is being attached to opinions. It can also be called
dogmatism or idealism. These are views based on the assumption that the five skandhas exist which
are held to be the best, the highest, the supreme. Strong attachment to views is a very destructive factor in regard to the dharma path: if one clings to something strongly, overestimating its value, one has
no space to discover anything new. Thus progress on the path of dharma becomes difficult or impossible. It blocks new insights and new experiences.
d. “Overestimating discipline and rites” (tshül-khrims dang brtul-zhugs mchog 'dzin gyi lta-ba) is a view or
opinion that considers discipline and rites based on the assumption that the five skandhas exist to be
pure, true and leading to liberation. It leads to efforts without obtaining the desired fruit.
e. “Mistaken views” (log lta) are the view points, opinions, ideas of someone who denies what exists (e.g.
the law of karma – cause, result and action), who affirms the existence of what does not exist (e.g. self
and objects) and who rejects the truth of what is (the ultimate) or who imagines it wrongly. It leads to
a complete inversion of what is to be abandoned and what is to be practised, and thus cuts the roots
of virtue, leading to misdirected commitments and actions. It consolidates the roots of the unwholesome and leads to persevering in harmful acts.
E. The 20 secondary afflictions (nye-ba'i nyon-mongs-pa) (factors 28-47)
There are twenty more mental factors which are not conducive to enlightenment (klešas). They all originate
from combinations of the basic kleshas ignorance, attachment and aversion. They are called secondary or
A: If the lama is authentic it is fine simply to believe him and to keep up your faith. But you should also look into yourself,
try to see the fault within you, try to come to an understanding of what he says. Blind faith will not go very far, you really
need to understand your experience, otherwise doubts will creep in. So if the lama points out that you are going into the
wrong direction, you should investigate and try to understand why it is the wrong direction. With this deeper understanding
you will establish a broader basis for your practice, and it will give rise to deeper faith in the lama. Then faith becomes the
basis of your practice, and that exactly cuts through doubts.
Faith connected with wisdom or insight is more stable than faith connected with ignorance. The faith of a well believing
person can be very stable until he or she meets another person who is very skilful in asking questions and creating doubts.
Then suddenly one's faith becomes shaky, because one has not really integrated what the lama has pointed out. The lama's
instructions need to be deeply considered and integrated so that faith gives birth to unshakeable wisdom based on experience
within us.
For example, Rinpoche points out a mistake and shows another direction, something we are not at all aware of. Then we look
within us and discover something new which was previously hidden, and we can understand that it needed to be pointed out.
Thus one’s faith in Rinpoche and in the dharma increases.
180
"proximate" afflictions because they are aspects or extensions of the root afflictions and arise in their
proximity or in dependence on them.
1. Rage (khro-ba; krodha)
Rage, wrath or fury is a malevolent state of mind based on a prejudice with the wish to do harm, strike etc.
Something is judged as disagreeable, non-desirable – a prejudice is thus installed – and aversion is the
result. This leads to resentment and being irritated which results in malevolence and the usual chain reaction of verbal and physical violence. First there is irritation or anger (khong-khro), the subject is angry.
The inwardly arising emotion is projected outwards, takes its object, and as the fixation gets stronger it
turns into real hatred (zhe-sdang), like a burning fire. Rage is the factor that connects the person who intends to cause harm with the actual means to do so.
2. Rancour (khon-'dzin; upanaha)
Rancour, vengeance or resentment is not to abandon the intention of revenge. It is an offspring of rage
and leads to impatience. It is like a knot in the mind that, without forgetting, firmly holds on to the fact
that in the past one was harmed by a particular person. Due to the stored memory hatred together with its
object arises again and again. This is very destabilising, its continuous presence is like poison in the mind.
3. Concealment ('chab-pa; mraksa)
Concealment or dissimulation is to hide some or all of one’s faults when one is rightly accused or when
another person with a benevolent intention talks about such unwholesome attitudes. It is an offspring of
confusion and leads to regrets and uneasiness. When someone genuinely tries to help us by pointing out a
certain shortcoming we may have, we suppress – temporarily or permanently – any manifestation or
knowledge of the fault he is describing. Superficially it seems to act as a defence, but the more we resort to
it, the more it causes heaviness and discomfort of mind.
4. Animosity ('tshig-pa; pradasa)
Animosity or spite is a malevolent mind, offspring of rage, which is preceded by anger and rancour that
leads to violent, harsh, insulting words, an accumulation of unwholesome acts of speech with an uneasy
mind. it causes the happiness of oneself and others to be destroyed. There are three forms of animosity:
the intention to say harsh and angry words to someone equal to oneself, inferior to oneself and superior to
oneself.
5. Jealousy (phrag-dog; irsya)
Jealousy or envy is an angry thought (often accompanied by fear) of someone who desires material gain,
possessions, respect and honour unable to bear the good things others have. It is an expression of hatred
produced through intolerance of the well being of others. It produces emotional affliction and immediate
uneasiness and unhappiness in the mind. It causes one's own good things to become exhausted.30
30
Additional remarks on jealousy: Jealousy is considered a secondary emotional factor, because it is due to anger and attachment. It is due to anger because one is irritated by the fact that someone else is happy or that someone else has a quality.
The fact of someone else having this quality or being happy is unbearable to our mind. It is due to attachment and clinging
because we want to have this, we want to have more of this than the other. This is the clinging to this quality or this positive
state of mind or possession or respect, whatever the other one is enjoying.
Basically, jealousy is based on comparison and all our ambitions to achieve something are based on jealousy. The whole
world nowadays, this ambitious society — this is jealousy.
You can say there are two ways to be jealous. One way is to be jealous and to try and take the other one down, to make him
worse, and the other way is to try and climb the ladder to become better than the other, to get what he has, to get more than he
has. One is the lazy form and the other one is ambitious one – but both are jealousy due to comparing.
The lazy form is easier. You just have to make bad remarks about the other or make him angry so he loses his patience and
happiness, or to try and make deals that his business falls down. But the “more honest and straight way” on which our society
is built is to pull up your sleeves and to pretend that you are working for the benefit of beings but actually it is just for your
own benefit. This is for example the case with scientists who are doing research just in order to one day receive the Nobel
Prize. Then if somebody else makes the discovery just a few months ahead of them, they might try to steal it or destroy it.
181
6. Avarice (ser-sna; matsarya)
Avarice is a strong mental attachment of someone who desires possessions and honours. It is desire in
respect to the material necessities of existence which expresses itself in clinging to possessions with no
wish to give them away. It creates fear and pain whenever the possibility arises of being separated from
what we regard as dear to us. It makes life complicated. The Tibetan word literally means “yellow-nosed”.
It is never being content, the fear of losing something, of having never enough and wishing to have more.
Desire generally tends to increase – not only for objects but also for immaterial things like one's understanding of the dharma, love, recognition, whatever you can wish for and identify with as your own personal qualities. Avarice is the hoarding tendency, not wishing to share anything, basically a "poverty attitude" which is actually the cause of future material and spiritual poverty.
7. Duplicity (gyo-ba; sathya)
Duplicity or dissimulation is the attempt of someone interested in gain and honours to hide his true defects. It is linked to desire and ignorance and obstructs accepting good advice. When desire for social
status, recognition, possessions and so on is strong, this leads to falseness or double-mindedness in order
to obtain the desired objects. One uses lies, tricks etc. to get what one desires for. It is a tricky doublesidedness of mind.
8. Deceit (sgyu; maya)
Deceit is a demonstration of false virtues by someone interested in gain and honours. It is linked to desire
and ignorance and leads to a treacherous life. If our predominant desire is the desire to be recognised, this
leads to hypocrisy, pretending to be someone good in order to receive this so-desired respect, love etc.
9. Self-satisfaction (rgyags-pa; mada)
Self-satisfaction is a joyous self-contentment, a false sense of confidence, arising due to good health,
youth, longevity or any other intoxicating advantage. It is linked to desire and gives rise to all major and
minor kleshas. There is a sense of haughty complacency, a vainglorious attitude with a euphoric quality.
The object or personal attribute one clings to is regarded as one’s own quality. One becomes completely
self-satisfied with one’s own objects, advantages, yesterday’s good deal in business, or whatever personal
advantages to which one attributes importance. It is called a negative factor because it leads to carelessness, unawareness of the needs of self-transformation, lack of mindfulness in relation to others and to the
dharma. It obstructs the attainment of any higher qualities.
10. Maliciousness (rnam-par 'tshe-ba; vihimsa)
Maliciousness is more than being unkind. It is a cruel, violent state of mind devoid of any compassion or
kindness linked to hatred which is intend to doing harm. It harms the good qualities of oneself and others,
it leads to turmoil, and physically harms the live of others. It generally arises towards those that we regard
as inferior to ourselves. This can take the form of actually causing physical harm to others or simply, out
of resentment, ignoring a question put to one. It includes being unkind oneself, inciting others to do so
and rejoicing in unkind acts of others.
11. Lack of self-respect (ngo-tsha med-pa; ahrikya)
Lack of self-respect means not to be ashamed in front of oneself to do something harmful. It is a combination of desire, hatred and confusion that gives rise to all major and minor kleshas.
12. Lack of respect for others (khrel med-pa; anapatrapya)
Lack of respect for others means not to be ashamed to do harm when considering others. It is a combination of desire, hatred and confusion that gives rise to all major and minor kleshas.
13. Dullness (rmugs-pa; styana)
Dullness or inertia is the absence of flexibility of mind. It causes the mind to lapse into darkness and
thereby become insensitive, not comprehending its objects clearly as it is. It makes body and mind heavy
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and inflexible, and of increasing sleepiness and sinking. It is an offspring of confusion that entrails all
major and minor kleshas.
14. Wildness (rgyod-pa; auddhatya)
Wildness, excitement or agitation is the mental restlessness of someone pursuing an agreeable object. The
force of attachment does not allow the mind to rest solely upon a wholesome object. It obstructs mental
calm. Desire makes the mind go again and again to the many objects of one’s fascination, and it becomes
dispersed, excited, full of desire. Mind is attracted by this thought and that thought, this and that object,
one will never find mental stability. Desire is agitation due to clinging to the objects arising in mind.
15. Lack of confidence (ma-dad-pa; asraddhya)
Lack of confidence is the absence of a firm and complete conviction due to confusion. It causes one to
have no belief in or respect for that which is worthy of confidence. It is the complete opposite of faith.
Mind is not serene and does not aspire to the wholesome. It leads to laziness and a decrease of faith,
makes one disbelieve, disrespect and have no desire for what is wholesome, thus severing the roots of any
wholesome development. there are two forms of faithlessness: that which simply does not see the need
for or the fruits of virtue, and that which regards virtue either mistakenly or as non-existent.
16. Laziness (le-lo; kausidya)
Laziness is the absence of mental effort caused by clinging to an object offering temporary happiness, like
the pleasures of sleep and rest. Either one does not want to do anything wholesome or, although wanting
to do it, one is faint-hearted. It is due to confusion and causes the power of enthusiasm to decrease, lets
wholesome tendencies degenerate, and obstructs any fresh production of virtue or beneficial activity.
There is laziness which regards the practice of dharma as unnecessary, procrastinating laziness which delays the practice, and destructive laziness which engages in unwholesome activity.
17. Carelessness (bag-med-pa; pramada)
Carelessness or indolence is not developing the wholesome due to desire, hatred and confusion associated
with laziness. Mind is not protected against impure states. It leads to an increase of what is harmful an a
decrease of what is beneficial.
18. Confused memory (brjed nges; musitasmrtita)
Confused or “a-moral memory” is a memory full of emotional confusion that leads to forgetfulness concerning a wholesome object already apprehended. Furthermore it induces the recollection of and distraction towards a disturbing, unwholesome referent. It causes the power of recollection to decline and furthers the inclination towards the harmful. Due to one’s veils one loses sight of the wholesome and does
not remember what one intended to accomplish.
183
19. Lack of discernment (shes-bzhin ma-yin-pa; asamprajnya)
Lack of discernment, inattentiveness or negligence is a state where our intelligence is clouded by emotional bewilderment and makes no or only a rough analysis of a given situation. One is not fully aware of
the conduct of one's body, speech and mind. This leads to involuntary acts of such as transgression of
vows etc. Lack of discernment causes the power of intelligence to decline and unwholesome acts to increase. It also hinders the development of the four forces of purification. there are three forms of lack of
discernment: that which accompanies evil views, that which hinders the development of valid analytical
intelligence, and that which interrupts mental calm.
20. Distraction (rnam-par gyeng-ba; viksepa)
Distraction is a mind, unable to stay with a wholesome object, which is dispersed to a variety of other
objects as a consequence of desire, hatred and confusion. One differentiates the “natural” or "inherent"
distraction of the five senses, the “outer” distraction of a mind following the five sense pleasures and the
“inner” distraction of torpor, excitation and enjoyment of someone who is engaged in the wholesome.
“Distraction concerning the goal” is to engage in the wholesome in order to be praised. “Turbulent" or
"rigid" distraction is the clinging, dispersion and objectification in relation to whatever feeling arises as “I
am”, “me” or “mine” due to the turbulence of clinging to a self, self love and pride. “Reflective distraction” is a dispersion of mind that due to doubt obstructs the letting go in a person who is about to enter
meditative absorptions or other vehicles.
F. The four variable factors (gchan-du 'gyar-ba) (factors 48-51)
They are variable because their character varies according to whether they are under the influence of
wholesome or unwholesome factors. They can go either way – virtuous or non-virtuous. Although only
these four are specifically mentioned in this category, in fact both the ever-present and the objectascertaining factors share this quality of moral variability.
1. Regret ('gyod-pa; kaukrtya)
Regret is a repenting mind as part of confusion due to various reasons, intentional or not, timely and untimely, beneficial, harmful or neutral, convenient or non-convenient. it destabilizes the mind.
Regret can be very positive if we regret negative acts, but it can also be negative if one regrets positive
acts. Basically regret can be a function to put oneself back on the good path which is positive, but regret
about something which does not need to be regretted can just be mental agitation, a source of never being
able to be content, of never finding inner peace. So it depends on how it is used.
2. Sleep (gnyid; middha)
Sleep or languor is a contracted mind as part of confusion; a state where outer sensory perceptions lose
their power and all exterior activity ceases. Sleep can be timely (needed) and untimely (superfluous). Also
it can be due to beneficial, harmful or neutral causes. Generally it leads to negligence in what one is supposed to do.
Sleep will be virtuous, if we fall asleep with a positive motivation, practise the clear light in deep sleep and
engage in wholesome activity in the dream state. It will be non-virtuous, if one is just indulging in one’s
desires, and it can be neutral when nothing big happens, if one is just “spaced out”.
3. Reasoning (rtog-pa; vitarka)
Reasoning is a mental discussion which searches depending on volition or the intellect. It is the gross aspect of mental analysis based on volition, the wish to identify an object. It leads to the point where one
knows what this object is, independent of whether one is satisfied or dissatisfied with this object.
4. Investigation (dpyod pa; vicara)
Investigation is a mental discussion which reflects depending on volition or the intellect. It is the subtle
aspect of mental analysis. It is a more detailed examination of the already identified object, going further
into its different aspects.
184
Whether these two, analysis and investigation, are virtuous or non-virtuous depends on their object,
whether one engages in something leading to enlightenment or something leading into samsara. Thus they
can lead to states of well-being or uneasiness.
SUMMARY
We can see that the positive mental factors describe the capacities that should be present in what we
would call such a well integrated personality able to deal with the world. The more the destabilising, negative factors are present, the more the person will need help in order to deal with the world. If on the other
hand more of the wisdom and stability aspects are there, then the person is autonomous and can deal with
the world alone. If more of the destabilising emotional factors are present then the person will sometimes
lose control over his world, will be unable to make decisions, will remain locked into one emotion, unable
to get out — depression, vanity etc. — it can take many forms.
Basically, what is to be encouraged in the dharma (and also in psychotherapy), are the positive mental
factors which include all of the six paramitas. What needs to be avoided are the disturbing mental factors,
the emotions. The difference between therapy and dharma is that therapy is only directed towards a temporary well-being in this life and dharma is for all lives up to and beyond enlightenment. The motivation
with which one undertakes this kind of process is different and that is why the methods which are used
are also different. The methods that undercut all ego clinging are not so interesting and often scaring for a
person who just wants to be happy in this life, but if one wants to develop the capacity to help all sentient
beings one will be interested in developing beyond a personal, relative well-being in this world. One will
not stop with one’s development just because one is happy.
Q.: Could you say something about the differences and similarities between what is meant by prajña (wisdom), intuition and ‘inner voice’. Are they the same?
A.: No, they are not the same but they are closely linked. Intuition is the combination of knowledge with
experience plus one’s perception of the situation — and this in a quite spontaneous way.
Prajña is a clear perception of the situation and knowing what leads to enlightenment and what doesn’t.
The inner voice that one is occasionally talking about is a way of saying, “Tune in to your deeper knowing.” It’s very often mixed with ego clinging, one’s own preferences and one’s past experiences. The more
prajña develops, the more one becomes free of one’s own past experiences and you just “see” the situation as it is with larger, more panoramic knowledge. Also, if intuition, which in the beginning is rather
ego-coloured, develops in this way it eventually becomes pure. At this point intuition is a factor of prajña
and there is no longer a need to talk of anything else than just wisdom. Wisdom is knowing what is right
and what is wrong.
Intuition is often misunderstood as some mystic knowledge of what is right to do in a situation, but it is
basically just a combination of the three factors knowledge, experience and perception of a situation. If
your knowledge is vast, if your experience of the past is purified and you take your memories only as an
impersonal help, and if your perception of the situation is pure without clinging to a self, then your intuition will be pure. But then there’s no need to talk of intuition, then it’s really just wisdom. Talking of the
inner voice is a way to tell people to look inside and to listen a little more to what they really feel but it is
not a way of pointing to the dimension beyond ego, since the inner voice can be a demon.
References:
−
Asanga, Abhidharmasamuccaya “Le Compendium de la Super-Doctrine”, traduit et annoté par
Walpola Rahula, 1980
−
Geshe Rabten, « The mind and its functions », second part of the book based on Asanga, translated and edited by Stephen Batchelor, 1981
−
Dagpo Rinpoche, Vocabulaire philosophique, définitions basées sur le Prajnaparamita Hridaya,
traduit et adapté par Marie-Stella Boussemart, 1989
185
Anhang 25: Der Palikanon
Der Palikanon mit seinen 72 Büchern wurde in seiner heutigen Form vermutlich zwischen 20 Jahre vor bis
50 Jahre nach Beginn der christlichen Zeitrechnung in Sri Lanka niedergeschrieben. Er besteht aus drei
„Körben“ oder Sammlungen (tripitaka, tipitaka): Sutra (die Lehrreden), Vinaya und Abhidharma.
•
Der „Korb der Lehrreden“ (Sutta-Pitaka) des Palikanon ist für unsere Arbeit als Therapeuten am
relevantesten. Er umfasst vier große Sammlungen:
DN
MN
SN
AN
= Digha Nikaya (Sammlung der 34 längeren Lehrreden, zus. 621 S.)
= Majjhima Nikaya (Sammlung der 152 mittellangen Lehrreden, zus. 1482 S.)
= Samyutta Nikaya (Sammlung der 56 gruppierten Lehrreden, zus. 1344 S.)
= Anguttara Nikaya (Angereihte Sammlung)
Zudem zählen zum Korb der Lehrreden auch die verschiedenen Texte der Sammlung kürzerer Lehrreden
(Khudakka Nikaya):
IT
DP
SNIP
= Itivuttaka (die Sammlung: „So wurde es gesagt“)
= Dhammapada („Wahrheitspfad“, eine Sammlung ausgewählter Zitate, kürzere Sammlung)
= Sutta-nipata (72 frühbuddhistische Lehrdichtungen, zus. 220 S.); diese Sammlung gilt als
sprachlich ältestes Werk im Palikanon; die verbindliche mündliche Version, die dann niedergeschrieben wurde, stammt vermutlich aus dem 4.Jh.v.Chr.
JT
= Jataka (Die Vorleben des Buddha)
UD
= Udana (Inspirierende Verse)
Thera = Theragata (Aussprüche der Mönche, Schüler des Buddha)
Theri = Therigata (Aussprüche der Nonnen, Schülerinnen des Buddha)
•
Der „Korb der Hinweise zu heilsamem Verhalten“ (Vinaya-Pitaka) umfasst die Regeln zu Ethik
und Verhalten für Praktizierende sowie Hinweise für ein harmonisches Zusammenleben in der Sangha.
Ein kleiner Teil davon gilt für alle buddhistischen Praktizierenden, der größere Teil aber vor allem für die
monastisch Ordinierten.
•
Der „Korb des Höchsten Dharma“ (Abhidharma-Pitaka) fasst die Unterweisungen Buddhas in
systematisierter, mehr abstrakter Form zusammen. Sprachlich scheint es sich um die Arbeit späterer buddhistischer Meister zu handeln, welche die Lehrreden Buddhas kondensiert und strukturiert haben. Obwohl
es sich hier, wie manchmal gesagt wird, um eine knappe Darstellung der „buddhistischen Psychologie der
Befreiung“ handelt, ist diese Pali-Zusammenstellung nicht unumstritten. Andere Schulen berufen sich auf
andere Abhidharma-Basiswerke, die einzelne Punkte anders darstellen.
Anhang 26: Stellen im Palikanon, über die sich ein Austausch lohnen würde
Auf die meisten dieser Zitate bin ich durch das Buch von Vimalo Kulbarz gestoßen: „Eine Hand voll
Blätter“ in der Roseburger Schriftenreihe; es ist sehr zu empfehlen für Leser, die einen Einblick in die Welt
der Lehrreden des Buddha gewinnen möchten.
-
Leerheit: MN 121 + 122 (Sutras über sunyata), SN 22-95, Sutta-Nipata 1119
illusorische Natur der Dinge: Samyutta Nikaya 22-95; MN 54
Ichhaftigkeit: AN 4-33; Ichlosigkeit (nairatmya); Ichbezogenheit, Ichwahn; Nicht-Zweiheit
konventionelles Ich: SN 1:25; Identifikation: SN 12-61
Selbst/Nicht-Selbst (anatta, anatman; Grundlage der Jidam-Praxis): SN 22-88, 44-10; MN 35, Mahaniddesa p.369, AN 7-46; Erlösung
Haften an den Skandhas = Krankheit des Geistes: SN 22:11 f.; 22:43:5-15
Buddhanatur, Dharmakaya, strahlender Urgrund des Geistes (pabhassara citta)
Wollen versus Nicht-Wollen (Grundlage von Mahamudra): SN 1-69, 42-11, 22-82
Verblendung
Abneigung/Übelwollen: SN 46-2
Begehren, Verlangen (tanha)
Häufige Übung bestimmter Gedanken, Erzeugen von Tendenzen (Grundlage des Wiederholens von
Gebeten): MN 19
186
-
-
Anhaften (upadana) /Abhängigkeit: MN 11, 138; Loslassen DP 212, SN 22-22
Skandhas/Aggregate: SN 12-66, 22-48, 22-63, 22-95; MN 138
(freierer) Umgang mit Sinnesobjekten: SN 35-191; MN 38, 122
8 weltliche Dharmas: Mahaniddesa p.30; SN 17-19,22
Vergänglichkeit, Unbeständigkeit (anicca): MN 137, SN 6-15, 22-89, AN 1-20,73, 4-113, 5-57, 9-3; DP
277, 278
Tugend, Ethik, Disziplin (sila), Verhaltensregeln: MN 11
Leiden (dukkha), unbefriedigendes Samsara: SN 12-32, 15-3, AN 4-9; Glück: SN 22-60, 35-14
Krankheit, geistige: AN 4-157, 4-184, SN 22-1, MN 50
Gesundheit, wahre (Nirwana): MN 75; Erlösung
Weisheit (Prajña/pañña), Weisheitsschau, AN 3:52
Glücksseligkeit: Udana 2:1, Dhammapada 200, 35
Stolz: Sutta-nipata 4, AN 6:49
vier edle Wahrheiten: MN 141; AN 4:33; 4:23, Mahavagga 1:6
Karma: MN 135.4, SN 12:37; 3:33, AN 3:107; 5:57; 1:6:6 (I.p. 11); 2:4:3; jenseits von Karma: SN
12:51, AN 3:33; Auflösung von Karma AN 3:108; geistiges Karma: Atthasalini 252; Karma und zukünftiges Leben: SN 3:108
Geist (Ursache von Leiden) (mano): Dhammapada 1+2
geistige Tendenzen/Neigungen (nati cetaso): MN 19
Wahrnehmungsprozess/Projektionen (papañca, „proliferation mentale“): MN 18; 38; 18-140; Suttanipata 916; Mahanidessa p. 290
Buddha: Buddhanatur: Rantna-gatra-vibhaga 1:13, p.14, SN 22:87 ; DN 1, 27; MN 72
Dharma: SN 22:86; achtfacher Pfad: SN 56:11; ehipassiko = the teaching: come and see
Shila-samadhi-prajna: AN 3:83
Richtig-Zuhören-Können: MN 48
Dharma-Unterrichten: MN 36; AN 4:43; 5:74; Dhammapada 159
Dharma als Zuflucht in sich selbst: SN 22:43
Zusammenfassung der Lehre: Dhammapada 185
nicht sektiererisch: Cutta-vagga 10:5
zuerst an sich selbst arbeiten, um anderen zu helfen: MN 8
abhängiges Entstehen, (Pratitya-samutpada): SN 12-20; 12-93; 12-52; 12-38; AN 2:8; MN 38, 149, DN
21
rechte Bemühung, therapeutischer Auftrag: MN 95; Buddha-carita 4:64; Dhammapada 276; MN 2; 61;
21; 20; 5; 114; Itivuttaka 30; AN 4:170; 3:69; SN 7:6; 48:62; 5:81; 48:56; 46:32; 47:19; 3:18
Umgang mit Emotionen: Abneigung: AN 5:161; MN 2, AN 9:3, AN 5:3; Dhammapada 43; MN 117;
Klesha: MN 128 Upakilesa-sutta
therapeutischer Prozess: AN 3:100-165 (Goldläuterung)
Therapeut: AN 5:1; 3:115
Therapeut/Patient: MN 85; 43-171; 6; Sutta-nipata 268 (Gelassenheit SN 46:5)
Ziel der Therapie: AN 4:35; Sutta-nipata 912; Udana 1:10; SN 36:6
Loslassen: AN 5:92; 2:15:3: MN 37; 44; Catu-sataka 8:15; Sutta-nipata 949; Dhammapada 211
Gelöstheit/Loslösung: Sutta-nipata 912; SN 21:10; AN 2:12:9; MN 140; Mahaniddesa p.189
Liebe: Hiruvuttaka 27, p.19; An 1:6:4; Sutta-nipata 143-152
vier Grenzenlosen (brahmavihara: « la demeure du bien »): AN 8:63; MN 99:24; 40
Helfen: AN 4:95
Freude: SN 12:23; MN 63
Glück: SN 35:136
acht weltliche Dharmas / seelische Stärke: AN 4:192; Mahaniddesa p.114 (141); Dhammapada 81
Freigebigkeit (führt zu Mitgefühl): MN 99, MN 142 (als Therapie)
Mahamudra: MN 11; Sutta-nipata 645; 10; 717; AN 1:6:1-2
Bewusstheit: AN 1:7:9; 3:73; MN 10; 125; 51; 10 (Therapie); 118 (Atem); SN 4:11; 47:4; 47:25; 47:35;
47:33; 46:28 (Therapie)
Meditation: AN 3:19 (für Therapeuten)
187
-
Shamatha – Vipassana: AN 2:3:10; Nidanas SN 12
Bodhisattva: SN 12:4:2; 12:10:2
Existenzialismus/Nihilismus: SN 12:15:7
wahrhaftiges Sprechen: MN 95:15
Lehrer untersuchen: MN 95:17
wie man zur Wahrheit erwacht: MN 95:20
sinnvolles Reden (niedere Gespräche): SN 56:9-10
* * *
Anhang 27: Textmaterial und Bibliographie
Auf der Homepage von Lama Lhundrup www.someglimpses.com lässt sich die hier vorliegende Materialsammlung finden. Auch auf unserer etwas veralteten Website www.psychodharma.org lohnt es sich nachzuschauen, speziell auch für Interessierte, die Französisch und Englisch sprechen.
Bibliographie
English:
Butler, Katy: ”On the borderline”, Tricycle 2002, 13 pages
This article describes the “Dialectical Behaviour Therapy” developed by Marsha Lineham. Born in USA 1944 she studied in the 70th (Ph.D.) and worked as a therapist from
1977 to 85. In 1986 she began her own Zen practice guided by masters, in different
communities. Afterwards, in the beginning in the 90th she integrated her newly developed
knowledge and skills into the “Dialectical Behaviour Therapy” which she created. Instead
of analysing the childhood, DBT helps borderline patients (and others) to manage their
lives on a very practical level, to function normally at the outer level, not taking serious
and not giving in with regard to the appearing disturbing emotions. On top of this they
practise “radical acceptance” of life.
Cashman, Paul: ”A team approach to treating psychosis in the community: creating a health
environment”, NJCP 5-1988, pages 117-132
Chogyam Trungpa, Rinpoche:
• ”Reflections on a new approach in psychotherapy”, Naropa Institute 5-1979, pages 1-10
• ”Creating an environment of sanity”, NJCP 2-1983, pages 1-10
• ”Acknowledging death as the common ground of healing”, NJCP 3-1985, pages 3-10
This article concerns psychological as well as physiological sickness and points out principles
that support healing.
“When we talk about healing, we are talking about how to survive… our strategy of survival
is the pattern of our reaction to the fact of death” (p. 3). “In the healer-patient relationship,
we are not concerned with trying to change people…..We are simply working with sickness
and the potential of death, rather than relying on any particular doctrine.” (p.4)
“The healing relationship is a meeting of two minds: the healer and patient or…. the spiritual
teacher and student.” Out of the basic sameness of healer and patient on a human level the
healer opens up to the suffering of the patient. When the patient feels that the healer really
listens him and understands how he feels and that there is genuine communication - and if it
was only for a moment - deep hope arises which is a support for the healing process. “The
psychological underpinning of the sickness then begins …. to dissolve.” (p.7)
•
•
•
”The meeting of buddhist and western psychology” NJCP 4-1987, pages 3-14
”Is meditation therapy?”, NJCP 6-1989, pages 3-10
”Becoming a full human being” NJCP ?, pages 4-20
Trungpa Rinpoche answers questions concerning:
188
Buddhist and western approaches to psychotherapy (points like shunyata, sitting meditation, conclusion and compassion are evoked)
Present and past orientation in therapy (sticking to the past as well as sticking guilt is
not useful for the therapeutic process)
Working with psychosis (open up to the craziness of the patients and share their space;
gentle openness to them is the beginning of healing; psychotic “non-duality”)
The importance of the environment in the therapeutic process (a really welcoming attitude towards the patient which includes a materially pleasant atmosphere is important; reducing medication)
The social context of therapy (be compassionate and do things properly and you will
develop the necessary qualities to become a political force – it is not necessary to do therapy
in the name of political goals)
Patience (even if we have the impression that the clients come over and over again with
the same problems, slowly they change if we keep on being their friends)
Dalai Lama u.a.: ”Mind science”, Wisdom Publications1991, Inhaltsverzeichnis
Dorje Drölma: ”Psychotherapy as an expression of the spiritual journey based on the experience of Shunyata”, Islands of Clarity 2003, Appendix I, pages 1-22, Appendix II, pages 1-3
Fleischmann, Paul R.: ”Awareness of anicca and the practice of psychotherapy”, NJCP 5-1988, pages 4352
Fortuna, Jeffrey M.:
”Playing with Illusion: A Sequence of Interviews”, NJCP 2-1983, pages 84-95
”Therapeutic households”, NJCP 4-1987, pages 49-73
”The friendship house”, NJCP 6-1989, pages 45-59
”The Windhorse project: recovering from psychosis at home”, NJCP 9-1994, pp.73-96
Hayward, Jeremy W.:
”Perceiving ordinary magic”, New Science Library, Shambala publications 1984, Inhaltsverzeichnis
”Shifting worlds, changing minds”, New Science Library, Shambala publications 1987, Inhaltsverzeichnis
Jones, Maxwell: ”Therapeutic communities in retrospect”, NJCP 4-1987, pages 35-48
Lhundrup, Sönam:
- ”Four foundations of mindfulness”, teaching, Dhagpo Kundrol Ling 11-2001, pages 1-14
Lindemood, Bharat J.: ”Into the light: working with dying aids patients from a contemplative perspective”,
NJCP 8-1992, pages 3-19
Lodrö Dorje: ”Human development in the Tibetan buddhist tradition”, NJCP 5-1988, pages 71-82
Luyten, Meredith F.: ”Egolessness and the ”borderline” experience”, NJCP 3-1985, pages 43-70
In this article Luyten confronts repeatedly the common view of borderline psychopathology and
the Buddhist view together with his own experiences as a therapist.
The common definition of the “Borderline Personality Disorder”, is: struggle with identity disturbance and the boundaries between oneself and others, but from the Buddhist point of view
the flickering experience of self and of the border between self and others is an existential predicament which concerns everybody.
There are two principles in the Contemplative Psychotherapy:
189
1. Egolessness - the fact of there being no ego. “It would be worthwhile to consider fear of egolessness as central to a number of pathological expressions, other than …. ‘Borderline Peronality
Disorder’.” (45)
2. Exchange. “That process by which we consciously or unconsciously experience another person’s state of mind, or they experience ours, can be called exchange.” Exchange has two aspects:
touching the experience of the other and letting go of it. The observations of this way of functioning of the mind are based on experiences made in meditation. Exchange contains aspects like
empathy, intuition and countertransference but it goes further in that it is based on egolessness. In
exchange there is no attempt to define who is responsible for the state of mind shared by therapist and client. The relaxation of the therapist and his ongoing not-grasping at the emotions can
serve as a direct example for the client how to let go of the emotions.
Exchange is the natural way of contact between beings if there is no obstruction. Fusion, retaliation and disengagement are three basic styles of rejecting egolessness or exchange. As Luyten
says, in psychology there is great resistance against the concept of egolessness.
The article describes the healing process of a borderline-patient, Dinah, and the helpful aspects in
the therapeutic relationship. Undoing the symbiosis she was living in her close relationships happened by her learning to relax into the present moment of her mind with all it’s confusion, quick
changing, uncertainty and ambivalence. Like this she found a sense of a self, of herself in a given
moment, together with qualities like humour and others, and in the long run valid long term values for her life can develop. Although this is not the “continuity of self-image” which the conventional psychotherapy perceives as a goal of therapy with borderline clients, for Luyten this therapy
has been a success.
Mc Leod, Ken: ”Apples and bricks? Some differences between Buddhism and psychotherapy”, NJCP 61989, pages 29-44
Mohatt, Gerald: ”Psychological method and spiritual power in cross-cultural psychotherapy”, NJCP 51988, pages 85-115
Molino, Anthony (Editor): ”The Couch and the Tree: Dialogues in Psychoanalysis and Buddhism”
Paperback: 384 pages ; Dimensions; Publisher: North Point Press; (October 1999), ISBN:
0865475741
A provocative and trailblazing cross-disciplinary anthology. Until this alchemical collection, no
book had replaced the 1960 classic Zen Buddhism and Psychoanalysis. Psychoanalyst Anthony
Molino offers a bold new alloy of these two major disciplines in a two-part anthology that spans
and documents a unique cross-fertilization of Eastern and Western thought. Part One of The
Couch and the Tree provides a historical overview of the classic writings in this far-reaching and
adventurous dialogue, while Part Two features a series of brilliant contemporary works. Essayists
include Adam Phillips, Mark Epstein, Masao Abe, Polly Young-Eisendrath, and Michael Eigen.
The uniqueness of both its conception and its scope make this a truly essential volume.
Anthony Molino, a psychoanalyst, anthropologist, and award-winning translator of Italian literary
works, has edited collections of interviews with prominent psychoanalysts. He lives with his wife
and his son in Italy.
Ösel Tendzin: ”Health in the buddhist tradition”, NJCP 5-1988, pages 55-69
Packard, Constance: ”Navigating the labyrinth of treatments for schizophrenia: some threads”, NJCP 81992, pages 55-74
Packard has a schizophrenic son who fell ill 1974 in the age of 17. At this time she began to meditate, which was a source of strength for her. Working as a family therapist she knows the therapeutic process from both sides. She describes the different experiences with therapies and healing
settings she made related to the illness of her son. After a disastrous therapy with a family therapist who was working with paradoxical injunctions she participated in 1986 and ’88 with her two
sons in a five days dialogue program in “Option Institute” in western Massachusetts, guided by
190
Barry and Suzi Kaufman, which was for her son the beginning of a deep change and healing
process. Later her son was a Windhorse patient in Canada for 7 months with Jeffrey Fortuna as
the principal therapist.
Patton, Pat: ”A contemplative view of addiction as experienced by a recovering alcoholic”, NJCP 9-1994,
pages 113-134
Podvoll, Edward M.: “Seduction of Madness”,
”Islands of Clarity”, preface to the new edition
Appendix II, ”The History of Sanity”, 3 pages
”The History of Sanity in Contemplative Pychotherapy”, NJCP 2-1983, pages 11-32
Rabin, Bonnie: ”A contemplative approach to clinical supervision”, NJCP 4-1987, pages 135-149
Rubin, Jeffrey B. ”Psychotherapy and Buddhism: Toward an Integration (Issues in the Practice of
Psychology) ”
* Hardcover: 207 pages ; Dimensions (in inches): 0.79 x 9.22 x 6.36
* Publisher: Plenum Pub Corp; (November 1996)
* ISBN: 0306454416
''Highly recommended.'' --- Choice
''Buddhism is now part of the contemporary cultural landscape and no other non-Western tradition has made such a large contribution to the family of psychotherapies. Rubin has done a superb job reviewing that contribution, pointing out the perils, as well as the possibilities, and describes what it looks like in clinical life.'' ---American Journal of Psychotherapy
There is currently a burgeoning interest in the relationship between the Western psychotherapeutic and Buddhist meditative traditions among therapists, researchers, and spiritual seekers. Psychotherapy and Buddhism initiates a conversation between these two modern methods of
achieving greater self-understanding and peace of mind. Dr. Jeffrey B. Rubin explores how they
might be combined to better serve patients in therapy and adherents to a spiritual way of life. He
examines the strengths and limitations of each tradition through three contexts: the nature of self,
conception of ideal health, and process of achieving optimal health. The volume features the first
two cases of Buddhists in psychoanalytic treatment.
Ingram:This original study brings two great traditions together and shows how
they mutually enrich each other. In the process Jeffrey B. Rubin offers the
spiritual seeker a new path to optimal health and well-being Pub: 9/96
.
Schechter, Jacquelyn J.: ”Contemplative photography as practise and therapy”, NJCP 9-1994, pages 135143
Silverberg, Farrell R.: ”Therapeutic resonance”, NJCP 5-1988, pages 25-42
Simmer-Brown, Judith: ” Pratityasamutpada: seeing the dependent origination of suffering as the key to
liberation”, NJCP ?, pages 15-32
Thich Nhat Hanh: ”Buddhism and psychotherapy: planting good seeds”, NJCP 7-1990, pages 97-107
Wegela, Karen Kissel:
”Contemplative Psychotherapy: A Path of Uncovering Brilliant Sanity”, NJCP 9-1994, pages 2751
”Shock, uncertainty, conviction: gateways between psychopathology and intrinsic health”, NJCP
8-1992, pages 33-52
””Touch and go” in clinical practice: some implications of the view of intrinsic health for psychotherapy”, NJCP 5-1988, pages 3-23
”How to be a help instead of a nuisance”, Shambala publications 1996, Inhaltsverzeichnis
191
Welwood, John: ”Ordinary magic”, Shambala Publications 1992, Inhaltsverzeichnis
Wit, Han de: ”Psychotherapy, buddhist meditation and health”, NJLP 7-1990, pages 57-93
for a complete list of contributions in the Naropa Journal of Contemplative Psychotherapy (NJCP), vol.
2-9, see table of contents, 1983-1994
Young-Eisendrath, Polly (Editor) and, Shoji Muramoto (Editor) ”Awakening and Insight: Zen Buddhism
and Psychotherapy”
* Paperback: 272 pages ; Dimensions (in inches): 1.00 x 9.00 x 6.00
* Publisher: Brunner-Routledge; (June 2002)
* ISBN: 0415217946
The intersection of East and West is a vital one on many levels. The efforts to integrate Buddhism
and its therapeutic ancestors to the Western ideas of Jungian Psychology have been particularly
fruitful. Taking Japanese Zen-Buddhism as its starting point, Awakening and Insight is a collection of critiques and histories of Buddhism from a psychological perspective. Based on accounts
of the Buddhism and Depth Psychology conference that took place in Kyoto in 1999, this volume
serves to unite the cousins of Eastern religion and Western thought. Featuring a new translation
of the historic conversation between Schinichi Hisamatsu and Carl Jung which took place in 1958,
Awakening and Insight will be of great interest to anyone interested in Psychology and Buddhism.
Since the 1990s, many efforts have been made to integrate Buddhism and its therapeutic ancestors
in the West, particularly Jungian psychology. Taking Japanese Zen-Buddhism as its starting point,
Awakening and Insight is a collection of critiques and histories of Buddhism. It is based on accounts of the Buddhism and Depth Psychology conference that took place in Kyoto in 1999, expanded by additional papers and commentary, and includes: New perspectives on Buddhism and
Psychology, East and West;...
Francais:
Brazier, David: "Bouddhisme et psychothérapie" JC Lattès, 2000 (livre de plus que 200 pages)
Chogyam Trungpa, Rinpoche: ”Réflexions sur une Nouvelle Approche en Psychothérapie”, Institut Naropa 5-1979, 11 pages
Kundreul Ling : “ Shamatha Présence ”, Kundreul Ling 2002, 21 pages
Podvoll, Edward M.:
“ Iles de Clarté, Les Moyens de Guérir de la Folie ”, Wind Island 2002, 78 pages
“ Ilots de Clarté, préface à la nouvelle édition ”, Draft 3-2002, 4 pages
“ L`histoire de la santé mentale dans la psychothérapie contemplative ”, ? ? ?, 12 pages
Servan-Schreiber, David : Guérir le stress, l'anxiété et la dépression sans médicaments ni psychanalyse",
Collection Réponses, Robert Laffont (livre de plus que 200 pages)
Schnetzler, Jean-Pierre : “ La Méditation Bouddhique ”, Collection Spiritualités vivantes, Albin Michel,
chapitre neuf “ La méditation bouddhique et la psychanalyse ”
Après avoir décrit l’importance de la méditation dans le bouddhisme, les différentes techniques de
méditation et étudié plus précisément Samatha et Vipassana, l’auteur aborde dans ce dernier chapitre du livre les liens et les analogies que son expérience de psychanalyste bouddhiste lui a permis
de faire entre la méditation Vipassana et la cure psychanalytique. Il fait aussi un parallèle intéressant entre les différentes cures psychanalytiques et les différents véhicules du bouddhisme.
192
Schnetzler, Jean-Pierre : “De la Mort à la Vie - Transmigration et Réincarnation, Faits et Théories”, Dervy,
284 pages
Fidèle à la voie du milieu, l’auteur aborde le sujet de la transmigration avec une approche à la fois
historique, philosophique et scientifique en s’appuyant sur les 2 500 cas prouvés de souvenirs de
vie antérieures recueillis par Ian Stevenson et ses continuateurs. Il confronte en permanence les
observations recueillies avec les enseignements du dharma. Peu à peu, au fil des différentes observations, le lecteur voit se dessiner dans le monde contemporain, les concepts séculaires des enseignements du dharma. Il apparaît de manière incontestable comment les conditions de la mort déterminent implacablement les conditions de la vie suivante. Certains témoignages permettent de
situer sans équivoque dans la vie précédente, l’origine de troubles psychologiques (psychose paranoïaque, phobies, fixations etc) ainsi que l’origine de handicaps physiques congénitaux (atrophies
de membres).
Au passage, le complexe d’Œdipe freudien se trouve complètement réécrit : c’est par attachement
au parent du sexe opposé que l’enfant choisit sa renaissance.
Après la lecture et l’étude de cet ouvrage, le psychothérapeute ne peut plus se contenter de rechercher l’origine de troubles psychologiques dans la petite enfance. Cependant, même si certaines
pistes sont données par l’auteur, dans les faits, il semble bien que tout reste à faire pour inclure les
vies antérieures dans une saine pratique de psychothérapie. Cet ouvrage est à recommander à tout
thérapeute bouddhiste.
Schnetzler, Jean-Pierre : “ Après mort et réincarnation ”, Montchardon Editions, série de 4 cassettes audio.
Enregistrement d’un enseignement de l’auteur, cette série de cassettes complète utilement
l’ouvrage : “De la Mort à la Vie - Transmigration et Réincarnation, Faits et Théories”.
Le sujet est tellement vaste et important que la synergie entre enseignement écrit et enseignement
oral permet d’assimiler encore un peu plus la quantité d’information, de faits et de phénomènes
liée au sujet. Et bien entendu, des questions surgissent dans notre esprit, des questions que
l’auteur laisse sans réponse et qui laisse présager de nombreuses années de travail pour ceux qui
voudront étudier le sujet.
Schnetzler, Jean-Pierre : “ Bouddhisme et psychologie ”, Montchardon Editions, série de 4 cassettes audio.
Enregistrement d’un enseignement de l’auteur, cette série de cassettes permet d’aborder les
concepts de base de la psychologie bouddhiste tout en les mettant en perspective avec les données
de la psychologie occidentale.
Sont notamment traités les thèmes suivants :
• Le karma et la causalité psychologique.
• L’illusion d’un moi évolutif et relatif.
• La notion de samskara (contenu inconscient) et leur rapport avec les vies antérieures.
• Les relations entre méditation et psychanalyse.
Même si l’on retrouve bien des thèmes traités dans les ouvrages de l’auteur, là aussi, la synergie
entre enseignement écrit et oral permet d’assimiler les enseignements de manière encore plus profonde.
Deutsch:
Dorje Drölma : “ Die sechs befreienden Qualitäten - eine mögliche Zielvorgabe für therapeutisches Arbeiten ”, Auszüge aus dem “ Kostbaren Schmuck der Befreiung ” von Gampopa, Theseus Verlag,
für das Seminar : Dharma und Psychotherapie, Croizet 5-2001, 4 Seiten
193
Lhundrup, Sönam : Materialsammlung zu „Dharma und Psychotherapie“, Le Bost 250 Seiten
“ Die 51 Geistesfaktoren ”, Auflistung viersprachig, 7 Seiten
Liebhardt, Ernst : “Training des Aufwachens ”, Skizze, 5 Seiten
Schillings, Astrid : “ Meditation und Psychotherapie ”, Textauswahl Raum für Sein und Weg, Focusing
Institut Köln 1997, 44 Seiten
Steurich, Matthias :
”Kum Nye – Tibetisches Heilyoga ”, 13 Seiten
“ Die Sache mit dem EGO – Ich-Stärke oder Ichlosigkeit ”, Spiritual Emergence Network 52002, 3 Seiten
Varela, Francisco J. : “ Der mittlere Weg der Erkenntnis ”, Scherz Verlag 1992, Inhaltsverzeichnis
Wit, Han F. de :
“ Mit existentiellem und “ neurotischem ” Leiden arbeiten ”, Meditation as health promotion. A
lifestyle modification approach. Proceedings of the 6th conference. K.T.Kwee(Editor), Delft :
Eburon Publishers 2000, 13 pages
“ Die verborgene Blüte ”, Verlag Via Nova 1998, Inhaltsverzeichnis
194
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