Sind Tumore reversibel?

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DGPT-Nachrichten
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Posterpreisträgerin
Sind Tumore reversibel?
Ilka Schiffer
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Toxikologie, Mainz
Sind Tumore reversibel? Eine relevante
Frage, bedenkt man, dass jeder fünfte Europäer an einer Tumorerkrankung verstirbt.
Die molekularen Mechanismen, die dazu
führen, dass eine normale Zelle entartet, sind
inzwischen relativ gut erforscht. Beispielsweise konnte die Gruppe um Harold E. Varmus, Nobelpreisträger für Medizin im Jahr
1989, in einer kürzlich erschienenen Arbeit
zeigen, dass mindestens drei Ereignisse erforderlich sind, damit gesunde Ovar-Epithelzellen der Maus entarten und ein Ovarialkarzinom bilden. Dies sind (i) die Inaktivierung eines Tumorsuppressors, z.B. P53,
(ii) die Aktivierung eines ersten Onkogens,
z.B. c-myc, und (iii) die Aktivierung eines
zweiten Onkogens, z.B. K-ras (Orsulic et al.,
2002). Falls nur zwei dieser Ereignisse auftraten, z.B. die Aktivierung von c-myc plus
K-ras oder Inaktivierung von P53 plus Aktivierung von K-ras, reichte dies für eine unmittelbare karzinomatöse Entartung nicht
aus.
Vor diesem Hintergrund erscheint die
Frage nicht abwegig, ob der Prozess der karzinomatösen Entartung reversibel sein könnte (Abb. 1). Daher haben sich Ilka Schiffer
und ihre Arbeitsgruppe die Frage gestellt,
ob durch Herunterregulation von Onkogenen im Tumorgewebe (bzw. das Wiederherstellen der Expression von Tumorsuppressoren) ein benignerer Phänotyp induziert
werden kann oder ob ein Tumor eventuell
sogar reversibel ist. Zur Untersuchung dieser Fragestellung wählte Ilka Schiffer eine
reversibel induzierbare Expressionsmethode, das TET-OFF System (Schiffer et al.,
2003). Mit diesem System war es möglich
Zelllinien herzustellen, in welchen durch
Exposition gegenüber Anhydrotetracyclin
(ATc) das Onkogen HER-2 abgeschaltet
werden kann (Abb. 2). Diese konditional
HER-2 exprimierenden Zellen wurden subkutan in Nacktmäuse gespritzt und führten
– im Gegensatz zu den Vektor-Kontrollzellen – schon innerhalb von 10 Tagen zu rasch
wachsenden Tumoren. Nun wurde durch
Verabreichung von Anhydrotetracyclin (ATc)
an die Mäuse die HER-2 Expression im Tumorgewebe ausgeschaltet. Dies führte zu einem Phänomen, das in diesem Ausmaß nicht
erwartet wurde: innerhalb von nur sieben
Tagen bildeten sich die Tumore um mehr
als 90 % ihres Ausgangsvolumens zurück
(Abb. 3). Nach 10 Tagen waren sie makroskopisch meist nicht mehr sichtbar. Ilka Schiffer konnte zeigen, dass diese dramatische
Tumorremission auf zwei Mechanismen beruht: erstens auf einer Zellzyklusblockade
und zweitens auf Induktion von Apoptose
über den mitochondrialen Weg. Leider war
diese Tumorremission nicht von Dauer (Abb.
3). Etwa 25 Tage nach Abschalten der
HER-2 Expression wurde trotz fortgesetzter Gabe von ATc erneutes Tumorwachstum
beobachtet. In diesen Rezidiv-Tumoren war
nach wie vor kein HER-2 nachweisbar. Das
TET-OFF System war demnach noch intakt. Daher muss davon ausgegangen wer-
Abb. 1: Mehrstufenkonzept der Karzinogenese.
Bekanntlich entstehen Tumore im Laufe der Aktivierung mehrerer Onkogene bzw. durch Inaktivierung von Tumorsuppressoren. Ilka Schiffer und
ihre Arbeitsgruppe haben sich die Frage gestellt,
ob dieser Prozess reversibel ist und zum Beispiel
nach Herunterregulation der Expression eines
Onkogens Tumorzellen in einen benigneren
Zelltyp überführt werden können. Hierzu setzt die
Arbeitsgruppe ein Maus-Tumormodell ein, das es
ermöglicht, im Tumorgewebe das Onkogen HER2 abzuschalten.
Abb. 2: Konditionale Expression des Onkogens HER-2. Das TET-OFF System ermöglicht die Herunterregulation von HER-2 durch Exposition gegenüber
Anhydrotetracyclin. Gezeigt sind Zellen nach 0 (Kontrolle), 1, 3 und 7 Tagen Inkubation mit Anhydrotetracyclin (nach: Schiffer et al., 2003)
BIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang
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Dr. Ilka Brigitte
Schiffer
Gewinnerin des Posterpreises der GT, 2004.
Nach ihrem Pharmaziestudium promovierte
Ilka Schiffer am Institut
für Toxikologie (Leiter:
Prof. Dr. Franz Oesch)
der Universität Mainz in
der Arbeitsgruppe von
Prof. Dr. Jan G. Hengstler. Seit Juli 2003 ist
Frau Schiffer Projektleiterin der Arbeitsgruppe
Karzinogenese. Nach
der Pensionierung von
Prof. Oesch nahm Frau
Schiffer ein Angebot der
Universitätsfrauenklinik
in Mainz an und hat ab
Juli 2004 die Leitung
des Forschungslabors
der Gynäkologie (Leiter:
Professor Dr. Heinz
Kölbl) übernommen.
Abb. 3: Herunterregulation von HER-2 im Tumorgewebe von Mäusen durch ATc Administration führt
zunächst zu einer massiven Tumorremission. Verantwortlich sind eine Zellzyklusblockade und Apoptose. Doch nach etwa 25 Tagen kommt es zu erneuter Proliferation der Tumore, obwohl die ATc Administration fortgesetzt und HER-2 nach wie vor erfolgreich herunterreguliert wurde. Bei Erreichen eines
Tumorvolumens von 1 cm3 (definiert als Tag 0) wurden den in der grünen Kurve dargestellten Mäusen
für 50 Tage ATc verabreicht. Die Daten sind Mittelwerte und Standardabweichungen von jeweils sechs
Mäusen.
den, dass die Rezidiv-Tumore eine neue biologische Qualität erworben haben, welche
ihnen ein HER-2 unabhängiges Tumorwachstum ermöglicht.
Ein ähnliches Phänomen wie in dem von
Ilka Schiffer eingesetzten Mausmodell wurde auch in der Klinik bei der Therapie des
metastasierten Mammakarzinoms beobachtet: die Karzinome sprechen häufig initial auf
die Therapie mit Herceptin, einem monoklonalen Antikörper gegen HER-2, gut an.
Es kommt jedoch fast nie zur Heilung der
Patientinnen, weil nach anfänglichem Erfolg
Herceptin bei längerer Therapiedauer meist
seine Wirkung verliert.
Somit stellte sich die Frage nach den molekularen Mechanismen, welche es den Rezidiv-Tumoren ermöglichen, unabhängig
von HER-2 wieder zu proliferieren. Obwohl
der exakte Mechanismus noch unbekannt
ist, präsentieren Ilka Schiffer und ihre Arbeitsgruppe eine erste Spur: nach Abschalten von HER-2 wird zunächst erwartungsgemäß Akt/PKB inaktiviert, eine Proteinkinase, welche anti-apoptotische Effekte vermittelt. In den Rezidiv-Tumoren ist die
Akt/PKB jedoch wieder ähnlich aktiv wie
in den Tumoren vor Herunterregulation von
HER-2.
Zurück zur Ausgangsfrage: die Antwort
auf die Frage der Reversibilität von Tumoren lautet „jein“. Sie kann jedoch spezifischer gefasst werden: auf der Ebene der Einzelzelle kann davon ausgegangen werden,
dass die meisten Tumorzellen nach Abschalten der pathogenetisch relevanten Onkogene, z.B. HER-2, zugrunde gehen. Einzelne Tumorzellen erwerben jedoch durch
sogenannte „second hits“ die Fähigkeit, unabhängig vom ursprünglichen Onkogen zu
proliferieren. Diese „second hits“ sind
selten. Geschätzt wird eine Häufigkeit von
1 auf ca. 7 x 106 Tumorzellen. Da jedoch
makroskopisch sichtbare Tumore mehrere
Milliarden an Tumorzellen enthalten, muss
davon ausgegangen werden, dass immer
dann, wenn ein Tumor klinisch auffällig
wird, bereits „second hits“ vorliegen. Auf der
Ebene makroskopisch sichtbarer Tumore
kann daher nicht von einer dauerhaften
Reversibilität ausgegangen werden – zumindest solange nicht, bis die molekulare
Identität der „second hits“ aufgeklärt ist.
Literatur
Orsulic S, Li Y, Soslow RA, Vitale-Cross LA, Gutkind JS, Varmus HE., Induction of ovarian cancer by
defined multiple genetic changes in a mouse model system. Cancer Cell. 2002;1:53-62.
Schiffer IB, Gebhard S, Heimerdinger CK, Heling
A, Hast J, Wollscheid U, Seliger B, Tanner B, Gilbert S, Beckers T, Baasner S, Brenner W, Spangenberg C, Prawitt D, Trost T, Schreiber WG, Zabel B, Thelen M, Lehr HA, Oesch F, Hengstler JG.
Switching off her-2/neu in a tetracycline-controlled mouse tumor model leads to apoptosis and tumor-size-dependent remission. Cancer Res. 63, 7221-31, 2003.
Korrespondenzadresse:
Dr. Ilka Schiffer
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Toxikologie
Obere Zahlbacher Str. 67
D-55131 Mainz
Tel.: 06131-39 30 028
[email protected]
www.toxikologie.uni-mainz.de/
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