Seite_3-34.pdf; s5; (200.00 x 275.00 mm); 14.Oct 2015 11:45:02; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien DIABETISCHE NEUROPATHISCHE OSTEOARTHROPATHIE Eine Sonderform des diabetischen Fußes Die diabetische neuropathische Osteoarthropathie, der sogenannte Charcot-Fuß, ist eine eher seltene, aber schwerwiegende Spätkomplikation des Diabetes mellitus, die meist nicht rechtzeitig erkannt wird. ie diabetische neuropathische Osteoarthropathie (DNOAP, Synonyme: Neuroosteoarthropathie, Charcotarthropathie) meist „Charcot-Fuß“ genannt, stellt als nichtinfektiöse Zerstörung von Knochen und Gelenken im Zusammenhang mit der Neuropathie eine Sonderform des diabetischen Fußsyndroms dar. Die DNOAP ist eine chronische und progressiv verlaufende Erkrankung, charakterisiert durch eine schmerzhafte oder schmerzlose Destruktion der Knochen- und Gelenkstrukturen im Bereich des Fußes. Betroffene Gelenke weisen vorwiegend eine Synovitis sowie Instabilitäten mit folgender Subluxation und Luxation und Destruktion auf. Häufig wird diese Spätkomplikation des Diabetes mellitus zumindest in den Anfangsphasen verkannt und führt unsachgemäß behandelt zu einer progredienten Zerstörung des Fußskeletts und Invalidität der betroffenen Patienten (1, 2). Die Angaben zur Häufigkeit der DNOAP bei Patienten mit Diabetes mellitus reichen von 0,1–16 Prozent. Diese erhebliche Schwankungsbreite erklärt sich durch variierende Definitionen und unterschiedliche Intensität der Untersuchung (3, 4). Zudem besteht bislang kein Konsensus für die radiologisch-diagnostischen Kriterien der DNOAP (5): So hat man in einer Studie bei 29 Prozent der Diabetespatienten mit Neuropathie radiologische Zeichen einer gestörten Knochentextur oder Disintegrität der Fußgelenke gefunden. In einer anderen Studie mit 456 Patienten wiesen nur 1,4 Prozent radiologische Zeichen einer DNOAP auf. Sowohl Diabetespatienten mit Typ 1 als auch mit Typ 2 können eine DNOAP entwickeln – zumeist nach einer Krankheitsdauer von mehr als zehn Jahren. In seltenen Fällen führt der Charcot-Fuß aber erst zur Diagnose des Diabetes mellitus (6). Die Diagnose eines Charcot-Fußes erfolgt im Mittel erst 4,5 Monate nach Präsentation der Symptome (7). Eine geschlechtsspezifische Häufung ist nicht vorhanden. In bis zu 30 Prozent der Krankheitsfälle wird ein bilaterales Auftreten der Osteoarthropathie beschrieben (8). Neuere Untersuchungen zeigen, dass die DNOAP mit einer erhöhten Mortalität der Patienten assoziiert ist (9–11). Foto: Stefan Zimny D Pathogenese Für die Entstehung der DNOAP an den Füßen von Diabetikern mit Neuropathie gibt es zwei unterschiedliche Hypothesen, die bislang nicht definitiv verifiziert sind. ● Die neurovaskuläre Hypothese nimmt eine lokale Hyperperfusion des erkrankten Fußes infolge einer autonomen Neuropathie an. Durch die pathologische Gefäßinnervation führt der verstärkte Blutstrom durch den Knochen entsprechend einem Auswaschphänomen zu einer Entmineralisierung und verminderten Belastbarkeit des Knochens. ● Die neurotraumatische Hypothese beinhaltet eine durch die vorliegende sensomotorische Neuropathie kontinuierliche Fehlbelastung des Fußes mit repetitiven Mikro- und Makrotraumata. Hierdurch wird eine chronische Destruktion von Weichteil- und Knochenstrukturen hervorgerufen, welche zum Vollbild der neuropathischen Perspektiven der Diabetologie 2/2015 | Deutsches Ärzteblatt Weichteilödem, Hautrötung und Überwärmung sind typische Zeichen der diabetischen neuropathischen Osteoarthropathie. 7 Seite_3-34.pdf; s6; (200.00 x 275.00 mm); 14.Oct 2015 11:45:02; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien Osteoarthropathie führt (12–13). Infolge der muskulären Dysbalancen der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur, hervorgerufen durch die motorische Neuropathie, verstärkt sich die Fehlbelastung des Fußes. Der Einfluss eines initialen Traumas als auslösendes Ereignis in der Pathogenese der DNOAP ist bislang nicht eindeutig geklärt. Es wurde jedoch beobachtet, dass die DNOAP insbesondere nach Traumata wie Frakturen sich rasch entwickelt und progressiv verläuft (15). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Patienten mit Diabetes mellitus kleinere Traumata, wie Frakturen der Phalangen oder Metatarsalia infolge der Neuropathie meist nicht bemerken (16). Das initiale Trauma scheint in der Pathogenese der DNOAP einen abnormalen vaskulären Reflex zu triggern, welcher einen gesteigerten Knochenblutfluss durch eine autonome Dysfunktion in Analogie der chronisch sympathischen Reflexdystrophie (Sudeck Dystrophie) bewirkt. Die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung ungünstig beeinflussend scheint auch die Tatsache, dass Diabetespatienten mit DNOAP eine geringere Knochendichte aufweisen, als Diabetespatienten mit alleiniger periphere Polyneuropathie (17, 18). Untersuchungen der biochemischen Knochenparameter, welche die Aktivitäten der Osteoklasten als auch Osteoblasten widerspiegeln, zeigen, dass bei der DNOAP sowohl im akuten als auch chronischen Verlauf die Osteoklastenaktivität gegenüber der Aktivität der Osteoblasten erhöht ist (19, 20). Klinik und Diagnose Der Verlauf der DNOAP ist akut oder chronisch bzw. chronisch mit akuten Schüben. Je nach betroffener Fußregion lässt sich die DNOAP nach Sanders in fünf Verteilungsmuster einteilen (Kasten 1, Bild 1). Am häufigsten sind die Gelenke zwischen Fußwurzel- und Mittelfußknochen betroffen (60 Prozent). Danach folgen die Gelenke zwischen Zehen und Mittelfußknochen (20 Prozent) und die Sprunggelenke (zehn Prozent) (21). Zusammenfassend charakterisieren die fünf Ds die radiologische Manifestation der DNOAP: ● 1. Distension der Gelenke ● 2. Dislokation der Gelenke und Knochen ● 3. Debris des Knochens ● 4. Desorganisation von Gelenken und Knochen ● 5. Dichteerhöhung des Knochens Nach Eichenholtz (22) wird der Verlauf der DNOAP in drei Stadien unterteilt (Kasten 2). Im Stadium I manifestiert sich die DNOAP mit Überwärmung, Rötung und Schwellung des betroffenen Fußes. Die Schmerzsymptomatik variiert interindividuell stark und wird vom Ausmaß der begleitenden sensiblen Neuropathie bestimmt. Die Haut ist in diesem akuten Stadium intakt, ein adäquates Trauma wird von den Patienten meistens nicht beschrieben. 8 KASTEN 1 Klassifikation der diabetischen neuropathischen Osteoarthropathie (nach Sanders 1993) ● Phalangen, Interphalangealgelenke, Metatarsophalangealgelenke, Mittelfußköpfchen ● Tarsometatarsalgelenke ● Fußwurzel ● Sprunggelenk ● Calcaneus Während in der konventionellen Röntgendiagnostik und Computertomographie in diesem Stadium keine pathologischen Befunde zu erkennen sind, zeigt die Magnetresonanztomographie bereits ein intraossäres Ödem auf. Durch Messung der Hauttemperatur des betroffenen Fußes mit einer Differenz > 1 °C zum gesunden Fuß lässt sich der Verdacht eines akuten Charcot-Fußes erhärten. Im Stadium II findet ein osteoklastischer Abbau der Knochensubstanz statt, der in der Röntgenaufnahme als Transparenzvermehrung bis hin zur Osteolyse einzelner oder mehrerer Knochen sichtbar wird. Je nach Entmineralisierungsgrad und mechanischer Belastung der betroffenen Skelettabschnitte kommt es zu einer progredienten Knochenfragmentierung und Gelenkdestruktion mit Subluxationsund Luxationsfehlstellungen. Weichteilödem, Hautrötung und Überwärmung sind im Stadium III rückläufig. Alternativ kann der Verlauf der DNOAP nach Levin (23) in insgesamt vier Stadien eingeteilt werden, die sich im Vergleich zu den Eichenholtz-Stadien durch rein klinische Parameter charakterisieren. Das Stadium I beschreibt den akuten CharcotFuß mit Schwellung, Rötung und Überwärmung. Das Stadium II ist durch Knochen- und Gelenkveränderungen charakterisiert. Im Stadium III treten die typischen Fußdeformitäten auf. Im Stadium IV kommen dann komplikativ zusätzliche Fußulzerationen vor. Eingetretene Knochendestruktionen sind irreversibel und ausgeprägte Fehlstellungen verändern die KASTEN 2 Stadien der diabetischen neuropathischen Osteoarthropathie (nach Sanders 1993) ● I Marködem ● IIa Entmineralisierung, Osteolyse ● IIb Entmineralisierung, Osteolyse, Fragmentierung ● IIIa Remineralisierung, intaktes Skelett ● IIIb Remineralisierung, Fehlstellung ● IIIc Remineralisierung, Subluxation, Luxation, Ulkus Perspektiven der Diabetologie 2/2015 | Deutsches Ärzteblatt Seite_3-34.pdf; s8; (200.00 x 275.00 mm); 14.Oct 2015 11:45:02; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien Makroanatomie und Statik des Fußskeletts. Bereits in diesem Stadium besteht die Möglichkeit, mit der dynamischen Pedobarographie die plantaren Druckverteilungsmuster zu registrieren, damit rezidivierende Plantarulzera als Folge der pathologischen Druckverteilung durch eine adäquate Maßschuhversorgung verhindert werden können. Die DNOAP wird trotz des typischen klinischen Bildes häufig verkannt, weshalb die Therapiemaßnahmen oft verspätet eingeleitet werden. Die Verdachtsdiagnose sollte immer dann gestellt werden, wenn bei einem Patienten mit Neuropathie eine Schwellung und/oder Rötung sowie eine Überwärmung des Fußes mit oder ohne Schmerzen vorliegen (Kasten 3). Die Diagnose kann in einzelnen Fällen Schwierigkeiten bereiten. Insbesondere die Differenzierung zur akuten oder chronischen Osteomyelitis kann problematisch sein, dann sollte die Knochenszintigraphie eingesetzt werden. Die MRT mit ihren charakteristischen Spinsignalen ist zur Darstellung der akuten wie auch chroniKASTEN 3 Klinische Hinweise auf einen akuten Charcot-Fuß ● Bestehen einer diabetischen Polyneuropathie ● Schwellung ● Rötung ● Überwärmung ● Schmerz (nur bei 2/3 der Fälle) ● Hauttemperaturdifferenz ● Fußdeformität (erst nach einigen Monaten) ● Zu Beginn Magnetresonanztomographie positiv (Marködem), Die Behandlung der chronischen Verlaufsform der DNOAP beinhaltet die Minderung der Fehlbelastung durch Umverteilung des Druckes auf die gesamte Fußsohle und den Unterschenkel. Hierzu werden Maßschuhe mit hohem Schaft und handgefertigte Weichbettungen genutzt. Als weitere Maßnahme ist die operative Korrektur von Knochenteilen, die durch äußere Maßnahmen nicht adäquat druckentlastet werden können, einzusetzen. Instabile Gelenke mit der Gefahr einer Luxation oder druckbedingten Ulzeration sollten durch einen Fixateur externe oder entsprechender Arthrodese operativ stabilisiert werden (34–36). Zu berücksichtigen ist in diesen Fällen jedoch, dass durch operative Eingriffe an einem Fuß mit einer DNOAP erneute Knochendestruktionen ausgelöst werden können (37). Fazit schen DNOAP geeignet und weist eine deutlich höhere Sensitivität und Spezifität im Vergleich zu den übrigen bildgebenden Verfahren auf (24–27). Bei klinischen Zeichen eines akuten Charcot-Fußes wird eine komplette Druckentlastung angestrebt. Diese kann durch Verwendung eines Rollstuhls und/ oder Anfertigung eines speziellen Unterschenkelgipses in Sandwichbauweise (Total Contact Cast) erfolgen. Alternativ können industriell gefertigte Aircasts (zum Beispiel Diabetic Walker) eingesetzt werden (2, 28, 29). Die einmalige Gabe von Bisphosphonaten (zum Beispiel Pamidronat intravenös) scheint durch die Osteoklastenhemmung eine günstige Wirkung auf den Krankheitsverlauf des akuten Stadiums der DNOAP zu haben, jedoch sind die Bisphosphonate für diese Indikation noch nicht zugelassen (30, 31). Nach langfristiger Ruhigstellung (vier bis fünf Monate) können übergangsweise Gipsschienen oder Zweischalenorthesen verwendet werden. Entscheidungshilfe für den Übergang zur nächsten Therapie- 10 Therapie: chronisches Stadium ● Die später radiologische Zeichen Therapie: akutes Stadium stufe ist die Temperaturmessung des betroffenen Fußes, wobei dieser im Vergleich zur gesunden Seite keinen höheren Temperaturunterschied als 1 °C aufweisen sollte (32, 33). Nach Konsolidierung des Fußes wird entweder direkt ein Maßschuh gefertigt oder es erfolgt eine Übergangsbehandlung mit einer dynamischen Unterschenkelorthese. Falls eine Verletzung oder ein plantares Ulkus vorliegt, erfolgt zunächst die stadiengerechte Wundbehandlung; wenn nötig auch eine antimikrobielle Therapie. diabetische neuropathische Osteoarthropathie, pathogenetisch durch die neurovaskuläre und die neurotraumatische Hypothese erklärt, ist eine nicht sehr häufige Spätkomplikation des Diabetes mellitus und wird aus diesem Grunde meist nicht rechtzeitig erkannt. ● Zur Diagnostik des akuten und chronischen Charcot-Fußes weist die Kernspintomographie, insbesondere zur Darstellung des Marködems mit folgender Stressläsion des Fußes, im Vergleich zu den übrigen radiologischen und szintigraphischen Verfahren eine deutlich bessere Sensitivität und Spezifität auf. ● Im akuten Stadium ist eine komplette Druckentlastung des Fußes, im chronischen Stadium eine entsprechende Maßschuhversorgung oder gegebenenfalls eine operative Korrektur zur Vermeidung von Fußulzerationen mit der Gefahr der Infektion ▄ und Osteomyelitis anzustreben. DOI: 10.3238/PersDia.2015.10.23.02 Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Zimny Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Diabeteszentrum Schwerin Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. @ Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit4315 Perspektiven der Diabetologie 2/2015 | Deutsches Ärzteblatt DIABETISCHE NEUROPATHISCHE OSTEOARTHROPATHIE Eine Sonderform des diabetischen Fußes Die diabetische neuropathische Osteoarthropathie, der sogenannte Charcot-Fuß, ist eine eher seltene, aber schwerwiegende Spätkomplikation des Diabetes mellitus, die meist nicht rechtzeitig erkannt wird. LITERATUR 1. Baglioni P, Malik M, Okosieme OE: Acute Charcot foot. BMJ 2012; 344: 1397. 2. Dissanayake SU, Bowling FL, Jude EB: The diabetic Charcot foot. Curr Diabetes Rev 2012; 8: 191–4. 3. Boulton AJ: The diabetic foot: from art to science. The 18th Camillo Golgi lecture. Diabetologia 2004; 47: 1343–53. 4. 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