Wie Elliptische Galaxien Form annehmen

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Teilchendichte der
Gaskomponente [cm–3]
Teilchendichte der
stellaren Komponente [cm–3]
50 kpc
10–2
10–3
10–4
10–2
10–3
10–4
Sauerstoffanteil O/H
relativ zur Sonne
1
10–2
10–4
300 Millionen Jahre
500 Millionen Jahre
Wie Elliptische Galaxien
Form annehmen
Ein Computermodell japanischer Forscher simuliert die dynamische
und chemische Entwicklung junger Sternsysteme – von den ersten
Gasschwaden im frühen Universum bis zu den heute beobachteten
Elliptischen Galaxien.
Wie die ersten Galaxien entstanden
sind, glauben die Astronomen in Grundzügen verstanden zu haben. Demnach
lagerten sich zunächst kleine Wolken
aus primordialem Wasserstoff- und He­
liumgas sowie erste Sterne sukzessive
zu immer größeren Gebilden zusammen. Das Gas, welches sich durch Abstrahlung thermischer Energie abkühlte, stürzte in Richtung der Zentren der
Protogalaxien, während massereiche
Sterne als Supernovae explodierten, die
Gasschwaden durcheinanderwirbelten
und sie gleichzeitig mit schwereren Elementen anreicherten.
Doch wie diese Prozesse genau abliefen, und wie sich aus den ersten Galaxien
im frühen Universum die heute sicht-
baren Sternsysteme entwickelten – dazu
gibt es noch mehr offene Fragen als Antworten.
Mehrere Astronomenteams versuchen deshalb, die dynamische und chemische Entwicklung von Galaxien mit
Hilfe von Höchstleistungsrechnern zu simulieren. Eines dieser Computermodelle
stammt von den japanischen Forschern
Masao Mori und Masayuki Umemura. In
der Zeitschrift »Nature« legten sie nun Ergebnisse vor, die verblüffend gut mit Beobachtungsdaten übereinstimmen. (Nature 440, 644–647 [2006])
Mori, der an der Senshu-Universität in Kawasaki und der Universität von
Kalifornien in Los Angeles forscht, und
sein Kollege Umemura von der Univer-
1 Milliarde Jahre

100 Millionen Jahre
Abb. 1: Vier Stadien in der Ent­
wicklung einer Protogalaxie:
Lokale Verdichtungen im pri­
mordialen Gas führen zum ex­
plosionsartigen Einsetzen der
Stern­entstehung. Massereiche,
kurzlebige Sterne explodieren
als Supernovae und verteilen
heißes, mit schweren Elementen
angereichertes Gas im Raum. Die
heißen Gasblasen dehnen sich
aus und treffen nach etwa 300
Millionen Jahren aufeinander;
an ihren Rändern sammelt sich
Materie, die sich durch Kühlung
verdichtet und neue Sterne bil­
det. Die Graphik zeigt die Ent­
wicklung für die in Sternen und
als interstellares Gas vorliegende
Materie (für beide Komponenten
variiert die mittlere Dichte zwi­
schen 10–4 und 10–2 Teilchen pro
Kubikzentimeter) sowie für den
Sauerstoffgehalt des interstella­
ren Gases (hier definiert als die
Teilchendichte von Sauerstoff re­
lativ zu derjenigen von Wasser­
stoff, bezogen auf den Wert in
unserer Sonne).
Sterne und Weltraum Oktober 2006 19
sität Tsukuba betrachteten einen würfelförmigen Raum von rund 430 000 Lichtjahren Kantenlänge. Diesen unterteilten
sie in eine Milliarde würfelförmige Untereinheiten, sodass sich eine räumliche
Auflösung von 430 Lichtjahren ergab. In
dieses Kastenuniversum packten sie gewöhnliche (»baryonische«) Materie sowie dunkle Materie mit einer Gesamtmasse von 1011 Sonnenmassen. Nach
dem Festlegen weiterer Anfangsbedingungen starteten sie die Simulation.
Im Zeitraffer konnten Mori und Umemura nun verfolgen, welche dynamischen
und chemischen Prozesse sich in ihrem
Modelluniversum abspielten. Demnach
bilden sich in den ersten 100 Millionen
Jahren die ersten Sterne in lokal verdichteten Gebieten innerhalb sub­galaktischer
Kondensationen der gewöhnlichen Materie. Die Sternentstehungsrate erreicht dabei Werte von mehr als 30 Sonnenmassen
pro Jahr. Massereiche Sterne, die wegen
ihrer hohen Zentraltemperaturen ihren Brennstoffvorrat rasch verbrauchen,
explodieren bereits nach kurzer Zeit in
schneller Folge als Supernovae des Typs
II und reichern ihre Umgebung mit Elementen an, die schwerer als Helium sind.
Diese von Astronomen »Metalle« genannten Elemente sind zu diesem Zeitpunkt
praktisch nur in der Umgebung der Stern­
entstehungsgebiete vorhanden (Abb. 1).
Supernovae als treibende Kraft
Die Supernovaexplosionen führen zu
Blasen aus heißem Gas, die sich umso
schneller ausdehnen, je weiter sie in die
Außenbezirke der lokalen Verdichtungen
und somit in Gebiete geringerer Dichte
vorgedrungen sind. Die Stoßfronten benachbarter Supernovae treffen nach rund
300 Millionen Jahren Simulationszeit
aufeinander und erzeugen dadurch noch
größere Superblasen mit Durchmessern um 150 000 Lichtjahre. Deren Rand
20 Sterne und Weltraum Oktober 2006
103
105
Sternmassen [Sonnenmassen]
107
10
zur Sonn
e
1
Sauersto
ffanteil
O/H rela
tiv

Abb. 2: Wie sich schwere Ele­
mente mit der Zeit anreichern,
spiegelt sich im Metallgehalt neu
entstehender Sterne wider. Zwi­
schen 10 Millionen und 100 Mil­
lionen Jahren nach Beginn der
Simulation streut der Gehalt von
Sauerstoff in den Sternen zwi­
schen 10–5 und 10–1 des solaren
Wertes; die Metalle sind also noch
sehr ungleichmäßig verteilt. In
der Zeit danach vereinigen sich
immer mehr der subgalaktischen
Materiekon­densationen, was die
Durchmischung des interstella­
ren Gases fördert. Nach einer Mil­
liarde Jahren weisen die meisten
Sterne den gleichen Sauerstoff­
anteil auf wie unsere Sonne.
0.1
10–2
10–3
10–4
10–5
107
108
Simulationszeit [Jahre]
wird von Gas relativ hoher Dichte gebildet, das sich mittlerweile auf etwa 10 000
Kelvin abgekühlt hat. Die höhere Dichte
führt zu mehr Stößen zwischen einzelnen Atomen, was erst zur Anregung der
Atome und anschließend zur Abgabe der
Energie durch Strahlung führt. Die dichten äußeren Schalen kühlen somit stärker
ab. Dadurch treten Instabilitäten auf, in
deren Folge sich Klumpen und Filamente
bilden, in denen eine zweite Sterngeneration mit höherem Metallgehalt entsteht.
Die darauf folgenden Sternexplosio­
nen erzeugen weitere schwere Elemente.
Durch die­se neuen Supernovae werden
die heißen Gasblasen weiter vergrößert,
und die äußeren Schalen nehmen während ihrer Expansion das mit Metallen
angereicherte Gas auf. Nach 500 Millionen Jahren haben sich die heißen Blasen
schließlich so stark ausgedehnt, dass sie
bis in den intergalaktischen Raum reichen (und somit die Grenzen des simulierten Raumbereichs verlassen).
Nach einer Milliarde Jahren Simula­
tionszeit hat das interstellare Gas mehrere Zyklen aus Sternentstehung und Supernovaexplosionen hinter sich. Einige
dichte, kühle Filamente sind in der Nähe
des Zentrums übrig; der größte Teil des
Raumes enthält stark verdünntes Gas
(rund 10 –4 Teilchen pro Kubikzentimeter) mit Temperaturen zwischen 30 000
und drei Millionen Kelvin. Die Sternent-
stehungsrate fällt wegen der geringen
Dichte schließlich auf wenige Sonnenmassen pro Jahr ab. Zu dieser Zeit ist das
Durchmischen mit schweren Elementen
praktisch abgeschlossen, und die Metallhäufigkeit entspricht derjenigen in der
Sonne. Dies bestätigt eine Analyse der
Metallhäufigkeiten in den neu entstehenden Sternen, die nun eine fast einheitliche Metallizität aufweisen, während sie
in den früheren Phasen die räumlich ungleichmäßige Verteilung der schweren
Elemente widerspiegelten.
Ähnlichkeiten mit
beobachteten Galaxien
Indem Mori und Umemura die spektrale
Energieverteilung der Strahlung der Modellgalaxie berechneten, konnten sie zeigen, dass in der Zeit bis zu etwa 300 Millionen Jahren die Lyman-Alpha-Strahlung von Wasserstoffatomen aus den
dichten, strahlungsgekühlten Gasschalen sehr stark ist. Ihre Leuchtkraft – pro
Sekunde wird eine Energie von mehr als
1036 Joule abgestrahlt – entspricht derjenigen der bei hohen Rotverschiebungen
(z ≈ 5–6) beobachteten Lyman-AlphaEmis­sionsgalaxien. Diesen Sternsystemen entspricht auch die Ausdehnung
der simulierten Galaxie von etwa 100 Kiloparsec sowie die blasenartige Struktur.
Daher könnten die im frühen Universum
beobachteten Lyman-Alpha-Emissions-
109
galaxien durch eine derartige supernovadominierte Phase in der Frühzeit eines
Sternsystems zu erklären sein.
Nach den ersten 300 Millionen Jahren
sinkt die Energieabgabe durch LymanAlpha-Strahlung deutlich um zwei Zehnerpotenzen, da auch die Zahl der Supernovaexplosionen zurückgeht. Es wird
somit weniger heißes Gas ausgestoßen,
das in den Schalen abkühlen könnte. Die
Strahlung in der Galaxie wird nunmehr
durch die kontinuierliche Strahlung der
Sterne dominiert.
Die Modellgalaxie zeigt in diesem
Stadium asymmetrische Strukturen
und Ausflüsse mit Geschwindigkeiten
bis zu 500 Kilometern pro Sekunde.
Die Gesamtmasse in den Sternen hoher Lebensdauer beträgt rund neun
Milliarden Sonnenmassen, und weitere
1.5 Milliarden Sonnenmassen stecken
in den Ausflüssen. Damit ähnelt diese Entwicklungsphase deutlich den Lyman-Break-Galaxien (das sind Galaxien
mit Rotverschiebungen z ≈ 3 und hoher
Stern­entstehungsrate, die mit einem speziellen Beobachtungsverfahren, der Lyman-Break-Technik, gefunden wurden).
Die Ähnlichkeit besteht insbesondere in
den asymmetrischen Strukturen und ihren starken metallischen Absorptionslinien, die auf eine vorhergehende Phase mit hoher Sternentstehungsrate und
anschließenden Supernovaexplosionen
hindeuten. Auch die berechnete Strahlungsintensität im Gammastrahlungsbereich passt zu einer Lyman-BreakGalaxie.
Verschiedene Entwicklungswege?
Nach insgesamt drei Milliarden Jahren erreicht die im Computer simulierte Galaxie
einen Quasi-Gleichgewichtszustand und
ist kugelförmig. Dieses Gleichgewicht ergibt sich infolge der zahlreichen gravitativen Wechselwirkungen der Sterne untereinander über diesen großen Zeitraum
hinweg. Die projizierten Flächenhelligkeitsverteilungen in verschiedenen Frequenzbändern entsprechen dem nach de
Vaucouleur benannten Helligkeitsprofil
von Elliptischen Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft. Bestimmt man
die Flächenhelligkeit, den effektiven Radius und die Geschwindigkeitsdispersion
der simulierten Galaxie, so erfüllen diese
drei Parameter eine für Elliptische Galaxien typische Korrelation: Sie sind statistisch gesehen nicht unabhängig, sondern
bilden eine Ebene in diesem dreidimensionalen Raum, die so genannte Fundamentalebene Elliptischer Galaxien.
Die (eventuell abgeplattete) Kugelgestalt und die Fundamentalebene sind in
der Tat die herausragenden Kennzeichen
der Elliptischen Galaxien, im Gegensatz
zu den Spiralgalaxien, die aus einer rotierenden Scheibe mit einzelnen Spiral­
armen bestehen. Reale Galaxien sind oft
Mischformen, zum Beispiel Elliptische
Galaxien mit schwach ausgeprägten
Scheiben oder Spiralgalaxien mit einem
kleinen kugelsymmetrischen Kern. Mit
ihrer Simulation haben Mori und Ume­
mura nun einen möglichen Entwicklungsweg Elliptischer Galaxien aufgezeigt, der zugleich verschiedene Beobachtungen bei höheren Rotverschiebungen,
also zu früheren Zeiten im Universum,
erklären könnte.
Tatsächlich könnte die Entstehungsgeschichte sogar noch komplizierter sein,
denn Beobachtungen deuten darauf hin,
dass Elliptische Galaxien auch durch Kollisionen von Spiralgalaxien entstehen.
Dies folgert man unter anderem daraus,
dass es innerhalb von Galaxienhaufen
mehr Elliptische als Spiralgalaxien gibt,
während außerhalb die Spiralgalaxien
vorherrschen (siehe den nachfolgenden
Artikel auf S. 22). Auch die Rolle der extrem massereichen Schwarzen Löcher in
den Zentren der Galaxien mit mehreren
Millionen bis Milliarden Sonnenmassen
ist damit noch nicht geklärt. Dennoch
zeigen viele Entwicklungsphasen aus dieser Simulation große Ähnlichkeit mit tatsächlichen Beobachtungen, was darauf
hindeutet, dass damit wesentliche Prozesse in der Galaxienentwicklung bereits
gut beschrieben werden.
Dominik Schleicher
Sterne und Weltraum Oktober 2006 21
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