Allgemeine WRäume 7 75 Allgemeine WRäume Der Abschnitt hat den allgemeinen WRaum bzw. den Maÿ- Überblick raum zum Gegenstand. Dazu wird zunächst der Begri der σ Algebra eingeführt; ein (wichtiger) Spezialfall stellt die Borel'sche σ Algebra über dem Rn dar. Der Begri des WMaÿes ist in Abschnitt 3 über einem diskreten Ausgangsraum eingeführt worden, was eine erhebliche Vereinfachung bedeutet. Als Ereignissystem (Gesamtheit aller Ereignisse) wurde und konnte die Potenzmenge P(Ω) (Menge aller Teilmengen einer Menge) des diskreten Ausgangsraumes Ω herangezogen werden. Eine Leitidee, die bei überabzählbaren Ausgangsräumen aufgrund logischer Widersprüche aufgegeben werden muss. Als Indiz für das Gesagte mag dienen, dass es auf P(R) der Potenzmenge von R, kein translationsinvariantes Maÿ gibt; d.h., es gibt auf P(R) kein Maÿ, das kongruenten Figuren stets dieselbe Maÿzahl zuordnet. Der Ausweg besteht darin, dass Maÿe über sogenannten σ Algebren deniert werden; im Spezialfall des Rn wählt man insbesondere die sogenannte Borel'sche σ Algebra. Für die Behandlung praktischer Proble- Allgemeine WRäume 76 me im Rn ergeben sich dadurch kaum Einschränkungen. 7.1 Denition (σ Algebra) Ein System A von Teilmengen über Ω heiÿt σ Algebra (über Ω), falls gilt: (7.1.1) Ω∈A (7.1.2) (7.1.3) mit einer Folge A ∈ A ⇒ Ac ∈ A (An ) von Mengen aus ∞ [ A gilt auch An ∈ A . n=1 Beispiele von σ Algebren über Ω6= ∅ sind etwa die Systeme {∅, Ω} oder {∅, A, Ac , Ω} für A ⊂ Ω oder P(Ω) . Als unmittelbare Konsequenz aus 7.1 erhält man die Allgemeine WRäume 77 7.2 Folgerungen 7.2.1 ∅ ∈ A . 7.2.2 Ist (An ) eine Folge von Mengen aus A, so gilt auch ∞ \ An ∈ A . n=1 7.2.3 Ai ∈ A, i = 1, . . . , n ⇒ n [ Ai ∈ A bzw. i=1 n \ Ai ∈ A . i=1 7.2.4 Mit Ai ∈ A, i = 1, 2 gilt auch A1 \A2 ∈ A . Man sagt für 7.2.2 bzw. 7.2.3 auch, dass eine σ Algebra gegenüber den Operationen Vereinigung und Durchschnitt bez. endlich oder abzählbar vieler Elemente der σ Algebra abgeschlossen ist. 7.3 Borel'sche σ Algebra Über R bzw. Rn wird standardmäÿig die sogenannte Borel'sche σ Algebra B bzw. Bn verabredet, wobei hier auf eine förmliche Einführung verzichtet wird. Als σ Algebra genügen B bzw. B n den Bedingungen aus (7.1.1) (7.1.3). Allgemeine WRäume 78 Darüber hinaus enthält B die Mengensysteme (Mengen von Mengen) • aller Halbintervalle (−∞, x] mit x ∈ R • aller Intervalle (a, b), (a, b], [a, b) und [a, b] mit a≤b⊂R • aller oenen Mengen aus R. Entsprechendes gilt für B n . Von Bedeutung ist, dass B n auch stets alle Einpunktmengen {x} ⊂ Rn mit x ∈ Rn enthält; ein Sachverhalt, der bei beliebigen σ Algebren nicht zutreen muss; vgl. z.B. die σ Algebra {∅, Ω} über Ω. Da die Borel'sche σ Algebra B n zum Standard Denitionsraum für WMaÿe über dem Rn gemacht wird, heiÿt dies, dass auch den Einpunktmengen des Rn Maÿwerte zukommen. Allgemeine WRäume 79 7.4 Denition 7.4.1 Das Tripel (Ω, A, P ) mit Ω als nichtleerer Menge, A als σ Algebra über Ω und einer Abbildung P : A → R+ (7.4.1.1) P (Ω) = 1 heit), (7.4.1.2) P (A) ≥ 0 tivität), mit (Normiert- (A ∈ Ω) (Nichtnega- (7.4.1.3) für jede Folge (An ) paarweiser fremder Mengen aus A gilt ! ∞ ∞ X X An = P (An ) (σ−Additivität) P 1 1 heiÿt (allgemeiner) Wahrscheinlichkeitsraum (W Raum); Ω heiÿt Ausgangsraum; A steht für das Ereignissystem; P heiÿt WMaÿ. Die Elemente von A heiÿen messbare Mengen. (Ω, A) heiÿt Messraum; wir sprechen vom WMaÿ P über dem Messraum (Ω, A). Allgemeine WRäume 80 7.4.2 Wird die Bedingung (7.4.1.1) P (Ω) = 1 zugunsten von P (∅) = 0 aufgegeben, so spricht man von P als von einem Maÿ und schreibt anstelle von P nunmehr µ, ν etc.; (Ω, A, µ) heiÿt Maÿraum. ∞ P ( An meint die disjunkte Vereinigung, 1 d.h., die Vereinigung der disjunkten Mengen An ) Beachten Sie: Nur den messbaren Mengen, also den Elementen der σ Algebra A, können Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden. 7.5 Die Realisation gemäÿ einem WMaÿ als auÿermath. Konzept In der intuitiven, auÿermathematischen Deutung meint P (A) die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig gemäÿ P zustandegekommenes (durch Messung oder Beobachtung ermitteltes) ω̄ ∈ Ω in die Menge A hineinfällt, d.h., dass ω̄ ∈ A für A ∈ A gilt. Man spricht von ω̄ als von einer Realisation gemäÿ dem W-Maÿ P . Allgemeine WRäume 81 Die empirische Überprüfung, ob es sich bei vorgegebenen Realisationen um solche gemäÿ P handelt, ist nur für ein Kollektiv möglich; vgl. Experiment 15.1 . Allgemeine WRäume 82 7.6 Das BorelLebesgue Maÿ 7.6.1 Auf (R, B) ist (ohne Beweis) ein Maÿ µ eindeutig durch die Vorgabe für a < b ∈ R µ((a, b]) = b − a festgelegt. µ heiÿt das BorelLebesgue Maÿ (BL Maÿ) auf B, wobei anstelle von µ speziell das Zeichen λ verwendet wird. 7.6.2 λ stellt ein allgemeines Maÿ auf B über R dar; λ ist also kein WMaÿ. Ist nun A ∈ B eine Menge aus R, z.B. das Intervall [0; 1], so stellt die sog. Einschränkung λA von λ auf A ein WMaÿ dar; nämlich die sogenannte Gleichverteilung auf A (allgemeine Gleichverteilung) λA (B) := λ(B) λ(A) (B ⊂ A, B ∈ B) . Oenbar ist λA (A) = 1 . Im Falle A := [0; 1] gilt λ[0;1] (B) = λ(B) (B ⊂ A, B ∈ B) .