Versuch 12: Phasenbeziehung im Wechselstromkreis Mit Hilfe eines Zweistrahloszilloskops soll die Phasenbeziehung von Strom und Spannung bei Wechselstromwiderständen sichtbar gemacht und in Abhängigkeit von der Frequenz bestimmt werden. Vorkenntnisse Wechselstrom - Wechselspannung - Kirchhoffsche Regeln - Schaltkreise mit ohmschem Widerstand, Kapazität und Induktivität - Phasenbeziehungen - Berechnung der Schaltkreise - Resonanz - Anwendungen - Messung von Wechselstrom und Wechselspannung - Spitzenwert, Effektivwert Leistungsmessung - Blindleistung und Wirkleistung - Rechenregeln für komplexe Zahlen - Funktionsweise eines Oszilloskops - Zeigerdiagramm - Resonanzkreis Physikalische Grundlagen Wechselströme Ein Wechselstrom ist ein elektrischer Strom, dessen Stromstärke eine periodische Funktion der Zeit ist. Ist diese Funktion harmonisch, dann kann dieser bei geeigneter Wahl des Zeitpunkts t = 0 beschrieben werden durch eine Gleichung der Form I = I0 cos ωt (1) I0 ist die Amplitude oder der Scheitelwert des Wechselstroms, ω seine Kreisfrequenz. Die Dauer einer Periode ist gegeben durch T = 2π/ω, die Frequenz durch f = 1/T = ω/2π. Der Wechselstrom wird hervorgerufen durch eine Wechselspannung gleicher Frequenz: U = U0 cos (ωt + ϕ) (2) Offensichtlich kann das Ohmsche Gesetz der Proportionalität von U und I U =RI (3) mit R als reellem Proportionalitätsfaktor bei Wechselströmen nur dann gelten, wenn Strom und Spannung phasengleich oszillieren. (ϕ = 0 in Gleichung (2)). Dieses ist im allgemeinen jedoch nicht der Fall. Will man die Form (3) auch bei Wechselströmen im allgemeinen verwenden, so muss man die reelle Zahl R durch eine Größe ersetzen, in der sowohl die Informationen über den Betrag U0 /I0 als auch über die Phasendifferenz ϕ zwischen Spannung und Strom zusammengefasst ist. Dieses leistet die Einführung des komplexen Widerstandes Z̃, auch Impedanz genannt. (Im Folgenden sind komplexe Größen im Unterschied zu reellen Zahlen mit einer kleinen Schlange gekennzeichnet.) 1 2 Versuch 12: Phasenbeziehung im Wechselstromkreis Impedanzen in einem Reihenkreis aus L, R und C Abb. 1 zeigt die Reihenschaltung einer idealen Spule mit der Selbstinduktivität L, eines idealen ohmschen Widerstands R und eines idealen Kondensators mit der Kapazität C. Den durch diesen Kreis fließenden Wechselstrom I = I0 cos ωt veranschaulichen wir durch einen mit der Winkelgeschwindigkeit ω in der Gaußschen Zahlenebene rotierenden Phasenzeiger der Länge I0 : I˜ = I0 (cos ωt + i sin ωt) = I0 eiωt R L C ~ U Abb. 1: Serienkreis (4) ˜ Der Spannungszeiger Ũ läuft um den Winkel ϕ phasenverschoben gegenüber dem Stromzeiger I: Ũ = U0 ei(ωt+ϕ) (5) Der gewaltige Vorteil der komplexen Wechselstromrechnung gegenüber der Benutzung von sin − und cos −Termen besteht darin, dass sich der Phasenwinkel ϕ durch Einführung einer komplexen Amplitude Ũ0 = U0 eiϕ aus dem Argument der exp-Funktion „rausziehen“läßt: Ũ = Ũ0 eiωt (6) Um die Phasenverschiebung ϕ in einem Serienschaltkreis aus L, R und C zu bestimmen, zerlegen wir Ũ in die an den einzelnen Bauteilen abfallenden Teilspannungen: Ũ = ŨL + ŨR + ŨC (7) Die Kirchhoffschen Regeln gelten nämlich bei Verwendung von komplexen Zahlen für Ströme und Spannungen auch im Wechselstromfall. An einer idealen Spule (d.h. einer Spule mit verschwindendem Gleichstromwiderstand) fällt allein die durch die zeitliche Stromänderung induzierte Spannung ab: dI˜ d Ũ = L I0 eiωt = L i ω I0 eiωt = i ω L I˜ (8) =L dt dt Für die Spannung an einem idealen Kondensator (d.h. einem Kondensator mit unendlich hohem Gleichstromwiderstand) gilt mit Q̃ als (ebenfalls seine Phasenverschiebung zum Strom enthaltende) komplexe Ladung: Z Z 1 1 1 ˜ 1 1 Q̃ = I˜ dt = I0 eiωt = I (9) I0 eiωt dt = ŨC = C C C C iω iωC Am ohmschen Widerstand sind Strom und Spannung natürlich phasengleich: ŨR = R I˜ Einsetzen der Gleichungen (8) bis (10) in (7) ergibt: 1 + R I˜ = Z̃ I˜ Ũ = iωL + iωC (10) (11) mit der komplexen Impedanz: 1 1 Z̃ = iωL + + R = R + i ωL − iωC ωC Der Betrag der Impedanz ergibt das Verhältnis der (reellen) Amplituden U0 /I0 : s 2 q 1 U0 2 2 = |Z̃| = Re (Z̃) + Im (Z̃) = R2 + ωL − I0 ωC (12) (13) 3 Versuch 12: Phasenbeziehung im Wechselstromkreis iωL Im Der Betrag der Impedanz durchläuft offensichtlich ein Minimum für ωL−1/ωC = 0 oder ω = (LC)−1/2 , der sogenannten Resonanzfrequenz dieses Serienschaltkreises. Dieser Zusammenhang läßt sich insbesondere in der Darstellung der Gauß’schen Zahlenebene (s. Abb. 2) verdeutlichen. Das Argument von Z̃ (Winkel zur positiven, reellen Achse in der Gaußschen Zahlenebene) ist gleich der gesuchten Phasendifferenz ϕ: Z̃ ϕ R Re 1/iωC Abb. 2: Darstellung komplexer Impedanzen in der Gaußschen Zahlenebene. tan ϕ = ωL − 1/ωC Im(Z̃) = R Re(Z̃) (14) Die Phasenverschiebung von Spannung und Strom verschwindet offensichtlich gerade im Resonanzfall. Experiment Beim Versuch werden zwei aus einer Schaltung abgegriffene Spannungen mit einem Zweikanaloszilloskop sichtbar gemacht. Die Phasenbeziehung zwischen Strom und Spannung kann bestimmt werden, wenn das Stromsignal über den Spannungsabfall an einem rein ohmschen Widerstand dargestellt wird. Die für den Versuch benötigte sinusförmige Wechselspannung wird einem kontinuierlich durchstimmbaren RC-Generator entnommen. Alle Phasenbeziehungen werden auf dem Oszilloskop dadurch bestimmt, dass man die Nulldurchgänge der beiden Signale miteinander vergleicht. Ihre Lage ist unabhängig von der Amplitude, doch empfiehlt es sich, aus Gründen der Genauigkeit auf etwa gleiche Amplituden einzustellen, damit die Nulllinie unter etwa gleichem Winkel geschnitten wird. Durch Einstellung des Schalters TIMEBASE kann gerade eine halbe Periode auf dem Bildschirm dargestellt werden. Verschiebungen in der Horizontalen und Vertikalen sind mit Hilfe der Reglers POSITION möglich. Bei Phasenverschiebungen oberhalb 75◦ sinkt wegen der dann rasch ansteigenden tan-Funktion die Genauigkeit rasch ab. In diesem Fall sollte über die Spitzenwerte von Strom und Spannung eine Kontrolle erfolgen. Am Oszilloskop sind zur Bestimmung dieser Werte die Eingangsverstärker auf kalibrierte Verstärkerwerte zu schalten. Eine Anleitung zur Bedienung des Oszilloskops liegt am Meßplatz aus. Im Zweifelsfall hilft der betreuende Assistent. 1. Bestimmung der Phasenverschiebung in einem RC-Kreis C ~ UR R Abb. 3: Schaltung 1 URC Zunächst ist die Schaltung gemäß Abb. 3 aufzubauen. Die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung soll jeweils für 10 verschiedene Frequenzen zwischen 100 und 1000 Hz bestimmt werden. Tragen Sie die Phasenverschiebung über der Kreisfrequenz auf. Das Ergebnis ist mit der durch Rechnung zu ermittelnden Phasenbeziehung zu vergleichen: tan ϕ = − 1 ωRC (15) Stellen Sie das Ergebnis in für einen Wert in der Gaußschen Zahlenebene graphisch dar. Die Zeigerlänge wird aus den Scheitelwerten für Strom und Spannung, die mit dem Oszilloskop bestimmt werden können, berechnet. 4 Versuch 12: Phasenbeziehung im Wechselstromkreis 2. Bestimmung der Induktivität von Spulen Mit Hilfe der in Abb. 4 skizzierten Schaltung ist die Induktivität einer Spule mit 1000 Windungen mit und ohne Eisenkern zu bestimmen. Als Meßfrequenzen sind wieder 10 verschiedene Werte zwischen 100 und 1000 Hz zu wählen. Dazu wird die Phasenverschiebung zwischen dem Strom (gemessen durch den Spannungsabfall an R1 ) und der Spannung UL,R gemessen. Die Induktivität folgt dann aus der Gleichung: tan ϕ = ωL R L ~ R1 U R1 UL,R Abb. 4: Schaltung 2 (16) Dabei muss für den Widerstand R die Summe aus dem Gleichstromwiderstand der Spule und dem ohmschen Widerstand R1 eingesetzt werden. Bilden Sie den Mittelwert aus den Messungen (Fehlerrechnung!). Schätzen Sie die Permeabilität des Eisenkerns ab, indem Sie Streuverluste der Spule mit und ohne Eisenkern vernachlässigen. 3. Phasenverschiebung im Resonanzkreis Es wird ein Serienkreis aus L, R und C dargestellt (s. Abb. 5) und die Phasenbeziehung zwischen Strom und Spannung im Frequenzbereich von 100Hz bis 1000Hz in 20 Schritten L bestimmt. Überlegen Sie sich, wie Sie hierbei die größte GeC nauigkeit erreichen können. UL,R,C U Gleichzeitig ist der Betrag der Impedanz (Gleichung (13)) R1 R1 experimentell zu bestimmen. Die Ergebnisse sollen graphisch dargestellt werden. Es ist die Spule ohne Eisenkern zu verwenden. Abb. 5: Schaltung 3 Bei der Resonanzkreisfrequenz ωres = 2πνres wird die Phasenverschiebung Null und der Betrag der Impedanz minimal. Die Frequenz νres ist genau zu bestimmen. Ferner ist sie mittels der folgenden Beziehung zu berechnen: ωres L − 1/ωres C tan ϕ = =0 (17) R ~