100. MNU Kongress Regensburg 2009 Der Klimawandel und seine Ursachen Christian-D. Schönwiese Goethe-Universität, Institut für Atmosphäre und Umwelt, Postfach 111932, 60054 Frankfurt Kurzfassung Die Rekonstruktion des Klimageschehens zeigt, dass das Klima stets variabel in Zeit und Raum ist, und dies aus den unterschiedlichsten, zunächst natürlichen Gründen. Aber spätestens seit dem Industriezeitalter ist der Mensch als global wirksamer Klimafaktor hinzugetreten. Die für diese Zeit besonders verlässliche und dichte Informationsbasis lässt außer dem im globalen Mittel beobachteten Erwärmungstrend auch die komplizierten regionalen Strukturen des Klimawandels erkennen. Dazu kommen überlagerte Fluktuationen und Extremereignisse. Mit Hilfe physikalischer und statistischer Klimamodelle gelingt es, die Anteile der verschiedenen Ursachen im Klimageschehen zu erkennen, wobei im Industriezeitalter natürlich vor allem die Sonnenaktivität, der Vulkanismus, El Niño und anthropogen die Emission von Treibhausgasen sowie die Bildung von Sulfataerosol bedeutsam sind, mit einem offenbar drastisch zunehmenden Einfluss des Effektes der Treibhausgase. Szenarien und entsprechende Klimamodellprojektionen weisen auf so große Risiken in der Zukunft hin, dass Handeln erforderlich ist. 1. Einführung Betrachtet man die zeitliche Größenordnung der in der Erdatmosphäre auftretenden Phänomene, so reicht sie von Sekundenbruchteilen bis zu Jahrmilliarden [1]. Dabei wird das Klima im Gegensatz zum Wetter, das im wesentlichen die Zeitskala von Stunden bis Tagen umfasst, langzeitlich definiert. Wetterphänomene gehen aus dieser Sicht in Form einer Langzeitstatistik (z.B. Häufigkeitsverteilung) in die Klimabetrachtung ein, wobei international eine Beobachtungszeit von mindestens 30 Jahren als erforderlich angesehen wird. Davon ausgehend führt der Weg über die Jahrzehnte, Jahrhunderte usw. bis in die geologische Frühzeit. Mit Hilfe der indirekten Rekonstruktionen der Paläoklimatologie ist mit maximal 3,8 Mrd. Jahren fast die gesamte Erdgeschichte (4,6 Mrd. Jahre) klimatologisch überschaubar, allerdings immer ungenauer und unsicherer, je weiter diese Rekonstruktionen zurückreichen. Relativ genau sind die letzten ca. 650000 Jahre mit Hilfe von polaren Eisbohrungen erfassbar, die nicht nur Erkenntnisse über die Temperatur, sondern u.a. auch über die atmosphärische Zusammensetzung (CO2, CH4, N2O) zugänglich machen [1,2,3]. Sie zeigen das Wechselspiel der Kalt- („Eis“-) und Warmzeiten, die primär von den Orbitalparametern der Erdumlaufbahn um die Sonne gesteuert werden. Nach dem Ende der letzten Kaltzeit vor etwa 11000 Jahren ist das Klima thermisch relativ stabil gewesen, was die Entwicklung der Menschheit sicherlich begünstigt hat, obwohl auch die Klimavariationen der letzten Jahrtausende in ihren Auswirkungen nicht unterschätzt werden dürfen. Für sie sind hauptsächlich die Sonnenaktivität und der Vulkanismus, zusammen mit Zirkulationsschwankungen des Ozeans und der Atmosphäre, verantwortlich. Im Industriezeitalter, insbesondere in den letzten ca. 100 Jahren, hat dann eine sehr bemerkenswerte weil rasche Erwärmung eingesetzt. Diese Zeit soll im folgenden in ihren Klimaaspekten und Ursachen näher betrachtet werden, bevor in den Schlusskapiteln noch die Zukunftsprojektionen und einige Folgerungen angesprochen werden. 2. Der Klimawandel im Industriezeitalter Meist steht bei der Betrachtung des Klimawandels im Industriezeitalter zunächst die global gemittelte bodennahe Lufttemperatur im Blickpunkt, die als „Global Warming“ auch in der Öffentlichkeit häufig diskutiert wird. In ihren Jahresanomalien 1850-2008 ist sie in Abb. 1 dargestellt. Der eigentlich nicht lineare Langzeittrend, der linear 1901-2000 rund +0,7 °C beträgt, ist offenbar von ausgeprägten Fluktuationen und Jahresanomalien überlagert, wobei 1998 das bisherige Maximum aufgetreten ist. Diese vielleicht gering erscheinende Erwärmung ist für das Klima viel und entsprechend wirksam, was unter anderem der Rückgang der sommerlichen Meereisbedeckung in der Arktis (seit 1980 ca. 40 %) oder der Rückzug vieler Gebirgsgletscher (in den Alpen Volumenverlust seit 1850 insgesamt ca. 50 %) deutlich vor Augen führen [2]. Regional aufgeschlüsselt ergibt sich ein kompliziertes Bild der Temperaturtrends des letzten Jahrhunderts, wobei Maxima bis über 2 °C auftreten und die im globalen Mittel beobachtete Erwärmung auch von regionalen Abkühlungen (bis ungefähr -0,7 °C) begleitet ist [1]. Hinzu kommen jahreszeitliche Unterschiede und Veränderungen der regionalen Strukturen im Laufe der Zeit. Typisch für regionale Betrachtungen ist auch, dass die Jahres- bzw. Jahreszeitenanomalien gegenüber dem Langfristtrend deutlich ausgeprägter sind als bei großräumiger, insbesonde- 2 Globaltemperatur, Jahresanomalien 1850 - 2008 0,6 1998 Temperaturanomalien in °C . (relativ zu 1961-1990) 0,4 0,2 1944 1878 0 -0,2 1976 1964 -0,4 1956 1911 1862 -0,6 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Zeit in Jahren Abb. 1: Jahresanomalien 1850-2008 (relativ zu 1961-1990) der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur, lila, polynomialer Trend, rot gestrichelt und 30-jährige Glättung, blau; außerdem sind einige extreme Jahre angegeben. Der lineare Trend 1901-2000 beträgt + 0,7 °C, der Flächenmittelwert 1961-2990 liegt bei 14 - 15 °C. (Datenquelle: Climatic Research Unit, Universität Norwich, England; Bearbeitung: Schönwiese [1], ergänzt). Deutschland-Temperatur, Jahresanomalien 1761-2008 2,0 Temperaturanomalien in °C . 1,5 1779 1,0 1822 1834 2007 2000 1994 1989/90 (relativ zu 1961-1990, mit 30-jähr. Tiefpassfilterung) 1934 1868 0,5 0,0 -0,5 -1,0 1962/63 -1,5 1940 1996 1956 -2,0 1799 1805 -2,5 1829 -3,0 1760 1780 1800 1820 1840 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 Zeit in Jahren Abb. 2: Jahresanomalien 1761-2008 (relativ zu 1961-1990) der bodennahen Lufttemperatur des Flächenmittels Deutschland, lila, polynomialer Trend, schwarz gestrichelt und 30-jährige Glättung, rot; außerdem sind einige extreme Jahre angegeben. (Datenquelle: Rapp [11], ergänzt nach Daten des Deutschen Wetterdienstes, Bearbeitung: Schönwiese [1], ergänzt; Der Flächenmittelwert 1961-1990) beträgt 8,3 °C. Tab. 1: Übersicht der beobachteten bodennahen Temperatur- und Niederschlagtrends in Deutschland (Quelle: Schönwiese [1] nach Daten von Rapp [11] und des Deutschen Wetterdienstes). Klimaelement Temperatur, Niederschlag, Frühling Sommer Herbst Winter Jahr 1901 – 2000 + 0,8 °C + 1,0 °C + 1,1 °C + 0,8 °C + 1,0 °C 1951 – 2000 + 1,4 °C + 0,9 °C + 0,2 °C + 1,6 °C + 1,0 °C 1901 – 2000 + 13 % -3% +9% + 19 % +9% 1951 – 2000 + 14 % - 16 % + 18 % + 19 % +6% 3 re globaler Mittelung. So ist in Abb. 2, wo die Jahresanomalien 1761-2008 der Flächenmitteltemperatur für Deutschland zusammengestellt sind, zwar ein ganz ähnlicher Langzeittrend wie bei den Globaldaten zu erkennen, aber die Jahresanomalien unterscheiden sich eklatant. In Deutschland sind nämlich die bisherigen Temperaturmaxima in den Jahren 2000 und fast gleichauf 2007 eingetreten. Jahreszeitlich gesehen sind einige ebenfalls in jüngerer Zeit eingetretene Wärmerekorde bemerkenswert, z.B. im Winter 2006/2007 und im Hitzesommer 2003, der zudem auch sehr niederschlagsarm gewesen ist. Ein Blick auf die Langzeittrends von Temperatur und Niederschlag in Deutschland (vgl. Tab. 1) weist auf eine etwas stärkere Erwärmung als im globalen Mittel hin, die sich 1901-2000 ziemlich gleichmäßig auf alle Jahreszeiten verteilt, in den letzten Jahrzehnten jedoch vor allem im Winter ausgeprägt ist. Hand in Hand damit gehen Niederschlagszunahmen, mit Ausnahme des Sommers, wo sich der Trend zu weniger Niederschlag in den letzten Jahrzehnten deutlich verstärkt hat. 3. Das Problem der Extremereignisse Besondere Beachtung finden wegen ihrer Folgen mit Recht die Extremereignisse. Sie können in Form von z.B. extremen Windböen, tagelang anhaltenden Starkniederschlägen, Hitzesommern usw. in sehr unterschiedlichen zeitlichen Größenordnungen auftreten (wobei der Sommer in der Klimatologie die Monate Juni, Juli und August umfasst, der Winter den Dezember des Vorjahres, Januar und Februar). So hat der Hitzesommer 2003 in Europa ca. 55000 zusätzliche Todesfälle [4] und einen volkswirtschaftlichen Schaden von 13 Mrd. US$ zur Folge gehabt [5]. Ähnlich hoch war der Schaden beim Hochwasser im August 2002 in der Elbe-Region. Spitzenreiter aber ist bisher der Hurrikan Katrina in den USA (insbesondere New Orleans) im August 2005: 125 Mrd. US$ (und 1322 Tote). Insgesamt sieht die Versicherungswirtschaft bei globaler Betrachtung einen stark zunehmenden Trend der Schäden durch sog. „große Naturkatastrophen“ (und zwar von der Dekade 1960/69 bis 1998/2007 um den Faktor 7[5]). Dieser Trend hängt aber nicht nur mit dem Wetter bzw. Klima, sondern auch mit der Zunahme der Bebauung gefährdeter Gebiete und Wertekonzentrationen zusammen. Unabhängig davon zeigen statistische Analysen zwar nicht überall, aber oftmals eine Häufigkeitszunahme extrem hoher Temperaturen (Tagesmaxima, milde Winter, Hitzesommer usw.) und beim Niederschlag Trends zu teilweise extrem wenig (Dürren) bzw. extrem viel (Starkniederschläge), was die Überschwemmungsgefahr erhöht. Hinsichtlich Details sei auf die Literatur verwiesen [1,3,6,7]. Extreme Hitze und Dürre lässt auch immer wieder Waldbrände außer Kontrolle geraten. Dagegen ist beim Wind die Situation weniger klar, abgesehen von der Tendenz, dass tropische Wirbelstürme offenbar intensiver werden [3,8]. 4. Ursachendiskussion und Modelle Noch vielfältiger und komplizierter als die Beobachtungsdaten-Situation sind die Ursachen des Klimawandels. Mit Beschränkung auf das Industriezeitalter und relativ großräumig wirksame Prozesse sind zunächst die Wechselwirkungen im Klimasystem zu nennen, das aus den Komponenten Atmosphäre, Hydrosphäre (Salzwasser des Ozeans und Süßwasser der Landgebiete), Kryosphäre (Land- und Meereis), Erdoberfläche (Pedo-/Lithosphäre) und der Biosphäre (insbesondere Vegetation) besteht. Als prominentes Beispiel sei das El-Niño-Phänomen genannt, eine atmosphärisch-ozeanische Wechselwirkung, die sich in episodischen (Zyklus von ca. 3-7 Jahren) Erwärmungen der tropischen Ozeane, insbesondere des tropischen Ostpazifiks, äußert. Dagegen sind in den externen Einflüssen Ursachen zu sehen, deren Folgen nicht auf die Ursachen zurückwirken, die aber dennoch durch interne Wechselwirkungen modifiziert werden. Beispiele dafür sind die Sonnenaktivität (Sonnenfackeln, Protuberanzen usw.), die bei Zunahme die (ganze) Atmosphäre erwärmt und der explosive Vulkanismus, der zu Partikelanreicherungen in der Stratosphäre führt, mit der Folge dortiger Erwärmungen (durch Absorption von Strahlung) und bodennaher Abkühlung (durch Streuung der Sonneneinstrahlung). Der Klimafaktor Mensch, der i.a. den externen Einflüssen auf das Klimasystem zugerechnet wird, ist schon seit Jahrtausenden aktiv, z.B. durch Waldrodungen in historischer Zeit. Auch das sog. Stadtklima ist von ihm verursacht. Besonders wichtig, weil von beispielloser Intensität und globalem Ausmaß, ist jedoch die Emission von klimawirksamen (im Bereich der terrestrischen Wärmeausstrahlung absorbierenden) Spurengasen. Sie verstärken den sog. zunächst natürlichen „Treibhauseffekt“ und werden deswegen „Treibhausgase“ genannt. Dieser Effekt besteht in einer Erwärmung der unteren Atmosphäre (Troposphäre) und Abkühlung der Stratosphäre [1,2,3]. Der Beitrag der „Treibhausgase“ zum natürlichen bzw. anthropogenen (Zusatz-)„Treibhauseffekt“ ist sehr unterschiedlich: Bei ersterem dominiert der Wasserdampf H2O (Beitrag 60 %), bei letzterem das Kohlendioxid CO2 (Beitrag 56 %). Es ist wegen der enorm (seit 1900 etwa um den Faktor 16-17) angestiegenen Nutzung fossiler Energie (Emissionsanteil 74 %) und Waldrodungen (Emissionsanteil 23 %, Rest aus der Zementproduktion und nicht nachhaltiger Brennholznutzung) seit 1800 von rund 280 ppm auf heute (Jahreswert 2008) 386 ppm in seiner atmosphärischen Konzentration angestiegen. Aber auch andere Gase wie z.B. das Methan CH4 (Beitrag zum anthropogenen Treibhauseffekt: 16 %) zeigen anthropogene Konzentrationsanstiege [1,3]. Die genannten Beiträge der Spurengase zum anthropogenen „Treibhauseffekt“ beruhen auf dem wichtigen Konzept der Strahlungsantriebe [3]. Darunter versteht man die energetische Störung der Tropo- 4 sphäre (unteren Atmosphäre) durch die verschiedenen externen Einflüsse auf das Klimasystem. Ist dieser Antrieb positiv, führt er im globalen Mittel zur Erwärmung, andernfalls zur Abkühlung. Aus Tab. 2 sind die wichtigsten, für die Globaltemperatur bedeutsamen Strahlungsantriebe ersichtlich. Als Signal wird dabei der Effekt bezeichnet, der sich auf einen dieser Antriebe zurückführen lässt. Schließlich charakterisiert die Signalstruktur den typischen zeitlichen Verlauf dieses Effektes. Dieser Verlauf sieht beim wichtigen (negativen) Vulkanismus-Strahlungsantrieb so aus, dass es zu episodischen Abkühlungen (der Troposphäre) von etwa 1-3 Jahren kommt. Dagegen realisiert sich der die gleiche Größenordnung erreichende (positive) anthropogene „Treibhausgas“-Strahlungsantrieb in einem langfristigen progressiven Trend, wobei zum mittleren Schätzwert von 3 Wm-2 das CO2 1,7 Wm-2 beiträgt (was den bereits genannten Anteil von 56 % ergibt). Nicht übersehen werden darf der ebenfalls anthropogene, aber negative Strahlungsantrieb durch troposphärische Sulfatpartikel, die aus der SchwefeldioxidEmission stammen. Er kommt zum Teil indirekt durch die Veränderung der optischen Eigenschaften der Wolken zustande. Alle weiteren in Tab. 2 aufgeführten anthropogenen Strahlungsantriebe sind relativ klein. Der nächste Schritt ist nun, ausgehend von den Strahlungsantrieben, unter Berücksichtigung aller wichtigen Wechselwirkungen, einschließlich Rückkopplungen, die Klimareaktion zu simulieren, und dies nicht nur im globalen Mittel (Energiebilanzmodelle), sondern regional und vertikal möglichst gut aufgelöst sowie außer für die Temperatur auch für alle weiteren klimarelevanten Größen (Wasserdampf, Wolken, Niederschlag, Luftdruck, Wind usw.). Das geschieht in überaus aufwändigen (physikalischen) Modellen der gekoppelten atmosphärisch-ozeanischen Zirkulation (atmosphere-ocean general circulation models AOGCM), die allerdings pro Simulation Rechenzeiten von mehreren Monaten benötigen. Trotzdem werden sie ständig verbessert (physikalisch und in der räumlichen Auflösung) und erweitert (u.a. Hinzunahme der Eisgebiete, Bodeneigenschaften, Vegetation usw. einschließlich der damit verbundenen Wechselwirkungen). Das UN Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC [3]) hat nun alle Forschungsgruppen, die solche Modelle betreiben, gebeten, die in Abb. 1 dargestellten Variationen der Temperatur ab 1900 zum einen ohne und zum anderen mit anthropogenen Einflüssen (Treibhausgase und Sulfatpartikel) zu simulieren. Das in Abb. 3 wiedergegebene Ergebnis zeigt, dass ohne den anthropogenen „Treibhauseffekt“ die Erwärmung in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts unterschätzt und insbesondere die Erwärmung der letzten Jahrzehnte nicht erklärt werden kann. Das stets vorsichtige IPCC beziffert die Wahrscheinlichkeit dieser Aussage mit p = 95 %. Statistische Abschätzungen mit Hilfe von Regressionen oder besser neuronalen Netzen, die allein von Beobachtungsdaten ausgehen, kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Sie erlauben zudem eine genaue Quantifizierung der Signale, vgl. Tab. 2 [9]. Allerdings versagen sie bei den über die Temperatur hinaus gehenden Klimagrößen und sind prinzipiell nur auf die Vergangenheit anwendbar. 5. Szenarien und Klimamodell-Projektionen Wegen des schon bis jetzt eingetretenen Klimawandels und seiner Auswirkungen ist es aber von brennendem Interesse, auch möglichst viel über die künftige Klimaentwicklung zu wissen. Dabei besteht das Problem, dass die meisten natürlichen Einflüsse wie z.B. der Vulkanismus nicht vorhersagbar sind. Und auch das künftige menschliche Verhalten hinsichtlich Bevölkerungs- und ökonomischer Entwicklung, insbesondere was die Energiepfade betrifft, ist alles andere als sicher. Daher werden beim Blick in die Zukunft natürliche Klimavariationen außer Acht gelassen und das menschliche Verhalten ist durch alternative Szenarien repräsentiert, die zunächst als gleich wahrscheinliche mögliche Entwicklungen angesehen werden. Im Gegensatz zur völlig anders gearteten Wettervorhersage spricht man daher von bedingten Szenarien-gestützten KlimamodellProjektionen. Wiederum das IPCC [3] hat nun die Gruppen, die zur Simulation der Klima-Vergangenheit beigetragen haben, gebeten, auch derartige Zukunftsprojektionen durchzuführen. Dabei sind aus Rechenkapazitätsgründen aus 40 Szenarien die sog. 6 Leitszenarien ausgewählt worden, vgl. Abb. 4. Zur Unsicherheit, welches Szenario sich denn bewahrheiten wird, kommen offenbar die Unsicherheiten der Modelle, die (vgl. Abb. 3 und 4) durch eine deutliche Streuung der Simulationsergebnisse ersichtlich sind. Beim sozusagen klimaunfreundlichsten Szenario (A1FI, „business-as-usual) wird in den nächsten 100 Jahren gegenüber 1980-1999 eine Erhöhung der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur um 2,4 – 6,4 °C erwartet, beim ehrgeizigsten (rigorose Klimaschutzpolitik) immer noch 1,1 – 2,9 °C. Noch mehr streuen die Modellergebnisse bei den regionalen Strukturen und beim Niederschlag und Wind prinzipiell noch mehr als bei der Temperatur. Trotzdem sollen die wichtigsten Modellerwartungen für das 21. Jahrhundert kurz aufgelistet sein [3]: • Weitere Erwärmung der unteren Atmosphäre wie oben beschrieben, dabei Maxima im Winter polwärts der Tropen. • Weitere Abkühlung der Stratosphäre (was den dortigen Ozonabbau begünstigt). • Weitere Niederschlagsumverteilungen, dabei u.a. Mittelmeerregion trockener, Skandinavien und polare Regionen feuchter, in Mitteleuropa Winter feuchter und Sommer trockener. • Weiterer Meeresspiegelanstieg, und zwar im globalen Mittel bis 2100 um 20 – 60 cm. 5 Abb. 3: Beobachtete Jahresanomalien 1900-2005 der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur, schwarz (vgl. Abb.1), und Simulation durch 23 Klimamodellrechnungen, in denen zum einen nur natürliche Einflüsse berücksichtigt sind (links, blaue Kurven) und zum anderen auch anthropogene (rechts, gelbe Kurven). Das Mittel der Modellrechnungen ist jeweils dick (blau bzw. rot) dargestellt; zudem sind einige Vulkanausbrüche vermerkt (vgl. Text; Quelle: IPCC [3]). Abb. 4: Beobachteter (schwarz) Anstieg der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur (vgl. Abb. 3) und Klimamodell-Zukunftsprojektionen aufgrund der angegebenen Szenarien (vgl. Text; Quelle: IPCC [3]). Tab. 2: Globale troposphärische Strahlungsantriebe 1750-2000 (IPCC [3]; a = anthropogen, n = natürlich) und zugehörige empirisch (mittels neuronaler Netze) geschätzte bodennahe Temperatursignale [9]; vgl. Text. Art Strahlungsantrieb in Wm-2 „Treibhausgase“ a Troposphär. Sulfat a Ruß Stratosphär. Ozon Signal in °C (K)** Signalstruktur + 3,0 (2,7 - 3,6) 0,9 - 1,5 progressiver Trend - 1,2 (0,4 - 2,7) 0,2 - 0,5 uneinheitlicher Trend a + 0,1 (0,0 - 0,2) - Trend a - 0,1 (0,05 - 0,15) - Trend Strat. Wasserdampf a + 0,07 (0,02 - 0,12) - Trend Albedo (Landnutzung) a - 0,2 (0 - 0,4) - Trend Flugverkehr (Kondensstr.) a + 0,01 (0,003 - 0,03) - Vulkaneruptionen n max. ≈ - 3 * 0,2 - 0,3 Sonnenaktivität n + 0,1 (0,06 - 0,3) El Niño (ENSO) n (intern) 0,1 - 0,2 episodisch (Monate) 2 x CO2, Gleichgewicht a + 4,4 2,0 - 4,5 progressiver Trend Klimafaktor 0,1 - 0,2 Trend episodisch (1 - 3 Jahre) Fluktuativ *) Pinatubo: 1991 → 2.4 Wm , 1992 → 3.2 Wm , 1993 → 0.9 Wm ; nach McCormick et al. (1995), siehe [1] **) nach Schönwiese, Walter u. Brinckmann [9] -2 -2 -2 6 • Regional häufigere/intensivere Extremereignisse wie z.B. Hitzewellen, Dürren, Starkniederschläge, Gewitter, Hagel usw., aber im einzelnen sehr unsicher; intensivere tropische Wirbelstürme. Dabei treten zwei wichtige Problemkreise in Erscheinung. Das eine Problem sind die Zeitverzögerungen im Klimasystem. Eine Folge davon ist, dass selbst dann, wenn unrealistischerweise die atmosphärische CO2-Konzentration in Zukunft konstant bleiben würde (vgl. untere gelbe Kurve in Abb. 4) die Temperatur noch einmal fast um den gleichen Betrag ansteigen würde, wie sie es seit 1900 schon getan hat. Daraus ergibt sich eine Zeitverzögerung zwischen Ursache und Wirkung um einige Jahrzehnte. Beim Meeresspiegel deuten Modellrechungen sogar auf Zeitverzögerungen von einigen Jahrhunderten hin. Das zweite Problem sind die Kippschalter-Prozesse (tipping point elements). Darunter versteht man das Risiko, dass ab Erreichen einer gewissen Schwelle des Klimawandels, z.B. Erhöhung der Globaltemperatur, Instabilitäten erreicht werden, die dann nicht mehr aufhaltbare Vorgänge in Gang setzen [10]. Beim Rückgang der sommerlichen Meereisbedeckung in der Arktis könnte ein solcher KippschalterPunkt schon erreicht, das totale Verschwinden also vorprogrammiert sein. Beim Grönland-Eisschild, der im Gegensatz zum Meereis die Meeresspiegelhöhe beeinflusst, wird eine Größenordnung von 2 °C diskutiert. Sein Abschmelzen würde den Meresspiegel um 7 m ansteigen lassen. Sehr fraglich ist aber die Zeit, die dafür veranschlagt werden muss. Die Schätzungen liegen zwischen 300 Jahren [10] und mehreren Jahrtausenden [3]. Beim Antarktis-Eis wird dagegen in Zukunft eher ein Anwachsen erwartet, weil dort wegen des viel tieferen Temperaturniveaus der Effekt zunehmenden (Schnee-) Niederschlags überwiegen dürfte [3]. 6. Folgerungen Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Menschheit immer mehr in das Klimageschehen eingreift und dadurch einen anthropogenen Klimawandel herbeiführt, der in relativ kurzer Zeit, nämlich im Laufe dieses Jahrhunderts ein ähnliches Ausmaß annehmen könnte wie der Übergang von der letzten Kaltzeit („Eiszeit“) in die derzeitige Warmzeit. Das würde eine Art Super-Warmzeit mit drastischen Konsequenzen, nicht zuletzt auch ökologischer und sozio-ökonomischer Art bedeuten. Schon jetzt zeigen sich u.a. enorme Schäden durch Extremereignisse. Wegen der Zeitverzögerungen im Klimasystem ist der Klimawandel zumindest der nächsten nahen Jahrzehnte schon angelegt. Somit werden wir uns wohl oder übel an diesen nicht mehr vermeidbaren Klimawandel anpassen müssen (adaptation). Um diesen Klimawandel aber in einigermaßen erträglichem Ausmaß zu begrenzen – dabei spielen unter anderem die Kippschalter-Mechanismen eine bedeutende Rolle, aber auch künftige neue Rückkopplungen wie z.B. Methan-Freisetzung durch auftauenden Permafrostboden – sind möglichst rasche und effektive Vorsorgemaßnahmen (mitigation) erforderlich. Dazu gehören, da dem CO2-Problem die größte Relevanz zukommt, die Steigerung der Energieeffizienz, die weitgehende Substitution kohlenstoffhaltiger (fossiler) Energieträger, Maßnahmen im Verkehrsbereich, Vegetationsschutz und nicht zuletzt ökonomische Maßnahmen wie ein sinnvoll konzipierter Emissionshandel. Der Herausforderung anthropogener Klimawandel [12], obwohl nur eines unserer Weltprobleme, müssen wir uns stellen; denn von einem günstigen Klima sind wir alle fatal abhängig und Klimaprobleme sind letztlich mit allen anderen verknüpft. Die UN Klimarahmenkonvention (1992) und das KyotoProtokoll (1997) müssen dabei endlich energisch verschärft und rasch vorangebracht werden. 8. Literatur [1] SCHÖNWIESE, C.-D. (2008): Klimatologie (3. Aufl.). Stuttgart: Ulmer (UTB) [2] ENDLICHER, W.; GERSTENGARBE, F.-W., Hrsg. (2007): Der Klimawandel. 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