Programm - Hochschule für Musik Freiburg

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FR 14.12. 2012 | 20.00 UHR KAMMERMUSIKSAAL
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KLAVIER-ABEND
SOLISTENPRÜFUNG VON KANA OND A
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Kana Onda Klavier
Gideon Klein 1919 – 1945
Klaviersonate (1943)
Allegro con fuoco
Adagio
Allegro vivace
Gilead Mishory *1960
aus »Fluchtstücke«
nach dem Roman von Anne Michaels (2004/05)
I.
Blinde Führerin
II.
Zerborstene Tür
III.
Milchzähne
IV.
Rennen, Fallen
V.
Bella: Brahms
VI.
Violett-Orange
VII. In den Klang
VIII. Decrescendo
IX.
Dreckiger Jude
Johannes Brahms 1833 – 1897
Drei Intermezzi op. 117
PAUSE
Franz Liszt 1811 – 1886
Années de Pèlerinage (Deuxième Année – Italie) S 161
Sonetto 104 del Petrarca
Il Pensieroso
Sposalizio
Après une lecture du Dante. Fantasia quasi Sonata
Gideon Klein
Klaviersonate
Im Dezember 1941 wurde Gideon Klein mit 22 Jahren ins Ghetto
Terezin ( Theresienstadt ) deportiert. In dieser ehemligen Garnisonsstadt 60 km nördich von Prag entstand in der Folge ein
Künstler- und »Vorzeige-KZ«, dessen allmählich aufblühendes Musikleben die Nazis auf perfide Weise für Ihre Zwecke nutzten: Die
anfangs von der SS verbotenen musikalischen Aktivitäten wurden
zunächst geduldet, später verordnet und forciert, um die Weltöffentlichkeit durch Vorspiegelung des schönen Scheins einer
lebendigen jüdischen Lagerkultur über die KZ-Wirklichkeit zu täuschen. Hinter den Kulissen aber rollten von Terezin aus die
Todeszüge in die Vernichtungslager. Gideon Klein wurde im Oktober 1944 über Auschwitz ins Arbeitslager Fürstengrube deportiert
und Ende Januar 1945 bei der Evakuierung oder im Lager von der SS
getötet.
In Terezin jedoch engagierte er sich im Rahmen der »Freizeitgestaltung« intensiv für die Organisation des Musiklebens, gab
Klavierabende, korrepetierte, arrangierte Chorwerke und komponierte. Hier entstand 1943 die Sonate für Klavier, ein pianistischer
Schrei des Schmerzens, dessen aufgewühlter erster Satz von einem
rhythmisch akzentuierten Fanfarenthema in weitgespannten Intervallen und durchchromatisierter Harmonik dominiert wird. Mit
den ersten Tönen des zweiten Taktes ist bereits das chromatische
Total erreicht. Melodische Horizontale und harmonische Vertikale
durchdringen sich; Terzschichtungen, die sich zu meist großen
septimen spreizen, verklammern alle Themen miteinander.
Die unvollendete Sonate – zum vierten Satz existiert nur eine Skizze
von wenigen Takten – ist ein Meisterwerk expressionistisch-
virtuoser Klavierkunst, das vom kompositorischen Einfluss Schönbergs und Janácek zugleich zeugt. In der aufgeladenen Dichte ihrer
Faktur jedoch, in der Explosivkraft der Themen und ihrer polyphonen Verarbeitung, in der kämpferischen Wucht der Rhythmen ist
die Sonate einmalig, unverwechselbar.
Wolfgang Rüdiger
Gilead Mishory
Fugitive Pieces (Fluchtstücke)
Nach dem Roman von Anne Michaels
(Erscheint bei Berlin Verlag)
1.
Blinde Führerin
(»Die Zeit ist eine blinde Führerin.«)
2.
Zerborstene Tür
(»Die zerborstene Tür. Aus den Angeln splitterndes Holz wie krachendes Eis unter den Rufen. Nie gehörte Laute, dem Mund meines
Vaters entrissen. Dann Stille.«)
3.
Milchzähne
(»Meine Mutter hatte gerade einen Knopf an mein Hemd genäht.
Die Knöpfe bewahrte sie in einer angesprungenen Untertasse auf.
Ich hörte den Rand der Untertasse auf dem Boden kreisen. Ich hörte
das Springen der Knöpfe, kleine weiße Zähne.«)
4.
Rennen, Fallen
(»Ich lief und fiel, lief und fiel. Dann der Fluß: so kalt, als schnitte
er mich.«)
5.
Bella: Brahms
(»Jetzt beginne ich mit dem Intermezzo. Ich darf nicht zu langsam
anfangen… Nachts, wenn alle wach sind, werde ich nicht auf das
Weinen hören. Ich werde das ganze Stück auf meinen Armen spielen. «)
6.
Violett-Orange
(»Vom anderen Ufer aus beobachtete ich, wie die Dunkelheit über
die Stadt zu violett-orange Licht wurde; die Farbe von Fleisch, das
sich in Geist verwandelte.«)
7.
In den Klang
(»Und wenn ich die Stille nicht mehr ertrage, schlüpfe ich aus
meiner nassen Haut wieder in den Klang.«)
8.
Decrescendo
(»Im neunten Takt kommt ein Decrescendo, und dann geht es ganz
schnell vom Pianissimo ins Piano, aber nicht ganz so weich wie das
Diminuendo im sechzehnten Takt.«)
9.
Dreckiger Jude
(»Er sagte, er redete auf mich ein. Aber ich war wild vor Taubheit.
Meine torfverstopften Ohren. So hungrig. Ich schrie in der Stille
den einzigen Satz, den ich in mehr als einer Sprache kannte. Ich
schrie es auf polnisch und deutsch und jiddisch und schlug mir mit
den Fäusten an die Brust: dreckiger Jude, dreckiger Jude, dreckiger
Jude.«)
Gilead Mishory
Fluchtstücke (Fugitive Pieces)
Der Roman »Fugitive Pieces« von Anne Michaels beschreibt das
Überleben von Jakob Beer, einem jüdischen Kind aus einem Dorf in
Polen, nachdem seine ganze Familie durch die Nazis erschossen
wurde: Seine einsame Flucht in den Wald und den Sumpf, seine
wundersame Rettung durch Athos, den griechischen Archäologen,
sein Überleben im Versteck auf der Insel Zakynthos, seine obsessive
Beschäftigung mit dem Schicksal seiner älteren Schwester, Bella,
und mit »ihrer« Musik, speziell mit Brahms’ Intermezzi und
Beethovens »Mondschein«. Die außerordentlich reiche, pulsierend
klingende und poetische Sprache der Schriftstellerin hat mich angeregt, einen Zyklus für Klavier solo zu schreiben, der aus
mehreren kurzen Ton-Bildern besteht. Die allermeisten Stücke
wurden zwischen September 2004 und Januar 2005 geschrieben.
Uraufführung: Konzert des Südwestdeutschen Rundfunks am
3.5.2005.
Der Roman spielt, oft gleichzeitig, auf unterschiedlichen Bewusstseins- und Realitätsebenen: »Every moment is two moments«; »The
gradual Moment«; »All visible things will be born again invisible«.
Die Musik widerspiegelt an einigen Stellen diese Beschäftigung mit
der Zeit. Obwohl die Musikstücke zum Teil Handlungs- und Bildzüge haben, kann die Musik nicht den Roman wiedergeben, auch
nicht im weitesten Sinne. Es sind kürzere oder längere, aber immer
flüchtige Momentaufnahmen. Die erwähnten Zitate sind die Stellen im Text, die die jeweiligen Stücke assoziativ angeregt haben.
Musik ist aber eine äußerst flüssige Substanz und findet oft unerwartete Wege...
Gilead Mishory, Freiburg, Mai 2005
Kana Onda wurde in Hiroshima/Japan geboren. Nach ihrem Studium an der Tokyo National University of Fine Arts and Music
begann sie ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik Freiburg
bei Prof. Mishory.
Seit 2010 ist sie Tutorin der Akademie zur Förderung des musikalischen Nachwuchses an der Hochschule für Musik Freiburg.
Sie ist Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe. 2005 errang sie den 1.
Preis beim 24. Iizuka Musikwettbewerb in Fukuoka. 2006 erhielt sie
den 2. Preis beim »PTNA Piano Competition Tokyo« in der höchsten
Kategorie »Superior Grade«.
2009 gewann sie den 1. Preis beim 3. Arthur-Lepthien-Wettbewerb.
2010 nahm sie am Meisterkurs von Alfred Brendel teil. Als Solistin
ist sie mit dem Slowakischen Kammerorchester, Hiroshima Philharmonic Orchestra und Tokyo New City Orchestra aufgetreten.
Sie ist Stipendiatin der Helene-Rosenberg-Stiftung der Hochschule
für Musik Freiburg (2010-2011, 2011-2012), der Nakamura-MusikStiftung der Internationalen Kulturstiftung Hiroshima (2011-2012)
und der Dr. Leo-Ricker-Stiftung Freiburg i. Br. der Stiftungsverwaltung Freiburg (2012-2013).
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