PD Dr. med. Winfried Häuser Innere Medizin I - Psychosomatik Winterberg 1, 66119 Saarbrücken Tel.: 0681/963-2021 Fax: 0681/963-2022 E-Mail: whaeuser@klinikum-saarbruecken Hypnose beim Reizdarmsyndrom Störungsbild, Indikationen, Kontraindikationen, Wirkung Aus: Häuser W: Hypnose beim Reizdarm. In: Revenstorf D, Peter B (Hrsg.): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Springer Verlag (2008) 555-568 Inhalt: 1. Störungsbild ...................................................................................................................... 2 1.1 Häufigkeit und Schweregrad ....................................................................................... 2 1.2 Ursachen des RDS ....................................................................................................... 3 2. Hypnotherapeutische Interventionen ................................................................................ 5 2.1 Sitzung 1 bis 2 .............................................................................................................. 5 2.2 Sitzung 3 bis1 2 ............................................................................................................ 5 2.3 Eigenes Vorgehen ........................................................................................................ 6 2.4 Hausaufgaben ............................................................................................................... 6 2.5 Fallbeispiel .................................................................................................................... 7 3. Indikationen und Kontraindikation ..................................................................................... 9 4. Integration mit anderen Verfahren .................................................................................. 10 4.1 Empirische Belege: .....................................................................................................11 5. Wirkungsweise von Hypnotherapie beim RDS ............................................................... 12 6. Zusammenfassung ......................................................................................................... 12 Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 1 von 13 1. Störungsbild Definition: Bei etwa 50% der Menschen, die sich wegen bauchbezogener Beschwerden (z. B. Schmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten, Völlegefühl) bei einem niedergelassenen Arzt vorstellen, kann mit den Mitteln der klinischen Routinediagnostik keine die Beschwerden erklärende Organschädigung (z. B. Entzündung oder Krebs) nachgewiesen werden. Diese Beschwerden werden als funktionelle gastrointestinale Störungen bezeichnet (Drossmann et al. 1992). Die häufigsten funktionellen gastrointestinalen Störungen sind das Reizdarmsyndrom RDS (Synonyme: Colon irritabile, irritables Darmsyndrom, spastisches Colon, englisch Irritable Bowel Syndrome -IBS) (ICD 10 K 58) und das Reizmagensyndrom (Funktionelle Dyspepsie) (ICD 10 K 30). Diese Syndrome werden durch einen charakteristischen Komplex und eine Mindestdauer der Beschwerden sowie das Fehlen von die Beschwerden erklärenden Magen-Darmerkrankungen (Entzündungen, Krebs) bzw. biochemischer Anomalien definiert. Die aktuelle Definition des Reizdarmsyndroms durch ein internationales Expertenkomitee (Longstreth et al. 2006) sind: Wiederkehrende bauchbezogene Schmerzen oder Missempfindungen an mindestens 3 Tagen im Monat in den letzten 3 Monaten einhergehend mit mindestens 2 der folgenden Symptome: 1. Nachlassen der Beschwerden nach dem Stuhlgang 2. Einsetzen der Beschwerden mit einer Veränderung der Stuhlfrequenz 3. Einsetzen der Beschwerden mit einer Änderung der Stuhlform In Abhängigkeit von den Hauptsymptomen können eine durchfall- und eine obstipationsdominante sowie eine Mischform des RDS unterschieden werden (Longstreth et al. 2006). Menschen, deren Beschwerden die gastroenterologischen Kriterien eines Reizdarmsyndroms erfüllen, klagen häufig über weitere körperliche Beschwerden. Aufgrund der Art der Beschwerdeschilderung, des Vorliegens weiterer Symptome vegetativer Stimulation (Hitzewallungen, Errötung, Schwitzen, Herzklopfen, Zittern) sowie der Arzt-Patienten-Interaktion (Beharren auf organische Ursachen der Störung) erfüllt ein Teil der Patienten mit der gastroenterologischen Diagnose eines Reizdarmsyndroms die ICD 10-Kriterien einer somatoformen autonomen Störung des unteren Gastrointestinaltraktes (F 45.32) (Loew et al. 1992) bzw. die Kriterien einer Somatisierungsstörung (F. 45.0) bzw. einer undifferenzierten Somatisierungsstörung (F 45.1) (Loew et al. 1998). Weiterhin findet sich bei Patienten, welche sich in Krankenhäusern und Spezialambulanzen für MagenDarmerkrankungen vorstellen, im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung sowie zu Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen eine höhere Rate von Angststörungen und depressiven Störungen. Die Häufigkeit von komorbiden somatoformen, Angst- und depressiven Störungen wird zwischen 40-94% angegeben (Whitehead et al. 2002). Die Häufigkeit einer komorbiden Somatisierungsstörung wurde bei Patienten einer gastroenterologischen Universitätsklinik mit 20% angegeben (North et al. 2004). Merksatz: Das Reizdarmsyndrom (ICD-10 K 58) ist durch einen typischen Symptomkomplex (Bauchschmerzen einhergehend mit Stuhlunregelmäßigkeiten über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten sowie Fehlen von krankhaften Veränderungen im MagenDarmtrakt bei klinischer Routinediagnostik) definiert. Ein Teil der Patienten mit Reizdarmsyndrom erfüllt auch die Kriterien einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des Gastrointestinaltraktes (ICD-10 F 45.32). 1.1 Häufigkeit und Schweregrad Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 2 von 13 12 bis 20 % aller Menschen in den westlichen Industrieländern erfüllen die Kriterien eines RDS. Etwa 50 % der Betroffenen suchen wegen der Beschwerden einen Arzt auf (Longstreth et al. 2006). Patienten mit RDS haben eine im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung und zu Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen eine reduzierte gesundheitsbezogene Lebensqualität und verursachen hohe direkte (medizinische Behandlung) und indirekte (Krankschreibungen, Berentung) Krankheitskosten (Jones et al. 2000). Das Ausmaß der Beschwerden und der Einschränkungen im Alltag ist unterschiedlich). Unter klinischen Gesichtspunkten wird eine leichtgradige Form des RDS (gelegentliche Beschwerden ohne Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen), eine mittelgradige Form (häufige Beschwerden mit gelegentlichen Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionen) sowie ein schwergradiges RDS (anhaltende Beschwerden mit dauerhafter Einschränkung der Alltagsfunktionen) unterschieden. Merksatz: Etwa die Hälfte der Betroffenen mit Reizdarmbeschwerden begibt sich in medizinische Behandlung. Beim Reizdarmsyndrom lassen sich drei Schweregrade (leicht, mittelgradig, schwer) unterscheiden. 1.2 Ursachen des RDS Dem RDS liegen wahrscheinlich verschiedene Pathomechanismen zugrunde, die bei einzelnen Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein können und somit Art und Schwere der Symptomatik bestimmen (Hotz et al. 1999; Longstreth et al. 2006). Gesichert ist der Pathomechanismus einer viszeralen Hyperalgesie: Empfindungen aus dem Gastrointestinaltrakt (z. B. Luftfüllung des Darmes), welche von Gesunden überhaupt nicht bzw. nicht als schmerzhaft wahrgenommen werden, werden von Reizdarmpatienten als schmerzhaft erlebt. Bei ca. 90% der Reizdarmpatienten lässt sich eine erniedrigte Schmerzschwelle im Rektum nachweisen, welche wahrscheinlich durch psychologische Faktoren (selektive Aufmerksamkeit für und negative Bewertung von gastrointestinalen Stimuli) bedingt ist. Ein RDS kann sich nach einer ausgeheilten bakteriellen oder viralen Darminfektion entwickeln. Psychologische Faktoren sind wahrscheinlich (psychosomatische Erkrankung): Die Entscheidung, wegen der genannten gastrointestinalen Beschwerden überhaupt einen Arzt aufzusuchen, wird durch psychologische Faktoren (Angst, erlerntes Krankheitsverhalten) bestimmt. Stress (Alltagsbelastungen, belastende Lebensereignisse) können Reizdarmsymptome auslösen oder verschlimmern. Die bei Patienten mit Reizdarmsyndromen berichteten psychopathologischen Auffälligkeiten (Depressivität, Angst, Somatisierung) sind unspezifisch und finden sich im vergleichbaren Umfang auch bei Patienten mit anderen funktionellen (somatoformen) Störungen. Die psychopathologischen Auffälligkeiten sind bei Patienten mit leichtgradigem Reizdarmsyndromen in der Regel nicht so stark ausgeprägt, dass sie die Kriterien einer weiteren psychischen Störung nach ICD 10 erfüllen. Die genannten psychologischen Faktoren beeinflussen jedoch das Erleben der Erkrankung und das Krankheitsverhalten und damit die Schwere der Erkrankung. Bei Patienten mit mittel- und schwergradigem RDS finden sich in der Regel zusätzliche psychische Störungen und/oder Persönlichkeitsstörungen und/oder frühere - anhaltende psychosoziale Belastungen, insbesondere sexuelle Traumatisierungen (Drossman 1997). Bei einem Teil der Patienten können Veränderungen der Darmmotilität eine Rolle spielen (nicht eindeutig gesicherter Pathomechanismus; Hotz et al. 1999): Negative Emotionen wie Aufregung und Ärger führen zu einer Zunahme der Kolonmotilität (Häufigkeit und Amplitude der Kolonkontraktionen). Merksatz: Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 3 von 13 Das Reizdarmsyndrom ist eine psychosomatische Erkrankung: Psychologische Faktoren sind in seiner Entstehung und Verlauf von nachgewiesener Bedeutung. Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 4 von 13 2. Hypnotherapeutische Interventionen Im Folgenden wird das in den RDS- Hypnosestudien (Whorwell et al. 1984, Gonsalkorale et al. 2002) verwendete 'Manchester'- Hypnoseprotokoll dargestellt: Allgemeines: Der spezifische hypnotherapeutische Ansatz beim RDS wird von Whorwell (1984) als ' gut-directed-hypnosis” (darmbezogene Hypnose) beschrieben: Die Suggestionen gelten (überwiegend) dem Gastrointestinaltrakt und nicht psychologischen Aspekten wie Stress oder Angst. Das Protokoll schließt jedoch mehrere ich-stärkende Suggestionen ein. Die hypnotherapeutische Exploration und Behandlung unbewusster Konflikte wird in dem Behandlungsprotokoll explizit ausgeschlossen. Es werden direkte Suggestionen ('klassische Hypnose verwendet). Vor Beginn der Hypnosebehandlung wird dem Patienten ein einfaches Modell des RDS im Sinne einer gestörten Motilität und veränderten viszeralen Sensitivität vermittelt sowie Informationen über die Physiologie der Darmmuskulatur gegeben. Alle Sitzungen beginnen mit dem Besprechen des Symptomtagebuches, der Fortschritte sowie dem Besprechen der Fragen des Patienten. Der Patient wird darauf hingewiesen, dass eine Symptomreduktion in der Regel nach 3wöchigem Üben erfolgt. Häufigkeit: 7 (bis maximal 12) Einzelsitzungen zu 30 bis 60 Minuten über 3 Monate mit abnehmender Häufigkeit. 2.1 Sitzung 1 bis 2 Die Induktion wird mit einer klassischen Augenfixationstechnik durchgeführt. Die Vertiefung erfolgt über die Zunahme der muskulären Entspannung. Die Ratifizierung der Trance wird über eine Armlevitation durchgeführt. In der Utilisationsphase werden Ich-stärkende Suggestionen angeboten: Es wird dem Patienten suggeriert, sich selbst als eine Weide vorzustellen. Diese ist einerseits tief und fest im Boden verwurzelt, andererseits können ihre flexibel sich wiegenden Äste selbst durch den stärksten Sturm nicht gebrochen werden. Die eigene innere Stärke des Patienten wird mit dem Bild der Weide verknüpft. Weiterhin werden unspezifische Suggestionen zur Entdeckung eigener Fähigkeiten sowie zur Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens und der Gesundheit gegeben. Die in der Utilisationsphase angebotenen Suggestionen (Ich-Stärke, Verbesserung des Wohlbefindens) werden ohne Verknüpfung spezifischer Situationen für die Zeit nach der Trance im Sinne einer post-hypnotischen Suggestion gegeben. 2.2 Sitzung 3 bis1 2 Induktion, Vertiefung und Ratifizierung wie in den ersten beiden Sitzungen. In der Utilisationsphase wird eine sogenannte darmbezogene Imagination durchgeführt: Patienten, die zur Visualisierung fähig sind (in den Studien 80 % der Patienten) werden gebeten, sich einen sanft fließenden Bach mit Wasserfällen vorzustellen und das harmonische Fließen eines ruhigen Flusses mit der sanften rhythmischen Aktivität ihres Gastrointestinaltraktes zu verbinden. Dieses Vorgehen wird bei der durchfalldominanten Form des RDS dahingehend modifiziert, dass dem Patienten vorgeschlagen wird, sich seinen Darm als schnell fließenden Fluss vorzustellen, ihn zur Quelle zurückzuverfolgen, bis er langsamer (ohne exzessive Turbulenzen oder Strömungen) wird. Dann wird der Patient gebeten, seinen Darm 'zurückzustellen” (to reset) zu dem Bild eines ruhig sich schlängelnden Flusses. Bei der obstipationsdominanten Form des RDS wird eine Flussbeschleunigung suggeriert. Kinästhetisch orientierte Patienten bzw. Patienten, die nicht visualisieren können, werden gebeten, ihre Hand auf den Teil des Bauches zu legen, der am meisten schmerzt. Es wird dann eine Suggestion von Wärme in der betreffenden Hand gegeben, die sich auf den Bauch ausdehnt. Einhergehend mit der zunehmenden Wärmeempfindung in der Hand und im Bauch wird ein Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 5 von 13 Nachlassen der Schmerzen und der muskulären Verspannung suggeriert. Visuell/kinästhetisch orientierte Patienten können die Ausbreitung der Wärme in der Hand und im Bauch zusätzlich visualisieren. Die schmerzlindernde Wirkung des Bildes eines ruhig fließenden Flusses bzw. der Hand auf dem Bauch wird als posthypnotische Suggestion gegeben ('immer wenn sie ihre Hand auf den Bauch legen, wird sich das angenehme Wärmegefühl einstellen, sie werden eine angenehme Entspannung in ihrem Bauch empfinden und der Schmerz wird nachlassen”). Weiterhin werden die in Sitzung 1 und 2 genannten Ich-stärkenden Suggestionen sowie unspezifische Suggestion bezüglich der Verbesserung des Wohlbefindens wiederholt. Weiterhin werden unspezifische posthypnotische Suggestionen gegeben, sich gut und positiv in Bezug auf die eigene Person zu finden. 2.3 Eigenes Vorgehen In Ergänzung zu dem dargestellten Vorgehen werden bei weniger suggestiblen Patienten die direkten Suggestionen des dargestellten Therapieprotokolls durch indirekte ergänzt. Reagieren die Patienten positiv auf das indirekte Vorgehen, erhalten sie zum täglichen Üben eine CD mit einem aufgesprochenen Text Häuser und Wambach 2003)Bei der Vorbereitung auf das Abhören der CD werden eingestreute Suggestionen bezüglich Sicherheit gegeben. Trance wird als Ort und Zeit der Sicherheit, Erholung und Aktivierung unbewusster Heilungsprozesse definiert. Bei der Induktion wird neben der Fixierung der Aufmerksamkeit auf das rhythmische Heben und Senken der Hände auf dem Bauch im Rhythmus des Atmens weitere unspezifische Angebote zum Intrance-Gehen gemacht (Abdecken aller Möglichkeiten). In der Utilisationsphase wird das Einatmen mit dem Bild eines fließenden, goldenen Lichtes verbunden, das positive Energie und Sicherheit durch den ganzen Körper( inklusive Magen-Darmtrakt )fließen lässt und das mit dem Ausatmen innere Anspannung fortspült. Die Weisheit des Unbewussten, körperliche Vorgänge wie das An- und Entspannen der Bauch- und Magendarmmuskeln in optimaler (angenehmer, rhythmischer) Weise zu koordinieren, wird mehrfach angesprochen. Der Eintritt der bewusst erlebten Symptomlinderung wird über eine zeitliche Konfusion suggeriert. Abschließend wird eine Geschichte vom Schaukelnlernen in der Kindheit erzählt, in die Suggestionen von Lernen muskulärer Koordination, Vertrauen in den eigenen Körper (Freundschaft mit dem eigenen Körper schließen) und angenehmer bzw. lustvoller Empfindungen im Verdauungstrakt (einschließlich Mund) eingestreut werden. Es wird die posthypnotische Suggestion gegeben, dass in Alltagssituationen, wann immer es benötigt wird, sich das positive Gefühl der Trance (optimale muskuläre Koordination, Wohlbefinden, Vertrauen in sich selbst) beim Legen der Hände auf den Bauch sich unmittelbar einstellen wird. 2.4 Hausaufgaben Manchester-Protokoll: Nach der 3. Sitzung erhalten die Patienten eine Audiokassette der therapeutischen Sitzung zum selbständigen Üben mit der Bitte, täglich 2 x 10 Minuten zu üben. Weiterhin wird ein Symptomtagebuch (Protokollierung von Dauer und Intensität der Bauchschmerzen, Stuhlhäufigkeit, psychischem Befinden, Häufigkeit des Übens, besondere Ereignisse am Tage) geführt. Eigenes Vorgehen: Bei leicht- und mittelgradigen Formen des RDS schlage ich den Patienten vor, zuhause mittels der von mir besprochenen CD 'Schmetterlinge im Bauch' (Häuser et al. 2003), welche den Text des Manchesterprotokolls als auch einen Text mit ericksonianischen Sprachmustern (siehe oben) enthält, zuhause in den ersten zwei Wochen täglich, später zwei- bis dreimal pro Woche zu üben (sogenannte Ablationshypnose; Klumbies 1952). Der Patient kann entscheiden, ob ihm die direkte oder indirekte Technik mehr zusagt. Berichtet der Patient, dass er Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 6 von 13 zuhause mit der CD positive Tranceerfahrungen macht, verzichte ich auf das Durchführen einer individualisierten ('tailored') Lifehypnose. Symptomorientierte (darmbezogene) Lifehypnosen führe ich bei den Patienten durch, welche nicht in der Lage sind, eigenständig mit der CD zu üben. Weiterhin führe ich konfliktbearbeitende hypnotherapeutische Sitzungen bei Patienten mit schwergradigem RDS und psychischer Komorbidität durch (siehe Fallbeispiel). Die Hypnosesitzungen werden dann mittels eines MP3-Players aufgenommen und das File dem Patienten zum weiteren eigenständigen Anhören unter häuslichen Bedingungen zur Verfügung gestellt. Mit Patienten, welche ein Vermeidungsverhalten auf Grund ihrer Darmbeschwerden bzw. ihrer Angst, nicht rechtzeitig eine Toilette zu erreichen, entwickelt haben, wird ein graduiertes, eigenständig (eventuell initial mit Unterstützung von Angehörigen) durchzuführendes Expositionstraining durchgeführt. Die Patienten werden ermutigt, die Hypnosetexte der CD bzw. die individuelle aufgesprochenen Texte vor und eventuell auch während des Expositionstrainings mittels eines MP3-Players zu hören. 2.5 Fallbeispiel Nach meiner klinischen Erfahrung ist im medizinischen Kontext die Vorbereitung einer Hypnotherapie unter Nutzung rationaler Informationen sowie Nutzung allgemeiner Ericksonscher Therapieprinzipien (Utilisationsansatz) und hypnotherapeutischer Sprachmuster im ärztlichem Gespräch wichtiger als elaborierte indirekte Suggestionen (Häuser 1997). Die 30-jährige Soziologin (wissenschaftliche Universitätsangestellte) stellt sich auf Empfehlung ihres Hausarztes in der interdisziplinären Schmerzambulanz des Klinikums Saarbrücken mit der Frage der weiteren Diagnostik und Therapie von Bauchschmerzen und Durchfällen vor. Im Erstgespräch gibt die Patientin an, seit ihrer Jugend bei 'Stress” gelegentlich über Bauchschmerzen, Durchfällen und Übelkeit zu leiden, die Beschwerden hätten jedoch nur kurze Zeit angehalten und hätten sich ohne spezifische Behandlung zurückgebildet. In den letzten 4 Monaten seien die Bauchschmerzattacken zunehmender häufiger und intensiver aufgetreten, einhergehend mit 'Verdauungsproblemen”(Wechsel Verstopfung/Durchfall, Übelkeit, Ekel vor dem Essen, Gewichtsabnahme von 4 kg). Zuletzt habe sie täglich mehrere Schmerzattacken gehabt, Dauer 30 Minuten bis 3 Stunden. Sie sei wegen der Schmerzen seit 3 Wochen krank geschrieben. Wegen der Schmerzen sei sie weitgehend bettlägerig. Die durchgeführte medizinische Diagnostik (Ösophago-Gastro-Duodenskopie, Ileo-Koloskopie, Blut- und Stuhluntersuchungen) hätten keine auffälligen Befunde ergeben, verschiedene Medikamente seien wirkungslos gewesen. An schmerzlindernden Faktoren gibt sie Wärme (Bettflasche auf Bauch), an schmerzverstärkenden Faktoren Stress am Arbeitsplatz an. In den letzten Monaten habe es Konflikte (Rivalität) mit einem männlichen Kollegen gegeben. Die Patientin betont, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass ihre Beschwerden 'nur psychisch” bedingt seien. Sie sei ein wissenschaftlich und rational orientierter Mensch. Es sei für sie nicht vorstellbar, dass Alltagsbelastungen wie Konflikte mit ihrem Kollegen zu solch starken Bauchschmerzen führen können, wie ihr Hausarzt behaupte. Sie befürchte, an einer bisher noch nicht festgestellten Erkrankung zu leiden. Ich sage der Patientin, dass unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde und ihrer Beschwerden mit großer Wahrscheinlichkeit eine funktionelle gastrointestinale Funktionsstörung vorliegen würde. Auf gezieltes Nachfragen bestätigt die Patientin, dass sie unter weiteren körperlichen Symptomen wie gelegentliche Kopfschmerzen, innere Unruhe und Durchschlafstörungen in den letzten Monaten gelitten hat. Im weiteren Gesprächsverlauf werden die Befürchtungen der Patientin vor einer körperlichen Erkrankung sowie ihre Befürchtungen, als psychisch krank bzw. 'belastungsschwach” angesehen zu werden, thematisiert. Über die Exploration der Auswirkungen der körperlichen Beschwerdesymptomatik auf ihre Arbeitsplatzsituation (Arbeitsunfähigkeit) erfahre ich, dass die Patientin im Nebenfach Psychologie Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 7 von 13 studiert hat und dabei auch eine Vorlesung über funktionelle Störungen gehört hat. Ich frage sie, ob sie an weitergehenden Informationen über funktionelle gastrointestinale Störungen interessiert sei (Aufbau einer Ja-Haltung). Nachdem dies bestätigt wird, zeige ich der Patientin anhand einiger Abbildungen aus einem von mir verfassten Kapitel über psychosomatische Aspekte in der Gastroenterologie in einem Gastroenterologischen Lehrbuch/Utilisation des wissenschaftlichen Interesses der Patientin; Signalisieren von Kompetenz) Wechselwirkungen zwischen zentralem Nervensystem und Gastrointestinaltrakt. Dabei erwähnte ich beiläufig, dass insbesondere Hypnotherapie zu messbaren Veränderungen Darmmotilität und -Sensitivität führt. Die Patientin wendet ein, dass ihr Psychologie-Professor Hypnose als wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode bezeichnet habe. Weiterhin könne sie sich nicht vorstellen, sich in die 'Hand eines Hypnotiseurs” zu begeben. Ich frage die Patientin, ob sie bereit sei, 'auf dem Boden der Wissenschaft” ihre 'Arbeitshypothesen bezüglich der Hypnose zu überprüfen” (Herausforderung unter Utilisation des Wertesystems). Weiterhin betone ich, dass es bei der (Selbst-)hypnose nicht darum gehen würde, Kontrolle abzugeben, sondern eine bessere Kontrolle über die eigenen körperlichen Reaktionen und Affekte zu gewinnen (Utilisation der Kontrollbedürfnisse). Nach nochmaligem Aufbau einer Ja-Haltung erhält die Patientin wissenschaftliche Publikationen über die Grundlagen wissenschaftlicher Anwendungen von Hypnose sowie mehrere Internet-Adressen über funktionelle gastrointestinale Störungen. Ich schlage der Patientin vor, anhand dieser Unterlagen selbst zu überprüfen, ob die Diagnose eines Reizdarmsyndroms auf sie zutrifft und biete ihr ein weiteres Beratungsgespräch über weitere diagnostische und therapeutische Möglichkeiten an (Respektieren von Autonomiebedürfnissen). Nach 14 Tagen vereinbart die Patientin einen Termin für ein zweites Gespräch. Sie gibt an, aufgrund ihrer Literaturrecherchen zu der Entscheidung gekommen zu sein, die Diagnose eines Reizdarmes zu akzeptieren, keine weitergehende medizinische Abklärung zu wünschen und einen psychotherapeutischen Behandlungsversuch wegen ihrer Reizdarmsymptomatik zu machen. Auf Grund der überlassenen Unterlagen habe sie ihre Meinung über Hypnotherapie revidiert und sei neugierig auf eine Therapie in Trance. Andererseits könne sie sich nicht vorstellen, dass sie 'in eine tiefe Trance gehen könne”. Auch habe sie Angst davor, dass jemand Kontrolle über sie haben könne (dabei leichte Gesichtsrötung beobachtbar). Ich entgegne, dass es zu therapeutischen Zwecken nicht notwendig sei, in eine tiefe Trance zu gehen und dass der Schwerpunkt der Behandlung ihres Beschwerdebildes auf Selbsthypnose liegt. Aufgrund der von der Patientin bereits mehrfach geäußerten Ängste vor Kontrollverlust einschließlich beobachtbarer vegetativer Reaktionen sowie der in der Literatur beschriebenen Assoziation zwischen Reizdarmsymptomatik und sexuellen Missbrauch entschließe ich mich an dieser Stelle, von einer weitergehenden Exploration bzw. explizitem Eingehen auf den Beziehungsaspekt der Aussage der Patientin zu verzichten, weil ich zu diesem Zeitpunkt nur einen Behandlungsauftrag bezüglich einer Reizdarmsymptomatik eingeholt habe. Ich schlage der Patientin daher ein 'stufenweises” Experiment vor, bei dem sie gleichzeitig Probandin und Versuchsleiterin sein könne. Sie könne bei jedem Schritt erneut entscheiden, ob sie das Experiment fortführen wolle. Ich erkläre der Patientin, dass ein Faktor, der positiv in dem Erfolg einer Therapie korreliere, Imaginationsfähigkeit sei. Ich bitte sie, mehrere Gegenstände und Szenen (zuletzt Bild eines ruhig dahin fließenden Flusses) zu imaginieren und ihre Imaginationsfähigkeit selbst einer numerischen Skala von 0 bis 10 einzuschätzen. Aufgrund der detaillierten Schilderung der Imaginationen bestätigt sich ihre Einschätzung einer exzellenten Imaginationsfähigkeit. Danach zeige ich der Patientin in einem Videoausschnitt, wie es mittels der Thermografie beim Autogenen Training zu einer messbaren Zunahme der Hauttemperatur kommt (Seeding, Anregung der szenischen Vorstellung). Dann frage ich die Patientin, ob sie sich vorstellen könne, dass sie selbst ihre Hautdurchblutung und Temperatur steigern könne und ob sie das überprüfen wolle (Ja-Haltung). Mit Hilfe einer Hauttemperaturmesssonde kann ich der Patientin zeigen, dass sie unter Nutzung der Selbstsuggestion ('meine rechte Hand ist angenehm warm”) ihre Hauttemperatur um 0,5°C steigern konnte und dass die Hauttemperatur noch um weitere 0,3°C zunimmt, als sie sich vorstellt, angenehm, entspannt und sicher an einem Strand in der Sonne zu liegen und das Rauschen des Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 8 von 13 Meeres zu hören. Danach zeige ich ihr Diagramme der messbaren Veränderungen von gastrointestinaler Motilität und Sensitivität durch Hypnose (Wechsel von Entspannung/Imagination, Information im Sinne einer fraktionierten Trance). Ich bitte die Patientin, ein Wärmegefühl in ihrer rechten Hand hervorzurufen und bei der Empfindung einer zunehmenden Wärme in der rechten Hand diese an die Stelle des Bauches zu legen, an der sie in der Regel die meisten Schmerzen empfindet (zum Zeitpunkt der Übung keine Bauchschmerzen). Beim Auflegen der rechten Hand gibt die Patientin plötzlich starke Bauchschmerzen an, ich kann Blässe im Gesicht, Schweißausbrüche, Anspannung der Gesichts- und Bauchmuskulatur sowie beschleunigte Atmung beobachten. Ich schlage ihr vor, die Hand vom Bauch zu entfernen und mache unter der Hypothese einer stattgefundenen Reaktivierung schmerzlicher Erlebnisse unspezifische Suggestionen zur räumlichen, sensorischen und affektiven Distanzierung von Erlebnissen und Empfindungen. Es dauert ca. 5 Minuten, bis die Patientin eine erträgliche Schmerzreduktion angibt und in der Lage ist, die Ergebnisse des Experimentes auszuwerten. Ich deute die Schmerzauslösung als Beweis dafür, dass Bilder/Gedanken/Gefühle zu mess- und spürbaren körperlichen Veränderungen führen können. Als ich die Patientin fragte, was passiert sei, als sie die rechte Hand auf ihren Bauch gelegt habe, sagte sie unter leichter Errötung und beschleunigter Atmung, dass sie darüber nicht reden wolle. Ich akzeptiere diese Entscheidung, die sicherlich gute bewusste und unbewusste Gründe hat, mit mir darüber noch nicht zu sprechen. Ich schlug ihr vor, zu Hause 3 x täglich 5 Minuten das als angenehm empfundene Bild des Strandes hervorzurufen. Wenn sie sich sicher fühlen würde, könnte sie den Versuch mit der Hand auf dem Bauch wiederholen und eventuell die dabei entstandenen Bilder/Gedanken/Gefühle aufschreiben. Nur wenn Sie sich sicher sei, mir vertrauen zu können solle sie die Aufzeichnungen zum nächsten Termin mitbringen. Weiterhin bat ich sie, ein Symptomtagebuch zur Selbstkontrolle zu führen. Im 3. Termin nach 14 Tagen berichtet die Patientin, dass sie durch das Führen des Symptomtagebuches Zusammenhänge zwischen innerer Anspannung und Symptomzunahme festgestellt habe. Es sei ihr teilweise gelungen, die Intensität und Häufigkeit der Schmerzattacken durch die Vorstellung des Strandes zu reduzieren. Weiterhin habe sie sich entschlossen, mir zu berichten, was bei der letzten Sitzung passiert sei und unter welchen Beschwerden sie noch leide. Die Patientin berichtet über einen Flash-back einer sexuellen Traumatisierung im 16. Lebensjahr. In den letzten Monaten sei es einhergehend mit den Konflikten mit dem Arbeitskollegen, der sie an den Vergewaltiger erinnere, zu einer Zunahme der Flash-backs und Albträume gekommen. Aufgrund ihres Vermeidungsverhaltens und weiterer Symptome und erhöhten vegetativen Entspannung erfüllt die Patientin die Kriterien einer anhaltenden posttraumatischen Belastungsstörung. In den nächsten Sitzungen (insgesamt 10 Sitzungen über 6 Monate) erfolgt neben dem eigenständigen Durchführen einer darmgerichteten Selbsthypnose (Visualisierung eines ruhigen Flusses) eine therapeutische Aufarbeitung der Traumata, wobei neben hypnotherapeutischen Techniken auch andere psychotherapeutische Methoden (EMDR) zum Einsatz kommen. 3. Indikationen und Kontraindikation Gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen zur Diagnostik und Therapie des RDS ist eine psychotherapeutische Behandlung bei folgenden Indikationen gegeben(Hotz et al. 1999): - Eine klinisch relevante psychische Störung liegt vor bzw. psychosoziale Faktoren spielen eine Rolle für Entstehung, Aufrechterhaltung und Verlauf des RDS Internistisch-pharmakotherapeutische Maßnahmen hatten keine oder nur einen unzureichenden Erfolg. Die Beschwerden persistieren langjährig und/oder verursachen großen Leidensdruck Prädiktoren eines positiven Ansprechens von Psychotherapie sind (Lackner et al. 2004): Symptomauslösung oder Verstärkung durch Stress Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 9 von 13 - Vorhandensein von Angst und Depression Kein konstanter Schmerz Relativ kurz bestehendes Beschwerdebild In einer Studie unter den Bedingungen der klinischen Routineversorgung fanden sich außer der durchfalldominanten Form bei Männern keine negativen prognostischen Faktoren für die Wirksamkeit für Hypnotherapie. Insbesondere war ein fehlendes primäres Interesse der Patienten an Hypnose kein negativer prognostischer Faktor (Gonsalkorale et al. 2004). Kontraindikationen ergeben sich aus den allgemeinen Ausschlusskriterien einer Hypnotherapie bei psychischen Störungen (vergleiche entsprechende Kapitel), unzureichender Kenntnisse des Hypnotherapeuten bezüglich des RDS und der dabei einzusetzenden hypnotherapeutischen Methoden sowie ungenügender Vorbereitung des Patienten auf hypnotherapeutische Behandlung bzw. magischen Heilserwartungen (seitens des Patienten oder Hypnotherapeuten). Hypnose ist bei Patienten mit geringer Suggestibilität und/oder Imaginationsfähigkeit nicht wirksam (Montgomery et al. 2000). Alternativen bzw. Ergänzungen zur Hypnose sind die psychodynamische Therapie und kognitive Verhaltenstherapie, deren Wirksamkeit beim RDS ebenfalls belegt ist (Hotz et al. 1999; Jones et al. 2000). Insbesondere bei schwergradigen Formen des RDS mit psychischer Komorbidität ist eine Therapie mit Antidepressiva indiziert, welche auch mit den verschiedenen Psychotherapieverfahren kombiniert werden kann (Creed et al. 2003). Merksatz: Psychotherapeutische Verfahren inklusive Hypnose sind beim RDS beim Versagen einer symptomorientierten medikamentösen Therapie, beschwerdeassoziierten Beeinträchtigungen in Alltagsfunktionen und Modulation der Beschwerden durch psychologische Faktoren indiziert. 4. Integration mit anderen Verfahren Auf Grund der Häufigkeit des RDS und der limitierten personellen und finanziellen Ressourcen des Gesundheitssystems ist es nicht sinnvoll, alle Patienten mit RDS durch eine persönliche darmbezogene Hypnose zu behandeln. In Abhängigkeit des Schweregrades und des Ansprechens auf die jeweiligen Therapiemaßnahmen wird daher aus gastroenterologischer und psychosomatischer Sicht ein abgestuftes Vorgehen vorgeschlagen (Drossman et al. 1992; Hotz et al. 1999; Häuser 2002). Stufentherapie des Reizdarmsyndroms (nach Drossmann 1992; Häuser 2002) Stufe 1: Ärztliche Beratung - Positive Diagnose - Vermeiden überflüssiger bzw. wiederholter medizinischer Ausschlussdiagnostik - Information über Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten - Beratung (Ernährung, Lebensführung) Stufe 2: Symptomorientierte medikamentöse Therapie Stufe 3: Ärztliche psychosomatische Grundversorgung - Verbale Interventionen (Alltagsbelastungen/Affektregulation) - Entspannungsverfahren - Darmbezogene Hypnose (CD-unterstütztes eigenständiges Üben) - Strukturierte Schulungsprogramme (Selbstmanagement) Stufe 4: Fachpsychiatrische- psychotherapeutische Behandlung - Kognitive bzw. psychodynamische Therapie - Hypnotherapie - Psychopharmaka Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 10 von 13 Leichtgradige Formen des RDS bedürfen außer einer Aufklärung über die 'Gutartigkeit” der Störung und einer Lebensstilberatung (Stressreduktion, Weglassen eventuell symptomauslösender Nahrungsmittel oder Genussstoffe) [Patientenedukation] keiner weitergehenden medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlungen. Für die Patienteninformation setzen wir Broschüren, Internetinformationen (z. B. http://www.klinikum-saarbruecken.de/np_show.phtml?nID=43) und Filmbeiträge aus Wissenschaftsmagazinen (z. B. den Film über das 'Bauchhirn' des Wissenschaftsmagazin 'Sonde') ein. In diesem Film werden Wechselwirkungen von Bauch- und Kopfhirn bzw. Darm und Gedanken/Gefühlen bei Gesunden und Reizdarmpatienten sowie Möglichkeiten der Kombination von Ablationshypnose und Verhaltenstherapie an Hand der Fallgeschichte einer von mir behandelnden Patientin dargestellt. Bei mittelgradigen Formen des RDS sollte eine symptomorientierte medikamentöse Therapie erfolgen. Ergänzend oder alternativ können symptomorientierte psychotherapeutische Verfahren (kognitive Verhaltenstherapie bzw. symptomorientierte Hypnose) zum Einsatz kommen. Strukturierte Gruppenschulungsmaßnahmen für Patienten (Information über Erkrankungsbild und Behandlungsmöglichkeiten, kognitive Umstrukturierung, Entspannungs-, Stressbewältigungs,- und Imaginationstraining) sind zeiteffektive und wirksame Behandlungen (Heitkemper et al. 2004; Robinson et al. 2005) im Übergangsbereich von psychosomatischer Grundversorgung und Fachpsychotherapie. Bei schwergradigem RDS ist eine psychopharmakologische und fachpsychotherapeutische Behandlung der fast regelhaft vorliegenden psychischen Komorbidität notwendig. Zur fachpsychotherapeutischen Behandlung begleitender psychischer Störungen (z.B. Panikstörung, posttraumatische Belastungsstörung) können auch hypnotherapeutische Techniken eingesetzt werden. Die Modifikation dysfunktioneller kognitiver Strukturen und Verhaltensmuster (z.B. negative Bewertung gastrointestinaler Sensationen) bzw. die Bearbeitung intrapsychischer Konflikte bzw. emotionaler Traumata können auch in Trance durchgeführt werden. Merksatz: Darmebzogene Hypnose kann mit anderen psychotherapeutischen Verfahren und Psychopharmakatherapie kombiniert werden. 4.1 Empirische Belege: Bei Reizdarmpatienten können durch darmbezogene Hypnose eindrucksvolle therapeutische Erfolge erzielt werden, insbesondere bei Patienten, die sich gegenüber der medikamentösen Therapie refraktär zeigen. Die Wirksamkeit von darmbezogener Hypnose beim RDS ist auf der höchsten Stufe einer evidenzbasierten Medizin, nämlich durch Metaanalysen kontrollierter randomisierter Studien, belegt (Tan et al. 2005; Whitehead 2006). Weiterhin liegen nichtkontrollierte Studien mit großen Fallzahlen unter den Bedingungen der klinischen Routineversorgung vor, welche die positiven Ergebnisse der kontrollierten Studien bestätigten. Nach den Wirksamkeitsleitlinien der Clinical Psychology Division der American Psychological Association erreicht die Anwendung von Hypnose den höchsten Grad von Wirksamkeit und Spezifität (Tan et al. 2005). Die Britische Gesellschaft für Gastroenterologie empfiehlt Hypnose bei Patienten, welche auf medikamentöse Behandlung nicht ausreichend ansprechen und eine geringe Psychopathologie aufweisen, mit dem Empfehlungsgrad B (Jones et al. 2000). Eine Metaanalyse von 5 kontrollierten Studien mit 556 Patienten ergab eine mediane Responserate von 87% (Whitehead 2006). In den meisten Studien konnte nicht nur eine Reduktion der MagenDarmbeschwerden, sondern auch eine Reduktion extraintestinaler und psychischer Beschwerden nachgewiesen werden (Tan et al. 2005; Whitehead 2006). Aus gastroenterologischer Sicht wird die kleine Fallzahl der kontrollierten Studien, das Fehlen eines Vergleiches mit anderen Verfahren sowie die mäßige innere Validität der Hypnose-Studiendesigns kritisiert (Wilson et al. 2006). Im Vergleich zu medikamentösen Therapieverfahren ist festzustellen, dass die Wirksamkeit von psychologischen Verfahren beim RDS höher ist als die medikamentöser Verfahren. Eine Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 11 von 13 Metaanalyse von 17 kontrollierten Studien (inklusive Hypnose) ergab eine Odds Ratio einer mindestens 50% Symptomreduktion von 12,0 (95% Konfidenzintervall 5,6-26,0) und eine Number needed to treat von 2 (Lackner et al. 2004). Weiterhin ist im Gegensatz zu medikamentösen Verfahren eine anhaltende Symptomreduktion inklusive einer Reduktion von Arztbesuchen und Krankheitstagen bei den meisten Patienten in mehrjährigen Katamnesen nach Ende der Hypnosebehandlung gesichert (Houghton et al. 1996; Whitehead 2006). Derzeit wird diskutiert, ob eine audiokassetten- bzw. CD-unterstützte Ablationshypnose mit niedrigfrequenter therapeutischer Begleitung (Vermittlung Krankheits- und Behandlungsmodell, Überprüfen des Ansprechens) Behandlungskosten und Versorgungsengpässe bei Hypnotherapeuten reduzieren könnte (Palsson et al. 2002). Ein Vergleich von 6 Sitzungen individueller Einzelhypnose versus standardisierte Audiokassetten ergab keine signifikante Unterschiede in der Wirksamkeit (Forbes et al. 2000). Da weitere Studien zur Ablationshypnose fehlen, kann sie in ihrer Wirksamkeit der Lifehypnose bisher nicht gleich gesetzt werden. Merksatz: Die Wirksamkeit der darmbezogenen Hypnose beim RDS ist auf der höchsten Evidenzstufe (Metaanalysen kontrollierter Studien) belegt. Weiterhin belegen nicht-kontrollierte Studien ihre Effektivität in der klinischen Routineversorgung. 5. Wirkungsweise von Hypnotherapie beim RDS In systematischen Reviews wurden die aktuellen Kenntnisse über die Wirkung von Hypnose beim RDS zusammengefasst. Die Konsistenz nachweisbarer psychologischer Effekte ist größer als die der nachweisbaren physiologischen Wirkungen (Tan et al. 2005; Simren 2006). Hypnose führte zu einer Reduktion von Angst, Depressivität, Somatisierung und dysfunktioneller darmbezogener Kognitionen (Gonsalkorale et al. 2004). Eine Anhebung der erniedrigten Schmerzschwelle und Reduktion der motorischen und sensorischen Komponente des gastrokolischen Reflexes konnte nachgewiesen werden (Simren 2006). Merksatz: Die therapeutischen Effekte von Hypnose beim Reizdarmsyndrom können durch psychophysiologische (Reduktion psychologischer Distress; Normalisierung der gestörten Motorik und Sensorik des Gastrointestinaltraktes) erklärt werden. 6. Zusammenfassung Das RDS gehört zu den häufigsten Beschwerdebildern im internistisch-gastro¬enterologischen Bereich und führt zu hohen direkten und indirekten Krankheitskosten. Darmbezogene Hypnose ist beim RDS wirksam, auch bei Patienten, welche auf eine internistisch-medikamentöse Behandlung nicht ansprechen. Das RDS ist im Kontext einer Evidence based medicine bzw. psychotherapy einer der am besten abgesicherten Indikationsbereiche von Hypnose (Evidenzgrad Ia). Darmbezogene Hypnose wird von gastroenterologischen Fachgesellschaften zur Behandlung des RDS empfohlen. Darüber hinaus ist Hypnose ein wichtiges Instrument in der psychophysiologischen Grundlagenforschung des RDS (Francis et al. 1996; Simren 2006). Die Empfehlungen zum Einsatz von darmbezogener Hypnose beim RDS werden in der medizinischen Versorgung des RDS noch nicht ausreichend berücksichtigt: Patienten mit mittel- und schwergradigem Reizdarmsyndrom werden von ihren behandelnden Ärzten zu selten auf die Möglichkeit einer darmbezogenen Hypnose hingewiesen. Es ist zu hoffen, dass durch die laufenden Fortbildungsmaßnahmen in der psychosomatischen Grundversorgung geeignete Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 12 von 13 Patienten früher erkannt und in Fachpsychotherapie überwiesen werden bzw. dass somatisch orientierte Ärzte durch Erwerb von hypnotherapeutischen Grundkenntnissen imvon Curricula der medizinischen Hypnose eine darmbezogene Hypnotherapie beim RDS selbst durchführen können. Bei Hinweisen für eine psychische Komorbidität bzw. schwerwiegende psychosoziale Belastungen kann die darmbezogene Hypnose durch eine an den psychischen Problemen orientierte konfliktbearbeitende oder kognitive Therapie in Trance (Hypnotherapie)ergänzt werden Merksatz: Die von gastroenterologischen und psychologischen Fachgesellschaften empfohlene Behandlung des Reizdarmsyndroms mit darmbezogener Hypnose sollte in der klinischen Routineversorgung mehr berücksichtigt werden. Zusammengestellt von PD Dr. med. Winfried Häuser, Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin - Sportmedizin- Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik der Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken Letzte Überarbeitung: 23.12.2011 Erstellung: PD Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 23.12.2011 Version: 02 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Hypnose beim Reiszdarmsyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 13 von 13