Islam in Afrika: Sufistische Mystik und arabische

Werbung
16_Welt der
w
Religionen
Islam in Afrika: Sufistische Mystik und
arabische Einflussnahme
Bruderschaften, sehr oft sufistisch ausgerichtet, prägen den Islam
in Afrika. Wahabitisch gefärbte Muslime hingegen wollen
den afrikanischen Islam – wenn nötig auch gewaltsam – „reinigen“. Teil 1
BEITRAG_SANDRA LOBNIG
W
er sich auf die Suche nach dem afrikanischen Islam macht, dem wird schnell klar,
dass es nicht nur eine Form
des Islam in Afrika
gibt. Vielmehr zeigt sich eine Vielzahl an unterschiedlichen historischen, regionalen und spirituellen
Entwicklungen,
die der Islam seit seiner
Ankunft auf dem afrikanischen Kontinent
im Jahr 615 erfahren
hat. Heute bekennen
sich rund 43 Prozent der Afrikaner
zu dieser monotheistischen Religion.
Letzter Prophet
Mohammed, von den
Muslimen als letzter
der Propheten verehrt,
war noch am Leben, als
die ersten Muslime afrikanischen Boden betraten: Sieben
Jahre vor der Hidschra, der Flucht
Mohammeds aus Mekka nach Medina, kam eine Gruppe von Muslimen im
Jahr 615, nach einem sicheren Exil suchend, in das Gebiet
des heutigen Äthiopiens. Im christlichen Königreich Axum
wurden die Muslime freundlich aufgenommen. Die Gastfreundschaft des Königs soll Mohammed derart beeindruckt
haben, dass er die christlichen Äthiopier vom Dschihad verschonte. Bis heute ist dieses Ereignis für die Muslime Äthiopiens identitätsstiftend. Gegen Ende des siebten Jahrhunderts eroberten schließlich die muslimischen Araber das
christliche Nordafrika bis zur Meerenge von Gibraltar. Bis
heute ist der Islam an der Nordküste Afrikas stark von der
arabischen Kultur geprägt. Südlich der Sahara hingegen geschah die Islamisierung größtenteils gewaltfrei. Muslimischarabische Händler aus dem Maghreb reisten über transsaharische Handelswege in den Süden und machten den Islam
missiothek 1203
zahlreichen lokalen Herrschern schmackhaft. Es entstanden
neue Zentren islamischer Gelehrsamkeit, wie etwa in Timbuktu im damaligen Mali-Reich. In der Bevölkerung
konnte der Islam jedoch nicht richtig Fuß fassen. Lange Zeit koexistierte er als ein religiöser Kult neben anderen, integrierte
auch Elemente aus den traditionellen afrikanischen Religionen
und erzielte erst im 19. Jahrhundert den Durchbruch in
der breiten Bevölkerung.
Ausschlaggebend dafür
waren zum einen die Rolle, die der Islam im Widerstand gegen die europäischen Kolonialmächte
spielte, zum anderen die
Reformbewegungen, deren Anführer religiöse
Gelehrte waren, die mit
Sufi-Bruderschaften verbunden waren.
Sufi-Bruderschaften:
Mystik im Islam
Wer in Afrika Muslim ist, gehört
natürlich der umma, der weltweiten
Gemeinschaft der Muslime, an und ist meist
auch Teil einer Bruderschaft, einer tariqa, oder zumindest auf lose Weise mit einer solchen verbunden. Tariqa
bedeutet Weg: eine Gruppe von Menschen, die sich gemeinsam auf den Weg zu Gott macht. Tariqas können mit den
„dritten Orden“ oder den neuen geistlichen Bewegungen in
der katholischen Kirche verglichen werden: Laien, die nicht
in einem Kloster zusammen leben, sich einer religiösen Gemeinschaft aber zugehörig fühlen und sich nach deren Regeln und Spiritualität ausrichten. Die Bruderschaften ermöglichen es den afrikanischen Muslimen, Gott auf ihre je
eigene Weise zu verehren und individuelle Ausdrucksformen
des Glaubens zu leben. Singen oder Tanzen sind im traditiononellen Islam nicht vorgesehen, können aber in einer tariqa
praktiziert werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei dikhr,
das laute und ekstatische oder leise, meditative Gebet. Wie
Welt der
w
Religionen_17
Eine offizielle Heiligsprechung gibt es im Sufismus jedoch
nicht. Eine der bedeutendsten tariqas in Afrika ist die SufiBruderschaft der Tidjani, die Ende des 18. Jahrhunderts entstanden ist und von Ibrahim Baye Niass (1900-1975) im Senegal geprägt wurde. Die Anhänger des von Niass
gegründeten Zweigs, der weltweit einige Millionen Menschen umfasst, befinden sich auf einem spirituellen stufenweisen Weg zum inneren Erleben des Göttlichen und zur
Gotteserkenntnis.
Fotos: Ernst Zerche
„Reiner“ Islam aus Saudi Arabien
in den hierarchischen, traditionell afrikanischen Gesellschaften gibt es geistliche Führer, die spirituelle, moralische und
politische Autorität besitzen. Diese Sheiks erfahren bei den
Gläubigen eine außerordentliche Verehrung. Ihre Segenskraft, baraka, soll sich durch eine Initiationskette bis auf
Mohammed selbst zurück führen lassen und nach dem Tod
der Sheiks noch stärker weiterwirken. Viele geistliche Führer
– auch marabouts genannt – werden posthum wie Heilige
verehrt. Ähnlich wie in der katholischen Kirche kommen die
Gläubigen zum Grab der „Heiligen“, um dort zu beten, Heilung von Krankheiten oder Kindersegen zu erbitten. Die
deutsche Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel
schrieb dazu: „Viele Gottesfreunde haben bestimmte Spezialitäten: so, wie im Christentum St. Antonius für Verlorenes,
Florian für Feuerschutz, Blasius für Halskrankheiten zuständig ist, finden wir spezialisierte Heilige auch im Islam. Heilungen sind eine besondere Domäne für Gottesfreunde; denn
der Sufi sollte das Leiden der Mitmenschen auf sich nehmen.“
FACTBOX
Wichtige theologische Konzepte
s %SGIBTNICHTNUREINE&ORMDES)SLAM
in Afrika, sondern eine Vielzahl an
historischen, regionalen und spirituellen
Ausprägungen.
s $ERAFRIKANISCHE)SLAMWIRDIM
Gegensatz zum arabischen Islam als
Auf den Sufismus zurückzuführen sind auch die Gräber in
der Stadt Timbuktu in Mali, die im Sommer 2012 von radikalen Islamisten zerstört wurden. Die Mausoleen in Timbuktu, das auch „Stadt der 333 Heiligen“ genannt wird, gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Den Islamisten in
Mali ist diese Heiligenverehrung ein Dorn im Auge, weil sie
ihrer Meinung nach dem strengen Monotheismus im Islam
zuwiderläuft und die Einzigkeit Gottes angreift. Es dürfe
keine Mittler zwischen Gott und den Menschen geben. Die
Heiligenverehrung sei Götzendienst, weil dem Heiligen
Mächte zugeschrieben werden, die unabhängig von Gottes
Macht sind. Der Lehre des Wahabismus in Saudi-Arabien
verbunden, propagieren die Islamisten einen „reinen Islam“,
in dem allein für Allah und seinen Propheten Mohammed
Platz ist. Sie wollen die strengen Gesetze der Scharia in Mali
durchsetzen. Die nach Afrika führenden Geldflüsse aus Saudi-Arabien sollen für die Ausbreitung der wahabitischen
Richtung des Islams sorgen.
Der Gedanke, dass der Islam in Afrika weniger orthodox
ist, ist nicht neu. Immer wieder wird der Islam in Afrika im
Gegensatz zum „arabischen“ als synkretistisch, emotional,
volksfromm und peripher beschrieben. Eine Zweigliederung des Islam in eine arabische und eine afrikanische Richtung aufzubauen und diese dann gegeneinander auszuspielen sei aber falsch, betont der Islamwissenschaftler Rüdiger
Seesemann. Seine Forschungen über die Tidjani-Bruderschaft zeigen keine intellektuell anspruchslose Volksfrömmigkeit, sondern machen deutlich, dass sich islamische
Lehre und Spiritualität in Afrika eigenständig und auf hohem Niveau entwickelt haben. ✜
synkretistisch, emotional und volksFACTBOX
UNTERSCHIEDE
fromm beschrieben. Während der
Norden Afrikas stark vom arabischen
Islam geprägt ist, weist der Islam südlich
der Sahelzone lokale Einflüsse auf.
s %IN-USLIMGEHÚRTDERumma, der
weltweiten Gemeinschaft der Muslime
an. Die Wahabiten propagieren einen
„reinen Islam“, der den afrikanischen
Islam von seinen lokalen Einflüssen,
auch vom Sufismus, reinigen will.
MISSIOTHEK.AT
s %XKLUSIVONLINE
Sie finden diesen
Artikel auch als PDF
online: Ausdrucken
und in der Klasse
gemeinsam lesen!
missiothek 1203
Herunterladen