Interkulturelle Pädagogik: der Islam

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Autor:
Wolfgang Clima
Lehrer für Arabisch, Kiswahili
und Deutsch
Im Fokus: Vertiefungsgebiete der Erziehungswissenschaft
Interkulturelle Pädagogik:
Der Islam
Angesichts der Tatsache, dass in Österreich rund 500.000 und in Deutschland etwa 3,5 Millionen Muslime leben, ist
die Beschäftigung mit dem Islam für Lehrer/innen unumgänglich.
D
er Islam ist heute eines der Hauptthemen in den Medien,
doch wäre ein besseres Verständnis der Inhalte der islamischen Gesetze wünschenswert. In der öffentlichen Auseinandersetzung mit Migration und Integration erweist sich der
Mangel an objektiven und profunden Kenntnissen über das
Wesen des Islam als besonders hinderlich für alle Gesprächspartner, und gewissen Interessensgruppen fällt es deshalb
leicht, große Bevölkerungsteile zu verunsichern.
Laut Statistik Austria betrug die Zahl der Muslime/Musliminnen in Österreich 158.776 (2 % der Gesamtbevölkerung) im
Jahr 1991 und 338.988 (4,2 % der Gesamtbevölkerung) im Jahr
2001. In den traditionellen christlichen Kirchen zeichnet sich ein
kontinuierlicher Verlust von Mitgliedern ab, während der Islam
und andere Religionen ihre Zahl erhöhen. Die Verdoppelung der
Muslime/Musliminnen ist unter anderem durch den Zustrom
der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und durch die
höhere Geburtenrate der Muslime/Musliminnen zu erklären.
Die Bevölkerung Österreichs im Alter von 0 bis 19 Jahren betrug
im Jahr 2001 insgesamt 1.837.439, die Zahl der Muslime/Musliminnen im Alter von 0 bis 19 Jahren betrug 128.676, also 7 %.
Im selben Jahr betrug die Zahl der muslimischen Pflichtschüler/
innen und Kindergartenkinder in Österreich ca. 64.000.
Deshalb ist die Wirtschaftsuniversität Wien (Abteilung für
Bildungswissenschaft, Leiterin: ao. Univ.Prof. Dr. Erna NairzWirth) im Rahmen der Ausbildung von Lehramtskandidaten/kandidatinnen schon seit Jahren bemüht, den Studierenden ausreichend Informationen über die Grundlagen des Islam zu vermitteln. Es folgt nun ein kurzer Überblick über die wichtigsten
Themen, die in dieser Lehrveranstaltung behandelt werden.
Die Tendenz der nichtmuslimischen Öffentlichkeit, die
Muslime/Musliminnen als homogene Gruppe zu sehen, ist in
besonderem Maße in Österreich zu beobachten, nicht zuletzt
deshalb, weil die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die 1979 als offizielle Vertretung der Muslime/
Musliminnen in Österreich genehmigt wurde, beansprucht,
alle Muslime/Musliminnen in Österreich zu vertreten. Der Islam war jedoch nie einheitlich und ist es auch heute nicht.
Schon im Jahr 660 n. Chr., also 28 Jahre nach dem Tod des
Propheten Muḥammad, bildeten sich drei Gruppen aus religiöspolitischen Gründen, nachdem sich der Umayyade Mu‫ع‬āwiya,
Gouverneur von Damaskus, gegen den legitimen Kalifen ‫ع‬Alī
aufgelehnt hatte: die Sunna, die Šī‫ع‬a und die Ḫawāriǧ. Die Šī‫ع‬a
teilte sich in zahlreiche Untergruppen auf, deren bekannteste
die folgenden sind: die Zwölferschiiten/innen, die Zayditen/
innen, die Drusen/innen, die Ismā‫ع‬īliten/innen, die ‫ع‬Alawiten/
innen und die türkischen Aleviten/innen. In diesem Zusammenhang sind noch zwei Gruppen zu erwähnen, die weder von
den orthodoxen noch von den schiitischen Muslimen/Musliminnen anerkannt werden: Die Aḥmadiyya-Bewegung und die
Bahā’ī-Religion.
Die islamische Glaubenslehre
Der Prophet Muḥammad hat das Glaubensbekenntnis folgendermaßen zusammengefasst: Ich glaube an den EINEN Gott,
seine ENGEL, seine BÜCHER, seine PROPHETEN, an den
JÜNGSTEN TAG und die Wiederauferstehung nach dem
Tode; ich glaube, dass die GÖTTLICHE VORSEHUNG Gutes und Böses beschlossen hat.
Der Glaube an den einen Gott
Der wichtigste Bestandteil der Lehre ist der Glaube an die
Einheit Gottes. Allerdings führt das Hersagen einiger weniger
Worte noch keine Veränderungen herbei. Man wird erst dann
ein/e vollwertige/r Muslim/in, wenn das Tun und Denken
mit dem Bekenntnis übereinstimmt. Nur durch die rigorose
Befolgung der Lehre in allen Dingen des praktischen Lebens
können Unglaube, Atheismus und Polytheismus (bzw. Vergötzung von Personen und Sachen) vermieden werden. Nach
Ansicht der Muslime/Musliminnen ist das Einheitsbekenntnis (tawḥīd) zu allen Zeiten durch die Propheten (z. B. Noah,
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Abraham, Moses und Jesus) vermittelt worden, jedoch habe
sich der Mensch von den Lehren der Propheten abgewandt
und sich auf sein eigenes fehlerhaftes Urteilsvermögen, seine
falschen Vorstellungen und voreingenommenen Deutungen
gestützt. Auch die christliche Trinität wird von den Muslimen/
Musliminnen strikt abgelehnt.
Der Glaube an die Engel
Die Engel haben den Auftrag, die Ordnung im Universum aufrechtzuerhalten. Sie sind geschlechtslose Wesen, die nicht essen, nicht trinken, nicht ermüden und keiner Sache überdrüssig
werden. Von ätherischer Substanz, können sie jederzeit und in
jeder Gestalt im Himmel und auf Erden in Erscheinung treten.
Nur Gott kennt die Zahl dieser geheimnisvollen Wesen, doch
sind einige namentlich bekannt. Der Erzengel Gabriel ist dazu
ausersehen, den Willen Gottes an die Menschheit weiterzuleiten. Dank seiner Mittlertätigkeit empfingen die Propheten die
Offenbarungen, und er hat Muḥammad den Wortlaut des Korans in Herz und Verstand gelegt. Der Erzengel Michael lenkt
die Vorgänge in der Natur. Ferner kennt man noch Azrā’īl,
Isrāfīl, Munkar, Nakīr, Hārūt und Mārūt sowie den gefallenen
Engel Iblīs, der sich geweigert hatte, sich vor Adam niederzuwerfen und des Paradieses verwiesen wurde.
Der Glaube an Gottes Bücher
Früher existierten angeblich die Bücher Abrahams, die jedoch
verlorengegangen und nicht mehr auffindbar sind. Umfangreichere Werke wurden den Propheten Moses (Thora), David (Psalter), Jesus (Evangelium) und Muḥammad (Koran)
vom Erzengel Gabriel diktiert. Nach Ansicht der Muslime/
Musliminnen war jedoch der Inhalt der Bücher in der vorkoranischen Epoche allzu sehr auf bestimmte Volksstämme und
deren sozio-kulturelle Situation abgestimmt. Und die Juden/
Jüdinnen und Christen/Christinnen seien nicht mehr im Besitz der Originaltexte und müssten selbst zugeben, dass sie sich
auf Übersetzungen stützen und im Verlauf der Jahrhunderte
zahlreiche Veränderungen und Verfälschungen vorgenommen
wurden. Außerdem sagen die Muslime/Musliminnen, man
könne das Evangelium nicht mit dem Koran, dem Wort Gottes, vergleichen. Das Evangelium entspreche vielmehr der Sīra,
also der traditionellen Biographie Muḥammads.
Muḥammad schließt die lange Reihe der Propheten ab, er
wird deshalb im Koran „das Siegel der Propheten“ genannt. Der
von ihm verkündete Text ist nicht sein Werk, sondern wurde,
was sowohl den Inhalt als auch die sprachliche Formulierung
betrifft, von Gott übermittelt. Der Koran enthält 114 Suren
und 6666 Verse, die dem Propheten in einem Zeitraum von
22 Jahren mitgeteilt wurden. Die Suren sind nicht chronologisch angeordnet; vielmehr wurde die Anordnung, von einigen
Ausnahmen abgesehen, nach fallender Länge vorgenommen.
Lediglich am Anfang jeder Sure finden wir einen Hinweis auf
die beiden Hauptverkündigungsphasen im Leben Muḥammads.
Dementsprechend sind die „mekkanischen Suren“ diejenigen,
die in der Zeit von 610 bis 622 n. Chr. in seiner Heimatstadt
Mekka verkündet wurden. Am Anfang der mekkanischen Phase stehen theologische Fragestellungen im Vordergrund. Die
Verse handeln von der unmittelbaren Ankunft des Jüngsten
Gerichts. Sie schildern die Belohnung der Frommen und die
Höllenqualen der Sünder/innen. Den eschatologischen Betrachtungen folgen warnende Geschichten und Gleichnisse. Der Stil
wird zunehmend prosaischer und zeichnet sich durch zahlreiche
Wiederholungen aus. Die „medinensischen Suren“ sind schließ-
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lich die, die nach der Hiǧra (Auswanderung, zugleich Beginn der
islamischen Zeitrechnung) in der Zeit von 622 bis 632 n. Chr.
in Medina verkündet wurden. In Medina kamen zu den ethischen Aussagen und zu den Fragen der Auferstehung konkrete
Verhaltensregeln für den zwischenmenschlichen Bereich hinzu,
denn Muḥammad musste eine soziale Ordnung schaffen. Die
Suren aus dieser Zeit enthalten Bestimmungen des familiären
und gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Verteidigung nach
außen, Kriegsführung und Behandlung von Nicht-Muslimen/Musliminnen. Muḥammad rezitierte die Suren immer wieder,
und seine Gefährten/Gefährtinnen lernten sie auswendig. Bis
zur endgültigen Redaktion unter dem Kalifen ‫ع‬Uṯmān um 650
n. Chr., d. h. nicht einmal 20 Jahre nach dem Tod des Propheten,
kursierten noch weitere Sammlungen, die sich in erster Linie
durch die Anordnung der Suren und durch kleinere textliche
Abweichungen von der ‫ع‬uṯmānischen Vulgata unterschieden.
Der Glaube an die Propheten Gottes
Sayyid Abū l ’A‫ع‬lā Mawdūdī gibt an, dass sich die Anzahl aller
Propheten, die zu verschiedenen Zeiten zu den verschiedenen
Völkern gesandt wurden, auf 124.000 beläuft. Im Islam sei es
nötig, bedingungslos an alle Propheten zu glauben, doch sind
wir nicht in der Lage, mit Sicherheit zu sagen, ob jemand ein
echter Prophet war oder nicht, wenn er nicht im Koran genannt
ist. Der Koran kennt die folgenden Propheten namentlich:
Adam , Henoch, Noah, Heber, Methusalem, Abraham, Lot,
Ismael, Isaak, Jakob, Josef, Hiob, Jethro, Moses, Aaron, David,
Solomo, Elias, Eliasa, Jonas, Jesaja, Zacharias, Johannes (d.
Täufer), Jesus, Muḥammad.[Weiner 1983,36]
Für für einen/eine Muslim/Muslimin ist Muḥammad der
letzte wahrhaftige Prophet. Seine Lehren sind absolut vollkommen und frei von irgendwelchen Irrtümern. Nach ihm wird bis
zum Tag des Jüngsten Gerichts kein Prophet mehr zu irgendeinem Volk kommen, und es wird auch keine Persönlichkeit
mehr auftreten, an die zu glauben für einen/eine Muslim/Muslimin erforderlich wäre.
Der Glaube an den Jüngsten Tag
Der fünfte islamische Glaubensartikel ist der Glaube an das
Leben nach dem Tod. Am Tag der Auferstehung (yawmu
l qiyāma) werden alle Menschen, die seit Anbeginn auf der
Erde gelebt haben, wieder zum Leben erweckt, und eine vollständige Niederschrift aller ihrer Taten wird Gott zur endgültigen Beurteilung vorgelegt. Die Belohnung für einen ehr­
baren Lebenswandel ist das Paradies, welches im Koran als ein
Ort nie endender Labsal beschrieben wird, mit ausreichend
Nahrung, kostbaren Gewändern, wertvollem Schmuck,
kühlendem Schatten, fließenden Wassern, aufwartenden Jünglingen und in Bereitschaft stehenden, holdseligen, großäugigen
Mädchen. Für die Ungläubigen und Frevler/innen sind jedoch
die Höllenqualen vorgesehen: Flammen, siedendes Wasser, inneres und äußeres Verbrennen, Kleider aus Feuer und eiserne
Keulen warten auf die Sünder/innen, für die es kein Entrinnen aus der ewigen Folter gibt. Allerdings wird es auch Recht­
gläubige geben, die Sündenschuld auf sich geladen haben und
nach Verbüßung ihrer Höllenstrafe ins Paradies überwechseln
dürfen.
Die Vorherbestimmung
Während früher die Sunniten/Sunnitinnen den fünf Glaubensartikeln im Allgemeinen noch den Glauben an die Praedestination hinzufügten, schränken heutige Katechismen
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dieses schwierige Kapitel ein oder lassen es teilweise sogar weg.
In der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts n. Chr. bildeten
sich verschiedene Lehrmeinungen heraus, die dann im neunten Jahrhundert sowohl theologisch als auch politisch relevant
wurden und bis heute die Gemüter bewegen. Ihre Anhänger/
innen teilen sich in drei Hauptgruppen:
Die Ğabriten/Ğabritinnen sind in der Sektengeschichte diejenigen, welche im Gegensatz zu den Qadariten/Qadaritinnen
die Willensfreiheit des Menschen leugnen und in dieser Hinsicht zwischen ihm und der leblosen Natur keinen Unterschied
machen, insofern seine Handlungen dem Zwang (ǧabr) Gottes
unterworfen sind. Der vornehmste Vertreter dieser Meinung
war Ğahm Ibn Ṣafwān (hingerichtet im Jahre 746 n. Chr.)
Die Aš‫ع‬ariten/Aš‫ع‬aritinnen vertreten die Lehrmeinung des
Theologen al-’Aš‫ع‬arī (874-935 n. Chr.), der Gottes Mitwirkung
beim Handeln des Menschen deutlich zu machen versucht und
dennoch die Verantwortung dafür allein dem Menschen überträgt. Gott bleibt die eigentliche und erste Ursache von allem,
was geschieht, während der Mensch durch die „Aneignung“
(kasb bzw. iktisāb) die Tat als seine eigene gute oder böse Tat
übernimmt. Die überwiegende Mehrzahl der Muslime/Musliminnen bevorzugt diese Theorie, die auch der christlichen
Theologie des scholastischen Mittelalters nicht fremd war.
Die Mu‫ع‬taziliten/Mu‫ع‬tazilitinnen vertreten die Doktrin
der Freiheit des Menschen im Denken und im Handeln. Diese
theologische Schule begründete die spekulative Dogmatik im
Islam. Ihre Entstehung ist eng verbunden mit der Frage nach
der Verantwortlichkeit des Menschen. Da ihrer Ansicht nach
der Glaube durch die Vernunft verstanden werden sollte, gerieten sie in Konflikt mit den Traditionalisten/innen, für die nur
der Wortlaut der Offenbarung maßgebend war. Angeregt vom
griechischen Gedankengut systematisierten sie ihre Lehre und
beschäftigten sich hauptsächlich mit Fragen nach dem Wesen
Gottes und des Prophetentums, mit der Erschaffenheit des Korans und den Folgen der menschlichen Freiheit.
Das islamische Recht (die Šarī‫ع‬a)
Unter dem Begriff Šarī‫ع‬a wird die Gesamtheit der Vorschriften
verstanden, welche die Handlungen des Menschen im privaten
und öffentlichen Leben betreffen. Nach islamischem Verständnis sind die Vorschriften nicht Selbstzweck, sondern Hilfen,
sich richtig auf Gott auszurichten, und für die Mehrheit der
Muslime war und ist das Recht und das Gesetz von weitaus
größerer praktischer Bedeutung als das Dogma.
Die Šarī‫ع‬a regelt alle Lebensbereiche: Rituelle Handlungen
(‫ع‬ibādāt), Familien-, Erb-, Handels-, Wirtschafts-, Zivil- und
Strafrecht sowie die Wiedergutmachung von Schäden. Insgesamt umfasst sie mehr als 50 Sachgebiete. Die Regeln der
Šarī‫ع‬a beruhen auf den im Koran enthaltenen göttlichen Offenbarungen. Die islamische Pflichtenlehre (fiqh) beruht nach der
„Wissenschaft von den Wurzeln“ (‫ع‬ilmu l ’uṣūl) auf vier Wurzeln (’uṣūl), nämlich dem Koran (qur’ān), dem Verhalten des
Propheten Muḥammad (sunna), dem Konsens der Rechtsgelehrten einer Generation (iǧmā‫)ع‬und dem so genannten Analogieschluss (qiyās). Ursprünglich war auch die Rechtsauslegung
einzelner Gelehrter (iǧtihād) erlaubt. Heute ist der Iǧtihād nur
mehr bei den Schiiten/Schiitinnen eine erlaubte Methode der
Rechtsfindung. Im neunten Jahrhundert n. Chr. kristallisierten
sich vier sunnitische und eine schiitische Rechtsschule heraus,
die bleibende Bedeutung erlangten: die hanafitische, die malikitische, die schafiitische, die hanbilitische und die dschaafaritische Rechtsschule.
Die religiösen Grundpflichten
Werfen wir nun einen Blick auf die islamische Pflichtenlehre,
welche fünf Grundpfeiler bzw. Säulen (rukn, Pl. arkān) beinhaltet, die ein/e Gläubige/r praktizieren muss, wenn er/sie sich
Muslim/in nennen will. Da es im Leben des Menschen keinen
Bereich geben darf, der sich dem religiösen Einfluss entzieht,
finden wir diese Vorschriften stets in den ersten Kapiteln der
klassischen Rechtskompendien:
Das Glaubensbekenntnis (die Šahāda) lautet auf Deutsch
„Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Allāh gibt und
dass Muḥammad der Gesandte Allāhs ist“, und auf Arabisch
„’ašhadu ’anna lᾱ ’ilᾱha ’illᾱ Ị Ịᾱh wa-’anna Muḥammadan
rasūlu l-lᾱh“. Bei einer Konversion zum islamischen Glauben
muss die Šahāda vor zwei muslimischen Zeugen/Zeuginnen
in bewusster und aufrichtiger Absicht in arabischer Sprache
gesagt werden.
Das Ritualgebet (die Ṣalāt) muss fünfmal täglich nach Vollzug der rituellen Waschung durchgeführt werden, wobei die
Wortwahl und die Körperhaltung genau festgelegt sind. Das
Morgengebet besteht aus zwei Gebetsabschnitten (rak‫ع‬a, Pl.
raka‫ع‬āt) und ist zwischen Morgengrauen und Sonnenaufgang
zu verrichten, und zwar dann, wenn ein weißer Faden von einem schwarzen unterschieden werden kann. Das Mittagsgebet
(4 raka‫ع‬āt) beginnt dann, wenn die Sonne den Zenit gerade
überschritten hat. Das Nachmittagsgebet (4 raka‫ع‬āt) findet
statt, wenn der Schatten eines Gegenstandes doppelt so lang ist
wie seine Höhe. Das Abendgebet (3 raka‫ع‬āt) ist dann durchzuführen, wenn der schwarze Faden vom weißen noch zu unterscheiden ist. Das Nachtgebet (4 raka‫ع‬āt) wird nach Einbruch
der absolut finsteren Nacht verrichtet. Es ist als Gebet vor dem
Schlafengehen gedacht. Religiöse Menschen erweitern freiwillig
ihre Übungen, indem sie den verbindlich festgelegten Gebeten
noch weitere anfügen.
Das Fasten im Monat Ramaḍān (ṣiyām bzw ṣawm) dauert
29 bzw. 30 Tage. Jedes Jahr beginnt dieser Monat im europäischen Kalender ca. 11 Tage früher als im Vorjahr, weil das
Mondjahr nur 354 Tage hat. Fasten bedeutet nicht nur Enthaltsamkeit gegenüber bestimmten Speisen, sondern die absolute Abstinenz hinsichtlich Essens, Trinkens, Tabakgenusses,
Parfumgebrauchs, sexueller Handlungen und all dessen, was
einen gewissen Aufwand in den Tagesablauf bringen könnte,
vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Die Überwindung körperlicher Bedürfnisse oder Begierden vermittelt die
Genugtuung des Erfolges, und das Gefühl der Brüderlichkeit
und Nächstenliebe wird stärker, weil man die Vorschriften des
Rituals gemeinsam befolgt.
Die Pflichtabgabe (zakāt), nicht zu verwechseln mit dem freiwilligen Almosen (ṣadaqa), ist eine Steuer, die jede/r/m wohlhabenden Muslim/in zur Pflicht gemacht wurde. Jede/r Muslim/in, deren/dessen finanzielle Verhältnisse sich über einem
festgesetzten Minimum bewegen, hat jährlich 2,5 % von ihrem/
seinem Barvermögen an eine/n unterstützungswürdige/n Mitbürger/in, eine/n zum Islam Bekehrte/n, eine/n Reisende/n
oder eine/n mit Schulden Belastete/n zu bezahlen. Die Abgabe
wird auch auf Gold, Silber, Handelswaren, Vieh und andere
Wertgegenstände erhoben. Immobilien, Wohnungseinrichtungen und notwendige Fortbewegungsmittel unterliegen keiner Steuer, wohl aber die Einkünfte aus Häusern, Geschäften,
Restaurants, Hotels, Gärten und Feldern. In manchen islamischen Staaten wurde die Zakāt zu einem regelrechten Steuersystem entwickelt, um eine ideale islamische Sozialordnung
aufzubauen.
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Die Pilgerfahrt nach Mekka (ḥaǧǧ) soll jede/r Muslim/in
wenigstens einmal im Leben unternehmen, sofern seine/ihre
finanziellen Verhältnisse und die äußeren Umstände dies erlauben. Die Pilgerfahrt ist an feste Riten und Voraussetzungen
gebunden, die erfüllt werden müssen, damit sich die Reisenden
in innerer Ergebenheit und Ehrfurcht ausschließlich mit den
Gedanken an Gott und seinen Propheten beschäftigen können.
Dadurch wird das Bewusstsein wachgerufen, dass alle Muslime/Musliminnen gleich sind, unabhängig von ihrer geographischen oder kulturellen Herkunft.
Eine andere Verpflichtung ist für viele Muslime/Musliminnen gleichrangig mit den fünf Grundpflichten, nämlich die Teilnahme am Ğihād. Sayyid Abū l ’A‫ع‬lā Mawdūdī
(1903–1979), der maßgeblich an der Staatsgründung Pakistans
beteiligt war, hat dazu eindeutig Stellung genommen: “Ğihād
bedeutet Kampf, Bemühung, Anstrengung bis zum Äußersten
der eigenen Leistungsfähigkeit. …Die außerordentliche Opferbereitschaft, selbst das eigene Leben hinzugeben, müssen alle
Muslime aufbringen. Wenn sich jedoch ein Teil der Muslime
erbietet, am Ğihād teilzunehmen, so ist damit die ganze Gemeinde von ihrer Verantwortung entbunden. Tritt aber niemand freiwillig hervor, dann ist jeder Einzelne verantwortlich.
Dieses Zugeständnis wird in dem Moment für die Bürger eines
islamischen Staates ungültig, wenn dieser von Nichtmuslimen
angegriffen wird. In diesem Fall muss jeder zum Ğihād bereit
sein. Wenn das angegriffene Land nicht stark genug ist, um
sich allein zu verteidigen, dann ist es die religiöse Pflicht der benachbarten Muslim-Länder, ihm zu helfen; doch wenn auch sie
zu schwach sind, dann müssen die Muslime der ganzen Welt
den gemeinsamen Feind bekämpfen. In all diesen Fällen ist der
Ğihād eine genauso unerlässliche Pflicht wie das tägliche Gebet
oder das Fasten. Wer dem zu entkommen sucht, ist ein Sünder, ja, seine Behauptung, ein Muslim zu sein, wird dadurch
zweifelhaft. Er ist ganz offenbar ein Heuchler, der bei der Prüfung seiner Aufrichtigkeit versagt, und alle seine ‫ع‬Ibādāt und
Gebete sind leerer Schein, eine wertlose, hohle Vorspiegelung
von Gottergebenheit“ [Maudoodi 1971, 140].
Das Wort „Ğihād“ kommt im Koran insgesamt viermal
vor (9:24; 22:77; 25:54; 60:1), und die verschiedenen Rechtsschulen divergieren in ihren Ansichten über diesen Terminus.
Die meisten Muslime/Musliminnen verstehen heute darunter
den Kampf gegen Unterentwicklung und das Streben nach
Beseitigung sozialer Benachteiligungen und Missstände. Die
islamischen Mystiker interpretieren diesen Begriff nicht als
kollektive Bemühung, sondern als individuellen Kampf gegen
Abhängigkeiten und schlechte Gewohnheiten.
Nach dieser kurzen Einführung in die Grundlagen des Islam
werden in der Lehrveranstaltung an der WU folgende Themen
ausführlich behandelt:
Muslimische Frömmigkeit und muslimischer Gottesdienst;
die Ethik des/der Einzelnen; Familienleben im Islam; die islamische Gesellschaft; Kulturknigge für Nicht-Muslime/-Musliminnen; der Islam im Rahmen der monotheistischen Weltreligionen; Koran und Koranexegese; Elemente und Strukturen
klassischer islamischer Pädagogik und die Administration
des islamischen Bildungsbereichs; der Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht an Pflichtschulen, mittleren und
höheren Schulen in Österreich; die islamische Frau und die
Kopftuchdebatte; Tendenzen der Rechtsentwicklung (Familien- und Erbrecht, Vermögensrecht, Strafrecht); der wirtschaftliche Aufbau der islamischen Gesellschaftsordnung; westliche
Banken und die Entwicklung islamkonformer Finanzierung;
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die islamische Völkerrechtslehre; Absolutheitsanspruch und
Toleranz; die islamische Mystik (das Ordenswesen, spirituelle
Entwicklung und Transformation); der Islam und die westliche Welt (Erörterungen und Diskussionen über die aktuelle
nationale und internationale Situation).
Literatur
Antes, Peter: Ethik und Politik im Islam; Stuttgart: Kohlhammer 1982
Göle, Nilüfer und Ludwig Ammann (Hrsg.): Islam in Sicht. Der Auftritt von Muslimen im öffentlichen Raum; Bielefeld: transcript 2004
Haarmann, Ulrich (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt; München: Beck 1987
Haug, Frigga und Katrin Reimer (Hrsg.): Politik ums Kopftuch; Hamburg: Argument 2005
Houtsma, Martin T. et al. (Hrsg.): Enzyklopädie des Islam. Bd. 1-4+Erg.-Bd.; Leiden: Brill 19131938
Khoury, Adel-Theodor: Einführung in die Grundlagen des Islams; Graz: Styria 1978
Maudoodi, Sayyid Abu-l-’A‫ع‬lᾱ: Weltanschauung und Leben im Islam; Freiburg: Herder 1971
Schimmel, Annemarie et al.: Der Islam III (Religionen der Menschheit Bd.25,3); Stuttgart: Kohlhammer 1990
Schmidinger, Thomas und Dunja Larise (Hrsg.): Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam; Wien: Deuticke 2008
Tworuschka, Monika: Allah ist groß. Religion, Politik und Gesellschaft im Islam; Gütersloh: GTB Siebenstern 1983
Tworuschka, Monika und Udo: Islam-Lexikon; Düsseldorf: Patmos 2002
Watt, W. Montgomery und Alford T. Welch: Der Islam I (Die Religionen der Menschheit Bd.
25,1); Stuttgart: Kohlhammer 1980
Watt, W. Montgomery und Michael Marmura: Der Islam II (Die Religionen der Menschheit
Bd. 25,2); Stuttgart: Kohlhammer 1985
Weiner, Sigrid: Besmele. Eine Einführung in den Islam; Donauwörth: Auer 1983
Weis, Walter M. (Hrsg.): Du Monts Handbuch Islam; Köln: Monte 2002
Zaidan, Amir M. A.: Fiqhu l-‫ع‬ibᾱdᾱt. Einführung in die Modalitäten der rituellen Handlungen (Gebet,
Fasten, Zakᾱt und Pilgerfahrten); Wien: Islamologisches Institut 2009
Zaidan; Amir M. A.: Fiqhu l -aḥwᾱli š-šaḫḫṣṣiyya. Gebote der Bekleidung, Ernährung und Personenstandsangelegenheiten; Wien: Islamologisches Institut 2010 ‫ع‬lᾱ
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