Die Regiomontanus-Sonnenuhr

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Die Regiomontanus-Sonnenuhr
Von Günther Zivny
Die Regiomontanus-Sonnenuhr gehört zur Gruppe der Höhensonnenuhren. Die Sonnenhöhe,
also der Winkel zwischen Horizont und Sonne, ändert sich im Laufe des Tages. Bei
Sonnenaufgang steht die Sonne direkt am Horizont und die Sonnenhöhe ist Null. Zur
Mittagszeit (12 Uhr) erreicht die Sonne ihre größte Höhe, bei Sonnenuntergang ist die Höhe
wieder Null. Durch Messung der Sonnenhöhe lässt sich also auf die Uhrzeit schließen, wobei
wegen der Symmetrie des Tagbogens nicht zwischen vormittags und nachmittags
unterschieden wird. Beispielsweise hat die Sonne um 10 Uhr dieselbe Höhe wie um 14 Uhr.
Die Sonnenhöhe hängt aber nicht nur von der Tageszeit ab, sondern auch von der
geografischen Breite des Standorts und vom Datum. Je weiter nördlich man sich aufhält, desto
tiefer steht die Sonne und im Sommer steht die Sonne höher als im Winter.
Die Regiomontanus-Sonnenuhr ist ein Pendelquadrant oder Astrolabium, mit dem durch
Anpeilen der Sonne der aktuelle Höhenwinkel gemessen wird. Sie ist aber auch ein grafischer
Rechner, mit dem ausgehend von den Parametern „Höhenwinkel h“, „geographische Breite
φ“ und „Datum“ die Uhrzeit „berechnet“ werden kann. Diese Rechnung ist ziemlich
kompliziert und wir modernen Menschen benötigen hierfür einen Taschenrechner. Dass diese
Aufgabe auch auf so einfache Weise grafisch gelöst werden kann, erscheint zunächst
unmöglich!
Im folgenden soll in einem ersten Schritt dargestellt werden, wie man aus den genannten
Parametern die Uhrzeit berechnet. Dies allerdings nur als Tatsachenbehauptung und ohne
Herleitung.
In einem zweiten Schritt wird dann gezeigt, wie man die Sonnenuhr konstruiert und es wird
nachgewiesen, dass sie tatsächlich die richtige Zeit anzeigt. Alle Zeitangaben sind
selbstverständlich in wahrer Ortszeit (WOZ). Es wird vorausgesetzt, dass der Leser die Uhr
vorliegen hat und ihre Bedienung kennt.
1. Berechnung der Uhrzeit
Die Deklination der Sonne: Die Erdachse ist um den Winkel 23,5° zur Bahnebene der Erde
geneigt (die sogenannte „Schiefe der Ekliptik“). Würde sich die Erde nicht um ihre Achse
drehen, sondern stillstehen, so würde die Sonne aufgrund des Erdumlaufs, von der Erde aus
betrachtet, einmal im Jahr um die Erde herumwandern. Im Sommerhalbjahr steht sie dabei
oberhalb, im Winterhalbjahr unterhalb des Himmelsäquators. Diese scheinbare Sonnenbahn
heißt Ekliptik. Im Frühlings- und im Herbstpunkt (Tag- und Nachtgleiche) kreuzt die
Sonnenbahn den Himmelsäquator, d.h. die Sonne steht senkrecht über dem Erdäquator. Der
Himmelsäquator ist der auf die Himmelskugel projizierte Erdäquator. Der vom
Himmelsäquator zur Sonne gemessene Winkel, die Deklination δ, ist also vom Datum
abhängig und wird wie folgt berechnet:
sin δ = sin Λ * sin 23,5°
Gl. 1
Der Winkel Λ, wir nennen ihn die ekliptikale Länge oder den Bahnwinkel, wird in der
Bahnebene (Ekliptik) vom Frühlingspunkt aus gemessen. Ein ganzes Jahr entspricht 360°
bzw. 365 Tagen, somit ist:
Λ = 360° / 365 * T.
Darin ist T die Anzahl der Tage seit Frühlingsanfang, der meist auf den 21. März fällt.
Beispiel: Am 31. März ist T = 10 Tage. Folglich ist Λ = 9,9°.
Damit: δ = 3,9°
Zur Sommersonnenwende ist Λ = 90° und δ = 23,5°
Polarstern
Sommersonnenwende
21. Juni
Λ
δ
FrühlingsTag- und Nachtgleiche
21. März
lip
Ek
tik
HerbstTag- und Nachtgleiche
23. September
Himm
e
lsäqu
ato
r
Wintersonnenwende
21. Dez.
Bild 1: Darstellung des Jahreslaufs der Sonne.
Berechnung der Uhrzeit aus der Sonnenhöhe : Der Höhenwinkel h wird von der waagerechten
Erdoberfläche zur Sonne gemessen. Daraus ergibt sich der Stundenwinkel τ wie folgt:
cos τ = sin h / (cos φ * cos δ) – (tan δ * tan φ)
Gl. 2
Darin ist φ die geografische Breite des Standorts und δ die bereits errechnete Deklination.
Der Stundenwinkel wird in der Äquatorebene von Süden (12 Uhr) aus gemessen. Ein
Vollkreis entspricht 360° bzw. 24 Stunden. In Stunden ausgedrückt erhält man somit:
St = 24 / 360° * τ
und die Uhrzeit: 12 Uhr ± St
Beispiel: Die geografische Breite sei φ = 50° und die Deklination δ = 3,9°.
Der gemessene Höhenwinkel sei h = 40°.
Somit ist: cos τ = sin 40° / (cos 50° * cos 3,9°) – (tan 3,9° * tan 50°) = 0,92
und τ = arccos 0,92 = 23°
Somit: St = 1,5 und die Uhrzeit 10,5 Uhr = 10:30 oder 13,5 Uhr = 13:30
Zenit
Polarstern
n
idia
Me r
SSW
T=N
δ
T ag
bog
en
WSW
Süden
τ
ϕ
h
Mittagslinie
Horiz
ontk
Himme
lsäqua
tor
Nadir
Bild 2: Darstellung der Tagbögen der Sonne
reis
Norden
2. Die Konstruktion der Sonnenuhr (Bild 3)
Wir beginnen bei der Konstruktion mit dem schwarzen rechtwinkligen Dreieck. Als
geografischer Breitengrad wurde φ = 60° gewählt. Dies ist auch die nördlichste Breite, die
man einstellen kann. Die Strecke L0 ist die Basislänge, auf die alle anderen Strecken bezogen
sind; sie beträgt bei der AstroMedia-Uhr L0 = 100 mm. Die untere Kathete hat die Länge r0
und kann aus bekannten Daten berechnet werden (alle Formeln siehe Bild 3).
Als nächstes zeichnen wir das rote rechtwinklige Dreieck. Dieses ist um den
Deklinationswinkel δ gedreht. Dieser Winkel kann je nach Jahreszeit zwischen 0° und ±23,5°
betragen (siehe Gl. 1). Das schwarze Dreieck und das rote Dreieck sind ähnlich, d.h. die
Winkel sind identisch und die Seitenlängen stehen im gleichen Verhältnis zueinander. Die
Länge der unteren Kathete ist mit r bezeichnet und kann berechnet werden. Wegen der
Ähnlichkeit der beiden Dreiecke erhält man nun auch die Länge L. Dies ist die Pendellänge
für die gewählte Deklination δ. Es ist: L/L0 = r/r0.
Auf ähnliche Weise erhält man die Strecke D0 und über die Kathete b auch die Strecke D. Die
Strecke D ist ein Maß für das Datum. Das Datum, das man anschreiben muss, ist das Datum,
für welches die Deklination berechnet wurde.
Der Winkel h ist die Sonnenhöhe, die im Betrieb gemessen wird. Aus der zugehörigen
Strecke s erhält man mit Hilfe des Kreises den Stundenwinkel τ und schließlich die Uhrzeit.
Ein Vollkreis hat 360° oder 24 Stunden. Somit ist 360°/24 h = τ / St.
Beispiel: τ = 36°. → St = 2,4 h.
Der Stundenwinkel wird von 12 Uhr aus gemessen, somit ist die Uhrzeit 12 – 2,4 = 7,6 Uhr =
7: 36 Uhr oder 12 + 2,4 = 14,4 Uhr = 14:24 Uhr.
T=N
Datum
T = N Tag- und Nachtgleiche
SA = Sonnenaufgang
Z = aktuelle Uhrzeit
τ = aktueller Stundenwinkel
D
b
r0 = L0 * cos ϕ
r = r0 / cos δ
L = L0 / cos δ
L
D0 = r0 * tan δ
b = r0 * tan ϕ
L0
h
=1
mm
00
L
D = D0 * b/r0
= r0 * tan δ * r0 * tan ϕ / r0
= r0 * tan δ * tan ϕ
s = L * sin h
Datum
δ
r0
ϕ
T=N
r0
δ
D0
r
s
τSA
τ
SA
6 Uhr
r0 * cos τ Z
Bild 3: Konstruktion der Sonnenuhr
12 Uhr
b
T=N
Datum
In der Zeichnung wurde als Beispiel φ = 60° genommen. Es funktioniert aber mit jedem
Winkel, wie Bild 4 zeigt. In der Herleitung spielt der Zahlenwert von φ an keiner Stelle eine
Rolle.
D
L
Datum
L
r
r0
ϕ
T=N
r0
δ
D0
δ
L0
τSA
τ
SA
6 Uhr
r0 * cos τ Z
Bild 4: Andere geografische Breite
12 Uhr
Nachweis, dass die grafischen Ergebnisse mit den Rechenergebnissen übereinstimmen.
Aus der gemessenen Sonnenhöhe h erhält man mit der Pendellänge L die Strecke s.
Es ist: s = L * sin h.
Wie man aus Bild 3 entnimmt, ist s = D + r0 * cos τ.
Ersetzt man die Variablen durch die gefundenen Ausdrücke, erhält man:
L * sin h = r0 * tanδ * tan φ + r0 * cos τ
und weiter:
L0 / cos τ * sin h = r0 * tanδ * tan φ + r0 * cos τ
und weiter:
r0 / (cosφ*cos τ) * sin h = r0 * tanδ * tan φ + r0 * cos τ
und nach Kürzen und Umstellen:
cos τ = sin h / (cosφ*cos τ) - tanδ * tan φ
Dies ist also tatsächlich die weiter oben angegebene Formel (Gl. 2). Damit ist gezeigt, dass
die Uhr wirklich richtig anzeigt. Auf welchem Wege und durch welche Überlegungen der
Gelehrte zu dieser erstaunlichen Lösung kam, muss freilich im Dunkeln bleiben.
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