9 Stochastische Unabhängigkeit

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9
Stochastische Unabhängigkeit
9.1
Vorüberlegung
1. In praktischen Beispielen tritt oft die Frage auf, ob sich durch das Eintreten eines Ereignisses B
die Wahrscheinlichkeit für ein anderes Ereignis A ändert. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn also
durch das Eintreten von B die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von A nicht beeinflusst wird, so
sagt man, B ist von A unabhängig, andernfalls heißt B abhängig von A.
2. Beispiel: Beim zweimaligen Würfeln eines Würfels ist die zweite gewürfelte Augenzahl von der ersten
Augenzahl unabhängig – der Würfel hat kein Gedächtnis. Ebenso wird es sein beim mehrmaligen
Ziehen von Kugeln aus einer Urne mit Zurücklegen der gezogenen Kugel, da hierbei nach jeder
Ziehung der ursprüngliche Ausgangszustand wieder hergestellt wird. Ein anderer Fall liegt vor,
wenn die gezogenen Kugel nicht zurückgelegt wird.
Nehmen wir an, die Urne enthält 3 grüne und 2 rote Kugeln. Ri sei das Ereignis i. Kugel rot“, Gi
”
das Ereignis i. Kugel grün“.
”
3
2
Beim Ziehen mit Zurücklegen ist P (R1 ) = P (R2 ) = 5 sowie P (G1 ) = P (G2 ) = 5 .
Genauso können wir schreiben: P (R2 |G1 ) = 52 = P (R2 ) bzw. P (R1 |G2 ) = 25 = P (R1 ), da völlig
gleichgültig ist, was im jeweils anderen Zug gezogen wurde. (Beachte: Dies gilt nicht, wenn das
Zurücklegen unterlassen wird.)
Definition 1 Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum eines Zufallsexperiments und A, B ⊆ Ω und sei
P (B) > 0. Das Ereignis A heißt (stochastisch) unabhängig vom Ereignis B, wenn gilt:
P (A|B) = P (A).
In Worten: wenn die bedingte Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung B gleich der Wahrscheinlichkeit von A ist.
Bemerkung: Anschaulich kann man sagen: A ist von B unabhängig, wenn die bedingte Wahrscheinlichkeit P (A|B) gar nicht von der Bedingung abhängt.
Es ergibt sich folgende einfache Folgerung:
Satz 1 Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum eines Zufallsexperiments und A, B ⊆ Ω und P (A) > 0
und P (B) > 0.
Dann gilt:
A (stochastisch) unabhängig von B ⇐⇒ B (stochastisch) unabhängig von A.
Bemerkung: In diesem Fall sagt man daher besser: A und B sind (stochastisch) unabhängig.
Beweis: A unabhängig von B ⇐⇒ P (A|B) = P (A) ⇐⇒ P P(A∩B)
(B) = P (A) ⇐⇒
P (B|A) = P (B).
Offensichtlich werden beide Voraussetzungen P (A) > 0 und P (B) > 0 benötigt.
P (A∩B)
P (A)
= P (B) ⇐⇒
Wir formulieren daher die
Satz 2 (Produktregel) Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum eines Zufallsexperiments und gelte für
A, B ⊆ Ω: P (A) > 0 und P (B) > 0.
Dann gilt: A, B (stochastisch) unabhängig ⇐⇒ P (A ∩ B) = P (A) · P (B).
Bemerkung: Da die Produktregel auch dann gilt, wenn P (A) = 0 oder P (B) = 0, lässt sich die Definition für die Unabhängigkeit von Ereignissen mit ihrer Hilfe auch auf den Fall erweitern, dass eines der
Ereignisse das unmögliche Ereignis ist.
9.2
Zusammenhänge zwischen Unvereinbarkeit und Unabhängigkeit von Ereignissen
Die Unabhängigkeit ist nicht zu verwechseln mit der Disjunktheit oder Unvereinbarkeit von Ereignissen!
Während im ersten Fall eine Produktregel für den Durchschnitt der Ereignisse A und B gilt, gilt im
zweiten Fall eine Summenregel für die Vereinigung von A und B: P (A ∪ B) = P (A) + P (B), falls
A ∩ B = ∅. Es gilt hierbei sogar der folgende
Satz 3 Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum eines Zufallsexperiments und gelte für A, B ⊆ Ω: P (A) >
0 und P (B) > 0. Dann gilt:
a) A, B unvereinbar ⇒ A, B abhängig.
b) A, B unabhängig ⇒ A, B vereinbar.
Beweis: zu a) A, B unvereinbar ⇒ P (A ∩ B) = 0,
außerdem gilt P (A) > 0 und P (B) > 0 ⇒ P (A) · P (B) > 0. Also ist P (A ∩ B) 6= P (A) · P (B).
zu b) indirekter Beweis: Wir nehmen an, A und B seien unvereinbar. Dann folgt aber mit a), dass sie
abhängig sind, was im Widerspruch zur Voraussetzung steht, dass A und B unabhängig sind.
Bemerkungen: 1. Wie dieser Satz zeigt, darf die stochastische Unabhängigkeit nicht als völlige Beziehungslosigkeit der beiden Ereignisse gedeutet werden. Es handelt sich lediglich um eine Unabhängigkeit im
statistischen Sinn. Auch wenn man von Unabhängigkeit der Ereignisse spricht, so ist die Unabhängigkeit
genau genommen keine Eigenschaft der Ereignisse, sondern eher eine Eigenschaft ihrer Wahrscheinlichkeiten.
2. Viele Experimente sind so beschaffen, dass man aufgrund der Anordnung des (meist mehrstufigen)
Experiments die Unabhängigkeit zweier Ereignisse postuliert. Dann dienen die bekannten Einzelwahrscheinlichkeiten P (A) und P (B) zur Ermittlung der Durchschnittswahrscheinlichkeit P (A ∩ B) mit Hilfe
der Produktregel.
9.3
Ereignisse und Gegenereignisse: Stochastische Unabhängigkeit
Was gilt für A und B, wenn A und B unabhängig sind? Hierzu betrachten wir die Wahrscheinlichkeit für
die entsprechende Schnittmenge. Es ist
P (A ∩ B)
=
=
=
=
=
=
=
P (A ∪ B)
1 − P (A ∪ B)
1 − [P (A) + P (B) − P (A ∩ B)]
1 − P (A) − P (B) + P (A ∩ B)
1 − P (A) − P (B) + P (A) · P (B)
[1 − P (A)] · [1 − P (B)]
P (A) · P (B).
(da A, B stochastisch unabhängig)
Das ist offensichtlich nichts anderes als die Unabhängigkeit von A und B.
Außerdem gilt:
P (A ∩ B)
= P (B \ A) = P (B \ (A ∩ B) = P (B) − P (A ∩ B)
= P (B) − P (A) · P (B) = P (B)[1 − P (A)]
= P (B) · P (A).
Und damit haben wir auch die Unabhängigkeit der Ereignisse A und B gezeigt.
Insgesamt gilt also der
Satz 4 Sind A und B unabhängige Ereignisse eines Zufallsexperiments, dann sind auch die Gegenereignisse A und B sowie die Ereignisse A und B bzw. A und B jeweils paarweise unabhängig.
Bemerkung: 1. A und A sind natürlich i.A. (d. h., falls A 6= ∅) abhängig (Warum?).
2. Die Aussage des Satzes ist nicht weiter verwunderlich: Beim zweimaligen Werfen eines Würfels hängt
eine eventuelle 2. Sechs nicht von einer ersten Sechs ab. Warum sollte dann das Ereignis Keine Sechs im
”
2. Wurf“ von der Sechs im 1. Wurf abhängen?
9.4
Übungen
1. Ein Laplace-Würfel einmal geworfen. Betrachten Sie die Ereignisse A: Augenzahl höchstens 2.“,
”
B: Augenzahl gerade.“ und C: Augenzahl höchstens 3.“
”
”
Ermitteln Sie die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten und die Wahrscheinlichkeiten der möglichen
Durchschnitte. Welche der Ereignisse (A, B, C) sind (paarweise) unabhängig? Welche sind (paarweise) unvereinbar?
2. Eine Maschine produziert Schrauben mit einem Ausschuss von 3%, eine andere Maschine Muttern
mit einem Ausschuss von 2%. Je eine Schraube und eine Mutter werden zufällig zu einem Set
zusammengesetzt. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist ein solches Set fehlerfrei?
3. Zwei Jäger schießen gleichzeitig auf einen Hasen. Der 1. Jäger trifft in 3 von 10 Fällen, der 2. Jäger
in 5 von 10 Fällen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird der Hase getroffen?
4. Zwei gleiche Münzen werden geworfen. A sei das Ereignis Höchstens einmal erscheint Zahl.“, B sei
”
das Ereignis Jede Seite erscheint wenigstens einmal.“ Sind A und B stochastisch unabhängig?
”
Zugehörige Unterlagen
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