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ATOSnews
Schwerpunkt:
Endoprothetik
:: Schulter:
Rasante Entwicklung von
Material und Technik
:: Radiusköpfchen:
Stabile Rekonstruktion
mit der Prothese
:: Sprunggelenk:
Prothesendesign noch
verbesserungsfähig
:: ATOS interdisziplinär
Rheumatologie needs
Physiotherapie
ATOS Kliniken: Ihr Vorteil – Unsere Spezialisten
ATOSnews | Ausgabe 26 | Oktober 2015
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Patientenratgeber zur Behandlung
des kindlichen Plattfuß
Ist Ihr Kind von einem Plattfuß betroffen?
Dann könnte ein kleiner Eingriff helfen.
Während der Entwicklung des kindlichen Fußes richtet
sich das Fußgewölbe aus einer normalen Plattfußstellung
auf. Bei manchen Kindern bleibt diese Aufrichtung aus.
Erst dann handelt es sich um eine Fußfehlstellung.
Das Sprungbein, welches mit dem Fersenbein einen Teil
des unteren Sprunggelenks bildet, kippt dabei zur Fußinnenkante ab. Das ist auch als Vorwölbung an der Fußinnenseite sichtbar. Im Extremfall liegt die Fußfläche vollständig auf dem Boden auf. Ein kindlicher Plattfuß kann
schmerzhaft sein, muss es aber nicht. Wird ein kindlicher
Plattfuß nicht behandelt, kann er chronisch werden.
Bei Kindern ist der Plattfuß meist relativ einfach mit einer
kleinen Operation behandelbar.
Nachbehandlung
Die Belastung bis zur Schmerzgrenze ist in der Regel
sofort nach der Operation möglich. Allerdings sollte für
ca. 6 Wochen kein Sport, bei dem Laufen oder Springen
erforderlich ist, durchgeführt werden.
Die Einzelheiten der Nachbehandlung sind grundsätzlich
mit dem behandelnden Arzt abzustimmen.
Die Schraube sollte nach Wachstumsende wieder entfernt
werden.
Welche Risiken sind mit dieser Behandlung
verbunden?
Bei diesem Operationsverfahren sind Komplikationen
selten; wie bei jeder Operation besteht ein allgemeines
Risiko.
Mit dem Arthrex ProStop Arthrorise-Implantat wird das
Sprungbein wieder in korrekter Position auf dem Fersenbein platziert (siehe Illustration). Dies reicht meistens aus,
um auch die anderen fehlstehenden Strukturen in eine
korrekte Position zu bringen.
Plattfuß
ProStop
Sinus
Tarsi*
Sprungbein
Fersenbein
Gesundes unteres
Sprunggelenk
Sprungbein
Sprungbein
Fersenbein
Fersenbein
Unteres Sprunggelenk bei Plattfuß
Unteres Sprunggelenk
mit ProStop
*Tunnelförmige Struktur zwischen Sprung- und Fersenbein.
http://qr.arthrex.de/1UkC
ProStop ®
© Arthrex GmbH, 2015. Alle Rechte vorbehalten.
AD2-80007-DE_A
::Editorial
ATOSnews
„Alles, was du dir vorstellen kannst, ist real“
(Pablo Picasso)
Liebe Leserinnen und Leser,
1955 wurde der VW Käfer in den Farben
schwarz, hellbeige, stratos-silber, polaris-silber und pink angeboten, wobei stratos-silber
eher als grau zu bezeichnen war und pink für
das Adenauer-Deutschland der 50er Jahre
eine undenkbare Farbe gewesen wäre.
Heute, 2015, haben wir beim Autokauf
einen Konfigurator, mit dem wir im Internet alle Feinheiten des Motors, der Innenausstattung, der Außenlackierung und des
Zubehörs in einer großen Auswahl zusammenstellen können. Darüber hinaus wird
bei entsprechendem Portemonnaie jede
weitere Wunschvorstellung realisiert! Ich
denke, auch hier trifft der Satz von Picasso
zu: Wenn ich mir ein Auto kaufe und genügend Geld habe, ist alles, was ich mir vorstelle, real.
Wenn wir auf die Entwicklung der Knieendoprothetik schauen, so finden wir aus
den frühen Anfängen im Jahr 1890 die erste
Knieprothese von Themistokles Gluck, einem
Berliner Chirurgen. Damals noch aus Elfenbein, was sehr widerstandsfähig war und
wenig allergische Reaktion erzeugen sollte.
In den 50er Jahren kamen die ersten
Schlittenprothesen aus Metall und Polyethylen auf den Markt. Die ersten achsfreien ungekoppelten Rotationsgelenke wurden rund
20 Jahre später eingeführt.
Der Bedarf an endoprothetischem
Gelenk­ersatz steigt kontinuierlich, und wir
sehen bei den arthrotischen Gelenken eine
deutliche Verschiebung der Alterspyramide nach unten durch verstärkten Verschleiß
(schon mit 50 aufwärts!). Die Bereitschaft
zur OP steigt zudem durch die verbesserten
technischen Möglichkeiten zur Prothesenimplantation. Nicht zuletzt ist damit verbunden
eine Businesskomponente, mit Wertschöpfung für alle Beteiligten. Ergebnis: die Implantationszahlen steigen mehr oder weniger kontinuierlich.
Die Medizintechnik-Industrie hat mit Hilfe
von Ärzten und Ingenieuren fantastische
Weiterentwicklungen in der endoprothetischen Versorgung erreicht. Schulter-, Knie-,
Hüft- und teilweise auch Sprunggelenksendoprothesen können Standzeiten von +/- 20
Jahren erreichen. Dank Revisionsendoprothetik gelingt anschließend die Versorgung
für die verbleibende Lebenszeit.
Da sich große Unternehmen mit hohen
wirtschaftlichen Ressourcen hier in einem
umkämpften Wettbewerb befinden, wird
trotz Refunding Cuts in den USA und Beschränkungen international extrem viel investiert, um sich einen erhöhten Marktanteil
und damit einen Vorteil zu verschaffen.
Die Frage, die wir uns jetzt stellen, ist viel zitiert: „Wo kommen wir her, wo gehen wir hin,
und was sind die Lösungen der Zukunft?“
Die IT-Branche mit ihrer Erfassung und
Verarbeitung unglaublicher Datenmengen
hat sich eindeutig auch der Endoprothetik
bemächtigt. Wir scannen heute Gelenke ein,
fertigen über 3D-Printer oder CAD-Verfahren 1:1-Modelle unserer Knie oder Hüfte mit
Becken, um diese Informationen dann in die
Produktion von „Ersatzteilen“ einfließen zu
lassen.
In der Endoprothetik stehen wir jetzt in
puncto Individualisierung an der Schwelle zu
Hajo Thermann
➔
3|
::Editorial
dem oben beschriebenen Konfigurator der
Automobilindustrie. Nicht dass wir zwischen
Leder oder Alcantara und blau oder grün
wählen könnten, sondern die momentane
Diskussion dreht sich um die reale Abbildung
der individuellen Knochen und den daraus
resultierenden Algorithmus für die optimale
prothetische Versorgung.
Nun muss man jedoch auch die Werbung
von Ärzten und Firmen kritisch hinterfragen.
Computertomographische oder MR-adaptierte Verfahren zur Prothesenherstellung
als größten Meilenstein, um ein „normales
Kniegelenk“ zu bekommen? Hier müssen wir
leider noch Essig in den Wein schütten.
Das Kniegelenk, das Hüft- und das
Sprunggelenk oder das Schultergelenk sind
keine schlichten Konstrukte aus zwei oder
mehreren artikulierenden Knochen. Es handelt sich vielmehr um extrem anfällige,
hochkomplizierte, präzise justierte, komplexe kinematische Gebilde, in denen Knochen nur eine Struktur darstellen – vielleicht
nicht einmal die wichtigste. Was die erfolgreiche Endoprothetik über Jahrzehnte zeigt.
Die Implantation einer „custom made“Prothese führt nicht dazu, dass man ein perfektes Knie hat. Die Funktionsweise, das kinematische dynamische Design zum einen
und zum anderen die Qualität der Implantation durch den Operateur sind wichtigere
Faktoren zum Erreichen eines optimal funktionierenden Gelenkes als Computer- und ITgesteuerte Produktion der Prothese. Auch
wenn es ein 3D-Printer ist.
Das Ziel wird sicherlich richtig formuliert, wenn wir die 1:1-Abbildung der Kno-
|4
chen anstreben. Aber dann benötigen wir
auch Prothesen, die eine 1:1-Kinematik erlauben, was z. B. im Sprunggelenk und im
Knie derzeit eindeutig nicht der Fall ist. Fürs
Kniegelenk haben wir jetzt eine neue Generation Kreuzband-erhaltender Prothesen
zur Verfügung, die das vordere und hintere Kreuzband als wichtigste Struktur in der
Kniekinematik erhalten und somit in Hinblick
auf Bewegungsabläufe und vor allem auch
in Hinblick auf die Propriozeption bei guter
Implantation Meilensteine für eine bessere
Performance des ersetzten Kniegelenks sein
können. Dies ist in kinematischen Studien
eindeutig bewiesen.
Im Bereich des Sprunggelenks sind wir
weit von anatomischen, kinematischen oder
gar physiologischen Implantationen entfernt, was auch daran liegt, dass die Wertschöpfung bei diesem Gelenkersatz nicht
optimal ist.
Kugelgelenke wie Schulter- und Hüftgelenk sind vom Prothesendesign und der kinematischen Ausrichtung deutlich einfacher zu
konstruieren. Hier sind der Weichteilmantel
als Determinierung und die Muskulatur für
optimale Hebel und Übertragung die entscheidenden Faktoren.
In Hinblick auf Werkstoffe wie Polyethylene, Keramiklegierungen, PEEK, Carbon-Derivate mit einem knochenvergleichbaren Elastizitätsmodul und viele andere, uns bisher
unbekannte Werkstoffe in den „Küchen“ der
Industrie, wird die Zukunft deutliche Verbesserungen bringen in Hinblick auf die Standdauer der Prothesen, also auf Gewebeverträglichkeit und geringeren Abrieb.
Gut durchgeführte Endoprothetik mit weiter
optimierten Implantaten ist der Garant dafür,
dass wir im mittleren bis hohen Lebensalter
unsere Mobilität und Aktivität nicht verlieren. Sie hat sich durch gesetzliche Reglementierung im Zulassungsverfahren selbst
noch weiter gestärkt, so dass wirklich nur
valide Implantate auf den Markt kommen.
In der Zukunft werden wir in einen großen Scanner geschickt, der unsere Gelenke
1:1 abbildet. Implantate werden sofort von
einem 3D-Printer ausgespuckt! Anschließend werden wir in einen Operationssaal geschoben, wo ein Roboter die Operation dann
hoffentlich…genauso gut ausführen wird
wie ein Herzblut-Chirurg?!
„Alles, was du dir vorstellen kannst, ist
real…..“
Prof. Dr. Hajo Thermann
ATOSnews
::Inhalt
::Editorial
3
::Schwerpunkt: Endoprothetik
Die Zukunft der Schulterendoprothetik Von Peter Habermeyer, Frank Martetschläger
und Mark Tauber
Die Rolle der Radiuskopf-Prothese bei
schwierigen Ellenbogenfrakturen 16
Fußball-Profi Peter Pekarik in der ATOS Klinik
München operiert 20
Patienteninformationsabende der ATOS Klinik
München 22
Vorankündigung:
27
26
Vorankündigung:
28
33
Von Rainer Siebold
Sprunggelenkprothese – aktueller Stand Dr. Martin A. Thome neuer Partner im
PPC Heidelberg Gesundheitsgespräche in der ATOS Klinik
Heidelberg Von Hajo Thermann
Kniegelenkarthrose: Gelenkerhalt oder
Teilersatz? 10
21
Von Fritz Thorey
Kreuzbanderhaltende Knie-Endoprothetik PD Dr. Frank Martetschläger verstärkt
das Team des Deutschen Schulterzentrums
München ATOS Champions League Meeting:
Orthopädisches Update München Von Hans Gollwitzer
Kasuistik: Pfannenwanderung bei Hüft-TEP
mit großem Knochenverlust 17
Von Fritz Thorey
Individualisierte Hüftprothese – die Ausnahme? 11
Von Andreas Klonz
Hüftendoprothese – aktueller Stand 6
::News & Notes
36
Von Hajo Thermann
Ankündigung:
Shoulder Convention 2015
44
54
Prof. Siebold auf medizinischen Spuren
in Japan 55
Vorankündigung:
10. Heidelberger Schlosskongress 2016 56
Das adViva Handbike-Team:
Volle Power auf drei Rädern 58
Impressum 32
::Fachbeiträge
Kernspinresonanztherapie bei Arthrose
und Sportverletzungen Von Raimund Völker
„Ich habe Rheuma und will wieder tanzen!“ –
Rheumatologie needs Physiotherapie 46
Von Verena Schmitt, Ines Dornacher
und Tobias Baierle
Botox: Ein hervorragendes Therapeutikum,
zu Unrecht in Verruf! 41
51
Von Claudia Jäger
ATOS Klinik Heidelberg
Bismarckstraße 9–15
69115 Heidelberg
www.atos.de
ATOS Klinik München
Tel. 06221/983-0
[email protected]
Effnerstraße 38
81925 München
www.atos-muenchen.de
Tel. 089/20 4000-0
[email protected]
5|
::Schwerpunkt Endoprothetik
Die Zukunft der Schulterendoprothetik
Von Peter Habermeyer, Frank Martetschläger
und Mark Tauber
Keywords: Schulterendoprothetik, HemiCap-Prothese,
inverse Prothese, Prothesenversagen, Pyrocarbon
Die Zukunft der Schulterendoprothetik liegt in der
Weiterentwicklung bestehender Implantate, der Verbesserung und Vereinfachung der OP Planung, der
­Instrumente und der OP-Techniken sowie im Bereich
biologischer Verfahren, neuer Werkstoffe und in mit
3D Druckern „personalisierten“ Spezialimplantaten.
Schaftprothesen für die Schulter gibt es seit
1951. Analog zur Hüftprothese wurden sie als
Langschaftprothesen entwickelt. Die Schulter
ist aber kein Hüftgelenk, verfügt über keinen
„Schulterhals“ analog zum Schenkelhals und
braucht keine diaphysäre Verankerung, weil
sich das Drehzentrum mitten in der Metaphyse befindet.1 Also führte der Weg in der Schulterendoprothetik in den letzten Jahren weg
von der Schaftprothese hin zu schaftfreien
Prothesen oder metaphysären Kurzschäften.
Für die schaftfreien Kopfprothesen liegen nun
bis zu 10 Jahre Erfahrung vor, ohne dass es zu
anfangs befürchteten Prothesenlockerungen
gekommen wäre (Abb. 1).2 Langschaftprothesen sind nur noch zu empfehlen, wenn sie
konvertierbar, also ohne Schaftwechsel in eine
inverse Prothese umbaubar sind.
overconstrained sind, den Pfanneneinbau
erschweren und es unter der Kappe zu heftigem remodelling bis zur Osteolyse kommt.
Darüberhinaus wird in der Literatur häufig
eine Varusfehlstellung beschrieben (Abb. 2).
HemiCap-Prothesen
Im Gegensatz zu den Kappenprothesen –
Onlay-Technik – handelt es sich beim Teilgelenkflächenersatz um eine Inlay-Technik,
Cup-Prothesen
Die noch vor einigen Jahren als en vogue
geltenden Cup-Prothesen haben heute als
„onlay“ resurfacing Implantate ihre Bedeutung fast völlig verloren, weil sie meistens
|6
Abb. 1: Schaftfreie Prothese Typ Eclipse
(Fa. Arthrex)
Abb. 2: Cup Prothese der
Fa. Tornier
ATOSnews
da der Oberflächenersatz mit dem angrenzenden Knorpel bündig abschließt. Für den
Indikationsbereich der zirkumskripten viertgradigen Chondralschäden bei sonst intakter Gelenkfläche, besonders des jüngeren
Patienten, wurde der Teilgelenkflächenersatz in Form von sog. HemiCap–Prothesen
als Alternative zur Cup–Prothese entwickelt.
Die Besonderheit des Implantats liegt in
den verschiedenen wählbaren Größen und
Krümmungsradien, um die elliptische Form
der Humeruskopfgeometrie in Inlaytechnik nachbilden zu können. Die Verankerung
erfolgt zementfrei mittels Schraubsystem.
Bei diesem auch rein arthroskopischen Teilgelenkflächerersatz kann über eine transhumerale Zielbohrung in das Zentrum des
Chondraldefektes die Pin-geführte Knochenlagerpräparation erfolgen und schließlich das Implantat eingebracht werden
(Abb.3). Der große Vorteil dieser Methode
liegt im Erhalt des M. subscapularis und der
somit möglichen frühfunktionellen Rehabilitation.3
Inverse Prothesen
Mit der von Grammont 1985 entwickelten
inversen Schultertotalprothese liegt uns
ein nicht mehr ganz neues Implantat vor,
das sich gegenwärtig in einem erheblichen
Evolutionsprozess befindet. Der klassischen
Grammont-Prothese werden das glenoidale
Notching mit mechanisch ausgelöster und
durch PE-wear induzierter Osteolyse angekreidet. Durch die starke Kaudalisierung des
Humerus können nach Jahren Acromionermüdungsbrüche oder auch zunehmende
Deltaschwäche auftreten. Das stark medialisierte Rotationszentrum schwächt die Außenrotation und birgt die Gefahr der Prothesenluxation. Letzteres gleicht man durch
Lateralisation der Glenosphäre entweder
durch Knocheninterposition (Bio-RSA) oder
durch Verwendung von Glenosphären mit
grösserem Durchmesser aus.
Zur Vermeidung des glenoidalen Notchings hat sich ein steilerer Inklinationswinkel (135°) der humeralen Gelenkfläche
bewährt, der den mechanischen Kontakt
mit dem Scapulahals vermeidet und gleichzeitig auch die Adduktion und die Rotation
verbessert. In Zukunft werden die inversen
Implantate eine modulare Anpassung des Inklinationswinkels – zwischen 135° und 155°
– erlauben, damit man den verschiedenen
Arthroseformen gerecht wird. Letztlich wird
nicht mehr die Anatomie des Gelenkes der
Prothese angepasst, sondern die Prothese
der Pathologie der Schulter. Somit kann man
den Grad der Kaudalisierung des Humerus
und der Medialisierung der Glenosphäre patientengerecht einstellen.
Darüberhinaus sind im Schaftbereich
metaphysär verankerte Kurzschaftprothesen in der klinischen Erprobung, genauso
wie Veränderungen der Gleitpaarung mit
epiphysärer Metallpfanne und PE- Glenosphären. Gegenwärtig vollzieht sich ein
Trend hin zum frühen Einsatz der inversen
Prothesen. Dieser Trend ist aufgrund der
bisweilen hohen Komplikationsraten und
der fraglichen Langlebigkeit der Prothese jedoch als kritisch anzusehen und die
Indikation vor Implantation sollte streng
gestellt werden.4 Zu empfehlen sind, wie
eingangs bereits erwähnt, sogenannte
Plattformsysteme, die bei Versagen der
Rotatorenmanschette jederzeit konvertierbar sind.
Frakturprothesen
Eine besonders kritische Situation ergibt sich
bei den Frakturprothesen, die im Falle einer ausbleibenden Einheilung der Tuberkula
zwangsweise zum Funktionsausfall und damit zum Prothesenwechsel führen.5 Da die
anatomischen Frakturprothesen aufgrund
des eingetretenen Prothesenhochstandes
nur technisch sehr schwierig unter Inkaufnahme von massiver Kaudalisierung umbaubar sind, liegt die künftige Richtung im
umgekehrten Vorgehen. Indem man primär
ein Implantat verwendet, auf das bei jungen
Personen eine anatomische Kalotte aufgebaut wird und im Versagensfall auf invers
konvertiert werden kann, begünstigt man die
Gelenkmechanik, da es nicht zur Überspannung des Gelenks kommt.
Abb. 3: Partieller Oberflächenersatz Typ
Partial Eclipse (Fa. Arthrex)
3D-Planung
Um die Präzision der Pfannenimplantation zu verbessern, kommen verbesserte Planungssoftware und 3D Animationen zur
Anwendung nachdem die Navigation auf
diesem Gebiet enttäuscht hatte,. Durch 3D
Rekonstruktion des Pfannenverbrauchs werden patientenspezifische Frässchablonen
und Bohr- und Resektionshilfen präoperativ
angefertigt, die eine präzise Pfannenbearbeitung erlauben. Es ist von der 3D Planung
kein sehr weiter Schritt, bis in Zukunft mit
Hilfe von 3D Druckern Patienten spezifische
und pathologiekonforme Prothesen maßgeschneidert werden könnten.6
Prothesenversagen:
Ursachen und Abhilfe
Die mit Abstand häufigste Ursache für Prothesenversagen liegt im Bereich der Glenoidkomponenten. Dabei unterscheiden sich
­zementierte von unzementierten Systemen.
Beide Systeme weisen hohe Lockerungsraten auf, wobei bei den metal back-Systemen
hohe Raten an Metallosen hinzukommen.
Diese Systeme haben sich daher bislang
nicht durchsetzen können. Polyethylen hat
als Werkstoff per se das Problem des PE-Abriebs, was zwangsweise zur Osteolyse führt.
Wo liegen die Lösungen für die Zukunft?
Biologische Verfahren wie die nach
Matsen benannte Methode des „ream and ➔
7|
::Schwerpunkt Endoprothetik
Abb. 4: Konvertierbare Glenoidkomponente
(Fa. Arthrex)
Abb. 5: Kurzschaftprothese Typ
Ascend (Fa. Tornier), die auch mit
einer Pyrocarbonkalotte erhältlich ist.
|8
run“ mit Wiederherstellung der Pfannenkonkavität durch konzentrische Abrasionsarthroplastik des Pfannenbodens können noch
zusätzlich durch eine azelluläre dermale Matrix abgedeckt werden, welche Wachstumsfaktoren, Elastin und natives Kollagen als
Gerüst enthält. Diese wird wiederum mit platelet rich plasma unterspritzt. Dieses „bio­
logische resurfacing“, das immer mit einem
„ream and run“ kombiniert werden sollte,
ist in Erprobung. Bislang konnte sich diese
Technik aufgrund hoher Versagensraten jedoch nicht durchsetzen.7
Um die Zementschäden zu vermeiden
sind neue Konzepte der Verankerung auf
dem Weg. Das sind völlig zementfreie PEPfannen mit einem zentralen aufgefächerten Peg, in den der Knochen einwachsen
kann. Sogenannte „augmentierte“ PE-Pfannen können den exzentrischen dorsalen Glenoidverbrauch ausgleichen und korrigieren
gleichzeitig die pathologische Retroversion
der Pfanne. Der Glenoidverschleiß geht mit
einer Pfannenabflachung einher, weswegen
neue zementierte PE-Pfannensysteme einen grösseren Pfannenradius aufweisen und
damit auch der Pfannenboden weniger tief
aufgereamt werden muß. Auch im Glenoidbereich ist die Konvertierbarkeit der Glenoidkomponenten ein grosses Thema. Dies ist
jedoch nur mit zementfreien Metal BackPfannen möglich. Beim Pfannenträger aus
Titan kann sowohl eine PE Komponente als
auch eine Glenosphäre aufgebracht werden,
weswegen bei fortgeschrittenem Pfannenschaden (Typ B2) oder bei kritischen Zustand
der Rotatorenmanschette auf eine konvertierbare Pfanne zurückgegriffen werden
sollte (Abb. 4).8
Für die Herstellung von hochvernetztem
Polyethylen kann die Quervernetzung über
radiochemische Prozesse (Gamma-Bestrahlung, Bestrahlung mittels Elektronenstrahl)
und chemische Prozesse (Peroxid-Behandlung, Siliziumwasserstoff-Behandlung) erreicht werden. Der crosslinking-Effekt führt
zu einer komplexen Änderung der molekularen Anordnung der Polymerketten. Dies
führt, mechanisch gesehen, zu einer Zunahme der Abriebfestigkeit und zum anderen
auch der Zugfestigkeit des PE. Jedoch führt
es auch zu einer Abnahme des kristallinen,
soliden Teils des Kunststoffs und somit auch
des E-moduls. Ein geringeres E-modul führt
zu größeren Kontaktflächen, geringerem
Kontaktstress und so potenziell weniger Abrieb. Ein Nachteil hoch quervernetzter Polyethylene aber ist, dass die entstehenden
Partikel verglichen mit konventionellem PE
vermehrt im Bereich von <1μm liegen und
somit schneller zu einer aseptischen Lockerung der Prothese führen können.
Letztlich ist auch hochvernetztes Polyethylen zu weich und abriebgefährdet, was
zur Suche nach besserem Material auf der
Kopfseite führt.
Literatur
1.Magosch P, Habermeyer P,
Bachmeier S, Metcalfe N. Biomechanische Grundlagen des
metaphysär verankerten Humeruskopfersatzes. Obere Extremität.
2012;7:11-16.
2.Habermeyer P, Lichtenberg S,
Tauber M, Magosch P. Midterm
results of stemless shoulder arthroplasty: A prospective study.
J Shoulder Elbow Surg. 2015.
3.Matis N, Ortmaier R, Moroder P,
Resch H, Auffarth A. Posttraumatic arthrosis of the glenohumeral
joint : From partial resurfacing
to reverse shoulder arthroplasty.
Unfallchirurg. 2015;118:592-600.
4.Smithers CJ, Young AA, Walch
G. Reverse shoulder arthroplasty. Curr Rev Musculoskelet Med.
2011;4:183-190.
5.Tauber M, Magosch P, Habermeyer
P. Humeral head replacement in
acute proximal humerus fractures.
Unfallchirurg. 2013;116:691-697.
ATOSnews
Schon seit Jahren ist der Werkstoff Keramik als Material für die Kopfkalotten im
Gebrauch, hat aber ein zu hartes Elastizitätsmodul. Ein ideales Kopfersatz-Material
sollte dieselben elastischen Eigenschaften
wie Knochen aufweisen und mechanischen
Stress natürlich weiterleiten. Pyrocarbon hat
ähnliche elastische Eigenschaften wie Knochen und eine Oberflächenmorphologie, die
eine Osteointegration zulässt. Seit 2009 sind
Pyrocarbon-Kopfkalotten in der klinischen
Anwendung und werden als Kurzschaft Prothesen oder als schaftfreie Humerus CupProthesen erprobt (Abb. 5).
Zugangstechnik
Eine letzte wichtige Weiterentwicklung gilt
der Zugangstechnik. Da der klassische deltopektorale Zugang obligat zur Abtrennung
und damit zur potentiellen Insuffizienz des
M.subscapularis führt, wird zur Vermeidung einer Subscapularisablösung am Rotatorenintervall-Zugang gearbeitet. Dabei
präpariert man minimal invasiv durch die
Kapsellücke zwischen Subscapularis und Supraspinatus, osteotomiert „gedeckt“ den Humeruskopf und gewinnt damit ausreichend
Zugang zur Pfanne. Spezialinstrumente sind
hierfür erforderlich. Die kommenden Jahre
werden zeigen, ob sich dieser neue Zugangsweg durchsetzten wird.9
Fazit
6.Walch G, Vezeridis PS, Boileau
P, Deransart P, Chaoui J. Threedimensional planning and use of
patient-specific guides improve
glenoid component position: an
in vitro study. J Shoulder Elbow
Surg. 2015;24:302-309.
7.Puskas GJ, Meyer DC, Lebschi JA,
Gerber C. Unacceptable failure of
hemiarthroplasty combined with
biological glenoid resurfacing in
the treatment of glenohumeral
arthritis in the young. J Shoulder
Elbow Surg. 2015.
8.Habermeyer P, Magosch P. Zementfreier anatomischer Glenoidersatz.
Obere Extremität. 2015;10:80-87.
9.Ding DY, Mahure SA, Akuoko JA,
Zuckerman JD, Kwon YW. Total
shoulder arthroplasty using a
subscapularis-sparing approach:
a radiographic analysis. J Shoulder Elbow Surg. 2015;24:831837.
Der vorliegende Artikel zeigt die rasante
Evolution der Schulterendoprothetik in den
letzten 65 Jahren und stellt die derzeitigen
Trends und Schwerpunkte der Forschung
und Produktentwicklung dar. In der engen
Zusammenarbeit zwischen Industrie, Grundlagenforschung und spezialisierten Schulterchirurgen steckt ein enormes Potential
für die Schulterendoprothetik der Zukunft,
das in der Lage sein wird, die Zufriedenheit
unserer Patienten nach Prothesenimplantation weiter zu verbessern.
Prof. Dr. Peter Habermeyer
PD Dr. Frank Martetschläger
PD Dr. Mark Tauber
Deutsches Schulterzentrum
ATOS Klinik München
[email protected]
9|
::Schwerpunkt Endoprothetik
N O T E S
&
N E W S
:: PD Dr. Frank Martetschläger verstärkt das Team des
Deutschen Schulterzentrums und leitet die Ambulanz für
sportorthopädische Notfälle in der ATOS Klinik München
Stöckle und an der Abteilung für Sportorthopädie unter der Leitung von Prof. Dr.
Andreas Imhoff. Die Zeit bei Prof. Imhoff
sei für ihn ein entscheidender Meilenstein gewesen, um die Standardeingriffe
der Sportorthopädie zu erlernen und seine Spezialisierung auf Schulter- und Ellenbogenchirurgie voranzutreiben.
PD Dr. Frank Martetschläger
Zu Beginn des Jahres 2015 wechselte
Dr. Frank Martetschläger von der Abteilung für Sportorthopädie des Klinikums
rechts der Isar (Leitung Prof. Imhoff) an
das Deutsche Schulterzentrum in der
ATOS Klinik München.
Im Rahmen seiner Facharztausbildung
war Dr. Martetschläger bereits 2007/2008
einmal an der ATOS Klinik tätig. Damals
arbeitete er als Assistenzarzt in der Abteilung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie der ATOS Klinik Heidelberg unter der
Leitung von Prof. Dr. Peter Habermeyer
und Dr. Sven Lichtenberg. „Dieses Jahr hat
mich sehr geprägt und den Grundstein
für meine Spezialisierung auf Schulterund Ellenbogenchirurgie gelegt“ berichtet der 37-jährige gebürtige Würzburger.
Seine weitere Ausbildung genoss Dr.
Martetschläger am Klinikum rechts der
Isar der Technischen Universität München in der Abteilung für Unfallchirurgie unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich
| 10
Das Internationale Schulter Fellowship
der Deutschen Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA) führte
Dr. Martetschläger 2011/12 in die USA an
die renommierte „Steadman Clinic“ nach
Vail, Colorado. Dort arbeitete er ein Jahr
lang mit dem international anerkannten
Schulterchirurgen Dr. Peter Millett und
konnte neben der klinischen Arbeit zahlreiche wissenschaftliche Beiträge publizieren.
2014 bekam Dr. Martetschläger das Reise­
stipendium der Europäischen Schulterund Ellenbogengesellschaft (SECEC) und
verbrachte jeweils 3 Wochen bei ausgewiesenen Schulter- und Ellenbogenspezialisten in Japan und Südkorea. „Die asiatischen Kollegen zeichneten sich nicht
nur durch eine enorme Gastfreundlichkeit aus, sondern auch durch ihr bemerkenswertes wissenschaftliches Arbeiten
und ihr hervorragendes chirurgisches
Arbeiten“, berichtet Dr. Martetschläger
im Gespräch über den „exzellenten Erfahrungsaustausch“.
Nach seiner Rückkehr stellte er die Habilitationsarbeit fertig und wurde von der
Technischen Universität München zum
Privatdozenten ernannt. Für die Arbeit
zum Thema „Neue Aspekte zur Therapie
häufiger Instabilitäten des Schultergürtels“ erhielt er den Habilitationspreis 2014
der Technischen Universität München.
„Das Konzept der ATOS Kliniken, an denen die Patienten von Orthopäden und
Unfallchirurgen mit hohem Spezialisierungsgrad behandelt werden, hat mich
von Anfang an überzeugt, da die hohe
Spezialisierung und die damit verbundene Qualität der Behandlung direkt dem
Patienten zu Gute kommt“, berichtet Dr.
Martetschläger auf die Frage nach dem
Erfolgsrezept der ATOS Kliniken. Zudem
freue er sich, seine klinische und wissenschaftliche Tätigkeit in einem optimalen
Umfeld und zusammen mit den Schulterspezialisten Prof. Dr. Habermeyer und
PD Dr. Tauber ausüben zu können.
Neben seiner Arbeit im Deutschen Schulterzentrum hat Dr. Martetschläger die
Leitung der Ambulanz für sportorthopädische Notfälle der ATOS Klinik München
übernommen. „Wir sind an der ATOS Klinik München in der Lage, jegliche Art von
Sportverletzungen zu diagnostizieren
und in unserem Team von Spezialisten zu
behandeln“, so Dr. Martetschläger.
Dr. Martetschläger ist ordentliches Mitglied nationaler und internationaler Fach­gesellschaften. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit hat er zahlreiche Vorträge auf nationalen wie internationalen
Kongressen gehalten und weit über 50
wissenschaftliche Artikel und Buchbeiträge zum Thema der Schulter- und Ellenbogenchirurgie verfasst.
ATOSnews
Rekonstruktion von schwierigen Brüchen am Ellenbogen:
Rolle der Radiuskopf-Prothese
Von Andreas Klonz
Keywords: Radiusköpfchen-Prothese, Ellenbogenfraktur,
Monteggia-Verletzung, Essex-Lopresti-Läsion
Die Bedeutung der Funktion und Beweglichkeit des Ellenbogengelenkes wird häufig unterschätzt. Dabei ist eine Beugung
des Ellenbogens von ca. 120° unverzichtbar, um die Hand zum
Gesicht und zum Kopf zu führen. Zudem ist eine Supination
von 30–40° wichtig, um die taktile Handinnenfläche zum
Gesicht zu drehen. Einschränkung der Streckung und der Pronation können eher kompensiert werden, führen aber ebenfalls zu erheblichen Behinderungen.
Neben der Beweglichkeit ist wie bei jedem
anderen Gelenk auch die Gelenkstabilität
wichtige Voraussetzung für die Funktion,
d. h. um die Hand im Raum zu positionieren
und die Kraft von Rumpf, Schulter und Arm
auf die Hand zu übertragen. Das gesunde Ellenbogengelenk ist durch den Formschluss
der korrespondierenden Gelenkanteile knöchern sehr gut stabilisiert.
So zeigt ein luxiertes Ellenbogengelenk
ohne knöcherne Verletzungen nach der Reposition in den meisten Fällen bereits wieder eine relativ gute Stabilität und kann in
einigen Fällen ohne weitere operative Versorgung des Bandapparates konservativ
mit sehr gutem Ergebnis behandelt werden.
Kommt es im Rahmen einer Luxation dagegen zu knöchernen Verletzungen, so müssen
diese fast immer operativ rekonstruiert werden, um die Stabilität des Gelenkes wieder
herzustellen. Häufig liegen in diesen Fällen
zusätzlich schwere Verletzungen des Bandapparates vor.
Hinzu kommt, dass aufgrund des bereits erwähnten guten Formschlusses des Gelenkes
bereits kleine Fehlstellungen der knöchernen
Strukturen zu deutlichen Einschränkungen
der Beweglichkeit führen können, indem sie
das Gelenk in seiner Beweglichkeit blockieren.
Als weiterer problematischer Faktor neigt
die Gelenkkapsel des Ellenbogengelenkes
mehr als bei jedem anderen Gelenk zu einer verletzungsbedingten Entzündung und
Fibrosierung und mit der Folge einer Einsteifung des Gelenkes. Nicht selten kommt
es sogar zu Verknöcherungen der Kapsel im
Sinne von heterotopen Ossifikationen.
Auslösender Faktor für diese Komplikation sind neben dem initialen Trauma fortbestehende mechanische Unregelmäßigkeiten
durch Instabilität, Inkongruenzen des Gelenkes oder lange Ruhigstellungen.
Es ergibt sich, dass die stabile Wiederherstellung der knöchernen Anatomie absolute
Priorität in der Versorgung von Faktoren am
Ellenbogen hat. Die ligamentäre Stabilisierung tritt dagegen in der Bedeutung zurück,
wird aber natürlich im Rahmen der Knochenbruchversorgung in der Regel zusätzlich durchgeführt.
Der vorliegende Artikel beschäftigt sich
insbesondere mit der Rolle des Radiusköpfchens und dessen operativer Versorgung.
Funktionen des Radiusköpfchens
Das Radiusköpfchen ist essenzieller Stabilisator für Valguskräfte zusammen mit dem
medialen/ulnaren Kollateralband. Des weiteren trägt es als wesentlicher Faktor zur posterolateralen Stabilität bei – zusammen mit
dem Processus coronoideus und dem radialen (lateralen) Bandapparat. Zudem dient
das Radiusköpfchen der axialen Kraftübertragung vom Oberarm zur Hand und nimmt
dabei ca. 60 % der Kraft auf.
Die uneingeschränkte Drehung des Radiusköpfchens im proximalen radioulnaren ➔
11 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Gelenk ist unverzichtbar für die Drehung der
Hand im Sinne der Pronation und Supination.
Einteilung der Radiusköpfchen-Frakturen
Frakturen des Radiusköpfchens sind häufig
und werden nach der Klassifikation von Mason
(1954) eingeteilt:
I.
Mason Typ I: Nicht dislozierte Radiuskopffraktur
II.
Mason Typ II: Dislozierte Randfraktur
des Radiuskopfes mit sichtbarer Gelenkstufe von mehr als 2 mm und mehr
als 25 % der Gelenkfläche betreffend.
III.
Mason Typ III: Mehrfragment- oder
Trümmerfraktur des Radiuskopfes ohne
Begleitverletzungen.
Mason Typ IV: Mehrfragment- oder
IV. Trümmerfraktur des Radiuskopfes mit
Begleitverletzungen.
Frakturen Typ I und II sind unkompliziert und
werden meist konservativ und frühfunktionell behandelt.
Bei Typ II ergibt sich eine OP-Indikation,
wenn eine mechanische Blockierung durch
das Fragment klinisch oder radiologisch
(CT) vorliegt. Wichtig ist aber, auch bei diesen einfachen Brüchen nach Begleitverletzungen zu suchen. Dies beinhaltet insbesondere die klinische Beurteilung des medialen
und lateralen Bandapparates sowie auch der
Membrana interossa und des distalen Radioulnargelenkes am Handgelenk. In Zweifelsfällen sollte ergänzend eine Bildwandleroder MRT-Untersuchung erfolgen.
Bei den Frakturen Mason Typ III und IV
ergibt sich nahezu ausnahmslos eine OP-Indikation.
Isolierte Radiusköpfchen-Mehrfragmentoder Trümmerfrakturen ohne Begleit­
verletzung (Mason Typ III)
Bei diesen schwierigen Gelenkfrakturen
muss eine anatomische Wiederherstellung
und stabile Situation zur früh-funktionellen
Behandlung unbedingt angestrebt werden,
um ein optimales funktionelles Ergebnis
zu erreichen. Die Möglichkeiten zur Osteosynthese haben sich hier speziell durch die
| 12
Entwicklung winkelstabiler Implantate und
zunehmend auch speziell auf das Radiusköpfchen vorgeformter Implantate deutlich
entwickelt.
Trotzdem ist eine entsprechende Rekonstruktion nicht immer sinnvoll und möglich und führt immer wieder zu unbefriedigenden Ergebnissen.
Lange Zeit wurde die Resektion des Radiusköpfchens als gute Option gesehen. Tatsächlich gibt es immer wieder Patienten, die
auch nach Resektion des Radiusköpfchens
lange Zeit sehr gut zurechtkommen. Allerdings führt diese Situation zu einer Überlastung des humeroulnaren Gelenkes und
häufig zu dessen vorzeitigem arthrotischem
Verschleiß.
Außerdem ist zu bedenken, dass eine isolierte Trümmerfraktur des Radiusköpfchens
ohne assoziierten Bandschaden eher unwahrscheinlich und selten ist, sodass in den
meisten Fällen doch eher eine Fraktur des
Typs Mason IV (s.u.) vorliegt, die eine Rekonstruktion des radialen Pfeilers erfordert.
Trümmerfrakturen des Radiuskopfes
mit Begleitverletzung (Typ Mason IV)
Bei dieser Verletzung ist die Radiusköpfchenfraktur mit einer Verletzung des Bandapparates und/oder weiterer knöcherner Strukturen assoziiert. Immer hat eine Luxation oder
Subluxation des Gelenkes stattgefunden.
Häufigste Begleitverletzungen sind eine Fraktur oder Avulsion am Processus coronoideus
sowie Rupturen des lateralen und des medialen Bandapparates. Je mehr Strukturen verletzt sind, desto instabiler ist das Gelenk. Eine
Resektion des Radiusköpfchens führt hier zu
einer kaum mehr beherrschbaren Situation.
Auch die Naht des Bandapparates oder
Refixation des Processus coronoideus führen nicht zu einer ausreichenden Stabilisierung, um das Gelenk früh-funktionell
zu behandeln. Eine längere Ruhigstellung
führt unweigerlich zur Einsteifung des Gelenkes.
Eine Option stellt hier der Bewegungsfixateur dar, der die früh-funktionelle Behandlung unter Schutz der rekonstruierten ligamentären Strukturen ermöglicht.
Vorteilhaft ist aber die anatomische Rekonstruktion des radialen knöchernen Pfeilers
durch stabile Osteosynthese des Radiusköpfchens oder die Implantation einer Radiusköpfchen-Prothese. Hierdurch kann in den
allermeisten Fällen eine übungsstabile Situation ohne Anlage des Bewegungsfixateurs
erreicht werden.
Kasuistiken
Anhand von drei Kasuistiken wird im Folgenden die Versorgung von komplexen
Ellen­
bogenverletzungen unter Einsatz von
Radiusköpfchenprothesen beschrieben.
Fall 1:
24jähriger Sportstudent mit Radiusköpfchentrümmerfraktur nach Luxation
Röntgenbefund und intraoperativer Befund
siehe Abb. 1.1.1 – 1.1.4.
Primäre Implantation einer Prothese und
Weichteilrekonstruktion (Abb. 1.2.1-1.2.2).
Ergebnis nach 9 Jahren röntgenologisch
(Abb. 1.3.1 – 1.3.2) und funktionell (Abb.
1.4.1 – 1.4.4). Der Patient konnte sein Studium beenden und ist inzwischen Sportlehrer.
Er ist beschwerdefrei und kann sportliche
Aktivitäten ohne Einschränkung auf hohem
Niveau durchführen. Lediglich Maximalbelastungen am Reck oder Barren werden (sicherheitshalber) vermieden.
Spezielle Situationen:
Monteggia-Verletzung
Proximale Unterarm-Frakturen mit assoziierter Luxation des Radiusköpfchens werden
als Monteggia-Verletzung oder Monteggialike-Läsionen beschrieben (s. auch Einteilung
nach Bado).
Ziel der Therapie ist die anatomische Wiederherstellung der proximalen Ulna, die Reposition des Radiusköpfchens und die Wiederherstellung der anatomischen Stellung
zwischen Radius und Ulna.
Liegt in diesen Fällen zusätzlich eine
Trümmerfraktur des Radiusköpfchens vor, ➔
ATOSnews
Fall 1
Abb. 1 .1.1 –
1.1.4:
OP 2006
(siehe Text)
Abb. 1 .2.1 –
1.2.2:
post OP
2006
Abb. 1 .3.1 –
1.3.2:
Ergebnis
2015
Abb 1.4.1 – 1.4.4: Klinischer Befund 2015
13 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Fall 2
Abb. 2 .1.1
Abb. 2 .2.1 – 2.2.2:
Auswärtige Primärversorgung
Situation nach 3 Monaten
so muss diese anatomisch rekonstruiert oder
durch eine Radiusköpfchen-Prothese versorgt werden, um die anatomische Einstellung des radioulnaren Gelenks, des humero­
radialen Gelenkes und des humeroulnaren
Gelenkes zu ermöglichen.
Die Resektion des Radiusköpfchens führt
hier unweigerlich zum Therapieversagen.
Fall 2:
47jähriger Patient mit 2°offener Monteggia-like-Verletzung und traumatischer
Radialisläsion.
Abb. 2 .3.1 – 2.3.2:
2 Monate nach Revision
Ausgangsbefund siehe Abb. 2.1.1.
Primär unzureichende Versorgung mit Drittelrohrplatte und RK-Resektion. Im Verlauf
Psseudarthrose der Ulna, Instabilität des Gelenkes, Subluxation des RK im Humeroradialgelenk und Radioulnargelenk. Heterotope
Ossifikationen. Massive Funktionseinschränkung und Schmerzen (Abb. 2.2.1-2.2.3).
Revision mit Reosteosynthese mit Spongiosa, Entfernung der Ossifikationen, Arthrolyse, RK-Prothese, Bandrekonstruktion
(Abb. 2.3.1- 2.3.2 und Abb. 2.4.1-2.4.2).
Im Verlauf nahezu freie Funktion des Ellenbogens bei leider verbleibender Radialisparese. Eine motorische Ersatzoperation
wurde bislang vom Patienten abgelehnt.
| 14
Abb. 2 .4.1 – 2.4.2:
Nach Implantatentfernung
ATOSnews
Fall 3
Spezielle Situationen:
Essex-Lopresti-Läsion
Bei Frakturen des Radiusköpfchens muss immer an das Vorliegen einer Essex-LoprestiLäsion gedacht werden, ggf. sollten vergleichende Aufnahmen des Handgelenks oder
eine Bildwandleruntersuchung erfolgen. Die
Verletzung der Membrana interossea führt
zur Verschiebung des gesamten Radius nach
proximal mit relativer Dislokation und Überlänge der Ulna am Handgelenk.
Leichtere Formen dieser Situation liegen
bei Radiusköpfchen-Frakturen häufig vor.
Man beobachtet, dass die Patienten über
Beschwerden im Bereich des Unterarms und
des Handgelenks klagen, obwohl radiologisch lediglich die Radiusköpfchen-Fraktur
nachweisbar ist.
Die Reposition des Radius nach distal
ist nur möglich, wenn die Länge des Radius durch hochstabile Osteosynthese oder
Radiusköpfchen-Prothese wieder hergestellt
wird.
Abb. 3 .1.1 – 3.1.3
Abb. 3 .2.1 – 3.2.2:
Essex-Lopresti-Verletzung (siehe Text)
Fall 3:
43 jähriger Patient nach Fahrradsturz
Trümmerbruch des Radiusköpfchens (Abb.
3.1.1. – 3.1.2). Der gesamte Radius ist gegenüber der Ulna nach proximal verlagert, was
insbesondere bei der vergleichenden Aufnahme der Handgelenke deutlich wird (Abb.
3.1.3).
Abb. 3.2.1 – 3.2.3: Nach Implantation der
Radiusköpfchen-Prothese (Abb. 3.2.1 –
3.2.2) ist die Länge wieder ausgeglichen. Das
distale radioulnare Gelenk stellt sich korrekt
ein (Abb. 3.2.3).
Aspekte des operativen Vorgehens
zur Implantation der RadiusköpfchenProthese
Zur Implantation der Radiusköpfchen-Prothese nutzen wir in aller Regel den sogenannten Zugang nach Kocher, der in das Intervall
zwischen Musculus anconeus und den Extensoren eingeht. Im Falle einer stattgehabten
Luxation findet man hier oft Läsionen der
Kapsel und des Bandapparates, die den Zugang zum Gelenk vorgeben und die im Rahmen des Rückzuges dann durch Refixation
mit Ankerhaken rekonstruiert werden können.
Der Eingriff kann in Rückenlage mit radialer Hautinzision oder auch in Bauchlage
mit dorsaler Inzision erfolgen. Die dorsale Inzision hat den Vorteil, dass auch epifaszial nach ulnar präpariert werden kann
und der ulnare Bandapparat ohne weitere
Inzisionen angegangen werden kann. Alternativ ist hier aber auch ein weiterer ulnarer Hautschnitt ergänzend zum radialen
Schnitt möglich.
Nach Entfernung der Fragmente des Radiusköpfchens kann auch das Coronoid gut
eingesehen und häufig von dorsal reponiert
und mit Schrauben oder transossären Fäden
refixiert werden. Auch kleinere Avulsionen
und Kapselausrisse können so an der Ulna
refixiert werden, was die postoperative Stabilität deutlich erhöht.
➔
Abb. 3.2.3
15 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Wichtigster Aspekt der Implantation der
Prothese ist die absolut korrekte Wiederherstellung der Länge des Radius. Am sichersten und einfachsten gelingt dies, wenn die
entfernten Fragmente auf dem Tisch zusammengelegt werden und somit die resezierte
Länge genau bestimmt werden kann. Auch
der Durchmesser des Radiusköpfchens kann
so auf die anatomischen Verhältnisse abgestimmt werden.
Soweit dies nicht möglich ist, muss die
Länge klinisch und radiologisch eingestellt
werden. Klinisch sollte dabei die Radiusköpfchen-Prothese die Gelenkfläche der Ulna
nicht überragen. Radiologisch sollte ebenfalls die Prothese auf Höhe der Gelenkfläche
der Ulna abschließen. Der ulnohumerale Gelenkspalt muss symmetrisch verlaufen. Eine
Überlänge der Prothese führt zu einen ‚OverStuffing‘ mit entsprechenden Schmerzen,
Bewegungseinschränkung und Knorpelverschleiß am Capitulum humeri.
Bei korrekter Implantation der Prothese sind in aller Regel von dieser Seite keine
Komplikationen zu erwarten. Der Prothesenschaft lockert sich häufig asymptomatisch.
Einige Modelle sehen von vorneherein ein lockere Implantation vor (‚intentionally loose‘).
Fazit
Bei den komplexen Verletzungen des Ellenbogens ist die anatomische Rekonstruktion
des radialen Pfeilers essenzieller Faktor für
das Gesamtergebnis. Ist das Radiusköpfchen
nicht stabil zu rekonstruieren, bietet die Radiusköpfchenprothese heute ein unverzichtbares Instrument zur Stabilisierung des Gelenkes.
Dr. Andreas Klonz
Praxis für Unfallchirurgie und Orthopädie
Notfallambulanz, Sportmedizin,
D-Arzt für Schul- und Arbeitsunfälle
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
www.unfallchirurgie-atos.de
| 16
N O T E S
&
N E W S
:: Dr. Martin A. Thome neuer Partner im PPC
Dr. med. Martin A. Thome
Der Facharzt für Chirurgie, Proktologie und
Notfallmedizin Dr. med. Martin A. Thome
ist neuer Partner im PPC – dem Phlebologisch-Proktochirurgischen Zentrum an der
ATOS Klinik Heidelberg. Nach dem Medizinstudium an der Universität Heidelberg
und Praktischem Jahr unter anderem im
Memorial Sloan Kettering Cancer Center
in New York begann Dr. Thome seine chirurgische Ausbildung in der Chirurgischen
Universitätsklinik Heidelberg, wo er zum
Thema Darmkrebs promovierte.
Im Laufe seiner weiteren, breiten chirurgischen Ausbildung in der Chirurgischen
Klinik München-Pasing mit mehrmonatiger Rotation in die Gefäßchirurgie entwickelte sich sein tieferes Interesse für
die End- und Dickdarmerkrankungen,
weshalb er anschließend als Facharzt
im Kompetenzzentrum für chirurgische
Koloproktologie am St.-Josefs-Hospital
Wiesbaden arbeitete. Hier erwarb er die
Zusatzbezeichnungen Proktologie und
Notfallmedizin.
Zur Abrundung seines ärztlichen Spektrums erwarb Herr Dr. Thome in der Zentralen Interdisziplinären Endoskopie der
Chirurgischen Universitätsklinik Mannheim Kenntnisse auf dem Gebiet der Magen- und Darmspiegelungen sowie der
Polypenabtragung.
Sein klinischer Schwerpunkt liegt in der
schonenden konservativen und operativen Behandlung von End- und Dick­
darmerkrankungen (Koloproktologie),
der Endoskopie des Magen- und Darmtraktes (Gastroskopie und Koloskopie),
sowie der konservativen und operativen
modernen Venenbehandlungen (Phlebologie).
Dr. Thome besucht regelmäßig nationale und internationale wissenschaftliche Fachkongresse, um den hohen
Qualitätsanspruch der ATOS Klinik zu
gewährleisten und seinen Patienten die
bestmögliche Behandlung auf höchstem
fachlichen Niveau zu ermöglichen.
ATOSnews
Hüftendoprothese – Aktueller Stand
Von Fritz Thorey
Keywords: Minimal-invasiv, Kurzschaft, Gleitpaarungen, Hemicap
Die Anzahl an Hüftendoprothesen-Implantationen steigt stetig: Aktuell werden in
Deutschland über 150.000 Hüftendoprothesen pro Jahr implantiert. Dabei nimmt
der Anteil an jüngeren Patienten deutlich zu, die einen hohen Anspruch an ihr
neues Gelenk haben. Sportlich aktive und jung gebliebene Patienten erwarten von
einem neuen Gelenk, dass sie ihre bisherigen Freizeitaktivitäten weiterführen
können. Daneben steigt das Interesse an muskelschonenden minimal-invasiven
Techniken, die nach dem Gelenkersatz eine zügige Mobilisation und damit eine
schnelle Rückkehr in das berufliche Umfeld und zu sportlichen ­Aktivitäten ermöglichen. Beides stellt den Operateur vor die Aufgabe, sowohl das passende Implantat als auch eine muskelschonende Operationstechnik zu wählen, um neben
der Aktivität des Patienten eine lange Prothesenstandzeit zu erreichen.
Entstehung der Hüftgelenk-Arthrose
Operative Behandlungsmöglichkeiten
In vielen Fällen der Grund für das Auftreten
des Knorpelverschleißes unbekannt (primäre
Arthrose). Es gibt jedoch Fehlstellungen am
Hüftgelenk, die zu einer vorzeitigen Arthrose
des Hüftgelenkes führen können (sekundäre
Arthrose). Neben dem Alter und Geschlecht
spielen ebenfalls systemische Risikofaktoren
bei der Entstehung der Arthrose eine Rolle.
In zunehmendem Alter verändert sich der
Aufbau des Knorpels, so dass die stabilisierenden Kollagene abnehmen und zusammen
mit anderen Faktoren zu einem Abbau und
Destabilisierung des Gelenkknorpels beitragen. In der Anfangsphase mit einer nur leichten Schädigung helfen daher noch Injektionen in das Hüftgelenk, die dem Abbau der
Knorpelstruktur entgegen wirken sollen. Im
weiteren Verlauf kommt es zu einer Verdünnung des Gelenkknorpels, bis im Röntgenbild
der Gelenkspalt aufgehoben erscheint (Abb.
1). Ebenso hängt der Verlauf der Knorpelabnutzung dabei stark vom individuellen Belastungsgrad des Gelenkes ab.
Führt eine konservative Behandlung nicht
mehr zu einer Besserung und können auch
arthroskopische Maßnahmen keine Beschwerdelinderung mehr schaffen, muss
über einen künstlichen Ersatz des Hüft-
Abb. 1: Hüftgelenk-Arthrose
mit bereits aufgehobenen Gelenkspalt als Hinweis auf einen
fortgeschrittenen Knorpelverschleiß
gelenkes nachgedacht werden. Die in der
Vergangenheit häufig beim Vorliegen einer
Arthrose durchgeführten Korrekturen des
Knochens am Oberschenkel (Femur-Osteotomien) oder am Becken (acetabuläre Osteo­
tomien) wurden in der letzten Jahren weitgehend verlassen. Die Gründe dafür sind die
nur schwer vorhersehbaren patientenindividuellen Ergebnisse, die häufig nicht vollständige Beschwerdefreiheit und der sehr lange
Behandlungsverlauf.
Die Wahl des Prothesentypes spielt beim
Hüftgelenkersatz eine entscheidende Rolle
und sollte dem Aktivitätsgrad und dem biologischen Alter des Patienten angepasst sein,
um eine möglichst lange Prothesenstandzeit
zu erreichen. Ebenfalls ist die Wahl der Operationstechnik durch den orthopädischen
Chirurgen wichtig. Neue minimal-invasive
Techniken ermöglichen heutzutage eine
schnelle Rehabilitation, eine zügige Rückkehr
in das berufliche Umfeld und Aufnahme der
gewohnten Freizeitaktivitäten.
➔
17 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Minimal-invasive Operationstechniken
Die minimal-invasive Chirurgie (MIS) hat
sich in den letzten Jahren aufgrund des steigenden Anspruches der Patienten entwickelt,
einen möglichst kurzen Krankenhausaufenthalt und eine schnelle Rehabilitation zu haben. Vor einigen Jahren waren statio­
näre
Aufenthalte von 3–4 Wochen nach einem
Hüftgelenkersatz keine Seltenheit. Diese haben sich jedoch in letzter Zeit bis auf wenige Tage verkürzt. Um diese kurzen Krankenhausaufenthalte zu ermöglichen, wurden die
herkömmlichen Operationstechniken verlassen, die vielfach ein Ablösen von Muskulatur erforderten. Minimal-invasive Techniken
respektieren den Verlauf der Muskulatur und
streben eine möglichst geringe Schädigung
von gelenknahen Muskeln an. Neben der
Modifikation der bisherigen operativen Zugänge wurden Hüftimplantate entwickelt,
die eine muskelschonende Implantation ermöglichen. Häufig werden der antero-laterale (modifiziert nach Watson-Jones) oder
anteriore Zugang (modifiziert nach SmithPeterson) als minimal-invasiver Zugang zum
Hüftgelenk gewählt (Abb. 2). Beim anterolateralen Zugang wird beispielsweise durch
die Muskellücke zwischen dem M. tensor fasciae latae und dem M. gluteus medius, beim
anterioren Zugang zwischen dem M. sartorius und dem M. tensor fasciae latae auf den
Schenkelhals des Hüftgelenks zugegangen,
ohne die umgebende Muskulatur zu verletzten (Abb. 3). Nach Eröffnung der Gelenkkapsel kann der Hüftkopf aus der Hüftpfanne
luxiert und die beiden Gelenkanteile für die
Aufnahme einer Endoprothese vorbereitet
werden. Nach der Implantation des Gelenkersatzes wird das Gelenk wieder reponiert
und die Gelenkkapsel geschlossen. Die Muskelanteile legen sich anschließend wieder
aneinander und die Haut kann verschlossen
werden.
Abb. 2:
MIS Zugänge zum Hüftgelenk:
antero-lateraler (weißer Pfeil),
anteriorer Zugang (schwarzer Pfeil)
zum Hüftgelenk.
(1) M. sartorius,
(2) M. tensor fasciae latae,
(3) M. rectus femoris,
(4) M. glutaeus medius,
(5/6) Schenkelhals mit Hüftkopf,
(7) Hüftpfanne.
doprothetische Versorgung mit schneller
Rehabilitation vorangetrieben. Im letzten
Jahrzehnt wurden vermehrt Prothesen entwickelt, die eine muskelschonende Implantation ermöglichen und dabei eine physiologische Krafteinleitung in den Knochen haben.
Im Hinblick auf den Anspruch jedes Patienten an sein neues Hüftgelenk und dem
zukünftigen demographischen Wandel werden viele Patienten ein bis zwei Wechseloperationen in ihrem Leben erhalten. Um einen
Prothesenwechsel durchzuführen, sind gute
knöcherne Verhältnisse zur Verankerung der
Wechselprothese notwendig. Die heutzutage
verwendeten Prothesentypen für Patienten
mit guten Knochenverhältnissen verklemmen
sich weit proximal im Bereich des Oberschenkels (Kurzschaft-Prothesen). Sollte es im Laufe des Lebens zu einer Lockerung des Prothese
kommen, kann das Implantat relativ einfach
entfernt und eine herkömmliche Standardprothese in den unberührten Knochen eingesetzt werden. Aufgrund der mittlerweile
10-jährigen vielversprechenden klinischen Ergebnisse der Kurzschaftprothesen hat deren
Anteil an allen implantierten Hüftendoprothesen in den letzten Jahren in Deutschland
deutlich zugenommen. Diese Zunahme begründet sich unter anderen durch die aktuellen Ansprüche an moderne Endoprothesen,
die sowohl minimal-invasiv und knochenerhaltend implantierbar sein sollten.
Oberflächenersatz
Die Idee des Oberflächenersatzes mit einer
Überkronung des Hüftkopfes wurde bereits
1928 von Smith-Petersen verfolgt und in
den 90er Jahren mit neueren Werkstoffen
erneut in den Markt eingeführt. Aufgrund
der jedoch massiv erhöhten MetallionenKonzentrationen im Blut wurde diese Technik
vor wenigen Jahren erneut vom Markt genommen und sollte heutzutage nicht mehr
eingesetzt werden.
Kurzschaftprothesen
Aktuelle Hüftendoprothesen
Die Weiterentwicklung im Bereich der operativen Zugangswege zum Hüftgelenk wurde durch den Anspruch der Patienten und
Chirurgen an eine patientenindividuelle en-
| 18
Abb. 3: Kurzschaftprothese bei
einem 56-jährigen Patienten
Ab 1985 wurde die Mayo-Prothese als Vorbild
vieler neuer Kurzschaftprothesen weltweit
eingesetzt. Die Idee hinter dieser Konstruktion war eine Design-Änderung der herkömmlichen Schaftprothesen, die einen Knochener-
ATOSnews
Abb. 4:
HemiCap Versorgung bei einem
24-­jährigen Patienten mit einem
lokalisierten
Knorpeldefekt
des Femurkopfes.
Die weißen Pfeile
markieren den
Defekt.
halt ermöglichen sollte. Gerade bei Patienten
mit einem deformierten Hüftkopf oder einer
Hüftkopfnekrose bot dieses Implantat die
Möglichkeit, weniger Knochen als bei einer
herkömmlichen Schaftprothese zu resezieren
und damit knochensparend in Hinblick auf zukünftige Wechseloperationen zu arbeiten. Die
Einleitung der Kraft erfolgte im proximalen,
gelenknahen Femurbereich und entsprach
annähernd einer physiologischen Belastung
des Knochens. In den letzten Jahren wurde
dieses Prinzip weiterentwickelt, so dass aktuell eine Vielzahl neuer Kurzschaftprothesen
zur Verfügung steht (Abb. 3).
Bei einigen Kurzschaftprothesen liegen
aktuell 10-Jahresergebnisse vor, die sehr
vielversprechend sind. Neben der Möglichkeit einer knochensparenden Implantation
und der verbesserten Oberflächeneigenschaften für eine bessere Implantat-Osteointegration ist diesen Prothesentypen gemeinsam, dass sie über minimal-invasive
weichteilschonende
Operationstechniken
eingesetzt werden können. Ebenso kann
der orthopädische Chirurg unterschiedliche
Gleitpaarungen für die Gelenkanteile wählen, die einen möglichst geringen Abrieb garantieren (Keramik-Keramik, Keramik-Polyethylen). Mit Kurzschaftprothesen erhalten
somit Patienten moderne knochensparende
Implantate, die weichteilschonend eingesetzt werden können und durch weiterentwickelte Oberflächenbeschichtungen und
Gleitpaarungen eine lange Prothesenstandzeit versprechen.
HemiCap – Teilersatz des Hüftgelenkes
Seit einigen Jahren ist der Teilersatz von Anteilen des Hüftkopfes bei lokal umschriebenen
Knorpeldefekten des Hüftkopfes möglich, die
in der Vergangenheit häufig nur mit einer
Hüft-Endoprothese versorgt werden konnten. Mit dieser Methode kann über einen minimal-invasiven Zugang zum Hüftgelenk der
Defekt dargestellt und dieser dann durch eine
kleine Metallkappe (HemiCap) ersetzt werden. Durch eine muskelschonende Operationstechnik ist eine sehr schnelle Mobilisation
der Patienten möglich, so dass mitunter nach
wenigen Wochen die gewohnten sportlichen
Aktivitäten wieder aufgenommen werden
können (Abb. 4). Dieses Verfahren hat sich
vor allem bei jüngeren Patienten bewährt, die
ansonsten bereits in jungen Jahren mit einem
Gelenkersatz versorgt worden wären.
Standard-Hüftprothese
Seit Sir John Charnley in den 1960 Jahren
die Hüftendoprothetik revolutioniert hat,
kam es über die Jahrzehnte zu einer Weiterentwicklung, aus der sich unterschiedliche
Implantat-Befestigungen (zementiert, unzementiert) und -Verankerungen (proximal, distal) entwickelt haben. Diese Verankerungsprinzipien werden in verschiedenen Ländern
unterschiedlich genutzt, wobei in Deutschland überwiegend unzementierte Implantate bei Patienten mit altersentsprechender
Knochenqualität eingesetzt werden. Diese
zeigen hervorragende klinische Langzeiter-
Abb. 5: „Standard“ Hüftendoprothese
bei einem 84-jährigen Patienten
gebnisse und können ebenfalls als WechselProthesen im Falle einer Lockerung eingesetzt werden. Bei jüngeren Patienten sollten
jedoch auch die bereits beschriebenen knochensparenden Kurzschaftprothesen in Betracht gezogen werden, um für spätere
Wechseloperationen noch genug Knochen
vorzufinden.
Gleitpaarungen
Die am häufigsten in der Vergangenheit eingesetzten Gleitpaarungen waren ein Metallkopf und ein Polyethylen-Insert. Aufgrund
der damaligen Technik war die Herstellung
von ultra-hochvernetzten Polyethylen-Insert noch nicht möglich und es kam in vielen
Fällen zu starken abriebbedingten Fremdkörperreaktionen, die zu einer Knochenosteolyse mit anschließender Prothesenlockerung ➔
19 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
führten. Dieses zog in den meisten Fällen
eine Wechseloperation nach sich. Aufgrund
des gesteigerten Aktivitätsgrades der Patienten müssen die gewählten Gleitpaarungen
immer höhere Anforderungen erfüllen. Daher wurden in den vergangenen Jahren nicht
nur die Metallimplantate weiterentwickelt,
sondern auf die Gleitpaarungen. Ziel dabei
war es, die Materialeigenschaften der Gleitpaarungen so zu ändern, dass ein möglichst
geringer Abrieb der Oberflächen entsteht.
Dieses führte zur Weiterentwicklung der Polythylene zu ultra-hochvernetzten Polyethylen (XLPE) und daraufhin zu ultra-hochvernetzten Polyethylen (XLPE) mit Vitamin E mit
einer deutlich geringeren Abriebrate. Ebenso wurden die bereits bekannten Keramiken
verbessert, so dass derzeit Keramik-Köpfe
und Keramik-Inserts mit sehr guten mechanischen Eigenschaften und einer hohen
chemischen und hydrothermalen Stabilität
N O T E S
&
ausgestattet sind. Letztere weisen eine hohe
Biokompatibilität und sehr gute tribologische Eigenschaften (Abriebverhalten) auf.
Die Auswahl verschiedener KeramikkopfDurchmesser ermöglicht zusätzlich eine verbesserte Stabilität und einen größeren Bewegungsumfang (ROM) des Hüftgelenkes,
was die Gefahr einer Hüftluxation minimiert. Metall-Metall-Gleitpaarungen sollten
jedoch aufgrund des bereits beschriebenen
massiven Metall-Abriebes nicht mehr eingesetzt werden.
verbesserte Prothesentypen ermöglichen bei
aktiven Patienten einen knochensparenden
Einsatz. Zusammen mit den neuen Gleitpaarungen bietet die Hüftendoprothetik derzeit
moderne Versorgungsmöglichkeiten, die sowohl eine schnelle Mobilisation und Rückkehr
zur normalen Aktivität als auch eine lange
Prothesenstandzeit versprechen.
Literatur beim Verfasser
Fazit
In den letzten Jahren gab es einen deutlichen
Wandel in der Hüftendoprothetik. Es wurden
die bisherigen operativen Zugangstechniken
zum Hüftgelenk weiterentwickelt, so dass
vermehrt muskelschonende minimal-invasive
Zugangstechniken genutzt wurden. Neue und
Prof. Dr. Fritz Thorey
Internationales Zentrum für Hüft-, Knieund Fußchirurgie (hkf)
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
www.hkf-ortho.de
N E W S
:: Fußball-Profi Peter Pekarík in der ATOS Klinik München operiert
Nach seiner SchulterOP in der ATOS Klinik
­München ist Peter
­Pekarík bereits wieder
guter Dinge.
Nach einer Schulterverletzung ließ sich Hertha BSC-Profi ­Peter
Pekarík erneut von Prof. Dr. Peter Habermeyer in der Münchener ATOS Klinik operieren. Bereits 2012 hatte sich Pekarík
mit einer verletzten Schulter in die erfahrenen Hände von Prof.
H
­ abermeyer gegeben.
Auf die Frage, weshalb er sich wieder für Herrn Prof. ­Habermeyer
und den Aufenthalt in der ATOS Klinik München entschieden hat, antwortete Pekarík: „Diese Entscheidung ist mir sehr
| 20
leicht gefallen! Ich war mit der letzten OP super zufrieden. Herr
Prof. Habermeyer ist einer der besten – wenn nicht der beste –
Schulterspezialist. Und in der ATOS Klinik kann man sich richtig
wohl fühlen; sie ist auf einem absoluten Top Level.“
Prof. Dr. Habermeyer, Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie,
Orthopädie und Sportmedizin, kann auf über 25.000 Schulter­
operationen verweisen und ist regelmäßig auf den Listen der
besten Chirurgen Deutschlands aufgeführt.
Zur Person:
Peter Pekarík
Seit Sommer 2012 steht Peter Pekarik bei Hertha BSC in der
1. Fußball-Bundesliga unter Vertrag.
Der 1986 geborene slowakische Fußballspieler stieß im Jahr
2004 zum Profikader des FK ZTS Dubnica. Nach guten Leistungen und dem vierten Platz in der slowakischen Corgoňliga
wurde der Defensivspieler von Ligakonkurrent MŠK Žilina abgeworben. Beim Serienmeister der 2000er Jahre gewann P­ ekarík
2007 seinen ersten nationalen Titel. In der Winterpause der
Saison 2008/09 wechselte er schließlich aus seiner Heimat in
die Fußball-Bundesliga zum VfL Wolfsburg. Sein Debüt in der
deutschen Bundesliga gab der rechte Außenverteidiger am 31.
­Januar 2009 beim 1 : 1 gegen den 1. FC Köln.
ATOSnews
Individualisierte Hüftprothese –
die Ausnahme?
Von Hans Gollwitzer
Keywords: individualisierte Hüftprothese, Beinlängendifferenz,
dreidimensionale Planung, patient matched technology
Bei der Vielzahl an implantierten Hüftprothesen werden meist Standardprothesen verwendet. Etabliert ist der Einsatz individuell hergestellter ­Hüftimplantate vor allem in
der Wechselchirurgie, wenn gerade beckenseitig große Knochendefekte gefüllt und überbrückt werden müssen. Oberschenkelseitig werden Individualimplantate heute in eher
geringer Zahl bei knöchernen Fehlstellungen eingesetzt.
Eine der größten Herausforderungen der primären Hüftendoprothetik ist aktuell die
präzise individuelle Rekonstruktion von Beinlänge und muskulären Hebelarmen, da ein
Großteil postoperativer Beschwerden auf eine Veränderung der Biomechanik zurückgeführt wird. Voraussetzung dafür ist eine präzise dreidimensionale Planung der Rekonstruktion, welche auf Basis einer Computertomographie angefertigt wird, um auch
Rotationskomponenten wie die Femurantetorsion zu berücksichtigen. Diverse aktuelle
Entwicklungen zielen daher auf eine Individualisierung der Operationsplanung und der
intraoperativen Umsetzung ab und könnten sich in der Zukunft zu Standardverfahren
der modernen Hüftendoprothetik entwickeln.
Seit mehr als 40 Jahren werden Hüftprothesen mit großem Erfolg eingesetzt. Ursprünglich waren die Funktionsansprüche gering.
Eine Operation galt als erfolgreich, wenn
ein stabiles Gelenk und eine Schmerzreduktion erreicht wurden. Heutzutage sind die
Ansprüche an eine Hüftendoprothese drastisch gestiegen, und normale schmerzfreie
Funktion mit Sportfähigkeit wird erwartet.
Zudem sollte eine „forgotten hip“ erreicht
werden, d. h. die Patienten sollen nicht mehr
merken, dass ein künstliches Implantat eingesetzt wurde. Wesentliche Voraussetzung
dafür ist eine präzise Rekonstruktion der
„Hüftarchitektur“ im Hinblick auf Rotationszentrum, Implantatorientierung, Hebelarme,
femorales Offset, Anteversion und Beinlänge [7]. Bei diesen morphologischen Parametern gibt es eine große individuelle Varianz,
weshalb die Notwendigkeit individualisierter
Implantate immer wieder diskutiert wird.
Aktueller Stand: individualisierte
Hüftprothesen
Die individuelle Hüftprothetik stellt aktuell nur einen sehr kleinen Anteil der knapp
200.000 jährlich in Deutschland implantierten Hüftprothesen dar. Zuallermeist werden gerade in der Primärendoprothetik Standardprothesen verwendet, und diese werden
auf Basis einer zweidimensionalen Röntgenaufnahme des Beckens geplant. Die Navigation konnte zwar gute Ergebnisse im Hinblick
auf die Rekonstruktion des vorbestehenden
femoralen Offsets und der Beinlänge zeigen, hat sich jedoch aufgrund des erhöhten
zeitlichen, technischen und finanziellen Aufwands und Limitationen in der präoperativen
Planung nicht flächendeckend durchgesetzt.
Primärendoprothetik:
Pfannenseitig besitzt die Individualprothetik aktuell keinen wesentlichen Stellenwert,
da moderne hemisphärische Pfannen und
Schraubpfannen sehr gute Ergebnisse zeigen. Bei knöchernen Defekten z. B. durch
Dysplasie wird zumeist eine Auffüllung des
Knochenlagers mittels körpereigenen Knochens zur anatomischen Rekonstruktion des
Drehzentrums und gleichzeitig Verkleinerung des Knochendefektes angestrebt (Abb.
3). Bei größeren Defekten bieten ovaläre
Pfannen oder modulare Pfannenaugmente
die Möglichkeit der Defektüberbrückung
[6]. Nur bei ausgedehnten Knochendefekten
wird eine Anfertigung eines Individualimplantates notwendig (siehe Revisionsendoprothetik) [6].
Individuell angefertigte Hüftstiele sind
bereits seit vielen Jahren auf dem Markt
und erlauben bei knöchernen Fehlstellungen
– wie nach Umstellungsoperationen oder
Knochenbrüchen – eine möglichst optimale
Knochenverankerung. Bei der Indikationsstellung sollte dabei abgewogen werden,
ob ein Individualimplantat angefertigt wird ➔
21 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
| 22
ATOSnews
Abb. 1:
Planung eines maßangefertigten
Femurimplantates.
a
(a) Nach Einpassung der Hüftpfanne erfolgt die virtuelle Rekonstruktion von Antetorsion, Offset und
Beinlänge mit Prüfung der impingementfreien Beweglichkeit. Die blaue
Fläche innerhalb der Grafik zeigt
Bereiche mit einer sehr guten Flexion (>120°) in Abhängigkeit von AbAdduktion (horizontal) und Rotation (vertikal) an. Idealerweise sollten
sowohl der Nullpunkt, als auch die
drei dunkel umrandeten Kästchen
(Region Of Special Interest) innerhalb des blauen Bereichs liegen.
(b) Nach optimierter Rekonstruktion
der Biomechanik wird die intramedulläre Verankerung individuell
angepasst.
b
oder ob die Fehlstellung nicht durch Osteotomie korrigiert wird, um die Implantation
eines Standardimplantates – auch für den
Fall einer späteren Revision mit einem längeren Hüftstiel – zu ermöglichen.
Zur Planung wird eine Computertomographie (CT) angefertigt, anhand welcher die optimale Implantateinpassung und Rekonstruktion von Offset, Torsion des Schenkelhalses
und Beinlänge simuliert wird (Abb. 1). Ebenfalls wird der impingementfreie Bewegungsumfang simuliert und basierend darauf die
Implantatorientierung (Pfanneninklination,
Pfannenversion und femorale Anteversion)
optimiert, um das Luxationsrisiko zu minimieren (Abb. 1a). Für die passgenaue Präparation des femoralen Markraums werden
zudem Instrumente wie Femurraspeln individuell angefertigt. Derart maßangefertigte
Hüftschäfte sind bereits seit mehreren Jahrzehnten auf dem Markt und können als etablierte Verfahren angesehen werden.
gepasst und derart geformt, dass ein möglichst großflächiger Kontakt mit autochthonem Knochen (Abb. 2b) für eine optimierte
Integration und Sekundärstabilität erfolgt.
Die Primärstabilität des Implantates wird zudem durch individuell geplante intramedulläre Stiele und Schrauben verbessert (Abb.
2b). Durch Simulation des Bewegungsumfanges kann schließlich die Pfannenorientierung im azetabulären Konstrukt zur
Maximierung des impingementfreien Bewegungsumfanges optimiert werden (vgl. Abb.
1a). Die gesamte Planung erfolgt in Interaktion mit dem Operateur rein digital und auch
spezifische Erfordernisse wie Resektionsgrenzen bei Tumoren können berücksichtigt
werden. Die Ergebnisse und Standzeiten sind
dabei insbesondere von den biologischen
Faktoren wie Knochenqualität und Infektresistenz des Patienten abhängig und können
aufgrund der individuell unterschiedlichen
Defekte nur schwer pauschalisiert werden.
Aktuelle Weiterentwicklungen:
Revisionsendoprothetik:
Die steigende Anzahl an Mehrfachwechseln
mit großen – insbesondere azetabulären
– Knochendefekten erfordert in der rekonstruktiven Gelenkchirurgie neue Strategien.
In den letzten Jahrzehnten wurde die individuelle Rekonstruktion großer Knochendefekte, welche mit konfektionierten Implantaten nicht mehr rekonstruiert werden
können, kontinuierlich weiterentwickelt.
Die Planung erfolgt wiederum auf Basis einer CT des Beckens (Abb. 2a) mit zusätzlicher
Abbildung von Kniegelenk und Sprunggelenksbasis zur Darstellung von Beinlänge
und Rotationsachsen. Da das Drehzentrum
aufgrund der Knochendefekte zumeist kranialisiert ist, kann eine Spiegelung von der
gesunden Gegenseite bzw. nach der Methode von Pierchon et al. [9] erfolgen. Nach Rekonstruktion des Pfannenzentrums (Abb.2a)
wird im nächsten Schritt das Implantat ein-
Betrachtet man die Standzeiten der heute eingesetzten Hüftimplantate, so werden
durchwegs sehr gute Ergebnisse mit Standzeiten von über 90 % nach mehr als 15 Jahren
erreicht. Auch die Patientenzufriedenheit ist
als hoch einzustufen, allerdings berichtet ein
wesentlicher Anteil der Patienten über bleibende Beschwerden. So konnte eine dänische
Studie bei 28 % der Patienten chronische
Schmerzen beobachten, und 12 % hatten
moderate oder starke Einschränkungen bei
den Aktivitäten des täglichen Lebens [8]. Diese sind vor allem zurückzuführen auf [3]:
-- operationsbedingte Muskel- und Sehnenschäden,
-- Beinlängendifferenzen sowie
-- Offsetveränderungen.
Die oben genannten Ursachen von Beschwerden nach Hüftprothetik können
durch eine optimierte und individuell angepasste Planung und Operationstechnik vermieden werden. So sind die immer wieder
berichteten seitlichen Hüftschmerzen nach
Hüftgelenkersatz häufig auf chronische
Sehnen- und Muskelschäden der kleinen ➔
23 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
a
b
Abb. 2: (a) Virtuelle dreidimensionale Darstellung des azetabulären Knochendefektes
(ober) und Einsetzen einer virtuellen Pfanne in das anatomische Drehzentrum (unten);
(b) Ergänzung der knöchernen Verankerung mit optimierter Auflagefläche auf dem
vorhandenen Beckenknochen (oben) und Ergänzen von intramedullärem Stiel und
Schrauben für die verbesserte Primärstabilität (unten).
Glutealmuskeln (M. gluteus medius und M.
gluteus minimus) zurückzuführen [5]. Gerade muskelstarke und sportliche Patienten
– die auch den höchsten Funktionsanspruch
haben – haben ein erhöhtes Risiko, operationsbedingt eine Muskelschädigung zu erleiden. Diese empfindliche Muskulatur kann
speziell durch den vorderen Zugang zum
Hüftgelenk – wie bei der von mir präferierten
AMIS-Technik – geschützt werden („AMIS“ –
anterior minimally-invasive surgery) [4].
Die anatomische Rekonstruktion von Beinlänge, Antetorsion und Offset (= seitlicher
Abstand des Oberschenkelschaftes zum Hüftdrehzentrum) besitzt für eine gute Hüftgelenksfunktion eine herausragende Bedeutung
[7]. Eine Verkürzung von Beinlänge und/oder
Offset kann zu einem Hinken bis hin zu einer
instabilitätsbedingten Luxation des Kunstgelenkes durch zu geringe Muskelspannung führen. Eine Beinverlängerung bzw. Offsetvermehrung führt hingegen zu einer vermehrten
Muskelspannung, die massive Schmerzen bis
hin zur Immobilität verursachen kann [1].
Auch eine zwar schmerzfreie, doch deutliche
Beinverlängerung wird von den Patienten selten toleriert und führt zu Hinken und Unzufriedenheit mit dem Operationsergebnis. Eine
| 24
Veränderung der Antetorsion hat wiederum
Einfluss auf das Offset und die Hüftstabilität.
Für die Rekonstruktion von Offset, Femurantetorsion und Beinlänge sind drei Aspekte
entscheidend:
1. Die präoperative Operationsplanung,
2.die Auswahl des optimalen Implantates
und
3.die intraoperative Umsetzung der
Planung.
Die Implantation einer Hüftprothese wird
standardisiert mittels einer Röntgenaufnahme des Beckens geplant. Verschiedene Studien konnten jedoch bestätigen, dass die
zweidimensionale Projektionsaufnahme eine
gewisse Ungenauigkeit in der Darstellung
des femoralen Offsets besitzt [7]. Dies ist auf
die unterschiedliche Rotationsstellung des
Oberschenkelhalses zurückzuführen, was einen direkten Einfluss auf die Projektion des
Offsets hat [7]. Dabei wird das Offset auf der
nativen Röntgenaufnahme nach Lecerf et al.
in 28 % um mehr als 5mm unterschätzt. Zudem kann die Antetorsion auf einer Beckenübersicht nicht geplant werden.
Derzeit gibt es mehrere verschiedene Entwicklungen, um eine dreidimensionale Operationsplanung zur ermöglichen. Diese werden wie in der Individualprothetik CT-basiert
durchgeführt, wodurch rotationsbedingte
Projektionsfehler ausgeschlossen werden.
Insbesondere die femorale Helitorsion (Rotationswinkel der Hüftschaftimplantation)
und die Antetorsion des Prothesenhalses
können nur mittels CT geplant werden. Ein
Nachteil ist die vermehrte Strahlenbelastung
durch das notwendige CT, welches vom Beckenkamm bis zum Oberschenkel mit weiteren Schichten durch Knie- und Sprunggelenke reicht.
Nach virtueller Rekonstruktion von Drehzentrum, Beinlänge und Offset erfolgt die
Auswahl des am besten passenden Implantates (Abb. 3). Um die individuellen Re-
Literatur
1.Dora C, Houweling M, Koch P et al.
(2007) Iliopsoas impingement after
total hip replacement: The results
of non-operative management, tenotomy or acetabular revision. J Bone
Joint Surg. British volume 89:10311035
2.Esposito CI, Wright TM, Goodman
SB et al. (2014) What is the trouble
with trunnions? Clin Orthop Rel Res
472:3652-3658
3.Forster-Horvath C, Egloff C,
Valderrabano V et al. (2014)
The painful primary hip replacement –
review of the literature. Swiss Medical
Weekly 144:w13974
4.Gollwitzer H (2013) Minimal-invasive
Hüftendoprothetik in AMIS-Technik:
Gute Übersicht bei muskel- und nervenschonender Implantationstechnik.
ATOS News 22:30-35
5.Gollwitzer H, Opitz G, Gerdesmeyer L
et al. (2014) Greater trochanteric
ATOSnews
Abb. 3: (a) Schwere Dysplasiekoxarthrose mit dreidimensionaler Planung der anatomischen R
­ ekonstruktion
mittels Standardimplantat. (b) Geplante Resektion des Hüftkopfes (K) entlang einer individuell angefertigten
Schablone und Vergleich des entfernten Knochens mit dem Knochenmodell sowie dem Probeimplantat.
Wird die Osteotomie präzise durchgeführt, so dient die Osteotomielinie als zuverlässige intraoperative
Orientierung für die Implantateinbringung. Postoperative Röntgenaufnahme mit physiologischer femoraler
Rekonstruktion entsprechend der Planung.
konstruktionsmöglichkeiten zu verbessern,
wurden sogenannte modulare Implantate
entwickelt, bei denen der Prothesenhals mit
verschiedenen Winkeln und Längen auf den
Prothesenkörper aufgesetzt wird. Allerdings
zeigten sich bei einzelnen Modellen selten
Brüche an diesen modularen Komponenten
[10], weshalb andere Implantathersteller einteilige Hüftstiele mit großer Variabilität und
teilweise über 50 verschiedenen Größenund Offset-Varianten eines Modells anbieten.
pain syndrome. Der Orthopäde
43:105-118
6.Gollwitzer H, Von Eisenhart-Rothe R,
Holzapfel BM et al. (2010) Revision
arthroplasty of the hip: acetabular
component. Der Chirurg 81:284-292
7.Lecerf G, Fessy MH, Philippot R et al.
(2009) Femoral offset: Anatomical
concept, definition, assessment, implications for preoperative templating
and hip arthroplasty. Ortho Traumat
Surg Res: OTSR 95:210-219
8.Nikolajsen L, Brandsborg B, Lucht U et
al. (2006) Chronic pain following total
Auch von uns werden nicht-modulare Implantate bevorzugt, da auch die Auswirkung
der Korrosion an den Verbindungsstellen heute noch nicht abschließend beurteilt werden
kann [2]. Mittels der verfügbaren Implantatvarianten ist in den allermeisten Fällen eine
anatomische Rekonstruktion von Offset und
Beinlänge möglich. Allerdings hat der Operateur bei rechteckigen zementfreien Implanten
nur einen geringen Spielraum in der Korrektur pathologischer Drehfehler und Antetorsi-
hip arthroplasty: a nationwide questionnaire study. Acta Anaesthesiologica
Scandinavica 50:495-500
9.Pierchon F, Migaud H, Duquennoy A et
al. (1993) Radiologic evaluation of the
rotation center of the hip. Revue de
Chirurgie Orthopédique et Réparatrice
de l‘Appareil moteur 79:281-284
10.Wodecki P, Sabbah D, Kermarrec G et
al. (2013) New type of hip arthroplasty failure related to modular femoral
components: breakage at the neckstem junction. Ortho Traumat Surg
Res: OTSR 99:741-744.
onen, so dass in diesen Fällen die Verwendung
sternförmiger Stielprofile, zementierter Stiele
oder auch die Anfertigung von Individualimplantaten erwogen werden sollte.
Nach virtuellem Einbringen der Implantate kann dann in einer digitalen Simulation der impingementfreie Bewegungsumfang
geprüft werden. Abhängig vom Ergebnis
können Anpassungen der Implantatorientierung zur Vermeidung von Impingement und
Luxation erfolgen.
Der abschließende und mindestens genauso wichtige Schritt betrifft dann die präzise Umsetzung der dreidimensionalen Planung während der Operation. Verschiedene
knöcherne Landmarken – wie der Trochanter
minor – die auch in der 3D-Planung berücksichtigt werden, unterstützen den Operateur
bei der Orientierung. Zusätzlich könnte die
Entwicklung individueller Instrumente und
Schablonen – die mittels 3D-Printer hergestellt werden – die Präzision verbessern. Dieses auch als „patient-matched technology“
bezeichnete Verfahren ist in der Knieprothetik bereits verbreitet. An der Hüfte zielen
aktuelle Entwicklungen auf eine Fertigung
von Schnittblöcken zur präzisen femoralen
Resektion (Abb. 3b) und Frässchablonen für ➔
25 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Fazit
die Pfannenpositionierung ab. Da über 95 %
der Beinlängendifferenzen auf das Femurimplantat zurückzuführen sind [7], könnte bereits ein alleiniger femoraler Schnittblock zur
Festlegung der femoralen Osteotomie (Abb.
3b) als sichere Orientierung für die Implantateinbringung dienen. Schließt das femorale
Implantat entsprechend der Planung mit der
Osteotomie ab und stimmt die Größe überein, so kann von einer korrekten Rekonstruktion der femoralen Morphologie ausgegangen werden. Diese Schnittblöcke befinden
sich aktuell jedoch in der Entwicklung und
sind im klinischen Alltag außerhalb von Studien bisher nicht verfügbar.
Zusammenfassend lässt sich feststellen,
dass die Individualisierung in der Hüftendoprothetik aktuell vor allem bei komplexen
Deformitäten und großen beckenseitigen
Knochendefekten etabliert ist. Allerdings
könnten die Erkenntnisse der virtuellen dreidimensionalen Prothesenplanung helfen,
Herausforderungen und Probleme der Standardprothetik wie Beinlängendifferenz und
Offsetveränderung zu beheben. Eine anatomische Rekonstruktion der natürlichen Biomechanik sollte bei allen Patienten erreicht
werden und ist letztendlich mit möglichst
hoher Sicherheit nur basierend auf einer
dreidimensionalen Bildakquise und Opera-
Save the Date
Orthopädisches Update für die Praxis
Die Kollegen der ATOS Klinik München laden
am 28. Mai 2016, ab 13:00 Uhr, in die
ATOS Klinik München, Effnerstr. 38, 81925 München ein.
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Informationen und Anmeldung auf
www.atos-muenchen.de
| 26
tionsplanung möglich. Daher ist von einer
zunehmenden Individualisierung auch in der
Standardendoprothetik auszugehen.
Prof. Dr. Hans Gollwitzer
Leitender Arzt, ATOS Klinik München
Praxis für Hüft- und Knieendoprothetik,
gelenkerhaltende Hüftchirurgie
Prof. Dr. Gollwitzer - Dr. Rembeck
gollwí[email protected]
www.ecom-muenchen.de
ATOSnews
Kasuistik:
Pfannenwanderung bei Hüft-TEP mit
großem Knochenverlust am Becken
Von Fritz Thorey
Aufgrund der zunehmenden Implantationszahlen von Hüftendoprothesen steigt auch die Anzahl von Wechseloperationen, die
aufgrund einer Lockerung einzelner Implantat-Komponenten
notwendig werden. Am häufigsten ist die Pfannenkomponente
­betroffen, bei der in einigen Fällen große Knochendefekte wegen
eines Polyethylen-Abriebs gefunden werden können.
Im vorliegenden Fall stellt sich eine 74-jährige Frau mit einer
Pfannenlockerung vor. Die Pfannenkomponente hat sich aufgrund des massiven Knochendefektes weit nach kranial verlagert
und zu einer Beinverkürzung von über 2 cm und starken Schmerzen geführt.
Ziel der Revisionsoperation war die Wiederherstellung des vorherigen Drehzentrums, des Offsets und der Beinlänge. Intraoperativ
wurde der massive Knochenverlust durch einen Pfannenbodenaufbau mit Fremdknochen (2,5 allogene Hüftköpfe) aufgefüllt.
Der vordere Pfannenrand war defekt, so dass eine Versorgung
mit einer Revisionsstützpfanne notwendig war (Abb. 1). Die Mobilisierung erfolgte mit schmerzadaptierter Belastung.
Fazit: Bei der zunehmenden Anzahl von Wechseloperationen
ist eine kompetente operative Versorgung notwendig, um eine
exakte Rekonstruktion der Hüfte zu erreichen und dem Patienten eine schnellstmögliche Mobilisierung und Rückgewinnung
der Lebensqualität zu ermöglichen.
Prof. Dr. Fritz Thorey
HKF – Internationales Zentrum für Hüft-, Knieund Fußchirurgie
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
www.hkf-ortho.com
Abb. 1:
(a) Pfannenwanderung
nach kranial mit massiven
Knochenverlust.
(b) Rekonstruktion des
Pfannenzentrums und
­Offsets mit Pfannen­
bodenaufbau und
Einsetzen einer
Revisionsstützpfanne.
27 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Kreuzbanderhaltende KniegelenksEndoprothetik
Von Hajo Thermann
Keywords: Kreuzbanderhaltende Knieendoprothetik, Kinematik, posterior
stabilized, ACL deficient knee, ACL retaining Knieprothese
Die Mehrzahl der Knie-Totalendoprothesen wird bei älteren Menschen implantiert.
So ist die steigende Zahl der Implantationen vor allem auf die demographische Entwicklung der Gesellschaft zurückzuführen. Ein weiterer Aspekt ist, dass sportliche
Aktivität und der Anspruch an ein aktives Leben auch in fortgeschrittenem Alter
eine stets wachsende Bedeutung erfährt. Andererseits werden Knie-Endoprothesen
auch immer häufiger bei Patienten im Alter um 50 Jahre implantiert. ­Ursachen
hierfür sind eine Zunahme an traumatischen Arthrosen sowie frühzeitiger Gelenk­
verschleiß durch vielfältige Freizeitaktivitäten und intensivere sportliche Belastung.
Indikation und Anspruch der Patienten haben sich dementsprechend geändert. Dies
hat die Entwicklung von anatomischen Prothesen vorangetrieben.
Die veränderten Ansprüche der Patienten
an die Knie-Endoprothese im Zusammenhang mit der Verschiebung hin zu einem
jünger werdenden Patientenkollektiv führen
zu einer kritischeren Betrachtung des Operationserfolges. Internationale Publikationen
zeigen, dass etwa 20 % der Patienten nach
dem Eingriff unzufrieden sind. Das schwedische Prothesenregister, die Datenbank
schlechthin für valide Ergebnisse, gibt bei
17 % von 25.000 Patienten an, dass diese
entweder unzufrieden sind oder nicht sicher,
ob sie zufrieden mit einer Knie-TEP sind.
Eine aktuelle Studie von Clement et al.
untersuchte die Erwartungshaltung von Patienten vor und die Erfüllung dieser Erwartungen nach Knie-TEP. Bei der Betrachtung
der jüngeren, aktiveren Patienten zeigte sich,
dass 25 % von ihnen unzufrieden sind mit
ihren Möglichkeiten hinzuknien oder in die
Kniebeuge zu gehen. Weniger als 50 % erreichten ihre Erwartungen bezüglich Rückkehr zur Arbeit und der Teilnahme an sportlichen Aktivitäten. Hier sind die Ansprüche
| 28
bei jüngeren Patienten natürlich höher. Diese Unzufriedenheit spiegelt immer mehr die
höheren Anforderungen an eine Knieendoprothese wider. Standardknieprothesen erlauben keine normale Kinematik im Kniegelenk, die Hebelarme der Muskulatur werden
dadurch stärker belastet. Das wesentliche
Defizit ist die vermindert propriozeptive Stabilität durch das Fehlen des vorderen Kreuzbandes (VKB), welches bei der Implantation
einer Knie-TEP entfernt wird.
Schon seit Jahrzehnten versuchen Chirurgen Prothesen zu entwickeln, die ein besseres Gefühl einer normalen Kniekinematik vermitteln, verbunden mit einem verbesserten,
höheren Aktivitätslevel, das dann auch zu einer umfassenden Zufriedenheit führt.
Theoretisch kann man bei der Knie-Endoprothetik davon ausgehen, dass der Erhalt
des VKB zu einer besseren Kinematik, funktionellen Mechanik und v.a. auch Propriozeption führt. Dies bedeutet insgesamt eine
verbesserte Funktion, besonders im Hinblick
auf die Streckung oder Beugung des Kniege-
lenks. Ferner könnten kreuzbanderhaltende
Prothesen theoretisch das Potenzial für die
Lebensdauer einer Prothese erhöhen. Durch
verminderte Stressvermittlung und geringeren Krafteinfluss durch die Prothese sind
die Prothesenkomponenten nicht so stark
verbunden.
Werden die Vorteile einer veränderten
Kinematik mit einem vorderen Kreuzband erreicht?
Es bestehen theoretische Überlegungen,
dass bei Versagen des VKB (z. B. Ruptur) und
zunehmender Fehlstellung, verbunden mit
einer nicht ausreichenden Balancierung der
Gelenkspannung in den Bewegungen, die
Überlebenszeit und die Vorteile einer solchen
Prothese sich umkehren könnten. Die grundsätzlichen Fragen durch neu aufkommende
Implantate beleuchten nochmals den historischen Hintergrund.
Die ersten Kreuzband erhaltenden Prothesen stammen aus den 60er Jahren. Das „poly­
ATOSnews
Abb. 1a,b:
Volle Beugung 1 Jahr
nach Implantation einer
Knieprothese (Journey
BCS II, Smith&Nephew)
a
zentrische“ Knie, entwickelt von G
­ unston, besteht aus zwei semizirkulären Teilprothesen
an den Femurkondylen und separaten Tibiakomponenten aus Polyethylene. Da die femoralen Komponenten nicht fest mit der
Tibia verbunden waren, konnten die Femurkondylen, ähnlich wie zwei Reifen, miteinander laufen. Dies erlaubte eine relativ normale
Bewegung entsprechend den anatomischen
Strukturen des Kniegelenks.
In den 70er Jahren kam aus der MayoKlinik in den USA die geometrische Geomedic-Knieprothese. Sie bestand aus einer “all
Polyethylene“ tibialen Komponente und einer einzelnen kompletten femoralen Komponente.
Im Vergleich zu den gängigen Prothesen
hatten diese Prothesen in der Vergangenheit (70er Jahre) eine schlechtere Lebenserwartung.
Einer der letzten in größerem Umfang
eingesetzte VKB erhaltende Prothese war
die Cloutier Prothese. Bei dieser Prothese
war die femorale Komponente der Kondylen
asymmetrisch und die Kurvatur in der sagittalen Achse nach posterior flacher. Eine Besonderheit war die tibiale Basiskomponente
mit quasi zwei Einzelkomponenten, die Uförmig verbunden waren, die Eminentia aussparte. An den zur Eminentia intercondyla-
b
ris gehörenden Kreuzbandhöckern setzt das
vordere Kreuzband an.
Die zentrale Funktion des vorderen und
hinteren Kreuzbandes besteht in der Führung des Kniegelenks. Bei der Beugung führen die Kreuzbänder das Gelenk und zwingen
den Femurkopf in eine Roll-Gleit-Bewegung.
Das VKB schränkt die anteriore Verschiebung
der Tibia ein. In Streckung ist das posterolaterale Bündel des VKB unter Spannung
und in Beugung das antero-mediale Bündel.
Das VKB nimmt 75 % der anterioren Kräfte
in voller Extension auf und ungefähr 85 %
in 30° und 90° Flexion. In der zunehmenden
Beugeposition kommt es bei der hochkonvexen lateralen Femurkondyle zu einer Begrenzung durch die Artikulationsflächen und es
wird durch das vordere Kreuzband endgradig standgehalten. Die größere und weniger
gekrümmte mediale Femurkondyle rollt vorwärts und gleitet dann durch das Anspannen
des hinteren Kreuzbandes (HKB) rückwärts.
Aufgrund der komplexen kinematischen
Abläufe bei der Bewegung des Kniegelenks
und den immer höheren Ansprüchen an die
Funktionalität einer Prothese ist zu erwarten, dass in der Zukunft die Endoprothetik
im Hinblick auf Design, Kinematik, Materialien und Produktion (3D-Printing) erhebliche Verbesserungen bringen wird. Bisher
wurde in der Design-Entwicklung mehr Wert
auf die Funktion des HKB gelegt, obwohl das
vordere Kreuzband vielleicht eine bedeutendere Rolle in der Kinematik des normalen
Kniegelenks spielt.
Die Kinematik von VKB resezierten und
HKB erhaltenden Knieprothesen entspricht
einem „ACL deficient knee“ mit paradoxen
Bewegungen. Normal translatiert die Tibia
posterior und der Femur subluxiert anterior. Diese Bewegung ist jedoch ohne ein vorderes Kreuzband umgedreht und resultiert in
einem posterioren femoralen Impingement.
Dies führt zu einer Einschränkung der tiefen
Beugung. Durch ein Release des HKB und/
oder „Undersizing“ der Femurkomponente kann das zwar verhindert werden, führt
dann jedoch zu einer Flexionsinstabilität mit
Schmerzen und Gelenkschwellung.
Bei einer posterior stabilized Knieprothese wird durch den „cam/post Mechanismus“ die Funktion des hinteren Kreuzbandes
imitiert und ist vergleichbar mit einer HKB
erhaltenden Prothese. Es besteht aber ein
„vorderes Kreuzband-Defizit“, welches in
eine anteriore Subluxation der Tibia mündet. Die Konsequenz dieses Mechanismus
ist ein Impingement der anterioren Kammer
mit der posterior stabilized Box, wenn die Tibia in Extension gebracht wird. Dies kann zu ➔
29 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
vermehrtem Abrieb und im schlimmsten Fall
zu einem Bruch des Polyethylens führen. Zusätzlich limitiert die Prothese die anteriore
Translation des Femurs.
Dieser Mechanismus kann nach Prothesenimplantation auch zu einem abnormen
Quadrizepsmuskel-Hebelarm führen und die
Kraftübertragung vermindern. Aufgrund des
VKB-Verlustes besteht bei beiden Design-Typen zusätzlich ein Verlust der tibialen Rotationskontrolle während der Knieflexion. Dies
kann zu vermehrter lateralen „Patellakippung“ und Subluxation durch stärkere Außenrotation führen.
Verschiedene Studien belegen die Auffassung, dass bei einem Erhalt beider Kreuzbänder eine „normalere Kniekinematik“ nach einer Implantation einer Knieprothese vorliegt.
Kinematische Studien mit „in vivo Belastungsröntgen“ zeigen, dass bei einer HKBerhaltenden Knieprothese (CR) mediale und
laterale Kontaktpunkte der Prothesenkontaktflächen signifikant weiter posterior in
0° Streckung sind. In 60° Beugung ist die laterale Femurkondyle signifikant weiter posterior als bei vergleichbaren Prothesen, die
kreuzbanderhaltend sind. Diese posteriore
Verlagerung der Kontaktpunkte kann sowohl
in Streckung als auch durch die anteriore
Translation in tiefer Beugung, zu erhöhtem
posterioren Prothesenabrieb führen.
Nur die Journey BCS (Bicruciate substituting) Prothese verfügt über eine „fast“ normale Kinematik (Screw home mechanismus/
rollback). Das anatomische Design und ein
besonderer „Post/Cam“ Mechanismus bewerkstelligen, dass bei dieser Prothese eine
vollständige Beugung und ein fast normaler
rollback möglich ist (Abb. 1a+b).
Moro-oka et al (2007) analysierte mittels
dynamischer Fluoroskopie die in vivo Kinematik auf dem Laufband, beim Treppensteigen und bei maximalen Flexionsaktivitäten.
Er verglich „anterior cruciate retaining“ (VKBerhaltend) mit nur „posterior cruciate retaining“ (CR; HKB-erhaltend) Prothesen. Hierbei
fanden sich gerade in der maximalen Flexion,
aber auch in der Stand- und Schwungphase
des Gangbildes signifikante bessere, “mehranatomische“ Einstellungen des Kniegelenkes
bei der VKB-erhaltenden Knieprothese.
| 30
Zusätzlich wird durch die Resektion des VKB
die Propriozeption des Kniegelenkes abnormal. Untersuchungen zeigten, dass das VKB
und die kapsularen Mechanorezeptoren
dann ansprechen und die größte propriozeptive Sensitivität aufweisen, wenn das
Knie in terminaler Extension ist. Diese Vorteile der Propriozeption wurden auch in einer weiteren Studie mit Schlittenprothesen
bei erhaltenem Kreuzband eindeutig nachgewiesen. Alle diese Untersuchungen unterstützen theoretisch die Auffassung, dass
das VKB eine entscheidende Rolle in der
Kniestabilität und der Propriozeption spielt
und daher auch diese Funktion bei einem
entsprechenden Knieprothesendesign unterstützen wird.
Das Problem der alten VKB erhaltenen
Knieprothesen
Das Problem der Knieprothesen der 80er
Jahre war, dass die tibialen Basisplatten frakturierten, da diese zu der Zeit noch nicht stabil genug waren. Die damaligen Polyethylene
waren gammasterilisiert und daher nicht so
belastungsresistent wie heutige Vitamin EPolyethylene.
Desweiteren war die Instrumentation und
die Operationstechnik in den 80er Jahren so
ausgelegt, dass der chirurgische Eingriff dem
einer totalen Knieprothese ähnelte.
Das Material, die Technik und die Instrumente haben in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen erfahren.
Neueste „ACL retaining“ Knieprothese:
Vanguard XP Prothese
Im Vergleich zu früheren chirurgischen Verfahren geht die Technik bei der Vanguard
XP Prothese von der Methode der Oxford
Schlittenprothese aus. Damit entspricht dieses System eindeutig mehr der Kreuzbanderhaltung und die technische präzise Implantation der Prothese ist einfacher (Abb. 2).
Die Vorteile lassen sich auch aus dem aktuellen Design im Vergleich zu „CR Prothesen“ und den „alten VKB erhaltenen Prothesen“ erkennen. In der operativen Präparation
und der Balancierung des Knies im tibialen
Bereich entspricht die Implantation der Vanguard XP Prothese technisch eher einer medialen und lateralen Schlittenprothesenimplantation.
Durch das Weiterbestehen des vorderen
und hinteren Kreuzbandes wurde das Design
der femoralen Komponente asymmetrisch
gestaltet, um zusätzlich Stabilität zu generieren. Zudem muss die artikulierende Fläche
des Femurs aus dem Bereich der Eminentia
mit der Notch herausgenommen werden, da
hier die tibiale Ansatzstelle des VKB ist. Insgesamt wird die Stabilität durch den Weich-
Abb. 2:
Implantierte
Vanguard XP
Prothese
ATOSnews
a
b+c
d
Abb. 3a–d: Kernspintomographie mit vorhandenen Kreuzbändern (1+2) vor der Operation (a),
Röntgenaufnahmen mit implantierter Vanguard XP Prothese 3 Monate postoperativ (b+c),
schematische Darstellung der implantierten Prothese mit erhaltene Kreuzbändern* (d)
teilverbund mit den erhaltenen Kreuzbändern definiert. Das asymmetrische Design
der femoralen Kondylen in der Artikulation
auf der tibialen Komponente ermöglicht einen “Roll back“ bei der Beugung des Kniegelenks. Dies liegt daran, dass die laterale
Seite ein wenig konvex ist und die mediale
Seite mehr konkav, ähnlich wie die normale
Anatomie des gesunden Kniegelenks. Somit
kann hier eine stringente Kinematik durch
das Design adaptiert werden.
Das Prinzip des Vanguard-XP Kniedesigns
führt zur Determinierung des Weichteilmantels durch Weichteilkräfte und nicht durch
vorgegebene Artikulationsflächen.
Das Design des medialen Kompartiments
unterscheidet sich vom lateralen Kompartiment. Die Bewegung im Kniegelenk ist durch
die unterschiedlichen Geometrien der medialen und lateralen Oberflächen bestimmt.
Sowohl die mediale als auch die laterale
Gelenkfläche besitzen eine anteriore und
posteriore Lippe mit einer flachen Artikulationsfläche. Der flache Anteil der Artikulationsfläche ist lateral in der Länge größer und
damit ist der nicht implantatgeführte An-
teil der Artikulation größer als medial. Dieses Design erlaubt in der a.p. Translation und
in der Innen- und Außenrotation der femoralen Komponente auf der Belastungsfläche der Tibia eine funktionelle Artikulation
(Abb. 3a-d).
Biomechanische Tests im Labor zeigten,
dass das Vanguard-XP System mit E1 Polyethylen 90 % Abriebreduktion im Vergleich
zu normalen CR-Prothesen mit StandardPolyethylen hatte. Das femorale Komponentendesign wurde so verändert, dass aufgrund einer kürzeren posterioren Kondyle
weniger „Edge loading“ in der tiefen Flexion auftritt. Zudem wird durch einen größeren Radius der lateralen distalen Kondyle das
Roll back verbessert.
In einer Vergleichsstudie von 400 Patienten, die auf einer Seite eine kreuzbanderhaltende Prothese implantiert bekamen und
auf der anderen Seite eine Standard-Prothese, wurde die kreuzbanderhaltende Seite als
die bessere Seite bevorzugt. Im Hinblick auf
Treppensteigen berichteten 89 % über eine
bessere Kraftentfaltung und Steuerung im
Knie.
Die sehr guten Erfahrungen mit unikompartimentellen Prothesen waren die Voraussetzung, dass sich die Industrie den
kreuzbanderhaltenden Totalendoprothesen
zugewandt hat. Gerade das beschriebene
Produkt baut auf einer 30jährige Erfahrung
mit den „Oxford-Schlittenprothesen“ auf.
Eine Studie von Johnson et al. (2013) hat
gezeigt, dass bei 80 % der Patienten, die zu
einer Totalendoprothesenversorgung kommen, ein vollständig erhaltenes vorderes
Kreuzband vorhanden ist. Daraus ergibt sich
gerade für jüngere Patienten eindeutig die
Möglichkeit, diese optimale Struktur nicht zu
resezieren, sondern sie mit einem entsprechenden Prothesendesign zu erhalten.
*Zimmer Biomet ist in Zusammenhang mit der Verwendung
von Zimmer Biomet-Bildmaterial Inhaber sämtlicher Urheber- und sonstiger Rechte mit Bezug auf den Schutz des
geistigen Eigentums. Neben der durch Zimmer Biomet erfolgten Genehmigung zur Nutzung des Bildmaterials wird
diese Publikation nicht finanziell von Zimmer Biomet unterstützt. Zimmer Biomet ist für den Inhalt der Publikation
nicht verantwortlich.
31 |
➔
::Schwerpunkt Endoprothetik
Bedeutungsvoll, gerade für das Verständnis einer normalen Kniekinematik, ist der
„Envelope of functional motions“ (EFM) nach
Prof. Andriacchio, der die sekundären Bewegungen anteriore/posteriore Translation und
Innen-/Außenrotation bei Kniebeugung analysiert. Der EFM beschreibt die Grenzen jedes Kniegelenks in seinem Weichteilmantel.
Die Grenzen ändern sich, basierend auf dem
Winkel der Kniebeugung, der Muskelaktivität
und natürlich auch der Aktivität, die gerade
durchgeführt wird (Gehen, Treppensteigen
und in die Hocke gehen). Daher war das Ziel
der neueren Prothese (im Gegensatz zu alten
kreuzbanderhaltenden Prothesen) das Design so abzustimmen, dass es dem vorderen
Kreuzband erlaubt, eine Funktion innerhalb
des „Envelope of functional motion“ auszufüllen, was bei nicht anatomischen Prothesen
nicht möglich ist.
Das VKB begrenzt primär die anteriore
Translation in voller Extension. Bei Beugung
arbeitet das VKB zusammen mit anderen
Knieligamenten und dem Weichteilmantel in
der eingeschränkten anterioren und posterioren Tibiabewegung. Das VKB verhindert die
Rotation des Knies in Extension. In voller Extension wird das VKB gespannt und bewirkt
eine interne tibiale Rotationsrestriktion. Bei
Beugung des Kniegelenks entspannt sich das
VKB, jedoch wird der Envelope of motions
stärker gespannt. Durch die propriozeptiven
Eigenschaften des VKB führt es das Knie in
den verschiedenen Gelenkpositionen und
vermittelt somit ein natürliches Gefühl für
das Gelenk (Abb. 3a-d).
Die Muskelfunktion ist bei sensorischem
Response des Weichteilgewebes geführt,
wenn Anspannung und Spannung stattfindet. Die Antwort führt zu einer Muskelkontraktion, welches dem Knie hilft, im dynamischen Envelope of functional motions zu
bleiben. Gerade wenn das Knie in volle Extension geht, überträgt das VKB auch propriozeptiv die normale Muskelfunktion. Eine
Ruptur des VKB führt durch Reflexinhibition
zu einer Muskelatrophie des Quadrizeps. Dies
kann die Rehabilitation bei kreuzbandresezierten Knieprothesen erschweren.
Der große (möglich erreichbare) Unterschied ist ein von den Kreuzbändern und
dem umgebenden Weichteilmantel geführtes
Knie. Dies bedeutet für den Patienten: „Mein
Knie nur mit einem neuen Reifen“!
Die Zukunft wird uns zeigen, wie häufig
das „möglich erreichbare Ziel“ erreicht wird.
Hier hat der Chirurg mit seiner Erfahrung
und der Wahl der Operationstechnik noch
ein entscheidendes „Wörtchen“ mitzureden!
Prof. Dr. Hajo Thermann
HKF – Zentrum für Hüft-, Knie- und
Fußchirurgie
ATOS Klinik Heidelberg
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ATOSnews
Kniegelenksarthrose:
Gelenkerhalt oder Teilersatz?
Beinachskorrektur oder Schlittenprothese?
Von Rainer Siebold
Keywords: Kniegelenkarthrose, Umstellungsosteotomie, Teilgelenkersatz, Schlittenprothese
Meniskusschäden, ein starkes O-Bein oder einfach nur genetische Veranlagung können im Laufe
des Lebens zu Knorpelabrieb und einer schmerzhaften innenseitigen Kniegelenksarthrose führen. Neben konservativen Maßnahmen im Frühstadium kommen bei fortgeschrittenem Befund
unterschiedliche operative Maßnahmen in Betracht. Eine alleinige Arthroskopie zur „Gelenksäuberung“ wird vielfach angeboten, bringt aber meist kaum bzw. keine Besserung oder gar eine
­Verschlechterung. Die operative Korrektur des O-Beins oder die Implantation einer Schlittenprothese (=Teilersatz vom Gelenk) kann die Beschwerden viele Jahre deutlich lindern, bevor eine
komplette Knieprothese notwendig wird. Was versteht man unter beiden Verfahren? Welches sind
die Vor- und Nachteile? Wie lange kann man einen kompletten Gelenkersatz vermeiden?
Meniskusschäden, ein starkes O-Bein oder
einfach nur genetische Veranlagung können
im Laufe des Lebens zu Knorpelabrieb und
einer schmerzhaften innenseitigen Arthrose
am Kniegelenk führen. Der natürliche Verlauf wird durch Unfälle mit Verletzung des
Meniskus, des Knorpels und der Bänder und
starke körperliche Belastung häufig stark
beschleunigt. So können sich schon früh –
bei manchen Menschen bereits um das 30.
bis 40. Lebensjahr – schmerzhafte Überlastungserscheinungen, eine zunehmende
Gelenkspaltverschmälerung und schließlich
eine schmerzhafte innenseitige Kniegelenksarthrose entwickeln. Dadurch sind die Patienten zunehmend eingeschränkt, zunächst
bei Belastung, dann auch im Alltag und in
Ruhe, z. B. im Schlaf.
Ziel der Behandlung sollte es deshalb
sein, die Schmerzen zu reduzieren und die
Lebensqualität wieder zu verbessern. Es ist
ratsam, zunächst die Ursache der Überlastung herauszufinden und zu beseitigen.
Stärkere sportliche Belastung, z. B. stop- and
go-Sport wie Fußball, Squash etc. sollten
gemieden werden. Gewichtsreduktion kann
sehr hilfreich sein. Eine gezielte Physiotherapie, Schmerzmedikation und eine Schuhaußenranderhöhung von 3–5 mm bringen
häufig Linderung. Auch der Einsatz von Hya­
luronsäurepräparaten oder/und eine Eigenbluttherapie (ACP) in Form von Injektionen
haben sich unserer Erfahrung nach sehr bewährt.
Indikation und Ziel der Operation
Bei erfolgreicher konservativer Therapie
besteht bis auf Ausnahmen zunächst keine Indikation zur Operation. Bei starker Beeinträchtigung der Lebensqualität unter
erfolgloser konservativer Behandlung ist jedoch zumeist eine Operation anzuraten.
Bestehen trotz innenseitiger Arthrose
nur geringe Beschwerden, ist in der Regel
auch bei Meniskusschaden von einer Operation eher abzuraten. Denn auch ein gerissener Meniskus hat schließlich noch eine
wichtige Stoßdämpferfunktion, und die Entfernung von Meniskusgewebe kann die Ar-
throse noch beschleunigen und zu stärkeren
Beschwerden führen. Deshalb sollte die Indikation zur Arthroskopie bei Arthrose sehr
zurückhaltend und mit Bedacht gestellt werden, z. B. zur Entfernung eines abgerissenen
einklemmenden Meniskuslappens mit mechanischer Irritation des Gelenkes. Bei der
Mehrzahl der Patienten mit mittelgradiger
oder fortgeschrittener innenseitiger Arthrose macht allerdings eine alleinige Arthroskopie zur Schmerzreduktion keinen Sinn mehr.
Auch der Wunsch nach einer Knorpelzelltransplantation kann nicht mehr erfüllt werden, da das Verfahren bei Arthrose leider
nicht erfolgversprechend ist. Dennoch ist die
Lage nicht hoffnungslos, bleiben doch zwei
wirksame und bewährte Möglichkeiten der
operativen Behandlung:
Umstellungsosteotomie
Bei beginnender bis mittelgradiger Arthrose
(d. h. es ist noch ein Gelenkspalt von mehreren Millimetern vorhanden) und gleichzeitigem O-Bein ist eine operative Beinachsbe- ➔
33 |
::
nicht zerstört. Der Patient muss allerdings
verstehen, dass die Arthrose dadurch nicht
geheilt werden kann. Auch muss die sportliche Belastung angepaßt werden. Natürlich ist das Ziel, im Idealfall die Schmerzen
für mehrere Jahre stark zu reduzieren. Die
Ausgangssituation zum Zeitpunkt der Beinachskorrektur ist für die Prognose entscheidend. Je geringer die Arthrose zum Zeitpunkt
der Operation, desto länger in der Regel der
OP-Erfolg. Erfreulich ist, dass 10 bis 15 Jahre
nach der Operation 90–95 % der Patienten
noch ihr eigenes Gelenk haben und noch keine Gelenkprothese benötigen.
Abb. 1: O-Bein Achse.
Im Stehen geht die
Hauptbelastung durch
die Innenseite des
Kniegelenkes und
verursacht Verschleiß
Abb. 2: Röntgenaufnahme
im Stehen: Innenseitiger
Gelenkspalt verschmälert,
jedoch noch vorhanden.
Normal weite Außenseite.
| 34
gradigung in der Regel sehr wirksam (Abb. 1
und 2). Wichtigstes Ziel ist es dabei, die innenseitigen Knieschmerzen zu lindern. Die
richtige Patientenauswahl ist der Schlüssel zum Erfolg und erfordert viel Erfahrung.
Dabei müssen Alter, Gewicht, Kniegelenksbeweglichkeit, Bandstabilität, Ausmaß der
Beinachsabweichung und Begleitschäden im
Gelenk abgewogen werden. Auch das Aktivitätsniveau und der Beruf sind wichtige Kriterien.
Meist führen wir eine keilförmige valgisierende Beinachskorrektur mit innenseitigem
Aufklappen des Schienbeinkopfes durch.
Dabei wird das Bein intraoperativ begradigt
und die Achskorrektur bis zur Knochenheilung durch eine sehr stabile TomoFix-Platte
(Fa. Synthes) gehalten (Abb.3). Damit können die Patienten nach 2 bis 4 Wochen bereits wieder mit vollem Körpergewicht belasten. Der stationäre Aufenthalt beträgt 3 bis
4 Tage, begleitend werden physiotherapeutische Maßnahmen durchgeführt. Die Platte
wird nach ca. 1 Jahr wieder entfernt.
Der größte Vorteil des Verfahrens ist,
dass gelenkerhaltend operiert wird, d. h. die
Gelenkflächen werden durch die Operation
Gelenkteilersatz: Schlittenprothese
Ist die Arthrose bereits fortgeschritten (d. h.
kein oder fast kein Gelenkspalt mehr vorhanden) reicht eine Beinachsbegradigung häufig
nicht mehr aus, um die Schmerzen zu lindern
© drubig-photo - Fotolia.com
Abb. 3: Überprüfung der
Beinachskorrektur während
der Operation. Befestigung
mittels winkelstabiler
TomoFix-Platte (Fa. Synthes)
ATOSnews
(Abb. 4a). In diesem Fall ist es vorteilhaft, den
zerstörten Teil des Gelenkes durch eine Teilprothese (= Schlittenprothese) zu ersetzten.
Nur dadurch kann bei fortgeschrittener Arthrose Schmerzfreiheit erzielt werden. Wie
bei einer Zahnkrone wird dabei die Gelenkfläche der innenseitigen Oberschenkelrolle
und des innseitigen Schienbeinkopfes durch
hochwertige Implantate „überkront“ (Abb.
4b). Die Knieaußenseite, die Kniescheibe und
die Bänder werden erhalten, so dass das Gelenkspiel kaum gestört wird. Dadurch sind
das Kniegefühl und der Bewegungsumfang
in den meisten Fällen fast wieder normal. Die
„Schlittenprothese“ wird im Gelenk einzementiert und ist sofort fest mit dem Knochen verbunden. Das ist ein großer Vorteil,
denn die Patienten dürfen in den meisten
Fällen sofort nach der Operation das Knie
mit vollem Körpergewicht belasten und auch
frei bewegen. Während des ca. 7-tägigen
a
b
Abb. 4a: Fortgeschrittene innenseitige
Arthrose mit aufgehobenem innenseitigem
Gelenkspalt
Abb. 4b: Innenseitiger Teilersatz des
Gelenkes, sog. Schlittenprothese mit
Erhaltung Außenseite, Kniescheibe und
Bandapparat
stationären Aufenthaltes werden wiederum begleitende Rehabilitationsmaßnahmen
durchgeführt; danach schließt sich eine weiterführende ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahme an.
Die Haltbarkeit einer Schlittenprothese liegt heute durch hochwertiges Material, optimiertes Design und eine standardisierte Operationstechnik bei ebenfalls ca.
90 %-95 % nach 10 Jahren. Sollte sich die
Schlittenprothese lockern oder eine Arthrose in anderen Gelenkabschnitten entstehen,
muss schließlich auf einen kompletten Kniegelenksersatz (klassische Knieprothese=TEP)
gewechselt werden.
Fazit
Sowohl die Beinachskorrektur als auch die
Implantation einer Schlittenprothese sind
geeignet, Schmerzen bei Kniegelenksarthrose für viele Jahre zu lindern. Die Indikationen
überlappen sich, deshalb ist die Erfahrung
des Operateurs bei der Auswahl des richtigen Verfahrens entscheidend. Mit beiden
Operationen kann viel Zeit gewonnen werden, bevor ein kompletter Kniegelenksersatz
durchgeführt werden muss. Bezüglich der
Schmerzreduktion hat die Schlittenprothese leichte Vorteile. Dafür können Patienten
nach Beinachskorrektur in der Regel bei
komplett erhaltendem Gelenk aktiver sein.
Deshalb werden jüngere aktive Patienten
eher mit einer Beinachskorrektur versorgt.
Beide Operationsverfahren erfordern viel
operative Erfahrung und werden von uns
seit vielen Jahren erfolgreich angewandt.
Prof. Dr. Rainer Siebold
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie,
Sportmedizin
(1) HKF: Zentrum für Hüft-KnieFußchirurgie & Sporttraumatologie
ATOS Klinik Heidelberg
(2) Institut für Anatomie und Zellbiologie,
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
[email protected]
www.hkf-ortho.de
35 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Sprunggelenkprothese – aktueller Stand
Von Hajo Thermann
Keywords: OSG-Arthrose, Sprunggelenkprothese
Die Ursachen für eine Arthrose im oberen Sprunggelenk
(OSG) sind, neben entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, bei über 80 % der Patienten unfallbedingt. Ebenso können auch traumatisch oder degenerativ bedingte
Fehlstellungen des Fußes zu einer einseitigen Belastung
und somit zur Zerstörung des Knorpels im OSG führen.
Was ändert sich durch die Arthrose?
Veränderungen des Gangbildes
In spezifischen klinischen Anwendungen
von multisegmentalen Fußmodellen wurden
speziell die Gangpathologien bei rheumatoider Arthritis, bei „Posterior tibial tendon dysfunction“ (Plattfuß) und bei Hallux rigidus
charakterisiert. Woodburn et al. zeigte, dass
das Gangbild bei Patienten mit schmerzhaftem Hallux valgus und Deformität des
Rückfußes verändert war. Sowohl barfuß
als auch in Schuhen fand sich eine exzessive
Eversion im Sprunggelenkkomplex und eine
Innenrotation im Unterschenkel.
Bei rheumatoiden Patienten zeigte eine
Ganganalyse im Vergleich zu einer Kontrollpopulation eine verlängerte Standphase,
eine verkürzte Abstoßphase, eine erhöhte
Kadenz und eine langsamere Geschwindigkeit im Gehen. Im Bereich des Rückfußes
wurden eine verzögerte und verminderte
Plantarflexion, eine vermehrte Außenrotation und eine vermehrte Inversion festgestellt.
Es gibt nur wenige Publikationen, in denen mittels Ganganalyse das Gangbild von
Patienten mit Arthrose, Sprunggelenksarthrose oder mit endoprothetischer Versorgung des Sprunggelenks untersucht wurde.
| 36
Zwei Studien beschreiben die Kinematik vor
und nach Implantation einer Sprunggelenksendoprothese. Sie zeigten, dass die Arthrose
zu einer Verminderung der maximalen vertikalen Bodenreaktionskräfte sowie zu einer
deutlichen Veränderung des sagittalen und
transversalen Hebelarms und somit deutlichen Reduktion der Kraftentfaltung führt.
Untersuchungen nach Arthrodese des
OSG zeigen, dass die Mobilität nach Versteifung des OSG durch Mehrbeweglichkeit im
Knie, im Mittelfußbereich und im Vorfußbereich erreicht wird. Zusätzlich wird die Versteifung durch eine deutliche Zunahme der
Beweglichkeit im Subtalarbereich und der
Mittelfußgelenke kompensiert. Dies führt jedoch auch zu erhöhtem Belastungsstress in
diesen Gelenken.
Historie der OSG-Endoprothetik
Die größte Problematik in den Anfängen der
OSG-Endoprothetik (1985) bestand in den
sehr geringen Standzeiten der Prothesen.
Grund hierfür waren die suboptimalen Implantationsmöglichkeiten. Es fehlte die Prä-
zision der Instrumentarien, und besonders
hinderlich war ein nicht ausgereiftes, dem
OSG nicht entsprechendes Design der Prothesen, das sich zu Beginn noch an der Endoprothetik der Hüftgelenke orientierte.
In den Neunziger Jahren wurde durch H.
Kofoed die STAR Prothese eingeführt und
damit ein neues erfolgreiches Kapitel der
OSG-Endoprothetik aufgeschlagen. Diese
Prothese hatte für den Patienten eindeutige
Vorteile im Hinblick auf die Beweglichkeit des
Gelenkes bei wiedererlangter Schmerzfreiheit. Dadurch wurde in den 90er Jahren die
Endoprothetik nach und nach wieder eine
Alternative für die Spezialisten der Sprunggelenkschirurgie und gleichzeitiig auch wieder Objekt umfangreicher Wissenschaftsanalysen, besonders Analysen im Vergleich
zum damaligen „Goldstandard“, der OSGArthrodese.
In vivo Untersuchungen zeigten, dass die
normalen Bewegungen des Sprunggelenkkomplexes durch die Prothesenimplantationen wesentlich weniger beeinflusst werden
als bei einer Arthrodese, welche eine normale Bewegung nicht mehr zulässt.
ATOSnews
Zweiteilige gekoppelte Prothesen (Agility,
Inbone) führen zu erheblich mehr Restriktion bei der talaren Bewegung als modernere Dreiteile-Prothesen (begonnen mit der
STAR-Prothese). Daraus resultiert wahrscheinlich ein Anstieg der Stresskräfte in
und um die Prothese herum, was zu einem
vermehrtem Polyethylenabrieb und zu Lockerung im Knochen-Prothesen-Interface
führte.
Im Vergleich mit gesunden Patienten
konnte in Studien keine normale Ganggeschwindigkeit erzielt werden, weder beim
endoprothetischen Ersatz noch bei der Arthrodese.
Kinematische Untersuchungen konnten
in Ganganalysen nachweisen, dass es in den
ersten 3 Monaten nach Prothesenimplantation zu einer Normalisierung des Gangbildes
kam. Im weiteren Verlauf wurde im Vergleich
zu Gesunden nur noch eine partielle Wiedererlangung der kinematischen Fähigkeiten erreicht. Dies lag wahrscheinlich an einer zunehmende Belastung und Narbenbildung.
Weitere Studien konnten aber auch eine
Persistenz der guten Beweglichkeit über 12
Monate belegen.
Eigene Erfahrungen zeigen, dass bei optimaler Lage der Prothese und sofortiger guter
Beweglichkeit postoperativ diese Beweglichkeit im weiteren Verlauf nicht verloren geht.
Auch unter stärkerer Belastung kann durch
kontinuierliches Training die Beweglichkeit
stabilisiert werden.
Bei Nachuntersuchungen über einen
längeren Zeitraum (bis zu 4 Jahren) ist durch
das Wiedererlangen der Beweglichkeit im
Sprunggelenk auch eine Verbesserung der
Beweglichkeit im Knie- und Hüftgelenk eindeutig nachweisbar.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse
von in vivo Ganganalysen, dass weder die
Endoprothetik des Sprunggelenkes noch die
Arthrodese zu einem vollständig normalen
Gangbild oder zu normalen Bewegungen der
unteren Extremitäten führt.
Die Vorteile der OSG-Endoprothetik gegenüber der Arthrodese ist ein symmetrisches
Gangbild und normalere „Ground Reaction
Forces“ (Bodenreaktionskräfte). Ferner ist die
Kadenz schneller und die Schrittlänge größer.
Prothesendesign
Die Designer von Sprunggelenksprothesen
haben vielschichtige, nicht nur traditionelle
Probleme zu bekämpfen. Dies sind vor allem
Abb. 1:
STAR Prothese:
drei Komponenten
mit schaftfreier
Tibiakomponente.
das Material, Fixationselemente, operative
Techniken, Risiko von Abrieb und Lockerung
der Prothese.
In den bestehenden Konzepten sind die
Fragen der Gelenkrotationsachsen, der Kontaktflächen, der Bandspannungen usw. bislang nicht vollständig verstanden. Im Prothesendesign sind folgende schwer lösbare
Widersprüche: Auf der einen Seite will man
eine „constrained (gekoppelte) version“ haben. Diese weisen eine große Kontaktfläche
mit Verminderung des Polyethylenabriebs
auf. Diese „steifen Festprothesen“ behindern
aber die Beweglichkeit. Im Gegensatz dazu
zeigen „unconstrained“ durch ihre hohe
Konformität das Risiko einer inadäquaten
Belastung. Durch hohen Kontaktstress zeigen diese Prothesen einen höheren Poly­
ethylenabrieb.
Auffallend ist, dass sich bei einem Prothesenwechsel bei nicht korrigierter Achsenfehlstellung ein enormer Abrieb schon innerhalb von kürzerer Zeit findet.
Trotz der Probleme mit den Ergebnissen
der Zwei-Teile-Prothesen wurden diese in
den USA wiederbelebt. So sind auch noch
heute zweiteilige „Twopart-Prothesen“ und
Dreiteilprothesen auf dem Markt vorhanden.
Drei-Teile-Prothesen haben aufgrund des
„kongruenten“ Meniscal bearing die Möglichkeit auf der Gelenkfläche zu gleiten. Die
Prothese kann Translationsbewegungen erlauben und zusätzlich die Kongruenz der artikulierenden Flächen durch den gesamten
Bewegungsablauf gewährleisten. Die flache
Tibia führt in erster Linie Kompressionsdruck
auf das Knochen-Implantat-Interface aus.
Aufgrund der geringen Reibung braucht es
bei dem Konstrukt eigentlich keinen kleinen
Schaft wie im Design verschiedener Prothesen, um die Kompressionskräfte im Knochen,
zu neutralisieren (Abb. 1).
Sphärische (2 verschiedene Radien) Interfaces zwischen der konvexen Knochenverankerung (tibial oder talar) und dem Polyethylen haben den Vorteil, dass auch die
Kongruenz in transversaler und frontaler
Rotationsebene bestehen bleibt. Im Gegensatz zu zylindrischen (1 Radius) Prothesen
kann jedoch eine sphärische Prothese eher
zu leichten Implantationsfehlern führen. ➔
37 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
Abb. 2: Zystische periprothetische Läsion
4 Jahre nach Implantation
Untersuchungen mit Anwendung der „Finite-Elemente-Methode“ sowie auch in
vivo- Untersuchungen konnten nachweisen,
dass die Knochenstrukturen durch intakte,
balancierte Bänder geführt werden müssen,
wie dies auch bei gesunden Gelenken der Fall
ist. Daher ist bei der Implantation der Prothese die „Balancierung“ extrem wichtig und
setzt große Expertise voraus. Die Vorstellung allein, dass bei einer guten knöchernen
Implantation eine mangelnde Balancierung
der Weichteil- und Bandstrukturen durch
die Prothese ausgeglichen wird, ist trotz der
Konformität des Gelenkes ein Irrglaube. Es
muss daher eine absolute ligamentäre Stabilität erreicht werden.
Im Hinblick auf die Haltbarkeit und Lebenserwartung der Prothesen ist zu allererst
eine präzise Präparation des Knochens mit
guter Verankerung notwendig. Hierbei variieren verschiedene Designs: kleine Stems,
Verschraubungen, Zapfen – alles zur Erhöhung des Interfaces zwischen nicht zementierter Implantatoberfläche und Knochen,
um eine größtmögliche Oberfläche mit Verzahnung zu erreichen.
Das theoretische Konzept wird aber letztendlich durch die Präzision der Implantati-
| 38
Abb. 3: Knochenmarksaspiration mit Yamshidinadel
vom Beckenkamm
on als auch durch die Biologie der Einheilvorgänge bestimmt. Daher sollte aus meiner
Sicht die Konditionierung der Prothesenrückfläche mit Knochenmark erfolgen. Takakura
(2010) hatte eine präoperative Beschichtung
mit Biologica angeregt. Dieser Aspekt sollte
als weitere Verbesserung einer festen Einheilung stärker berücksichtigt werden.
Minimale Instabilitäten im Bereich des
Interfaces führen nach meiner Ansicht zu
einem veränderten mechanischen Verhalten in diesem Knochen/Prothesen-Interface.
Dies führt zu Knochenresorption aufgrund
unterschiedlicher Krafteinflüsse durch den
nicht festen Verbund. Die Folge davon sind
Schmerzen und im weiteren Verlauf der Resorption des Knochens kann es zu Zystenbildung kommen (Abb. 2).
Eigene histologische Untersuchungen der
Zysten zeigen, dass diese nicht in erster Linie
als Fremdkörperreaktionen auf Polyethylenpartikel herrühren, sondern aus meiner Sicht
mechanische Ursachen haben. Logischerweise müsste man sich trotz verbesserter
Implantationstechnik die Frage stellen, ob
auch bei pressfit-Verfahren, evtl. eine Zementierung eine bessere primäre Stabilität
erzeugen kann?
Wir wissen aber auch, dass es durch die thermischen Veränderungen beim Aushärten des
Zementes zu Nekrosen im Knocheninterface
kommen kann. So stellt sich die Frage, ob
hier durch eine Zementierung, der Teufel mit
dem Belzebub ausgetrieben wird?
Außer Frage steht meiner Meinung nach,
dass die Imprägnierung mit Wachstumsfaktoren (ACP) und Knochenmarksaspirat
(Knochenmark und Stammzellen!) unbedingt angewendet wird. Meine Erfahrungen
im kurzfristigen Verlauf (bis 2-3 Jahre) zeigen, dass sich bei Anwendung dieser Technik
keine zystischen Veränderungen mehr nachweisen ließen (Abb. 3).
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich
der Sprunggelenksendoprothetik werden
vom wachsenden amerikanischen Markt dominiert. Durch Positionierungs-und Einspanngeräte im Bereich der Implantation und bei
der Durchführung der Sägeschnitte soll eine
Standardisierung der schwierigen Implantationstechniken erreicht werden. Die Implantation wird durch das untere Sprunggelenk
durchgeführt und mit großen Schäften wird
eine hohe Rigidität geschaffen. Bei komplexen Fällen mit Alignmentfehlstellungen wird
vermehrt dieses Verfahren propagiert, um
ATOSnews
a
b
c
Abb. 4a–c: Inbone gekoppelte Prothese mit Halteapperat zur Implantation
(J. DeOrio, persönliche Mitteilung)
diese anspruchsvollen Operationen für „jedermann“ zu vereinfachen!
Aus meiner Sicht ist dieses der falsche
Weg. Durch die Halteapparate wird eine
scheinbare Sicherheit in der Implantation
vorgetäuscht. Postoperative Röntgenbilder
zeigten auch bei dieser Technik, dass weiterhin große Variationsmöglichkeiten im Bereich der Implantation besteht (Abb. 4a–c).
Die Opferung des unteren Sprunggelenkes und die Einführung von großen Stems
in dieser Implantationstechnik mögen primär zu einer anfänglichen Stabilität führen.
Das Wesen von Implantaten in biologischen
Materialien ist aber, die Stresseinwirkung
durch geringe Hebel bei unterschiedlichen
Elastizitätsmodulen zu reduzieren, da sonst
auch die stärksten Implantate mit der Belastung und Zeit versagen,, so dass ich aus
meiner Sicht diese constrained steifen Prothesen sehr kritisch beurteile.
Wie schon in den 90er Jahren in den USA
ist der Versuch mit der Agility-Prothese, mit
undimensionierten oder fehldimensionierten
Implantaten eine hohe Stabilität zu erzeugen, gescheitert. Evtl. zeigt sich hier, trotz
Verbesserungen der Implantate wiederum
eine negative Entwicklung.
Einige neue Prothesen des amerikanischen
Marktes sind zwar im Design nur gering innovativ, jedoch wird hier ein lateraler Zugang benutzt, was prinzipiell bei Standardimplantationen eine sehr schöne Übersicht
zeigt (Abb. 5a, b).
Auch bei dieser Implantation werden,
vielleicht von amerikanischen Orthopäden
gewünscht, Einspanngeräte in die Operationstechnik eingebunden, um einen breiteren
Zuspruch der Operateure durch fragliche Implantationssicherheit zu erreichen?
Die grundsätzliche Problematik in der
OSG-Endoprothetik ist, dass wir im Design
in den letzten 20 Jahren nicht wirklich weiter gekommen sind. Die normalen anatomischen Verhältnisse, vor allem im Bereich
des talaren Designs, der eine abgesägte Konus-Schrauben-Bewegung beinhaltet, werden auch durch sphärische talare Implantate
nicht nachempfunden.
Die flache Tibiakomponente ermöglicht
zumindest eine Translation mit geringerer
Friktion. Die Vorstellung, dass das Polyethylen sich mitbewegt, erweist sich als Wunschdenken. Bei allen Revisionen fällt auf, dass
sich nur die talare Komponente unter dem
Polyethylen bewegt. Dadurch kommt es zu
massiver intraartikulärer Narbenbildung. Rotationsbewegungen werden mehr oder weniger durch diese Narbenbildung verhindert.
Die Weiterentwicklung der talaren Komponente ergab hervorragende Prototypen,
wobei das talare Design komplett verändert
wurde. Obwohl fast in Produktionsreife, wurde es von der Industrie, wahrscheinlich auch
unter dem Aspekt eines „Return of Investment“ von Standardprothesen, noch zurückgehalten. Da am europäischen, vor allem auf
dem deutschen Markt, ein „break even point“
der Wertschöpfung wahrscheinlich zu keiner
Zeit erreicht wurde, ist es zum Rückzug von
zwei Anbietern gekommen. Diese sind aufgrund von Standhaftigkeitsproblemen, aber
auch aus finanziellen Wertschöpfungsgründen nicht weiter erhältlich.
Aus meiner Kenntnis hat dies den gesamten Markt weder verkleinert noch vergrößert. Insgesamt haben die Top-Anbieter den
Nutzen daraus gezogen, ihre Implantationstechniken und Implantationsinstrumentarien
deutlich zu verbessern.
Dennoch hat die Sprunggelenksendoprothetik in den letzten 20 Jahren große Fortschritte gemacht. Weniger im Design als
vielmehr in einer adäquaten Implantation ➔
39 |
::Schwerpunkt Endoprothetik
a
b
Abb. 5a, b: Trabecular metall TM, konvexe Tibia und Polyethylen.
der Prothesen durch hochspezialisierte Chirurgen, die alle Höhen und Tiefen einer „Learning Curve“ hinter sich haben.
Die Industrie unterstützt grundsätzlich
die Bedürfnisse einer endoprothetischen
Versorgung in der Verbesserung der Instrumente, die den europäischen Spezialisten
sehr gute Implantationen ermöglichen.
Mit einer Sprunggelenksprothese erreicht
man kein normales Gelenk! Bei vorbestehender Mobilität führt es bei guter Implantation aber zu einer Schmerzfreiheit und zu einer
sehr guten Beweglichkeit. Die sportlichen Aktivitäten sind genauso wie bei anderen Prothesen in erster Linie im „Nichtimpact-SportBereich“. Schwimmen, Golf, Fahrradfahren,
Rennradfahren, Skifahren und Skilanglauf
sind mögliche sportliche Belastungsformen.
Durch die Wiedererlangung dieser Fähigkeiten erhalten wir in unseren Nachuntersuchungen ein positives Feedback und eine
hohe Zufriedenheit.
Die Designveränderungen auf dem Gesamtmarkt kommen aus den USA. Hier werden
andere Wünsche befriedigt als in der orthopädischen Gemeinschaft der Fußspezialisten.
| 40
Mit Halte- und Einspannsystemen, oder
jetzt als neueste Weiterentwicklung durch
Computerdesign präfabrizierte Patienten„gematchte“ Schneideleeren wird den Chirurgen in aufwendigen Kursen das Gefühl
einer Verbesserung vermittelt. In Studien mit
Kurzzeit-Ergebnissen zeigt sich, dass diese
Implantate funktionieren.
Die Zukunft wird uns zeigen, ob die jetzigen Ergebnisse nach „Einjahres-Implantation“ von einer Gruppe hochspezialisierter
Ärzten durchgeführten Implantationen in
der Breite (nach Freigabe an alle Operateure)
und über die Zeit Bestand haben.
Fazit
Die OSG-Endoprothetik ist ein wichtiger
Teil der Behandlung eines arthrotischen
schmerzhaften Sprunggelenkes. Im Design
der Prothesen mit dem Ziel der Nachempfindung der normalen Anatomie und Kinematik,
sowie in der Präzision der Implantation hat
sie aber den Stand der anatomischen Knieendoprothetik noch längst nicht erreicht.
Prof. Dr. Hajo Thermann
HKF – Zentrum für Hüft-, Knieund Fußchirurgie
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
ATOSnews
Kernspinresonanztherapie bei
Arthrose und Sportverletzungen
Von Raimund Völker
Keywords: Kernspinresonanztherapie, Arthrose,
Sportverletzungen
Die Kernspinresonanz hat gezeigt, dass sie Reparatur­
prozesse und den Knorpel stimulieren und Schmerz­signale
beeinflussen kann. Sie stellt eine alternative Therapie für
Patienten mit Osteoarthritis und Sportverletzungen dar. Der
klinische Erfolg dieses neuen therapeutischen Verfahrens
­wurde für Osteoarthritis in vielen in-vivo und in-vitro-Untersuchungen gemessen.
In der Behandlung von Arthrose und Sportverletzungen gibt es verschiedene nichtoperative Therapieansätze. Wir nutzen meist
Training, Physiotherapie, Antiphlogistika, Rehabilitation, ggf. Akupunktur, ggf. Glykos­
amine oder Kortikoide intraartikulär, ggf.
Magnetfeld- oder Stosswellentherapien, um
eine Besserung der Beschwerden zu erzielen
und ein Fortschreiten der Einschränkungen
zu verhindern. Andererseits sollen auch Regenerationsvorgänge nach Sportverletzungen beschleunigt werden.
Nicht selten bleiben diese Anstrengungen
nur Versuche ohne nachhaltige Wirkung. Bei
Versagen der vielleicht auch zu spät begonnenen konventionellen Therapie der ­Arthrose
wird oft ein chirurgischer Gelenksersatz
notwendig. Wenig bekannt ist ein weiteres
nicht-invasives Therapieverfahren, dessen
Hersteller im letzten Jahr einen Innovationspreis des Mittelstands in Deutschland erhielt.
Das Verfahren selbst wird bereits seit über 15
Jahren angewendet. Es handelt sich hierbei
um die Kernspinresonanztherapie (KSRT),
welche von der allseits bekannten diagnostischen Kernspinresonanzdiagnostik (MRT)
abgeleitet wurde. Diese Therapieform wird
in Deutschland und in weiteren 21 Ländern
vermehrt angeboten. Beispielsweise werden auch in den medizinischen Abteilungen
einiger Fußball-Bundesligisten wie dem
FSV Mainz 05 und dem SC Paderborn, aber
auch bei Handballbundesligamannschaften
wie dem SC Leipzig Behandlungsgeräte mit
Kernspinresonanztherapie betrieben. Der
Einsatz erfolgt hierbei überwiegend bei Knochenödemen in Knie und Hüfte, bei Meniskusfixation, zur Regeneration nach Knorpelverletzungen sowie bei Bänderverletzungen.
Funktionsprinzip
Abb.1: Offenes Behandlungssystem der Kernspinresonanztherapie
Biologische Gewebe bestehen – neben einigen anderen Atomarten – hauptsächlich aus
großen Molekülen mit Kohlenstoff und Wasserstoffatomen. Außerdem haben sie einen
hohen Wassergehalt. Im MRT werden zur
Bildgebung die magnetischen Eigenschaften
der Wasserstoffkerne (Protonen) genutzt.
Sie sind als elementarer Teil von Wasser und
Fett das häufigste Element im menschlichen Körper. Diese Wasserstoffkerne mit ihren Quanteneigenschaften lassen sich durch
Hochfrequenzimpulse anregen.
In einem Volumenelement existiert eine
Vielzahl von Atomkernen, deren Spins ohne
ein äußeres Magnetfeld zufällig ausgerichtet ➔
41 |
::Fachbeiträge
sind und sich in ihrer Gesamtwirkung aufheben (Grundzustand). Wird dieses Volumen­
element nun in ein statisches homogenes
Magnetfeld gebracht, wird durch das Feld
eine Kraftwirkung auf die Spins ausgeübt. Das
Ergebnis: Die Spins richten sich in der Summe
parallel zu diesem Magnetfeld aus. Das angelegte statische Magnetfeld zwingt die Spins
zu einer sogenannten Präzessionsbewegung,
ähnlich eines Spielzeugkreisels. Je nach Dauer des Impulses lässt sich die Ausrichtung der
Spins um bis zu 180 Grad umklappen. Die Protonen befinden sich dann in einem sogenannten „labilen Gleichgewichtszustand“.
Wird dann die Hochfrequenz kurzfristig abgeschaltet, gehen die Protonen wieder in ihren stabilen Gleichgewichtszustand
zurück. Die Zeit, um zurück in den stabilen
Gleichgewichtszustand zurück zu kehren,
wird Relaxationszeit genannt. Diese unterscheiden sich für die einzelnen Gewebetypen.
Mit der beschriebenen Vorgehensweise
ist es möglich, Signale in Körpergewebe zu
übertragen. Durch die Kenntnis der verschiedenen Relaxationszeiten der Gewebe (Knochen-, Knorpel-, Muskelgewebe), können
diese gezielt angesprochen werden. Dabei
wird die unterschiedliche „chemische Umgebung“ der Protonen ausgenutzt.
Folgende technische Voraussetzungen müssen gegeben sein:
-- Statisches Hauptmagnetfeld
-- Variables Sweep-Feld
-- elektromagnetisches Wechselfeld, das der
Larmorbedingung entspricht, und senkrecht zu (a) und (b) stehen muss.
Eine Behandlung mit der Kernspinresonanztherapie wird entsprechend der Indikation in
5–9 jeweils einstündigen Sitzungen durchgeführt. Als Geräte kommen die MBST®Behandlungsgeräte der Firma MedTec zum
Einsatz. Eine gefühlte Enge wie in geschlossenen MRTs kann nicht auftreten. Die Patienten befinden sich dabei in einer sitzenden
oder liegenden Position.
Indikationen
Indikationen für den Einsatz der KSRT ergeben sich bei beginnenden Arthrosen der Ge-
| 42
lenke (bei Coxarthrose, Gonarthrose, Spondylarthrose,
Fingergelenkspolyarthrose),
chronischer Ansatztendinose, ImpingementSyndrom der Schulter, Trochantertendinose
und bei Sportverletzungen zur Verkürzung
der Regenerationszeit.
Kontraindikationen
Kontraindikationen sind aktive Implantate
im oder in unmittelbarer Nähe des Behandlungsbereichs, Schwangerschaft, vorhandene oder vergangene maligne Erkrankungen
sowie bakterielle Entzündungen im Behandlungsbereich, HIV-Erkrankungen, rheumatische Erkrankungen in der Schubphase und
Leukämie oder Lymphome in der Anamnese.
Kosten
Die Kosten der Therapie werden von privaten
Krankenversicherungen in den meisten Fällen übernommen, bei Kassenpatienten wird
oft ein erheblicher Zuschuss gewährt. Eine
Therapieeinheit kostet ca. 110 €.
Ergebnisse
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit kernspinresonanter elektromagnetischer Felder als Therapie bei verschiedenen Arthroseformen wurde in zahlreichen in-vitro- und
in-vivo-Studien nachgewiesen 1-11. Die
moderne Wissenschaft verlangt prospektive, randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudien mit vorab definierten, der
Fragestellung angemessenen Endpunkten
und einer adäquaten statistischen Auswertung. Nicht alle vorhandenen Studien erfüllen diese Kriterien. Aussagekräftige Studien
bei Sportverletzungen stehen noch aus.
Kullich et al. 2 untersuchten 2006 prospektiv, randomisiert und plazebokontrolliert
die Effekte der KSRT bei 62 Patienten mit
Low back pain. Der Schmerz und der RMIndex (Roland Morris Disability Index) waren
bis 3 Monate nach Therapie in beiden Gruppen signifikant gebessert, nach 3 Monaten
war der RM-Index in der Plazebogruppe jedoch nicht signifikant gebessert.
In der großen Multicenter-Studie von
demselben Autor 6 erfolgten Erhebungen
an 4.518 mit Kernspinresonanz behandelten
Patienten mit den Indikationsgebieten Gonarthrose (n = 2.770), Coxarthrose (n = 673),
Sprunggelenksarthrose (n = 420), schmerzhafte Affektionen der Wirbelsäule (Low back
pain/Spondylarthrosen, n = 655). Die Rekrutierung erfolgte multizentrisch in 61 Therapiezentren und Arztpraxen in Deutschland
und Österreich. Erhebungszeitraum für die
Daten war 01/2001 bis 12/2010. Das Alter der
Patienten betrug im Mittel 62,4 ± 12,9 Jahre (Gonarthrose), 64,6 ± 10,7 Jahre (Koxarthrose), 58,6 ± 15,3 Jahre (Sprunggelenksarthrose), 62,8 ± 14,1 Jahre (Low back pain).
Als Beurteilungskriterium für den therapeutischen Effekt der KSRT dienten der Ruhe, Belastungs- und Spitzenschmerz. Bei der
Gonarthrose reduzierten sich im Verlauf des
einjährigen Follow-ups sowohl Spitzen-, Belastungs- als auch Ruheschmerz im Mittel
kontinuierlich. Bereits nach ca. 3 Monaten
traten hochsignifikante Verbesserungen im
Bewegungsausmaß auf. Die Verbesserungen
der Flexion und Extension waren nach 6 und
12 Monaten noch weiter gesteigert. Die geschlechtsspezifische Analyse ergab keine
statistisch signifikanten Unterschiede Mann/
Frau. Bei der Koxarthrose zeigte sich eine
Verbesserung von Schmerz und Funktion.
Der verringerte Schmerz erklärte auch die beobachtete Verbesserung der Schlafqualität.
Auffallend war, dass nach 1 Jahr mit 47,5 %
fast die Hälfte der Patienten angab, völlig beschwerdefrei gehen zu können, dies war vor
Therapie bei nur rd. 20 % möglich. Auch das
Ein- und Aussteigen in ein Auto war nach
einem Jahr bei allen Patienten gebessert. Unterschiede zwischen Normalgewichtigen und
adipösen Koxarthrosepatienten konnten statistisch nicht verifiziert werden.
Die therapeutische Kernspinresonanz bei
chronischem Kreuzschmerz, Low back pain
und Spondylarthrosen hatte einen positiven Einfluss auf den Schmerz (247 Männer
– 37,7 %; 408 Frauen – 62,3 %). Die größte Verringerung der Schmerzintensität war
6 Monate nach KSRT zu beobachten (Spitzenschmerz –37,7 %; Belastungsschmerz
–32,4 %; Ruheschmerz –35,9 %). Parallel zu
der geringeren Schmerzbelastung war es den
Patienten mit Affektionen der Wirbelsäule ein
ATOSnews
halbes bis ein Jahr nach KSRT leichter möglich, Alltagsaktivitäten wie Heben, Gehen, Sitzen, Stehen, Reisen auszuführen. Es besserte
sich kontinuierlich die Schlafqualität und die
persönliche Pflege war weniger behindert. Die
Effekte fallen bei Adipositas schwächer aus.
Abschließend konnte bei Patienten mit
schmerzhaften arthrotischen Veränderungen im oberen Sprunggelenk eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität unter
Belastung, aber auch in Bezug auf Spitzenund Ruheschmerz erzielt werden. Aufgrund
der Beschwerden am oberen Sprunggelenk
bestanden Einschränkungen durch Hinken,
insbesondere bezüglich der Gehstrecke und
des Treppensteigens. Diese Parameter konnten nach 12 Monaten deutlich gebessert
werden. In Bezug auf die Funktion ist zu bemerken, dass sich auch die Gehstrecke, die
einen guten Indikator für eine Verbesserung
im Sprunggelenk darstellt, verlängerte.
Die Schmerzintensität auch der Fingergelenksarthrosen 3 konnte durch die Kernspinresonanz signifikant vermindert werden, es
besserten sich Spitzenschmerz, Belastungsschmerz und Ruheschmerz im Rahmen der
KSRT, nicht jedoch unter Plazebo. Während
der aktiven Therapie und im Follow-up nach
6 Monaten konnte die Schmerzhäufigkeit
kontinuierlich jeweils signifikant vermindert werden. In der Vergleichsgruppe mit der
Plazebobehandlung zeigte sich jedoch ein
stetiger und nach 6 Monaten sogar signifikanter Anstieg der Schmerzhäufigkeit (p <
0,005). Die Handfunktion im QUABA-Score
besserte sich deutlich.
Fazit
Die Kernspinresonanztherapie (KSRT) wird
seit einigen Jahren erfolgreich bei verschiedenen Arthrosen und auch bei Sportverletzungen eingesetzt. Sie kann mit niedrigen
Feldstärken Reparaturprozesse auf zellulärer
Basis sowie Schmerzmechanismen positiv
beeinflussen. In Studien wurde bei Coxarthrose, Gonarthrose, Spondylarthrose, Fingergelenksarthrose und Arthrose des oberen
Sprunggelenkes eine Reduktion der Schmerzen nachgewiesen. Dies erlaubt den Schluss,
dass die KSRT bei schmerzhaften Arthro-
Abb. 2: Die Therapie ist auch im Sitzen möglich.
sen auch von der Kosten-Nutzen-Seite eine
zusätzliche wirksame, nachhaltige Therapiemaßnahme sein kann. Sehr vorteilhaft
für die Patienten ist hierbei die vollständig
nicht-invasive Therapieform ohne Schmerzen und ohne Infektionsgefahr z. B. durch
Spritzen.
Als Indikationen gelten beginnende Arthrosen, Tendopathien und Sportverletzungen. Bei Anwendung von Kernspinresonanz werden zwar bei Knorpelschäden keine
neuen Knorpelzellen gebildet, aber die vorhandenen Knorpelzellen durch eine verbesserte Regenerationsfähigkeit in eine bessere
Ausgangslage versetzt. Die klinischen Erfolge auch bei der Therapie von Sportverletzungen stimmen positiv, hier gilt es jedoch
die möglich erscheinenden Vorteile in Studien zu belegen. Es lässt sich insgesamt konstatieren, dass die Kernspinresonanztherapie
die Möglichkeiten der konservativen Thera-
pieanwendung bei Arthrose und Sportverletzungen hoffnungsvoll erweitert.
Literatur beim Verfasser
Dr. Raimund Völker
Leiter des Zentrums für Hüftchirurgie
ATOS Klinik München
[email protected]
www.dr-voelker.eu
43 |
::Gesundheitsgespräche Heidelberg 2015
Gesundheitsgespräche
O KTO BER 2 0 1 5
29.10.2015 | 19:00 Uhr
Verschleiß am Kniegelenk – lässt sich eine Prothese vermeiden?
Prof. Dr. med. Rainer Siebold
nOV E mBER 2 0 1 5
12.11.2015 | 19:00 Uhr
Hüft-Arthrose: Von Knorpeltherapie bis modernen Gelenkersatz
Prof. Dr. med. Fritz Thorey
19.11.2015 | 19:00 Uhr
Check-Up – Das Präventionsprogramm der ATOS Klinik stellt sich vor
Check-Up-Team der ATOS Klinik Heidelberg
26.11.2015 | 19:00 Uhr
Arthrose und Entzündung – konservativ oder operativ?
Prof. Dr. med. Holger Schmitt, Dr. med. Verena Schmitt
25.02.2016 | 19:00 Uhr
Aspekte der modernen Gesichtschirurgie – von der
Rekonstruktion bis zur Ästhetik
PD Dr. med. Andreas Dacho
mÄRz 2016
10.03.2016 | 19:00 Uhr
Weißer Hautkrebs und seine Vorstufen – Diagnostik und Therapie
ar
Dr. med. Claudia Jäger
Neck
17.03.2016 | 19:00 Uhr
Behandlungsoptionen der Gonarthose vor der Knie-Prothese
PD Dr. med. Erhan Basad
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Schneid
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28.01.2016 | 19:00 Uhr
Darmkrebsvorsorge – Ihre Chance
Dr. med. martin A. Thome
Eingan
14.01.2016 | 19:00 Uhr
Pleiten, Pech und Pannen in der Fußchirurgie
Dr. med. Wolfram Wenz
ATOS
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Gebäude
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OpenMRT
arck
10.12.2015 | 19:00 Uhr
Als Kassenpatient in die ATOS Klinik? Operative und
nicht-operative Behandlungsmöglichkeiten bei Schulterschmerzen
Dr. med. Andreas Klonz
Bism
DEzEm BER 2 0 1 5
FEBRUA R 2 0 1 6
18.02.2016 | 19:00 Uhr
Psoriasisarthritis – Gelenke, Haut und vieles mehr?
Dr. med. Ines Dornacher, Dr. med. Verena Schmitt,
Dr. med. Claudia Jäger
| 44
Alle Vorträge finden im Foyer der ATOS Klinik in Gebäude A statt.
Für Getränke und kleine Snacks ist gesorgt.
Das Parken in unserer Tiefgarage ist während
der Veranstaltung kostenfrei.
Neck
ATOSnews
LEISTUnGSSPEKTRUm
Dermatologie | Ästhetik
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neurologie | Psychiatrie
mund | Kiefer | Gesicht
GESUnDHEITSGESPRÄCHE
in der ATOS Klinik Heidelberg
Endokrinologie
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Diabetologie
Hüfte
Rheumatologie
Hand
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Endoskopien
Knie
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Fuß | Sprunggelenk
Oktober 2015 bis märz 2016
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Telefon +49 (0) 6221 / 983 - 0
Telefax +49 (0) 6221 / 983 - 919
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45 |
::Rheumatologie
„Ich habe Rheuma und will wieder tanzen!“
Rheumatologie needs Physiotherapie
Von Verena Schmitt, Ines Dornacher und Tobias Baierle
Keywords: rheumatoide Arthritis,
Differentialdiagnose Monarthritis, Physiotherapie,
medikamentöse Therapie
Die rheumatoide Arthritis ist die häufigste Ursache
chronisch entzündlicher Gelenkerkrankungen. Gerade jüngere Patienten mit Arthritis haben im Vergleich zu Älteren einen h
­ ohen Leidensdruck und erfahren erhebliche Einschränkungen im Alltag. Eine
frühzeitige Diagnosestellung sowie Einleitung einer
individuellen Therapie ist essenziell, um arthritisbedingten Beeinträchtigungen vorzubeugen bzw. diese zu minimieren. Intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit und
kontinuierliche physiotherapeutische Betreuung sind notwendig, um den Patienten
möglichst schnell wieder einen normalen Alltag zu ermöglichen.
Diagnostik bei Monarthritis
Bereits eine detaillierte Anamnese und ausführliche klinische Untersuchung mit Berücksichtigung der zahlreichen potenziellen
extraartikulären Befunde sind meist schon
richtungsweisend.
Die notwendige Labordiagnostik umfasst,
neben internistischen Routineparametern,
die Bestimmung von Entzündungswerten
und eine detaillierte rheumatologisch-immunologische Serodiagnostik.
Bildgebend steht die Arthrosonographie an erster Stelle. Der klinisch vermutete Kniegelenkerguss kann dadurch bestätigt werden. Typischerweise findet man
eine Hypertrophie der Synovia mit einer Hypervaskularisation im Powerdopplermodus
(Abb. 2). Da diese jedoch nicht spezifisch für
eine entzündlich-rheumatische Erkrankung
ist, muss bei unklarer Monarthritis eine diagnostische Gelenkpunktion wie bei unserer
Patientin mit weiterführender Diagnostik
(Zellzahlbestimmung, Gram-Präparat, mikro­
biologische Untersuchung, Borrelien-PCR,
-- →
| 46
Kasuistik
Der Bericht einer 25-jährigen Patientin
mit rezidivierender Gonarthritis
Krankengeschichte und Diagnostik:
seit 2010 Unklare, rezidivierende linksseitige Kniegelenk­
schwellungen (etwa 1-2x/Jahr)
6.–13.7. 2015 Stationäre orthopädische Behandlung wegen
erneuter Gonarthritis ohne Trauma mit deutlich erhöhten
­Entzündungswerten und massiver Bewegungseinschränkung
MRT: kein Kniebinnenschaden, ausgeprägter Kniegelenkerguss;
Kniegelenkpunktat: deutlich entzündlicher Erguss
(Leukozyten 30/nl, NW<0,2) ohne Kristallnachweis, mikro­
biologisch kein Keimnachweis, Borrelien-PCR negativ
Antibiose ohne Effekt – V.a. entzündlich-rheumatisches
Geschehen, Überweisung zum Rheumatologen.
14.7.2015 Erstvorstellung im Zentrum für Rheumatologie
mit Monarthritis des Kniegelenks (Abb. 1)
ATOSnews
Kristallnachweis in der Polarisationsmikroskopie) erfolgen.
Die konventionelle Röntgenaufnahme führt
bei einer akuten Arthritis häufig nicht weiter. Bei länger bestehender Arthritis hilft sie
jedoch oftmals, degenerativ bedingte Beschwerden abzugrenzen. Ein MRT ergibt Aufschlüsse bei traumatisch bedingtem Kniebinnenschaden, ist aber auch zur Detektion
entzündlicher Veränderungen ein wichtiges
diagnostisches Tool.
Abb. 2:
Gelenksono­
graphie
(Powerdopplermodus): deutlicher Kniegelenkerguss mit
Hypervaskularisation (rote
Signale)
Therapie der Monarthritis
Die Therapie der Monarthritis richtet sich
nach der zugrundeliegenden Ursache (Tabelle 4) und kann auf Grund der Vielfalt der Optionen im Folgenden nur umrissen werden.
Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen umfasst die medikamentöse Therapie die Gabe von entzündungshemmenden
Schmerzmitteln (NSAR, z. B. Ibuprofen, Diclofenac), Glukokortikoiden/Kortison (ggf. lokal im Rahmen einer Entlastungspunktion
und/oder zeitlich limitiert systemisch), Basistherapeutika (z. B. Methotrexat, Sulfasalazin, Leflunomid) und bei fehlendem Ansprechen Biologika (z. B. TNF alpha-, IL1-,
IL6-Blocker, antiCD20- und T-Zell-Therapie).
Bei einer therapierefraktären entzündlich-rheumatisch bedingten Monarthritis
kommt eine operative Synovektomie mit
nachfolgender Radiosynoviorthese in Betracht.
Die Lymearthritis wird mit Doxycyclin behandelt. Eine Chlamydien-assoziierte Arthritis sollte antibiotisch therapiert werden, um
eine Infertilität zu verhindern. Wichtig ist
hierbei immer die Mitbehandlung des Partners. Im Fall einer reaktiven Arthritis ver- ➔
Diagnose: seronegative Rheumatoide Arthritis
Beginn einer immunsuppressiven Therapie (Tabelle 1) sowie intensive, stadienadaptierte Physiotherapie in der ATOS Reha (Tabelle 2,
Tabelle 3).
Verlauf der rheumatoiden Gonarthritis
bei der 25-jährigen Patientin
Klinisch, biochemisch und bildgebend konnte die akute rheumatoide Gonarthritis gesichert und die zahlreichen potentiellen Differentialdiagnosen (Tabelle 4) weitgehend ausgeschlossen werden.
Unter der medikamentösen Therapie mit Prednisolon und Methotrexat normalisierte sich das initial deutlich erhöhte CRP und die
BSG. Das rasche, sehr gute Ansprechen auf die Therapie ist in Tabelle 1 dargestellt. Die Prednisolontherapie konnte innerhalb eines
Monats auf 1/6 der Startdosis reduziert werden und kann vermutlich in wenigen Wochen bereits wieder beendet werden. Die Physiotherapie kräftigt die Muskulatur und verbessert die Ausdauer. So ist
eine langfristige Remission der entzündlich-rheumatischen Erkrankung unter der immunsuppressiven Therapie zu erwarten, ebenso
der Erhalt der vollen Gelenkfunktion. Bereits jetzt kann unsere Patientin wieder tanzen, worüber sie sehr glücklich ist.
Abb. 1: Klinischer Befund bei Erstvorstellung:
Gonarthritis links ohne Überwärmung und Rötung
mit deutlicher Bewegungseinschränkung
47 |
::Rheumatologie
6.7.2015
13.7.2015
14.7.2015
31.7.2015
12.8.2015
DAS28
4,5
4,5
4,2
1,6
1,4
Medikamentöse
Therapie
Entzündungshemmende Schmerzmittel;
antibiotische Therapie
Beginn mit
Prednisolon
30 mg/Tag
Beginn der Basistherapie mit Methotrextat (MTX)
15 mg/Woche s.c.
Prednisolon
30 mg/Tag
MTX 15 mg/
Woche s.c.
Prednisolon
10 mg/Tag
MTX 15 mg/
Woche s.c.
Prednisolon
5 mg/Tag
Lymphdrainage, Mobilisation der Kniestreckung
Lymphdrainage,
Aktivierung
M.Quadriceps
Mobilisation der
Kniestreckung
Aktives Beinachsen-,
Physiotherap.
Maßnahmen
Entlastung
Intermittierende
Traktion
Gangschule
Gehstützen Ebene
und Treppe
Med.
Trainingstherapie:
Stabilisation
des Knie­
gelenks
(s. Abb. 3)
M.Quadricepsund Hüftabduktorentraining
Tabelle 1: Darstellung der klinischen Krankheitsaktivität bei der beschriebenen Patientin (DAS28 = Disease Activity Score;
Krankheitsstillstand < 2,6; moderate Krankheitsaktivität > 2,6–5,1, hohe Krankheitsaktivität > 5,1); eine Remission der rheumatologischen Erkrankung ist bei einem Score <2,6 erreicht), sowie der medikamentösen und physiotherapeutische Maßnahmen.
kürzt eine Antibiotikagabe die Arthritisdauer
nicht und ist somit nicht indiziert.
Die akute Gichtarthritis wird lokal symptomatisch und systemisch u.a. mit NSAR,
Glukortikoiden und Cholchicum therapiert.
Unabdingbar ist bei einer Arthritis eine
stadiengerechte Physiotherapie (Tabelle 2
und 3). Bei der Gonarthritis ist das größte und biomechanisch komplizierteste Gelenk des menschlichen Körpers betroffen.
Im Alltag ist das Kniegelenk einem Balance-Akt zwischen maximaler Stabilität und
hoher Mobilität mit einer Vielzahl an Rotations-, Beuge- und Streckbewegungen ausgesetzt. Mobilität wird einerseits durch die
knöcherne Anatomie des Knies ermöglicht,
die einen hohen Grad an Beweglichkeit gewährt, während die erforderliche Stabilität
durch die Muskulatur sowie die zahlreichen
Bänder erzielt wird. Die Muskulatur ist bei
Arthritiden häufig eine Quelle erheblicher
Schmerzen. Werden Muskulatur und Bandapparat jedoch gut trainiert, schützen diese
das Kniegelenk vor Überlastung.
| 48
Ziele
• Reduktion von Schmerz und Schwellung
• Verhinderung von Muskelatrophien
• Erhaltung der Beweglichkeit
• Korrektur von Achsfehlstellungen
• Eis- und Elektrotherapie
• Lymphdrainage und Kompression
•P
assive Mobilisation der Streckung mit
Eigendehnungen
Methoden
• Passives Beinachsentraining
•A
ktivierung der Kniestrecker und der seitlichen
Hüftmuskulatur
• Gangschule
• Training von Alltagsaktivitäten z.B. Treppe, Haushalt
Hilfsmittel
• Unterarmgehstützen zur Entlastung
• Schiene zur Stabilisation des Knies
Eigenübungen
• zur Dehnung und Kräftigung des Knies
• Ggf. Gewichtsreduktion
Tabelle 2: Physiotherapeutische Maßnahmen bei akuter Gelenkschwellung
ATOSnews
Ziele
• Belastungstoleranzsteigerung
• Kraft- Ausdauer- und Koordinationsverbesserung
• Erhalt der freien Beweglichkeit
• Aktive Mobilisation (Streckung, Dehnung)
• Training der Kniestrecker und der seitlichen
Methoden
Hüftmuskulatur
• Aktives Beinachsentraining
• Gangschule, Treppe
Hilfsmittel
• Bei Bedarf Schiene zur Stabilisation des Knies
Eigenübungen
• Ausdauer (z.B. Nordic Walking, Ergometer)
• Kraft (z.B. Gerätetraining)
• Dehnung
• Mobilität
Tabelle 3: Physiotherapeutischen Maßnahmen zur dauerhaften Stabilisierung
bei Z.n. akuter Gelenkschwellung
Physiotherapie bei entzündlich-­
rheumatischen Erkrankungen
Ziel der Physiotherapie ist es, neben der medikamentösen Behandlung den Teufelskreis
aus Schmerzen und Erschöpfung zu durchbrechen. Körperliche Schmerzen führen zu
muskulärer Verspannung mit Dauerkontraktion der Muskelfasern, die zu einer schmerzhaften Minderdurchblutung der Muskulatur
führt. Durch zu wenig Bewegung wird der
Körper immer weniger belastbar und schon
kleine Anstrengungen z. B. Treppensteigen
führen zur körperlichen Erschöpfung.
Vielfach wird angenommen, dass Patienten
mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
sich schonen und möglichst wenig bewegen
sollten. Das Gegenteil ist richtig: Regelmäßige, angepasste Bewegung sowie Training der
Kraft und Ausdauer verbessern den Gelenkbefund und erhalten die langfristige Beweglichkeit und Lebensqualität (Abb. 3)
➔
Take home message
Eine Gelenkentzündung führt, insbesondere wenn
das Kniegelenk betroffen ist, zu einer erheblichen
Einschränkung im Alltag. Erkrankungen aus dem
rheumatischen Formenkreis müssen unbedingt von
zahlreichen anderen Ursachen abgegrenzt werden,
da bei diesen eine frühzeitige Diagnosestellung
sowie ­Einleitung einer entsprechenden, individuellen
Therapie essentiell ist, um dauerhaften Gelenk­
schäden vorzubeugen bzw. diese zu minimieren.
Die Analyse des Gelenkpunktats ist für die Diagnose
richtungsweisend; im Verlauf wird die Krankheits­
aktivität klinisch, biochemisch und mittels Ultraschall quantifiziert. In Ergänzung zur medikamen­
tösen Therapie, die auch Biologika umfasst,
ist eine, der Krankheitsaktivität angepasste,
Physio­therapie unabdingbar, um die volle,
schmerzfreie Beweglichkeit des Gelenks und
Abb. 3: links: X-Bein Fehlstellung, rechts mit korrigierter Beinachse
somit die Lebensqualität zu erhalten.
49 |
::Rheumatologie
Chronische Schmerzen gehen häufig mit
starken seelischen Belastungen einher. Physiotherapie fördert die Durchblutung der
Muskulatur, führt zu besserer körperlicher
Leistungsfähigkeit und wirkt sich positiv auf
die psychische Situation aus.
Nicht-immunologische
Ursachen
Entzündlich-rheumatische/
immunologische Ursachen
Trauma mit Weichteil-, Kniebinnen­
schädigung
Rheumatoide Arthritis
Spondyloarthritis
Langfristige Betreuung durch
Rheumatologen und Physiotherapeuten notwendig
Neben einer Symptom adaptierten, Leitlininien-gerechten medikamentösen Therapie,
die regelmäßig im Rahmen von Kontrolluntersuchungen angepasst werden muss, ist
auch nach Abklingen der akuten Arthritis
eine weitere physiotherapeutische Betreuung notwendig. Ein regelmäßiges und individuell angepasstes Training führt zur Reduktion des Medikamentenverbrauchs, zu
einer Verbesserung der Lebensqualität und
einem deutlichen Rückgang der Schmerzsymptomatik bei Patienten mit z. B. Gonarthritis. Der positive Effekt der Physiotherapie
ist auch noch 6 Monate nach Beendigung
der Behandlung nachweisbar (Cochrane T et
al. 2005). Die Bewegungs- und Kräftigungstherapie ist somit eine effektive und nebenwirkungsarme Therapie, die langanhaltende
Erfolge verspricht.
Fraktur
Fehl-/Überbelastung
(z. B. Psoriasisarthritis, enteropathische Arthritis
bei chronisch-entzündlicher Darmerkrankung)
Reaktive Arthritis
(z.B. nach Harnwegs- und Magendarm
-Infekten)
Bursitis prä-, supra-, infrapatellaris
Lyme-Arthritis bei Z.n. Borrelieninfektion
Aktivierte Arthrose/Osteoarthritis
Löfgren-Syndrom (akute Sarkoidose)
Bakterielle/septische Arthritis
(u.a. durch Staph. aureus, Streptokokken,
Gonokokken, E.coli, Enterobakterien,
Pseudomonas, Mykobakterien)
Virale Arthritis
Rheumatisches Fieber
Hepatitis C-induzierte Arthritis
(z.B. Parvovirus, Röteln)
(in Kombination mit Kryoglobulinämie, Vaskulitis, Sicca-Symptomatik, Myalgie)
Phlebothrombose
Arthritiden bei Vaskulitiden (z. B. Poly­
myalgia rheumatica), Kollagenosen
(z. B. Lupus erythematodes), Myositiden
Selten: Tumore, pigmentierte villon­
uduläre Synovialitis, M. Ahlbäck ,
­Arthropathie bei Hämophilie,
M. Whipple, Zöliakie
Sonderform:
Kristallarthropathien
- Gicht
- P seudogicht/Chondrokalzinose
(z.B. bei Hämochromatose)
Tabelle 4: Differentialdiagnosen einer Kniegelenkschwellung
Dr. Verena Schmitt
Dr. Ines Dornacher
Zentrum für Rheumatologie
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
www.rheumatologie-heidelberg.de
Tobias Baierle
Reha in der ATOS
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
| 50
Literatur
1. O
’Donell S et al. BMC Musculo­
skeletal Disorders (2015)
16:230
2. Heisel J Orthopäde (2014)
43:455-461
eisel J Physikalische Medizin
3. H
(2003), Thieme Verlag
4. Q
ualitätssicherung in der
Rheumatologie, Steinkopf Verlag
5. Cochrane T et al. Health
Technol Assess 2005; 9: 1-114.
ATOSnews
Botox: Ein hervorragendes Therapeutikum,
zu Unrecht in Verruf
Einsatz von Botulinumtoxin in der Ästhetischen Medizin
Von Claudia Jäger
Keywords: Botulinumtoxin A, Ästhetische Medizin, Anti-Aging,
Patientenzufriedenheit
Ein freundlicher, frisch wirkender Gesichtsausdruck ist die beste Visitenkarte.
Entspricht jedoch ein müdes oder zorniges Aussehen nicht mehr dem eigentlichen
Lebensgefühl, kann eine ästhetische Behandlung mit Botulinumtoxin hilfreich
sein. Dieser hochmoderne Wirkstoff wird von Therapeuten aufgrund seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und der exakt planbaren Wirkung geschätzt.
Während BTX-Präparate in Deutschland in
der Publikumspresse teilweise noch einen
schlechten Ruf genießen, gehört eine ästhetische Behandlung in den USA zum Standard einer gepflegten Erscheinung. Nahezu
täglich wird man in der Regenbogenpresse
mit Fotos von straffen, glattgebügelten, aber
auch verzerrten Gesichtszügen von Prominenten konfrontiert. „Botox-Gesicht“ wird
dieses Phänomen fälschlicherweise genannt.
Die Ursache sind jedoch unsachgemäße und
undifferenzierte Behandlungen oder missglückte Liftingmethoden.
Erfahrene Therapeuten dagegen setzen
BTX-Präparate im ästhetischen Bereich ein,
um das Gesicht entspannter, freundlicher
und damit auch jünger wirken zu lassen, ohne
die natürliche Mimik negativ zu beeinflussen.
Sie vertrauen dabei auf einen hochmodernen
Wirkstoff mit hohem Sicherheitsprofil sowie
auf das Fachwissen einer gezielten Wirkung.
Denn obwohl Botulinumtoxin ein starkes
Nervengift ist, ist es bei sachgemäßer Anwendung ein hervorragendes, millionenfach
angewandtes und sicheres Therapeutikum.
Wie wirkt Botox?
Botulinumtoxine sind Proteinkomplexe, die
vom Bakterium Clostridium botulinum pro-
duziert werden. Als modernes Therapeutikum
wird es heute biotechnologisch hergestellt.
Es funktioniert nach dem Schlüssel-SchlossPrinzip. Dabei wird die Ausschüttung des Botenstoffes Acetylcholin in den synaptischen
Spalt der motorischen Endplatte gehemmt
und dadurch die Erregungsübertragung vom
Nerv auf den Muskel innerhalb von 48-72
Stunden blockiert. Der Muskel wird somit
Botox® ist einer der Handels­namen für Botulinumtoxin-A (BTX-A).
Der Begriff Botox dient umgangs­
sprachlich als Sammelbegriff für
­mehrere, sehr ähnliche neurotoxische
Proteine wie Botulinumtoxin (BTX),
Botulinum-Neurotoxin (BoNT), Botulismustoxin, Botulinustoxin oder Botulin.
In der ästhetischen Medizin wird meist
ein BTX-A-Präparat eingesetzt.
chemisch denerviert und kann nicht mehr
kontrahieren. Dieser Vorgang ist irreversibel,
dennoch ist die Wirkung einer Behandlung
mit Botulinumtoxin nur von begrenzter Dauer. Da neue Komponenten der Erregungsleitung gebildet werden. Dadurch kann nach
3–4 Monaten wieder eine Übertragung vom
Nerv auf den Muskel stattfinden und zu einer Anspannung des Muskels führen.
Bei einer unkontrollierten Aufnahme großer Dosen vergifteter Lebensmittel führt Botulinumtoxin zur unspezifischen Lähmung,
unter anderem der Herz- und Atemmuskulatur, was zum Tod führen kann. Gezielt eingesetzt, können einzelne kleine Muskelfasern
gelähmt werden, was keine gesundheitliche
Beeinträchtigung darstellt. Damit verfügt der
Wirkstoff in exakt ermittelten Dosen über ein
sehr gutes Sicherheitsprofil: Er ist zuverlässig, gut verträglich und ohne langfristige Nebenwirkungen. Die für einen Menschen gefährliche Dosis liegt um ein Vielfaches höher
als die Menge, die in der Medizin eingesetzt
wird. Schwerwiegende Komplikationen nach
therapeutischem Einsatz sind daher nicht
zu erwarten. Mittlerweile konnte große Erfahrung mit dem Einsatz dieses Wirkstoffes
im ästhetischen Bereich gesammelt werden.
Warnungen vor möglichen ­
unerwünschten ➔
51 |
::Fachbeiträge
druck zu erreichen, muss das
Gesicht nicht zwangsläufig gestrafft oder geliftet werden.
Mit einem BTX-A-Präparat
werden lediglich kleine Muskelpartien lahmgelegt, die für
eine verstärkte Faltenbildung
verantwortlich sind. Die natürliche Mimik sowie das Hautempfinden bleiben erhalten.
Die in der Medizin eingesetzten Präparate punkten dabei durch
ihre erwünschte Wirkung. Um die
angespannte Muskulatur zu entlasten, wird die korrekte Dosis entsprechend der Muskelstärke ermittelt. Bereits
nach zwei bis drei Tagen setzt die Entspannung des Muskels ein, der Effekt hält in der
Regel drei bis vier Monate. Durch eine wiederholte Anwendung kann sich die Muskulatur dauer­haft entspannen, der Entstehung
neuer Falten wird vorgebeugt. Dadurch kann
sich auch die Wirkdauer verlängern.
Seine Stärke entwickelt BTX-A bei der
Glättung von Falten im oberen Gesichtsdrittel, die durch die Aktivität mimischer Muskeln entstehen:
-- Zornesfalte (Glabellafalte)
-- Sorgenfalte (Horizontale Stirnfalten)
-- Krähenfüße und Lachfalten
Abb. 1: Regionen, deren mimische Falten
mit BTX erfolgreich entspannt werden:
Sorgen- und Zornes­falten, Krähenfüße,
das Pflasterstein-Kinn und Fältchen rings
um den Mund. Axillär wird die Hyperhidrose
(übermäßiges Schwitzen) beseitigt.
Langzeit-Nebenwirkungen sind nicht wissenschaftlich fundiert und sind mit Vorsicht zu
betrachten.
Der Wirkstoff ist mittlerweile zum Standardprodukt mit hervorragenden therapeutischen Eigenschaften avanciert. Er stellt einen Meilenstein in der Ästhetischen Medizin
dar und wird laufend für weitere Einsatzbereiche zugelassen.
Wie kann Botox eingesetzt werden?
Um einen wachen, freundlichen, entspannten und damit verjüngten Gesichtsaus-
| 52
Auch die diskrete Anhebung der Augenbrauen oder der Mundwinkel ist möglich. Anwendung finden BTX-Präparate auch im Platysmabereich bei der Glättung von Halsfalten
und sichtbaren Muskelsträngen – im Volksmund „Truthahnhals“ genannt. Aber auch
beim sogenannten „Pflastersteinkinn“ ist ein
Einsatz möglich.
Stören periorale Falten zwischen Nase
und Mund, ist eine Kombination mit Hyaluronfillern oder einem chemischen Peeling
möglich.
Ein großer Vorteil ist auch die Behandlung ohne Ausfallszeiten. Sie wird mit rund
15 Minuten angesetzt und kann ohne große
Vorbereitungen durchgeführt werden. Da die
Sonneneinstrahlung keinen Einfluss auf den
Wirkstoff oder das Ergebnis hat, kann eine
Behandlung mit einem BTX-Präparat zu jeder Jahreszeit durchgeführt werden.
Ab welchem Alter eine ästhetische Behandlung mit einem Botulinumtoxin sinnvoll ist,
ist eine subjektive Entscheidung. Schon ab
dem 25. Lebensjahr werden die ersten Zeichen der Hautalterung sichtbar, aus feinen
Linien werden Falten. Neben ausgewogener
Ernährung, Bewegung und viel Flüssigkeit
kann eine entsprechende Behandlung diesen Prozess aufhalten, zum Teil sogar rückgängig machen. Als Faustregel gilt: Sobald
Falten stören, sollte man über eine BTXBehandlung nachdenken. Ein sorgenvoller,
müder oder gar wütender Gesichtsausdruck
bedingt durch eine ausgeprägte Zornesfalte
oder eine zerfurchte Stirn wird dadurch korrigiert. Aber auch nach Schicksalsschlägen
oder schweren Lebensphasen wie Kündigung
oder Scheidung kann man das Lebensgefühl
deutlich verbessern, indem die Spuren dieser
Zeit praktisch ausradiert werden.
Durch ihre krampflösende Eigenschaft kommen Botulinumtoxine auch in der klassischen Medizin vielfach und effektiv zum
Einsatz. Bewährt hat sich die Therapie u.a.
bei folgenden Krankheitsbildern:
-- Hyperhidrose (verstärkte Schweißbildung
an Achseln, Händen oder Füßen)
-- Migräne und Verspannungen
-- Schmerzsyndrome mit Spannungs­
kopfschmerz
-- Tremor (Zittern bzw. unwillkürliche
Bewegungen eines Körperteils)
-- Bruxismus (Zähneknirschen)
-- Torticollis (Schiefhals) – Therapie ab
Kindesalter.
Nebenwirkungen
Undifferenzierte Meldungen in den Medien vor schweren Nebenwirkungen bis hin
zu Vergiftungen schüren unnötigerweise die
Angst vor einem Wirkstoff, der unter Fachleuten als effektiv und sicher gilt.
Neben einem kleinen Piks beim Einstich
kommt es jedoch nur in seltenen Fällen zu
leichten Rötungen, Schwellungen oder Hämatomen rund um die Einstichstelle.
Unerwünschte Effekte wie das viel zitierte
Herabhängen eines Augenlids oder maskenhaft wirkende, unbewegliche Gesichter sind
ATOSnews
Die Vorteile einer
ästhetischen Behandlung
mit BTX-A-Präparaten
-- Gezielt einsetzbar
-- Gute, nachweisbare Wirkung
-- Natürliche Mimik bleibt erhalten
-- Keine Ausfallzeiten
-- Beugt der Entstehung neuer
Falten vor
Abb. 2: Botulinum­toxin-Injektion:
Die Injektion mit
Botulinum­toxin gehört
zu den häufigsten ­
Therapien in der
ä­ sthetischen Medizin.
Die Behandlung ist e­ infach,
sicher und kann in wenigen
Minuten 0hne Ausfallzeit
durchgeführt werden.
-- Veränderungen reversibel
-- Minimal-invasiver Eingriff
auf eine unsachgemäße Anwendung und ggf.
falsche Dosierung des Wirkstoffes zurückzuführen. Denn wenn das Präparat in benachbarte Muskelgruppen diffundiert, kann es
zum – unter dem Namen „Spock brows“ bekannten – Effekt des Hochstehens der late-
a
b
Abb. 3a: Indikation für BotulinumtoxinInjektion: ausgeprägte Glabellafalte
(Zornesfalte) vor der Injektion
Abb. 3b: 4 Tage nach Injektion von
Botulinumtoxin A wurde die Region
erfolgreich geglättet.
ralen Augenbraue kommen. Damit dies erst
gar nicht auftritt, wird der muskuläre Gegenspieler von guten Therapeuten gleich mitbehandelt.
Generell gilt: Alle durch den Einsatz von
BTX-A erzielten Ergebnisse bilden sich nach
spätestens drei bis sechs Monaten zurück.
Die Entscheidung, ob man auf die entspannende Wirkung der Behandlung aufbauen
will oder ob es bei einem einmaligen Versuch
bleiben soll, trifft man nach diesem Zeitraum
jedes Mal erneut.
Die Erfahrung des Therapeuten bezüglich
Dosis und Applikationsort entscheidet über
den ästhetischen Effekt. Das Präparat darf
ausschließlich von Ärzten gespritzt werden, Heilpraktikern ist die Applikation nicht
gestattet. Den richtigen Therapeuten findet
man am besten durch Empfehlung, ausgewiesene Experten sind in der Regel Dermatologen.
Auf jeden Fall sollte der Behandlung ein
ausführliches Beratungsgespräch voraus­
gehen.
Entdeckung und Entwicklung
der klinischen Anwendung von
Botulinumtoxinen
Warum der Wirkstoff bei uns derart in Verruf
geraten konnte, liegt vermutlich in der Geschichte seiner Entdeckung begründet.
Entdeckt wurde das Nervengift sowie das
zugehörige Krankheitsbild, der Botulismus,
vom schwäbischen Arzt Justinus Kerner, der
bereits 1817 davon berichtete. Aufgrund der
Armut nach den französischen Kriegen hatten sich die hygienischen Bedingungen für
die Menschen vor allem bei der Zubereitung
von Fleischspeisen dramatisch verschlechtert. Dem Mediziner Kerner war aufgefallen, dass Patienten, die ihn wegen einer Lebensmittelvergiftung aufgrund verdorbener
Würstchen aufsuchten, extreme Symptome
aufwiesen, die immer wieder sogar zum Tod
führten. Er erinnerte sich an einen Fall aus
dem Jahr 1735. Damals starben nach einem
Fest in einem süddeutschen Dorf mehr als die
Hälfte aller Erkrankten. Sie alle hatten geräu- ➔
53 |
::Fachbeiträge
R EG
R
I ST E
NOW
SHOULDER ARTHROPLASTY
CONVENTION 2015
3rd Munich Master Course
Munich/Germany
15 - 17 October 2015
www.shoulder-convention.org
What is new – What is well-proven?
Scientific lectures ¢ Cadaver workshops
Live surgeries ¢ Debates ¢ Mini battles
SCIENTIFIC COMMITTEE
Peter Habermeyer (Germany)
Markus Loew (Germany)
Tony Romeo (USA)
Gilles Walch (France)
cherte, nicht gekochte Blutwürste verzehrt.
Kerner begann zu recherchieren. Er sichtete
Krankengeschichten und verabreichte verschiedenen Tieren Extrakte aus den giftigen
Würsten. Schon bald wurden strenge Richtlinien für die Aufbewahrung von Fleischprodukten erlassen und Kerner hatte erste Vorahnungen einer möglichen therapeutischen
Verwendung des Giftes in „außerordentlich
kleinen Dosen“. Schnell wurden beträchtliche
Erfolge bei verschiedenen Krankheitsbildern
erzielt, 1978 erfolgten die ersten genehmigten Versuche an Freiwilligen, 1989 dann die
Zulassung für die Behandlung bei Schielen
und verschiedenen Spasmen und später für
weitere Krankheitsbilder wie dem Schiefhals.
In Deutschland wurde das Präparat 1993
erstmals für medizinische Zwecke zugelassen, die Zulassung für die kosmetische Behandlung von Glabellafalten – der Zornesfalte – erfolgte 2006.
Auch diese Einsatzmöglichkeit wurde rein
zufällig entdeckt. Das Mediziner-Ehepaar
Jean und Alistair Carruthers bemerkte bei
Patienten, die sie mit Botulinumtoxin-A gegen wiederkehrende Lidkrämpfe behandelten, eine deutliche Verbesserung der Faltentiefe um die Augen.
Obwohl also „Botox“ in der Presse als
Wirkstoff zu Unrecht kritisiert wird, sollte
man aus heutiger Sicht dieser sehr wirksamen und sicheren Substanz den Stellenwert zukommen lassen, den sie in Expertenkreisen längst genießt: Ein sehr potentes,
sicheres Werkzeug zur gezielten Entspannung einzelner Muskelgruppen vorwiegend
im oberen Gesichtsdrittel mit dem Effekt
eines entspannten Aussehens.
LOCAL ORGANISING COMMITTEE (GER)
Sven Lichtenberg • Petra Magosch • Mark Tauber
ORGANISER, REGISTRATION, INFORMATION
Intercongress GmbH
[email protected]
Dr. Claudia Jäger
Fachärztin für Dermatologie und
Venerologie, Phlebologie, Allergologie,
Proktologie
Tätigkeitsschwerpunkte Ästhetische
Medizin und Dermatochirurgie
ATOS Klinik Heidelberg
[email protected]
www.atos-dermatologie.de
| 54
ATOSnews
N O T E S
&
N E W S
Abb. 1: Ehrung von Prof. Siebold in Tokio
Abb. 2: Japanische Professoren und internationale
Gäste beim Vortrag von Prof. Siebold in Tokio
:: Prof. Siebold auf medizinischen Spuren durch Japan
Der Heidelberger Kniespezialist Prof. Dr.
Rainer Siebold reiste im August auf den
Spuren des Würzburger Arztes Dr. Philipp Franz Balthasar von Siebold durch
Japan. Dieser lebte zwischen 1823 und
1862 in Nagasaki und führte die „westliche“ Medizin in Japan ein. Dadurch erwarb er sich hohe Anerkennung und ist
bis heute sehr bekannt.
Prof. Dr. Rainer Siebold aus der ATOS
Klinik Heidelberg gehört zu den international bekanntesten deutschen Kniechirurgen und wird in der Focus Ärzteliste als einer der besten Kniespezialisten
empfohlen. Spitzenmedizin erfordert
aber auch stetige Neugier, unermüdliche
Weiterbildung und dauernden Erfahrungsaustausch. Deshalb nahm sich Prof.
Siebold eine „Praxis-Auszeit“ und besuchte die renommiertesten japanischen
Kollegen: Prof. Muneta von der Universität Tokio, Prof. Ochi und Prof. Adachi von
der Universität in Hiroshima und Prof.
Kuroda und Prof. Kurosaka von der Universität Kobe. Im Operationssaal schaute er den Spezialisten über die Schulter
und konnte eine Vielzahl hervorragend
durchgeführter Eingriffe verfolgen, z. B.
Kreuzbandoperationen in Double-Bundle
Technik,
Kniescheibenstabilisierungen
und Knorpelzelltransplantationen. Beeindruckend war die japanische Präzision
und Routine.
Es ist kaum bekannt, dass Prof. Muneta aus Tokio der erste Kniespezialist
war, der Anfang der 90er Jahre (d. h.
schon vor mehr als 20 Jahren!) die erste
Kreuzbandrekonstruktion in der Double Bundle Technik mit Kniebeugesehnen durchführte. Aufgrund des anatomischen Verständnisses, der exzellenten
Weiterbildung junger japanischer Kollegen und der guten klinischen Ergebnisse werden heute – im Gegensatz zum
Rest der Welt – die meisten japanischen
Kreuzbandrekonstruktionen von Knie-
spezialisten in der Double Bundle Technik durchgeführt.
Hingegen ist die Knorpelzelltransplantation in Japan ein sehr junges Feld und
wird dort erst seit 2014 angeboten. Hier
hat Deutschland durch jahrzehntelange Erfahrung und Tausende von Knorpelzelltransplantationen die Nase weit
vorn.
Auf den Spuren von Dr. Philipp Franz
Balthasar von Siebold und unter dem
Eindruck außergewöhnlicher Gastfreundschaft hielt Prof. Siebold außerdem an den Universitäten in Tokio, Hiroshima und Kobe Vorträge zur modernen
Kniechirurgie in Deutschland.
Prof. Dr. Rainer Siebold
HKF – Zentrum für Hüft-KnieFußchchirurgie & Sporttraumatologie
ATOS Klinik Heidelberg
55 |
::ATOS intern
Current Concepts of Knee- and Hip
Replacement and Arthroscopic
Sports-Medicine
Live-Surgeries and Videos
10. Internationales
Castle Meeting
Heidelberg,
17th–19th November 2016
Sehr geehrte Kollegen,
Herzlich willkommen zum 10. Internationalen ATOS
Live Surgery Meeting in Heidelberg. Unser
Kongress gehört seit 20 Jahren zu den beliebtesten
Veranstaltungen für Knie- und Hüftchirurgie.
Führende Experten präsentieren Ihnen Tipps und
Tricks der modernen Hüft- und Kniechirurgie.
Nutzen Sie die exzellente Möglichkeit der
chirurgischen Weiterbildung im historischen
Ambiente des Heidelberger Schlosses.
Ihr Team des HKF – Die Spezialisten für Hüft-, Knieund Fußchirurgie in der ATOS Klinik Heidelberg
Prof. Dr. Rainer Siebold
Prof. Dr. Fritz Thorey
Prof. Dr. H. Thermann
Save the d
ate!
Program
Program | Thursday, November 17th 2016
HIP ARTHROPLASTY
Session 1: New Patient Demands in THA and
Bearing Couples Sports-Medicine
• Live Surgery - MIS short stem THA
• Live Surgery - Navigation in THA
Session 2: Decision Making
Session 3: Revision Strategies
• Live Surgery - Bone Osteolysis in TH-Revision
HIP ARTHROSCOPY
Zertifizierung:
Zertifizierungspunkte sind beantragt
Online-Teilnehmerregistrierung, aktuelle
Programminformationen sowie Informationen zur
Anreise und Parkmöglichkeiten finden
Sie unter:
www.heidelberg-castle-meeting.de
| 56
Session 4: Anatomy and Portals
Session 5: Technique and Pathologies
• Live Surgery - Labral tear Treatment
Session 6: Femoro-acetabular impingement
• Live Surgery - Treatment of Cam-FAI
• Live Surgery - Treatment of Pincer-FAI
Session 7: Cartilage Repair Hip
ATOSnews
Program | Friday, November 18th 2016
Program | Saturday, November 19th 2016
KNEE ARTHROPLASTY
ANTERIOR CRUCIATE LIGAMENT
Session 8: New concepts - New Techniques
(Bicruciate retaining / anatomic Prothesis)
Session 18: ACL anatomy and ACL
reconstruction
• Live Surgery – Total Knee Prothesis (Vanguard XP)
• Live Surgery – Macroscopic Anatomical Preparation
Session 9: New design - New Improvements?
• Live Surgery – Anatomical SB ACL with Hamstrings
Session 10: Sports in partial knee replacement
MENISCUS
Session 11: Meniscal Repair
• Live Surgery – Repair of Bucket Handle Tear
Session 12: Meniscal Allograft
• Live Surgery Video – Medial & Lateral Meniscus Allograft
Session 13: Patellafemoral Instability (MPFL)
• Live Surgery – MPFL-Reconstruction with Quadriceps
tendon
• Live Surgery Video – Patella tendon
• Live Surgery VideoANMELDUNG
– Quadriceps tendon
• Live Surgery Video – Peroneus longus tendon
Kontakt:
• Live Surgery – Double-Bundle ACL Reconstruction
• Live Surgery VideoZentrum
– Flat ACL
reconstruction
with Semi-T
für Knieund Fußchirurgie
Frau Sabineof
Hopf
Session 19: Reconstruction
knee periphery
• Live Video SurgeryE-Mail:
– Modified
Larson for PL reconstruction
[email protected]
• Live Video Surgery – Danish approach for PM
­reconstruction
• Live Surgery Video – Reconstruction of anterolateral ligament
• Live Surgery Video – PM reconstruction
• Live Surgery Video – Tibial tuberosity transfer
• Live Surgery - MPFL-Reconstruction with Gracilis tendon
Session 14: Patellofemoral joint restoration
and preservation
• Live Surgery Video – PF arthroplasty
• Live Surgery Video – Arthroscopic ACI at the patella
Program | Saturday, November 19th 2016
CARTILAGE
Session 15: Autologous cartilage
transplantation
• Live Surgery – Arthroscopic cartilage transplantation
• Live Surgery Video – Cartilage transplantation
Wissenschaftliche Leitung
Prof. Dr. Rainer Siebold,
Prof. Dr. Hajo Thermann,
Prof. Dr. Fritz Thorey
HKF – Die Spezialisten für
Hüft-, Knie- & Fußchirurgie
• Live Surgery Video – Cartilage transplantation
ATOS Klinik Heidelberg
www.hkf-ortho.com
OSTEOTOMY
Veranstalter
Siebold-Thermann-Thorey
u. a. GbR
Bismarckstr. 9–15
D-69115 Heidelberg
Session 16: Tibial
• Live Surgery – Open valgus osteotomy
Session 17: Femoral
• Live Surgery Video – Femoral closing wedge osteotomy
57 |
::
:: Das adViva-Handbike-Team: Volle Power auf drei Rädern
Kraftvoll, locker und voll dabei.
Das ist der erste Eindruck von
­Torsten Purschke. Der leidenschaftliche Handbiker hat das Team bereits
2002 als „Otto Bock Team“ gegründet und fährt nun als Teamchef für
das a­ dViva-Handbike-Team, denn
seit Anfang 2015 haben die Hand­
biker mit dem Heidelberger Unternehmen adViva einen neuen Sponsor.
Zwei Mitarbeiter des Hauptsponsors,
Tobias Knecht und Ralph Weisang,
sind ebenfalls im Team. Mit dem
Sieg beim glutheißen Heidelberger
Maximarathon Anfang Juli erfüllte
sich der 49jährige Purschke einen
Herzens­wunsch. Der zweite Platz
bei der Wasserschlacht von Nettetal Mitte August war dann hart
erkämpft. Dazwischen hat er sich
erfolgreich für die WM in Nottwil
(Schweiz) qualifiziert.
„Dieses Jahr läuft’s super, die intensive
Vorbereitung hat sich gelohnt“, erzählt
Purschke. Der Sieg beim Heidelberger
Rollstuhlmarathon war ihm besonders
wichtig, ist dieser Marathon doch ein
Heimrennen für ihn. Seinen großen Erfolg
verdankt der Leistungssportler aus Waibstadt dem unbedingten Willen, zu gewinnen, der Bereitschaft, an seine Grenzen zu
gehen und großem Trainingseinsatz. Ein
spezielles Mentaltraining hilft ihm dabei.
Das Jahr 2015 begann mit einem TeamTrainingslager auf Mallorca. Diese Teamtrainings sind wichtig, denn die Fahrer kommen aus ganz Deutschland
und so sind gemeinsame Trainingsein-
| 58
Abb.1: Torsten Purschke in action
heiten sonst kaum machbar. Mindestens 15 Stunden verbringt Purschke in
einer „normalen“ Alltagswoche auf dem
Handbike – neben seinem Halbtagsjob.
Der gelernte Kommunikationselektroniker ist froh darüber, Job und HandbikeKarriere so gut unter einen Hut zu bekommen. Wenn ein Outdoortraining
nicht mehr möglich ist, geht’s auf den
Rollentrainer daheim. In der Ruhezeit im
Spätherbst genießt Purschke auch Touren mit dem Mountain-Handbike – weg
von der Straße, hinein ins Vergnügen.
Das „Drei-Säulen-Konzept“
„Wir helfen bewegen“ – der Slogan ist
für Team und Sponsor gleichermaßen
Anreiz und Versprechen. Das adVivaHandbike-Team um Torsten Purschke
versteht sich nicht nur als professionelle
Renngemeinschaft. Drei Säulen bilden
ein zukunftsorientiertes und umfassendes Teamkonzept.
Da sind als erste Säule die Leistungsträger:
Professionelle Handbiker um Purschke,
die bei nationalen und internationalen Rennen erfolgreich fahren und von
Sponsoren in vielen Bereichen unterstützt werden.
Bei der zweiten Säule geht es vor allem um
Information rund um das Thema Handbike. Ehemalige Rennfahrer geben ihre
ATOSnews
Erfahrungen und ihr Wissen weiter, stehen bei verschiedenen Veranstaltungen
für Hobbyfahrer und Interessierte mit
oder ohne Behinderung Rede und Antwort. Wichtiger Baustein: die jährlichen
„Handbike-Wochen“ der Manfred-Sauer-Stiftung. Hier werden die sportlichen
Möglichkeiten vermittelt, können Bikes
getestet werden und vieles mehr. Bei der
Aktion „Über Stock und Stein“ liegt der
Fokus auf den neuen E-Handbikes, den
Mountain-Handbikes. Touren abseits der
Straße, viel Spaß dabei und natürlich Wissensvermittlung und Trainingsimpulse.
Last, but not least: die dritte Säule, die
ganz dem Breitensport und der Nachwuchsförderung gewidmet ist. Den Anfängern umfassende Hilfe und Training
bieten, in der eigenen Werkstatt bei
adViva am Standort Sinsheim Reparaturen und Einstellungen ermöglichen
und Handbikes zu bezahlbaren Preisen
zur Verfügung stellen, um nur einige
der vielfältigen Ziele in diesem Bereich
zu nennen. Das erste Projekt startete im
Frühjahr dieses Jahres – mit viel Erfolg.
Ein komplett neues Leben
Eindrucksvoll schildert der begeisterte
Hobby-Handbiker Oliver Tanz (36), was
diese dritte Säule des adViva-HandbikeTeams schon jetzt leistet. Bei ihm stand
alles auf Null. Er fuhr bereits Handbike,
aber mit einem schweren und nicht auf
ihn eingestellten Bike. Ohne Anleitung
und Begleitung kam er nicht richtig voran. Über die „Handbike-Wochen“ kam
er mit dem adViva-Handbike-Team in
Kontakt. Von da an ging’s – wortwörtlich – bergauf. „Diese Handbike-Woche
war für mich der Beginn eines komplett
neuen Lebens“, erzählt Tanz. Partner und
Coaches für Trainingsfahrten waren jetzt
da, Training unter Anleitung eines Profis,
viele wertvolle Tipps. Sogar ein Bike konnte ihm zur Verfügung gestellt werden. Ein
gebrauchtes, aber tolles Profi-Rad, das in
der Sinsheimer Werkstatt auf seine Größe und Bedürfnisse eingestellt wurde.
Das bedeutet: individuelles und optimales Anpassen von Rahmen und Liegesystem und Fixierung mit dem Schweißgerät. Ein richtig gutes Bike, mehr Wissen
um Herzfrequenz, Wattzahlen und Trainingsart und –dauer und Spaß in der Gemeinschaft spornten Oliver ordentlich an.
Seine ersten Rennen hat Oliver mit Bravour und der Hilfe von Teamkollegen bereits mit Erfolg absolviert.
Das Beispiel von Oliver Tanz ist nur eins
von vielen. Es macht deutlich, wie das
adViva-Handbike-Team denkt und worum es dem Team neben sportlichen
Höchstleistungen geht. „Wir wollen zeigen, dass sowohl Menschen mit als
auch ohne Behinderung große Leistungen im Sport abrufen können und dass
sich jeder, der möchte, bewegen kann,“
erklärt Torsten Purschke. Da ist er sich
mit dem Hauptsponsor adViva völlig einig. Sowohl dem Unternehmen als auch
dem Team ist es wichtig, von den Erfahrungen des jeweils anderen zu lernen.
„Wir entwickeln beispielsweise gemeinsam mit den Fahrern den bereits hohen
Standard des adViva® ErgoDyn Rückenlagerungssystems weiter,“ erklärt adViva-Chef Klaus Happes. Außerdem ist es
sowohl für adViva als auch für die Mitglieder des Handbike-Teams wichtig, im
Leistungs- und Breitensport sowohl bei
Behinderten als auch bei Nichtbehinderten hohes Produkt- und Beratungswissen einfließen zu lassen. „Es macht
einfach auch Spaß, sich gegenseitig zu
bereichern,“ betonen Klaus Happes und
Torsten Purschke.
So gab es nach dem erfolgreichen Rollstuhlmarathon in Heidelberg regen Austausch zwischen Torsten Purschke und
Jürgen Ehrmann, dem Cheftrainer der
Bundesliga-Frauen der TSG 1899 Hoffenheim. Ein achtköpfiges Team aus der
TSG-Mannschaft rund um den Hoffenheimer Cheftrainer und dem adViva-Chef
Klaus Happes trainierte im Vorfeld des
Marathons unter Anleitung von Ralph
Weisang. Der Teamkollege von Purschke
und adViva-Mitarbeiter sorgte dafür, dass
alle Teammitglieder das Ziel des Heidelberger Halbmarathons erreichten.
Ein bisschen schade finden alle, dass es bisher nur wenige Frauen im Handbike-Sport
gibt. Der Sport ist nicht ganz ungefährlich,
vielleicht liegt es daran. „Viele Frauen trauen sich einfach nicht mehr so viel Sport zu,
wenn sie verunfallt sind,“ meint Purschke.
Das ganze Team würde sich freuen, mit der
Nachwuchsförderung auch mehr Frauen
von dem spannenden und schönen Handbike-Sport begeistern zu können.
Im Winter geht es wieder für 4–6 Wochen nach Lanzarote. Trainingslager mit
Genuss, denn seine Frau kommt mit. Und
in der Ruhezeit im Spätherbst heißt es
einfach auch mal Füße hochlegen, Familie und Freunde genießen und „seinem“
Fußballverein Hoffenheim die Daumen
drücken.
59 |
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