Cranio-Mandibuläre Dysfunktion und Kopfschmerz bei Kindern Aus physiotherapeutischer Sicht Christiane Michael Veröffentlicht in Forum Gesundheitsmedien, Januar 2009 In den letzten 20 Jahren hat die Häufigkeit von kindlichem Kopfschmerz signifikant zugenommen. R.Poothman et al. hat 2001 in einer Studie, die bei Kindern unter 10 Jahren durchgeführt wurde, festgestellt, dass 1020% der untersuchten Kinder unter Kopfschmerz leiden. In einer follow up Studie wurde festgestellt, dass sogar 20% aller Migräneerkrankungen in diesem Alter bereits beginnen. In Holland wurden mehrere vergleichbare Studien durchgeführt, die belegen, dass der Prozentsatz der juvenilen Kopfschmerzen von mehr als einmal in der Woche sich in den letzten 15 Jahren deutlich erhöht hat (Van Duin, 2000). Die Ursachen hierfür können nicht eindeutig bestimmt werden. Es spielen soziale und familiäre Veränderungsprozesse eine Rolle. Diskutiert wird, ob die Vielfachimpfungen bei Säuglingen und Kleinkindern Störungen im zentralen Nervensystem verursachen können. Im folgenden Artikel soll beleuchtet werden, in wieweit Kopfschmerz bei Kindern und Cranio-Mandibuläre Störungen in Zusammenhang stehen. Kurzer Überblick in Embryologie Anatomie und Entwicklung des Schädels Um Kopfschmerz bei Kindern zu verstehen, ist es unerlässlich sich mit Wachstum und Embryologie des menschlichen Schädels zu befassen. Nur durch genaues Wissen um die Anatomie und Physiologie, um Wachstumsbewegungen und morphogenetische Felder in den einzelnen Altersgruppen können frühzeitig Bewegungsstörungen der Kopfknochen erfasst und behandelt werden. Funktion oder Dysfunktion hängen vor allem im Wachstum von vielfältigen Faktoren ab, die im Einzelnen noch besprochen werden. Der Schädel entsteht aus dem Mesenchym (embryonales Bindegewebe), also primitivem Stützgewebe, welches die Hirnblase umhüllt. Der erwachsene Schädel setzt sich aus 22 Knochen, der Schädel eines Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] Neugeborenen aus 45 Knochen zusammen. Schädelbasis, Schädeldach (entsprechen dem Neurokranium) und Gesichtsknochen (entsprechen dem Viszerokranium) verknöchern unterschiedlich und zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Man unterscheidet zwischen desmaler Ossifikation und enchondraler Ossifikation. Enchondrale Ossifikation bedeutet, dass sich zunächst aus Bindegewebe Knorpelgewebe entwickelt, das ist bei der Entwicklung der Schädelbasis der Fall. Schädeldach und Gesichtsknochen haben eine desmale Ossifikation, das heißt, die Knochen entwickeln sich direkt aus dem mesenchymalen Bindegewebe. Den größten Einfluss auf die Form des Neurokraniums hat das Wachstum des Gehirns. Nach Blechschmidt (Blechschmidt, E 1978) beeinflusst die bindegewebige Dura sowohl die Form des Gehirns, als auch die des Schädeldaches, allerdings würden sich ohne Gehirnentwicklung weder Dura noch Schädeldach ausbilden. Blechschmidt beschreibt die gespannte Dura als Duragurte, die sowohl die Falx zwischen den beiden Großhirnhemisphären, als auch das Tentorium zwischen Klein- und Großhirn bildet, also eine Art „Fensterrahmen“ für Klein- und Großhirn. Durch expansives Wachstum des Gehirns bewegen sich die Schädeldachknochen zentrifugal. Die sagittalen Schädelnähte ermöglichen das Wachstum des Hirn- und Gesichtsschädels, die transversalen Schädelnähte das anterior-posteriore Wachstum des Hirnund Gesichtsschädels. Es gibt viele Faktoren für die Entwicklung der Schädel- und Gesichtsknochen, wie Gravitationskräfte, Fortbewegung, Kau- und Schluckvorgänge, Entwicklung der Nasennebenhöhlen und Zähne sowie genetische Einflüsse. Genauso können z.B. Nasennebenhöhlen- Stirnhöhlen – und Ohrenentzündungen, sowie okulomotorische Dysfunktionen das Wachstum der Knochen beeinflussen und verändern. Bei Kindern mit Atemwegsstörungen, den sogenannten „Mundatmern“ wächst zum Beispiel die gesamte Maxilla und die Zygomaregion schlechter, da dieses Wachstum von der Belüftung durch die Nasennebenhöhen abhängt. Der Gaumen bleibt klein und hoch und folglich passen Unter- und Oberkiefer nicht zusammen. Leider werden bei Kindern mit zu kleinem Oberkiefer vielfach in der Anamnese solche Zusammenhänge nicht folgerichtig interpretiert. Ein durch Entzündung oder fehlende Belüftung eingeschränktes Oberkieferwachstum kann nicht durch Zähneziehen folgerichtig behandelt werden. Vielmehr muss durch Logopädie und Training der Nasenatmung die Belüftung und somit auch das Wachstum der Maxilla verbessert werden. Außerdem kann durch Dehnen des Gaumens innerhalb der Kieferorthopädie ein ausreichendes Wachstum und damit auch ausreichend Platz für die Zähne erreicht werden. Auch das Wachstum und die Bewegung der Zunge beeinflussen die Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] Oberkieferentwicklung. Kinder, die lange den Schnuller benutzen, entwickeln einen offenen Biss und eine hypotone Zunge. Der Mund steht leicht geöffnet, was wiederum zur Mundatmung führt. Häufig lispeln diese Kinder und haben auf Grund der schlaffen Zunge eine undeutliche Sprache. Ohne Kieferorthopädie und Logopädie kann dieses Defizit meistens nicht ausgeglichen werden. Die Schädelnähte und deren Entwicklung spielen des Weiteren eine große Rolle sowohl bei der Entwicklung, als auch später bei der Behandlung des Schädels. Die Suturen ermöglichen also das Schädelwachstum die Verbindung und den Zusammenhalt einzelner Schädelknochen So wird Elastizität und Beweglichkeit sowohl bei der Geburt als auch später als Schutz gegen mechanische Einflüsse , wie Schläge, Stürze und Kompressionen,gewährleistet und das bis ins hohe Alter. eine minimale aber notwendige Beweglichkeit des Schädels. In den Suturen befinden sich Propriozeptoren, die an der Steuerung beteiligt sind. Dysfunktionen von Suturen können zu Wachstumsstörungen führen und bei Kraniosynostosen (Zusammenwachsen der Schädelnähte) sogar zu Deformitäten. Die Schädelnähte sind also von großer Bedeutung für das Funktionieren des Nervensystems. Funktionsbeeinträchtigungen des Nervensystems können nicht nur Schmerzen, sondern auch Verhaltensstörungen und emotionalen Unstimmigkeiten, sowie Störungen des gesamten Reflexsystems herbeiführen. Dass Suturen über ein hohes Adaptationsvermögen verfügen konnte an Affen nachgewiesen werden. Die Suturen haben sich durch Kieferorthopädie bei Affen verändert. Oudhof hat bereits durch Knochentransplantationsversuche bei Ratten 1982 nachgewiesen, dass die Form der Suturen nicht genetisch vorgegeben ist, sondern dass die Funktion die Form bestimmt. (Oudhof, 1982) Es gibt verschiedene Formen der Suturen: Synchondrosen ( Knorpelige Verbindung zweier Knochen, z.B. Sutura Petrojugularis Syndesmosen (bandhafte oder Knochennaht-Verbindung) dazu zählen o Sutura squamosa o Sutura serrata o Sutura lambosa o Sutura plana Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] o Gomphosis Das Cranium hat sein Hauptwachstum in den ersten 4 Lebensjahren, nach der Pubertät gibt es wenig Schädelwachstum. Die Form des Craniums ändert sich allerdings am meisten in der Phase der Pubertät. Das ist auch bedingt durch das Gesichtswachstum, was den größten Schub in der Pubertät hat. Klinisch ist also die kritische Phase die zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr. Das faziale Wachstum ist in dieser Zeit nicht nur abhängig von genetischen Faktoren, sondern auch von der Funktion der Augen, von Atmung und Haltung, von Entzündungen in Ohren, Nasennebenhöhlen und Stirnhöhlen, sowie von Kieferorthopädie. Den Kieferorthopäden obliegt eine große Verantwortung darüber, nicht nur die Okklusion, sondern auch die reibungslose Funktion der Schädelknochen und damit ungehindertes Wachstum zu gewährleisten. Der Schädel ist also genaugenommen ein dynamischer Gelenkkomplex. Neueste radiologische Studien belegen die Beweglichkeit des Craniums. Diese nennt man „cranial compliance“. Da bisher noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist, ob die Suturen Adelta und C-Fasern beinhalten, kann auch nicht gefolgert werden, dass direkt nozizeptive Signale aus den Suturen kommen. Es gibt keine typischen klinischen Muster. Trotzdem sind Suturen funktionelle Gelenkverbindungen, die sich bis ins hohe Alter an wechselnde Anforderungen und Umgebungen anpassen. Suturen sind abhängig von der kranialen Dura und diese kann Quelle von nozizeptiver Aktivität sein, denn die kraniale Dura verbindet sich mit der Falx cerebri und Cerebelli und durch kraniale Foramina laufen 10 der 12 Hirnnerven. C2 und Okziput sind direkt mit der kranialen Dura verbunden. 8 von 12 Hirnnerven gehen durch das os sphenoidale. Bei einer Asymmetrie ändert sich die Neurodynamik. „Wir müssen die genaue Position und den Zweck jedes Knochens kennen und völlig vertraut sein mit jeder seiner Verbindungen. Wir müssen eine vollständige Vorstellung der normalen Verbindungen und Gelenke haben, die wir korrigieren möchten.“ A.T.Still 1898 Die Behandlung von kindlichem Kopfschmerz und CMD erfordert eben diese genauen Kenntnisse, um Dysfunktionen aufzuspüren und manualtherapeutisch zu behandeln. Das geschieht mit passiven Bewegungen. Damit kann sowohl untersucht, als auch behandelt werden. Durch Kompressions- und Distraktionskräfte werden nicht nur die Suturen erfasst, sondern auch Übertragungen auf das kraniale und intrakraniale Gewebe. Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] CMD und Kieferorthopädie Vor 50 Jahren haben Schmerzen in der Kindheit nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Das hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Umfangreiche Untersuchungen konnten zeigen, dass etwa 25% unserer Kinder und Jugendlichen mindestens drei Monate im Jahr unter chronischen Schmerzen leiden. (Perquin, C et al: 2000). Die Hälfte aller Kinder weisen Symptome einer CMD auf. C. Hirsch beschreibt in „Kraniomandibuläre Dysfunktionen bei Kindern und Jugendlichen“, dass diese Kinder trotzdem keiner weiteren Behandlungen bedurften. Zeichen einer CMD steigen im Laufe einer Kindheit weiter an, so dass Jugendliche die gleiche Prävalenz erreichen wie im Erwachsenenalter. (Thilander, B et al: 2002 Apr.) Zahnärzte korrigieren Malokklusionen. In der Zahnmedizin herrscht die „okklusale Hypothese“ einer CMD, nach der davon ausgegangen wird, dass eine Vorraussetzung für orale Gesundheit eine „Lehrbuchokklusion“ sei. Diese ist gekennzeichnet durch neutrale Verzahnung, Front/ Eckzahnführung, Abwesenheit von Balancekontakten und weitgehende Übereinstimmung von zentrischer Kondylenposition und maximaler Interkuspidation. Abweichungen davon müssten dann zwangsläufig zu einer CMD führen. Dieses Prinzip das auf der Angle-Klassifikation aus dem 19 Jahrhundert aufbaut, wird in jüngerer Vergangenheit mehr und mehr differenziert betrachtet und relativiert. Außerdem finden mittlerweile zunehmend funktionelle Gesichtspunkte innerhalb eines Behandlungskonzeptes Gehör. Viele Studien können keinen Zusammenhang zwischen Okklusionsstörungen und dem Auftreten von CMD und Kopfschmerzen nachweisen. (Baron, A, Sbordone, L, Ramaglia, L, 1997, Farsi, NM, Alamoudi, N, 2000, Kitai, N, Takada K, Yasuda, Y, Verdonck, A, Carels, C, 1997, Dibbets JM, van der Weele, LT, Meng HP, 1993, Rendell, JK, Norton LA, Gay T, 1992). Therapiestudien über CMD bei Kindern sind kaum zu finden. Die DGKFO fasst selbst, nach dem vernichtenden Ergebnis der HTA Studie („Mundgesundheit nach Kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaten“, W.Frank, K.Pfaller, B.Konta, Mai 2008, im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit), folgende wissenschaftliche Lücken zusammen: 1. es existiert weder eine Studie zur langfristigen Wirkung der kieferorthopädischen Intervention, noch zu ihrer Auswirkung auf die Mundgesundheit Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] 2. 3. 4. ob die Behebung von Zahnfehlstellungen eine wirksame Vorraussetzung für den Erhalt der natürlichen Zähne ist , ist nicht beantwortbar das Kariesrisiko kann in keiner Weise quantifiziert werden die Frage der Indikationsstellung bleibt aus der wissenschaftlichen Literatur offen. Insgesamt scheinen kieferorthopädische Interventionen nur wenig Einfluss auf CMD zu haben, sei es in positiver (zur Prävention), wie in negativer (als Risikofaktor) Hinsicht (Sadowsky und Polson 1984, Mc Namara et al. 1995, Kim et al 2002.) Das Institut für biofunktionelle Orthodontie informiert die DGKFO seit 2000 konkret über schwere Grundsatzfehler in der offiziellen Lehre, welche mit falscher Ausrichtung der Zähne und der „festen Apparatur“ flächendeckend zu Fehlbehandlungen kommen muss. Fakt ist, dass in den letzten 15 Jahren Kopf- und Gesichtsschmerz bei Kindern messbar zugenommen hat. Kieferorthopädie kann also nicht oder nur wenig zur Behebung der Funktionsstörungen und damit zum eigentlichen Punkt, der Behebung eines Schmerzes führen. Schmerz ist ganz und gar subjektiv und immer multifaktoriell. Zur Behandlung von Schmerz bedarf es einer guten Ausbildung des Therapeuten. Er muss in der Lage sein, alle Auslöser und beitragenden Faktoren eines Schmerzes zu erfassen und zusammen mit dem Patienten ein sinnvolles Schmerzmanagement zu planen. Viele Dysfunktionen sind Störungen der Beweglichkeit und können sehr gut und nachhaltig durch manuelle Therapie behandelt werden. In diesem Artikel geht es um Schmerz, und nicht um die reine Funktionsstörung. Kieferorthopäden sollten sich also fragen, ob es eine kausale Beziehung zwischen ihren okkusalen Befunden und Symptomen einer CMD gibt und ob eine kieferorthopädische Behandlung wirklich zum Beheben dieser Symptome geeignet ist. Ursachen und beitragende Faktoren von wiederkehrendem kindlichem Kopfschmerz Um die pathobiologischen Mechanismen zum Thema Kopfschmerz bei Kindern gut zu begreifen, ist es unerlässlich, sich zu fragen, ob es eine direkte Beziehung zwischen Schmerz, der Dysfunktion und der wirklichen Behinderung aus der Sicht des Kindes gibt. 40% der betroffenen Kinder beschreiben ihre Kopfschmerzen als Ursache für Leidensdruck und Behinderung im Alltag. Dieses äußert sich häufig in Schulausfall und unregelmäßiger Schmerzmitteleinnahme. (Martin-Herz Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] et al, 1999) Die Einschränkungen durch orofaziale Schmerzen, die Betroffene im Vergleich zu den Einschränkungen durch andere orale Erkrankungen, wie Karies oder Parodontose erleiden, sind wesentlich schwerwiegender. (Reisine et al, 1989) Beitragende Faktoren, die kindlichen Kopfschmerz verursachen oder unterhalten, müssen für eine wirksame Therapie alle erfasst werden. Beitragende Faktoren werden definiert als „ Jegliche prädisponierende oder verbindende Faktoren, die mit der Entstehung involviert sind und/ oder zur Beibehaltung des Patientenproblems führen (Gifford 1998, Butler 2000) 1. 2. 3. 4. Anamnese a. genetische Faktoren b. allgemeine Lebensbedingungen (Schlaf, Ernährung, andere Erkrankungen, traumatische Erfahrungen) Persönlichkeitsstruktur und emotionelle und psychologische Einflüsse. In der Äthiologie von Kopfschmerz bei Kindern ist es sehr auffällig, dass die emotionalen und kognitiven Faktoren das Verhalten des Kopfschmerzes stark beeinflussen (McGrath, 2001) Alltagsgewohnheiten und Parafunktionen Funktionelle Störungen a. Kissyndrom (Biedermann 2001) b. Haltung c. Atemmuster (abnormale Atemmuster korrelieren mit veränderter kraniofazialer Morphologie) Beispiel: Kind mit Kopfschmerz und Kiss-Syndrom Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] Behandlung und Management von Kopfschmerz und CMD bei Kindern aus physiotherapeutischer und manualtherapeutischer Sicht In der Befundaufnahme muss folgendes erfasst werden: 1. Art und Lokalisation des kindlichen Kopfschmerzes 2. auslösende Faktoren und assoziierte Symptome 3. beitragende Faktoren 4. Behinderung im Alltag (Dr. H. von Piekartz, 2002) Nur so kann ein sinnvolles Konzept und Management der Störung erarbeitet werden. Zunächst erfolgt die physiotherapeutische Untersuchung: 1. 2. 3. 4. der kraniozervikalen Region der kraniofazialen Region des kranialen Nervensystems des Gleichgewichtes 1. Die Kraniozervikale Region „Mit der kraniozervikalen Region ist der Bereich der oberen drei Halswirbel (C1-3) und das Okziput mit ihren arthrokinematischen Beeinflussungen gemeint“ (Pennings 1995) Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] „Dysfunktionen dieses Komplexes können einen Einfluss auf die lasttragende Funktion während der Wachstumsphase haben und langwierige afferente nozizeptive Reize im Nukleus Trigeminalis verursachen (Biedermann, 1999, 2000). Daraus können folgende Störungen resultieren: Kopfschmerz Gleichgewichtsstörungen Haltungsstörungen Schädelasymetrien Verzögerung der sensomotorischen Entwicklung orofaziale Dysfunktionen und Dysgnathien Dysgnotisches und dyslektisches Verhalten Auch die sogenannten KIDD Kinder (kinematische induzierte Dysgnosie und Dypraxie) fallen darunter (Piekartz, Dr. von, H. JM, 2005) Untersuchung: 1. Position von C1, C2, und C3 und Occiput Fragen: gibt es am kraniozervikalen Übergang (Muskulatur, Ligamente) eine lokale, meist einseitige Empfindlichkeit? ist eine Seite des Occiput prominenter ( meistens an der Seite, zu der der Atlas translatiert ist) ist die Rotation C1 zu C2 gestört? gibt es Schmerz bei der Untersuchung? Auffällig können folgende Muster sein: Palpation von Muskeln und Ligamenten am kraniozervikalen Übergang schmerzhaft Translation des Atlas zu einer Seite eine Seite des Okziput ist prominenter eingeschränkte Rotationen C1 zu C2 (Piekarzt, Dr. von H.JM., 2002) Untersuchungsbeispiele Atlas Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] Okziput 2. Kraniofaziale Region Diese Region ist durch eine äußerst komplexe Anatomie gekennzeichnet. Durch passive Bewegungen werden Knochen, Nerven und Blutgefäße, sowie Anheftungsstellen der Dura mater, Liquordynamik und damit intrakranialer Druck beeinflusst. Untersucht werden vor allem os frontale, Orbita. Maxilla, os spheniodale und Zygoma. os frontale und os Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] sphenoidale auch in Bezug zum Okziput und zueinander. Hierbei spielt die Inspektion auch eine große Rolle. Asymmetrisches Schädelwachstum sollte sofort auffallen und näher untersucht werden. Auch ein translatierter Atlas kann zu einer solchen Gesichtsasymmetrie führen. Untersuchung: Untersuchung Okziput - Frontale Untersuchung Os frontale – Os spheniodale Bei der Untersuchung wird beurteilt, ob eine Seite prominenter ist, ob es einen Unterschied zwischen links und rechts gibt, wie die Compliance ist und ob es Widerstand und Schmerz gibt. Es finden sich häufig gleiche klinische Symptome die von Piekarzt wie folgt beschreibt: Transversale Bewegungen des Okziput sind häufig steifer an der prominenten Seite, aber lokal empfindlicher an der nicht prominenten Seite Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] Findet man eine deutliche Dysfunktion in der frontalen Region, dann hat die Rotation um die sagittale Achse meistens mehr Widerstand und ist für das Kind empfindlicher oder kann starke Symptome auslösen Bewegungen des os spheniodale sind häufig in beide Richtungen steif, aber auf der nicht prominenten Seite wird die Beweglichkeit schneller besser. Anterior/posterior Bewegungen des Zygomas sind meistens an der prominenten Seite steifer. Symptome wechseln oft die Seite. (Dr. H. von Piekartz, 2002) 3. Das kraniale Nervensystem „Die neurodynamische Adaptierung des Nervensystems in der kraniozervikalen und kraniofazialen Region ist groß. Hierbei tritt an verschiedenen Stellen eine Konvergenz auf, die für eine mögliche Pathodynamik prädisponierend ist“ (Piekartz, Dr. von H, JM, 2007) In der Untersuchung werden bei Kindern neurodynamisch Tests in Form von Lang-Sitz-Slump (LSS) und der passiven Nackenflexion (PNF)durchgeführt. So können auch Neurale Dysfunktionen von Muskelverkürzungen in einem noch nicht genügend ausgereiften neuromuskuloskeletalen System differenziert werden. Außerdem wird sich ein allgemeiner Eindruck der Funktion der Hirnnerven verschafft, um neurologische Defizite oder Dysfunktionen aufzudecken. Bei Kindern mir migräneartigem Kopfschmerz kann man gehäuft Störungen der kranialen Nerven erwarten (Okeson, 1995). 4. Gleichgewicht Bei Kindern mit Kopfschmerzen wurde in Studien (Szirmai und Farkas, 2000, D `Amico et al. 2003) nachgewiesen, dass das Gleichgewicht häufig auffällig verändert ist. Die Kopfschmerzgruppe wies signifikant mehr vestibuläre Dysfunktionen auf, als die Kontrollgruppe ohne Kopfschmerz. Das Gleichgewicht kann mit verschiedenen Untersuchungen gestestet werden, der geläufigste Test ist der Movement Assessment Battery for Children (Movement ABC). Außer dass sich in der Praxis zeigt, dass Training von Gleichgewicht auch den Kopfschmerz verbessert, eignet sich der Befund und Wiederbefund sehr gut um die Effizienz der Behandlung zu dokumentieren und den Fortschritt zu testen. Behandlung Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] In der Praxis finden sich eine Vielzahl auffälliger Kinder mit Kopf-, Ohren- und Kieferschmerzen. Mit dem Dahinscheiden der okklusalen Hypothese der CMD Ätiologie relativiert sich die Bedeutung der Kieferorthopädie. Es werden laut Studien nur einige seltene Dysgnathieformen mit CMD assoziiert, so dass Kieferorthopädie nicht zu den typischen therapeutischen Maßnahmen in der CMD Behandlung gehört. Physiotherapie und Manualtherapie sind hier die bessere Wahl, denn sie behandeln Funktionsstörungen ursächlich und nach Befund. Wiederkehrende kindliche Kopfschmerzen verlangen Zeit und Analysefähigkeit auf vielen verschiedenen Ebenen. Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen hat hier oberste Priorität. Die manualtherapeutische Behandlung ist genau auf die jeweilige Dysfunktion abgestimmt, bringt blockierte Strukturen wieder in Funktion. Es wird eine Strategie erarbeitet um die schmerzfreien Phasen zu verlängern. Behandlungsbeispiel: Kind mit Schmerzen im Kiefergelenk links, nach diversen Otitis media und eingeschränkter Nasenatmung Mobilisation os sphenoidale zu os maxillare Mobilisation von os temporale zu os maxillare Christiane Michael, Krankengymnastin, Bachelor of Physiotherapy (NL), [email protected] Innerhalb einer Behandlung werden je nach Befund die Kopfknochen, welche wenig Compliance zeigen, mobilisiert. Durch die wieder erlangte Bewegungsfähigkeit kann der Schädel besser kompensieren. Es werden durch neurale Mobilisationen die Dysfunktionen von Nerven und Zielgeweben verbessert. Das Allgemeinbefinden, das Gleichgewicht und die Belastbarkeit steigern sich. Kinder mit Atemwegsstörungen lernen richtig durch die Nase zu atmen und ihr Schluck- und Atemmuster zu korrigieren. Stress und Bewältigungsstrategien werden erlernt, die Kinder gewinnen die Kontrolle zurück, sind dem Schmerz nicht mehr hilflos ausgeliefert. Manuelle Therapie des Schädels bei Kindern und das spezifische Management des Schmerzes sind bei Kindern sehr wirkungsvoll, weil Impulse direkt und unverfälscht umgesetzt werden. Diese konservative nebenwirkungsfreie und wirkungsvolle Therapie sollte immer vor der medikamentösen Therapie versucht werden. Kieferorthopädie ohne ausreichenden Grund und Zielsetzung stellt der HTA Bericht zu Recht in Frage. Durch Studien nachgewiesen ändert Kieferorthopädie wenig an einer CMD Problematik. Eine ursächliche und funktionelle Behandlung ist bei kindlichem Kopf- und Kieferschmerz in jedem Fall vorzuziehen. Physiotherapeuten, die für diese Problematik umfangreich ausgebildet sind findet man unter www.CRAFTA.de, Therapeutenliste. 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