Leitthema Monatsschr Kinderheilkd 2008 · 156:748–756 DOI 10.1007/s00112-008-1731-x Online publiziert: 10. Juli 2008 © Springer Medizin Verlag 2008 Redaktion G. Schulte-Körne, München D. Reinhardt, München J. Kohn · G. Esser Klinische Psychologie und Psychotherapie, Institut für Psychologie, Universität Potsdam ADHS im Jugendund Erwachsenenalter Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) gehört zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten im Kindesalter. Längsschnittstudien ergaben, dass bei vielen dieser Kinder das Vollbild bzw. Restsymp­ tome dieser Störung bis ins Jugendund Erwachsenenalter fortbestehen. Daher gewinnt die ADHS in den letzten Jahren auch im Erwachsenenbereich zunehmend an Bedeutung. dischen Kindern. Sie stellten fest, dass 36% der Betroffenen mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren mindestens ein Kernsymptom der ADHS zeigten und dadurch funktionelle Beeinträchtigungen aufwiesen, während dies in der Kontrollgruppe nur für eine Person zutraf. Was wissen wir bisher über die Gemeinsamkeiten bzw. die Besonderheiten der ADHS in den unterschiedlichen Altersstufen, die sich auf die Diagnostik und die Behandlung auswirken könnten? In einer New Yorker Kohorte wurden männ­ liche Personen im Alter von 18 und 25 Jahren erneut untersucht. Dabei zeigten 40% der Betroffenen mit 18 Jahren Voll- oder Teilsymptome der ADHS im ­Vergleich zu 3% in der Kontroll­gruppe, und mit 25 Jahren erfüllten noch 8% die vollen DSM-IIIR-Kriterien für ­eine ­Diagnose [20]. Geringere Persistenz­raten von 4% der Ausgangsstichprobe ließen sich an einer unabhängigen Stichprobe ermitteln [21]. Die Höhe der Remissionsraten schwankt in Abhängig­keit von der Definition [7] und den Stichpro­benmerkmalen [21]. Darüber hinaus kam es im Entwicklungsverlauf zu einer Abnahme der Symptome, die für die 3 Kardinalsymptome der ADHS unterschiedlich ausfiel. Die ausgeprägtesten Remissionen ergaben sich für die Hyperaktivität, während die Impulsivität und besonders die Unaufmerksamkeit deutlich länger persistierten [7]. In einer Mannheimer prospektiven epi­ demiologischen Längsschnittstudie zeigte sich ein Diagnosewechsel der mit 8 Jahren als hyperkinetisch diagnostizierten Kinder. Im Alter von 18 Jahren wiesen 40% dissoziale Störungen auf, 55% waren störungsfrei, und selten erfolgte der Wechsel zur emotionalen Störung [12]. Epidemiologie Entwicklungsverlauf Dass die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) nicht nur für das Kindesalter eine wichtige Rolle spielt, verdeutlichen die bisher vorliegenden Längsschnittstudien. 72–85% der ursprünglich Diagnostizierten erfüllen auch im Jugendalter die ADHS-Kriterien vollständig bzw. ­teilweise [4, 6]. Als Prädiktoren für eine persistierende Störung erwiesen sich: Ffamiliäres Auftreten der ADHS bei Verwandten ersten Grades, Fpsychosoziale Belastungen und Feine Komorbidität mit Störungen des Sozialverhaltens, affektiven und Angststörungen [6]. Die Entwicklung bis ins Erwachsenenalter untersuchten Weiss et al. [36] in ­einer 15-Jahre Follow-up-Studie an 63 kana- 748 | Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 >ADHS-Symptome persistieren teilweise bis ins Erwachsenenalter Prävalenz In einer aktuellen amerikanischen Untersuchung im Rahmen eines national repräsentativen Surveys [17] wurde die Prävalenz von ADHS bei den untersuchten 18- bis 44-Jährigen (n=3199) auf 4,4% geschätzt. Vergleichbare Werte wurden in anderen Studien berichtet, deren Diagnosen ebenso auf dem DSM-IV basieren [15, 24]. Es zeigte sich ein Überwiegen des männlichen Geschlechts (relatives Risiko: 1,6) [17], jedoch weniger deutlich als für das Kindesalter gefunden. In einer Mannheimer Längsschnitt­studie lag die Prävalenz für hyperkinetische Syndrome im Alter von 13 Jahren bei 1,6% und im Alter von 18 Jahren bei 1,1% [12]. Schätzungen auf der Grundlage der Prävalenzen für das Kindesalter und der Persistenzraten gehen von einer Auftretenshäufigkeit von 1–2,5% im Erwachsenenalter aus [34]. Symptomatik Der Verlauf der ADHS vom Kindes- ins Erwachsenenalter ist durch eine Veränderung der Symptome bestimmt. Während im Kindesalter insbesondere die Hyperaktivität im Vordergrund steht, wird diese, obwohl noch vorhanden, weniger sichtbar und bleibt als innere Unruhe bestehen. Bereits Jugendliche zeigen eine reduzierte Hypermotorik, bei weiterhin bestehenden Defiziten in Konzentration, Organisation und Arbeitsverhalten sowie zusätzliche oppositionelle Verhaltensweisen und Autonomiebestrebungen [2]. EBei Erwachsenen ist das Störungsbild heterogener als bei Kindern [38]. Leitthema In der Literatur wird eine große Bandbreite an Symptomen beschrieben, häufig auf Schilderungen von Betroffenen und Angehörigen basierend [2, 19, 34, 38]. Dazu gehören Symptome der ­Aufmerksamkeitsstörung wie Unaufmerksamkeit, geringe Konzentrationsfähigkeit, hohe Ablenkbarkeit, Tagträume und Vergesslichkeit bei Alltagsangelegenheiten sowie wichtigen Terminen. Besonders charakteristisch für die ADHS im Erwachsenenalter sind die Un­ ord­nung und chaotische Organisation mit noto­ri­schen Problemen bei der Planung und Durch­führung selbst einfacher Aufgaben im beruflichen und privaten Bereich. Proble­me bestehen bei der sinnvollen Zeiteinteilung, Einhaltung von Regeln im Ar­ beits­ablauf sowie Aufrechterhaltung von Ordnungs­strukturen. Dabei sind die Neigung zum Wechsel von Tätigkeiten, ohne sie abzuschlie­ßen, oder zur ineffizienten Arbeitsweise mit vielen Flüchtigkeitsfehlern typisch. Motorisch zeigt sich keine ausgeprägte Hyperaktivität, jedoch beschrieb Wender [37] sich ständig wiederholende Fußbewegungen, beispielsweise das Wippen mit dem Fuß bei übereinandergeschlagenen Beinen, häufige Positionsveränderungen im Sitzen oder Trommeln mit den Fingern auf dem Tisch, so genannte „Wender-Zeichen“ [2]. Des Weiteren besteht ein erhöhtes Bewegungsbedürfnis, es werden Sportarten und Berufe mit viel körperlicher Betätigungsmöglichkeit gewählt und Situationen, die Ruhe erfordern wie Theater- oder klassische Konzertbesuche, werden gemieden. >Depressive Stimmungslagen werden mit zunehmendem Alter häufiger Das Symptom der Impulsivität äußert sich in der Neigung zu voreiligen Entscheidungen, Geldausgaben und Äußerungen, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Erwachsene mit ADHS zeigen extreme Ungeduld und haben Schwierigkeiten, andere ausreden zu lassen. Darüber hinaus wurden Affektregulationsstörungen berichtet, im Sinne ­einer emotionalen Labilität mit starken Stimmungsschwankungen, die kurzzeitig wechseln, reaktiv ausgelöst werden und durch Angstgefühle begleitet werden kön- 750 | Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 nen. Es gibt Hinweise, dass die schwermütigen Phasen mit zunehmendem Alter überwiegen, wobei sich die Lebensfreude im Unterschied zur endogenen Depression durch externe Stimulierung erhöhen lässt [19]. Erwachsene mit ADHS weisen oft ein geringes Selbstwertgefühl auf. Es liegen eine geringe Frustrationstoleranz, auch als Stressintoleranz bezeichnet, und eine leichte Reizbarkeit vor, sodass es zu überschießenden emotionalen Reaktionen im Sinne von Wutausbrüchen kommt. Des Weiteren treten nicht selten sozial unangepasstes Verhalten und andauernde Konflikte auf. Komorbidität Ebenso wie im Kindesalter liegen auch im Jugend- und Erwachsenenalter bei Patienten mit ADHS hohe Raten komorbider Störungen vor, auch wenn die Datenlage weniger umfangreich als im Kindesalter ist [34]. Längsschnitt- und Querschnittstudien ergaben ein häufiges Auftreten von: FStörungen, die durch psychotrope Substanzen bedingt sind, FStörungen mit oppositionellem Trotzverhalten, FStörungen des Sozialverhaltens, Faffektiven Störungen, FAngsterkrankungen, FSchlafstörungen, FLernstörungen, FTicstörungen und FPersönlichkeitsstörungen (v. a. dissoziale und emotional instabile, Borderline-Typ) [5, 17, 19, 23] mit höheren Raten bei retrospektiven gegenüber prospektiven Studien [22]. Im Jugendalter stellen die Störung mit oppositionellem Trotzverhalten bzw. die Störung des Sozialverhaltens die am häufigsten auftretende komorbide Störung dar. In der Untersuchung von Barkley et al. [4] erfüllten 59% der Jugendlichen mit ADHS auch die Kriterien für eine Störung mit oppositionellem Trotzverhalten und 43% diejenigen einer Störung des Sozialverhaltens. In einer finnischen epidemiologischen Untersuchung von 457 16- bis 18-Jährigen wiesen Jugendliche mit ADHS häufiger Störungen des Sozialverhaltens, Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und Alkoholmissbrauch auf als Jugendliche ­ohne ADHS. Bei rund 30% der Stichprobe mit ADHS fanden sich Störungen des ­Sozialverhaltens bzw. Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten im Vergleich zu etwa 2% der Vergleichsgruppe. Jugendliche mit ADHS und komorbiden Störungen wiesen mehr ADHS-Symptome auf als die Jugendlichen mit isolierter ADHS. Es zeigten sich keine signifikant höheren Komorbiditätsraten für Angststörungen und depressive Störungen [16]. Verschiedene Untersuchungen zum Substanzmissbrauch wiesen darauf hin, dass Personen mit ADHS und zusätzlicher Störung des Sozialverhaltens im Vergleich zur Kontrollgruppe ein höheres Risiko für einen häufigeren und früheren Konsum psychoaktiver Subtanzen haben, während dies für Jugendliche mit ADHS ohne Störungen des Sozialverhaltens nicht zutrifft [2]. >Im Erwachsenenalter werden oft Störungen des Sozial­ verhaltens und Substanz­ missbrauch beobachtet Im Erwachsenenalter wurden ebenfalls ­hohe Komorbiditätsraten berichtet. In einer Querschnittsuntersuchung erfüllten nur 23% der Betroffenen mit ADHS nicht die Kriterien für eine weitere psychiatrische Diagnose im bisherigen Leben [5]. In der gleichen Untersuchung lagen im Kindesalter höhere Raten der Störung mit oppositionellem Trotzverhalten vor, während im Erwachsenenalter häufiger Störungen des Sozialverhaltens, Substanzmissbrauch und Angststörungen diagnostiziert wurden. Sobanski u. Alm [34] berichteten in ihrem Literaturüberblick von einem gleichzeitigen Auftreten der ADHS und Alkoholmissbrauch bei 34–52% der Betroffenen in Querschnittsuntersuchungen und bei 25% in Längsschnittuntersuchungen. Ein komorbider Drogenmissbrauch ließ sich bei 30–38% finden. Wie im Jugendalter besteht ein besonderes Risiko für Patienten mit komorbiden Störungen des Sozialverhaltens bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörungen. In ­einer aktuellen Studie wiesen 15,2% der Personen mit ADHS im Vergleich zu 5,6% ohne ADHS irgendeine Störung des Substanzkonsums (12-Monats-Prävalenz) auf [17]. Dabei zeigten sich nur für Drogen- Zusammenfassung · Abstract abhängigkeit signifikant höhere Raten, für Alkohol gab es keine bedeutsamen Unterschiede, ein Ergebnis, das sich mit dem anderer Studien deckt [2]. Die Befundlage zum komorbiden Auftreten depressiver Episoden in Längsschnittuntersuchungen ist uneinheitlich, wobei die Mehrzahl der Studien keine erhöhte Auftretensrate fand [34]. Ein signifikantes Überwiegen affektiver Störungen bei Personen mit ADHS wurde in einer amerikanischen Querschnittsuntersuchung gefunden, bei der 38% der Betroffenen gegenüber 11% der Personen ohne ADHS in den letzten 12 Monaten die Kriterien für irgendeine affektive Störung (Major Depression, Dysthymie, bipolare Störung) erfüllten [17]. Querschnittstudien wiesen auf ein erhöhtes Auftreten von Angststörungen bei Patienten mit ADHS hin. Dabei reichten die Prävalenzraten, die sich sowohl auf die letzten 12 Monate als auch auf die gesamte Lebenszeit beziehen, von 32–53% der Betroffenen [5, 17, 23, 34]. Bei Erwachsenen mit ADHS wurden übereinstimmend höhere Raten an dissozialen Persönlichkeitsstörungen und dissozialen Verhaltensweisen ermittelt, welche in Längsschnittstudien zwischen 12 und 23% lagen. Als Risikofaktoren ließen sich ableiten [1, 34]: Fdas Vorliegen einer ADHS vom kombinierten Subtyp, Feine bereits im Kindesalter vorhandene Störung des Sozialverhaltens sowie Fmännliches Geschlecht. Monatsschr Kinderheilkd 2008 · 156:748–756 DOI 10.1007/s00112-008-1731-x © Springer Medizin Verlag 2008 J. Kohn · G. Esser ADHS im Jugend- und Erwachsenenalter Zusammenfassung Erst seit einigen Jahren wird die ­Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts­Störung (ADHS) im Jugend- und besonders im Erwachsenenalter in Betracht gezogen. Im individuellen Entwicklungsverlauf lassen sich Veränderungen der Ausprägung der Kardinalsymptome feststellen. Im Erwachsenenalter werden insbesondere Aufmerksamkeitsdefizite, innere Unruhe, Impulsivität, Organisationsdefizite und Affektregulationsstörungen beschrieben. Untersuchungen deuten auf eine Prävalenz von 1–2,5% hin. Ähnlich wie im Kindesalter werden hohe Komorbiditätsraten sowie ein deutlich beeinträchtigtes psychosoziales Funktionsniveau berichtet. Für die Diagnosestellung werden klinische Interviews zur früheren und aktuellen Sympto- matik sowie Fragebögen empfohlen. Als kritisch ist das Fehlen verbindlicher diagnostischer Kriterien einzuschätzen. Der Einbezug objektiver Dokumente aus der Kindheit ist für die Absicherung des Störungsbeginns dringend erforderlich. Als wirksamste Therapiemaßnahme gilt die Gabe von Stimulanzien, welche durch eine Psychotherapie begleitet werden sollte. Derzeit besteht noch ein hoher Forschungsbedarf zu diesem therapeutischen Vorgehen. Schlüsselwörter Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts­Störung (ADHS) · Jugendliche · Erwachsene · Behandlung · Diagnostik ADHD in adolescence and adulthood Abstract The diagnosis of attention deficit hyperactivity disorder (ADHD) in adolescence and adulthood has just recently been considered. The expression of main symptoms changes as the individual matures. Adults typically display attention deficits, restlessness, impulsivity, organizational deficits, and poor affect regulation. Research indicates a prevalence of 1–2.5%. Corresponding to ADHD in children, high rates of comorbidity and affected psychosocial functioning are reported. It is recommended to use clinical interviews to find out about actual and former symptoms as well as questionnaires for diagnosis. How- ever, it is critical to note that obligatory diagnostic criteria are still lacking. To ascertain the beginning of the disorder, objective documentation from childhood must be considered. Stimulants accompanied by psychotherapy are thought to be the most effective treatment. Further research is urgently needed on therapeutic methods and their combinations with psychotropic drugs. Keywords ADHD · Adolescents · Adults · Treatment · ­Diagnosis Funktionsniveau Laut verschiedener Studien weisen Jugendliche und Erwachsene mit ADHS im Vergleich zu Kontrollpersonen deutliche Funktionseinschränkungen in den Bereichen Ausbildung und Arbeit, Partnerschaft und Familie sowie im Straßenverkehr auf [16, 17, 20, 23]. So wurden berichtet: Fschlechtere Schulleistungen, Fhöhere Raten an Klassenwiederholungen, Fhäufigere Suspendierungen und Schulabbrüche [4, 5, 20, 23], Ferhöhte Trennungs- und Scheidungsraten, Fhäufigere Wechsel der Arbeitsstelle und Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 | 751 Leitthema Fhöhere Raten an Verstößen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung [5, 23]. Diagnostik Die Diagnose einer ADHS wird aufgrund der Kriterien der Klassifikationssysteme ICD-10 („international classification of diseases, 10th revision“) [8] und DSMIV („diagnostic and statistical manual of mental disorders, 4th edn.“) [32] gestellt. Allerdings sind darin nur Kriterien für das Kindesalter operationalisiert. Die ICD-10 gibt lediglich an, dass die Aufmerksamkeit und Aktivität anhand entwicklungsmäßig angemessener Normen zu beurteilen sind. Demnach müssen die Zusatzkriterien Störungsbeginn vor dem 6. Lebensjahr, Dauer und situationsübergreifendes Auftreten (ICD-10) ebenso erfüllt sein. Die Konzeptionalisierung der Utah-Kriterien von Wender [37] ist die einzige, in der Kriterien für das Erwachsenenalter formuliert sind. Darin wird, anders als in der ICD10 und dem DSM-IV, auch das subjektive Erleben des Patienten einbezogen. Es werden 7 Kriterien beschrieben, zu denen Aufmerksamkeitsstörung und motorische Hyperaktivität/Ruhelosigkeit, Affektlabilität, desorganisiertes Verhalten, verminderte Affektkontrolle, Impulsivität sowie eine emotionale Überreagibilität auf alltägliche Stressoren gehören. Für die Diagnosestellung werden neben Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität das Vorliegen von 2 der weiteren Kriterien verlangt [11]. Eine aktuelle Gegenüberstellung der 3 Klassifikationssysteme zur Diagnose von 169 Erwachsenen zeigte, dass über das DSM-IV die meisten Diagnosen vergeben werden, mittels der ICD-10 werden weniger, aber die gleichen Personen identifiziert. Die diagnostische Schwelle der Wender-Utah-Kriterien liegt ebenfalls höher als im DSM-IV, da 20% weniger Diagnosen vergeben werden. Allerdings werden auch 7 von 126 nur durch diese identifiziert, was auf die zusätzlich erfassten Aspekte zurückzuführen ist. Insgesamt werden 56% der Patienten nach allen 3 Systemen diagnostiziert [29]. Nach der 2003 veröffentlichten Leitlinie „ADHS im Erwachsenenalter“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) gilt: 752 | Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 EDie ADHS im Erwachsenenalter ist eine klinische Diagnose, die einen komplexen Entscheidungs­ prozess erfordert. Sie wird auf der Grundlage eines Interviews mit dem Patienten gestellt [11]. Im Rahmen der Untersuchung sollten Fdie Diagnose der ADHS im Kindesalter retrospektiv gestellt bzw. verifiziert, Fder aktuelle Schweregrad bestimmt, Fdie Veränderungen im Zeitverlauf bewertet und Fmögliche andere Erklärungen für die Symptomatik aufgedeckt werden. Diagnostisches Vorgehen Zu seiner Planung kann auf die Empfehlungen der Leitlinie der DGPPN zurückgegriffen werden [11]. Im Rahmen des Interviews sollten ADHS-spezifische Inhalte erfasst werden. Dazu gehört die Erhebung sowohl derzeitiger als auch früher aufgetretener Symptome der ADHS mit Informationen zur Manifestation und Entwicklung der Symptome sowie hieraus resultierender früherer und aktueller Beschwerden in den Bereichen Schule oder Studium. Zur objektiven Erfassung des schulischen Werdegangs und früh auftretender Symptome sind Schulberichte über Lern- und Leistungsverhalten sowie Sozialverhalten (v. a. Zeugnisse mit schriftlichen Anmerkungen und Kommentaren) erforderlich. >Im Interview wird die ADHS-spezifische Symptomatik erfasst Darüber hinaus sind Beeinträchtigungen in den Funktionsbereichen Ausbildungsoder Arbeitsplatz, Familie, Beziehungen zu Freunden und Partnern sowie Freizeitverhalten zu erfragen. Zur Vervollständigung des Bildes dienen Informationen zur körperlichen und intellektuellen Entwicklung des Patienten sowie im Rahmen der Familienanamnese zu einer familiären Belastung mit psychiatrischen Auffälligkeiten. Neben der ADHS-spezifischen Symptomatik empfiehlt es sich, im Rahmen des Interviews dringend eine ­vollständige psychiatrische Untersuchung durchzuführen und speziell folgende Differenzialdiagnosen und Komorbiditäten zu erfassen: FSubstanzmissbrauch, FSubstanzabhängigkeit, FPersönlichkeitsstörung, Faffektive Störungen, FAngststörungen, FTic-Störungen, FTeilleistungsstörungen und FSchlafstörungen. Um auszuschließen, dass den Symptomen der ADHS eine internistische/neurologische Grunderkrankung zugrunde liegt, sollten mindestens Folgende erfragt werden: FSchilddrüsenerkrankungen, FAnfallsleiden, FSchädel-Hirn-Traumen, FSchlafstörungen und -­erkrankungen wie Narkolepsie, Schlafapnoe­ syndrom, Restless-legs-Syndrom. Die Symptome können auch durch die Einnahme von Medikamenten wie beispielsweise Barbiturate, Steroide und Neuroleptika oder den Gebrauch psychotroper Substanzen verursacht sein. >Neuropsychologische Testuntersuchungen können die Diagnose stützen Neuropsychologische Testuntersuchun­ gen, wie etwa der Aufmerksamkeitsleistungen und Exekutivfunktionen, werden empfohlen, um die Diagnose zu stützen und Hinweise zur Planung und Überprüfung der Therapie zu geben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Diagnose (wie auch im Kindesalter) nicht allein aufgrund von Testergebnissen gestellt oder verworfen werden darf [11, 19]. Als Ergänzung zu den Angaben des Betroffenen sollte eine Fremdbeurteilung der früheren Symptomatik durch Interviews mit den Eltern vorgenommen werden. Die aktuelle Symptomatik kann durch Interviews mit dem Partner, engen Freunden oder Geschwistern hinterfragt werden. Jedoch wird dies häufig nicht umgesetzt, sodass, anders als im Kindes- und im frühen Jugendalter, der Patient selbst die Hauptinformationsquelle darstellt. Leitthema Instrumente Jugendliche Für das Jugendalter können Verfahren eingesetzt werden, die bereits im Kindesalter zur Diagnosestellung Verwendung finden. Erwachsene Im Folgenden wird eine Auswahl an Instrumenten zur Unterstützung der diagnostischen Abklärung im Erwachsenenalter vorgestellt, die bisher für den deutschen Sprachraum validiert wurden. Eine Übersicht über etablierte englische Verfahren ist bei Murphy u. Gordon [25] zu finden. Wender-Reimherr-Interview (WRI). Dieses strukturierte Interview basiert auf den Utah-Kriterien und umfasst 28 Fragen zu den 7 psychopathologischen Bereichen. Die psychometrische Überprüfung erbrachte gute Reliabilitäts- und Validitätskennwerte [29]. Als Ergänzung eines Interviews werden Fragebögen bzw. Symptomchecklisten zur strukturierten Erhebung der Symptome und zur Dokumentation empfohlen. Dabei ist zwischen Instrumenten zur Erfassung der früheren bzw. der aktuellen Symptomatik zu unterscheiden [11]. Kurzform der Wender-Utah-Rating-­Scale (WURS-K). Sie dient zur retrospektiven Selbstbeurteilung der Symptome [27]. Sie erfasst anhand von 21 Items und 4 Kontrollitems das Vorliegen einer ADHS im Alter von 8–10 Jahren. Ihre Reliabilität und Validität ließen sich anhand unterschiedlicher Untersuchungen belegen. Für männliche Patienten konnte bereits ein Cut-off-Wert ermittelt werden, der auf das Vorliegen einer ADHS-Psychopathologie im Kindesalter hindeutet. „Adult ADHD Self-report Scale“ (ASRS). Zur Beurteilung der aktuellen Symptomatik existieren modifizierte Symptomfragebögen nach dem DSM-IV. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) ­autorisierte 2003 die Adult-ADHD-SelfReport-Scale-v1.1 (ASRS-v1.1), deren deutsche Übersetzung bei Krause u. Krause [19] zu finden ist. Für ein schnelles Screening wird eine Kurzform mit den ersten 6 Fragen (ASRS-v1.1 Screener) empfohlen. 754 | Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 Kombination aus Selbst- und Fremd­ beurteilungsinstrumenten. Eine solche Kombination bieten die Verfahren von Rösler et al. [28]. Ausgehend von den 18 Kriterien des DSM-IV und der ICD-10Forschungsversion wurden die Kennzeichen für den Gebrauch im Erwachsenenalter umformuliert. Zur Ergänzung werden 4 weitere Kriterien erfragt: FAlter bei Störungsbeginn, FLeiden durch die Symptomatik, FGeneralisierung auf verschiedene ­Lebensfelder sowie Fberufliche und Kontaktprobleme. Es liegen eine Selbstbeurteilungsskala ADHS-SB und eine Diagnosecheckliste für den Diagnostiker vor. Erste Analysen des ADHS-SB zeigten Retestreliabilitätskoeffizienten zwischen 0,78 und 0,89 sowie eine günstig bewertete divergente und konvergente Validität der ADHS-SB. Eine hohe Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbeurteilung besteht hinsichtlich der Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität sowie der Gesamtskala. Homburger ADHS-Skalen für ­Erwachsene (HASE). Sie wurden kürzlich veröffent­ licht [30]. Sie stellen ein Instrument dar, das aus den Einzelverfahren ­­ WURS-K, WRI sowie ADHS-SB und ADHS-DC besteht. Fragebogen zur Erfassung von ADHS im Erwachsenenalter (FEA). In Anlehnung an die Selbstbeurteilungsbögen für Hyperkinetische Störungen (SBB-HKS) aus dem Diagnostiksystem für Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter [9] wurde ein Fragebogen entwickelt, in dem auf der Grundlage von DSM-IV und ICD10 die Kriterien beider Systeme auf das Erwachsenenalter adaptiert wurden. Dieser Fragebogen ist Bestandteil des Kinder­Diagnostik-Systems (KIDS, Band 1) [10]. Obwohl in den letzten Jahren ein Fortschritt bei der Entwicklung von Verfahren für das Erwachsenenalter zu verzeichnen ist, sollten folgende Defizite Beachtung finden: Bisher gibt es Fkeine allgemein gültigen Leitlinien bezüglich diagnostischer Instrumente, Fkeine Verfahren zur Veränderungsmessung und Fkeine Normen für repräsentative Stichproben gesunder und klinischer Populationen [35]. Diagnostische Schwierigkeiten Zum aktuellen Zeitpunkt besteht das Haupt­problem der Diagnostik in dem Fehlen verbindlicher Kriterien für das Erwachsenenalter [35]. Zur Diskussion steht beispielsweise neben der Praktikabilität und Validität des Alterskriteriums [35] auch die Anzahl notwendiger Kriterien [17]. Ebenso sind einige Kriterien nicht exklusiv für die ADHS, sondern als unspezifisch zu bezeichnen. Daher spielt die Differenzierung zu anderen psychischen Störungen eine entscheidende Rolle. Es ist zu klären, ob beide Störungen kombiniert auftreten oder als Differenzialdiagnose betrachtet werden müssen [35]. Wesentliche Kriterien für die Vergabe der Diagnose ADHS im Erwachsenenalter sind bestehende Symptomatik und funktionelle Beeinträchtigungen im Kindesalter. Allerdings liegen die empfohlenen objektiven Berichte aus Zeugnissen oder andere Dokumenten selten vor bzw. werden selten einbezogen. Somit basieren die Informationen häufig auf retrospektiven Angaben, die sehr anfällig für Verzerrungen und Unvollständigkeiten sind. >Aus dem autobiografischen Gedächtnis abgerufene Angaben sind wenig reliabel Im Rahmen der Mannheimer Längsschnittstudie wurde die Validität des autobiografi­schen Gedächtnisses überprüft [13]. Die jun­gen Erwachsenen wurden mit 25 Jahren erneut zu Kernfakten (z. B. Tod eines Eltern­teils), Erziehungsstil der Eltern, ­körperli­chen und psychischen Problemen sowie Lebensereignissen aus der Kindheit befragt, die bereits zu den vorhergehenden Messzeitpunkten mit 8, 13 bzw. 18 Jahren anhand eines strukturierten Fragebogens erhoben ­worden waren. Dabei zeigten sich in allen ­Berei­chen, außer den Kernfakten, geringe bis mittlere sensitive Validitätswerte der Erinne­rungs­ leistung. Dies bedeutet, dass viele frühe­ re Angaben nicht erinnert wurden. Des Weite­ren wurden Daten erinnert bzw. ge- raten, die früher nicht vorlagen bzw. nicht genannt wurden, was zur Einschränkung der spezifi­schen Validität führt. Besonders bei derzeitig psychopathologisch auffälligen Personen gab es Hinweise, dass sie Auffällig­keiten erinnern, die sie in früheren Interviews nicht berichteten. Im Hinblick auf die zeitliche Einordnung von Ereignissen konnten Angold et al. [3] zeigen, dass Angaben, die aus dem autobiografischen Gedächtnis abgerufen werden müssen, wenig reliabel sind. Darüber hinaus fehlen häufig Angaben von Eltern oder ehemaligen Lehrern zur Fremdbeurteilung, wodurch es ebenso zu verzerrten Ergebnissen kommen kann [38]. Erschwerend für die Diagnostik ist, dass die Symptomatik in der Untersuchungssituation (anders als im Kindesalter) oft nicht oder schwer beobachtbar ist und sie nur berichtet wird. Darüber hinaus informieren sich Patienten aufgrund des mittlerweile bestehenden Bekanntheitsgrades im Vorfeld der Diagnostik umfassend über das Störungsbild, was während der Untersuchung einen Einfluss auf die Selbstbeschreibung haben kann (so genannter „informed bias“) [35]. Behandlung Mit der Vergabe der Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter besteht nicht notwendigerweise ein Behandlungsbedarf. Ob eine Therapie erforderlich ist und welche Form hierbei gewählt wird, ist abhängig vom Ausprägungsgrad der ADHS sowie insbesondere von den psychischen und den sozialen Beeinträchtigungen. ­Eine Behandlung wird empfohlen, wenn in einem Lebensbereich ausgeprägte oder in mehreren Lebensbereichen leichte Störungen oder krankheitswertige, beeinträchtigende psychische Symptome bestehen und diese eindeutig auf die ADHS zurückgeführt werden können [11]. EEine angemessene Behandlung der ADHS sollte multimodal erfolgen [38]. Empfohlen wird eine Kombination aus Pharmakotherapie und Psychotherapie. Grund für diese Empfehlung ist, dass die einzelnen Symptome für die beiden Behandlungsmethoden unterschiedlich gut zugänglich sind [11, 38]. Bei komorbiden Erkrankungen sollten alle Störungen in die Behandlung einbezogen werden [11]. Einen Einblick in die Behandlungsraten und den Einfluss der hohen Komorbidität gibt die amerikanische nationale Komorbiditätsstudie von Kessler et al. [17]. Darin wurde untersucht, wie viele der als ADHS-Patienten Diagnostizierten in den 12 Monaten vor dem Interview ­wegen psychischer oder substanzbezogener Probleme in Behandlung waren. Dies traf für 53,1% der Frauen und 36,5% der Männer zu. Davon erhielten 25,2% ­eine Behandlung wegen ADHS, demzufolge betrug die Behandlungsrate wegen ADHS für die Gesamtgruppe 10,9%. Pharmakotherapie Die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat ist derzeit die Therapie der ersten Wahl. Sie wird laut einer aktuellen Metaanalyse, die 6 randomisierte, placebokontrollierte doppelblinde Studien einbezog, als sehr wirksam eingeschätzt [14]. Es ließen sich eine statistisch bedeutsame Besserung in allen 3 Teilbereichen der ADHS sowie eine gute Verträglichkeit zeigen. Die Autoren berichteten, dass der Grad der Wirksamkeit vergleichbar mit demjenigen ist, der in Metaanalysen für Kinder und Jugendliche angegeben wird. >Die Methylphenidat- behandlung der ADHS erfolgt bei Erwachsenen im Off-Labe-Use Allerdings unterliegt die Gabe von Methylphenidat der Betäubungsmittelverschreibeverordnung und ist für die Indikation der ADHS im Erwachsenenalter nicht zugelassen. Damit besteht für Kliniker das Problem des Off-Label-Use. Überblicksarbeiten über den Wirkungsmechanismus, Dosierungen, Nebenwirkungen und Kontraindikation liegen vor [18, 19]. EAls therapeutische Alternative zu Stimulanzien kommen zunehmend Mittel mit noradrenergem Rezeptorprofil zum Einsatz. Als erstes Nichtstimulans wurde Atomoxetin, ein selektiver Noradrenalinwiederauf- nahmehemmer, für die Behandlung von ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in den USA zugelassen [33]. In Deutschland ist seine Verschreibung zur Behandlung bei Kindern und Jugendlichen zugelassen. Das Medikament darf weiterhin verordnet werden, wenn es bereits vor dem 18. Lebensjahr zur Behandlung eingesetzt wurde [18]. Die Ergebnisse mehrerer kontrollierter Studien zeigten die Wirksamkeit von Atomoxetin gegenüber Placebobedingungen im Hinblick auf die Reduktion der Kardinalsymptome [33]. Im Gegensatz zum Kindesalter liegen im Erwachsenenalter weniger kontrollierte Therapiestudien zu Psychopharmaka vor [19]. Daher besteht noch Forschungsbedarf über die Auswirkungen einer Langzeittherapie mit Stimulanzien im Erwachsenenalter, zum Vergleich von Methylphenidat vs. Atomoxetin sowie der Kombination von Pharmakotherapie mit ADHS-spezifischer Psychotherapie vs. Monotherapien [18, 33, 34]. Psychotherapie Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Behandlung leisten, da einige Personen nicht auf die Pharmakotherapie ansprechen, nicht alle Symptome gebessert werden und Beeinträchtigungen der Lebensqualität bzw. des Funktionsniveaus im Alltag bestehen bleiben. Wie im Kindes- und Jugendalter wird die Anwendung störungsspezifischer Elemente empfohlen [11]. Derzeit werden als therapeutische Ansätze Einzel- und Gruppentherapien, Paarund Familieninterventionen sowie Coachings angewendet, bei denen die Psychoedukation eine wichtige Rolle spielt. Die meist kognitiv-verhaltenstherapeutisch und/oder dialektisch-behavioral orientierten Programme zielen auf eine verbesserte Selbstorganisation in den verschiedenen Lebensbereichen. Bisher liegen nur wenige Evaluationsstudien zu Psychotherapieprogrammen vor. Diese wiesen positive Effekte nach [26]. Es gibt erste Hinweise auf einen zusätzlichen Effekt der Psychotherapie in Kombination mit einer Pharmakotherapie gegenüber einer Pharmakotherapie allein [31]. Als Kritikpunkte an den vorhandenen Studien sind besonders hervorzu­heben, dass Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 | 755 Leitthema Fes nur wenige randomisierte kontrollierte Studien gibt, Fdie Kontrollgruppen unzureichend definiert sind, Fwichtige Parameter wie Medikation und Komorbidität zu wenig kontrolliert sind und Fkeine einheitlichen Outcomemaße angewendet werden [26]. Fazit für die Praxis Längsschnittuntersuchungen und aktu­ elle Prävalenzstudien zeigten, dass ein Teil der Betroffenen im Jugend- und Er­ wachsenenalter weiter die diagnosti­ schen Kriterien erfüllt. Die ADHS im Er­ wachsenenalter geht häufig mit ande­ ren psychischen Störungen einher und führt zu deutlichen Funktionseinschrän­ kungen. Es handelt sich um eine klinische Dia­ gnose, die auf einem komplexen Ent­ scheidungsprozess basiert. Zusätzlich zu einem umfassenden klinischen Interview bietet sich der Einsatz von Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen an. Problematisch sind die sichere Feststel­ lung des Erkrankungsbeginns und das häufige Fehlen unterschiedlicher Beur­ teiler. Um den für die Diagnose obliga­ torischen frühen Beginn zu sichern, sind objektive Dokumente aus der Kindheit unumgänglich. Aufgrund der hohen Komorbiditäts­raten ist eine umfassende psychopatholo­ gische Abklärung dringend indiziert. Die Behandlung sollte multimodal ­erfolgen. Die Methode der Wahl stellt die ­Gabe von Stimulanzien dar, die aller­ dings durch psychotherapeutische Maß­ nahmen unterstützt werden sollte. Korrespondenzadresse Dipl.-Psych. J. Kohn Klinische Psychologie und Psychotherapie, ­Institut für Psychologie, Universität Potsdam Karl-Liebknecht-Straße 24–25, 14476 Potsdam [email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 756 | Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2008 Literatur 1. Abramowitz CS, Kosson DS, Seidenberg M (2004) The relationship between childhood attention deficit hyperactivity disorder and conduct problems and adult psychopathy in male inmates. Pers Individ Dif 36: 1031–1047 2. Adam C, Döpfner M, Lehmkuhl G (2002) Der Verlauf von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) im Jugend- und Erwachsenenalter. Kindheit Entwicklung 11: 73–81 4. Barkley RA, Fisher M, Edelbrock GS et al. (1990) The adolescent outcome of hyperactive children diagnosed by research criteria: I. An 8-year prospective follow-up study. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 29: 546–557 5. Biederman J, Faraone SF, Spencer T et al. (1993) Patterns of psychiatric comorbidity, cognition, and psychosocial functioning in adults with attention deficit hyperactivity disorder. Am J Psychiatry 150: 1792–1798 6. Biederman J, Faraone SV, Milberger S et al. (1996) Predictors of persistence and remission of ADHD into adolescence: results from a four-year prospective follow-up study. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 35: 343–351 7. Biederman J, Mick E, Faraone SV (2000) Age-dependent decline of symptoms of attention deficit hyperactivity disorder: impact of remission definition and symptom type. Am J Psychiatry 157: 816–818 9. Döpfner M, Lehmkul G (2000) Diagnostik-System für Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD-10 und DSM-IV (DISYPS-KJ). Huber, Bern Stuttgart Toronto 11. Ebert D, Krause J, Roth-Sackenheim C (2003) ADHS im Erwachsenenalter – Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN. Nervenarzt 74: 939–946 12. Esser G, Schmidt MH, Blanz B et al. (1992) Prävalenz und Verlauf psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Z Kinder Jugendpsychiatr 20: 232–242 13. Esser G, Steigleider P, Lange S et al. (2002) Die Validität des autobiographischen Gedächtnisses. Ergebnisse einer prospektiven Längsschnittstudie von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Kindheit Entwicklung 11: 228–237 14. Faraone SV, Spencer T, Aleardi M et al. (2004) Metaanalysis of the efficacy of methylphenidate for treating adult attention-deficit/hyperactivity disorder. J Clin Psychopharmacol 24: 24–29 16. Hurting T, Ebeling H, Taanila A et al. (2007) ADHD and comorbid disorders in relation to family environment and symptom severity. Eur Child Adolesc Psychiatry 16: 362–369 17. Kessler RC, Adler L, Barkley R et al. (2006) The prevalence and correlates of adult ADHD in the United States: results from the national comorbidity survey replication. Am J Psychiatry 163: 716–723 18. Kordon A, Hofecker Fallahpour M (2006) Psychopharmakotherapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter. Z Psychiatr Psychol Psychother 54: 99–110 19. Krause J, Krause K-H (2005) ADHS im Erwachsenen­ alter. Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen. Schattauer, Stuttgart New York 20. Manuzza S, Klein RG, Bessler A et al. (1993) Adult outcome of hyperactive boys: educational achievement, occupational rank, and psychiatric status. Arch Gen Psychiatry 50: 565–576 21. Manuzza S, Klein RG, Bessler A et al. (1998) Adult psychiatric status of hyperactive boys grown up. Am J Psychiatry 155: 493–498 22. Marks DJ, Newcorn JH, Halperin JM (2001) Comorbidity in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder. Ann N Y Acad Sci 931: 216–238 23. Muphy K, Barkley RA (1996) Attention deficit hyperactivity disorder adults: comorbidities and adaptive impairments. Compr Psychiatry 37: 393–401 25. Muphy KR, Gordon M (2006) Assessment of adults with ADHD. In: Barkley RA (ed) Attention-deficit hyperactivity disorder: a handbook for diagnosis and treatment. Guilford Press, New York, S 425–452 26. Nyberg E, Stieglitz R-D (2006) Psychotherapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter. Z Psychiatr Psychol Psychother 54: 111–121 28. Rösler M, Retz W, Retz-Junginger P et al. (2004) Instrumente zur Diagnostik der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter. Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB) und Diagnosechecklisten (ADHS-DC). Nervenarzt 75: 888–895 30. Rösler M, Retz-Junginger P, Retz W et al. (2008) Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene (HASE). Hogrefe, Göttingen 31. Safren SA, Otto MW, Sprich S et al. (2005) Cognitive-behavioral therapy for ADHD in medicationtreated adults with continued symptoms. Behav Res Ther 43: 831–842 33. Sevecke K, Battel S, Dittmann R et al. (2005) Wirksamkeit von Atomoxetin bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS. Eine systematische Übersicht. Nervenarzt 77: 294–308 34. Sobanski E, Alm B (2004) Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen. Nervenarzt 75: 697–716 35. Stieglitz R-D, Rösler M (2006) Diagnostik der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter. Z Psychiatr Psychol Psychother 54: 87–98 36. Weiss G, Hechtman L, Milroy T et al. (1985) Psychiatric status of hyperactives as adults: a controlled prospective 15-year follow-up of 63 hyperactive children. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 24: 211–220 37. Wender PH (1995) Attention-deficit hyperactivity disorder in adults. Oxford University Press, New York 38. Wender PH, Wolf LE, Wasserstein J (2001) Adults with ADHD. An overview. Ann N Y Acad Sci 931: 1–16 Das vollständige Literaturverzeichnis ... ... finden Sie in der html-Version dieses Beitrags im Online-Archiv auf der Zeitschriftenhomepage www.MonatsschriftKinderheilkunde.de