MEDIZINISCHER FORTSCHRITT: IGA-NEPHROPATHIE J. V. DONADIO, J. P. GRANDE Mayo Clinic and Mayo Foundation, Rochester, Minn., USA ÜBERSICHT: IGA-NEPHROPATHIE Bei der IgA-Nephropathie handelt es sich um eine eigentlich noch nicht so lange bekannte Erkrankung. Sie wurde erstmals von Berger und Hinglais in 1968 beschrieben. Sie gilt heute allgemein als die weltweit häufigste Form von primärer Glomerulonephritis. Die IgA-Nephropathie ist eine durch den Immunkomplex vermittelte Glomerulonephritis, die immunhistologisch durch Vorliegen von glomerulären IgA-Ablagerungen neben einer Vielzahl von histopathologischen Läsionen definiert wird. Auch wenn die primäre IgA-Nephropathie die größte Aufmerksamkeit erfährt, gehen viele andere Erkrankungen ebenfalls mit glomerulären IgA-Ablagerungen einher (Tabelle 1). Der gängigste Krankheitstyp ist hier die Schönlein-Henoch-Purpura. Es kann tatsächlich vorkommen, dass sich dieses Krankheitsbild nicht von der primären IgA-Nephropathie unterscheiden lässt und eine systemische Form des Erkrankungsprozesses darstellen könnte. Die IgA-Nephropathie wurde zwar über Jahre hinweg als eine gutartige Erkrankung angesehen, man ist sich aber inzwischen sicher, dass eine große Zahl von Fällen in ein Nierenversagen übergeht. In der Tat stellt die IgA-Nephropathie die Hauptursache für terminale Nierenerkrankung bei Patienten mit primärer glomerulärer Erkrankung dar, die eine Nierenersatzbehandlung benötigen. DEMOGRAPHISCHE MERKMALE Die primäre IgA-Nephropathie kann in jedem Lebensalter auftreten, wobei sie meistens im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt klinisch in Erscheinung tritt. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Erkrankten ist je nach Land unterschiedlich, von unter 2:1 in Japan bis zu 6:1 in Nordeuropa und den Hauptursachen • IgA-Nephropathie • Schönlein-Henoch-Purpura Sekundäre Ursachen • Lebererkrankungen: alkoholbedingt, primäre biliäre oder krytogene Zirrhose; Hepatitis B (in Endemiegebieten); chronische Schistosomiasis • Darmerkrankungen: Zöliakie, chronische ulzerative Kolitis; Morbus Crohn • Hauterkrankungen: Dermatitis herpetiformis, Psoriasis • Bronchien- und Lungenerkrankungen: Sarkoidose, idiopathische pulmonale Hämosiderose, zystische Fibrose, Bronchiolitis obliterans • Neoplasie: Karzinome der Lungen, des Larynx und Pankreas, Mycosis fungoides • Infektion: HIV, Lepra • Andere systemische oder immunologische Störungen: systemischer Lupus erythematosus, rheumatoide Arthritis, Cryo-Immunglobulinämie, Psoriasis-Arthritis, Gelenkversteifung, Sjögren-Syndrom, Behcet-Syndrom, Reiter-Syndrom, familiäre Immun-Thrombozytopenie, Autoantikörper-vermitteltes (monoklonale IgA-vermittelt) Goodpasture-Syndrom • Erkrankungen gleichzeitig mit IgA-Nephropathie: mit antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern assoziierte Vaskulitis, diabetische Nephropathie, membranöse Nephropathie, Wegenersche Granulomatose TABELLE 1: Erkrankungen in Verbindung mit der glomerulären Ablagerung von IgA 71 J nephrol Team 2-2004 J. V. DONADIO, J. P. GRANDE Vereinigten Staaten. Darüber hinaus neigen Weiße und Asiaten eher zu einer IgANephropathie als Schwarze aus den USA und Südafrika. Für die niedrigere Prävalenz bei der schwarzen Bevölkerung gibt es keine Erklärung. Es scheint eine geringes Auftreten der Erkrankung bei Polynesiern aus Neuseeland und ein hohes bei den gebürtigen Amerikanern aus New Mexiko und den Aborigines in Australien zu geben. VORKOMMEN DER ERKRANKUNG 72 J nephrol Team 2-2004 Einige wenige epidemiologische Studien haben sich mit dem Vorkommen der primären IgA-Nephropathie in verschiedenen Bevölkerungen weltweit beschäftigt. Das berichtete Vorkommen in drei Regionen von Frankreich und jeweils einer Region in den Niederlanden, Deutschland und Italien schwankte von 15 bis 40 neuen Fällen pro Million Einwohner pro Jahr. Im Gegensatz dazu berichtete eine Studie in den Vereinigten Staaten einen Anstieg von 5 Fällen (von 1975 bis 1979) auf 12 Fälle (von 1990 bis 1994) pro Million Einwohner pro Jahr (im östlichen und mittleren Teil des Bundesstaates Kentucky). In den meisten Berichten aus Kohortenstudien in entsprechenden Zentren werden die Prävalenzraten als Prozent der Fälle von primärer Glomerulonephritis oder als Prozentsatz der Gesamtserie von Nierenbiopsien angegeben. Das Auftreten der Erkrankung scheint in Asien (Singapur, Japan und Hongkong), Australien, Finnland und Südeuropa am höchsten zu sein (20 bis 40 Prozent). In Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten liegen die Zahlen viel niedriger. In den USA beispielsweise liegt die Häufigkeit der IgA-Nephropathie bei lediglich 2 bis 10 Prozent, mit Ausnahme der Amerikaner aus New Mexiko, wo die Prävalenzrate mit 38 Prozent angegeben wird. Auch wenn genetische Unterschiede die regionalen Schwankungen in der Erkrankungshäufigkeit teilweise erklären können, kann hier auch die unterschiedliche Praxis der Nierenbiopsie in den einzelnen Zentren eine Rolle spielen. Zum Beispiel kann die IgA-Nephropathie häufiger erkannt werden, wenn sich Patienten mit leichten Abweichungen im Urinbefund einer Biopsie unterziehen. In Japan wird ein Routine-Screening zur Erkennung von anormalen Harnbefunden bei allen Kindern im Schulalter durchgeführt. Darüber hinaus werden symptomfreie Personen mit mikroskopischer Hämaturie eher einer Nierenbiopsie unterzogen, was zur höheren Diagnose einer IgANephropathie führt. Im Gegensatz dazu läuft die gängige Praxis in Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten darauf hinaus, dass bei Patienten mit isolierter Hämaturie oder leichter Proteinurie keine Nierenbiopsie empfohlen wird; die Untersuchung des Nierengewebes bleibt denjenigen Personen vorbehalten, bei denen sich eine steigende Proteinurie oder eine abnehmende Nierenfunktion entwickelt. Die Zurückhaltung bei der Durchführung von Nierenbiopsien führt unausweichlich zu einer geringeren Zahl von Fällen von IgA-Nephropathie, die in der Allgemeinbevölkerung dieser Länder berichtet werden. URSACHEN UND GENETISCHE FAKTOREN Die Ursache der primären IgA-Nephropathie ist nicht bekannt. Es konnten keine beständigen infektiösen oder umweltbezogenen Stoffe identifiziert werden, die als für die IgA-Antikörper-Response verantwortlich betrachtet werden können. Isolierte Fälle von IgA-Nephropathie sind üblich, die Krankheit gilt nicht als familiär bedingt. Es wurde jedoch nahe gelegt, dass es immungenetische Faktoren geben könnte, die einige Personen für eine IgA-Nephropathie anfällig machen können, und es wurde auch ein familiäres Cluster berichtet. Einige Studien haben beispielsweise eine Verbindung zwischen dem Auftreten einer IgA-Nephropathie sowie der Progression der Erkrankung und bestimmten HLA-Antigenen hergestellt, während andere Autoren hier keinen Zusammenhang sahen. Es wurden keine durchgehenden genetischen Störungen identifiziert, die die Entwicklung oder Progression einer IgA-Nephropathie vorhersagen würden. Die genetische Analyse einer familiären IgA-Nephropathie ist der am meisten versprechende Ansatz, um Gene der IgA-Nepropathie oder einer IgA-Anfälligkeit zu identifizieren. In einer neueren Multizenterstudie wurden beispielsweise 30 Familien mit IgA-Nephropathie (24 aus Italien und 6 aus den USA) mit Hilfe eines kompletten Genom-Scanning analysiert. Die Analyse zeigte eine enge Verbindung – in 60 Prozent der verbundenen Nachkommen – mit dem Merkmal 6q22-23, einer 6,5-cM-Region, gebunden durch die polymorphen Marker D6S1702 und D6S262 auf Chromosom 6, mit einem MEDIZINISCHER FORTSCHRITT: IGA-NEPHROPATHIE maximalen Odds-Wahrscheinlichkeitsscore von 5,6 an D6S1040. Solche Befunde stützen die Annahme, dass die familiäre IgANephropathie eine komplexe Erkrankung ist, die von einem oder mehreren Genen in Kombination mit umgebenden Bedingungen ausgelöst wird. PATHOGENESE Klinische Beobachtungen an Patienten, die sich einer Nierentransplantation unterzogen haben, sprechen deutlich für die Annahme, dass es sich bei der IgA-Nephropathie um eine Systemerkrankung handelt. Der histologische Nachweis einer rekurrierenden IgANephropathie wird bei mehr als 35 Prozent der Patienten beobachtet, die zur Behandlung einer terminalen Nierenerkrankung infolge IgA-Nephropathie ein Nierentransplantat erhalten haben. Wird eine Niere aus einem Spender mit asymptomatischer IgANephropathie in einen Empfänger mit terminaler Nierenerkrankung transplantiert, die durch eine andere Erkrankung als die IgANephropathie verursacht ist, dann verschwinden die Ablagerungen in der Spenderniere schnell. Einige, aber nicht alle Patienten mit IgA-Nephropathie weisen erhöhte IgA-Serumspiegel oder erhöhte IgA-Spiegel in einem Komplex mit Fibronektin auf. Es konnte jedoch kein Antigen durchgehend in den zirkulierenden Immunkomplexen mit IgA oder in Biopsieproben von Nieren bei Patienten mit IgA-Nephropathie ausgemacht werden. Der Mensch produziert zwei Isotyp-Subklassen von IGA – IgA1 und IgA2. Plasmazellen in Verbindung mit dem Verdauungstrakt und den Atmungswegen produzieren beides, IgA1 und IgA2, während Plasmazellen im Knochenmark, den Lymphknoten und der Milz vorwiegend IgA1 produzieren. Die glomerulären IgA-Ablagerungen bei der IgANephropathie scheinen ausschließlich von der IgA1-Subklasse zu sein. Trotz intensiver Forschungen konnte der einer glomerulären IgA-Ablagerung bei IgA-Nephropathie zugrunde liegende Mechanismus nicht definiert werden. Mögliche Mechanismen sind in Abbildung 1 dargestellt. Der Beginn einer IgA-Nephropathie könnte in Zusammenhang mit Infektionen der oberen Atemwege stehen. Aus diesem Grund wurde vorgeschlagen, dass die IgA-Nephropathie aus einer Hyperaktivität des Schleimhaut-Immunsystems entsteht. Die gängigen Beobachtungen sprechen jedoch dafür, dass die Schleimhaut-Immunität, die zum Teil von IgA gesteuert wird, bei Patienten mit IgANephropathie verringert ist. Mukosa-TZellen, die von Patienten mit IgA-Nephropathie isoliert wurden, zeigen eine verringerte Expression der Gene, die für Vγ3 und Vδ3 kodieren, im Vergleich zu normalen Kontrollen. Diese variablen Regionen zählen zu den am häufigsten von γ/δ-Zellen der Mukosa exprimierten bei normalen Personen. Die möglichen Mechanismen, durch die dieser ABBILDUNG 1: Mögliche zugrunde liegende Mechanismen für glomeruläre Ablagerung von IgA und Progression der Nierenerkrankung bei IgA-Nephropathie. Eine verringerte IgA-Response auf Mukosa-Antigene könnte die erhöhte Produktion von polymeren IgA1 durch das Knochenmark fördern, was zu erhöhten Serumspiegeln von IgA1 führt. Eine fehlerhafte Galaktosylierung von IgA1, vielleicht aufgrund einer geschwächten β1,3-Galactosyl-Transferase-Aktivität, könnte die IgA1-Clearance in der Leber verringern und das Anbinden von IgA1-Komplexen an glomeruläre Mesangialzellen fördern. IgA1-Ablagerungen in den Nieren triggern die Produktion einer Reihe von Zytokinen und Wachstumsfaktoren durch Nierenzellen und zirkulierende Entzündungszellen, was zu den charakteristischen histopathologischen Merkmalen der Mesangialzellen-Proliferation und Extrazellularmatrix-Ablagerung führt. 73 J nephrol Team 2-2004 J. V. DONADIO, J. P. GRANDE Defekt der Mukosa-T-Zellen die glomeruläre Ablagerung von IgA bei Patienten mit IgANephropathie vorantreibt, bleiben noch zu definieren. Bei einigen Patienten mit IgANephropathie ist die Produktion von IgA1 im Knochenmark erhöht und könnte für den beobachteten Anstieg der IgA1-Serumspiegel verantwortlich sein. Die erhöhte Produktion von IgA reicht nicht aus, um eine IgA-Nephropathie hervorzurufen. Patienten mit IgA absondernden Myelomen oder Patienten mit HIV-Infektion weisen zum Beispiel häufig deutlich erhöhte IgA-Serumspiegel auf, leiden aber selten an einer IgA-Nephropathie. Aus diesem Grund haben sich neuere Studien auf die möglichen Störungen des IgA-Moleküls als einen Faktor in der Pathogenese der IgA-Nephropathie konzentriert. IgA1 ist – wie andere Immunglobuline auch – stark glykosyliert. Zucker ist durch zwei Arten von Bindung an Proteine gebunden. N-gebundene Zucker sind komplexe Strukturen, die an AsparginReste gebunden sind, und finden sich häufig auf zirkulierenden Proteinen; O-gebundene Zucker bestehen aus einfachen Zuckerketten, die an Serin- oder Threonin-Reste gebunden sind. O-gebundene Zucker sind auf den Zelloberflächen-Proteinen weit verbreitet, auf zirkulierenden Proteinen jedoch selten zu finden. Ein einzigartiges Merkmal von IgA1 ist das Vorhandensein von zahlreichen O-Glykosylierungsorten innerhalb der Scharnierregion; IgA2 und andere Immunglobuline besitzen keine solchen Orte (Abb. 2A). Diese O-gebundenen Zucker bestehen aus N-Acetyl-Galaktosaminen, die ABBILDUNG 2: Die Struktur eines normalen IgA1-Moleküls (Abb. A) und die Struktur von Kohlenhydraten, die an Serin- oder Threoninreste O-gebunden sind, innerhalb der Scharnierregion der normalen IgA1 (Abb. B) CH1, CH2 und CH3 bezeichnen konstante Regionen der schweren Kette (=H-Kette), und VH bezeichnet die variable Region der schweren Kette. CL und VL beziehen sich auf die konstanten bzw. variablen Regionen. Die IgA1-H-Kette enthält eine Scharnierregion zwischen den CH1- und CH2-Regionen. N-AcetylGlukosamin (GaINAc) ist O-gebunden an Serin (Ser)- oder Threonin (Thr)-Reste innerhalb der Scharnierregion des IgA1Moleküls. N-Acetyl-Glukosamin ist durch die Wirkung des Enzyms β1,3-Galaktosyl-Transferase an Galaktose (Gal) gebunden. Sialinsäure ist an Galaktose gebunden über eine α2,3Verbindung und an N-Acetyl-Glukosamin über eine α2,6Verbindung. 74 J nephrol Team 2-2004 an Serin oder Threonin O-gebunden sind. Galaktose ist durch eine β1,3-Bindung mit N-Acetyl-Galaktosamin verbunden und Sialinsäure ist durch α1,3-Bindungen bzw. α2,6Bindungen der Galaktose oder N-AcetylGalaktosamin zugefügt (Abb. 2B). Neuere Studien haben gezeigt, dass ein Defekt in der Galaktosylierung von IgA1 vorliegt, sowohl im Serum als auch in IgA1, ausgewaschen aus Nephrektomie-Proben von Patienten mit IgA-Nephropathie. IgA1 aus Patienten mit IgA-Nephropathie überlebt nach Injektion in Mäuse länger im Blutkreislauf als IgA1, das aus gesunden Kontrollen isoliert wurde. Die Inkubation von IgA1 aus normalen Patienten mit β-Galaktosidase erhöht dessen Bindung an menschliche Mesangialzellen. Diese Beobachtung legt nahe, dass Mesangialzellen einen Rezeptor für IgA1 besitzen, der eine Spezifität für untergalaktosyliertes IgA1 zeigen könnte. Die Art dieses vermeintlichen IgA1-Rezeptors auf Mesangialzellen bleibt jedoch noch zu charakterisieren. Neuere Studien haben herausgefunden, dass die Aktivität von β1,3Galaktosyl-Transferase in Leukozyten bei Patienten mit IgA-Nephropathie verringert ist. Eine verringerte Aktivität dieses Enzyms, das den Anbau von Galaktose an N-AcetylGalaktosamin-Reste auf O-gebundenen Glykanen fördert, könnte für die mangelnde Galaktosylierung von IgA1 bei Patienten mit IgA-Nephropathie verantwortlich sein. Die Grundlage für die geringere Aktivität der β1,3-Galaktosyl-Transferase bei der IgANephropathie ist nicht bekannt. MEDIZINISCHER FORTSCHRITT: IGA-NEPHROPATHIE Die Clearance von IgA1 in der Leber ist bei Patienten mit IgA-Nephropathie verringert. Der Asialoglykoprotein-Rezeptor in der Leber, der die terminalen Galaktose-Reste erkennt, ist der hauptsächliche Ort für den IgA-Abbau. Jedoch bleibt die Rolle dieses Rezeptors bei der Clearance von untergalaktosyliertem IgA1 bei der IgA-Nephropathie noch zu definieren. Sobald IgA1-haltige Immunkomplexe sich in den Nieren abgelagert haben, werden diese mit glomerulärer Entzündung assoziiert. Eine Anzahl von Zytokinen und Wachstumsfaktoren wurden mit der Entwicklung und Progression einer Nierenschädigung bei Patienten mit IgA-Nephropathie in Verbindung gebracht. Zum Beispiel induziert ein Serumfaktor, wahrscheinlich ein Lektin, das bei Patienten mit IgA-Nephropathie vorliegt, die Expression von Interleukin-6 durch periphere mononukleare Zellen. Lektine können ebenso die Interleukin-6-Sekretion über Mesangialzellen fördern. Interleukin-6 fördert die Proliferation von Mesangialzellen und die Synthese von Makromolekülen der extrazellulären Matrix. Erhöhte Expression von Interleukin-6 in den Nieren und Ausscheidung über den Urin korreliert mit dem Ausmaß der Nierenschädigung bei Patienten mit IgANephropathie. Ein Plättchen-abgeleiteter Wachstumsfaktor wurde für die Proliferation von Mesangialzellen bei Patienten mit IgANephropathie und anderen glomerulären Erkrankungen verantwortlich gemacht. Der transformierende Wachstumsfaktor β1 (TGFβ1) stellte sich als ein dominierendes fibrogenes Zytokin heraus, das zu Glomerulosklerose, interstitieller Fibrose und tubulärer Atrophie führt. Das Vorhandensein von TGF-β1 in den Nieren korreliert mit der Schwere des tubulointerstitiellen Schadens bei Patienten mit IgA-Nephropathie. Die meisten derzeit bei IgA-Nephropathie durchgeführten Therapien zielen auf diese nicht immunvermittelten Mechanismen der Progression der Nierenerkrankung ab. PATHOLOGIE Abbildung 3 zeigt die typischen Merkmale der IgA-Nephropathie, wie sie mit Lichtmikroskopie, in Immunfluoreszenzstudien und mit Elektronenmikroskopie identifiziert werden können. Die häufigste lichtmikroskopisch auffindbare Veränderung im Rahmen einer IgA-Nephropathie ist eine fokale oder diffuse Expansion von mesangialen Regionen, mit Zellen und Matrix. Eine Ausweitung ABBILDUNG 3: Typische morphologische Veränderungen bei der IgA-Nephropathie In Bild A zeigt in Lichtmikroskopie (x400) eine Ausweitung der Mesangialregionen mit Zellen und Matrix (periodische Säure-Schiff-Färbung). In Bild B zeigt die Immunfluoreszenz-Mikroskopie (x400) die Ablagerung von IgA vorwiegend innerhalb der Mesangialregionen der Glomeruli. In Bild C ergibt die elektronen-photomikrographische Untersuchung (x6000) elektronendichte Ablagerungen innerhalb der Mesangialregionen. von Mesangialzellen und -matrix ist keineswegs ein spezifischer Befund für die IgANephropathie und kann bei einer Reihe von anderen Nierenerkrankungen einschließlich diabetischer Nephropathie, fokal-segmen- 75 J nephrol Team 2-2004 J. V. DONADIO, J. P. GRANDE taler Glomerulosklerose und einer Reihe von glomerulären Läsionen bei systemischen Erkrankungen beobachtet werden. Darüber hinaus kann man in der lichtmikroskopischen Untersuchung bei Patienten mit IgANephropathie eine Vielzahl von Läsionen erkennen; dazu zählen diffuse endokapillare Proliferation, segmentale Sklerose, segmentale Nekrose und die Bildung von halbmondförmigen Zellen. Da die lichtmikroskopisch identifizierten Merkmale der IgA-Nephropathie unspezifisch sind, sind Immunfluoreszenz- oder Immunperoxidase-Studien, die eine vorwiegende Ablagerung von IgA nachweisen, unbedingt erforderlich, um eine definitive Diagnose der IgA-Nephropathie stellen zu können. Die Immunkomplex-Ablagerungen werden vorwiegend innerhalb von mesangialen Bereichen von Glomeruli gefunden, mit fokaler paramesangialer oder subendothelialer Ausbreitung. Eine Reihe von anderen Immunglobulinen und Komplement treten bei IgA häufig mit auf, darunter IgM, IgG, C3, Lambda-Leichtketten und Kappa-Leichtketten. Elektronendichte Ablagerungen lassen sich elektronenmikroskopisch nachweisen, hauptsächlich innerhalb von mesangialen Bereichen von Glomeruli. Man kann eventuell auch eine fokale oder diffuse Expansion von mesangialen Bereichen – mit Zellen, Matrix oder beidem – beobachten. Zusätzlich zu den glomerulären Veränderungen kann man bei Patienten mit IgANephropathie eine Reihe von tubulointerstitiellen und vaskulären Veränderungen erkennen, darunter die interstitielle Fibrose, tubuläre Atrophie, interstitielle Entzündung, vaskuläre Sklerose oder Abdrucke von Erythrozyten und proteinartige Abdrucke innerhalb der Tubuli. Diese Merkmale können auch bei progressiver Nierenerkrankung jedweder Genese beobachtet werden. Trotzdem kann die genaue Untersuchung dieser Merkmale wichtige prognostische Informationen für Patienten mit IgA-Nephropathie liefern. KLINISCHE MERKMALE 76 J nephrol Team 2-2004 In den frühen Erkrankungsstadien weisen viele Patienten keinerlei offensichtliche Symptome auf und sind sich keinerlei Probleme bewusst. Bei diesen Patienten kann eine IgA-Nephropathie lediglich während eines routinemäßigen Screenings oder bei der Untersuchung eines anderen Krankheitsbildes vermutet werden. Es gibt jedoch auch Patienten, die eine aggressive Erkrankung zeigen. Im Allgemeinen gibt es nur wenige charakteristische klinische Anzeichen; mikroskopische Hämaturie und Proteinurie können jedoch über viele Jahre hinweg anhaltend oder mit Unterbrechungen beobachtet werden. Patienten mit IgA-Nephropathie zeigen meistens eines der folgenden Krankheitsbilder: Episoden mit makroskopischer Hämaturie (teefarbener Urin), die mit einer Infektion der oberen Atemwege zusammenfallen können (dies kommt meistens bei Patienten unter 40 Jahre vor, und die Hämaturie wird oft von Lendenschmerzen begleitet) oder unnormales Sediment im Urin und Proteinurie bei Patienten ohne Symptome (dies ist häufiger bei älteren Patienten der Fall, wird aber auch bei Patienten jedes Alters beobachtet). Es ist wichtig, dass die Patienten sich in einem frühen Stadium weiteren Untersuchungen unterziehen (Tabelle 2), trotz der Tendenz vieler Ärzte, erst dann zu reagieren, wenn die Nierenfunktion deutlich beeinträchtigt ist. Eine definitive Diagnose der IgA-Nephropathie ist nur durch eine Nierenbiopsie und eine immunhistologische Untersuchung möglich. Bis zu 20 Prozent der Patienten mit IgA-Nephropathie weisen eine schwere Azotämie auf, die eine lange dauernde Erkrankung darstellt, die sich von den klassischen Krankheitsbildern unterscheidet, entweder dadurch, dass der Patient nicht frühzeitig genug ärztlich untersucht wurde oder weil der Patient erst spät ohne etablierte Diagnose überwiesen wurde. Wie vorher besprochen, ist die Entscheidung eines Nephrologen, bei einem Patienten ohne Symptome, der eine mikroskopische Hämaturie und eine leichte Proteinurie aufweist, eine Nierenbiopsie zu empfehlen, von Region zu Region verschieden und bleibt auch dann umstritten, wenn eine IgANephropathie stark vermutet wird. Dies geht teilweise auf fehlende effektive Behandlungsmöglichkeiten in den frühen Stadien der Erkrankung zurück und auf die Feststellung, dass vielleicht keine Behandlung erforderlich ist. Darüber hinaus gibt es – auch wenn einige leichte Fälle sich zu einem Nierenversagen entwickeln – keine durchgehenden genetischen, immunologischen, klinischen oder morphologischen Marker, die eine progressive Erkrankung bei einem symptomlosen Patienten mit geringfügigen Abweichungen des Urinbefundes vorhersagen könnten. MEDIZINISCHER FORTSCHRITT: IGA-NEPHROPATHIE Test Urinanalyse Urinanalyse für Proteinurie 24-Std.-ProteinBestimmung Verhältnis Protein:Kreatinin oder Protein:Osmolalität Nierenfunktion Nierenbiopsie Klinische Bedeutung Am ersten Morgen wird das Urinsediment in einer frisch entnommenen Probe untersucht auf das Vorhandensein von Erythrozyten, Leukozyten und Erythrozytenformen, die auf eine glomeruläre Schädigung hindeuten. Der physikochemische Test durch Eintauchen (z. B. Albustix) oder Coomassie-Blau reagiert auf Albumin sensibler als auf Globuline. Die Tests können eine Proteinurie bei Patienten mit tubulären Proteinen oder anormalen Globulinen wie Myelomaproteine übersehen. Dieser Test erfordert eine akkurate Urinsammlung, was bei großen Patientenzahlen mühsam ist – z. B. bei Patienten im Rahmen einer klinischen Multizenterstudie Eine zufällige oder erste Morgenurinprobe wird gesammelt. Damit lässt sich eine anormale Proteinausscheidung exakt bestimmen, insbesondere bei Patienten mit einem größeren Grad an Proteinurie. Der Test kann verwendet werden, um die Wirksamkeit der Therapie zu bestimmen, und vermeidet Ungenauigkeiten der 24-Std.-Urinsammlungen Serielle direkte oder reziproke Kreatininbestimmungen messen die Veränderung der Nierenfunktion über die Zeit hinweg (Kurve), die Schätzungen der glomerulären Filtrationsrate (z. B. Inulin, Iothalamat und Kreatinin-Clearance) sind genauere Maße für die Nierenfunktion als das Serumkreatinin, klinisch jedoch weniger nützlich. Eine immunhistologische Untersuchung wird nötig, wenn eine exakte Diagnose der IgA-Nephropathie gestellt werden soll, mit einem Befund von überwiegender oder gleich großer Ablagerung von IgA, meistens innerhalb der Mesangialregionen von Glomeruli. ERGEBNIS Die primäre IgA-Nephropathie zeichnet sich durch einen sehr unterschiedlichen Krankheitsverlauf aus, der von einer total gutartigen Erkrankungssituation bis hin zu einem rasch progressiven Nierenversagen schwanken kann. 15 bis 40 Prozent der Patienten werden möglicherweise ein terminales Nierenversagen entwickeln. Bei den meisten dieser Patienten entwickelt sich eine chronische, langsam progressive Nierenerkrankung. Während der letzten 10 Jahre wurden in vielen weltweit durchgeführten Studien an großen Patientenkohorten Merkmale (klinisch, pathologisch und Labor) berichtet, die eine progressive Nierenerkrankung vorhersagen. Sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen treten Hypertension, hohe glomeruläre histologische Werte, anhaltende mikroskopische Hämaturie und Proteinurie von über 1 g pro 24 Stunden und eine verschlechterte Nierenfunktion zum Zeitpunkt der Diagnose als ständige und starke Prädiktoren einer schlechten Nierenprognose hervor. Bei der Mehrheit der Patienten sind die prognostischen Indikatoren von Fall zu Fall schwach. Andererseits ist es nützlich, ein Profil von klinisch-pathologischen Merkmalen aufzustellen, um festlegen zu können, für welche Patienten das größte Risiko einer Progression zum Nierenversagen besteht; bei diesen Patienten können dann die Behandlungsstrategien darauf ausgerichtet werden, die Progression zu verlangsamen oder aufzuhalten. Ein besseres Verständnis der Pathogenese dieser Erkrankung könnte hilfreich sein bei der Ausarbeitung von Methoden zur Beurteilung der Aktivität als eine Prognosebasis. Im Rahmen einer neueren Entwicklung bezüglich der Prognosebeurteilung kam es zu kontroversen Diskussionen darüber, ob Polymorphismen in den Genen, die das Angiotensin-converting Enzym und Angiotensinogen kodieren, mit einem hyperfunktionierenden Renin-Angiotensin-System bei der primären IgA-Nephropathie in Verbindung stehen. Die Hypothese lautet, dass eine erhöhte Produktion oder Aktivität von Angiotensin II und verringerte Bradykininspiegel eine schädliche Rolle bei der glomerulären Response auf eine Schädigung spie- TABELLE 2: Diagnose der IgANephropathie 77 J nephrol Team 2-2004 J. V. DONADIO, J. P. GRANDE len, was zu einem progressiven Verlust der Nierenfunktion führt. Nach der Entdeckung eines Insertion-Deletion (I/D)-Polymorphismus im Intron 16 des Gens, welches das „ human angiotensin-converting enzym“ kodiert, wurden Berichte über starke Assoziationen zwischen dem D-Allel und kardiovaskulären Erkrankungen – einschließlich Myokardinfarkt, linksventrikuläre Hypertrophie und Hypertension sowie progressive diabetische und nichtdiabetische Nephropathien – veröffentlicht. Erste positive Ergebnisse bei der primären IgA-Nephropathie wurden in Follow-up-Studien nicht bestätigt. BEHANDLUNG Bis vor kurzem war für Patienten mit IgANephropathie noch keine effektive Behandlung verfügbar. Auch wenn nach wie vor noch keine Heilung möglich ist, gibt es zunehmend Behandlungsoptionen, die darauf abzielen, die Progression zu verlangsamen. Nachdem die IgA-Nephropathie bis zu 1,3 Prozent der Bevölkerung betreffen könnte, besteht ein Bedarf an neuen therapeutischen Wirkstoffen, die in der Lage sind, die Nierenfunktion aufrechtzuerhalten. Für Patienten mit nur geringen Anomalien im Urinbefund, die nicht unter Hypertension leiden, besteht allgemein Übereinstimmung, keine spezielle Behandlung anzubieten, sondern diese Patienten über viele Jahre hinweg prospektiv zu verfolgen. Bei bis zu 23 Prozent der Patienten wird es zur kompletten Remission kommen. In den vergangenen Jahren wurden mit Hilfe von verschiedenen Behandlungsmodi bei Risikopatienten deutliche Fortschritte erzielt für den Schutz vor progressiver Nierenerkrankung; zu diesen Behandlungen zählen Angiotensin-converting Enzyminhibitoren, Kortikosteroide und mehrfach ungesättigte Fettsäuren (n-3). Angiotensin-converting Enzyminhibitoren 78 J nephrol Team 2-2004 Es gilt als gesichert, dass Angiotensin-converting Enzyminhibitoren das Risiko einer progressiven Nierenerkrankung bei Patienten mit Typ-I-diabetischer Nephropathie, hypertensiver Nephrosklerose und chronischer, nichtdiabetischer glomerulärer und interstitieller Nierenerkrankung verringern. Es konnte jedoch keine Studie zeigen, dass Angiotensin-converting Inhibitoren die Nie- renfunktion bei Patienten mit IgA-Nephropathie schützen. Ein Rückgang der Proteinurie wird von vielen Forschern als das Zeichen einer effektiven Behandlung beim Schutz der Nierenfunktion bei nichtdiabetischen Nierenerkrankungen angesehen. Für die IgA-Nephropathie haben jedoch drei randomisierte klinische Studien sowie eine große retrospektive Kohortenstudie herausgefunden, dass eine Vielzahl von Angiotensinconverting Enzyminhibitoren die Eiweißausscheidung im Urin leicht abgesenkt haben, ohne eine gleichzeitige Verbesserung der Nierenfunktion. Es sind weitere Langzeitstudien erforderlich, um herauszufinden, ob eine Verringerung der Proteinurie mit einer verbesserten oder aufrechterhaltenen Nierenfunktion einhergeht. Es gibt nur wenige Daten zur Wirkung einer Kombinationstherapie mit Angiotensinconverting Enzyminhibitoren und Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptorantagonisten auf die Proteinurie. In zwei kleineren Studien an Patienten mit IgA-Nephropathie schien die Kombination von Losartan und Angiotensinconverting Enzyminhibitoren einen additiven Effekt auf die Verringerung der Eiweißausscheidung im Urin zu haben, während eine Verdoppelung der Dosis bei Monotherapie keine Wirkung zeigte. Trotz ihrer fehlenden Wirksamkeit beim Schutz der Nierenfunktion bei Patienten mit IgA-Nephropathie in diesen kurzfristigen Studien werden Angiotensin-converting Enzyminhibitoren auf breiter Basis verwendet, um den Blutdruck zu senken und die Proteinurie zu verringern, wobei beide dieser Faktoren als veränderbare Risikofaktoren für eine progressive Erkrankung betrachtet werden. Kortikosteroide Kortikosteroide werden aufgrund ihrer entzündungshemmenden und immunsuppressiven Eigenschaften seit mehr als 20 Jahren bei der Behandlung von IgA-Nephropathie eingesetzt. In einer kürzlich veröffentlichten, randomisierten, kontrollierten Studie wurde gezeigt, dass eine Behandlung mit Steroiden (1g intravenöses Methylprednisolon täglich drei Tage lang zu Beginn der Monate 1, 3 und 5 plus 0,5mg orales Prednison pro Kg/Körpergewicht jeden zweiten Tag über 6 Monate hinweg) die Proteinurie um 50 Prozent nach sechs Monaten und das Risiko eines 50-prozentigen Anstiegs des Kreati- MEDIZINISCHER FORTSCHRITT: IGA-NEPHROPATHIE ninspiegels im Serum um 36 Prozent nach fünf Jahren verringert. Zwei weitere randomisierte Studien an kleineren Patientenkohorten zeigten ein ähnliches Absenken der Eiweißspiegel im Urin bei einer Therapie mit Steroiden, jedoch wurde keine Auswirkung auf die Nierenfunktion beobachtet. Nephrotische Rückfälle und Steroidabhängigkeit wurden ebenfalls beschrieben. Eine Studie, in der Kortikosteroide plus Azathioprin mit Kortikosteroiden allein verglichen werden, wurde in Italien durchgeführt; diese Studie hat sich zum Ziel gesetzt herauszufinden, ob die Kombination effektiver und weniger toxisch sein könnte als eine alleinige Steroidbehandlung. n-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren Das Grundprinzip für die Verwendung von n-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die in Nahrungsergänzungen aus Fischöl enthalten sind, umfasst potentielle Mechanismen, die eine Nierenentzündung und Glomerulosklerose, beides Anzeichen für eine progressive Nierenerkrankung, verringern. Die Wirksamkeit von Fischöl wurde an Patienten mit IgA-Nephropathie in vier randomisierten Studien getestet – mit unterschiedlichem Erfolg; zwei Studien zeigten, dass durch die Behandlung die Nierenfunktion stabilisiert werden konnte, und zwei berichteten über eine Abnahme der Nierenfunktion. Eine Metaanalyse dieser vier randomisierten Studien plus einer kleineren, nicht randomisierten Studie ergab, dass die Wahrscheinlichkeit eines zumindest kleinen günstigen Effektes auf die Beibehaltung der Nierenfunktion bei 75 Prozent lag. Bei der größten Studie handelte es sich um eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie an Patienten mit anhaltender Proteinurie (über 1 g pro 24 Std.) und sich verschlechternder Nierenfunktion (Kreatininspiegel unter 3,0 mg pro Deziliter [265 µmol pro Liter] zu Studienbeginn). Diese Studie lieferte einen starken Nachweis dafür, dass eine Behandlung über 2 Jahre mit einer täglichen Dosis von 1,8 g Eicosapentaenolsäure und 1,2 g Docosahexaenolsäure das Risiko eines 50-prozentigen Anstiegs im Serum-Kreatininspiegel um 82 Prozent reduziert. Die Behandlung führte auch zu einem um 67 Prozent niedrigeren Risiko für Tod oder terminales Nierenversagen. Die auf das Jahr berechnete mittlere Veränderung in der Kreatininclearance ergab einen Anstieg von nur 0,3 ml pro Minute pro 1,73 m2 Körper- oberfläche bei Patienten unter FischölBehandlung, im Vergleich zu einer Abnahme von 7,1 ml pro Minute pro 1,73 m2 bei Patienten, die ein Plazebo erhielten. Diese Vorteile waren nach 6,4 Jahren Follow-up noch sichtbar. Erst vor kurzem wurden bei Patienten mit schwerer IgA-Nephropathie die Effekte einer täglichen, hochdosierten Behandlung (3,76 g Eicosapentaenolsäure und 2,94 g Docosahexaenolsäure) im Vergleich zu einer standardmäßig dosierten Behandlung (1,88 g Eicosapentaenolsäure und 1,47 g Docosahexaenolsäure) mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren, in Form eines hoch gereinigten Ethylester-Konzentrates (Omacor, Pronova Biocare), untersucht. Die Dosierungen zeigten eine ähnliche Verlangsamung der Rate für den Verlust der Nierenfunktion, insbesondere bei Patienten mit leicht fortgeschrittener Nierenerkrankung (definiert als SerumKreatininspiegel bis zu 3,0 mg pro Deziliter [265 µmol pro Liter] und Proteinurie über 500 mg pro 24 Std.). Angesichts der Unterschiede in den Ergebnissen der vier klinischen Studien mit Fischöl wird in den Vereinigten Staaten derzeit eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie an Kindern und jungen Erwachsenen durchgeführt, um die Frage zu klären, was denn die bessere Behandlung bei Patienten mit Risiko einer progressiven Nierenerkrankung sei: Kortikosteroide oder n-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Andere Behandlungen Anekdotenhafte Berichte haben eine Stabilisierung oder Verbesserung der Nierenfunktion nach Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen, Plasmapherese, Mycophenolat Mofetil und intravenösen Steroiden plus Cyclophosphamid bei Patienten mit einem rasch progressiven Verlauf gezeigt (eine Abnahme in der Nierenfunktion von 50 Prozent oder mehr über einen Zeitraum von drei Monaten). In einer neueren kontrollierten Studie an 38 Patienten mit weniger rasch progressiver Erkrankung führte die kombinierte Behandlung mit Prednisolon und oralem Cyclophosphamid (drei Monate lang), gefolgt von Azathioprin (über 3 Jahre oder mehr) zu einem besseren Beibehalten der Nierenfunktion und einem geringeren Grad an Proteinurie als mit Plazebo. Letztendlich könnte eine Tonsillenentfernung, eine populäre Praxis in Frankreich und 79 J nephrol Team 2-2004 J. V. DONADIO, J. P. GRANDE Japan, bei Patienten mit IgA-Nephropathie, die neben makroskopischer Hämaturie unter häufiger Tonsillitis leiden, von Vorteil sein. Eine Gruppe von Patienten in Frankreich wiesen nach Tonsillenentfernung Verringerungen in episodischer Hämaturie und Proteinurie auf. Eine prospektive kontrollierte Studie über die Wirkung der Tonsillenentfernung ist erforderlich, da es bei der IgANephropathie große Unterschiede gibt. Bis heute konnte keine Studie eine langfristige Bewahrung der Nierenfunktion bei Patienten nach Tonsillenentfernung zeigen. Bis jetzt wurde auch kein überzeugender Nachweis erbracht, der die Verwendung von Angiotensin-converting Enzyminhibitoren, n-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren oder einer Tonsillenentfernung bei Kindern mit IgA-Nephropathie stützen könnte, und kontrollierte Studien zum Vergleich dieser Behandlungen wurden bis jetzt nicht durchgeführt. lebenden, verwandten Spendern auf, ein Befund, der frühere, nicht erhärtete Informationen zerstreut, in denen eine angeblich stärkere Häufigkeit von IgA-Nephropathie in Nieren von lebenden, verwandten Spendern berichtet wurde infolge von HLA-Antigenen, die sowohl Spender als auch Empfänger besitzen und die das Risiko eines Rezidivs erhöhen. Angesichts der aussagekräftigen Daten, die gleiche Rezidivraten bei Leichennieren und Nieren aus lebenden, verwandten Spendern zeigen, sollte die Transplantation von Nieren aus lebenden, verwandten Spendern nicht entmutigt werden. Es bleibt nachzuweisen, ob neuere immunsuppressive Therapiekonzepte – z. Bsp. der Einsatz von Mykophenolat Mofetil – vor einer rekurrierenden IgA-Nephropathie schützen (wie erst vor kurzem nahe gelegt wurde) oder den Verlust der Nierenfunktion bei Patienten mit Rezidiv verringern können. DIFFERENTIALDIAGNOSE NIERENTRANSPLANTATION 80 J nephrol Team 2-2004 Für Patienten, bei denen sich ein terminales Nierenversagen entwickelt, stellt die Nierentransplantation die beste Option für die Behandlung der IgA-Nephropathie dar, da es sich bei solchen Patienten eher um jüngere und ansonsten gesunde Erwachsene handelt. In einem Bericht aus den Vereinigten Staaten war die IgA-Nephropathie für 10 Prozent der Nierentransplantationen bei Patienten mit primärer Glomerulonephritis verantwortlich. In Europa und Australien machte die IgA-Nephropathie 7 bis 20 Prozent der Patienten in Langzeitdialyse- und Nierentransplantationsprogrammen aus. Das Überleben von Patient und Nierentransplantat ist hervorragend im Vergleich zu Patienten- und Transplantatüberleben nach Transplantation bei nicht-IgA-Nephropathie. Ungefähr ab 5 Jahre nach Transplantation kommt es bei 20 bis 60 Prozent der Transplantate jedoch wieder zu einer IgANephropathie, wobei die höheren Prozentzahlen aus Zentren berichtet wurden, die serienmäßige Biopsien des Nierentransplantates bei jedem Empfänger durchführen. Eine rekurrierende IgA-Nephropathie führt zu einer abnehmenden Nierenfunktion und zum Transplantatverlust (in bis zu 15 Prozent), was sich deutlich abhebt vom früheren Transplantatverlust etwa infolge Transplantatabstoßung. Das Wiederauftreten der IgA-Nephropathie teilt sich gleichmäßig zwischen Leichennieren und Nieren aus Es gibt zwei Krankheitsbilder, die von der primären IgA-Nephropathie abgegrenzt werden müssen: die Schönlein-Henoch-Purpura und die Erkrankung der dünnen glomerulären Basalmembran. Die SchönleinHenoch-Purpura ist ein klinisches Syndrom mit einem steil ansteigenden Auftreten in den ersten zwei Lebensjahrzehnten. Die Schönlein-Henoch-Purpura wird von der IgANephropathie durch das Vorhandensein von systemischen Symptomen abgegrenzt, einschließlich Purpura-Ausschlag, Arthralgien und Bauchschmerzen. Während die Schönlein-Henoch-Purpura meistens akut auftritt und auf sich selbst beschränkt bleibt, stellt das progressive Nierenversagen die Hauptursache für Morbidität dar. Auch wenn die klinischen Manifestationen der SchönleinHenoch-Purpura und der IgA-Nephropathie verschieden sind, so sind die bei diesen Erkrankungen beobachteten histopathologischen Veränderungen ähnlich. In Biopsieproben aus der Haut von Patienten mit Schönlein-Henoch-Purpura enthalten die Hautgefäße häufig IgA-Ablagerungen. IgA-Ablagerungen wurden jedoch in klinisch normaler Haut von Patienten sowohl mit Schönlein-Henoch-Purpura als auch mit IgANephropathie identifiziert. Die in der Nierenbiopsie von Patienten mit SchönleinHenoch-Purpura beobachteten morphologischen Veränderungen sind ähnlich denen, wie sie bei Patienten mit IgA-Nephropathie gefunden werden. Wie die Ablagerungen MEDIZINISCHER FORTSCHRITT: IGA-NEPHROPATHIE bei der IgA-Nephropathie bestehen die glomerulären Ablagerungen bei Patienten mit Schönlein-Henoch-Purpura ausschließlich aus IgA1. Von Patienten mit SchönleinHenoch-Purpura isoliertes Serum-IgA1 weist Glykosylierungsdefekte aus, die denen ähnlich sind, die bei von Patienten mit IgANephropathie isolierten IgA1 beschrieben werden. Auf der Basis von Familienstudien, einschließlich Studien an eineiigen Zwillingen, konnte man erkennen, dass sich die Schönlein-Henoch-Purpura möglicherweise bei einem Familienmitglied entwickelt und die IgA-Nephropathie bei einem anderen Familienmitglied mit denselben Umgebungsbedingungen. Diese Beobachtungen stützen die Hypothese, dass die SchönleinHenoch-Purpura und die IgA-Nephropathie Varianten desselben pathologischen Prozesses sind. Die Faktoren, die zur systemischen Aktivierung von IgA-haltigen Immunkomplexen bei der Schönlein-Henoch-Purpura oder zur lokalen Aktivierung von IgA-haltigen Immunkomplexen bei der IgA-Nephropathie führen, konnten jedoch nicht identifiziert werden. Das Erkrankungsbild der dünnen glomerulären Basalmembran ist eine häufige Erkrankung, die bei weiblichen Patienten öfter auftritt und einen gutartigen klinischen Verlauf hat. Auch wenn mikroskopische Hämaturie, Proteinurie und Hypertension häufige Erscheinungsformen sowohl bei der Erkrankung der dünnen glomerulären Basalmembran als auch der IgA-Nephropathie sind, scheinen Patienten mit IgA-Nephropathie mehr unter Hämaturie und Proteinurie zu leiden. Bei Patienten mit Erkrankung der dünnen glomerulären Basalmembran entwickelt sich kein terminales Nierenversagen. In der Nierenbiopsie werden diese beiden Krankheiten voneinander abgegrenzt. Die Diagnose einer Erkrankung der dünnen glomerulären Basalmembran wird in der elektronenmikroskopischen Untersuchung der glomerulären Kapillarschleifen gestellt. Bei dieser Erkrankung sind die Basalmembranen diffus verdünnt. In der Lichtmikroskopie zeigt sich keine signifikante Ausweitung der mesangialen Gebiete, und Immunfluroreszenzstudien können IgAAblagerungen in den Glomeruli nicht nachweisen. Das Vorhandensein von mesangialen IgAAblagerungen geht auch mit vielen anderen Erkrankungen einher (siehe unter sekundäre Ursachen in Tabelle 1); bei den IgA-Ablagerungen handelt es sich oft um Zufallsbefunde mit unklarer Pathogenese oder klinischer Bedeutung. Die vielen Begleiterkrankungen werden durch ihre verschiedenen klinischen Ausdrucksformen von der primären IgANephropathie abgegrenzt. Da die IgANephropathie eine weit verbreitete Erkrankung ist, kann sie auch in Verbindung mit anderen glomerulären Erkrankungen gefunden werden (Tabelle 1). ZUSAMMENFASSUNG Die IgA-Nephropathie, weltweit die häufigste Form von primärer glomerulärer Erkrankung, ist eine von Immunkomplexen vermittelte Glomerulonephritis, die immunhistologisch durch das Vorliegen von glomerulären IgA-Ablagerungen definiert wird und die begleitet wird von einer Vielzahl von histopathologisch identifizierten Läsionen, ohne systemische Erkrankung. Diese Erkrankung, die in jedem Lebensalter und häufiger bei männlichen Patienten auftritt, zeigt regionale Unterschiede in der Häufigkeit, die sich durch genetische Unterschiede und unterschiedliche Praktiken der Nierenbiopsie erklären lassen. Die Erkrankungsursache und die der glomerulären Ablagerung von IgA1-haltigen Immunkomplexen zugrunde liegenden Mechanismen sind nicht bekannt. Die beiden häufigsten klinischen Erscheinungsformen sind episodische makroskopische Hämaturie – oft zusammen mit einer Infektion der oberen Atemwege – bei jüngeren Patienten und anormales Urinsediment und Proteinurie bei Patienten ohne Symptome. 15 bis 40 Prozent der Patienten werden möglicherweise eine terminale Nierenerkrankung haben. Sowohl bei den Kindern als auch den Erwachsenen gehen schwere glomeruläre pathologische Merkmale, anhaltende mikroskopische Hämaturie, Proteinurie von mehr als 1,0 g pro 24 Std., beeinträchtigte Nierenfunktion und Hypertension mit einer schlechten Prognose einher. Für diese Erkrankung gibt es keine Heilung; neuere klinische Studien, in denen über zwei Jahre hinweg die Wirksamkeit von Kortikosteroiden, mit und ohne immunsuppressive Wirkstoffe, und n-3-Fettsäuren getestet wurde, haben aber gezeigt, dass diese Behandlungen günstige Auswirkungen auf die Progression der Nierenerkrankung haben. In kurzfristigen Studien konnte mit einer Auswahl von Angiotensin-converting Enzyminhibitoren die Hypertension kontrolliert und die Proteinurie verringert werden – beides veränderbare Risikofaktoren für eine 81 J nephrol Team 2-2004 J. V. DONADIO, J. P. GRANDE progressive Erkrankung. Diese positiven Effekte werden jedoch von den Studien abgeschwächt, in denen keine Vorteile mit diesen Kategorien therapeutischer Wirkstoffe berichtet wurden. Die Nierentransplantation gilt als Behandlung der Wahl für Patienten, die eine terminale Nierenerkrankung entwickeln. Obwohl sich sowohl das Patienten- als auch das Nierentransplantatüberleben günstig vergleichen lassen mit dem Überleben bei Patienten mit nicht-IgA-Nephropathie, die ein Nierentransplantat erhalten haben, tritt die IgA-Nephropathie bei 20 bis 60 Prozent der Transplantate fünf Jahre nach Transplantation oder später wieder auf, die Nierenfunktion nimmt ab und es kommt in bis zu 15 Prozent der Patienten zum Transplantatverlust. Die Rezidive teilen sich gleichmäßig auf 82 J nephrol Team 2-2004 zwischen Nieren aus Leichenspendern und denen aus lebenden, verwandten Spendern; die Verwendung von Transplantaten aus lebenden, verwandten Spendern sollte daher nicht entmutigt werden. Literatur beim Verlag. DR. JAMES V. DONADIO Division of Nephrology Department of Medicine Mayo Clinic 200 First St. SW Stabile 7-22 Rochester, MN 55905 USA E-mail: [email protected]