Handout - Universität Augsburg

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Universität Augsburg
Lehrstuhl für Soziologie
Proseminar: Einführung in soziologische Theorien (Sasa Bosancic, M.A.)
Referenten: Jasmin Hornung, Sabrina Kaczmarek, Verena Reichert
WS 2006/07
15.November 2006
Handlungstheorie ll: Theorien rationaler Wahl
1. Definition:
Rational Choice ist ein Sammelbegriff für verschiedene Ansätze einer Hand-lungstheorie der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Generell schreiben diese Ansätze handelnden
Akteuren rationales Verhalten zu, wobei diese Akteure aufgrund gewisser Präferenzen ein
nutzenmaximierendes (oder kostenminimierendes) Verhalten zeigen.
2. Ursprünge:
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•
Jeremy Bentham: Maximierung von Lust und das Vermeiden von Schmerzen
Niccolò Macchiavelli und Tomas Hobbes: jeder Mensch ist in erster Linie um die Befriedigung
seiner eigenen Bedürfnisse besorgt
Hobbes: der Mensch ist im Naturzustand durch den Trieb zur Selbsterhaltung und einem
unersättlichen Machtstreben bestimmt („Homo homini lupus”) Æ Leviathan
3. Entwicklung des Rationalitätsbegriffs:
(Rationalität wird oft mit Vernunft gleichgesetzt)
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•
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Platon und Aristoteles: Vernunft als ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln
Æ freien, allein auf das Individuum bezogene Entscheiden
Hume: subjektive Bewertung von Rationalität
Adam Smith: Ökonomisierung der Rationalität (Markt als Träger des Allgemeinwohls; Akteure
werden unbewusst von „unsichtbarer Hand“ geleitet; Arbeitsteilung und Tausch)
4. Grundannahmen der Rational Choice Theorie:
1. Jeder Akteur verfügt über eine stabile widerspruchsfreie Präferenzordnung
(aus a > b und b > c folgt a > c)
2. Jeder Akteur ist über Handlungsbedingungen und -möglichkeiten vollständig infor-miert
3. Nutzenmaximierung
5. SEU- Modell:
SEU = subjektive erwarteten Nutzen = Gesamtvorteil einer Handlungsalternative =
Handlungskonsequenz P (0≤1) x subjektiven Bewertung der Handlungskonsequenz U
SEU(Handlungsalternative) = P x U
P= 0 (unwahrscheinlich); P= 1 (wahrscheinlich)
6. Menschenbilder der Rational Choice Theorie:
a. Homo oeconomicus
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eigennützig
Nutzenmaximierer
handelt rational
innere Preisberechnung
vollständig informiert
knappe Güter
gilt für jeden Menschen
b. RREEMM-Modell
(„resourceful, restricted, expecting, evaluating, maximizing man model)
• resourceful: man hat verschiedene Handlungsmöglichkeiten, aus denen man
auswählt
• restricted: die Handlungen unterliegen verschiedenen Handlungsbeschränkungen
• expecting: Akteur hat verschiedene Erwartungen hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten
• evaluating: die Möglichkeiten werden vom Akteur bewertet und abgewogen
• maximizing: er will mit möglichst geringem Aufwand sein Ziel erreichen
7. Makro-Mikro-Makromodell (Coleman):
Ereignisse auf der individuellen und kollektiven Ebene können nicht getrennt voneinander betrachtet
werden. Soziale Phänomene resultieren aus individuellen Entscheidungen und Handlungen. Diese
Handlungswahlen sind immer in soziale Strukturen eingebettet, das heißt kollektive Phänomene
stellen sowohl Rahmenbedingungen als auch das Ergebnis individueller Handlungswahlen dar.
Makroebene
soziale Situation
kollektives Phänomen
(1)
Mikroebene
(3)
Definition der Situation
Handlung
(2)
(1) Makro-Mikro-Verknüpfung: Logik der Situation das heißt, festlegen welche
Handlungssituationen für den Akteur relevant sind.
(2) Mikro-Mikro-Verknüpfung: Logik der Selektion das heißt, über Nutzenmaximierung aus
verschiedenen Handlungsalternativen auswählen.
(3) Mikro-Makro-Verknüpfung: Logik der Aggregation das heißt, die individuellen Handlungen
werden mit dem eigentlich interessanten, kollektiven Tatbestand verknüpft.
8. Was ist eine Situation?
- Konfiguration von äußeren und inneren Bedingungen
Æ Rahmen wählen
Æ unwichtige Aspekte ausblenden
- äußere Bedingungen: Handlungsmittel, Mitakteure, Regeln, Sitten, Normen, Gebräuche
- innere Bedingungen: aktuelle Motive des Akteurs, Kognitionen & Emotionen, Wünsche, Wissen,
Können
9. Interpretation einer Situation
- rationaler Prozess
- Kosten-Nutzen-Kalkül
Æ 4 Kernelemente:
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•
•
kardinale Nutzenfunktion
endliche Menge an alternativen Strategien
Wahrscheinlichkeitsverteilung für zukünftige Szenarien
Politik der Nutzenmaximierung
10. Wahl einer Handlung
3 Schritte:
•
Kognition der Situation
Æ Schemata: Handlung wird routinemäßig ausgeführt,
Æ keine Schemata und Skripten: Evaluation der Alternativen
•
Evaluation der Handlungsalternativen
Æ Kosten-Nutzen Kalkulation
Æ Realisationswahrscheinlichkeiten
Æ subjektive Handlungswahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1
Æ Multiplikation der Zielbewertung mit subjektiver Wahrscheinlichkeit ihrer Realisation
•
Selektion der Handlungsalternative
Æ höchster oder maximaler Nutzen
11. Das MODE-Modell
(motivation and opportunity as determinants of the attitude behaviour process)
"High-Cost" und "Low-Cost":
- je wichtiger die Handlung (subjektiv gesehen), desto überlegter das Handeln
- bei unwichtigeren Entscheidungen (Alltag etc.): Routine
Æ Der Rational Choice Ansatz erklärt die empirischen Fakten umso besser, je eher eine Situation
einer "High-Cost" Situation entspricht
12. praktisches Beispiel: UKB
UKB = Zugangsungleichheit der sozialen Klassen zur Bildung (Æ Ungleichheit bei Zugang zum
Hochschulstudium)
Faktoren:
1. Vermutung (Hyman, Boudon, Lazarsfeld, Kahl, Halsey):
- Jugendliche aus unteren Schichten (JU): Erfolg nicht steuerbar (Æ Zufall/Schicksal)
- ökonomistisches Denken (Wert des Studiums gering, mehr auf Güter bedacht)
Æ geringes Interesse am Studium
2. Vermutung (Bernstein, Bourdieu, Passeron, Bisseret):
- einfache Sprache Æ Probleme in der Schule
- fehlendes Know-How
3. Vermutung (Becker, Lévy-Garboua, Eicher, Mingat, Tinto, Shulman):
- ökonomisches Kalkül der Eltern u. der Jugendlichen (Unterschicht)
- Überschätzung der Kosten, Unterschätzung des Nutzens
- sozialer Status: zu niedrige Zielsetzung
- geringere Risikobereitschaft (nur bei guter Leistung) Æ Wiederholung: Disparität wächst exponentiell
Zusammenfassung:
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unterschiedliche Distribution der Werte
kognitive Unterlegenheit
zukünftige Vorteile werden unterschätzt (KNR)
gegenwärtige Nachteile durch Kosten werden überschätzt (KNR)
Risiko wird überschätzt, weniger Bereitschaft (KNR)
Æ mikrosoziologische Theorie für die Wahl des Schulausbildung
- Schulerfolg gut: geringer Einfluss der sozialen Herkunft
- Schulerfolg schlecht: verstärkter Einfluss der sozialen Herkunft (Risikobereitschaft etc.)
13. Definition „Spieltheorie“
- nicht-kooperatives, strategisches Handeln
- Untersuchung: Ergebnis von strategischem Handeln mehrerer Personen („großes Spiel“)
Æ Theorie interdependenter Entscheidungen
Æ Analyse von Gesellschaftsspielen, politischen Verhandlungen und ökonomischem Verhalten
- Wie beeinflusst die Möglichkeit zur Kommunikation das Verhalten?
14. Soziale Fallen – Dilemmasituationen
- Gefangenen-Dilemma:
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2 Verdächtige
Strategie: Aussagen oder nicht aussagen?
A gesteht nicht
A gesteht
B gesteht nicht
1 Jahr / 1 Jahr
3 Monate / 10 Jahre
B gesteht
10 Jahre / 3 Monate
8 Jahre / 8 Jahre
- Trittbrettfahrer-Dilemma:
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vom Gemeinnutzen profitieren, aber selbst nichts beitragen
Beispiel: Gewerkschaft
Lösung: Anreize bieten (Vorteile etc.)
- Missing-Hero-Dilemma:
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Kollektivgut kann von einer Person produziert werden (muss Kosten auf sich nehmen)
„Alles-oder-Nichts-Charakter“
Beispiel: Beobachtung von Verbrechen
- Commons-Dilemma
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Zugriff auf Ressourcen
jeder muss sich einschränken Æ trotzdem handelt jeder egoistisch
Beispiel: Kopierer, Fischfang, Weideland
15. Kritik an der Rational Choice Theorie
- Routine
- Nachahmung
- Menschenbild: zu kalt und berechnend
- Zeit sparen statt zu überlegen?
- Affekthandlungen (Trauer, Wut, Begeisterung)
- Zeit steht nicht still!
- moralische Prinzipien
- Einbeziehen der Vergangenheit
- psychische Aspekte (Willensschwäche, Zögern, Unsicherheit)
- Intuition (Bauchgefühl)
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