fdr Büro für Suchthilfe Erfurt 11. August 2010 Erfurt Fachtag Gewalt – Trauma - Sucht GESCHLECHTERGERECHTE ARBEIT MIT SUCHTMITTELABHÄNGIGEN MIT TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Sybille Teunißen, Bad Sassendorf Amt für Soziales und Gesundheit Erfurt GESCHLECHTERGERECHTE ARBEIT MIT SUCHTMITTELABHÄNGIGEN MIT TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Inhalt Prämissen einer geschlechtsreflexiven Perspektive Geschlechtsbezogene Copingstrategien von Traumatisierungen bei Suchtmittelabhängigen Geschlechtsdifferenzierende integrative Behandlung von Suchtmittelabhängigkeit und Traumafolgestörungen Teunißen • 2010 PRÄMISSEN EINER GESCHLECHTSREFLEXIVEN PERSPEKTIVE Welches Konzept ist geeignet, eine geschlechterdifferenzierende Forschung und vorhandenes geschlechtsbezogenes Erfahrungswissen reflektierend für die Praxis der Suchthilfe zu nutzen, ohne die Gruppe der Frauen und Männer zu homogenisieren? Teunißen • 2010 PRÄMISSEN EINER GESCHLECHTSREFLEXIVEN PERSPEKTIVE Die geschlechtsreflexive Perspektive „Vielmehr schlage ich einen geschlechtsreflexiven Blick vor, welcher… es vermag, bestehende Unterschiede nicht nur als geschlechterdifferent festzustellen und zu erklären, sondern zugleich als soziale Wandlungsprozesse… selbst zu reflektieren.“ (Schwarting, 2005, S. 33) Teunißen • 2010 PRÄMISSEN EINER GESCHLECHTSREFLEXIVEN PERSPEKTIVE Prämissen einer geschlechtsreflexiven Perspektive: (vgl. Schwarting, 2005) Geschlechtsbezogene Aspekte von Suchtentstehung, -verlauf und Ausstieg sollen sichtbar werden, ohne geschlechtsbezogene Zuschreibungen vorzunehmen. Eine geschlechtsreflexive Perspektive überprüft die Verschränkungen von Geschlecht mit anderen Dimensionen. Es geht um die Einnahme einer offenen Haltung, die dem Vorgehen zugrunde liegenden Annahmen im Einzelfall jeweils überprüft. Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Häufigkeit von Traumatisierungen bei Personen in Suchtbehandlung Simpson & Miller, 2002: Review über 64 Studien 15 mit „harter Methodik“ Sexueller Missbrauch Frauen 27%-67% Männer 9%-29% Körperliche Misshandlung Frauen 33% Männer 24%-53% Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN AlkoholpatientInnen im Entzug (Schäfer, i. Vorber.) Alter M=44.1 (SD=9.5) Geschlecht Weiblich Männlich 34 % 66 % Feste Partnerschaft Ja Nein 41 % 59 % Nationalität Deutsch Andere 92 % 8% Schulbildung ≤Hauptschule Realschule Gymnasium 42 % 33 % 25 % Beschäftigung Ja Nein 59 % 41 % Teunißen • 2010 (N=80) GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN AlkoholpatientInnen im Entzug (Schäfer i. Vorber.) Männer Frauen Gesamt (N=80) Kindheit - Körperliche Misshandlung Sexueller Missbrauch Beide Formen Mindestens eine Form Erwachsenenalter Teunißen • 2010 11% 7% 4% 22% 15% 26% 11% 52% 12% 14% 6% 32% GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN AlkoholpatientInnen im Entzug (Schäfer i. Vorber.) Männer Frauen Gesamt (N=80) Kindheit - Körperliche Misshandlung Sexueller Missbrauch Beide Formen Mindestens eine Form 11% 7% 4% 22% 15% 26% 11% 52% 12% 14% 6% 32% 33% 0% 33% 52% 48% 67% 40% 16% 44% Erwachsenenalter - Körperliche Gewalt > 16 - Sexuelle Gewalt >16 - Mindestens eine Form Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Gewalterfahrungen bei Drogenabhängigen Schmidt (2000) 215 substituierte Opiatabhängige, studentische Kontrollgruppe Sex. Schäfer, Schnack & Soyka (2000) 100 Patienten/-innen mit polyvalentem Substanzgebrauch Sex. Krausz & Briken (2002) Teunißen • 2010 w: 60% m: 25% Kontrollgruppe: w: 11% m: 6% w: 50% m: 40% primärer Gebrauch ill. Drogen → 75 weibliche Sex. Opiathängige mit Phys. Kontakt zum Hilfesystem Emot. w: 41% w: 72% w: 80% GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Gewalterfahrungen bei Drogenabhängigen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2002) 908 Frauen Sex. 33,9% in einer Suchtfachklinik Unfreiwilige sexuelle Handlungen oder GV Polysucht Ill. Drogen Alkohol plus Alkohol 24,1% 18,4% 15,7% 8,0% Phys. 56,4% „Sehr harte Gewalt“ Polysucht 20,4% Ill. Drogen 25,9% Alkohol plus 19,7% Alkohol 7,7% Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer Suchtmittelabhängigkeit und der Häufigkeit interpersonaler Traumatisierungen. Der Zusammenhang ist bei polytoxikomanem Suchtmittelkonsum und bei illegaler Drogenabhängigkeit größer als bei einer Alkoholabhängigkeit. Frauen mit einer substanzbezogenen Störung sind häufiger von sexuellem Missbrauch betroffen als Männer, vermehrt auch von sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung. Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Traumatisierungen in Kindheit und Jugend sind ein unspezifischer Risikofaktor für die Entstehung psychischer Störungen: Affektive Störungen Persönlichkeitsstörungen Essstörungen Substanzmissbrauch-/abhängigkeit Somatoforme Störungen Psychotische Störungen Teunißen 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Frauen Trauma Internale, expressive Bewältigungsstrategien Männer Externale, instrumentelle Bewältigungsstrategien Dissoziative Reaktionen auf traumatischen Stress Hyperarousal-Reaktionen auf traumatischen Stress Dissoziative Störungen, Somatisierungsstörungen, PTBS, BPS, Essstörungen Angst/Depression Aggressive Verhaltensweisen, Antisoziale Persönlichkeitsstörungen (Vgl. Olff et al., 2007; Gahleitner, 2008) Teunißen 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN PTBS bei PatientInnen im Alkolholentzug (Schäfer et al., 2007) Gesamt 16% Männer 9.3% Frauen 29.6% Phys. und/oder sexuelle Gewalt Kindheit Zeuge körperlicher Gewalt zwischen Eltern N=72% N=14% Gewalt Erwachsenenalter N=14% Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Multicenter-Studie des Norddeutschen Suchtforschungsverbundes (N=469) (Driessen et al., 2008) 50 45 % .Alkoholabh .Drogenabh 45 Abh. von A+D 40 34 35 30 30 30 29 25 19 20 21 22 23 18 18 Sichere PTBS (N= 116) Frauen 67 von 185 (36%) 15 15 Männer 49 von 274 (17%) 10 Kein Trauma Teunißen • 2010 Trauma V.a. PTBS Sichere PTBS GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Zusammenhang zwischen PTBS und Sucht bei Frauen (vgl. Sonne et al., 2003; Deykin und Buka,1997) „Selbstmedikation“ PTBS Wiedererleben Vermeidung Veg. Übererregung Teunißen • 2010 Suchterkrankung GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Dissoziation nach Substanzen und Geschlecht (Schäfer et al., 2010) 18,7 20 DES Mean-Score 16,0 15 12,9 10,3 10 15,1 9,4 9,9 12,8 11,0 5 0 Alkohol (n=105/n=74) Drogen (n=92/n=59) Alk. und Drogen (n=72/n=47) Männer Frauen Gesamt GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Suchtmittelabhängige Frauen zeigen im Vergleich zu abhängigen Männern häufiger eine komorbide PTBS. Die PTBS scheint der Suchterkrankung dabei eher vorauszugehen. (vgl. zusf. Teunißen & Engels, 2006). Abhängig von einer bestehenden Belastung durch (sexuelle) Traumatisierungen weisen Frauen mit psychoaktivem Substanzmissbrauch vermehrt weitere soziale und berufliche Beeinträchtigungen auf. (Schäfer, 2009; Krausz & Briken, 2002) Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Alkoholpatientinnen (N= 662, 35% sex. Missbrauch) (Schäfer, 2009) Sexuelle Gewalt OR (95%-CI) Ja Nein Berufl. Qualifikation (alle Formen) 70% 83% 0.5 (0.3-0.7) Aktuelle Beschäftigung (alle Formen) 58% 72% 0.5 (0.4-0.7) Partner ebenfalls suchtkrank 48% 33% 1.9 (1.2-3.1) Getrennt lebend 37% 24% 1.9 (1.2-3.1) Mind. 1 Kind unter 18 Jahren 41% 24% 2.2 (1.6-3.2) Kinder leben mit Klientin 51% 84% 0.2 (0.1-0.5) Alleine mit Kindern 59% 37% 2.4 (1.2-4.5) Teunißen • 2010 GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Gewalt als externalisierende Bewältigungsstrategie bei Männern PTSD Gewalt Trauma Sucht Teunißen 2010 (vgl. Lisak & Miller, 2003) GESCHLECHTSBEZOGENE COPINGSTRATEGIEN VON TRAUMATSIERUNGEN BEI SUCHTMITTELABHÄNGIGEN Gewalt als externalisierende Bewältigungsstrategie bei Männern 40% - 70% inhaftierter Männer berichten kindliche Traumatisierung (Lisak & Miller, 2003) Partnerbezogene Gewalt nimmt zu bei alkoholabhängigen Männern (vgl. Klein,2006) 30% - 45% jugendlicher Täter erfüllen PTBS-Kriterien (Erwin et al., 2000) Sexueller Missbrauch wird verleugnet: 19%-25% vor Behandlung vs. 47%-55% nach Behandlung (Worling, 1995) Teunißen 2010 GESCHLECHTSDIFFERENZIERENDE INTEGRATIVE BEHANDLUNG VON SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT UND TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Fachklinik Beusingser Mühle Suchttherapiezentrum in Bad Sassendorf Kliniksetting Aufnahme von Drogenabhängigen ab 18 Jahren Klinikspezialisierungen: Integrative Behandlung von Sucht und Trauma Junge erwachsene Drogenabhängige Geschlechtsbezogene Therapie inkl. Paartherapie Teunißen • 2010 GESCHLECHTSDIFFERENZIERENDE INTEGRATIVE BEHANDLUNG VON SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT UND TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN DrogenTherapie TraumaTherapie Integrative Ziele und Standards Geschlechtsdifferenzierende Indikation Indikationsbezogene Ziele Umsetzung im Klinikkontext Rahmenstruktur Medizin Diagnostik/Behandl.planung Teunißen • 2010 Psychotherapie Sport/Freizeit Arbeitsbez. med. Rehabilitation GESCHLECHTSDIFFERENZIERENDE INTEGRATIVE BEHANDLUNG VON SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT UND TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Umsetzung auf der Konzeptebene geschlechtsübergreifend Integrative, ressourcenorientierte Diagnostik und Therapie von Sucht und Traumafolgestörungen Behandlungssetting stabilisierend ausgerichtet Balance zwischen klarem, grenzsetzendem Behandlungsrahmen und flexiblem Umgang mit individuellen Bedarfen Teunißen • 2010 GESCHLECHTSDIFFERENZIERENDE INTEGRATIVE BEHANDLUNG VON SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT UND TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Umsetzung auf der Leistungsebene geschlechtsübergreifend Gruppentherapie ressourcen- und zukunftsorientiert gestaltet Schonende Traumabearbeitung („Traumatherapie light“, M. Sack) in der Einzeltherapie Einbezug zusätzlicher Leistungen zur Reduktion von traumatischem Stress: Stabilisierungsgruppe mit imaginativen Übungen, Indikative Gruppe „Sicherheit finden“ für PTBS und Substanzmissbrauch Teunißen • 2010 GESCHLECHTSDIFFERENZIERENDE INTEGRATIVE BEHANDLUNG VON SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT UND TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Geschlechtsbezogene traumaadaptierte Leistungen Bereich Psychotherapie: - Training „Selbstbehauptung und Selbstverteidigung“ für Frauen - Training „Umgang mit Aggressivität und Gewalt“ für Männer Bereich arbeitsbez. med. Rehabilitation: - Projekt „Lebens- u. Berufsplanung von Frauen“ Bereich Sporttherapie - geschlechtsgetrennte Gruppen zur aktiven Entspannung (Yoga) Teunißen • 2010 GESCHLECHTERGERECHTE ARBEIT MIT SUCHTMITTELABHÄNGIGEN MIT TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Sybille Teunißen, Bad Sassendorf