Augenerkrankungen und Straßenverkehr

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Verkehrsmedizinischer Refresherkurs: 23.09.2016 / Augen / Dr. Lilly Speicher
Augenerkrankungen und Straßenverkehr
Das Sehvermögen ist beim Führen eines Kraftfahrzeuges von zentraler Bedeutung, da mehr als 90 % der
verkehrsrelevanten Informationen über das visuelle System aufgenommen werden.
Unter Sehvermögen versteht man nicht allein die zentrale Sehschärfe, die beim herkömmlichen Sehtest
ermittelt wird, sondern vielmehr die Summe aller Funktionen des Sehorgans wie Gesichtsfeld,
Dämmerungssehen und Blendempfindlichkeit, Farbensehen, Stellung und Motilität sowie stereoskopisches
Sehen.
Inwieweit die einzelnen Funktionen bei Augenkrankheiten beeinträchtigt sein können und welche Bedeutung
dies für die Beurteilung der Verkehrstauglichkeit hat wird im Folgenden besprochen.
Sehschärfe
Prinzipiell unterscheidet man das photopische Sehen (Tagessehen), das mesopische Sehen
(Dämmerungssehen) und das skotopische Sehen (Nachtsehen), wobei letzteres im nächtlichen Straßenverkehr
eine untergeordnete Rolle spielt, da hier meist mesopische Verhältnisse vorliegen. Das Auge reagiert dabei
entsprechend durch Hell-/Dunkeladaptation.
Die zentrale Sehschärfe (Visus) ist eine Funktion des Zapfenappparates der Netzhautmitte und beträgt bei
einem gesunden Auges 1.0 oder sogar mehr. Eine Herabsetzung der zentralen Sehschärfe kann einerseits
durch Fehlsichtigkeit bedingt sein, andererseits kommen Trübungen der brechenden Medien (Hornhaut, Linse,
Glaskörper), Erkrankungen des bildgebenden Apparates (Aderhaut, Netzhaut) oder des nervösen
Leitungsapparates (Sehnerv, Sehbahn) als Ursachen in Frage, aber auch eine funktionelle Minderwertigkeit
(Amblyopie=Schwachsichtigkeit).
Die volle Sehschärfe von 1.0 ist zum Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht erforderlich, vielmehr gelten die für die
Führerscheingruppen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen, die in der 5. Novelle zur FSG-GV im
Jahr 2011 neu festgelegt wurden.
Die häufigste Ursache einer Sehschärfenminderung bei jungen Führerscheinwerbern ist sicherlich das Vorliegen
einer Fehlsichtigkeit, die entweder durch konservative Maßnahmen (Brille, Kontaktlinse, Orthokeratologie)
oder durch refraktiv-chirurgische Eingriffe (Laser-Behandlung, Implantation von phaken Linsen) zumeist
korrigierbar ist.
Unter den Fehlsichtigkeiten unterscheidet man zwischen der Myopie (Kurzsichtigkeit), die in jungen Jahren
auch progredient sein kann (etwa bis zum 30. Lebensjahr), der Hyperopie (Übersichtigkeit), dem Astigmatismus
(Stabsichtigkeit) sowie der Presbyopie (Alterssichtigkeit), die allerdings im Straßenverkehr praktisch keine Rolle
spielt.
Eine Sonderform der refraktiven Störung nimmt der sog. Keratokonus ein, eine Hornhauterkrankung, die mit
einer Schwächung der Hornhaut einhergeht, was eine Verdünnung und Ausdehnung der Hornhaut zur Folge
hat sowie eine Zunahme der Fehlsichtigkeit, die zunächst noch mit Brille, bei Auftreten von einem irregulärem
Astigmatismus jedoch nur mit Kontaktlinse zu korrigieren ist. Ein progredienter Keratokonus erfordert meist
eine Hornhauttransplantation zur Verbesserung der Sehschärfe. Im Anfangsstadium kann durch eine neue
Behandlungsmethode mittels UV- Bestrahlung (Corneal Cross Linking, CXL) eine Progredienz verzögert oder
sogar gestoppt werde.
Ein Keratokonus kann aber auch in einer milden und nicht progredienten Form auftreten; in diesem Fall spricht
man von einem „Forme Fruste Keratokonus“.
Die Prüfung der zentralen Sehschärfe erfolgt mit genormten Sehzeichen (Optotypen), die entweder in linearer
oder in logarithmischer Abstufung dargeboten werden.
Dämmerungssehen, Blendempfindlichkeit, Kontrastsehen
Die sichere Teilnahme am nächtlichen Straßenverkehr erfordert auch ein gutes Dämmerungssehen, das durch
geeignete Geräte wie dem Mesoptometer oder Nyktometer geprüft werden kann, wobei ein Sehzeichen
gleichbleibender Größe in abnehmenden Kontraststufen dargeboten wird. Bereits bei einem gesunden Auge ist
das Sehen in der Dämmerung schlechter als bei Tageslicht und beträgt etwa die Hälfte der Tagessehschärfe. Bei
jungen Führerscheinwerbern sind Störungen des Dämmerungssehens und Kontrastsehens eher selten, außer es
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liegen Erkrankungen von Netzhaut oder Sehnerv vor, oder Trübungen der brechenden Medien oder
Pupillenstörungen, die z. B auch verletzungsbedingt auftreten können.
Mit zunehmendem Alter wird durch den normalen Alterungsprozess des Auges auch das Dämmerungssehen
schlechter, bedingt durch eine Abnahme der Transparenz der brechenden Medien, insbesondere der Linse.
Dies macht sich vor allem bei schlechten Wetterverhältnissen wie z.B. regennasser Fahrbahn und starker
Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge bemerkbar.
Unter den pathologischen Augenveränderungen sind vor allem diabetische Augenhintergrundveränderungen
und degenerative Netzhauterkrankungen als Grund für Störungen des Kontrastsehens zu nennen.
Farbensehen
Farbenblindheit stellt keinen gesundheitlichen Mangel mehr dar. Seit 01.11.1997 dürfen alle
Führerscheinklassen trotzdem erworben werden. Dennoch stellt die Rotschwäche oder gar Rotblindheit für den
Betroffenen eine Benachteiligung im Straßenverkehr dar, da er z.B. die roten Bremslichter des voranfahrenden
Fahrzeuges später erkennt als ein Farbtüchtiger. Typischerweise kann es dadurch zu Auffahrunfällen kommen,
jedoch kann der farbfehlsichtige Kraftfahrer sein Fahrverhalten entsprechend anpassen, wenn er über seine
Farbsinnstörung Bescheid weiß.
Farbsinnstörungen sind meist angeboren, Männer sind häufiger betroffen als Frauen; es gibt aber auch
erworbene Farbsinnstörungen. Geprüft wird das Farbensehen mit isochromatischen Tafeln oder mit dem
Anomaloskop.
Gesichtsfeld
Das Gesichtsfeld umfasst die Gesamtheit des Raumes, in dem bei ruhig stehendem Auge Gegenstände
wahrgenommen werden. Man unterscheidet ein zentrales Gesichtsfeld und ein peripheres Gesichtsfeld.
Entscheidend im Straßenverkehr ist das binokulare Gesichtsfeld.
Wiederum sind bei jungen Führerscheinwerbern Gesichtsfelddefekte eher selten, es sei denn, es liegen
Erkrankungen der Netzhaut oder der Sehbahn vor, wobei letztere z.B. auch nach einem Schädel-Hirn-Trauma
auftreten können. Unter den Erkrankungen der Netzhaut oder der Sehbahn seien hier einerseits die
Retinopathia pigmentosa mit hochgradiger konzentrischer Gesichtsfeldeinengung bei u.U. noch voll erhaltener
Sehschärfe genannt, andererseits können im jüngeren Lebensalter auch Hypophysenerkrankungen (Adenome)
durch die anatomische Lagebeziehung zwischen Hypophyse und Chiasma opticum zu typischen (bitemporalen)
hemianoptischen Gesichtsfelddefekten führen, die im Falle einer trotz Operation fehlenden Reversibilität zum
Verlust der Lenkberechtigung führen können.
Mit zunehmendem Alter können Gesichtsfeldausfälle entweder durch den grünen Star (Glaukom) oder durch
Netzhauterkrankungen (Diabetes, degenerative Netzhauterkrankungen) bedingt sein, oder es liegen
neurologische Gesichtsfeldstörungen wie z.B. nach einem Schlaganfall vor, mit heteronymen oder homonymen
Hemianopsien. Altitudinale Hemianopsien können bei vaskulären Opticusschädigungen wie z.B. einer sog.
anterioren ischämischen Opticusneuropathie (AION) vorkommen.
Stellung und Beweglichkeit
Bei Störungen des Muskelgleichgewichtes ist bei der Fahreignungsbegutachtung zu unterscheiden zwischen
Personen, die bereits seit früher Kindheit schielen (Begleitschielen) und das zweite Bild unterdrücken können
(Schielen ohne Diplopie), und Personen, bei denen die Doppelbilder erst später im Erwachsenenalter auftreten
(Schielen mit Diplopie).
Einäugigkeit
Einäugigkeit besteht bei völliger Erblindung oder Verlust eines Auges oder einer akuten einseitigen
Funktionseinbuße (funktionelle Einäugigkeit) oder bei Abdeckung eines Auges wegen Doppeltsehens
(praktische Einäugigkeit). Funktionelle Einäugigkeit besteht bei einer Sehschärfe von unter 0.1 am
schlechteren Auge.
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Ärztliche Untersuchung durch den Sachverständigen Arzt für Allgemeinmedizin
Für die Führerscheinuntersuchung durch den sachverständigen Arzt sind die Erhebung der Sehschärfe sowie
eine grobe Gesichtsfeldprüfung ausreichend; Dämmerungssehen, Blend- und Kontrastempfindlichkeit sowie
Doppeltsehen müssen nicht einzeln untersucht werden. In Zweifelsfällen oder bei Verdacht auf fortschreitende
Augenerkrankungen sowie bei Einäugigkeit ist der Führerscheinwerber von einem Facharzt für Augenheilkunde
und Optometrie zu untersuchen (=Einholung einer augenfachärztlichen Stellungnahme durch den Amtsarzt)
Überprüfung des Sehvermögens:
Sehschärfe (Visus): ohne Korrektur / oder mit Korrektur (= Auflage: Brille, Kontaktlinsen)
Gruppe 1: beidäugiges Sehen von mind. 0.5 (jedes Auge ist trotzdem auch einzeln zu überprüfen; Einäugigkeit!)
Gruppe 2: mind. 0.8 an einem und mind. 0.1 am anderen Auge
Sehbehelf: Brille oder Kontaktlinsen
Gruppe2: Gläserstärke nicht mehr als + 8 oder – 8 Dioptrien sphärisches Äquivalent und ±2 Dioptrien
zylindrisch, Korrekturdifferenz nicht mehr als 2 Dioptrien sphärisches Äquivalent zwischen beiden Augen oder
fachärztliche Bestätigung über Erreichen des notwendigen Visus (mit Brille) oder
erforderlicher Visus wird mit Kontaktlinsen erreicht (keine Dioptrienbeschränkung)
Gruppe 1 und Gruppe 2: keine Lochbrillen, keine kreisrunden Zylindergläser
Sphärisches Äquivalent = Sphäre ± ½ Zylinder
Brillenglasbestimmung Gruppe 2: durch sachverständigen Arzt (Gerät!), oder Befund Augenarzt, Optiker,
Vorlage Brillenpass (nicht älter als 6 Monate)
Gesichtsfeld: beidäugiges Gesichtsfeld
Gruppe 1: Außengrenzen von horizontal mind. 120°, davon rechts und links mind. 50°, nach oben und unten
mind. 20°, ohne Ausfall im zentralen Bereich von 20° Durchmesser
Gruppe 2: Außengrenzen von horizontal mind. 160°, davon rechts und links mind. 70°, nach oben und unten
mind. 30°, ohne Ausfall im zentralen Bereich von 30° Durchmesser
Eingeschränktes Gesichtsfeld: in Ausnahmefällen bei befürwortender augenfachärztlicher Stellungnahme
Gruppe 1: Defekt eines Auges, nicht überlappende Defekte beider Augen, überlappende Defekte beider Augen
Gruppe 2: in keinem Fall
Praktische oder funktionelle Einäugigkeit: Visus auf dem schlechteren Auge unter 0.1;
Gruppe 1: Nach Verlust eines Auges oder akuter einseitiger Funktionseinbuße: Fahrverbot für 6 Monate;
Beim einzigen Auge muss normales Gesichtsfeld, normales Dämmerungssehen und Sehschärfe von mind. 0,5
ohne oder mit Sehbehlf erreicht werden, normale Augen- und Kopfbeweglichkeit;
Befristung bei Anzeichen einer beginnenden Erkrankung am sehenden Auge
Gruppe 2: nicht geeignet (vgl. Übergangsbestimmungen §24 FSG-GV)
Einseitige sehbehindernde Ptosis: wie funktionelle Einäugigkeit
Beidseitige sehbehindernde Ptosis: nicht geeignet
Schielen mit Doppelbildern (mit Diplopie):
Gruppe 1: geeignet, wenn kein Doppeltsehen in den zentralen 20° oder nach Ausschalten eines Auges
(Opakglas), dann Bestimmungen wie bei Einäugigkeit
Gruppe 2: geeignet, wenn frei von Doppeltsehen im Gebrauchsblickfeld (25° Aufblick, 30° Seitblick, 40° Abblick)
Schielen ohne Doppelbilder (ohne Diplopie):
Gruppe 1 und Gruppe 2: geeignet, wenn Diplopie ausgeschlossen (augenfachärztliche Stellungnahme)
Fortschreitende Augenerkrankungen:
Progrediente Myopie: bei Fortschreiten bis ins Erwachsenenalter: Befristung; bei Stabilisierung ohne
Augenhintergrundveränderungen: Wegfall der Befristung
Progredienter Keratoconus: Befristung; Kontrolle Visus (Kontaktlinsenversorgung), Dämmerungssehen; bei
Stabilisierung (z.B. nach Crosslinking): Wegfall der Befristung
Glaukom: Befristung
Cataract: Befristung; Wegfall der Befristung nach Operation
Augenhintergrundveränderungen: Makuladegeneration und degenerative Netzhauterkrankungen: Befristung;
Diabetische Retinopathien: individuelle Befristung;
Kontrolle bei Augenhintergrundveränderungen: Visus, Dämmerungssehen, Gesichtsfeld
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Zahlencodes im Führerschein
Für Eintragungen in den Führerschein stehen folgende durch Gemeinschaftsrecht harmonisierte Zahlencodes
und Untercodes zur Verfügung:
Sehvermögen:
01.
01.01
01.02
01.03
01.04
01.05
01.06
Korrektur des Sehvermögens und/oder Augenschutz
Brillen
Kontaktlinsen
Schutzgläser
Opakgläser
Augenschutz
Brillen oder Kontaktlinsen
05.
05.01
Beschränkte Gültigkeit
Beschränkung auf Fahrten bei Tag (eine Stunde nach
Sonnenaufgang bis eine Stunde vor Sonnenuntergang)
Beschränkung auf Fahrten in einem Umkreis von …km
des Wohnsitzes oder innerorts …/innerhalb der Region
05.02
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