Wissenschaftliche Weltauslegung - Gottesglaube

Werbung
Wissenschaftliche Weltauslegung - Gottesglaube - neuer
Atheismus
Thesen zur aktuellen Situation
Herbert Rommel
Workshop anlässlich der Tagung: „Anfang des Anfangs“ – und wie geht es weiter? Aktuelle Konzilshermeneutik und Konzilspragmatiken des Vaticanum II – Ein Mehr-Generationengespräch. Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 16.-18. Mai
2013
1. Renaissance der Religionen und der öffentliche Tod Gottes in der westlichen
Welt......................................................................................................................... 1
2. „Neuer Atheismus“ .............................................................................................. 1
3. Wissenschaftliche Weltauslegung: naturalistischer Monismus ........................... 2
4. „Gottes Existenz ist unwahrscheinlich!“............................................................... 2
5. Die argumentative Unbeantwortbarkeit der Frage nach Gott .............................. 3
6. Glaube an die Existenz Gottes bei Jugendlichen................................................ 3
7. Unterdurchschnittliche Lebensbedeutsamkeit des Gottesglaubens bei
Jugendlichen........................................................................................................... 3
8. Theologische Konsequenzen und Anfragen: ...................................................... 3
8.1. Änderung des Wissensmodus? .................................................................... 3
8.2. Zwei Wissenskulturen?................................................................................. 4
8.3. „Heilmittel gegen den Atheismus“?............................................................... 4
1. Renaissance der Religionen und der öffentliche Tod Gottes in der
westlichen Welt
Die Rede von Gott unterliegt im Raum des Öffentlichen nahezu einem vollständigen
Tabu. Gegen die Renaissance der Religion steht in der Öffentlichkeit der Tod Gottes.
Große Teile der Menschen in modernen Gesellschaften haben geradezu eine gottvergessene Lebenshaltung eingenommen: Die Frage nach Gott trifft auf Gleichgültigkeit, sie wird als irrelevant für die eigene Lebensgestaltung erachtet bzw. schon gar
nicht mehr gestellt. Was vorherrscht, ist ein Atheismus der Indifferenz. Wo das
Gottesthema noch präsent ist, wird es privatisiert. 1
2. „Neuer Atheismus“
Der sog. „Neue Atheismus“ wiederholt altbekannte Argumentationen gegen den
Gottesglauben. Insofern ist er nicht neu. Neu sind an ihm allenfalls die medial
vermittelte Polemik und die Aggressivität, mit der die Existenz Gottes bestritten wird.
Der „Neue Atheismus“ ist ein plurales Phänomen. Unterscheiden lassen sich
mindestens ein szientifischer 2 und ein kulturtheoretischer 3 Typus. Adressat dieser
Atheismen, die v. a. im angloamerikanischen Raum entstanden sind, scheint nicht
ein theologisch reflektiertes Christentum, sondern ein Christentum mit tendenziell
fundamentalistischen Grundzügen zu sein. 4
3. Wissenschaftliche Weltauslegung: naturalistischer Monismus
Einer der Hauptvertreter des neuen Atheismus, Richard Dawkins, wendet sich - wie
er
sagt
-
gegen
das
Wissensbereichen“ 5 .
„langweilige[n]
Damit
meint
er,
Klischee
dass
die
[…]
von
den
getrennten
wissenschaftstheoretische
Unterscheidung zwischen Wissenschaften, die aus der Dritten-Person-Perspektive
(Naturwissenschaften), und Wissenschaften, die aus der Ersten-Person-Perspektive
die Wirklichkeit zu erschließen versuchen, für ihn obsolet geworden sei. Was
Dawkins vertritt, ist ein naturwissenschaftlicher Monismus/Naturalismus: Was
wissenschaftlich erklärt werden kann, können allein die Naturwissenschaften
erklären. Naturwissenschaftlich basierte Erwägungen lassen ihn dazu kommen, dass
nur eine „sehr geringe Wahr-scheinlichkeit“ 6 dafür spreche, dass ein Gott existiere
bzw. dass wir sogar wissen könnten, „dass es keinen Gott“ 7 gebe.
4. „Gottes Existenz ist unwahrscheinlich!“
Das
Hauptargument
des
„Neuen
Atheismus“
wurde
folgendermaßen
zusammengefasst: (i.) Wenn es ein nicht reduzierbar komplexes Ding gibt, dann ist
die Evolutionstheorie falsch. (ii.) Die Evolutionstheorie ist nicht falsch. (iii.) Gott ist
nicht reduzierbar komplex. (iv.) Also: Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht. 8
Oder anders formuliert: Die Conclusio, zu der Richard Dawkins letztlich kommt,
lautet, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass Gott nicht existiere. Als Argument für
diese Behauptung führt er an, dass die Ansetzung eines Schöpfergottes das eh
schon gegebene Problem der statistischen Unwahrscheinlichkeit des Universums
noch verschärfe. Denn, werde Gott als Schöpfer des Universums behauptet, dann
müsse noch zusätzlich begründet werden, wie der Schöpfergott selbst entstanden
sei: „Wer gestaltete den Gestalter?“ 9
Folglich laufe der Theismus, unter
wissenschaftstheoretischer Perspektive, nur auf eine Verdopplung des statistischen
Unwahrscheinlichkeitsproblems hinaus.
Dawkins selbst geht davon aus, dass dieses Problem durch das Theorem der
natürlichen Selektion gelöst werde: Eine langsame, additive und ununterbrochene
Entwicklung höherer Komplexitäten aus niederen Komplexitäten reduziere die
Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit. Das Universum entstand also nicht aus
einem „Ja-Nein-Ereignis“, sondern durch eine akkumulative Entwicklungsleistung der
Evolution. 10
Die gesamte Argumentation impliziert zwei Prämissen: (i.) Alles, was existiert, muss
sich aus einfacheren Komplexitäten entwickelt haben. (ii.) Die einfachere
wissenschaftliche Theorie ist der komplexeren vorzuziehen.
5. Die argumentative Unbeantwortbarkeit der Frage nach Gott
Die philosophischen und theologischen Erörterungen zur Gottesfrage haben m. E.
ergeben, dass die Existenz Gottes argumentativ nicht eindeutig geklärt werden
kann. 11
6. Glaube an die Existenz Gottes bei Jugendlichen
Empirische Studien kommen tendenziell zu dem Ergebnis, dass Jugendliche
mehrheitlich
die
Existenz
Gottes
bejahen.
Nur
knapp
ein
Drittel
vertritt
religionskritische bzw. atheistische Positionen. Relativ stark vertreten ist in den
Weltbildern Jugendlicher die Komponente des Gotteszweifels. Diesen Gotteszweifel
hegen wahrscheinlich auch Teile diejenigen Jugendlichen, die angeben, an die
Existenz eines persönlichen Gottes bzw. an eine überirdische Macht zu glauben. 12
7. Unterdurchschnittliche Lebensbedeutsamkeit des
Gottesglaubens bei Jugendlichen
Inhaltlich hat sich bei denjenigen Jugendlichen, die an der Studie von Ziebertz/Riegel
teilgenommen haben, der biblische Glaube an einen personalen Gott verflüchtigt;
relativ viele Jugendliche bekennen sich zu einem deistischen Gotteskonzept: Zwar
existiert Gott, aber er hat nur einen relativ geringen Einfluss auf das eigene Leben.
Jugendliche verstehen sich als autonome Subjekte, die Grund ihrer eigenen Sinnkonstitutionen sind. Im Kontext ihrer Werteorientierung schreiben Jugendliche ihrem
Gottesglauben mehrheitlich eine unterdurchschnittliche Lebensbedeutsamkeit zu. 13
8. Theologische Konsequenzen und Anfragen:
8.1. Änderung des Wissensmodus? Angesichts der erkenntnistheoretischen
Situation, dass sich die Frage nach der Existenz Gott argumentativ als
unbeantwortbar erwiesen hat (vgl. These 5), müsste m. E. die Konsequenz gezogen
werden, dass der Wissensmodus, in dem kirchliche Verlautbarungen über den
Theismus bzw. über den Atheismus sprechen, weiterentwickelt wird: Stattfinden
müsste eine Umstellung von einem argumentativen Wahrheitsmodus auf einen
argumentativen Plausibilitätsmodus; das hieße für die Formulierung eines heute
zeitgemäßen kirchlichen Standpunkts, offen zu bekennen, dass sich die theologische
Argumentation für die Existenz Gottes nur in Plausibilitätsaussagen der geglaubten
Wahrheit annähern kann. 14 Eine allzu oft narzisstische Theologie müsste zu einer
Theologie werden, die von der argumentativen Plausibilität des Atheismus lernt, die
eigene Position in ihrer argumentativen Begrenztheit wahrzunehmen.
8.2.
Zwei
Wissenskulturen?
Die
neue
Zentrierung
der
atheistischen
Argumentation in einem monistischen Naturalismus lässt die Frage neu aufkommen,
ob die Unterscheidung von zwei Wissenskulturen argumentativ tatsächlich
aufrechterhalten werden kann?
8.3. „Heilmittel gegen den Atheismus“? In der aktuellen Zeitsituation muss m.
E. die Frage neu gestellt werden, welche „Heilmittel gegen den Atheismus“ (vgl.
These 7 zu GS) es unter unseren fortgeschrittenen Bedingungen geben kann:
1.1. Kann die Frage nach Gott in einer Situation, in der das Gottesthema für
die eigene Lebensorientierung nahezu irrelevant geworden ist, überhaupt
rehabilitiert werden?
1.2. GS war der Meinung, dass es im Kontext der atheistischen Zeitsituation
der 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (nur) darum gehe, die
christliche Lehre (von Gott) angemessen darzulegen. Wo sind heute die
existentiellen bzw. pastoralen Orte einer angemessenen Gottesrede? Sind der
postsäkularen Gesellschaft diese Orte nicht gänzlich abhandengekommen?
1.3. Ist nicht auch das „Zeugnis eines lebendigen und reifen (Gottes-)
Glaubens“ (GS 21,5) in einer gottlosen Öffentlichkeit nahezu ohnmächtig
geworden, den faktischen Atheismus bzw. den privatisierten Gottesglauben zu
überwinden?
1.4. Ist die kulturtheoretische Version des „Neuen Atheismus“ nur eine
weitergehende Reaktion auf die humanen Defizite einer selbstzentrierten
Christenheit: eine atheistische Reaktion auf die Missanerkennung der
Menschenwürde durch Religionen, eine atheistische Reaktion auf die
Bevormundung menschlicher Freiheit durch Religionen und eine atheistische
Reaktion
auf
die
Beschneidung
der
menschlichen
Autonomie
durch
Religionen? Hat sich das humane Defizit der Religionen, wie es aktuell in der
Weltöffentlichkeit wahrgenommen wird - im Vergleich zur Konzilssituation - nur
noch vergrößert und damit einen noch polemischeren und aggressiveren
Atheismus provoziert als er bisher bekannt war? 15
Literatur:
Anglberger, Albert J.J./Feldbacher, Chzristian J./Gugerell, Stefan H. (2010): Richard Dawkins Hauptargument
wissenschaftstheoretisch betrachtet, in: Albert J.J. Anglberger/Paul Weingartner (Hrsg.), Neuer Atheismus
wissenschaftlich betrachtet, Frankfurt a.M. u.a.: ontos, S. 181 - 197.
Dawkins, Richard (2007): Der Gotteswahn, Aus d. Engl. v. Sebastian Vogel, Berlin: Ullstein.
Dennett, Daniel C. (2008): Den Bann brechen, Religion als natürliches Phänomen, Aus d. Amerik. v. Frank Born,
Frankfurt a. M./Leipzig: Verlag der Weltreligionen [12006].
Gensicke, Thomas (2006): Jugend und Religiosität, in: Shell Deutschland Holding (Hrsg.) (2006), Jugend 2006,
Eine pragmatische Generation unter Druck, Konzeption u. Koordination: Klaus Hurrelmann, Mathias Albert u.
TNS Infratest Sozialforschung, Frankfurt a. M., S. 203 - 239.
Gensicke, Thomas (2010): Wertorientierungen, Befinden und Problembewältigung, in: Shell Deutschland Holding
(Hrsg.) (2010), Jugend 2010, Eine pragmatische Generation behauptet sich, Konzeption u. Koordination: Mathias
Albert, Klaus Hurrelmann, Gudrun Quenzel u. TNS Infratest Sozialforschung, Frankfurt a. M., S. 187 - 242.
Harris, Sam (2007): Das Ende des Glaubens, Religion, Terror und das Licht der Vernunft, Aus d. am. Engl. übers.
v. Oliver Fehn, Winterthur: Edition Spuren.
Harris, Sam (22008): Brief an ein christliches Land, Eine Abrechnung mit dem religiösen Fundamentalismus, Mit
e. Vorw. V. Richard Dawkins, A. d. amerik. Engl. übertr. v. Yvonne Badal, München: Bertelsmann [12006].
Hitchens, Christopher (2007): Der Herr ist kein Hirte, Wie Religion die Welt vergiftet, Aus d. Amerik. v. Anne
Emmert, München: Blessing.
Hoerster, Norbert (2005): Die Frage nach Gott, München: Beck.
Hoff, Gregor Maria (2009): Die neuen Atheismen, Eine notwendige Provokatio: Kevelaer/Regensburg: topos/Pustet.
Klausnitzer, Wolfgang/Koziel, Bernd Elmar (2012): Atheismus – in neuer Gestalt? , Frankfurt a.M. u.a.: Lang.
Kreiner, Armin (2010): Was ist neu am „Neuen Atheismus“? , in: Albert J.J. Anglberger/Paul Weingartner (Hrsg.),
Neuer Atheismus wissenschaftlich betrachtet, Frankfurt a.M. u.a.: ontos, S. 1 - 19.
Onfray, Michel (2006): Wir brauchen keinen Gott, Warum man jetzt Atheist sein muß, Aus d. Franz. v. Bertold
Galli, München/Zürich: Piper, S. 56-58.
Rommel, Herbert (2011): Mensch - Leid - Gott, Eine Einführung in die Theodizee-Frage und ihre Didaktik,
Paderborn: Schöningh, S. 220 - 258.
Rorty, Richard/Vattimo, Gianni (2006): Die Zukunft der Religion, hrsg. v. Santiago Zabala, übers. v. Michael
Adrian und Nora Fröhder, Frankfurt a.M.: SV.
Ziebertz, Hans-Georg/Riegel, Ulrich (2008): Letzte Sicherheiten, Eine empirische Untersuchung zu Weltbildern
Jugendlicher, Gütersloh/Freiburg i. Br.: Gütersloher Verlagshaus/Herder.
1
Vgl. etwa Rorty/Vattimo (2006).
Vgl. v.a. Dawkins (2007) u. Dennet (2008).
2
Vgl. v. a. Harris (2007 u. 2008) u. Hitchens (2007).
4
Vgl. Kreiner (2010), S. 1 – 19; vgl. dazu auch Klausnitzer/Koziel (2012), S. 13 – 43.
5
Dawkins (2007), S. 81.86.
6
Dawkins (2007), S. 73.
7
Dawkins (2007), S. 73.
8
Vgl. Anglberger/Feldbacher/Gugerell (2010), S. 183f.
9
Dawkins (2007), S. 168.
10
Zur gesamten Argumentation vgl. Dawkins (2007), S. 155 – 224.
11
Vgl. Rommel (2011), S. 196 – 218.
12
Vgl. Ziebertz/Riegel (2008), bes. S. 131 - 166; Gensicke (2006), bes. S. 175 - 183 u. Gensicke (2010), S. 204 - 207.
13
Ziebertz/Riegel (2008), bes. S. 131 - 166 u. Gensicke (2006), bes. S. 180.
14
Vgl. Hoff (2009), S. 139 - 158.
15
Dass es auch in der Religionsgeschichte aggressive und polemische Formen der Religions- und Gotteskritik gab, mag hier,
um der Pointierung der Aussage wegen, unberücksichtigt bleiben.
2
3
Herunterladen