© Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau c/o Institut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften; download www.zobodat.at [168 1 Zur Frage der Reinfektion und ihrer Beziehung zur chemotherapeutischen Behandlung bei experimenteller Kaninehensyphilis.I} Von Dr. H. Großmann. Aus dem Hygienischen Institut der Univ. Freiburg i. Br. (Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. U hlenhuth .) Die erfolgreiche Impfung von K a n i n c h e n mit syphilitischem Material in die H o d e n hat eine ausgesprochene Immunität gegen eine testikuläre Zweitimpfung zur Folge. Diese Immunität tritt ca. 60 Tage nach erfolgter Infektion in Erscheinung und ist im all­ gemeinen nach 3—4 Monaten vollendet. Bei Verwendung ein und desselben Stammes für Erst- und Zweitimpfung ist eine Hoden­ immunität mit großer Regelmäßigkeit festzustellen, wenn man von gelegentlichen Ausnahmen absieht (U hlenhuth u . Mulzee , P laut u. Mulzee ); sie äußert sich dann in der Weise, daß die nachge­ impften Tiere entweder gar nicht mit der Ausbildung von lokalen Krankheitserscheinungen reagieren oder daß nur uncharakteristische, einer Erstimpfung nicht entsprechende, Krankheitsprodukte zu er­ zeugen sind. Die „Hodenimmunität“ bleibt auch dann bestehen, wenn die Hodenerkrankung unter Hinterlassung einer latenten Infektion längst spontan ahgeheilt ist. Da spontane Ausheilungen bei syphilitischen Kaninchen unter Fortbestehen einer Immunität bisher nicht erwiesen und auch nicht sehr wahrscheinlich sind, liegt die Annahme am nächsten, daß es sich hier um eine „Infektionsimmunität“ handelt, d. h. um eine Immunität, die an die Gegenwart der Erreger gebunden ist. Wenn die Erreger also auf irgendeine Weise z. B. auf chemothera-*) *) Mit Unterstützung der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. © Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau c/o Institut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften; download www.zobodat.at 169] Z ur F rage der R einfektion usw . 2 peutiscliem Wege aus dem Organismus entfernt werden, so müßte dies das Schwinden der Immunität zur Folge haben, geheilte Tiere müßten also auf die Reinfektion ebenso reagieren wie gesunde auf eine Erstimpfung. Diese Theorie bildete die Grundlage für Untersuchungen von K olle , hei denen die Reinfektion zum Nachweis eines Heileffektes herangezogen wurde. K olle hat festgestellt, daß mit dem Truffistamm infizierte Tiere, die vor dem 40. Krankheitstage mit großen Salvarsandosen behandelt und später (mehr als 90 Tage nach der Infektion) reinfiziert werden, in 85—90°/0 mit typischen Primär­ affekten reagieren. Wird dagegen erst nach dem 40. Tage behandelt, so erfolgt auf die Nachimpfung eine Schankerbildung nur noch selten, bei Beginn der Behandlung nach dem 3. Monat überhaupt nicht mehr. Diese Beobachtungen wurden von verschiedenen Seiten im wesentlichen bestätigt, auch bei Verwendung anderer Stämme. K olle schließt daraus, daß eine r e s t l o s e H e i l u n g in weitaus den meisten Fällen nur im F r ü h s t a d i u m de r S y p h i l i s m ö g l i c h i s t , was aus der positiven Reinfektion hervorgeht. Bei spätbehandelten Tieren beweist nach seiner Ansicht die negative Reinfektion dagegen, daß die Tiere noch mit Spirochäten behaftet, also nicht geheilt sind. U hlenhuth und Grossmann haben nun, wie früher mitgeteilt,a) an fünf Tieren, die nach intratestikulärer bzw. intravenöser Impfung an schwerer manifester Allgemeinsyphilis erkrankt waren, Unter­ suchungen über die Möglichkeit der restlosen chemotherapeutischen Ausheilung vorgenommen. Die Tiere waren sämtlich vor mehr als 90 Tagen geimpft worden, sie befanden sich also im Spätstadium der Syphilis. Die Behandlung mit großen Dosen von N e o s i l b e r s a l v a r s a n bei vier Tieren und von a t o x y l s a u r e m W i s m u t bei einem Tier erfolgte also zu einer Zeit, in der nach K olle eine Heilung nicht mehr gelingt. Bei sämtlichen Tieren verlief die Verimpfung von Organen und Lymphdrüsen, primär und sekundär durch geführt, negativ. Man kann also annehmen, daß die Tiere restlos geheilt waren. Diese Ergebnisse machen in Übereinstimmung mit Untersuchungen anderer Autoren (Chesny u . K emp , Manteufel u . W orms) die M ö g ­ l i c h k e i t e i n e r r e g e l m ä ß i g e n A u s h e i l u n g der Kaninchen­ syphilis a u c h i m S p ä t s t a d i u m durch hohe Salvarsandosen sehr wahrscheinlich, daraus folgt ferner die Berechtigung zu der Annahme,*) *) Deutsch, med. Wochenschr. 1927, Nr. 7. © Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau c/o Institut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften; download www.zobodat.at 3 H. G rossmann, [1 7 0 daß die R e i n f e k t i o n s m e t h o d e zum N a c h w e i s e i n e s H e i l ­ e f f e k t e s ni cht mi t S i c h e r h e i t v e r w e r t b a r ist, und drittens geht daraus hervor, daß es sich bei der Kaninchensyphilis wohl n i c h t um eine I n f e k t i o n s i m m u n i t ä t , sondern wahrscheinlich um eine e c h t e I m m u n i t ä t handelt, d. h. um eine Immunität, die auch bestehen bleibt, wenn die Erreger restlos aus dem Orga­ nismus entfernt sind. Im Zusammenhang mit diesen Darlegungen sind Beobachtungen über Hodennachimpfungen, die wir an einigen intratestikulär erst­ geimpften und mit a t o x y l s a u r e m W i s m u t behandelten Tieren vorgenommen haben, von Interesse. Siehe Tabelle auf Seite 4. Die Tiere wurden nach Ausbildung typischer Hodenerkrankungen mit der vorher ermittelten Heildosis von atoxylsaurem Wismut (0,04 g—0,06 g pro kg) behandelt. Wie ich früherl) mitteilte, er­ zielten wir bei einmaliger Anwendung dieser Dosen eine aus­ gesprochene lokale Heilwirkung, was aus dem Verschwinden der Spirochäten und dem Rückgang der Erscheinungen ersichtlich war. Die Behandlung erfolgte 48—69 Tage nach der Erstimpfung, die Nachimpfung wurde 7 1/2—9 3/4 Monate nach der Erstimpfung bzw. 4—6 Monate nach Abschluß der Behandlung vorgenommen. Vier­ mal (von 8 Fällen) war die Reinfektion erfolgreich. Kaninchen 405 und 361 erkrankten bei einer Inkubation von 14 Tagen an typischen Schankern, Kan. 404 nach 1 V2 Monaten an einer haselnußgroßen Orchitis. Bei Kan. 574, erkrankt nach 3 Monaten, blieb der Befund an Stärke hinter dem durchschnittlichen der Kontrollen bedeutend zurück und ist daher nicht als typisches einer Erstinokulation ent­ sprechendes Impfprodukt zu bewerten. Zwei dieser mit Erfolg reinfizierten Tiere (Kan. 361 und 404) waren nach Abschluß der Behandlung an typischen Keratitiden erkrankt, sie waren also keinesfalls geheilt. Trotzdem reagierten sie auf die Nachimpfung mit der Ausbildung von Krankheitsprodukten, die einer Erstimpfung entsprachen; sie waren also superinfiziert. Bei Kan. 514, ebenfalls an rezidivierender Keratitis erkrankt, kam das Virus bei der Nach­ impfung nicht zu lokaler Haftung. Kan. 516, mit der gleichen Dosis und zu gleicher Zeit nach der Impfung wie Kan. 405 und 514 behandelt, wurde ebenfalls mit negativem Resultat reinfiziert. Die Kontrollimpfungen gingen zu 100 °/0 an. Bei sicher nicht geheilten, nach dem 40. Krankheitstage behandelten, Tieren kann also die 0 Med. Klinik 1926, Nr. 19. © Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau c/o Institut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften; download www.zobodat.at Z ur F rage der R einfektion usw . 171] e s > X! 2M ® o ;c g 'S <1 ^ I ©, 'P i « 2 ^ X3 Xfl § . ® o3 ® •— GO .2 . « ' O ö*>x: c © « 'S ® -S ^ . ¡s N ® Ä I © « O H GO ¿h © i. 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In diesem Falle liegt die Annahme am nächsten, daß eine unge­ nügende Behandlung eine H e m m u n g d e r I n f e k t i o n und da­ mit eine m a n g e l h a f t e A u s b i l d u n g de r G e s a m t i m m u n i t ä t zur Folge hatte, die bei den mit Erfolg reinfizierten Tieren einen geringeren Grad erreichte als bei den erfolglos reinfizierten. Mög­ lich, daß die verschiedene Virulenz des zu den Nachimpfungen verwendeten Materials dabei auch eine Rolle spielt. Auffallend ist, daß gerade bei zwei Tieren, die an Augenrezidiven erkrankten, das Virus bei der Nachimpfung zur Haftung kam, da gerade hier in­ folge einer erneuten Gewebsreaktion mit einem erhöhten Schutz zu rechnen war. Ganz abgesehen davon, daß der Salvarsanwirkung wohl nicht die gleichen Vorgänge zugrunde liegen wie der Wirkungsweise von Metallverbindungen, so gestatten diese wenigen Fälle schon deshalb keine Vergleiche mit Reinfektionsversuchen an salvarsanbehandelten Tieren, da mindestens die Mehrzahl der Tiere, wie die häufigen Augenrezidive zeigen, nicht hinreichend behandelt war, obwohl der Heileffekt auf die lokalen Erscheinungen hinter dem der Salvarsankontrollen kaum zurückblieb. Dafür, daß auch mit atoxylsaurem Wismut eine restlose Heilung möglich ist, spricht der bereits oben kurz erwähnte Fall, bei dem es sich um ein Tier handelte, das nach Abheilung einer schweren manifesten Allgemeinsyphilis, also im Spätstadium, mit zwei großen Dosen atoxylsauren Wismuts (0,06 und 0,1 g pro kg) behandelt wurde. Die Verimpfung von Organen und Drüsen verlief negativ. Es wäre also möglich, daß bei inten­ siverer Behandlung der oben erwähnten Versuchstiere ebenfalls ein sicherer Heileffekt zustande gekommen wäre. Ob bezw. wie die Ergebnisse der Reinfektion dadurch beeinflußt worden wären, dar­ über läßt sich natürlich nichts aussagen. Trotzdem dürfte in der­ artigen Beobachtungen ein weiterer Hinweis darauf zu erblicken sein, daß die R e i n f e k t i o n a l s Mi t t e l z u m N a c h w e i s e i n e s H e i l ­ e f f e k t e s i m a l l g e m e i n e n mi t V o r s i c h t zu b e u r t e i l e n i s t , wie dies U hlenhuth u. Grossmann bereits früher ausgesprochen haben.