Sinnvolle Hypophysenstimulationstests

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MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Sinnvolle Hypophysenstimulationstests
Stephan Petersenn, Hans-Jürgen Quabbe, Christof Schöfl, Günter K. Stalla,
Klaus von Werder, Michael Buchfelder
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Erkrankungen der Hypophyse können mit einem Funktionsverlust einzelner Hormonachsen und entsprechender klinischer Symptomatik einhergehen. Die
Diagnostik ist jedoch wenig standardisiert.
Methode: Die Mitglieder der Sektion Neuroendokrinologie
und der Arbeitsgemeinschaft Hypophyse der Deutschen
Gesellschaft für Endokrinologie haben Zusammenfassungen zur Untersuchung der einzelnen Hypophysenachsen
erarbeitet. Diese wurden auf den letzten Jahrestagungen
öffentlich diskutiert.
Ergebnisse: Bei der Untersuchung der thyrotropen Achse
ist die Bestimmung des basalen TSH und fT4 meist ausreichend. Die Beurteilung eines sekundären Hypogonadismus beim Mann orientiert sich am Testosteron. Bei Werten
im Graubereich kann die Berechnung des freien Testosterons hilfreich sein. Bei der Frau ist ein intakter Zyklus ausreichender Beweis der Funktion. Andernfalls kann die basale Bestimmung von Östradiol und Gonadotropinen eine
Einordnung erlauben. Bei der Beurteilung der kortikotropen Achse ist der basale Kortisol-Wert hilfreich, gegebenenfalls ergänzt um einen Provokationstest. Für die Beurteilung der somatotropen Achse sollten Provokationstests
durchgeführt werden. Neben dem Insulin-HypoglykämieTest hat sich der GHRH-Arginin-Test etabliert, für den auch
Body-Mass-Index-abhängige Grenzwerte definiert sind.
Schlussfolgerung: Abhängig von der klinischen Symptomatik und der Grunderkrankung ist ein gestaffeltes Vorgehen bei der Diagnostik einer Hypophyseninsuffizienz sinnvoll. Bei einzelnen Hypophysenachsen reicht die Bestimmung der basalen Hormone, bei anderen sind Stimulationstests notwendig. Die Durchführung eines kombinierten
Hypophysentests ist zurückhaltend zu beurteilen.
us verschiedensten Erkrankungen im Bereich
von Hypothalamus und Hypophyse kann eine
Funktionsstörung der Hypophyse resultieren, die zu erheblichen Symptomen bis hin zum hypophysären Koma führen kann. Hypophysenadenome sind wahrscheinlich wesentlich häufiger als bisher angenommen, mit einer Prävalenz von 1 pro 1 000 Einwohner
(1). Neben Tumoren, Einblutungen, Operationen und
Bestrahlungen hat man in den letzten Jahren zudem
den Ausfall einzelner Hypophysenachsen nach Schädel-Hirn-Trauma als klinisches Problem erkannt. Während die Prävalenz der Hypophyseninsuffizienz bisher
auf etwa 0,5 pro 1 000 geschätzt wurde, ist unter Berücksichtigung der letzteren Erkrankung von einem
weitaus häufigeren Auftreten auszugehen (2). Bei adäquater Diagnostik kann eine Substitution der fehlenden
Hormone erfolgen (Grafik 1), die eine weitgehende
Normalisierung der Lebensqualität bedeutet. Die Testung der Hypophysenfunktion wird jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt. Sowohl falsch positive Ergebnisse mit Substitution teurer Hormone als auch falsch
negative Tests mit unzureichender Substitution eines
lebensnotwendigen Hormons sollten vermieden werden. Mit Ausnahme der Diagnostik des Wachstumshormonmangels (e1, e2) gibt es keine publizierten
Leitlinien zu diesem Thema. Die vorhandenen Publikationen besitzen überwiegend ein geringes Evidenzniveau Grad III. Diese Experten-Stellungnahme (Evidenzniveau Grad IV) soll die Schwierigkeiten und
Fehlerquellen bei der Durchführung und Interpretation
von endokrinologischen Untersuchungen zur Evaluation der Hypophysenfunktion aufzeigen. Sie bezieht
sich ausdrücklich auf Patienten mit einer sehr wahrscheinlichen Erkrankung im Bereich der Hypophyse/
des Hypothalamus.
A
Methodik
Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(25): 437–43
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0437
ENDOC Zentrum für Endokrine Tumoren, Hamburg: Prof. Dr. med. Petersenn
Charité-Universitätsmedizin Berlin, Berlin: Prof. emer. Quabbe
Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Klinik I,
Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen: Prof. Dr. med. Schöfl
Innere Medizin/Endokrinologie, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München:
Prof. Dr. med. Stalla
Endokrinologikum, München: Prof. Dr. med. von Werder
Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen:
Prof. Dr. med. Buchfelder
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 25 | 25. Juni 2010
Von Mitgliedern der Sektion Neuroendokrinologie sowie der Arbeitsgemeinschaft Hypophyse der Deutschen
Gesellschaft für Endokrinologie wurden Zusammenfassungen zu der Testung der einzelnen Hypophysenachsen erarbeitet. Hierzu bezogen die Experten relevant erscheinende Literaturquellen ein, die sie mittels
Recherche der Datenbank PubMed fanden. Die Entwürfe wurden öffentlich auf den Jahrestreffen der Sektion Neuroendokrinologie sowie der Arbeitsgemeinschaft Hypophyse zur Diskussion gestellt. Diese Expertenmeinungen sind hier zusammengefasst, wobei nicht
der Anspruch einer umfassenden Literaturdarstellung
erhoben wird.
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Hypophysenvorderlappenhormone, ihre Regulation
durch hypothalamische Peptide und die kontrollierten
Hormone peripherer endokriner Drüsen
GHRH, Growth-Hormon-releasing-Hormon;
CRH, Corticotropin-releasing-Hormon;
TRH, Thyreotropin-releasing-Hormon;
GnRH, Gonadotropin-releasing-Hormon;
GH, Wachstumshormon;
IGF-1, Insulin-like-Growth-Factor 1;
PR, Prolaktin;
ACTH, adrenocorticotropes Hormon;
TSH, Thyroidea stimulierendes Hormon;
T4, Thyroxin;
LH, luteinisierendes Hormon;
FSH, follikelstimulierendes Hormon
GRAFIK 1
Ergebnisse
Untersuchung der thyreotropen Achse
Klinisch unterscheidet sich eine zentrale Hypothyreose nicht von einer primären Hypothyreose, die
durch einen Funktionsverlust der Schilddrüse selbst
verursacht ist. Die heute verfügbaren sensitiven Untersuchungsmethoden ermöglichen in der Regel die
Diagnose durch eine Bestimmung von basalem Thyroidea stimulierendem Hormon (TSH) und freiem
Thyroxin (fT4). Eine Untersuchung des fT3 ist bei
unverändert bestehenden Problemen der präzisen
Messung nicht sinnvoll. Im eindeutigen Fall sind fT4
erniedrigt und TSH ist entweder erniedrigt beziehungsweise inadäquat normal, im Gegensatz zu dem
erwarteten Anstieg bei einer primären Hypothyreose.
Probleme bei der Interpretation können bei niedrig
normalem fT4 und TSH entstehen. Die Sekretion
von immunogenem, aber biologisch weniger aktivem
TSH, kann zur Messung von hoch normalen bis
leicht erhöhten TSH-Werten führen (3) und damit die
Konstellation einer beginnenden primären (subklinischen) Hypothyreose vortäuschen. In Zweifelsfällen
helfen Verlaufsuntersuchungen bei der Klärung der
Situation (e3). Ein Vergleich mit Schilddrüsenwerten, die zum Zeitpunkt einer noch intakten thyreotropen Funktion gemessen wurden, kann ebenfalls hilfreich sein, da die intraindividuelle Schwankungsbreite der Schilddrüsenwerte relativ gering ist (4).
Dies kann bei präoperativ intakter thyreotroper
Funktion für die postoperative Beurteilung genutzt
werden.
Beim Thyreotropin-releasing-Hormon(TRH)-Test
(Tabelle 1) beträgt beim Gesunden der absolute
TSH-Anstieg circa 1,5 bis 45 mU/L und der relative
Anstieg das 2,8- bis 23-fache des Ausgangswertes
(e4). Aufgrund einer hohen Variabilität der Tester-
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gebnisse bei Gesunden und Kranken sowie zahlreicher Faktoren, die das Testergebnis beeinflussen
können (e3, e5), wird eine routinemäßige Bestimmung nicht empfohlen (5, 6). Im Einzelfall einer
schwer zu interpretierenden Konstellation von basalem TSH und fT4 kann er jedoch hilfreiche Zusatzinformationen liefern. Allgemein gilt er als relativ gut
verträglich und nebenwirkungsarm. Neben kurzfristiger Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, leichtem
Blutdruckanstieg, Geschmackssensationen, Flush
und Harndrang wurden bei Kindern mit Epilepsie
und Krampfneigung epileptische Anfälle nach Applikation von TRH beobachtet. Bei einzelnen Patienten
mit einem hypophysären Makroadenom wurde im
Zusammenhang mit der Gabe von TRH ein Hypophysenapoplex beschrieben (e6). Für große Hypophysentumore gilt daher eine Anwendungsbeschränkung.
Untersuchung der gonadotropen Achse
Beim Hypogonadismus des Mannes steht ein Verlust
der Libido mit nachfolgender Infertilität im Vordergrund. Bei plötzlicher Entwicklung treten auch beim
Mann Hitzewallungen auf. Dagegen entwickelt sich
ein muskulärer Abbau mit verminderter Energie und
Osteoporose erst im Langzeitverlauf. Klinische Zeichen wie Involution der Hoden, Verminderung der
Sekundärbehaarung oder Entwicklung einer Gynäkomastie sind nicht konsistent.
Testosteron unterliegt einer zirkadianen Rhythmik
mit maximalen Serumspiegeln in den frühen Morgenstunden. Das freie, physiologisch aktive Testosteron
macht nur etwa ein bis zwei Prozent des Gesamttestosterons aus, während der überwiegende Anteil des
Gesamttestosterons an Albumin und Sexualhormonbindendes Globulin (SHBG) gebunden ist (e7). Die
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 25 | 25. Juni 2010
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Strukturierte Untersuchung der basalen
Hypophysenhormone mit anschließender Evaluation mittels
dynamischer Testverfahren
Im oberen Teil der Grafik Darstellung der relevanten
Hypophysenvorderlappenachsen wie in Grafik 1, im unteren Teil
Ablauf der stufenweisen endokrinologischen Diagnostik:
KI, Kontraindikationen;
IGF-1, Insulin-like-Growth-Factor 1;
fT4, freies Thyroxin;
TSH, Thyroidea stimulierendes Hormon;
LH, luteinisierendes Hormon;
FSH, follikelstimulierendes Hormon;
CRH, Corticotropin-releasing-Hormon;
ACTH, adrenocorticotropes Hormon;
HT, Insulin-Hypoglykämie-Test;
GHRH, Growth-Hormon-releasing-Hormon;
TRH, Thyreotropin-releasing-Hormon;
GnRH, Gonadotropin-releasing-Hormon
Kalkulation des freien Testosterons mit Annäherungsformeln ist die derzeit exakteste und allgemein empfohlene Methode, während die Messung des freien
Testosterons im Analogassay kritisch beurteilt werden muss. Das freie Testosteron kann zum Beispiel
nach Bestimmung von Gesamttestosteron, Albumin
und SHBG mit der Formel von Vermeulen et al. (7)
errechnet werden (Kalkulator unter www.issam.ch).
Die Diagnose des männlichen Hypogonadismus wird
gestellt durch wiederholt gemessene erniedrigte morgendliche Testosteronspiegel von < 10,4 nmol/L (300
ng/dL) beziehungsweise ein erniedrigtes freies Testosteron von < 0,255 nmol/L (7 ng/dL) (e8). Bei Werten im Grenzbereich zwischen 10 und 12 nmol/L ist
das Vorhandensein typischer klinischer Symptome
mitentscheidend. Diese Grenzwerte sind auf den genutzten Assay zu übertragen und unter Einbeziehung
von Alter und BMI zu interpretieren.
Die Diagnose des sekundären Hypogonadismus
beruht neben Anamnese und Klinik auf der Messung
inadäquat niedriger LH(luteinisierendes Hormon)und FSH(follikelstimulierendes Hormon)-Spiegel
bei zeitgleich erniedrigtem Testosteron (e9). Beim
sekundären Hypogonadismus muss eine Hyperprolaktinämie als Ursache ausgeschlossen werden. Dynamische Funktionstests sind im Erwachsenenalter
bei Patienten mit einem klassischen sekundären Hypogonadismus häufig verzichtbar. Aus diesem Grund
ist auch die undifferenzierte Testung aller Hypophysenachsen mittels eines kombinierten Hypophysentests bei dem im Rahmen dieses Artikels diskutierten
Patientenkollektiv obsolet. In der schwierigen Differenzialdiagnose der konstitutionellen Entwicklungsverzögerung versus sekundärer Hypogonadismus
kann der GnRH(Gonadotropin-releasing-Hormon)Test (Tabelle) unter Berücksichtigung von altersDeutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 25 | 25. Juni 2010
GRAFIK 2
und pubertätsstadienabhängigen Normwerten durchgeführt werden (8–10). In der Differenzialdiagnose
der partiellen Androgendefizienz des alternden Mannes (LOH; Late-onset Hypogonadismus) versus sekundärer Hypogonadismus kann der GnRH-Test hilfreich sein; nur bei einem Anstieg des LH auf > 15
mU/L ist ein hypophysenbedingter Hypogonadismus
zum Beispiel durch ein Makroadenom definitiv ausgeschlossen (11).
Bei der prämenopausalen Frau schließt ein normaler, ovulatorischer Zyklus einen Hypogonadismus
aus. Ausnahme ist die Einnahme von oralen Kontrazeptiva. Pragmatisch sollte hier eine Beurteilung erst
nach Pausierung für mindestens zwei Monate erfolgen. Inappropriat niedrige Gonadotropine in Zusammenhang mit niedrigen Östradiol-Spiegeln weisen
auf einen sekundären Hypogonadismus hin. Bei der
postmenopausalen Frau sind die Gonadotropinkonzentrationen physiologisch erhöht, so dass Gonadotropine im Normbereich ebenfalls auf einen sekundären Hypogonadismus hinweisen.
Untersuchung der kortikotropen Achse
Bei unzureichendem Anstieg von Kortisol in Stresssituationen kann es zu der Entwicklung einer akuten
Nebenniereninsuffizienz mit lebensgefährlichem
Schock kommen. Meist ist die Entwicklung jedoch
eher schleichend mit unspezifischen Störungen wie
Übelkeit, Erbrechen, abdominellen Schmerzen, Leistungsverlust und Müdigkeit, Fieber und Vigilanzstörungen, bei verlängerter Fastenzeit auch mit Entwicklung einer Hypoglykämie.
Das um acht Uhr gemessene Kortisol im Serum
kann bereits eine ausreichende Befundung ermöglichen. Aufgrund der zirkadianen Rhythmik ist die
standardisierte Blutentnahme zu einem Zeitpunkt
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TABELLE
Übersicht einiger häufig eingesetzter Hypophysenteste sowie Hinweise zur praktischen Durchführung der zu messenden
Hormonparameter sowie der Zeitpunkte der Blutentnahmen
Test
Durchführung
Bemerkung
Parameter
Blutentnahme
TRH-Test
1 Amp (200 µg) TRH
Injektionsdauer: > 60 sec
cave: bei großen Makroadenomen
sehr selten Apoplexie
TSH
0’ vor Injektion,
dann 30’
GnRH-Test
1 Amp (100 µg) LHRH
Injektionsdauer: < 30 sec
cave: bei großen Makroadenomen
sehr selten Apoplexie
LH
FSH
0’ vor Injektion,
dann 30’
IHT
0,15 IE/kg KG Altinsulin iv.
(bei Nebenniereninsuffizienz 0,1 IE/kg
KG, bei gestörter Glukosetoleranz oder
Akromegalie 0,2 IE/kg KG)
Patient nüchtern
KI: Epilepsie, KHK
sicherer venöser Zugang mit
Braunüle
Glukose 20 % fertig aufgezogen
griffbereit
ständige Präsenz von ausgebildetem Personal beim Patienten
GH
Kortisol (- ACTH)
0’ vor Injektion,
dann 15’, 30’, 45’,
60’, 90’, 120’
CRH-Test
CRH 1µg/kg KG iv.
nach Auflösung sofort verwenden
Injektionsdauer: < 30 sec
Kortisol (- ACTH)
0’ vor Injektion,
dann 15’, 30’, 45’,
60’
ACTH-Test
1 Amp (250 µg) Synacthen-Injektionslösung iv. (im Kühlschrank und in
Packung lichtgeschützt lagern)
vor Injektion schütteln
Injektionsdauer: < 30 sec
Kortisol
0’ vor Injektion,
dann 30’, 60’
GHRH/
Arginin-Test
GHRH 1µg/kg KG iv.
(kann bei Raumtemperatur lagern)
nach Auflösung sofort verwenden
Injektionsdauer: < 30 sec
danach Infusion von 30 g Arginin 21,07 %
(7 Amp = 30 g) über 30 min verdünnt in
NaCl 0,9 %
cave: bei KG < 60 kg Arginin reduzieren:
KG/2 g, zum Beispiel 50 kg – >25g
GH
0’ vor Injektion,
dann 30’, 45’, 60’,
90’
Patient nüchtern
Insbesondere zu den Zeitpunkten der Blutentnahmen gibt es eine Vielzahl von Variationen
TRH, Thyreotropin-releasing-Hormon; GnRH, Gonadotropin-releasing-Hormon; IHT, Insulin-Hypoglykämie-Test; CRH, Corticotropin-releasing-Hormon;
ACTH, adrenocorticotropes Hormon; GHRH, Growth-Hormon-releasing-Hormon; GH, Wachstumshormon; KI, Kontraindikationen
mit definierten Normwerten von besonderer Bedeutung. Bei reproduzierbar niedrigen Spiegeln um acht
Uhr unter 80 bis 110 nmol/L ist eine Nebenniereninsuffizienz weitgehend sicher (12) (e10–e12), so dass
direkt eine Substitution empfohlen werden kann.
Werte über 470 bis 500 nmol/L schließen eine Nebenniereninsuffizienz aus (e10, e12). Für Werte zwischen diesen beiden Grenzwerten ist eine weitere
Untersuchung mittels Provokationstests notwendig,
jedoch kann dies etwa einem Viertel der Patienten erspart bleiben (e13).
Als Goldstandard wird unverändert der InsulinHypoglykämie-Test (IHT) (Tabelle) vorgeschlagen,
der die Funktionsfähigkeit der gesamten HPA („Hypothalamic-pituitary-adrenocortical“)-Achse während einer relevanten Belastungssituation testet. Bei der
Durchführung dieses Tests müssen Kontraindikationen wie zerebro- und kardiovaskuläre Erkrankungen
sowie eine Epilepsie bedacht werden. Aufgrund der
potenziell kritischen Folgen der induzierten Hypoglykämie ist die Anwesenheit eines Arztes während des
gesamten Tests erforderlich. Insulin wird intravenös in
einer Dosis von 0,15 IU/kg KG (bei hochgradigem
Verdacht auf Nebenniereninsuffizienz nur 0,1 IU/kg
440
KG, bei Diabetes mellitus oder Akromegalie 0,2 IU/kg
KG) injiziert. Die Kortisolspiegel im Serum werden zu
den Zeitpunkten 0’,15’, 30’, 45’, 60’, 90’ und 120’ gemessen. Zur sicheren Bewertung werden in den Studien Blutzuckerwerte unter 36 bis 40 mg/dL, verbunden
mit klinischen Zeichen einer Hypoglykämie gefordert,
wenngleich in einer systematischen Studie ein sicherer
Anstieg von adrenocorticotropem Hormon (ACTH)
nur bei Glukose-Spiegeln unter 29 mg/dL erreicht
wurde (13). Ist nach 30 Minuten noch kein ausreichender Effekt erzielt, sollte die 1,5-fache Menge der vorherigen Insulindosis nachgespritzt werden. Beurteilt
wird der absolute Kortisol-Peak, der prozentuale Anstieg erlaubt keine sichere Bewertung (e10).
Der Grenzwert für eine physiologische Reaktion
wurde aus dem Vergleich mit den maximalen Kortisol-Konzentrationen während Operationen, Myokardinfarkten oder einer Sepsis abgeleitet. Die meisten Publikationen orientieren sich hierbei an einem
Peak-Kortisol von 500 nmol/L, ohne dass randomisierte Studien zum Langzeitverlauf in Abhängigkeit von der Kortisolantwort existieren (e14). Die
Reproduzierbarkeit des IHT wurde in drei Studien an
Probanden als gut beschrieben mit VariationskoeffiDeutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 25 | 25. Juni 2010
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zienten von sieben bis zwölf Prozent (13) (e15, e16).
Eine dieser Studien untersuchte auch Patienten mit
Hypophyseninsuffizienz und beschrieb eine deutlich
schlechtere Reproduzierbarkeit mit einem Variationskoeffizienten von 41,6 Prozent (e15). In dieser
Studie erhielten die Patienten im Gegensatz zu den
Probanden intra- und interindividuell unterschiedliche Mengen von Glukose nach Erreichen der Hypoglykämie. In einem prospektiven Vergleich zweier
Gruppen von jeweils 50 Kindern mit Wachstumsverzögerung wurden signifikant niedrigere Kortisolspiegel bei einer derartigen Gabe von Glukose beschrieben (14). Eine Studie an erwachsenen Probanden fand demgegenüber keine signifikanten Unterschiede bei Durchführung des IHTs mit und ohne zusätzliche Glukosegabe (e17). Allerdings fand man
erhebliche intraindividuelle Schwankungen in den
Kortisol-Peaks. Vereinbar hiermit scheinen das Ausmaß und die Dauer der Hypoglykämie mit dem Kortisol-Peak zu korrelieren (13). Die Substitution mit
Glukose sollte daher während des Tests nur bei klinischer Notwendigkeit erfolgen, solange keine weiteren Studiendaten vorhanden sind.
Ebenfalls die Intaktheit der gesamten HPA-Achse
überprüft der Metopyrontest. Die Patienten erhalten
2,5–3 g Metopyron per os gegen Mitternacht, gefolgt
von einer morgendlichen Blutabnahme. Der Test erfordert die Bestimmung von 11-Desoxykortisol und
wird meist stationär durchgeführt, da als Folge der
Enzymblockade eine akute Nebenniereninsuffizienz
auftreten kann. Aus diesen Gründen wird er nur in
wenigen Institutionen durchgeführt (15). Beim Kortikotropin-Releasing-Hormon(CRH)-Test (Tabelle)
stimuliert die exogene Gabe von humanem CRH die
Sekretion von ACTH aus der Hypophyse (16). Typischerweise werden 1µg/kg KG intravenös verabreicht und Kortisol über 60’ alle 15’ bestimmt. Beurteilt wird der absolute Kortisol-Peak. Zumindest bei
der Frage einer organisch bedingten Nebenniereninsuffizienz hat sich die Interpretation des prozentualen Anstiegs nicht bewährt (12). Bei Peak-Werten
oberhalb von 514–615 nmol/L ist eine Nebenniereninsuffizienz weitgehend sicher ausgeschlossen, bei
Werten unterhalb von 349–420 nmol/L dagegen sehr
wahrscheinlich (12, 17). Im Vergleich zum IHT wurden gegenüber dem basalen Cortisol nur weitere 18
Prozent der Patienten durch den anschließenden
CRH-Test richtig eingestuft.
Beim ACTH-Test (Tabelle) werden 250 Mikrogramm ACTH (1–24) intravenös injiziert und Kortisol nach 30 bis 60 Minuten bestimmt (e18). Bei sekundärer Nebenniereninsuffizienz sollte aufgrund einer partiellen Atrophie der Zona fasciculata der Nebenniere der Synacthen-induzierte Kortisol-Anstieg
geringer ausfallen, so dass sich indirekt auf eine intakte HHA-Achse schließen lässt. Unter Anwendung
von Grenzwerten für den Kortisol-Peak zwischen
500–600 nmol/L werden Sensitivitäten unter 50 Prozent bis zu fast 100 Prozent für die Diagnose einer
Nebenniereninsuffizienz berichtet (e19, e20). Eine
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 25 | 25. Juni 2010
Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass aufgrund der
begrenzten Sensitivität bei Verdacht auf eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz andere Tests mit Stimulation höher gelegener Zentren angewandt werden
sollten (18). Andererseits existieren zu diesem Test
Verlaufsuntersuchungen, die eine hohe prädiktive Genauigkeit für den Ausschluss einer relevanten sekundären Nebennierenrinden-Insuffizienz feststellen
(e21). Bei der Durchführung ist ein ausreichender Abstand von mindestens drei Monaten zu der potenziellen Ursache (zum Beispiel Operation) zu fordern, so
dass sich eine Atrophie der Nebennierenrinde (NNR)
einstellen kann (e22, e23). Eine abgewandelte Form
des Tests mit Applikation von nur 1 µg (sogenannter
„low-dose“-ACTH-Test) soll empfindlicher bei der
Aufdeckung der partiellen sekundären NNR-Insuffizienz sein als der konventionelle ACTH-Test (e19).
Andere Autoren haben dagegen keinen Unterschied
zwischen diesen beiden Varianten finden können (19,
e24). Ein wesentliches Argument für den konventionellen SST ist die Tatsache, dass ACTH 1–24 nur als
250 Mikrogramm Synacthen® ampulliert ist. Bei der
Verdünnung können nicht zuletzt auch durch Absorption des Peptids an Oberflächen Fehler entstehen, die
die Testergebnisse verfälschen.
Untersuchung der somatotropen Achse
Fehlende
Sekretion
des
Wachstumshormons
(„growth hormone“, GH) ist im Erwachsenenalter
nicht mit unmittelbar erkennbaren Symptomen verbunden. Bei Verdacht ist daher ein Nachweis des
GH-Mangels erforderlich. Einzelne GH-Werte reichen hierzu nicht aus, da GH pulsatil sezerniert wird.
Zwischen den Pulsen liegen die Konzentrationen
physiologischerweise unterhalb der Nachweisbarkeit
auch sehr sensitiver Assays. Die IGF(„Insulin-likeGrowth-Factor“)-1-Konzentration als alleiniger Parameter ist ebenfalls meist kein ausreichender Marker eines GH-Mangels. Auch bei ausgeprägtem GHMangel können normale IGF-1-Werte gemessen werden (20, e25). Sehr niedrige Werte sprechen allerdings mit großer Sicherheit für einen GH-Mangel
(zum Beispiel < 77,2 µg/L [21]). IGF-1-Konzentrationen sind auch erniedrigt bei Mangelernährung,
schlecht kontrolliertem Diabetes mellitus, Lebererkrankungen und Hypothyreose.
Für die zuverlässige Beurteilung der Funktionsfähigkeit der somatotropen Achse sind daher Stimulationstests unerlässlich. Grundsätzlich wird gefordert,
die Diagnose eines GH-Mangels im Erwachsenenalter
durch zwei Tests zu belegen. Hiervon kann abgewichen werden, wenn mehr als eine andere Hypophysenachse nachgewiesen defizient ist. Die Untersuchungen müssen im nüchternen Zustand durchgeführt
werden, da Glukose zu einer Suppression von GH
führt. Grundsätzlich sind die genannten Grenzwerte
immer unter Berücksichtigung des genutzten Assays
zu interpretieren, da es gerade im niedrigen Messbereich deutliche Unterschiede in der Bestimmung absoluter Konzentrationen gibt.
441
MEDIZIN
Beim Erwachsenen gilt der IHT als Goldstandard.
Ein GH-Peak < 3µg/L ist ein sehr starker Hinweis
auf einen GH-Mangel, ein Wert > 5µg/L schließt ihn
weitgehend aus (22). Die Reproduzierbarkeit des
IHT wird als eher schlecht beurteilt (e15, e16, e26).
Der GHRH(Growth-Hormon-Releasing-Hormon)Arginin-Test (Tabelle) kombiniert die SomatostatinSuppression durch Arginin (23) mit der direkten, hypophysären GH-Stimulation durch GHRH und führt
damit zu einem starken GH-Anstieg beim Gesunden
(24, e27). Allein eingesetzt hat Arginin eine sehr
schwache Stimulationswirkung (e28). Da GHRH direkt die hypophysäre GH-Sekretion stimuliert, entfällt es als alleinige Testsubstanz, wenn auch eine supra-hypophysäre Ursache infrage kommt (zum Beispiel Schädel-Hirn-Trauma) (e27, e29). Für GHRH
allein sind keine Grenzwerte für die Diagnose eines
GH-Mangels im Erwachsenenalter etabliert. Da die
maximalen Konzentrationen des GHRH-ArgininTests weit über denen des IHT liegen, wird seine
Aussagekraft für die Diagnose des GH-Mangels im
Erwachsenenalter kontrovers diskutiert (e30). Abhängig vom BMI wurden für diesen Test unterschiedliche Grenzwerte für die Diagnose eines GHMangels vorgeschlagen: 11,5 µg/L bei einem BMI <
25 kg/m2, 8,0 µg/L für übergewichtige Patienten mit
einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 und 4,2 µg/L
für adipöse Patienten mit einem BMI > 30 kg/m2
(25). Der GHRH-Arginin-Test gilt als besser reproduzierbar als der IHT (22). Er stellt wahrscheinlich
die beste Alternative zum IHT dar, sollte dieser aufgrund von Kontraindikationen nicht durchführbar
sein beziehungsweise der Ergänzung durch einen
weiteren Test bedürfen. Beim GHRH-Arginin-Test
kann es zu Übelkeit und Blutdruck-Abfall kommen;
Kontraindikationen bestehen nicht.
KERNAUSSAGEN
Praktische Durchführung der Untersuchungen zur Evaluation
der Hypophysenachsen
● Die Testung der Hypophysenachsen ist nur bei Patienten mit ausreichend
hoher Wahrscheinlichkeit einer pathologischen Veränderung der Hypophyse sinnvoll, zum Beispiel bei Hypophysentumoren, nach Operation oder
Bestrahlung der Sellaregion oder nach Schädel-Hirn-Trauma, und erlaubt
keine sinnvolle Interpretation bei ungezielter Anwendung.
● Die Interpretation der basalen Befunde wie auch die Durchführung und
Wertung der Stimulationstests sollten aufgrund der vielen möglichen Fehlerquellen durch einen Endokrinologen erfolgen.
● Ein sequenzielles Vorgehen zunächst mit Beurteilung der basalen Hypophysenhormone gefolgt von gezielt eingesetzten Hypophysenstimulationstests, ist sinnvoll (Grafik 2).
● Die Durchführung eines kombinierten Hypophysentests mit gleichzeitiger
Testung aller Hypophysenachsen ist in diesem Kontext daher weitgehend
obsolet.
442
Interessenkonflikt
Prof. v. Werder hat Honorare für Vorträge im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen von der Firma Novartis erhalten.
Die anderen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der
Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 2. 10. 2008, revidierte Fassung angenommen: 23. 11. 2009
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SUMMARY
The Rational Use of Pituitary Stimulation Tests
Background: Diseases of the pituitary gland can lead to the dysfunction
of individual hormonal axes and to the corresponding clinical manifestations. The diagnostic assessment of pituitary function has not yet been
standardized.
Methods: The members of the Neuroendocrinology Section and the Pituitary Study Group of the German Society for Endocrinology (Deutsche
Gesellschaft für Endokrinologie) prepared outlines of diagnostic methods for the evaluation of each of the pituitary hormonal axes. These
outlines were discussed in open session in recent annual meetings of
the Section and the Study Group.
Results: For the evaluation of the thyrotropic axis, basal TSH and free T4
usually suffice. For the evaluation of the gonadotropic axis in men, the
testosterone level should be measured; if the overall testosterone level
is near normal, then calculating the free testosterone level may be additionally useful. In women, an intact menstrual cycle is sufficient proof of
normal function. In the absence of regular menstruation, measurement
of the basal estradiol and gonadotropin levels aids in the diagnosis of
the disturbance. For the evaluation of the adrenocorticotropic axis, the
basal cortisol level may be helpful; provocative testing is in many cases
necessary for precise characterization. The evaluation of the somatotropic axis requires provocative testing. Aside from the insulin tolerance
test, the GHRH-arginine test has become well established. Reference
ranges normed to the body mass index (BMI) are available.
Conclusion: The diagnostic evaluation of pituitary insufficiency should
proceed in stepwise fashion, depending on the patient’s clinical manifestations and underlying disease. For some pituitary axes, measurement of basal hormone levels suffices; for others, stimulation tests are
required. In general, the performance of combined pituitary tests should
be viewed with caution.
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GH response to GH-releasing hormone-arginine test related to
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Stephan Petersenn
ENDOC Zentrum für Endokrine Tumoren und
Praxis für Endokrinologie,
Andrologie und medikamentöse Tumortherapie
Altonaer Straße 59
20357 Hamburg
E-Mail: [email protected]
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 25 | 25. Juni 2010
Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(25): 437–43
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0437
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit2510
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
443
MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Sinnvolle Hypophysenstimulationstests
Stephan Petersenn, Hans-Jürgen Quabbe, Christof Schöfl, Günter K. Stalla,
Klaus von Werder, Michael Buchfelder
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