Musikwissenschaftliche Gesamtausgaben in Deutschland

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Musikwissenschaftliche Gesamtausgaben
in Deutschland
Katalog zur Ausstellung der Fachgruppe Freie
­­
Forschungsinstitute
Klingende Denkmäler
Musikwissenschaftliche Gesamtausgaben in Deutschland
Herausgegeben von Klaus Döge, Ulrich Krämer und Salome Reiser
für die Fachgruppe Freie Forschungsinstitute in der Gesellschaft für Musikforschung
Union der deutschen Akademien der Wissenschaften · Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Inhalt
Gruß- und Vorwort................................................................ 3
Neue Schubert-Ausgabe.......................................................32
Orlando di Lasso – Sämtliche Werke.................................... 4
Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe.............................. 34
Gesellschaft zur wissenschaftlichen Edition
Leipziger Ausgabe der Werke von
des deutschen Kirchenliedes................................................. 6
Felix Mendelssohn Bartholdy...............................................38
Neue Bach-Ausgabe.............................................................. 8
Robert Schumann – Neue Ausgabe sämtlicher Werke........41
Georg Philipp Telemann – Musikalische Werke..................14
Johannes Brahms Gesamtausgabe...................................... 46
Hallische Händel-Ausgabe...................................................16
Richard Wagner-Gesamtausgabe.........................................51
Forschungsstelle Geschichte der südwestdeutschen
Max-Reger-Institut / Elsa-Reger-Stiftung........................... 54
Hofmusik im 18. Jahrhundert...............................................18
Christoph Willibald Gluck – Sämtliche Werke................... 20
Joseph Haydn Werke........................................................... 22
Arnold Schönberg Gesamtausgabe......................................56
Paul Hindemith – Sämtliche Werke.....................................59
Répertoire International des Sources Musicales
Neue Mozart-Ausgabe......................................................... 24
(RISM)..................................................................................62
Beethoven-Archiv.................................................................27
Adressenverzeichnis............................................................ 64
Gruß- und Vorwort
D
ie Ausstellung „Klingende Denkmäler: Musikwissenschaftliche Gesamtausgaben in Deutschland“ ist ein repräsentativer Beitrag, um im „Jahr der Geisteswissenschaften“
auf die auch international sehr anerkannten musikwissenschaftlichen Editionsvorhaben aufmerksam zu machen. An den deutschen Wissenschaftsakademien haben die Geisteswissenschaften traditionell einen Schwerpunkt. Mit ihrem gemeinsamen
Forschungsprogramm, dem „Akademienprogramm“, wenden
sie sich Themen der Grundlagenforschung zu, für die man einen
langen Atem braucht. Der Reichtum unserer Kultur wird in diesen Projekten erschlossen; dafür sind die 18 im Akademienprogramm geförderten musikwissenschaftlichen Editionsvorhaben
zentrale und herausragende Beispiele. Durch die editorische Arbeit ermöglichen sie einen unverstellten Zugang zu den Musikwerken des 18. bis 20. Jahrhunderts und sichern für heutige und
künftige Generationen, was wir vor allem von der Musik besitzen, nämlich ihre Notentexte. Die Musiker­gesamtausgaben stellen eine großartige Leistung der deutschen Musikwissenschaft
dar, denn die musikalische Editionsphilologie hat Maßstäbe gesetzt. Die in dieser Form erstmals realisierte Ausstellung bietet einem breiten Publikum die Möglichkeit, interessante und
aufschlußreiche Einblicke in die musikwissenschaftliche Editionstätigkeit zu erhalten. Ein besonderer Dank geht an die Fachgruppe Freie Forschungsinstitute in der Gesellschaft für Musikforschung, die die Ini­tiative ergriffen hat, die gemeinsame
Präsentation der musikwissenschaftlichen Editions- und Forschungsprojekte zu realisieren.
Professor Dr. Gerhard Gottschalk
Präsident der Union der deutschen
Akademien der Wissenschaften
Professor Dr. Elke Lütjen-Drecoll
Präsidentin der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
A
m 5. Oktober 2005 wurde in München unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Musikforschung
die Ausstellung Klingende Denkmäler: Musikwissenschaftliche
Gesamtausgaben in Deutschland eröffnet. Die Ausstellung ist
ein Gemeinschaftsprojekt der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen musikwissenschaftlichen Editions- und Forschungsinstitute und hat sich zum Ziel gesetzt, etwas von der
Faszination der editorischen Arbeit zu vermitteln, die ja normalerweise – wenn nicht gerade spektakuläre Funde das Interesse
der Medienöffentlichkeit auf sich ziehen – eher im Stillen stattfindet und deren weniger nachrichtentaugliche, dafür aber den
wirklich Interessierten umfassend informierende Erkenntnisse
den nicht immer ganz zu Unrecht gefürchteten „Kritischen Berichten“ erst entlockt werden müssen. Obwohl die Ergebnisse
dieser Arbeit nicht nur der Fachwelt, sondern auch und vor allem
der musikalischen Praxis und damit der Öffentlichkeit insgesamt
zugute kommen, ist eine Vorstellung davon, wie diese Arbeit
in ihren einzelnen Abläufen aussieht, auf welche Materialien
sie sich stützt und was genau ihren besonderen Reiz ausmacht,
kaum vorhanden. Und so waren es vor allem drei Überlegungen,
die bei der Konzeption der Ausstellung entscheidend waren:
Die erste Überlegung war, dem verbreiteten Klischee vom Musikwissenschaftler, der fernab vom weltlichen Geschehen Tag
für Tag über staubigen Notenhandschriften brütet, konkrete
Einblicke in die moderne Musikphilologie und ihre Methoden
entgegenzusetzen. Diese reichen von der Quellensuche, die bisweilen unerwartet Neues zu Tage fördert, über die Klärung von
Echtheitsfragen und den Quellenvergleich, der die Bestimmung
einer Hauptquelle zum Ziel hat und dabei immer wieder überraschende Abhängigkeiten der Quellen untereinander ans Licht
bringt, bis hin zur wissenschaftlich fundierten Lösung von Widersprüchen und Inkonsequenzen der Hauptquelle und zur Ausarbeitung des „authentischen“ Notentextes.
Die zweite Überlegung ging dahin, die ebenfalls tief verankerte
Vorstellung vom Komponisten, dem eine höhere Macht das fertige Werk gleichsam in die Feder diktiert, durch ein differenzierteres Bild zu ersetzen, das weniger durch den romantisierenden
Geniekult als durch die Realität der musikalischen Quellen gestützt wird. Dieses Bild zeigt den Komponisten als sorgfältigen
Planer, dessen Werk das Ergebnis eines umfangreichen Arbeitsprozesses ist, der vereinfacht dargestellt die Stufen Skizzierung,
Entwurf, Ausarbeitung, Reinschrift, Korrektur und nachträgliche Überarbeitung umfaßt.
Die dritte Überlegung schließlich entsprang dem Bedürfnis, das
Bewußtsein der musikalischen Öffentlichkeit für den Wert und
die Bedeutung der editorischen Arbeit auf dem Gebiet der Musik
zu stärken – einer Arbeit, die in mehr als 30 Forschungsinstituten
geleistet wird und deren Ergebnisse höchste internationale Anerkennung finden. Die Ergebnisse sind weniger Medien-Sensationen als vielmehr jene Feinheiten des Authentischen, die Musikerpersönlichkeiten wie Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt
oder Zubin Mehta zu schätzen und umzusetzen wissen. Die Forschungsinstitute betreiben Grundlagenarbeit, von deren Ergebnissen nicht nur die musikwissenschaftliche Forschung, sondern
die Musikkultur insgesamt profitiert. Dies kann angesichts jener
politischen Strömungen, die den Effizienzbegriff naturwissenschaftlichen Forschens auf die Geisteswissenschaften übertragen und in der staatlichen Kulturförderung einen renditeresistenten Luxus sehen, nicht deutlich genug ausgesprochen werden.
Da viele der beteiligten Institute kurz vor dem Abschluß ihrer
Projekte stehen, bietet die Ausstellung zugleich eine einmalige Rückschau auf die Musikphilologie des vergangenen halben
Jahrhunderts, die in dieser umfassenden Breite künftig wohl
nicht mehr zu realisieren sein wird. Die vorliegende Broschüre
ist als Katalog zur Ausstellung konzipiert, deren gesamtes Material sie in Wort und Bild enthält. Sie entstand auf Anregung zahlreicher Besucher, deren Wunsch es war, die dargestellten Zusammenhänge noch einmal in Ruhe zuhause nachzuvollziehen.
Der Dank der Herausgeber gilt den Forschungsinstituten, deren
schwierige Aufgabe es war, ihren gewaltigen Wissensfundus auf
möglichst kurzweilige Art zu vermitteln, sowie den Musikverlagen Bärenreiter, Breitkopf & Härtel, G. Henle und Schott Music
für die großzügige finanzielle Unterstützung.
Die Herausgeber im Juni 2007
3
Forschungsstelle
Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik im 18. Jahrhundert
Ignaz Holzbauers
„Günther von Schwarzburg“
E
ine der Aufgaben der an der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften angesiedelten Forschungsstelle
ist die Dokumentation der Geschichte der Mannheimer Hofkapelle, die unter Kurfürst Carl Theodor von 1743
bis 1778 institutions- und stilgeschichtlich eine führende Rol-
le in Europa spielte.­ Zur Veröffentlichung gelangten Studien zu Kompositionen und Sozialstatus der Hofmusiker sowie
ausgewählte Werke wie die Oper Günther von Schwarzburg
von Ignaz Holzbauer (1711–1783), die im Jahre 2000 in einer
kommentierten Faksimile-Edition vorgelegt wurde.
Das dreibändige Partiturautograph gehört aufgrund der musik­
historischen Bedeutung – die Oper wurde nach ihrer Mannheimer Uraufführung am 5. Januar 1777 von den Zeitgenossen
als erste deutsche Nationaloper gefeiert – und der einzigartigen handschriftlichen Überlieferung zu den wichtigsten
­musikalischen Quellen der Mannheimer Hofkapelle. Die
Handschrift, die im Hohenlohe Zentralarchiv in Schloß Neuenstein aufbewahrt wird, erweist sich als persönliches Arbeitsexemplar Ignaz Holzbauers und gestattet somit ungewöhnliche
Einblicke in die Werkstatt eines Komponisten aus der zweiten
Hälfte des 18. Jahr­hunderts, wie sie vergleichbar nur noch bei
Wolfgang Amadeus Mozart bekannt sind.
Das augenfälligste Merkmal der Handschrift sind die zahlreichen nachträglichen Korrekturen und Eingriffe, mit denen Holzbauer die ursprüngliche Fassung in mehreren Stufen
überarbeitete. Bei vielen dieser Revisionen handelt es sich um
Überklebungen, die der Komponist mit Leim oder rotem Siegellack an der entsprechenden Stelle des Autographs befestigte
(vgl. Abbildung 1). Um den ursprünglichen Notentext zu erhalten, nahm Holzbauer nachträgliche Kürzungen häufig mit Hilfe
eines unbeschrie­benen Blattes vor, das er über eine oder mehrere eingeschlagene Notenseiten klebte (vgl. Abbildung 2).
Zur Bestimmung der unterschiedlichen Überarbeitungsphasen sowie zur Ermittlung Holzbauerscher Kompositionsweisen sind die Überklebungen, die sich teilweise in mehreren
Abbildung 1
18
Abbildung 3
Abbildung 2
Schichten auf insgesamt 132 Seiten des Autographs befinden,
von entscheidender Bedeutung. Holzbauer verwendete größtenteils Makulaturblätter, die auf der Rückseite zum Teil noch
ältere Notenvarianten zeigen. Diese rückseitigen Notenfragmente belegen beispielsweise, daß die Arien vor den Rezitativen komponiert wurden, wobei der Komponist gewöhnlich
zunächst die Singstimme mit unterlegtem Text notierte, dann
die Taktstriche der noch freien Notensysteme analog zur Singstimme einrichtete und erst danach die übrigen Stimmen ergänzte (vgl. Abbildung 3). Durch den Vergleich der freigelegten älteren Notenschichten mit dem Erstdruck von 1777 sowie
einer weiteren, im selben Jahr entstandenen Partiturabschrift
lassen sich überdies vier Fassungen
des Notentextes unterscheiden: die
Frühfassung, die Uraufführungsfassung von 1776 und zwei nachfolgende Revisionen aus dem
Jahr 1777. Auf diese Weise besteht nun erstmals die Möglichkeit, die Uraufführungsfassung bis auf wenige verlorengegangene Rezitativpassagen zu rekonstruieren.
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