thesen für den erhalt eigentlich wertloser gebäude.

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Dargestelltes Projekt: Umbau eines ehemaligen
Bullenstalls in Groß Behnitz zu zwei Wohnlofts,
Fertigstellung 2012.
°pha design
kein neubau!
thesen für den erhalt eigentlich wertloser gebäude.
Die Architekten Sonja und Arndt Hermann arbeiten unter dem Namen
°pha design seit 2001 in Ribbeck/Havelland, wo sie die Entwicklung des
Ortes zum Kulturstandort durch Kulturnetzwerkarbeit und Kulturver­
anstaltungen maßgeblich prägten.
Jeder Altbau besitzt ein
Gedächtnis
Offenheit entsteht durch Licht,
Raum und Wege
Als Architekturbüro beschäftigen sie sich schwerpunktmäßig mit der
Ein leer stehendes Haus wurde im Verlauf seiner
Wer die Form einfältig von der Funktion ableitet,
punktuelle Eingriffe, die im Dialog mit einem zum Teil unerwartet weit
Nutzung oft vielfach verändert, erweitert oder
endet schnell in der monofunktionalen Sackgasse
gehenden Erhalt vorgefundener Strukturen und Materialien stehen.
umgenutzt und sieht zum vermeintlichen Ende hin
am Ende des laminatbelegten Flurs. Ein Raumplan,
oft abgenutzt, verbaut und unästhetisch aus. Seine
der vielfältige Nutzungen, Wege und Lichtsitua­tio­
Geschichte ist jedoch immer spannend und lässt
nen ermöglicht, inspiriert dagegen seine eigenen
sich mit einfachen Mitteln wieder erfahrbar machen.
Nutzungsmöglichkeiten. Kitzel die Möglichkeiten
Der Altbau hat eine eigene authentische Qualität,
aus dem Vorgefundenen!
die dem Neubau naturgemäß fremd ist.
Rettet Ruinen
Kein Sinn ohne Sinne
Natürliche Oberflächen laden zur Berührung ein,
Selbst ein eingestürztes Haus besteht meist noch
tragen die Spuren handwerklicher Be­arbeitung und
aus nutzbaren Strukturen. Eine Wand, die weiter­
verändern sich ständig unter dem Einfluß von Licht,
genutzt werden kann, muss weder abgerissen,
Feuchtigkeit und Gebrauch. Die Abnutzung kann
noch entsorgt oder neu errichtet werden. Die
die Ästhetik nicht schmälern, sondern trägt sich als
­weitergenutzte Wand ist die werthaltigste Wand.
Geschichte im Material ein.
Intervention statt Anpassung
Außenbezug
Jeder Nutzer hat das Recht sein Gebäude auf seine
In dem Maß, in dem sich der Mensch durch Speziali­
Bedürfnisse anzupassen. Sein Eingriff soll aber mit
sierung von seinen natürlichen Bezügen entfremdet,
einer eigenen Sprache so erfolgen, dass das Haus
wächst seine Sehnsucht nach eben diesen. Am Ende
seine Geschichte weiter erzählen kann.
einer zweistündigen Fahrt in einem verbrauchsopti­
mierten Turbo­diesel von Berlin in ein verlassenes
Brandenburgisches Dorf findet er in einem Altbau
endlich seinen lohas*.
*lifestyle of health and sustainability
34 N 2 | 2013 wahrsager
o
Neuinterpretation alter Gebäude: Kennzeichen Ihrer Arbeit sind moderne
perlenschnur + nagelband
RE Der Konflikt zwischen Baukünstlern und
Bildenden Künstlern ist überliefert. Gerade
wenn die Architektur in Form-, Material- und
Funktion an sich ein Gesamtkunstwerk dar­
stellt. Der Architekt möchte dann natürlich
sein Werk nicht zugunsten eines Kunstwerks
in den Hintergrund drängen lassen; der
­Bildende Künstler möchte den vorhandenen
Raum für sein Werk adaptieren.
Was geschieht, wenn Baukunst und Bildende Kunst ­gleichgeordnet auf­
einander treffen? Architektenpaar Hermann und Künstler Eckelt stellen
diese Frage in einem gemeinsamen ästhetischen Experiment, das im
Herbst 2012 im havelländischen Groß Behnitz stattfand.
Die Architekten Sonja und Arndt Hermann von °pha design ­haben einen
ehemaligen LPG-Stall am Ufer des Behniter Sees zu einem modernen
Wohngebäude umgewandelt. Im Zentrum des loftartigen weißen Innen­
raums befindet sich ein eingestellter dunkler Kubus.
Der Künstler Roland Eckelt hat eine Serie großformatiger schwarzweißer Ölgemälde gemalt. Die Bilder haben den Titel „Wider den bösen
Blick“. Sie zeigen weiße, juwelenartige Formen auf schwarzem Grund.
Gemeinsam inszenierten Künstler und Architekten in den leeren Räumen
AH Zunächst hatte ich überhaupt keine Vor­­
stellung, was Roland Eckelt da so v
­ orhatte
und bin ganz offen in das Experiment hinein­
gegangen, weil mich seine Arbeiten sehr
interessieren. Die konkrete Bildserie kannte
ich allerdings noch gar nicht.
RE Bei der ersten Besichtigung des Gebäu­
des ist mir neben dem Architekturkonzept
und den speziellen Einsatz von Materialien
zunächst mal die dominierende Farbgebung
Schwarz/Weiß im Innenraum des Gebäu­
des aufgefallen. Da ich gerade eine Serie
mit Tafelbildern fertig gestellt hatte, die
in der Hauptsache in den Farben Schwarz
und Weiß gehalten sind, war ich neugierig
was dieser Raum mit den Bildern macht,
oder umgekehrt? Wie schon der Titel sagt:
­„Wider den bösen Blick“.
des Gebäudes verschiedene Aufbauten der Bilder. Aus der Begegnung
zwischen Architektur und Kunst entstand ein interdisziplinärer Dialog:
AH Als ich die Bilder dann gesehen habe, war
ich wirklich erstaunt, wie sie in der Lage waren,
sofort den Raum zu prägen. Und dies auf eine
Weise, die anders als in einer Galerie oder
einem Museum keinen Ausstellungscharakter
hatte. Vielmehr konnten sich die Bilder sofort
den Raum aneignen indem sie mich als Be­
trachter in eine Geschichte ­hineinziehen. Die
Bilder zeigen ja alle Halsketten und ich frage
mich natürlich sofort, wer hat die Kette ge­
tragen, wo ist er bzw. wahrscheinlich sie und
welche Verbindung hat sie mit diesem Raum?
Vor allem überrascht hat mich, dass das nicht
mehr mein Raum war, der Raum gehörte
­sofort den Bildern.
RE Da hatte ich eine andere Wahrnehmung!
Gemeinsam ist aus meiner Sicht der Grundge­
danke, dass die Art der Raumarchitektur und
auch die Tafelbilder mit allgemein nachvoll­
Roland Eckelt ist bildender Künstler. Im Mittel­
punkt seiner Arbeit steht die Erforschung und
Visualisierung von Kommunikationsprozessen.
36 No 2 | 2013 wahrsager
Er lebt und arbeitet in Strodehne.
ziehbaren, erkennbaren Verweisen arbeiten
und doch zu individuellen Interpretations­
möglichkeiten einladen. So lassen sich die
Einbauten auf Fabrikarchitektur zurückführen,
der Schwarze Kubus in der Mitte des großen
Raum auf die „Kabala“ schließen, die Juwelen
auf ein Präsentationskonzept u.s.w.. Allen
Elementen ist jedoch gemeinsam, dass
sie so­gleich wieder in ihrer Eindeutigkeit
gebrochen sind und damit auf ein Gesamt­
konzept verweisen.
SH Es gab immer wieder Architekten, die
die Auffassung vertraten, in einem Gesamt­
kunstwerk müssten alle Details in einer
Handschrift entwickelt sein. Als Konsequenz
daraus haben sie begonnen, auch die Kleidung
zu entwerfen, die in ihren Räumen getragen
werden soll. Ich glaube, die Qualität der Räume
zeigt sich, wenn Neues von außen hereinge­
bracht wird.
Innerhalb der abgegrenzten Form des Qua­
drats, in der Farbgebung, der Materialität der
Ölbilder sowie im Motiv, hier des „Schmucks“,
können Bilder durchaus eine suggestive
Wirkung haben. Erstaunlich war für mich zu
sehen, dass die Bilder einen Dialog mit dem
vorhandenen Raumkonzept eingegangen
sind, ja sogar Räume für erweiterte Inter­
pretationsmöglichkeiten boten.
Wo liegen denn für Euch die Grenzen für
fremde Kunstwerke innerhalb eines architek­
tonischen Gesamtkunstwerks?
SH Die Kunst sollte keine Grenzen haben. Ich
begreife unsere Leistung eher als Schaffung
einer Plattform. Die Architektur ist ja keine
zweckfreie Kunst sondern muss abseits eines
ästhetischen Grundverständnisses viele Be­
dürfnisse befriedigen. Im besten Fall bildet
der entstandene Raum eine Klammer, die für
die darin stattfindenden Aktionen als Bühnen­
bild dient. Lichtführung, Proportion, Materiali­
tät und Ausblicke sind dabei maßgebliche
Elemente.
AH Die Grenze wären für dieses Experiment
doch schnell erreicht, wenn jemand eine
­Abhangdecke einziehen und die Fenster
­zuhängen würde! Wir haben in unserem Ent­
wurf das vordergründig rein funktionale Trag­
werk aus DDR-Nagelbindern freigelegt, sorg­
fältig gereinigt und das Raumkonzept mit den
eingestellten Elementen so entwickelt, dass
neben den neuen Ausblicken auf den See
immer die filigrane Dachstruktur sichtbar ist,
die eine Menge über die Vorgeschichte des
Hauses erzählt. Da lag ja eine Intention dahin­
ter. Hier ist also schon ein Dialog im Gange,
wenn die Bilder in den Raum kommen. Die
Tatsache dass die Bilder offen für den Dialog
sind macht das Experiment so belebend. Der
Dialog verschiebt sich, bekommt eine neue
Richtung. Geschlossene Kunstkonzeptionen
sollten vielleicht an einem anderen Ort wirken
können.
AH Roland, wie geht es Dir, wenn Deine Bilder
in einen vielleicht nicht erwarteten Zusammen­
hang gebracht werden? Sie könnten zum
Beispiel werblich genutzt werden. Nehmen
wir an, Wempe möchte mit der Serie „Wider
den bösen Blick“ Werbung für Diamanten­
colliers machen...
RE In Kunstausstellungen oder -aktionen,
zumal in einem dafür ausgelegten Raum wie
Galerie, Kunstmuseum etc., wird zwangs­
läufig Kunst erwartet, egal in welcher Form
sie dann dort auftaucht. Dem Gedanken, ob
Kunst um Kunst zu sein funktionsfrei sein muss
kann ich nicht folgen. Zumindest füllt sie ja
eine Örtlichkeit aus mit Dingen, Gedanken
oder Korrekturen, stellt Situationen her oder
beleuchtet sie… und übernimmt damit schon
einen Zweck. Doch auch außerhalb des her­
kömmlichen Kunstkontextes steckt manch­
mal eine Kunst, die dann auch verkleidet als
zweck- oder situationsgebunden daher­
kommen kann. An dieser Art von Kunst klebt
eben kein Zettel: „hier Kunst“. Bei Tafelbildern,
Ölfarbe auf Leinwand, ist der Allgemein­
konsens, dass das Kunst ist, relativ eindeutig.
Kann spannend werden, wenn „Wempe“ oder
sonst wer meine Tafelbilder als Potenzial für
die Bewerbung ihrer Produkte ansehen würde.
Die Kunst muss immer wieder aufs Neue aus
ihrem Rahmen befreit werden.
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